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Die Tochter und der Soldat

Bra x Goten | frühes 19. Jahrhundert
von

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1. Teil

Unruhig lief Bra in ihrem Zimmer auf und ab. Durch die offenen Fenster spürte sie den seichten Sommerwind auf ihrem Gesicht und der Geruch der Blumenwiese unterhalb ihres Zimmers stieg ihr in die Nase. Die Sonne war noch nicht untergegangen und tauchte den gesamten Raum in goldenes Licht.

Es wäre der perfekte Abend gewesen, um noch ein wenig durch die Gärten des Anwesens zu schlendern und ihren Gästen die Orangerie zu präsentieren, die seit drei Generationen eines der Herzstücke hier war.

Doch an seichte Konversation und geselliges Beisammensein war für Bra aktuell nicht zu denken. Deshalb hatte sie sich heute, mit vorgetäuschten Kopfschmerzen, bereits nach dem Nachmittagstee in ihr Zimmer verabschiedet und sich offiziell zum Schlafen gelegt.

Nachdem ihre Kammerzofe ihr beim Entkleiden geholfen und ihr einen Kräutersud gegen die Kopfschmerzen gebracht hatte – obwohl Bra versichert hatte, dass früh zu Bett gehen ausreichend sein würde, um wieder gesund zu werden – war sie schließlich allein mit sich und ihren Gedanken gewesen.

Besser gesagt ihren Sorgen.

Sie war vor gut einer Woche abends auf dem Weg in den Stallblock gewesen, um ihre schwangere Lieblingsstute Diana zu besuchen. Bra hoffte inständig, dass ihr Name der Stute eine einfache Geburt bescheren würde, sodass sie bald wieder gemeinsam durch die Ländereien streifen konnten.

Ohne ihre beste Freundin Pan und die Saison, die vor einigen Tagen zu Ende gegangen war, langweilte Bra sich auf dem Land nämlich fürchterlich. Der einzige Lichtblick war die mehrtägige Feier, die in ein paar Tagen beginnen sollte.

Als sie nun auf den Weg zwischen Haupthaus und Stallblock abbog, vernahm sie plötzlich ein nervöses Gestotterte, das ihre Gedanken zum Stoppen brachte.

Bra war kein sonderlich neugieriger Mensch – die Probleme anderer gingen sie nichts an und das ein oder andere Geheimnis gestand sie jeder Person zu – also hätte sie dem Ganzen keine weitere Beachtung geschenkt, wenn nicht genau in diesem Augenblick der Name ihres Vaters gefallen wäre.

Natürlich war es nicht ungewöhnlich, dass hier auf seinen Ländereien über ihn gesprochen wurde, doch ‚Herzog Vegeta’ in dieser Abfälligkeit zu hören, war etwas, das nun doch Bras Neugier weckte.

Meist hörte man entweder pure Angst oder große Bewunderung in den Stimmlagen der Bediensteten und Gästen heraus. Je nachdem, ob man sich vor seiner forschen und direkten Art fürchtete oder angezogen fühlte.

Bra wusste durch die Freunde ihrer Eltern, dass ihr Vater mittlerweile mehr bellte als biss, aber vor der Geburt ihres älteren Bruders musste er ein richtiger Haudegen – laut ihrer Mutter, die gerne mit einem Schmunzeln darüber sprach, sogar etwas viel Schlimmeres – gewesen sein.

Abfällig sprach aber normalerweise niemand über ihn.

Seit er die Ländereien von seinem Vater geerbt hatte, hatten sich die Finanzen wieder stabilisiert und die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bediensteten und Bauern waren um ein Vielfaches besser geworden. Es war ein offenes Geheimnis, dass es vor allem am Fingerspitzengefühl ihrer Mutter lag, aber er war immerhin so weise gewesen, sie zu heiraten und somit war es auch sein Verdienst, auch wenn Bra das ein wenig anders sah.

Sie ging so leise wie möglich wieder zurück um die Ecke und spähte dann, dicht an die Wand gelehnt, vorsichtig darum herum.

Sie konnte die Gesichter der beiden Männer nicht sehen, die dort im Schatten einer der großen Eichen standen, aber aufgrund der dunkelblauen Gehröcke und der beigen Hosen handelte es sich definitiv nicht um Männer des einfachen Volkes.

Vielleicht um Geschäftspartner ihres Vaters?

Sie hatte heute Mittag, als sie aus ihrem Zimmer nach unten gegangen war, gerade noch mitbekommen, wie ihr Vater mit ein paar Männern in sein Arbeitszimmer verschwunden war.

Es würde Bra tatsächlich nicht wundern, wenn diese aufgrund einer negativen Antwort ihres Vaters auf eine mögliche Vereinbarung nicht sonderlich begeistert von ihm waren.

Und auch wenn sie die Geschäfte ihrer Eltern furchtbar langweilig fand, war ihre Neugier nun einmal geweckt, also wollte sie auch wissen, um was es ging.

„... und damit vollkommen recht”, hörte sie einen der beiden sagen.

„Ja”, antwortete der andere kurz angebunden.

„Dieser sture Bock. Er sollte wissen, was es bedeutet, wenn man Meister Freezer in die Quere kommt.”

Meister? Bra hatte, außer in Theaterstücken, noch nie jemanden Meister sagen hören. Und wer war überhaupt dieser sogenannte Meister Freezer?

“Er wird es bitter bereuen. Wenn Meister Freezer nächste Woche erst einmal hier ist, hat Herzog Vegetas letzte Stunde geschlagen.”

Und damit traten sie aus dem Schatten der Eiche heraus und gingen, zu Bras Erleichterung, in die andere Richtung davon.

Im ersten Moment hatte Bra nicht komplett erfassen können, was die beiden Herren dort so unbekümmert besprochen hatten, doch nach ein paar Minuten, die sie an der Hauswand lehnend verbracht hatte, war es schließlich zu ihr durchgedrungen.

Ihr Vater besaß einen Feind – diesen seltsamen Meister Freezer – und dieser wollte ihn umbringen.

Der Gedanke klang so absurd, dass Bra erneut ins Stocken geriet. Aber was sollte ‚letzte Stunde geschlagen’ sonst bedeuten?

