Die Vertretung und die Folgen von Iwa-chaaan (Wenn Hündchen vor große Herausforderungen gestellt werden) ================================================================================ Kapitel 1: Letztes Schuljahr ---------------------------- Montag, 15.08. Er war anders. Das war das erste, was Seto Kaiba auffiel. Es war der erste Schultag nach den Sommerferien und er zählte mittlerweile gedanklich die Tage, die er noch herkommen musste. Exakt 217 waren es. Endlich! Endlich war das letzte Schuljahr angebrochen. Das wurde auch wirklich Zeit. Danach konnte er sich voll und ganz der Firma widmen, die sowieso seiner ganzen Aufmerksamkeit bedurfte. Es waren zwei wichtige Projekte in der Planung und noch weitere in der Vorbereitung. Das musste ordentlich ablaufen und von daher war er in jeden Schritt involviert, um notfalls Korrekturen vornehmen lassen zu können. Dementsprechend hatte er keine Zeit, sich auch noch mit der Schule zu beschäftigen, dessen Stoff er sowieso bereits kannte und beherrschte. Doch das Gesetz machte in diesem Fall auch nicht vor ihm Halt, also musste er sich dem notgedrungen beugen. Immerhin konnte er sich mit den Lehrern darauf einigen, dass er ein A bekam, beantwortete er zwei Fragen in der Stunde korrekt. Außerdem durfte er für Telefonate auch den Klassenraum verlassen und nebenbei am Laptop weiterarbeiten. So verlor er wenigstens nicht allzu viel Zeit. Nur die Meetings mussten nachmittags stattfinden. Eine Fehlzeit auf dem Abschlusszeugnis wollte er um jeden Preis vermeiden. Erst recht im letzten Schuljahr – wo er es bald geschafft hatte –, was ihn wieder zu dem seltsamen Verhalten von Wheeler brachte. Denn ob man es glaubte oder nicht: Er war pünktlich zum Unterricht erschienen. Wurde der Flohschleuder abschließend doch noch bewusst, was für ihn auf dem Spiel stand? Ob sich der Köter deswegen anders verhielt als sonst? Der Blonde jedoch war nicht der einzige, der sich auffällig benahm, wie Kaiba gerade bemerkte. Die ganze Kindergartentruppe wirkte … konzentrierter, ruhiger? Nein, das traf es nicht. Viel mehr waren sie … angespannter. Und zwar jeder von ihnen: Yugi, Tea, Tristan und Duke. Hatten sie etwa alle Schiss um ihren Abschluss? Sie sollten es auf jeden Fall haben, denn ein gutes Zeugnis war das Einlassticket für einen guten Job. Doch Kaiba bezweifelte, dass das der Grund war. Deswegen würden sie hier nicht so düstere Mienen zeigen. Da musste etwas anderes in den Sommerferien geschehen sein. Erst recht, wenn er Wheelers Gesicht so sah. Im Gegensatz zu sonst – wo der Köter mit einem dämlichen Dauergrinsen an seinem Platz saß und meist kippelte – ließ sein Blick jede Milch sauer werden und saß ruhig auf seinem Stuhl, spielte nicht einmal mit einem Stift in seinen Fingern. Die anderen Mitschüler spürten es offenbar auch, denn alle ließen die Clique in Ruhe und tauschten verwirrte Blicke aus. So kannten sie die Gruppe nicht. Normalerweise waren sie immer fröhlich dabei und lachten viel, doch jetzt standen sie am Tisch des Köters und tuschelten leise und verschwörerisch miteinander. Kaibas Mundwinkel zuckte leicht nach oben. Das letzte Jahr hielt offensichtlich doch noch so seine Überraschungen bereit. Selbstverständlich war es ihm vollkommen egal, was mit ihnen los war, doch es bereitete ihm eine gewisse Freude, den Köter zu provozieren und wann war eine bessere Gelegenheit als jetzt? Gerade wollte er dem Kindergarten etwas auf den Zahn fühlen, als ihr Klassenlehrer hereintrat. Naja, dann musste er das eben auf später verschieben, wenn sich eine Möglichkeit ergab. Nach der Begrüßung – die sie wie seit dem ersten Tag stehend hinter sich bringen mussten – nahmen alle wieder Platz und für den Moment wandte er den Blick zum Lehrer. So gern er auch arbeitete, aber das gebot die Höflichkeit. Und auch wenn er keine Lust hatte, hier zu sein, so war es eine Frage des Respekts, ihm wenigstens die ersten fünf Minuten des Unterrichts zuzuhören. Außerdem traute er es den Lehrern auch zu, dass sie bei der Notenvergabe auch das Benehmen berücksichtigten. Herr Shirokawa, ein älterer, kleiner Mann, der seit Jahren seine Rente herbeisehnte, schaute sich in Ruhe um und begann zu lächeln. „Ich bin freudig überrascht, Sie alle pünktlich zur ersten Stunde nach den Sommerferien begrüßen zu dürfen. Wie Sie alle wissen, beginnt heute Ihr letztes Schuljahr. Ich möchte Sie dazu anhalten, von nun an Bestleistungen zu zeigen, damit Sie die Chance erhalten werden, an einer Aufnahmeprüfung für eine Universität teilnehmen zu dürfen. Es sollte ihre oberste Priorität sein, sich dieses Jahr Mühe zu geben, um einen adäquaten Platz an einer Universität und danach einen guten Beruf zu haben. Also dann. Beginnen wir mit einer kleinen Wiederholung.“ Gelangweilt hörte Kaiba dem Lehrer zu und beantwortete die ersten beiden Fragen korrekt, damit er sich danach der Arbeit zuwenden konnte. Wie immer verfolgte er das Geschehen trotzdem mit einem Ohr, um zu wissen, was vor sich ging. Es konnte nie schaden, zu wissen, was um einen herum geschah und da die anderen immer davon ausgingen, dass er beim Arbeiten nichts mitbekam, hatte er schon das ein oder andere erfahren, was sicherlich nicht für seine Ohren bestimmt war. Natürlich war dabei nichts von seinem eigenen Interesse, doch manchmal konnten unscheinbare Informationen zu einem späteren Zeitpunkt sehr wertvoll sein. Das hatte er bereits als CEO gelernt. Bemüht versuchten die anderen dem Unterricht zu folgen, als irgendwann eine längere Stille eintrat. Wie es schien, hatte sich niemand mit dem Schulstoff beschäftigt, nicht einmal gestern Abend, um so tun zu können, als hätte man sich vorbereitet. Seufzend wollte sich Kaiba gerade erbarmen, alle zu erlösen, um den Unterricht voranzubringen, als eine Hand schräg vor ihm auftauchte. Nach einem kurzen desinteressierten Blick hatte er diese als die des Köters identifiziert. Seine Augenbraue zuckte kurz irritiert nach oben und ein spöttelndes Grinsen tauchte auf seinem Gesicht auf. Das konnte ja lustig werden. Zu seiner Überraschung – und nicht nur seiner, wenn er den Lehrer und die anderen Schüler so sah – beantwortete die Promenadenmischung die Frage doch tatsächlich korrekt. Sogar die Nachfragen des verdutzten