Die Werwölfe vom Weihnachtswald von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Weihnachtsmarkt -------------------------- „Komm schon, Willi, beeil dich oder wir werden den Bus verpassen!“, rief Tim ein wenig ungeduldig in ihr gemeinsames Internatszimmer hinein. In das Adlernest, wie dieser Raum seit langer Zeit genannt wurde. Es war im Grunde nur ein kleiner Raum, dennoch war er groß genug für die beiden Teenager, um sich darin wohlzufühlen. Zumindest was das üblicherweise der Fall. Im Augenblick fühlte sich Tim alles andere als wohl. Ungeduldig wie ein wildes Tier, lief er vor der Zimmertüre auf und ab, bereit, sich auf dem Weg zur Bushaltestelle zu machen. Es war Dienstagabend, der Unterricht hatte vor Stunden sein Ende gefunden und TKKG hatten sich zu einem gemütlichen Treffen am Weihnachtsmarkt verabredet. Während Gabi und Karl als externe Schüler das Gebäude bereits vor Stunden verlassen hatten, waren Tim und Willi im Internat geblieben. Nur zu gerne wäre Tim auf sein Fahrrad gesprungen und zum Weihnachtsmarkt geeilt, da er es hasste, zu spät zu kommen. Doch das hohe Schneeaufkommen hatte seinen Fahrplänen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwar fühlte er sich mehr als sattelfest, egal bei welchem Wetter, dennoch wollte auch er nichts riskieren. Zumal ihm Gabi, deren Eltern und auch seine eigene Mutter so lange damit in den Ohren gelegen waren, dass er ihnen versprochen hatte, lieber den Bus zu benutzen. Zu seinem Glück hatte das Internat den internen Schülern dafür ein kostenloses Weihnachtsticket vergeben, damit sie auch im Dezember mehr an die frische Luft kommen würden. Ein Umstand, der Tim sehr entgegengekommen war. So musste er seine Mutter nicht um zusätzliches Geld für Fahrkarten bitten. So konnte er sich für die nächsten Wochen durch die Millionenstadt bewegen, ohne sich Gedanken über die Fahrkarten zu machen. Was besonders nützlich war, wenn er das Internat für einen neuen Fall verlassen und zu einer weiter entfernten Haltestelle fahren musste. Doch das war nicht der einzige Grund, warum er sich nicht längst auf den Weg gemacht hatte. Allein motiviert durch seinen starken Gerechtigkeitssinn wollte er Willi nicht alleine zurücklassen. Willi war schon immer sein bester Freund gewesen und Tim würde immer auf ihn warten, selbst, wenn es ihm gleichzeitig den letzten Nerv kosten würde. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hörte Willi auf im Schrank zu suchen und streckte seinen Kopf heraus. Auf diesen hatte er sich eine rote Bommelmütze aufgesetzt, ein Geschenk seiner Mutter, das er erst vor kurzem bekommen hatte. Auch Tim hatte von Willis Mutter eine Mütze spendiert bekommen. Doch im Gegensatz zu Willi, der auf einen späten Schnee- und Kälteeinfall spekuliert hatte, hatte Tim seine Mütze stets in greifbarer Nähe gehalten. Dafür hatte sie nun auch nicht mehr suchen müssen, ganz im Gegensatz zu seinem besten Freund. Doch nun war er endlich fündig geworden. „In Ordnung, ich bin fertig“, sagte Willi erleichtert und zog sich seine Jacke an. Ein letzter prüfender Blick in seine Jackentaschen, dann sah er Tim an. Er war bereit zum Gehen. Tim wurde das Gefühl nicht los, dass Willi mal wieder mehrere Tafeln Sauerlich-Schokolade in seine Jacke gepackt hatte, doch sie hatten nicht die Zeit, als dass er sich darüber aufregen konnte. Stattdessen nahm er Willi am Handgelenk und zog ihn schnell, aber vorsichtig aus der Tür heraus, bevor er diese verschloss. „Los, komm, wir müssen uns beeilen oder der Bus fährt ohne uns zum Weihnachtsmarkt“, sagte Tim und hoffte, dass sie nicht bereits zu spät waren. Willi teilte seine Sorgen nicht, zur Not würde er einfach Georg bitten, sie mit dem Jaguar zu dem Markt hinzufahren. Obwohl er wusste, dass Tim den Vorschlag vehement ablehnen würde. Daher eilten die beiden