Sie war an diesem Abend direkt wieder in ihr Zimmer gegangen. Der Besuch bei ihrer Lieblingsstute war komplett aus ihrem Kopf verdrängt worden. Sie hatte die halbe Nacht unschlüssig wach gelegen und verzweifelt überlegt was sie tun sollte – und sich gefragt, ob sie sich nicht vielleicht doch verhört hatte.

Mittlerweile befand sich sogenannter Meister Freezer – sein eigentlicher Titel war ebenfalls Herzog und er war der Sohn des Zweitgeborenen des Königs – seit zwei Tagen zu Besuch bei ihnen. Bra hatte ihm nur einmal in die Augen schauen müssen, um sich schlussendlich doch vollkommen sicher zu sein, dass sie sich nicht verhört hatte. Er war durch und durch böse, davon war sie nun fest überzeugt.

Mit einem lauten Seufzen blieb sie stehen. Wenn sie noch häufiger über diesen Abend nachdachte, würde sie noch wirklich Kopfschmerzen bekommen. Vor allem, wenn sie daran dachte, dass sie absolut nichts dagegen ausrichten konnte.

Bra liebte ihren Vater und sie wusste auch, dass sie – anders als alle anderen – beinahe alles von ihm bekam was sie sich wünschte. Aber sollte sie auch nur andeuten, dass sein Leben in Gefahr sei und sie glaube, er würde sich nicht selbst verteidigen können, noch dazu ohne einen handfesten Beweis … So genau wollte sie über die Folgen dann doch nicht nachdenken.

Also hatte sie die letzten Tage zwar versucht alleine weiterzukommen, aber sie hatte nicht die geringste Idee, wie sie das anstellen sollte. Durch die Gänge schleichen und Gespräche belauschen war in ihrer Position nahezu unmöglich.

Sie hatte versucht, sich von ihm umgarnen zu lassen, aber leider war er immun gegen ihre Annäherungsversuche gewesen und so konnte sie nicht einmal unschuldiges Geplauder vortäuschen, um ihn auszufragen.

Vielleicht sah er aber auch die Gefahr, die es mit sich brachte, gerade die Tochter desjenigen um sich zu haben, den man ermorden wollte.

Bra hoffte es für ihr Ego.

Aber so blieb ihr nur noch diese eine Möglichkeit. Sie brauchte jemanden, den sie vorschicken konnte. Der ihr half, Informationen zu sammeln und notfalls auch das Vorhaben zerschlagen konnte.

Es musste jemand sein, dem sie vertraute und der sie nicht bei der erstbesten Gelegenheit für Geld oder Ländereien verraten würde. Jemand, der vielleicht auch schon die ein oder andere Erfahrung in diesem Gebiet hatte. Ein Soldat zum Beispiel.

Leider fiel ihr hierfür nur eine Person ein und genau diese wollte sie als allerletztes fragen.

Er war der einzige Mensch, der sie auf die Palme bringen konnte. Der einzige, bei dem sie nicht das Gefühl von Überlegenheit verspürte. Der verdammte beste Freund ihres großen Bruders. Goten.

Sofort erschien sein perfekt rasiertes Gesicht vor ihrem inneren Auge. Seine dunklen Augen und die lockigen schwarzen Haare, die für ihren Geschmack eigentlich einen Ticken zu lang sein müssten, an ihm aber leider perfekt aussahen.

Goten war sich seiner Wirkung auf Frauen sehr bewusst (so wie Bra sich ihren auf Männer) und genauso verhielt er sich auch.

Er war Anfang dreißig und noch ungebunden, flirtete mit jungen Debütantinnen genauso wie mit Witwen und genoss sein Leben in vollen Zügen.

Etwas, das Bra nicht leiden konnte – und wovon sie sich gleichzeitig angezogen fühlte. Diese widersprüchlichen Gefühle, die sie ihm gegenüber empfand, waren etwas, über das sie nicht gerne nachdachte.

Aber nachdem ihr älterer Bruder sich gerade auf dem Kontinent befand und seine Flitterwochen genoss (passenderweise mit ihrer besten Freundin zusammen), hatte sie keinen anderen Verbündeten hier.

Aber ob er ihr glauben würde?

Bra biss sich bei diesem Gedanken auf die Unterlippe und fühlte sich plötzlich völlig ausgelaugt. Die letzten Tage hatte sie auf Hochtouren funktioniert, um irgendwie darum herumzukommen, genau das herausfinden zu müssen.

Sie rieb sich mit der Hand über ihr Gesicht und begann wieder in ihrem Zimmer auf- und abzugehen. Dabei fiel ihr Blick auf den Spiegel, der über ihrem Kamin hing. Sie wollte sich selbst gar nicht so genau betrachten, da ihr bereits bewusst war, dass sie tiefe Augenringe hatte (ein Grund, warum ihr jeder sofort die Kopfschmerzen geglaubt hatte), aber sie tat es schließlich doch.

Sie war blass – blasser als sonst – und ihre türkisenen Haare waren vollkommen zerzaust. Anscheinend hatten ihre Finger unterbewusst immer wieder den Weg in ihre Haare gefunden, um hindurchzufahren. Etwas, das sie nur tat, wenn sie nervös war – und sich vergeblich versuchte, abzugewöhnen.

Sie seufzte.

War die Entscheidung nicht längst getroffen? So wie es derzeit lief, brachte es sie nicht weiter. Es blieb ihr also gar nichts anderes übrig als mit Goten zu sprechen und zu hoffen, dass er ihr zuhören und glauben würde.
 

Bra hatte noch eine Weile warten müssen, bevor sie sich leise in Richtung des Gästeflügels aufmachen konnte. Sie wusste, dass der Großteil der Gäste sich abends gerne zum Kartenspielen versammelte und normalerweise erst in den frühen Morgenstunden ihre Räumlichkeiten aufsuchten.

Zu Bras Glück war für morgen allerdings die Parforcejagd angesetzt, was bedeutete, dass die meisten Gäste sich frühzeitig zurückziehen würden.

Bra hatte also gewartet, bis die Schritte ihrer Eltern zu hören waren. Nachdem die Tür zu ihrem Schlafgemach sich geschlossen hatte, zählte sie langsam bis hundert und öffnete schließlich vorsichtig ihre eigene Tür. Sie blickte nach links und rechts in den dunklen Gang, um zu überprüfen, ob die Luft rein war.