Herrn Shirokawa konnte Wheeler beantworten, auch wenn er am Schluss etwas ins Stocken geriet. Was war bloß in den Ferien passiert? Er musste einiges verpasst haben. War das wirklich der Köter, der da am Unterricht teilnahm oder eine andere Promenadenmischung, die sich als er ausgab? So ruhig, konzentriert und fleißig, wie er war, konnte das nicht das Original sein. Dafür war das Verhalten zu gegensätzlich. Niemand konnte sich in sechs Wochen so stark verändern, oder? Nein, das konnte sich Kaiba beim besten Willen nicht vorstellen. Ob er –? Das Vibrieren seines Smartphones riss ihn aus seinen Gedanken und automatisch holte er es aus der Innentasche seiner Schuluniform. Seine Sekretärin hatte ihm eine Nachricht mit der Übersicht seines heutigen Tages geschickt. Wie ihm nach einem Blick auffiel, war ein Termin gestrichen worden und einer verschoben. Das kam ihm ganz gelegen, denn von letzter Woche hatte er noch einigen Papierkram übrig, der bearbeitet werden musste. Die Projekte forderten seine ganze Aufmerksamkeit, denn mindestens eins davon sollte noch vor Weihnachten auf den Markt gebracht werden. Knapp antwortete Kaiba auf die Nachricht mit einem Danke und steckte es wieder weg. Noch immer lief der Unterricht, ohne dass er etwas sagen musste und diese neue Erfahrung – besonders, dass der Köter Wissen für sich entdeckt hatte –, war befremdlich. Ob er das ganze Schuljahr so durchziehen würde? Kapitel 2: Neubeginn? --------------------- Montag, 15.08. Joey atmete tief durch. Einen Moment lang stand er vor dem Spiegel – fertig angezogen – und seufzte. Noch nie in seinem Leben hatte er so beschissene Ferien erlebt und das, wo jetzt das letzte Schuljahr begann. Es war zum Verrücktwerden und am liebsten hätte Joey alles herausgeschrien, doch das konnte er hier nicht tun. Die Wände waren dafür viel zu dünn und die Nachbarn viel zu empfindlich. Jetzt blieb ihm erst einmal nichts anderes übrig, als zu funktionieren. Denn auch wenn seine Freunde Teile dessen wussten, was passiert war, war das noch längst nicht alles. Und das sollte auch so bleiben. Das war einfach eine Nummer zu krass. Ihm war ja selbst nicht klar, wie er das verarbeiten sollte. Nach einem letzten, prüfenden Blick wandte sich Joey vom Spiegel ab und schnappte sich seine Schultasche, die er vorsorglich am Abend zuvor gepackt hatte. Dieses Schuljahr durfte er keinesfalls in den Sand setzen und damit das auch nicht passierte – und um sich von dem schrecklichen Beginn der Ferien abzulenken – hatte er in den vergangenen Tagen fast rund um die Uhr gelernt. Es hatte ihn betäubt und das hatte gutgetan. Wer hätte gedacht, dass er mal freiwillig lernen würde? Und das über Stunden hinweg? Was für Überraschungen dieses Jahr wohl noch bereit hielt? Wollte er ds nach den Ereignissen überhaupt noch wissen? Naja, dagegen wehren konnte er sich sowieso nicht, also musste er sich da auch keine unnötigen Gedanken drüber machen. Sein Kopf hatte sich ein wenig beruhigt, da musste er ihn nicht mit neuen Dingen füttern. Entspannt – weil er früh dran war, nicht wie sonst früher – schloss er die Wohnungstür ab und lief die Treppe runter nach draußen, wo er sein Fahrrad aufschloss und zur Schule radelte. Da seine Freunde zumindest einen Teil der Geschichte kannten, hatte er nicht vor, den fröhlichen Schüler raushängen zu lassen. Das wäre dieses Mal auch nicht überzeugend gewesen. Jahrelang hatte er immer das Grinsen im Gesicht gehabt, um keine ungewollten Fragen gestellt zu kriegen. Es gab einfach so viele Dinge in seinem Leben, die niemanden etwas angingen und er hatte sich diese perfekte Fassade aufgebaut, damit keiner seinen Schmerz sehen konnte. Er wollte kein Mitleid von anderen. Schon früh hatte er gelernt zu kämpfen und dass er das nur allein tun konnte. Das hatten ihm mehrere Menschen bewiesen. Zwar hatte er in Yugi, Tristan und Tea tolle Freunde gefunden, die ihn in allem unterstützten, jedoch kannten sie auch nicht alle Details seines Lebens und das würde wohl nie jemand tun. Diese Sommerferien aber hatten ihm unglaublich viel abverlangt. Und die Fassade bröckelte. Nur in diesem Fall interessierte es ihn nicht mehr. Sollten die anderen in der Schule doch über ihn reden, weil er nicht mehr der fröhliche Junge war. Es war ja seine Sache, ob er eventuelle Fragen beantworten wollte oder nicht und ihm fehlte die Kraft, weiter zu schauspielern. Am Schultor angekommen, schaute er sich um und entdeckte seine Freunde am anderen Ende der Straße. Kurz winkte Joey ihnen zu und schloss dann schon einmal sein Fahrrad ab. Geduldig wartete er, bis seine Freunde da waren und begrüßte sie mit einem leichten Lächeln. „Joey, schön dich zu sehen. Geht es halbwegs?“, erkundigte sich Tea direkt mitfühlend und auch Tristan klopfte ihm freundschaftlich und aufmunternd auf die Schulter. „Tut echt gut, dich zu sehen, Alter. Tat dir die Auszeit gut?“, wollte er wissen, noch bevor Joey Tea antworten konnte. Er lächelte leicht und hob die Hand, damit Yugi nicht auch noch etwas sagte. Manchmal benahmen sie sich wie ein Überfallkommando. Bisher war ihm das gar nicht so aufgefallen, aber da war alles auch noch entspannter gewesen. Einen Augenblick lang überlegte Joey, wie er am besten anfangen wollte, dann kamen die Worte wie von selbst: „Hey Leute. Ja, die Auszeit tat gut und es geht mir etwas besser. Aber jetzt gehen wir erst mal rein, ja? Dieses Schuljahr will ich nicht zu spät kommen.