Jungs durch die Gänge des Internats, Treppe um Treppe, Gang um Gang, bis sie schließlich das Gebäude wie auch das Geländer hinter sich ließen. Die Bushaltestelle war zu ihrem Glück ganz in der Nähe, so dass sie nur noch die Straße dafür überqueren mussten. Kaum hatten sie die Bushaltestelle erreicht, ließ Tim Willis Handgelenk los und hob sein eigenes, um die Uhrzeit zu kontrollieren. In genau zwei Minuten würde laut Fahrplan der Bus die Haltestelle anfahren, erleichtert ließ er seine Uhr wieder sinken. Während der sehr flotte Gang ihm nichts ausgemacht hatte und er sogar froh war, wenigstens zu ein wenig körperlicher Ertüchtigung gekommen zu sein, stand sein bester Freund schwer schnaufend neben ihm. Mit vielen schnellen Atemzügen versuchte Willi, sich von der kurzen Strecke zu erholen. Oft genug hatte Tim ihm nahegelegt, doch etwas gegen sein ungesund hohes Gewicht zu tun, war jedoch nur auf taube Ohren gestoßen. Dass darunter auch seine Ausdauer litt, war dem Jungen am Ende des Tages egal. Dass es Willi dennoch nie davon abhielt, mit dem Rest von TKKG spannende Fälle zu lösen, die auch oftmals viel körperlichen Einsatz verlangten, das rechnete Tim ihm hoch an. Dennoch hätte er nichts dagegen, wenn Willi ein wenig abnehmen würde. Er würde nie von ihm verlangen, so schlank wie er oder so dürr wie Karl zu werden, aber ein bisschen weniger auf den Rippen des Millionärssohns zu sehen, das würde Tim schon glücklich machen… Während Willis Atmung sich wieder einer normalen Geschwindigkeit annäherte, betrachtete Tim ihn und fragte sich, ob dieser auch an das Ticket gedacht hatte. „Du hast schon daran gedacht, dein Ticket einzustecken?“, fragte Tim ihn vorsichtshalber und maßregelte sich selbst, dass er erst jetzt daran gedacht hatte, nicht vorhin, als sie noch im Adlernest waren. Doch zu seiner Freude und Überraschung zog Willi aus seiner rechten Jackentasche den kleinen, roten Zettel hervor, kurz genug, dass Tim ihn erkennen konnte. „Natürlich habe ihn dabei, was denkst du denn? Nur weil ich meine Mütze verlege, heißt es nicht, dass ich automatisch alles verbummle“, sagte er lautstark und zog mit der anderen Hand aus der anderen Jackentasche eine Schokoladentafel heraus. Tim verdrehte die Augen ein wenig. „Das würde ich an deiner Stelle lieber sein lassen“, sagte er und erntete dafür einen verwirrten Blick von Willi, der die Tafel gerade öffnen wollte. „Warum denn nicht? Nach dieser kleinen Sportnummer brauche ich dringend Energie in Form von Schokolade“, sagte er, doch Tim schüttelte mit dem Kopf. „Weil ich da vorne an der Kreuzung den Bus sehen kann und der Busfahrer sicher nicht will, dass du bei ihm deine Schokolade isst. Das kannst du nachher, wenn wir auf dem Markt sind, immer noch tun. Hol lieber nochmal dein Ticket heraus“, sagte Tim und kramte sein eigenes hervor. Willi dagegen blickte zu der Kreuzung, die Tim erwähnte hatte und seufzte theatralisch laut. Dann ließ er die Tafel verschlossen wieder in der Jackentasche verschwinden und holte erneut sein Ticket heraus.   ~   „Da seid ihr beiden ja. Und ich hatte schon befürchtet, ihr hättet den Bus verpasst“, sagte Karl, kaum, dass die beiden aus dem Bus ausgestiegen waren. Er hatte zusammen mit Gabi an der Zielbushaltestelle auf sie gewartet und rückte lächelnd seine Brille zurecht. Gabi war ebenfalls glücklich, die beiden zu sehen. Sogar Oskar freute sich und ließ die Jungs das mit einem kurzen Aufbellen wissen. „Nun, wir hätten ihn verpasst, wenn Willi noch länger gebraucht hätte, um nach seiner Mütze zu suchen“, sagte Tim resigniert, lächelte aber dabei. Die Unordnung, die sein bester Freund und Mitbewohner an den Tag legte, war noch ein Punkt, den er wohl nie aus ihm rausbekommen würde. Gleichzeitig kannte Tim seine vielen positiven Seiten und wusste, dass seine anderen Freunde dies genauso sahen. „Nun, gut, da wir ja jetzt alle hier sind“, meinte Tim und klatschte in die Hände. „Dann sollten wir uns hier auch amüsieren. Immerhin haben wir dafür extra die kostenlosen Fahrtickets vom Internat bekommen, da sollten wir das auch nutzen.