Auf Zehenspitzen betrat sie den Gang, schloss die Tür so leise wie möglich hinter sich und ging dann, so schnell wie sie es sich traute, den Gang entlang in Richtung Gästeflügel.

Da das alte Herrenhaus zu einem der größten Anwesen Englands zählte, war es ein langer Weg, auf dem sie sich vor Schreck drei Mal hinter großen Blumenvasen und einer Statue versteckte. Zu ihrem Glück handelte es sich aber jedes Mal nur um das natürliche Knarzen des Holzes.

Als sie schließlich vor Gotens Zimmertür angelangte, fragte sie sich erneut, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Vielleicht konnte sie doch selbst an die benötigten Beweise kommen oder ihren Vater überzeugen, ohne sich seine unendliche Wut zuzuziehen?

Ach, wem machte sie hier etwas vor? Es würde sie nicht einmal wundern, wenn er sie für ihre Zweifel an seiner Unverwundbarkeit in den nicht vorhandenen Kerker werfen würde. Widerwillig verzogen sich ihre Lippen zu einem schiefen Grinsen.

Sie musste aufpassen, um nicht leise zu kichern.

Es grenzte in ihren Augen sowieso beinahe an ein Wunder, dass sie auf dem Weg hierher von niemandem erwischt worden war. Sie sollte es nicht übertreiben.

Also atmete Bra noch einmal tief durch, hob ihren Arm und klopfte schließlich entschlossen. Sie konnte es nicht länger herauszögern, wenn sie nicht wollte, dass es zu spät sein würde, also musste sie nun dadurch.

Kurz herrschte Stille, doch dann ertönten Schritte von der anderen Seite der Tür und keinen Augenblick später öffnete sie sich mit einem Quietschen.

Bra stockte der Atem. Zunächst, weil sie fürchtete, jemand würde es hören. Doch dann wandelte sich der Grund ganz schnell – und dafür hasste sie sich ein klein wenig.

Goten schien gerade dabei zu sein, sich für das Bett zu entkleiden, denn außer seiner hellbraunen Hose trug er nichts mehr.

„Bra”, stellte er fest und in seiner Stimme schwang etwas Unglauben mit.

Sie konnte nur auf seine nackte Brust starren und seinen muskulösen Oberkörper betrachten. Er war sonnengebräunt und eine feine Linie aus Haaren fuhr von seinem Bauchnabel bis nach unten zu seinem Hosenbund. Ob die Linie wohl noch weiterging? Zu gerne hätte sie das herausgefunden und wurde rot.

Dank ihrer Mutter und der Bücher, die sie sich aus der Bibliothek ihrer Eltern hatte nehmen dürfen, wusste sie zu genau, was Gotens Hose überdeckte und wofür es da war.

Wahrscheinlich wäre sie noch eine halbe Stunde wie eine Salzsäule dagestanden, wenn Goten nicht begonnen hätte, leise zu lachen und sie somit daran zu erinnern, vor wem sie sich da gerade blamierte.

Schnell riss sie ihren Kopf nach oben, um ihm fest in die Augen zu schauen – sie musste sich davon abhalten, ihren Blick wieder nach unten gleiten zu lassen. Leider waren seine Augen dafür die denkbar schlechteste Alternative. Denn nun konnte sie sich von diesen nicht mehr losreißen.

Aber immerhin hatte ihr Kopf wieder begonnen zu arbeiten, weshalb sie schließlich mit fester Stimme sagte: „Wir müssen reden.”

Sie wollte sich nicht mit unnötigen Herumgeplänkel aufhalten. Durch ihr peinliches Gestarre war bereits genügend Zeit vergangen und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie hier stehen sah, nur in einem Nachthemd und Morgenmantel bekleidet, wuchs von Minute zu Minute.

Was das für einen Skandal geben würde. Da konnte nicht einmal mehr ihre Mutter gut gelaunt darüber lachen. Und es würde bedeuten, dass sie gezwungen sein würde, Goten zu heiraten oder zu riskieren, niemals zu heiraten. Welcher Edelmann wollte schon eine Dame zur Frau haben, die ihre Triebe augenscheinlich nicht im Griff hatte?

Goten musterte sie einen Moment und Bra machte sich innerlich schon darauf gefasst, abgewiesen zu werden, als er zur Seite trat, um sie an sich vorbei in sein Zimmer zu lassen.

„Danke”, flüsterte sie ungewohnt schüchtern und betrat den Raum.

Es war kein großes Zimmer. Außer einem Bett befand sich nur noch eine Kommode mit passendem Schrank darin und ein kleiner Holztisch mit zwei Sesseln. Der Raum wurde von ein paar Kerzen, die an den Wänden angebracht waren, erhellt.

Sie hörte wie Goten die Tür schloss und drehte sich zu ihm um.

Er stand mit verschränkten Armen gegen die Tür gelehnt vor ihr und ließ seinen Blick über sie wandern. Bra gab ihr Bestes so zu tun als würde sie das gar nicht bemerken. Er sollte sich ja nichts einbilden.

„Und worüber möchtest du mit mir reden?”, fragte er schließlich und betonte das Wort ‚reden’ ein wenig zu deutlich, was dafür sorgte, dass sich auf Bras Armen eine Gänsehaut breit machte.

Auch diese Reaktion versuchte sie zu ignorieren und dachte fieberhaft darüber nach, welchen Einstieg in das Gespräch sie sich zurechtgelegt hatte, aber sein verdammter Oberkörper lenkte sie ab.

„Vielleicht solltest du dir erst einmal etwas anziehen”, schlug sie mit möglichst kühler Stimme vor, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen.

Gotens linke Augenbraue ging nach oben.

„Wieso? Wir passen doch sehr gut zusammen. Du in deinem Morgenmantel und ich in meinen Hosen.”

Bra verfluchte sich dafür, dass sie sich nicht doch dafür entschieden hatte, zumindest ihr Kleider wieder überzuziehen. Aber sie war so angespannt gewesen, dass sie in ihrem Zimmer noch sicher gewesen war, dass der Morgenmantel über ihrem Nachthemd vollkommen ausreichend sein würde.