“ Die anderen nickten und lächelten ihn an. Sie ließen ihn in Ruhe, da seine Ausstrahlung genau danach verlangte. Es war nicht so, dass sie nicht mit ihm reden durften, aber er war dankbar für das Schweigen. Seine Gedanken schweiften sowieso immer wieder ab. Konzentration war gerade nicht seine beste Eigenschaft. Auch das Lernen in den letzten Tagen, das er zwar konsequent durchgezogen hatte, war ihm sehr schwer gefallen. Immer wieder musste er an die ersten Tage der Ferien denken, als … Joey schüttelte in Gedanken entschieden den Kopf. Das reichte jetzt. Er musste sich jetzt auf seinen Abschluss konzentrieren. Damit er den Grundstein für sein weiteres Leben legen konnte. Zusammen schlenderten sie durch die belebten Gänge der Schule zu ihrem Klassenraum, unterhielten sich über das neue Schuljahr und was sie am Wochenende noch so gemacht hatten. Wie jedes Mal, wenn er das Zimmer betrat, fiel ihm Kaiba an seinem hintersten Fensterplatz als Erster auf. Früher hatte es ihn genervt, dass ihm der Jungmilliardär jeden Morgen sofort ins Auge zu springen schien, mittlerweile nahm er es nur noch zur Kenntnis. Da ihm das schon seit Jahren so ging, hatte er gelernt, das mit einem Schulterzucken abzutun. Wie immer nahm er eh keine Notiz von ihm, sondern tippte geschäftig auf seinem Laptop herum. Bestimmt war er gerade dabei, seine nächste Million zu verdienen. Reicher, arroganter Sack. In Ruhe setzte sich Joey auf seinen Platz, packte die für die Stunde notwendigen Sachen aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Die anderen hatten sich um seinen Tisch versammelt und sie quatschten noch etwas, bis ihr Lehrer hereinkam. Nach seiner kleinen Ansprache – er hatte die Anspielung auf die Pünktlichkeit durchaus verstanden – begann die Wiederholung und es war ein ganz neues Gefühl, dass er wusste, was der Lehrer hören wollte. Er genoss innerlich die verwirrten Blicke der anderen ein wenig, als er eine schwere Frage beantworten konnte. Immer wieder meldete sich Joey auf Fragen und beantwortete sie ruhig und überlegt. Hätte er doch nur mal früher angefangen zu lernen! Dann hätte er das Gefühl schon viel länger genießen können. Es hatte ja niemand ahnen können, dass sich das so gut anfühlen würde! Aber sei es drum. Ein Jahr lag ja noch vor ihm. Außerdem war es auch nicht mehr als eine Ablenkung von all den Gedanken, die ihn seit Wochen verfolgten. Niemals hätte er einmal gedacht, dass er froh war, in der Schule zu sein. Das klang doch absurd, selbst wenn er es nur dachte! Als es zur Pause klingelte, räumte Joey seine Sachen sorgsam zusammen und folgte den anderen nach draußen in den Flur. Zwar war es nur eine fünf Minuten Pause, doch gegen ein bisschen Bewegung war nichts einzuwenden. Und mal kurz den Raum verlassen zu können, war eine gute Sache. Er verbrachte schon genug Zeit in diesem Zimmer. „Mensch Alter! Hammer, wie du die Fragen eine nach der anderen beantwortet hast!“, meinte Tristan anerkennend und legte ihm in vertrauter Manier einen Arm um die Schulter. Joey grinste leicht und war froh darüber, dass er überhaupt noch wusste, wie das ging. In den letzten Wochen war er sich nicht mehr sicher gewesen, ob er die Mundwinkel jemals wieder zu einem richtigen Lächeln animieren konnte. Auch Yugi und Tea waren stolz auf ihn und verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Immerhin hatte er das Lob in seinen Augen gar nicht verdient, da er viele Jahre nichts für die Schule getan hatte. „Es tut gut, hier mit euch zu sein“, sagte der Blonde plötzlich, als eine Gesprächspause entstanden war, und aus dem Grinsen wurde ein freundliches Lächeln. „Wir sind für dich da, Joey“, sagte Tea ebenfalls lächelnd und die Jungs nickten zustimmend. Noch bevor sie weiterreden konnten, ertönte die Schulglocke und sie schlenderten tratschend in den Klassenraum zurück. Obwohl wir nie das engste und erst recht nicht das beste Verhältnis zueinander hatten, tut es weh zu wissen, dass wir uns nie wieder sehen können, Vater. Ruhe in Frieden. Kapitel 3: Das Telefonat ------------------------ Montag, 15.08. Kaiba nahm – ebenso wie der Rest der Lehrer und Schüler – staunend zur Kenntnis, dass Wheeler sich produktiv am Unterricht beteiligte und nur eine Frage falsch beantwortete. Es war in der Mathestunde gewesen. Jeder wusste, dass dieses Fach sein wohl größtes Problem darstellte. Insofern war es schon verwirrend genug, dass er in der Stunde überhaupt eine Frage richtig beantwortet hatte. Yugi war es dann schlussendlich gewesen, der Wheeler erlöst hatte, da er selbst mitten dabei gewesen war, eine E-Mail zu verfassen. Nachdem die Schulglocke den Schultag beendet hatte, packte Kaiba seine Sachen in Ruhe zusammen. Bevor er in die Firma fahren würde, stand noch ein Mittagessen mit Mokuba an, also musste er sich nicht beeilen. Sein kleiner Bruder hatte noch eine Schulstunde und das Restaurant war nicht allzu weit entfernt. „Ich komme gleich nach, ja?“, hörte er Wheeler sagen und der Kindergarten marschierte brav raus, nachdem sie ihm zugewunken hatten. Somit waren der Blonde und er die letzten im Klassenraum, wie er nach einem kurzen Blick feststellte. Er war gerade dabei, einen abfälligen Kommentar über streunende Köter auszusprechen, als dieser frustriert seufzte und einen Augenblick lang das Gesicht in den Händen verbarg. Anscheinend war er der Ansicht, dass er allein im Raum war, denn ihm gegenüber hätte er sich nie diese Blöße gegeben. Das war ihm klar. Still wartete Seto, was noch kommen sollte, denn dass der Blonde hier nicht zum Spaß herumsaß, war offensichtlich. Etwas beschäftigte ihn, schien ihn geradezu zu quälen. Ob er wohl darüber nachdachte, ob er zu Hause noch Hundefutter hatte oder noch welches kaufen musste? In jedem Fall war das Gesicht von Wheeler, wenn er ihn bemerkte, die Warterei bestimmt wert. Schließlich hatte er die Zeit und vielleicht konnte er dann schon herausfinden, was ihn so verändert hatte. Vielleicht konnte er das noch vermarkten. Viele Eltern wären sicherlich froh, ein Mittel zu haben, um aus motivationslosen Teenagern innerhalb von wenigen Wochen Musterschüler zu machen. Unvermittelt zog Joey plötzlich sein Smartphone aus der Hosentasche und wählte mit entschlossenem Gesicht eine Telefonnummer. Kaiba hatte sich mittlerweile mit vor der Brust verschränkten Armen an die Fensterbank gelehnt und wartete schweigend ab. Wen rufte der Köter denn jetzt an? Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann nahm der Teilnehmer am anderen Ende bereits ab. „Serenity? … Ja, ich freu mich auch, dich zu hören. Wie geht es dir? Immerhin hatten wir seit Vaters Beerdigung keine Möglichkeit mehr zu sprechen … Ich komm klar, Schwesterchen. Mach dir keinen Kopf. … Kommst du klar in Amerika? Was machst du? … Schön zu hören! Es freut mich, dass du zurechtkommst. … Ich? Ich gebe mein Bestes. Wie immer, weißt du doch. … Mit meinem Job werde ich so viel verdienen, dass ich auch was sparen kann. Dann komme ich dich bald besuchen. … Mutter ist noch immer so wütend? … Hey, hey, es ist okay, dass du weinst. … Sie kann uns nicht auseinanderbringen. … Ach, du meinst Vater? … Auch wenn Vater nach der Scheidung ein besoffener Idiot war, war er unser Vater. Also darfst du auch weinen. … Was? … Wie kommt Mutter darauf? … Nein, davon weiß ich nichts. … Schon? … Okay, wir hören uns bald wieder, ja? Pass auf dich auf, Schwesterchen. Ich hab dich lieb! …“ Der Blonde legte auf und lächelte noch einen Moment lang traurig das Display seines Smartphones an. Er konnte das Seufzen förmlich hören, obwohl es still im Raum war. Kaiba konnte es auf dem Bildschirm nicht ganz genau erkennen, aber es schien ein Selfie mit dem Kindergarten inkl. Mai Valentine, für den der Köter etwas übrig zu haben schien, zu sein. Jedenfalls nahm er an, dass der Köter etwas von ihr wollte, so wie er sich während des Battle City Turniers benommen hatte. Allerdings konnte sich der CEO kaum vorstellen, dass er bei ihr ernsthaft eine Chance hatte. Er selbst wiederum hatte das Vergnügen durch einen Zufall kurz nach dem Königreich der Duellanten gehabt, doch das war eine gänzlich andere Geschichte und eine einmalige Sache gewesen. Wie Seto selbst, erwachte auch Joey wieder aus seinen Gedanken, packte das Smartphone weg und griff seine Tasche, als er zum Fenster blickte und sein Gesichtsausdruck gefror. Genau genommen hielt er mitten in der Bewegung inne, als wäre er zu Stein erstarrt. Ja, das war es wert gewesen, so lange gewartet zu haben. So ein erschrockenes Gesicht hatte er bei Wheeler noch nie gesehen. Zumal er auch noch ein paar Dinge erfahren hatte, die sein verändertes Verhalten erklärten. Offenbar war der Vater gestorben und seine geliebte kleine Schwester mit ihrer Mutter in Amerika und besagte Mutter war wegen irgendwas noch wütend auf Wheeler. Stutzig machte ihn, dass sie anscheinend so sauer war, dass sie ihn hier allein zurückließ. Das sprach nicht für eine gute Mutter, oder? Zumindest erklärte das Ganze teilweise das ungewöhnliche Verhalten der Promenadenmischung heute Morgen – aber eben auch nur teilweise. Warum er jedoch Serenity am Telefon belog, war ihm wiederum noch nicht klar. Doch anhand seiner Mimik während des Telefonats war es offensichtlich, dass er es zumindest an einer Stelle getan hatte. „Was ist, Wheeler? Selbst einem Köter wie dir sollte klar sein, dass man sich erst vergewissern sollte, dass man allein ist, bevor man vertrauliche Telefonate führt.“ „Du reicher Drecksack hättest ja auch einmal in deinem Leben Benehmen zeigen und dich bemerkbar machen können! Dir geht doch sonst auch jedes andere Leben, außer das von Mokuba, am Arsch vorbei!“, konterte Joey aggressiv und hatte seine rechte Hand zu einer Faust geballt. Seto sah ihm die Wut an, die er gerade empfand, doch es war ihm schlichtweg egal. Wer so doof war, musste auch mit den Konsequenzen leben. Das würde auch die Flohschleuder noch lernen. „Dabei sollte ich mich einem Straßenköter gegenüber noch ganz anders verhalten“, entgegnete Kaiba knapp und eisig und nahm seinen Koffer. Die Show war vorbei und er wollte nicht zu spät im Restaurant erscheinen, sonst wäre Mokuba wieder zickig. „Hau bloß ab, du reicher, widerlicher Pinkel!“, rief Joey ihm nach, doch er winkte nur kurz abwertend und stolzierte nach draußen, wo sein Fahrer auf ihn wartete. Im Augenwinkel bemerkte er, dass der Kindergarten auf der anderen Seite des Schultores auf die Promenadenmischung wartete. Brav und artig. Warum hielt der Köter das Gespräch eigentlich geheim, wenn das angeblich seine besten Freunde waren? Was genau war passiert? Er ordnete Roland an, loszufahren und nahm sein Smartphone aus der Jackeninnentasche. Das alles war doch irrelevant für ihn und lenkte nur unnötig ab. Also massirte er sich kurz seufzend die Nasenwurzel und checkte seine Emails. Kapitel 4: Entführung!? ----------------------- Montag, 15.08. Joeys Herz raste wie wild, als würde es nach draußen in die Freiheit gelangen, wenn es nur noch etwas schneller wurde. Er musste jetzt raus und frische Luft einatmen. Viel davon, sehr viel. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Ausgerechnet der! Was bildete der sich eigentlich ein!? Warum hatte er gelauscht? Das war doch sonst auch nicht seine Masche. Ein zweites Mal griff Joey seine Tasche und lief förmlich durch die leeren Gänge der Schule nach draußen, wo seine Freunde auf ihn warteten. Kurz bevor er sie erreicht hatte, fuhr Kaibas Limousine an ihnen vorbei und er schaute ihr nach. Idiot! Verdammter, reicher Pinkel! Drecksack! „Hey Joey! Was ist los? Hast du dich etwa von ihm provozieren lassen?“, wollte Tea besorgt wissen, doch er winkte ab. „Nein nein, ich habe nun wirklich andere Probleme als diesen reichen Sack. Gehen wir was essen!“, forderte der Blonde und schnappte sich sein Fahrrad, das er neben den anderen herschob. Den Weg über unterhielten sie sich in Ruhe über den Schultag und Joeys Laune besserte sich ein wenig, obwohl es ihn nachwievor ärgerte, dass Kaiba ihn einfach belauscht hatte. Da er seine Freunde schon vorgeschickt hatte, musste ihm doch klar gewesen sein, dass das Gespräch auch nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. Diese Dreistigkeit einfach! Aber was sollte er von einem Firmenboss, der im Notfall bestimmt alles bekam, was er wollte, anderes erwarten? Und er selbst war ja auch doof genug gewesen, sich vorher nicht zu vergewissern. „Endlich Essen! Ich sterbe schon vor Hunger!“, beschwerte sich der Blonde, als sie nach ein paar weiteren Minuten bei Burger Queen angekommen waren. Schnell schloss er sein Fahrrad an einen Laternenpfahl an und betrat mit seinen Freunden den Laden. Sie bestellten zusammen ihr Essen und setzten sich nebeneinander an den Tresen vor die Fensterfront. Sie beobachteten eine Weile schweigend das Treiben auf der Straße, während sie aßen und sich über die Schule unterhielten. Immerhin war es der erste Tag nach den Ferien und so hatten sie den Rest der Klasse heute erst wiedergesehen und es gab eine Menge zu besprechen – oder besser gesagt zu tratschen. Gemeinsam beschlossen sie, eine Lerngruppe zu gründen, damit jeder von ihnen den bestmöglichen Abschluss machen konnte. Tristan war wenig begeistert, doch das ignorierte Tea geflissentlich, als sie mit ihrer Planung begann, wann und wo sie das am besten starten sollten. „Komm schon, Alter. Alle zusammen kriegen wir das hin und dann können wir frei wählen, was wir danach tun wollen! Das wäre doch echt cool!