“ „Vor allem, da sie die Speerstunde nur um eine Stunde nach hinten verschoben haben… was für ein Luxus“, sagte Willi mit leicht sarkastischem Unterton. „Und vergiss nicht, wir müssen nachher auch wieder mit dem Bus zurückfahren“, erinnerte ihn Tim. „Daher ist es jetzt umso wichtiger, dass wir keine Zeit verlieren und das Beste aus der Situation machen. Zur Not können wir bestimmt auch bei Gabi, Karl oder deinen Eltern übernachten. Soweit ich weiß, ist heute Tangente die EVD. Ich denke, sie wird nichts dagegen haben, wenn wir uns spontan bei ihr abmelden“, sagte Tim und dachte an den Fall zurück, den sie gemeinsam mit ihr erlebt hatten. Tangente, wie die Mathelehrerin Dr. Mechthild Bleul von ihren Schülern genannt wurde, war vor längerer Zeit Opfer einer Erpressung geworden. Doch auch diesen Fall hatten sie lösen können und so waren die vier Teenager im Ansehen von Tangente ein wenig gestiegen. So drückte sie das eine oder andere Auge zu, falls sie als Erzieher vom Dienst Tim und Willi wieder dabei erwischte, wie sie sich nachts aus dem Internat schlichen. Oder auch wieder hinein. Sie missbilligte es zwar, dass die Jungs sich zu so später Stunde noch nicht im Bett befanden und regelmäßig in Gefahr brachten. Auf der anderen Seite schätzte sie deren starken Gerechtigkeitssinn, ihren Mut und die guten Taten, mit denen sie anderen Menschen in Not halfen. Mit ihr würden sie reden können, das wusste Tim. „Wo möchtet ihr denn als erstes hin?“, wollte Karl von seinen Freunden wissen und rückte erneut seine Brille zurecht. „Nun, ich dachte, wir könnten uns alle mit einer Runde Kinderpunsch aufwärmen und danach den Rest des Marktes ansehen“, schlug Gabi vor und da keiner der Jungs eine bessere Idee hatte, stimmten sie zu. So schlenderten sie über den Weihnachtsmarkt auf den nächstbesten Glühweinstand zu, kauften sich jeweils eine Tasse und stellten sich an einen der runden Tische. Gemeinsam tranken sie ihre fruchtigen Kinderpunsche mit Apfel-Zimt-Geschmack, betrachteten die Dekorationen und überlegten sich, welche Geschenke sie ihren Eltern geben konnten. Oder welche sie sich dieses Jahr wünschen würden. Während Klößchen sich wie jedes Jahr einen Koffer voller verschiedener Schokoladentafeln wünschte, natürlich aus dem Hause Sauerlich, blieb Tim etwas bescheiden. Mit belegter Stimme wünschte er sich lediglich ein neues Schloss für sein Rennrad, da sein altes es wohl nicht mehr lange tun würde. Karl hatte sich ein bestimmtes Tablet herausgesucht, mit welchem er zu gerne auch unterwegs Informationen zu allen möglichen Fällen abspeichern und heraussuchen könnte, zumindest wäre er dann nicht mehr auf seinen Rechner zuhause in der heimischen Villa angewiesen. Und Gabi? Sie fühlte sich wunschlos glücklich. Doch da ihre Mutter sie fast schon täglich befragte, beschloss sie, sich doch noch etwas Kleines einfallen zu lassen. Wie einen neuen Pullover oder ein Leuchthalsband für Oskar, damit er auch im Dunkeln etwas sichtbarer sein würde beim abendlichen Gassigehen.   Als sie alle ihre Tassen geleert, zurückgebracht und den Pfand kassiert hatten, schlenderten sie weiter über den Markt und schauten sich einen Stand nach dem anderen an. Selbstgestrickte Handschuhe und Mützen, dekorative Figuren, Duftkerzen und Plätzchen: Jeder Verkäufer hatte für jeden etwas zu bieten. Während Willi sich etwas weiter weg von den Ständen befand, da er gerade an einer Vollnusstafel naschte, betrachteten der Rest von TKKG die Waren genauer und am Ende konnte Gabi ein schönes Paar Wollhandschuhe für ihre Mutter erstehen. Verwundert sah Willi seine Freundin an: „Oh, die sehen aber schön. Aber sind die nicht aus Schaffell?