„Das bezweifle ich. Immerhin ist mein Körper komplett verdeckt, während deiner …”, sie machte eine abwertende Handbewegung und setzte ihre hochnäsigste Miene auf. Er sollte ruhig denken, dass sie es unschicklich fand, wenn ein Mann so freizügig herumlief.

„Nun ja, wir befinden uns in meinem Schlafzimmer. Vielleicht finde ich es ja unschicklich, dass du so leicht bekleidet vor mir stehst. Was wohl deine Eltern denken würden?”, fragte er. Also hatte er ihren unausgesprochenen Halbsatz richtig geraten und sofort zurückgeschleudert.

“Du und etwas unschicklich finden?” Sie lachte, um zu verbergen, wie unangenehm ihr seine Antwort war. “Zumal ich sicher bin, dass ich nicht die erste Dame bin, die so in deinem Schlafzimmer steht”, setzte sie hinzu und hoffte, ihn somit zum Schweigen zu bringen.

„Tatsächlich”, sagte er nach einer kurzen Pause, „hatte ich bisher noch nie eine Dame in diesem Aufzug in meinem Schlafzimmer. Normalerweise befinden sich in meinem Schlafzimmer nämlich keine Frauen, aber falls doch“, er machte eine kurze Pause, in der sich ein süffisantes Lächeln auf seine Lippen schlich, „dann sind sie nackt.“

Bra verdrehte übertrieben deutlich ihre Augen und verschränkte nun ebenfalls demonstrativ die Arme vor ihrer Brust. Sie würde ihm sicher nicht die Genugtuung geben, sich zu schämen. Das war schließlich genau das, was er wollte. Sie konnte nur hoffen, dass kein Rotschimmer sich über ihre weißen Wangen schlich, während sie bemüht war, so unbeeindruckt wie möglich zu klingen.

„Aber da ich nicht davon ausgehe, dass du dich nackt in mein Bett legen wirst”, fuhr er unberührt fort, “würde ich nun wirklich gerne wissen, worüber du um diese Uhrzeit und in diesem Aufzug in meinem Zimmer mit mir sprechen möchtest.”

Dann würde er sich eben nichts überziehen. Bra seufzte, löste ihre Arme aus ihrer Verschränkung und fixierte die Holzvertäfelung des Türrahmens, um Goten nicht direkt anschauen zu müssen.

„Ich …” Sie stockte. Was hatte sie sich nochmals zurechtgelegt, um nicht so zu klingen, als habe sie zu viel Fantasie? Sie wusste es nicht mehr. Fieberhaft überlegte sie, wie sie nun starten sollte.

„Was weißt du über Herzog Freezer?”, fragte sie schließlich, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.

Sofort schossen Gotens Augenbrauchen nach oben.

„Warum?”, wollte er mit einem seltsamen Unterton wissen, den sie nicht genau deuten konnte.

„Also weißt du etwas?”, stellte Bra ihre Gegenfrage.

Gotens Körperspannung veränderte sich und er kam langsam auf sie zu. Fasziniert beobachtete sie das Muskelspiel seiner Schultern, schluckte aber als ihr Blick zufällig den seinen traf.

Das neckische Blitzen war verschwunden und einer Ernsthaftigkeit gewichten, die es ihr eiskalt den Rücken hinunterlaufen ließ.

“Herzog Freezer ist ein gefährlicher Mensch. Ich weiß, dass sein Titel ansprechend auf dich wirken muss, genau wie seine Unnahbarkeit, aber ich kann dir wirklich nur raten, dich von ihm fernzuhalten.”

Bra hätte am liebsten laut gelacht. Weiter weg von dem Grund ihrer Frage konnte diese Antwort nicht sein. Aber dieser Nachdruck in seiner Stimme hielt sie davon ab, sich darüber lustig zu machen.

Sie wusste, dass er gefährlich war. Aber es so deutlich von Goten zu hören, war noch einmal etwas ganz anderes. Er war Soldat und hatte an vorderster Front gekämpft. Sie wusste von ihrem Bruder, dass er keine Gefahren scheute – was ihn in der Vergangenheit wohl nicht nur einmal beinahe das Leben gekostet hatte.

Aber seine Reaktion bestätigte sie auch in ihrem Vorhaben und darin, dass ihr Vater ihr definitiv nicht zuhören würde, bis sie nicht eindeutige Beweise vorlegen konnte. Und selbst dann würde er wohl vor gekränktem Männerstolz brodeln.

„Es freut mich, dass du dir solche Sorgen machst, aber sie sind unbegründet. Ich habe kein Interesse an diesem Mann. Zumindest nicht in dieser Hinsicht.”

Mal davon abgesehen, dass er mit seiner weißen Porzellanhaut und der Glatze eindeutig nicht ihren Geschmack traf, wollte er ihren Vater ermorden lassen. Etwas unattraktiveres gab es ja kaum.

„Sicher?”, erwiderte Goten und stand nun nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt. Sie war sich sicher, wenn er sich nur ein wenig vorbeugen würde, konnte sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren.

„Ich wüsste es wohl, wenn es anders wäre.”

Goten musterte sie einen Augenblick. Bra fühlte sich unbehaglich und hatte plötzlich nicht mehr das Gefühl, mit Nachthemd und Morgenmantel bekleidet zu sein, sondern tatsächlich nichts zu tragen.

Dummerweise begann auch noch ihr Herz, schneller zu schlagen und sie musste sich darauf konzentrieren, sich nicht die Haare zu raufen.

„Das sah die letzten Tage allerdings ein wenig anders aus.”

Bra zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. Sie hatte zwei, drei Mal versucht ins Gespräch zu kommen, war sich aber sicher, nicht zu auffällig gewesen zu sein und da er auf ihre Versuche nicht eingegangen war, hatte sie auch gar nicht ihren vollen Charme entfesseln können.

„Ich weiß nicht, was du die letzten Tage …”, setzte sie an, stockte aber von einer plötzlichen Erkenntnis getroffen. „Sag mal, beobachtest du mich?”

Wenn Goten sich ertappt fühlte, ließ er es sich nicht anmerken.

„Ja”, sagte er schließlich schlicht. „Dein Bruder hat mich darum gebeten, ein Auge auf dich zu haben, damit du keine Dummheiten anstellst.”

Bra lachte wütend auf. Das konnte ja wohl nicht wahr sein.