“, munterte Joey seinen Kumpel auf. Noch vor ein paar Monaten hätte er sich Tristan angeschlossen und gemault, aber seit sein Vater gestorben war, war ihm bewusst geworden, dass er seinen Abschluss für nichts in der Welt verhauen durfte. Nur wenn er das gut hinbekam, hatte er die Chance auf einen vernünftigen Job oder vielleicht auch auf ein Studium, sofern es einen Studiengang gab, der ihn interessierte. Er sollte sich unbedingt mal schlau machen, welche Studienfächer es gab und welche Anforderungen gestellt wurden. Vielleicht konnte er so schon ein paar Prioritäten setzen. Immerhin wollte er nicht wie sein verlauster Alter werden. Das kam gar nicht in Frage. „Danach … Was ist dann eigentlich? Welche Pläne habt ihr?“, wollte Tea wissen und der Blonde bemerkte in ihrer Stimme eine innere Zerrissenheit. Es ging ihm nicht anders, denn einerseits konnte die Schule nicht schnell genug vorbei sein – nur noch 217 Tage! –, doch andererseits … Was kam dann? Zwar war sich Joey sicher, dass ihre Freundschaft auch das danach meistern würde, aber sie würde sich bestimmt verändern, so wie sie sich auch in unterschiedliche Richtungen entwickeln würden. „Also ich werde weiter Großvater unter die Arme greifen und dabei lernen, wie man ein Geschäft führt“, durchbrach Yugi die aufkommende Stille und lächelte glücklich. Duke grinste und erwiderte: „Na das wundert uns jetzt aber! Falls du dabei Hilfe brauchst, frag mich. Ich helfe gern der Konkurrenz.“ Yugi bedankte sich und hatte einen leichten Rotschimmer auf den Wangen, doch Duke hatte ja recht. Es war absolut klar, dass Yugi diesen Weg einschlagen würde und der Blonde war sich ziemlich sicher, dass das auch genau das richtige für ihn war. Nun aber schauten sie zu Tristan und ihm rüber und Yugi meinte: „Tea wird eines Tages Tänzerin, das wissen wir. Duke wird sein Geschäft weiter ausbauen, das ist ebenfalls klar, aber was ist mit euch beiden?“ Mit seinen großen Kulleraugen musterte er die Zwei und Joey und sein Kumpel kratzten sich verlegen am Hinterkopf, denn sie hatten noch keinen Plan. Obwohl er sich – im Gegensatz zu seinem besten Freund – über die Ferien schon Gedanken darüber gemacht hatte. Immerhin musste er sich jetzt auch allein ernähren, wo sein Vater tot war und er seit der Scheidung kein Wort mehr mit seiner Mutter gewechselt hatte. Nicht einmal auf der Beerdigung hatten sie miteinander gesprochen, sondern sich nur zugenickt. Hilfe, und sei es auch nur Geld, wollte er nicht von ihr. Niemals. Einen Nebenjob hatte er immerhin bereits gefunden und er würde dort auch genug Geld verdienen, um alle Rechnungen bezahlen zu können. Nächste Woche ging es los. Alles andere würde er dann in Angriff nehmen. „Also ehrlich, Jungs! Es wird höchste Zeit, dass ihr euch das überlegt!“ „Beruhige dich, Tea. Erst einmal machen Tristan und ich einen spitzen Abschluss und dann schauen wir mal weiter.“ Joey grinste und leckte sich genüßlich die Finger ab. Es ging doch nichts über einen guten Burger. Jetzt wollte er sich nicht weiter Gedanken über das Thema machen. Das kam noch schnell genug auf ihn zu. Für den heutigen Nachmittag aber wollte er sich nicht mit damit belasten. Während Tea noch immer halb verzweifelt den Kopf schüttelte und Yugi versuchte, sie zu trösten, klingelte plötzlich sein Smartphone. Sofort zog er es aus der Hosentasche und schaute auf das Display: Unbekannter Teilnehmer. Sofort zog sich sein Magen zusammen. Das konnte nur eins bedeuten … Sie machten ihre Drohung jetzt wahr. Verdammt! „Sorry Leute, aber das ist wichtig. Wir sehen uns morgen, ja?“, meinte er und stand hektisch auf. Er griff seine Schultasche, verabschiedete sich knapp und während er Burger Queen verließ, nahm er das Gespräch entgegen. Seine Vorahnung, wer das war, sollte sich leider bewahrheiten. „Ja?“, fragte Joey lediglich und verfluchte sich, dass er unsicherer klang, als er wollte. Etwas unschlüssig blieb er vor seinem Fahrrad stehen. Das Schloss hakte etwas und war daher nur schwer mit einer Hand zu lösen. „Ein Auto wird dich jetzt abholen. Du solltest einfach einsteigen. Der Boss will mit dir über die Schulden sprechen.“ Sofort legte der Mann wieder auf und Joey grummelte genervt. Er hasste es, wenn Leute ihn so herumkommandierten, als wäre er ein Sklave, der nur darauf wartete, ein Befehl zu bekommen und dann sofort losstürmte, um ihn umzusetzen. Dennoch drehte er sich neugierig zur Straße um, als ein Auto bereits neben ihm anhielt und ein Mann – vielleicht auch ein Schrank, das war Definitionssache – aus dem hinteren Teil des Wagens ausstieg. „Einsteigen“, war die knappe Ansage und ehe sich der Blondschopf versah, hatte der Typ ihm bereits seine Schultasche abgenommen. „Hey, was soll das, du Affe?? Ich kann auch selbst die Tasche reinlegen und einsteigen!“, meckerte Joey und wollte seine Schultasche zurückziehen, doch der Schrank schubste ihn einfach ins Auto, warf die Tasche in den Fußraum und schloss die Tür, nachdem er seine Beine freundlicherweise angewinkelt hatte. Joey pöbelte und fluchte, was das Zeug hielt, jedoch war der Wagen bereits losgefahren. Was für eine verdammte Scheiße! Kapitel 5: Unfrewillige Hilfe ----------------------------- Montag, 15.08. „Ich werde mich nachher noch mit einem Klassenkameraden treffen“, informierte Mokuba fröhlich, während er noch halb sein Essen herunterschluckte und sein großer Bruder nickte zustimmend. „In Ordnung, aber um 19 Uhr bist du wieder zu Hause, um noch mit Thomas für deine Mathearbeit zu lernen.“ „Waaas? Aber woher weißt du davon?“ „Mokuba, du wolltest mir das wirklich vorenthalten? Ich fasse es nicht. Irgendwann wirst du in die Firma einsteigen und dafür brauchst du exzellente Noten. Also keine Widerrede. Und über das Verheimlichen reden wir auch nochmal …“, beendete Seto das Thema vorerst und sah, wie sein kleiner Bruder leicht zuckte. Verdammt, er hatte nicht so kalt klingen wollen. Aber er reagierte nunmal allergisch auf Lügen und das wusste der Zwerg ganz genau! Unbeteiligt schaute er seine Hauptspeise an, um dem unangenehmen Moment zu entwischen, denn bei seinem kleinen Bruder wurde er viel zu schnell weich. Daher musste er hin und wieder mal einer Situation ausweichen, um das zu verhindern. Sein Essen – ein Rinderfilet mit Pommes, welches sich Seto hin und wieder gönnte – sah lecker aus und er wollte gerade einen weiteren Bissen nehmen, als sich Mokuba bemerkbar machte: „Oh, sieh nur, Seto! Die anderen sind Burger essen.