“ Als Antwort schüttelte Gabi mit dem Kopf. „Nein, das ist schon in Ordnung. Hierfür wurde ein Schaf nur geschoren, und nicht umgebracht. Es lebt also noch weiter und mit Sicherheit ist ihm die Wolle garantiert längst wieder nachgewachsen. Solange man nur die Wolle abrasiert, aber dem Rest am Schaf dranlässt, habe ich kein Problem damit. Außerdem waren die nicht so teuer und ich kenne die Verkäuferin, sie ist wirklich eine sehr tierliebe Frau, daher ist das in Ordnung.“ Karl nickte, er hatte wohl bereits zu einer Erklärung ansetzen wollen, doch Gabi war ausnahmsweise schneller gewesen. Da Willi sich mit der Erklärung begnügte, ließ Karl es auf sich beruhen und sah sich dagegen weiter um. Er hatte stattdessen eine Schutzhülle für das Tablet entdeckt, das er sich zu Weihnachten wünschen würde. Allerdings war er sich nicht zu 100% sicher, ob er das Tablet auch wirklich bekommen würde und überlegte nun, ob er das Risiko eines Kaufs eingehen sollte oder nicht. Während er neben seinen Freunden stand und fieberhaft überlegte, betrachteten diese zu dritt Gabis Kauf. „Wow, da wird sich deine Mutter aber wirklich freuen. Wie weich sie sind! Und sie halten garantiert auch die Finger warm. Tim, zieh sie doch mal!“, stachelte Willi ihn an, da er selbst die Handschuhe größenbedingt nicht anziehen konnte. Tim seufzte und zog ich einen der Handschuhe über. „Willi hat Recht, sie sind wirklich ziemlich warm. Und ich spüre auch fast nichts mehr von der Kälte. Damit machst du deiner Mutter eine sehr große Freude, vor allem, da sie recht schnell zu Frostfingern neigt…“, sagte Tim, zog den Handschuh wieder aus und gab ihm Gabi zurück. Diese wollte etwas darauf erwidern, doch sie kam nicht dazu. Stattdessen wurde sie von einem wütenden Ausruf unterbrochen, welcher auf dem ganzen Markt zu hören war. „DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN!?“, konnten sie eine wütende Stimme hören, die zu einem älteren Mann gehören musste. „Da ist irgendwas passiert, das müssen wir uns ansehen“, sagte Tim zu seinen Freunden. Sofort ließen sie seinen Worten Taten folgen und eilten über den Markt hindurch, bis sie bei der Quelle des lauten Ausrufs angekommen waren. Dort angekommen sahen sie einen älteren Mann mit Schiebermütze, welcher auf seinen Stand blickte. Er hatte ihn wohl gerade eröffnen wollen, doch der Anblick im Inneren war alles andere als präsentabel oder ansehnlich. Die vielen Holzfiguren, welche der Mann hier verkaufen wollte, lagen überall verstreut. Dazu befanden sich Unmengen an Konfetti und anderen Papierschnipsel in der Hütte, als hätte jemand mehrere Packungen davon dort ausgeleert. Doch es wurde nichts beschädigt, soweit Tim erkennen konnte. Dennoch war es nichts, was die Stimmung des Verkäufers so schnell lindern würde. „Zum dritten Mal in dieser Woche, das kann doch nicht wahr sein. Schon wieder wurde meine Hütte aufgebrochen, nur, um dieses Chaos zu veranstalten. Wenn ich diejenigen erwische, die das getan haben, dann…“ Nun wurden TKKG hellhörig, offenbar hatten die Vandalen hier nicht zum ersten Mal zugeschlagen. Neugierig, aber auch freundlich gingen sie auf den älteren Herren zu. „Ihnen ist das schon einmal passiert? Das hört sich aber nicht so gut an“, sagte Tim aufrichtig, kaum, dass sie neben dem Mann stand. Dieser atmete mehrfach tief ein und aus, bevor er seine Antwort gab. „Ja, leider, verdammte freche Bengel“, sagte er und griff in das Innere seines Stands, um einen Besen herauszuholen. „Es ist zwar kein größerer Sachschaden bisher passiert, außer, dass ich mir wieder ein neues Schloss kaufen darf, aber dennoch… mir geht davon wertvolle Zeit verloren, in der ich meine Waren verkaufen könnte. Und die Marktleitung unternimmt nichts dagegen. Sie sagen zwar, sie tun alles, was in ihrer Macht steht, aber stellen nicht mal Überwachungskameras auf. Ja, klasse, wie sollen wir uns denn da bitte schützen?