„Wie bitte?“, fragte sie erbost. „Glaubt ihr wirklich, dass ich nicht dazu in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen? Habt ihr wegen Pan je so einen Zinnober aufgestellt? Glaubt ihr vielleicht ich lasse mich von jedem dahergelaufenen Dandy ins dunkle Nebenzimmer ziehen und unsittlich berühren?“

An dieser Stelle verschwieg sie lieber, dass sie sich bereits das ein oder andere Mal mit einem jungen Edelmann in die hinteren Ecken der Stadtgärten zurückgezogen hatte, um sich das Küssen beibringen zu lassen. Spannenderweise hatte bisher noch keiner der Männer sie mit seinen Fähigkeiten wirklich überzeugen können, aber für die ein oder andere schlaflose Nacht hatten zumindest die Erinnerungen an ihre Berührungen auf ihrer Haut gesorgt.

Aber darum ging es gerade nicht.

Bra war wütend. Sie war kein dummes, naives Ding, das man beschützen musste. Sie wusste genau wie weit sie gehen konnte, ohne ernsthaft in Gefahr zu geraten. Nun ja, wenn sie erwischt worden wären, hätte es schnell zu einer ungewollten Hochzeit kommen können, aber das hatte irgendwie den Reiz ausgemacht. Und hieß noch lange nicht, dass sie naiv war.

„Für wie dumm haltet ihr mich bitte? Nur weil ich eine Frau bin und noch nicht durch die Weltgeschichte getingelt bin, heißt das noch lange nicht, dass ich blind durch die Welt laufe. Ich habe sehr wo-“

„Du bist doch nicht hier, um mich niederzumachen, oder?”, unterbrach Goten sie.

Bra war so in ihrem Element gewesen, dass sie einen Augenblick benötigte, bevor sie sich daran erinnerte, weshalb sie eigentlich hergekommen war.

„Nein. Natürlich nicht. Ich weiß, dass Herzog Freezer gefährlich ist. Deshalb bin ich hier.”

Sie machte eine kurze Pause, um sich die richtigen Worte zurechtzulegen und fuhr schließlich fort: „Ich habe vor ein paar Tagen ein Gespräch zwischen zwei Männern mitbekommen. Mein Vater scheint sich gegen irgendetwas zu weigern. Sie meinten, wenn der Herzog erst einmal hier sei, hätte die letzte Stunde meines Vaters geschlagen. Und ich kann doch nicht zulassen, dass sie ihn umbringen!”

Bra stockte und wartete. Sie wartete darauf, dass Goten irgendeine Reaktion zeigte. Vielleicht laut lachen oder sie am Arm packen und aus seinem Zimmer schmeißen würde. Sie hatte auch damit gerechnet, dass er sie zu ihren Eltern schleifen würde, sodass sie diesen dieselbe Geschichte noch einmal erzählen und sich so der Wut ihres Vaters entgegenstellen musste.

Doch nichts dergleichen geschah.

Gotens Blick lag nun auf dem Schrank, der sich hinter ihr befand und er schien nachzudenken. Es vergingen ein paar endlos lange Minuten, bevor er sich wieder auf sie fokussierte.

„Verstehe“, antwortete er schlicht.

„Das ist alles?“, hakte sie ungläubig nach.

„Bra, du kommst hier nachts, spärlich bekleidet zu mir und eröffnest mir, dass du gehört hast, wie zwei Männer darüber gesprochen haben, dass ein gefährlicher Mann deinen Vater tot sehen möchte. Also tatsächlich verstehe ich es nicht. Wieso kommst du damit ausgerechnet zu mir?“

Ha! Damit hatte sie sogar gerechnet.

„Weil ich meinem Vater davon überhaupt nichts zu erzählen brauche. Er würde wahrscheinlich noch eher mich bestrafen. Und ich habe keine Beweise. Wer glaubt bitte einer jungen Frau, wenn sie einen Herzog, der dazu noch mit dem König verwandt ist, beschuldigt, einen Mord zu planen? Trunks ist mit Pan auf dem Kontinent und es fiel mir niemand ein, der gerissen genug wäre, um mir zu helfen an die notwendigen Beweise zu kommen, damit ich wenigstens zu meiner Mutter oder deinen Eltern gehen kann.“

„Wieso denkst du, dass ich dir diese Geschichte glaube, aber die anderen nicht?“

„Es spielt doch gar keine Rolle, ob mir die anderen glauben würden. Ohne Beweise glaubt mir die Welt nicht. Und wenn die einer beschaffen kann, dann du. Ich komme nicht nah genug an den Herzog heran, um ihn auszuhorchen. Außerdem habe ich keinerlei Erfahrung im Spionieren und würde sicher viel zu viel Aufsehen erregen.“ Dass es ihr außerdem Angst machte, wollte sie nicht zugeben, aber wahrscheinlich konnte er es sich denken.

Wenn sie erwischt werden würde, konnte sie sich nicht selbst verteidigen. Zum ersten Mal in ihrem Leben bereute Bra es, anders als Pan, nicht die Möglichkeit wahrgenommen zu haben, mit ihrem Vater einige der Nahkampftechniken zu üben, die er und Gotens Vater in deren Jugend in China gelernt hatten.

„Also glaubst du, weil ich als Soldat gedient habe, dass ich automatisch weiß, wie man richtig spioniert?“

Er hob herausfordernd eine Augenbraue.

„Ja.“

Er seufzte und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel.

„Ich kann mit einem Gewehr umgehen und boxen. Ich bin auch definitiv unauffälliger als mein Vater, der sich wahrscheinlich verhalten würde wie ein Elefant im Porzellanladen. Aber ich habe definitiv keine Erfahrung als Spion.“

„Du musst das ja nicht gleich so überbetonen. In Trunks Geschichten klang es immer so als hättest du dich das ein oder andere Mal im Zuge der Informationsbeschaffung ins Gebiet des Feindes begeben.“

Nur das Muskelspiel an seinem Kiefer verriet Bra, dass sie irgendetwas gesagt haben musste, das nun ins Schwarze traf.

Sie hatte bei ihrem Bruder nie genauer nachgefragt. Aus einem unerfindlichen Grund fürchtete sie sich davor, dass Goten die Frauen oder Mätressen einflussreicher Männer verführt hatte, um an Informationen zu gelangen. Und allein der Gedanke wie er eine dieser Frauen küsste, versetzte ihr einen Stich.