“ Seto schaute reflexartig aus dem Fenster und sah auf die andere Straßenseite. Es dauerte kurz, bis Kaiba verstand, wer die anderen waren und er seufzte genervt. In dem Burger Queen Laden gegenüber saßen sie wie die Hühner auf der Stange an der breiten Fensterfront. Fehlten nur noch Mai und Serenity, dann war der unsägliche Kindergarten wieder komplett. Es war ihm nachwievor unbegreiflich, warum sein kleiner Bruder so große Sympathien für die Truppe hegte. Nach dem Duell zwischen Marik und Wheeler war Mokuba sogar als erster zum Köter gelaufen, um sich um den Bewusstlosen zu kümmern. Ihm hingegen ging diese ganze Freundschafts-; Schicksals- und Herz der Karten-Nummer mächtig auf die Nerven. Damit konnte man kein Firmenimperium leiten. Sein Blick wanderte zum Köter, der sich gerade von den anderen verabschiedete und nach draußen eilte. Er hatte ein Handy am Ohr und Kaiba musste an dessen Telefonat in der Schule denken, das er mit seiner Schwester geführt hatte. In den Sommerferien war der Vater gestorben und so wie er von ihm gesprochen hatte – besoffener Idiot – war das wohl nicht wirklich ein Verlust. Auch die Sache mit seiner Mutter schien sehr kompliziert zu sein. Und Serenity war mit ihr in Amerika? Waren sie ausgewandert? Aber warum ohne Wheeler? Das Ganze ergab keinen Sinn. Er sollte da vielleicht mal Nachforschungen anstellen lassen … Immerhin hatte es den Köter verändert und Kaiba war unschlüssig, ob er das gut heißen konnte oder eher nicht. Andererseits würde eine andere Person erfahren, dass ihn das interessierte und das war das letzte, was er wollte. Immerhin war er kein Besitzer eines Tierheims. „Seto, sieh nur!“, rief Mokuba aufgeregt und der Angesprochene löste sich rickartig aus seinen Gedanken. Vor dem Blondschopf hatte ein schwarzer Wagen gehalten, ein Mann stieg aus, Wheeler diskutierte kurz, dann war der Kopf hinter dem Auto verschwunden und brauste davon. Von der Flohschleuder fehlte jede Spur. „Oh Gott! Joey wurde vor unseren Augen entführt!“ Geschockt lief sein kleiner Bruder sofort los, verließ den Laden und stürmte über die Fußgängerbrücke auf die andere Straßenseite. „Mokuba!“, rief Seto genervt, wies Roland an, zu zahlen – er war schließlich kein Zechpreller – und rannte dem Kurzen hinterher. Dieser kleine Rabauke! Es ging sie überhaupt nichts an, was mit Wheeler passierte, doch zu seinem Leidwesen war Seto nicht schnell genug. Mokuba hatte den ebenso fassungslosen Kindergartentrupp bereits erreicht und alle schauten in ihre Richtung. Na toll. Hoffentlich dachten sie jetzt nicht, dass er sich Sorgen um diese Promenadenmischung machte. Nichts lag ihm ferner. „Mokuba! Kaiba!“, rief Tea überrascht und sah noch immer blass aus. „Was ist passiert? Warum wurde Joey entführt?“, wollte Mokuba sofort wissen und Tristan schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Ahnung, Mokuba …“ Getroffen senkte der Brünette den Blick. Seto schüttelte nur den Kopf und seufzte innerlich. Wie schaffte es dieser Idiot nur immer, sich in solche Probleme zu manövrieren? Schließlich war er es auch, der das Wort ergriff: „Das wird sicherlich der städtische Hundefänger gewesen sein. Los komm, Mokuba. Ich muss in die Firma.“ „Das ist nicht dein Ernst, Seto! Joey wurde vor unseren Augen entführt! Wir müssen ihn finden und befreien!“, forderte sein kleiner Bruder eindringlich und Seto massierte sich kurz seine Nasenwurzel und atmete tief durch. So lieb er seinen Bruder auch hatte, so konnte dieser ihm auch den letzten Nerv rauben. So wie zum Beispiel jetzt. Aber da er wusste, wie wichtig ihm dieser Kindergarten und – somit auch der Blonde – war, beugte er sich ihm, bevor er ihm noch länger in den Ohren lag. Widerwillig zog er sein Smartphone aus der Mantelinnentasche und rief Roland an, der gerade aus dem Restaurant trat. „Roland, veranlassen Sie eine Handyortung von Joey Wheeler.“ „Natürlich, Master Kaiba!“, kam es sofort vom anderen Ende der Leitung und er legte auf. Sein Angestellter ging – erneut telefonierend – zum Wagen, um sie abzuholen. „Danke Kaiba. Damit werden wir ihn hoffentlich finden“, meinte Yugi, lächelte ihn kurz an und schaute zu Joeys Fahrrad. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein und Kaiba beschloss, den Kindergarten nach dem weiteren Vorgehen zu fragen. Nicht, dass er erwartete, dass sie einen Plan hatten … „Und ihr wollt ihn dann einfach befreien? Ohne zu wissen, was euch da überhaupt erwartet?“ „Na klar! Joey verlässt sich auf uns!“, erwiderte Tristan prompt und Kaiba schüttelte erneut den Kopf. Das konnte doch nicht deren Ernst sein. Unüberlegt loszustürmen konnte für alle Beteiligten nach hinten losgehen. Aber er machte sich nicht die Mühe, Taylor darüber zu belehren. Das war sinnlos. Roland fuhr mit dem Wagen vor und noch ehe Seto etwas sagen konnte, ließ Mokuba die anderen einsteigen. Na ganz toll. Musste er sie jetzt so lange ertragen, bis sie den Trottel gefunden hatten? Das konnte unmöglich Mokis Ernst sein. „Konnte das Handy bereits geortet werden?“, verlangte Kaiba zu wissen, nachdem er als letzter eingestiegen und die Tür geschlossen hatte. Die anderen schauten ihn an, als hätte er die Temperatur in dem Wagen um mindestens 30°C gesenkt und vielleicht hatten sie damit auch recht. Er hatte wichtige Termine in der Firma und keine Zeit, sich mit diesem Kinderkram hier zu beschäftigen! Nur weil Wheeler es nicht schaffte, einmal auf sich aufzupassen! „Ja, Master Kaiba. Joey Wheeler scheint sich im Hafen aufzuhalten.