“, fragte er sich laut und kopfschüttelnd. Gleichzeitig kehrte er mit seinem Besen den größten Teil zusammen, der sich auf dem Boden befand. „Haben Sie denn einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“, fragte Gabi vorsichtig nach. „Vielleicht ein Konkurrent? Oder ein ehemaliger Mitarbeiter, der mit ihnen unzufrieden ist?“, fügte Karl hinzu. Der Verkäufer kehrte noch ein wenig, dann stoppte er mitten in der Bewegung und sah die Teenager an. Langsam schüttelte er den Kopf. „Leider nicht und es gibt wie gesagt keine Überwachungskameras, sonst hätte ich längst dagegen etwas unternommen. Oder wenigstens die Polizei eingeschaltet. Aber so bleibt mir nichts anderes übrig, als jeden Tag damit zu rechnen, dass hier irgendwelche Halbstarken ihr Chaos veranstaltet haben“, sagte er, zuckte mit den Schultern und machte sich daran, wieder Herr der Lage zu werden. Gabi überlegte, ob der Händler ihre Hilfe benötigen würde, zu fünf würden sie es immerhin schneller hinbekommen als nur er allein, doch sie ließ es bleiben. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie es lieber sein lassen sollte. „Das ist wirklich ziemlich unpraktisch, dass es absolut keine Hinweise gibt. Diese Hütten hier stehen vollkommen unbeobachtet, vor allem nachts und in der ersten Tageshälfte, wenn hier noch niemand anwesend ist. Es gibt auch meines Wissens nach keinen Wachdienst, obwohl das bereits lange gefordert wird. Stattdessen setzt man lieber auf die schweren Betonblöcke an den Markteingängen und hofft, dass es zu keinen schwereliegenden Verbrechen mehr kommt“, sagte Karl und rieb nachdenklich seine Brille mit einem Putztuch. Sehr langsam und beständig, als würde er einfach nur mal eben seine Finger beschäftigen wollen. „Dann sollten wir uns vielleicht hier in den nächsten Nächten auf die Lauer stellen, möglicherweise können wir die Täter in flagranti erwischen“, schlug Tim vor und dass er es tat, überraschte niemanden von ihnen. Im Gegenteil, die Idee gefiel ihnen sogar. Besonders, wenn sie es mit der Idee kombinierten, dass Tim und Willi außerhalb des Internats übernachteten. Dabei war die Sauerlich-Villa dafür am besten geeignet in ihren Augen. Willis Eltern hatten kein allzu strenges Auge auf sie und Georg würde sie selbst in tiefster Nacht vom anderen Ende des Planeten abholen. Zwar würde er ihnen selbstredend eine Standpauke halten, doch ernsthafte Konsequenzen hätten diese keine. „Heute Nacht würde ich allerdings darauf verzichten“, teilte Karl seine Bedenken laut mit seinen Freunden. „Immerhin schreiben wir morgen bei Tangente eine Mathearbeit und ihr wisst, wie schrecklich schwer ihre Prüfungen immer sind. Da würde ich es nicht riskieren wollen, zu wenig Schlaf zu bekommen und dann vollkommen übermüdet in ihre Mathestunden zu kommen“, sagte er. Es war einer der wenigen Momente, in welchen Karl nicht sonderlich zuversichtlich aussah. Die vier sahen sich an und da sie alle wussten, was sie am nächsten Tag erwarten würde, stimmten sie zu. Selbst Tim musste zugeben, dass es keine gute Idee wäre, nun hier in der ersten Nacht zu campieren. Auch wenn er mit den Matheprüfungen weniger Probleme als Karl hatte. „In Ordnung. Dann werden wir erst einmal weiter den Markt genießen und frühzeitig ins Bett gehen, damit wir Tangentes Mathearbeit überstehen. Wenn ich schon daran denke, dass es wieder so einen schrecklichen Teil ohne Taschenrechner geben wird, bekomme ich jetzt schon Albträume.“ Willi schüttelte sich, jedoch nicht aus Kälte. „Fang bloß nicht damit an, bereits der Teil MIT Taschenrechner ist der Horror. Aber der, bei dem wir alles mit dem Kopf ausrechnen sollen… ich möchte mich danach am liebsten ins Adlernest verkriechen und den Rest des Tages unter der Decke verbringen. Nur ich und eine riesige Kanne mit heißer Schokolade, um die Seele zu trösten.