„Was würdest du machen, wenn ich ablehne? Nachdem du nicht zu unseren Eltern gehen möchtest. Gohan fragen? Oder Krillin?“

„Weder noch. Du weißt genauso gut wie ich, dass sowohl Gohan als auch Krillin aus Sorge umgehend zu meinem Vater gehen würden. Da kann ich mich dann auch gleich ins Verlies sperren lassen.“

Für einen Moment sah es so aus als wolle Goten über den letzten Teil des Satzes lachen, aber er fing sich noch rechtzeitig.

„Ihr habt hier kein Verlies, Bra. Aber wenn du nicht zu ihnen gehen willst, was würdest du dann tun?“

„Selbst einen Weg finden, um an die Beweise zu kommen“, antwortete sie entschlossen, obwohl sie gar nicht so entschlossen war. Wenn sie das wirklich noch in Betracht ziehen würde, wäre sie definitiv nicht hier.

Vielleicht sollte sie doch den Zorn und gebrochenen Männerstolz riskieren und zu ihrem Vater gehen. Es war eine Schnapsidee gewesen, zu glauben, dass …

„Na gut. Da ich sofort glaube, dass Freezer deinen Vater – und um ehrlich zu sein, auch meinen – gerne unter der Erde sehen möchte, helfe ich dir. Ich schau, was ich herausfinden kann. Aber du versprichst mir, dass du dich von ihm und seinen Bediensteten fernhältst.“

Es war nicht so, dass Bra vorgehabt hatte, sich in der Nähe dieses Mannes aufzuhalten, aber es als Bedingung für Gotens Hilfe vorgeschrieben zu bekommen, gefiel ihr gar nicht.

Sie pustete trotzig ihre Wangen auf und verschränkte die Arme wieder vor ihrer Brust. Ihr war klar, dass sie gerade wahrscheinlich eher aussah wie zwölf und nicht wie zwanzig, aber das war ihr egal.

„Du brauchst gar nicht so eingeschnappt zu schauen. Entweder so oder gar nicht. Außerdem müsste dir das doch entgegenkommen, wenn es stimmt, was du gesagt hast.“ Wollte er gerade herausfinden, ob sie ihn belogen hatte und trotz allem versuchte, an den Herzog heranzukommen? Oder diese Geschichte erfunden hatte, um ihren verletzten Stolz zu heilen?

„Wie bitte?!“, fauchte sie deshalb und stieß ihm ihren Zeigefinger fest in die Brust.

Sie hatte vergessen, dass er gar nichts darüber trug und war überrascht von der Hitze, die sein nackter Oberkörper ausstrahlte.

Sich dieser Nähe zu bewusst, aber gleichzeitig wütend, ignorierte sie das Ziehen in ihrem Inneren und starrte zu ihm hoch in seine dunklen Augen.

Verdammt.

Sie wollte ihm gar nicht so nah kommen. Er hätte an der Tür stehen bleiben sollen. Sie nicht reizen dürfen. Nun berührte sie seine nackte Haut, war nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt und … schaute er gerade auf ihre Lippen?

Unter ihrem Finger fühlte sie die Bewegung, die durch seinen Körper ging und Bra wusste, instinktiv, wenn sie jetzt keinen Schritt zurücktrat und Abstand zwischen sie brachte, konnte sie für nichts mehr garantieren.

Sie hasste es, dass er gerade eine solche Wirkung auf sie hatte. Und doch … gleichzeitig wollte sie unbedingt wissen, ob er genauso mies küsste wie die Männer vor ihm. Wohin seine Hände wandern würden und ob sie auch wegen ihm nachts wach liegen und den Weg, den seine Finger auf ihrer Haut genommen hatte, nachfahren würde. Bis hin zu …

Sie schluckte schwer. Ihr Herz raste und ihr Mund öffnete sich leicht. Es wäre so einfach, es herauszufinden. Jetzt und hier. Sie müsste sich nur auf ihre Zehenspitzen stellen und sich ihm entgegenstrecken.

In diesem Moment trat er völlig unvermittelt einen Schritt zurück und sah über sie hinweg wieder zum Schrank. Für Bra war diese plötzliche Bewegung ein Schock.

Erstens hatte sie nicht damit gerechnet und Zweitens … was hatte sie da um Himmels Willen gerade gedacht?!

„Nach-“ Goten räusperte sich laut. „Nachdem wir“, begann er erneut, „das geklärt hätten, denke ich, solltest du in dein Zimmer gehen. Nicht, dass dich noch jemand hier erwischt und die Situation missinterpretiert.“

Von wegen missinterpretieren. Wenn sie nicht so lange gezögert hätte, den ersten Schritt zu tun, wäre er sicher darauf eingegangen. Warum sonst sollte er sonst plötzlich so stocksteif vor ihr stehen?

Aber er hatte natürlich Recht. Sie sollte dringend zurück in ihr Zimmer gehen. Sie musste auf jeden Fall darüber nachdenken, was hier gerade beinahe geschehen war und vor allem, wie sie selbst darüber dachte.

War sie dankbar, dass er es gestoppt hatte? Oder hätte sie doch zu gern herausgefunden wie seine Lippen sich anfühlten?
 

Am Ende hatte Bra dann aber doch alles in ihrer Macht Stehende getan, um nicht zu genau darüber nachzudenken, was dieser Moment in Gotens Schlafzimmer zu bedeuten hatte. Das war ihr während der Einschlafphase auch überraschend gut gelungen. Allerdings war ihr Traum bei Weitem nicht so entgegenkommend und als sie am nächsten Morgen aufwachte, spürte sie, dass sie zwischen ihren Schenkeln feucht war.

Mürrisch hatte sie sich erhoben und war in ihrem Zimmer herumgetigert. Sie würde ihrer Fleischeslust sicher nicht wegen diesem selbstgefälligen, eingebildeten, wirklich verdammt gutaussehenden und witzigen Mann nachgeben.

Nur was sollte sie tun, wenn sie ihm wieder über den Weg lief? Konnte sie genügend Contenance bewahren, um nicht stotternd vor ihm zu stehen und verbissen auf ihre Füße zu schauen, aus Angst, sonst wieder jeglichen Bezug zur Realität zu verlieren?