“ „Gut, dann bringen Sie uns dorthin. Jetzt“, befahl Kaiba mit Nachdruck und verschränkte die Arme. Wenn er Wheeler in die Finger bekam, würde er ihm erst einmal einen Vortrag darüber halten, dass er gefälligst seinem kleinen Bruder nicht so eine Angst einzujagen hatte. Sonst wäre sein nächstes Problem nicht irgendeine Entführung von Hundefängern, sondern er höchstpersönlich. Sein Handy klingelte und nach einem Blick auf das blinkende Display nahm er das Gespräch entgegen. „Ja, Yukiko, was gibt es? … Nein, ich werde es heute wohl nicht mehr in die Firma schaffen. Du kannst Kazumi in das Meeting schicken und er soll mir eine detaillierte Zusammenfassung auf den Tisch legen. Die Telefonate verschiebe bitte auf Morgen. … Was? Ja, das schaue ich mir nachher noch an. … Verstehe, auch das kläre ich nachher noch ab. … Gut, danke.“ Er legte wieder auf, nahm seinen Laptop aus der Schultasche und checkte kurz seine Emails, während Mokuba dem Kindergarten kurz erklärte, dass Yukiko seine persönliche Sekretärin war und Kazumi einer der Vize, die er hatte. Sein kleiner Bruder redete eindeutig zu viel, aber sei es drum. Hauptsache, der Köter war tatsächlich im Hafen und er konnte den Kindergarten schnell wieder los werden. Dann konnte er wenigstens zu Hause noch ein paar Dinge erledigen, denn der Zwerg würde ihn danach bestimmt nicht noch ins Büro lassen. Dabei mangelte es an Arbeit wahrlich nicht, wenn er sich seinen Posteingang so anschaute. Die Fahrt dauerte ungefähr 20 Minuten, in denen er es schaffte, die wichtigsten Emails zu beantworten und die restlichen nach Prioritäten zu sortieren, wie er sie nachher noch abarbeiten wollte. Damit war diese Zeit hier wenigstens nicht ganz vergeudet. Plötzlich klingelte sein Smartphone und Seto zog die Augenbrauen etwas zusammen, als er den Kindergarten mit Blicken erdolchte, damit sie Ruhe gaben und nahm dann das Gespräch entgegen. „Mrs. Takahashi, wie geht es Ihnen? … Ja, das habe ich erhalten. … Meine Sekretärin wird Ihnen eine Nachricht mit einem Terminvorschlag zukommen lassen. … In Ordnung. Ich freue mich auf ein persönliches Treffen, um die Details zu besprechen. Wiederhören.“ Während er eine kurze E-mail an Yukiko schrieb, seufzte er innerlich. Vielleicht sollte er den Köter auf Schadensersatz verklagen, damit er lernte, dass er auf sich selbst achten musste. Immerhin verlor er hier wertvolle Zeit, doch als er flüchtig Mokubas Blick bemerkte, verwarf er die Idee wieder. Was fand er nur an ihnen? Am Hafen angekommen, hielt Roland an den Koordinaten den Wagen an und sie stiegen alle aus, um sich umzusehen. Der Pier war noch etwas entfernt, doch er konnte das Meer hören. Um sie herum waren viele Container – offenbar waren sie nicht im touristischen Bereich des Hafens gelandet. Um sie herum wurde gearbeitet, aber niemand schien sich für sie zu interessieren. Das sollte ihm nur recht sein. Doch vom Köter fehlte weit und breit jede Spur. „Bist du sicher, dass die Angaben korrekt sind, Roland?“, wollte Mokuba unsicher wissen und dieser nickte, nachdem er die Position noch einmal abgeglichen hatte. „Auf jeden Fall, junger Master. Das sind die Daten, die die IT Abteilung geschickt haben.“ „Dann schauen wir uns hier um. Roland, gib mir die Nummer. Hoffentlich hat der Köter wenigstens sein Smartphone laut gestellt.“ Kaiba zog sein eigenes aus der Mantelinnentasche und tippte die Zahlen, die Roland ihm diktierte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er ein Freizeichen vernahm und er hielt das Handy von seinem Ohr fern. In einiger Entfernung hörte er leise Musik, obwohl die Umgebungsgeräusche vieles übertönten. Es konnte also nicht allzu weit entfernt sein. Zielsicher marschierte Seto in diese Richtung, bis er in einem schmalen Gang zwischen zwei Containern ein Smartphone fand, dass er rasch als Joeys identifizierte. Auf dem Display blinkte ihm „Reicher Pinkel“ entgegen und der Klingelton war „Iron“ von Within Temptation, wie er schnell heraushörte. Mokuba war ein Fan, daher kannte er einige der Songs. „Du wurdest zurückgelassen in der Dunkelheit, Ganz auf Dich allein gestellt So wurde eine Erinnerung wachgerufen, Die den Schmerz entfacht Du kannst es nicht leugnen, mehr gibt es nicht zu sagen Doch das ist alles, was Du brauchst, um loszulegen“, hörte er die Sängerin singen, dann legte er auf und schaute das Display einen Moment lang irritiert an. Warum hatte der Köter ausgerechnet diesen Song für ihn ausgewählt? Oder war er für alle Anrufe? Was interessierte es ihn überhaupt? Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er sich auf das Bild auf dem Sperrbildschirm konzentrierte, welches ein Foto von Serenity und ihm zeigte. Offenbar war das während des Battle City Turniers aufgenommen worden, denn er erkannte Teile des Luftschiffs im Hintergrund. Sie sahen grinsend und lachend in die Kamera und schienen glücklich zu sein, dass sie die Möglichkeit hatten, Zeit miteinander zu verbringen. Komisch, dass sie erst bei dem Turnier auftauchte und Wheeler sie vorher nie erwähnt hatte. Und mit den Informationen, die er vorhin bekommen hatte, setzte sich ein seltsames Bild von Wheelers Familie zusammen. Was war da los? Es spielte jetzt keine Rolle, doch er würde die Frage im Hinterkopf behalten. Wichtiger war jetzt, dass sie ihn fanden, doch offenbar waren die Leute, die ihn eingesammelt hatten, nicht so dumm, wie er zunächst angenommen hatte. Ohne das Handy war es weitaus schwieriger, Wheeler zu finden. Was zur Folge hatte, dass er wohl noch länger Zeit mit dem Kindergarten verbringen musste. Na toll, das kann ja nur großartig werden, schoss es ihm durch den Kopf und genervt nahm er zur Kenntnis, dass der Rest mittlerweile auch angelaufen kam. „Und? Hast du etwas gefunden, großer Bruder?“, wollte Mokuba wissen und Seto hielt ihm das Smartphone hin, welches der Kleine in die Hand nahm und inspizierte. „So kommen wir nicht weiter“, stellte Kaiba nach einem Augenblick fest und überlegte, welche Möglichkeiten ihm noch blieben. Als jüngster Milliardär und CEO eines weltweiten Firmenimperiums wäre es eine Beleidigung, wenn er den Straßenköter nicht wieder fand. Ja natürlich, das könnte auch klappen, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf, während die anderen wild durcheinanderredeten. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich überhaupt konzentrieren konnte. Genervt stellte er sich etwas abseits hin und war schon wieder dabei zu telefonieren. „Mia, prüfen Sie die Überwachungsbilder, 14:39 Uhr vor dem Burger Queen Laden auf der Hauptstraße. Dort hat ein schwarzer Wagen kurz angehalten und einen blonden Mann entführt. Ich will wissen, wo der Wagen hingefahren ist. Das hat oberste Priorität und ich dulde keine Verzögerungen.