“ Auch wenn sie es nicht zugeben würden, so teilten sie seine Gedanken. Fanden die Vorstellung einer schönen warmen Tasse Schokolade nach einem solch anstrengenden Test mehr als tröstlich. „Vielleicht sollten wir uns noch den Stand näher ansehen, bevor wir weitergehen. Karl, kannst du mit deinem Handy bitte ein paar Fotos machen? Vielleicht finden wir nachher darauf noch etwas hilfreiches“, bat Tim ihn, während dieser bereits sein Handy gezückt hatte. „Ich bin schon dabei, Tim“, antwortete Karl ihm und machte verschiedene Aufnahmen der Hütte, von allen Seiten und aus mehreren Perspektiven. Der Rest von TKKG sah ich sich die Hütte selbst an, konnten jedoch außer dem zerstörten Schloss nichts entdecken. Da der Budenbesitzer seine Reinigungsarbeiten fast abgeschlossen hatte, sah sein Stand nun wieder viel vorzeigbarer aus. „Wow, es ist wirklich eine Schweinerei, zu was die Leute imstande sind, nur, um anderen Menschen das Weihnachtsgeschäft zu vermiesen“, sagte Gabi und schüttelte mit dem Kopf. Gleichzeitig hielt sie Oskar an der Leine fest, da dieser sich intensiver mit den Holzfiguren beschäftigen wollte, als es ihr lieb war. Oder es gar dem Besitzer lieb gewesen wäre. Daher überließ sie die Suche den Jungs und blickte sich eher oberflächlich in der Hütte um. „Freunde? Könnt ihr mal bitte kurz kommen? Ich habe etwas gefunden“, konnten sie Karl rufen hören und verließen die Hütte, um nach ihm zu sehen. Er befand sich hinter der Hütte und hatte sein Handy wohl wieder weggesteckt. Stattdessen hielt er mit einem Taschentuch eine seltsames, helles Stück fest. „Was hast du denn da?“, wollte Tim wissen und Karl öffnete seine Hand, um seinen Freunden den Fund zu zeigen. „Das ist… eine Art Fell, oder?“, sprach Willi das Offensichtliche an. Oder zumindest, wie es wirkte. Denn das Stück Fell, das Karl in seiner offenen Hand hielt, war hellblau. „Aber welche Art von Tier hat denn ein hellblaues Fell? Mir ist jedenfalls keines bekannt“, sagte Gabi und blickte ratlos ihre Freunde an. Doch auch diese hatten keine Ahnung, woher dieses Fell stammen könnte. „Vielleicht gehört es ja zu einem Kleidungsstück? Jetzt im Winter laufen wieder viele Menschen mit Felljacken herum, da gibt es auch viele bunte Farben darunter. Vielleicht trägt der Täter auch eine solche Jacke und ihm ist davon ein Stück heruntergefallen?“, meinte Willi. „Auf jeden Fall kann es kein echtes Fell sein, es muss Kunstfell sein. Denn normales Fell kann man niemals so färben, dass es ein solch intensives, helles Blau annimmt“, begann Karl ein wenig zu erzählen. Gabi nickte. Sie zögerte, irgendwas schien sie an dem Fell zu stören, doch sie konnte nicht den Finger darauflegen, was es sein könnte. Daher beschloss sie, ihre Gedanken vorerst für sich zu behalten. „Karl, hast du irgendwas, mit dem wir dieses Stück Kunstfell sicher transportieren können?“, fragte Tim und dieser nickte. Holte aus seinem kleinen Rucksack, dem er auf dem Rücken trug, eine kleine Tupperbox heraus. „Eigentlich wollte ich damit Plätzchen für meine Mutter kaufen, aber dieses Jahr verkauft keiner ihre Lieblingssorte. Hat aber den Vorteil, dass ich die Dose nun anderweitig nutzen kann“, sagte er und verstaute das Fell mitsamt Taschentuch darin. Die Dose verschwand so schnell wieder im Rucksack, wie sie herausgekommen war. „In Ordnung. Dann werden wir uns erst einmal ein wenig weiter umsehen, bevor wir für heute Schluss machen. Sonst macht uns Tangente am Ende mit ihrem Test morgen noch fertiger als befürchtet“, sagte Tim und lotse seine Freunde zu den Ständen des Markts, die sie noch nicht besucht hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)