Zu ihrem Glück nahm die Parforcejagd ihr dieses Problem ab, da Goten sich dadurch nicht im Haus befand.

Leider hatte sie bei Herzog Freezer weniger Glück.

Dieser schien kein Interesse an der Jagd zu haben und lief ihr an diesem Tag vier Mal über den Weg. Bra fragte sich nach ihrem letzten Aufeinandertreffen, ob er etwas suchte oder die Räumlichkeiten begutachtete, um zu planen, wann und wo er ihren Vater am besten ermorden konnte.

Da er ihr allerdings bei jedem Treffen nur überheblich zulächelte und sich dann von ihr abwandte, konnte sie ihn nicht nach dem Grund seiner Anwesenheit an den verschiedenen Stellen im Haus fragen, ohne ihm hektisch hinterherzurennen – und das würde durchaus für Aufsehen sorgen. Zudem bezweifelte Bra, dass der Herzog ihr eine vernünftige Antwort geben würde.

Auch am nächsten Tag traf sie Goten nicht an. Da sie aber den Nachmittag für die Vorbereitung der Soirée, die in wenigen Tagen stattfinden sollte, eingeplant hatten, war es nicht weiter verwunderlich.

Bra konnte sich nicht vorstellen, dass Goten sich freiwillig an der Diskussion um die richtige Dekoration der Räume beteiligen und dabei helfen wollte, den perfekten Speiseplan aufzustellen. Nicht dass sie, Gotens Mutter Chichi oder seine Schwägerin Videl großen Einfluss darauf gehabt hätten. Ihre Mutter wusste ganz genau wie sie was wo haben wollte und ihre Nachfragen zu Meinungen waren nur ein Alibi. Beschlossen war es bereits, bevor sie es überhaupt aussprach.

Auch wenn sie wegen ihres emotionalen Seelenwohls nicht böse darüber war, ihn nicht sehen zu müssen, half es nichts. Sie wurde von Stunde zu Stunde ungeduldiger und als sie an diesem Abend ins Bett ging, beschloss sie, ihn am nächsten Tag zu suchen. Egal wie peinlich ein Aufeinandertreffen mit ihm auch werden würde.

Das Leben ihres Vaters stand immerhin auf dem Spiel.

An diesem Tag meinte es ihr Schlaf allerdings unerwartet gut mit ihr und es war bereits später Vormittag als sie erwachte.

Schnell ließ sie sich ankleiden und etwas zu essen auf ihr Zimmer bringen, bevor sie sich auf die Suche nach ihm machte. Wenn sie Pech hatte, würde es den gesamten restlichen Tag dauern. Dieses Grundstück war einfach viel zu groß.

Tatsächlich war sie bereits durch das gesamte Erdgeschoss gelaufen und hatte den Westflügel durchkämmt, als sie seinen Haarschopf gerade noch um eine Ecke biegen sah.

Ohne weiter darauf zu achten, wo sie sich gerade befand, eilte sie ihm hinterher und sah, wie er erneut abbog.

Nun rannte sie beinahe, folgte ihm um die nächste Ecke und lief in ihn hinein.

Goten starrte sie fassungslos an.

„Na endlich“, sagte sie, eine Spur lauter als gewollt.

Sofort presste er ihr seine Hand auf den Mund und bedeutete ihr mit einem Kopfschütteln, dass sie sich nicht bewegen sollte.

Sie hörte wie eine Tür sich öffnete und wieder schloss und sah sich mit großen Augen um. Es waren Schritte zu hören.

Verdammt. Sie befanden sich nur einen Gang von Herzog Freezers Schlafgemächern entfernt. Wie hatte sie nur so kopflos hier entlangrennen können?

Denn auch wenn man ihre Anwesenheit damit begründen konnte, dass es ihr Zuhause war und sie gerne, um ihre Gedanken schweifen zu lassen, durch die Gänge streifte, es erklärte nicht, was Goten hier tat.

Bras Mutter hatte den Herzog nicht im Gästeflügel einquartiert, sondern die Räumlichkeiten ihrer verstorbenen Mutter herrichten lassen. Sie waren größer und boten einen schöneren Ausblick auf die Ländereien.

Die Schritte wurden immer lauter und fast einen Moment zu spät begriff Bra, dass die Personen in ihre Richtung liefen.

„Schnell“, zischte Goten, griff nach ihrer Hand und zog sie mit sich.

Ihre eigenen Schritte konnte die Unbekannten sicher nicht allzu lange überhören und wenn sie sich nicht innerhalb der nächsten Sekunden in Luft auflösten, würden sie erwischt werden.

Goten blieb abrupt vor einem Gemälde stehen, dass ihren Ururgroßvater zeigte und zog an dessen vergoldeten Rahmen. Das Bild schwang vor und entblößte einen schmalen Gang.

Es blieb keine Zeit sich darüber zu wundern. Goten zog sie bereits, ohne darauf zu achten, ob sie über den Bodensockel steigen konnte, hinein. Sie stolperte mehr darüber, fing sich aber gerade noch rechtzeitig. Von einer plötzlichen Eingebung getroffen, griff Bra nach dem Rahmen und zog das Bild hinter sich zu.

Goten sagte nichts, zog sie nur weiter in den dunklen Gang hinein.

„Das war knapp”, flüsterte Bra als er schließlich stehen blieb, ihre flache Hand fest gegen ihre Brust gedrückt. Sie konnte spüren wie ihr Herz schnell und heftig schlug.

„Ja”, erwiderte Goten. Er klang ruhig, aber er hatte ihre andere Hand noch immer nicht losgelassen.

Unsicher wanderte ihr Blick zu seinem Gesicht und sie konnte trotz des schwachen Lichts, das durch den Stoff des Gemäldes hineindrang, erkennen, dass er seine Zähne fest aufeinanderbiss.

Als habe er gespürt, dass sie ihn musterte, wandte er sich ihr zu und schenkte ihr ein übermütiges Lächeln, dass ganz eindeutig seine Anspannung überspielen sollte.

“Glaubst du, sie finden uns hier?”, flüsterte sie atemlos.

“Nein. Den Durchgang kennen außer mir nur noch Trunks, sein Vater und jetzt du”, antwortete er. Flüsterte allerdings ebenfalls.

“Ich denke, es ist dennoch sicherer, wenn wir hier eine Weile warten, bevor wir unser Versteck wieder verlassen.”

Bra nickte.

Und noch immer hielt Goten ihre Hand fest in seiner.

Ohne darüber nachzudenken, lehnte sie sich an seine Schulter und schloss für einen Augenblick die Augen.

Das war wirklich verdammt knapp gewesen. Sie fragte sich, ob Goten wütend auf sie war. Sie könnte es ihm nicht einmal verübeln: wie dumm konnte man schließlich sein?

Widerwillig hob sie ihren Kopf wieder und musterte von der Seite seine Gesichtszüge. Er hatte den Kopf von ihr weggedreht, weshalb sie nicht sagen konnte wie es gerade in ihm aussah.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie schließlich kleinlaut. Es ärgerte sie selbst wahrscheinlich sogar am meisten.

Nun drehte er sich doch endlich wieder zu ihr.

„Ja, das war verdammt naiv von dir“, antwortete er. „Wieso bist du mir so kopflos hinterhergeeilt?“

„Ich … wir sind uns die letzten beiden Tage nicht über den Weg gelaufen und … ach keine Ahnung. Als ich dich um die Ecke habe biegen sehen, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, wo ich mich befinde und bin dir hinterher, um herauszufinden, ob du bereits mehr weißt.“

Als sie von der Seite, auf der das Portrait hing, plötzlich Schritte vernahmen, umklammerte Bra mit ihrer zweiten Hand die, in der bereits ihre andere lag.

Goten schien es erst in diesem Augenblick aufzufallen, dass er sie nicht losgelassen hatte. Kurz blickte er zwischen sie, auf ihre verschlungenen Hände und dann wieder auf.

Als würde ihm erst jetzt auffallen, wie nahe sie sich waren, öffneten sich seine Lippen leicht, als wolle er etwas sagen.

Doch seine Augen fixierten mit einem Mal ihren Mund und Bra spürte, wie sie begann, schwerer zu atmen. Ihr blieb wortwörtlich die Luft weg.

Es war für einen Moment so als würde die Zeit um sie herum stillstehen.

Und dann küsste er sie. Ganz sanft und vorsichtig.

Mit einem sehnsüchtigen Stöhnen, das ihr gar nicht entweichen sollte, lehnte sie sich mit ihrem gesamten Körper gegen seinen. Sein Duft stieg ihr in die Nase und sie nahm jede noch so kleine Bewegung seiner Muskeln wahr.

Instinktiv öffnete Bra schließlich ihre Lippen, was für Goten offensichtlich bedeutete, den Kuss zu vertiefen.

Sie stöhnte erneut, war sich aber nicht sicher, ob es an seinem hungrigen Kuss lag, oder daran, dass er begonnen hatte, ihr mit seiner rechten Hand über die Seite nach unten zu ihrer Hüfte zu fahren.

Instinktiv drückte sie sich näher an ihn heran und spürte die Wärme seines Körpers, trotz all der Schichten Stoff dazwischen.

Ihre Beine fühlten sich plötzlich an wie Pudding und aus Angst, in die Knie gehen zu müssen, umschlang sie mit ihren Armen seinen Hals und zog sich so noch enger an ihn.

Nun war es Goten, der in den Kuss stöhnte. Er drückte sie gegen die Wand und während seine rechte Hand auf ihrem Hintern lag, bedeckte er mit seiner linken ihre Brust, um diese zu kneten.

Alles in ihrem Körper schrie nach mehr und ihre Haut begann wohlig zu kribbeln. Zwischen ihren Schenkeln wurde es warm und sie überlegte mit vernebelten Sinnen, ob es vermessen wäre, ihn ebenfalls zu berühren.

Doch plötzlich ließ Goten von ihr ab und lehnte sich schwer atmend an die gegenüberliegende Wand.

Er starrte sie einen Augenblick völlig fassungslos an, das konnte sie selbst durch das fahle Licht erkennen.

„Hab ich …“, begann sie, doch er stürzte sich an ihr vorbei den schmalen Gang entlang. Sie war sich nicht sicher, was er da vor sich hin brabbelte, aber es hörte sich an wie: „So dumm. So dumm. Nein, nein, nein.“

War sie wirklich eine so schlechte Küsserin? Überfordert von seinem plötzlichen Sinneswandel folgte sie ihm und ihre Schritte hallten von den Wänden wider.

„Goten, was …?“, setzte sie erneut zu einer Frage an. Er blieb plötzlich stehen und sie musste abrupt abbremsen, um nicht in ihn hineinzulaufen.

„Das ist niemals geschehen!“, zischte er ihr wütend entgegen. „Verstanden?“

Bras Augen weiteten sich. Ihr Körper war noch immer in den wohligen Nachwehen dieses plötzlichen und viel zu schnell vergangenen Spiels gefangen und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Unter normalen Umständen hätte sie eine Diskussion begonnen. Vielleicht hätte sie ihm auch eine gescheuert oder geschrien, doch aus Schock und Verwirrung nickte sie stumm.

Und dann waren sie plötzlich in einer Abstellkammer, aus der Goten sie herausführte, nachdem er überprüft hatte, ob sie allein waren.

Wie in Trance folgte sie ihm, noch immer zu sehr darin gefangen, das zu verarbeiten, was gerade geschehen war.

Erst als sie sich in der Eingangshalle des Anwesens trennten und er die Treppen emporstieg, ohne sich noch einmal umzudrehen, schwappte die Wut in ihr auf.

Wie ein Eimer kaltes Wasser, den man über ihr ausgeschüttet hatte, begriff sie, was gerade geschehen war.

In einem Moment hatte er sie besinnungslos geküsst und im nächsten Fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

Tränen der Wut stiegen in ihr auf, aber sie schluckte sie hinunter. Sie würde nicht mitten in der Eingangshalle anfangen zu weinen. Nicht wegen ihm. Niemals wegen ihm.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2021-10-16T15:31:26+00:00 16.10.2021 17:31
MEINS <3

Wenn Teil Zwei online geht, kommentiere ich ausführlich ^^
Antwort von:  Goetterspeise
17.10.2021 10:12
Huhu :)
Jap, deins :3
2. Kapitel kommt heute im Laufe des Tages


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