“ Kaiba legte unverzüglich nach der Anweisung wieder auf und verschränkte die Arme. Wer sollte Wheeler entführen? Was für einen Dreck sollte er am Stecken haben? Da bekam man doch nur Flöhe! Wenn man ihn entführte, konnte er das ja noch verstehen. Als Chef eines Firmenimperiums konnte man versuchen, eine Menge Kohle rauszupressen, aber Wheeler war ein armer Schlucker, der – soweit er wusste – selbst kaum über die Runden kam. Jetzt, wo sein Vater tot war, war es wahrscheinlich noch schwerer für ihn. Also was war das Motiv dafür? War er jemandem auf den Schlips getreten? Das war die einzige Möglichkeit, die ihm gerade einfiel. Im Augenwinkel nahm er wahr, wie Duke und Tristan versuchten, Tea zu trösten, während Yugi sich weiter in der Umgebung umsah und Mokuba etwas verloren in der Gegend herumstand. „Jetzt reißt euch zusammen. Entführt hin oder her, Wheeler ist keiner, der sich so leicht unterkriegen lässt. Das sollte euch allen doch bewusst sein. Es gibt also keinen Grund, hier Trübsal zu blasen. Das hilft ihm im Übrigen auch nicht weiter.“ Tristan wollte ihm gerade etwas entgegen schleudern – wahrscheinlich eine stupide, unqualifizierte Beleidigung –, als Tea ihm eine Hand auf den Unterarm legte und dann zu ihm rüber schaute. „Du hast recht. Joey wird das schaffen und wir werden ihn finden.“ „Aber was machen wir jetzt, Seto? Bis die Ergebnisse kommen, kann es noch dauern … Und hier ist außer dem Handy ja anscheinend nichts … Wir können doch nicht einfach ruhig stehen bleiben! Wer weiß, was die Typen mit Joey vorhaben!“, mischte sich Mokuba in das Gespräch ein und Seto konnte ihm nur zustimmen. Hier zu bleiben, würde sie nicht weiterbringen, aber wohin sie fahren sollten, war ihm auch nicht klar. Vielleicht war das der Moment, wo er die anderen vielleicht loswerden konnte? Nein, unwahrscheinlich … Die würden ihm so lange an den Hacken kleben bleiben, bis sie den Köter gefunden hatten. Notfalls würde Mokuba schon dafür sorgen, da war er sich sicher. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es kurz nach 16:30 Uhr war, also war die Entführung etwas über eine Stunde her. Wo war nur die Zeit hin? Und wo steckte der Köter nur? Kapitel 6: Drohung ------------------ Montag, 15.08. Die Autofahrt dauerte gut eine Stunde und kaum, dass er sich irgendwie richtig hingesetzt hatte, hatte der Schrank seine Hände gefesselt und ihm die Augen verbunden. Zwar hatte er sich gewehrt, wie er konnte, aber er hatte einsehen müssen, dass er gegen den nichts ausrichten konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, was passieren würde. Er hasste das. Hilflos zu warten und nur reagieren zu können. Das war nicht sein Ding. Er stürmte lieber selbst vor, und beobachtete die Reaktionen auf seine eigenen Handlungen. Andersherum verunsicherte ihn und das war etwas, was er gar nicht leiden konnte. Irgendwann – gefühlt war die Fahrt sehr lang gewesen – waren sie anscheinend in eine Tiefgarage gefahren und der Mann zog ihn grob aus dem Auto heraus, kaum dass sie angehalten hatten. Man nahm ihm die Augenbinde wieder ab und er schaute sich kurz blinzelnd um. Tatsächlich war es eine große Tiefgarage, in dem aber nur ein paar vereinzelte Wagen parkten. Da es sonst keine Hinweise auf den Ort gab, wunderte sich der Blonde auch nicht mehr, warum man ihm jetzt schon die Augenbinde abgenommen hatte. Die Hände befreiten sie ihm natürlich nicht, das wäre auch zu schön gewesen. „Was soll die Scheiße, verdammt!? Ihr solltet euch dringend bessere Manieren aneignen!“, pöbelte Joey weiter, als die beiden Männer – der Fahrer war nur etwas kleiner als der Schrank, sah aber auch nicht intelligenter aus – ihn zu einem Aufzug zogen, dessen Türen sich gerade öffneten. Das grelle Licht ließ ihn die Augen zusammenkneifen, da sich seine Augen noch nicht wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten. Die Tiefgarage hatte auch nur eine dämmrige Beleuchtung, warum auch immer die nicht richtig ausgeleuchtet wurde. Als sich seine Augen halbwegs wieder an die Verhältnisse gewöhnt hatten, sah er, dass sie in den obersten, den 21ten, Stock fuhren, mehr gab es nicht. Ungeduldig stand der Blonde da, eingerahmt von zwei Schränken, die er nie und nimmer außer Gefecht setzen konnte. So sehr er sich das auch wünschte. Also musste er warten. Sinnlos eine Prügelei anzufangen, würde ihn hier nicht weiterbringen. Das sah er ausnahmsweise ein. Die anderen würden ihn hier jedenfalls auch nicht finden. Immerhin hatte einer der Affen seine Tasche durchwühlt und das Handy aus dem Fenster geworfen, das hatte er gehört. Dafür brauchte er keine Augen. Wahrscheinlich würde er das nie wieder sehen. Gott sei Dank hatte er seine Fotos gerade erst vor ein paar Tagen auf seinen Laptop kopiert, der Rest war nicht weiter schlimm. Abgesehen davon, dass er sich ein neues wahrscheinlich erst in ein paar Monaten leisten könnte, wenn er fleißig sparte. Aber sei es drum. Viel wichtiger war, dass er sich jetzt darum kümmerte, wieder heil aus der Sache hier herauszukommen. In seine Gedanken versunken bemerkte er nicht, dass sie bereits oben angekommen waren und einer der Männer schubste ihn unsanft aus dem Aufzug in ein riesiges Wohnzimmer mit einer Fensterfront vor und links neben ihm. So ungefähr stellte er sich auch Kaibas Büro in der Kaiba Corporation vor … Nur dass das hier mehr nach Privaträumen als nach Büro aussah. Rechts von ihm war eine große Sofagruppe aufgebaut und mit dem Rücken zu ihm saß dort jemand. Wahrscheinlich der Boss, zu dem ihn die Affen gebracht hatten. „Boss? Wir haben den Jungen“, sagte auch schon einer von ihnen und die Gestalt winkte ihn einfach zu sich, ohne einen Ton von sich zu geben oder sich umzudrehen. Bevor die Typen ihn wieder schubsen konnten, setzte er sich freiwillig in Bewegung und schritt langsam an das Sofa heran. Dort saß ein relativ junger Japaner in einem sündhaft teuer aussehenden Anzug mit einem Glas Rotwein. Joey schätzte ihn auf Anfang 30 und sein erster Gedanke war, dass er Kaibas Lehrmeister sein musste, so kalt, wie seine Ausstrahlung war. „Setz dich“, forderte er mit einem feinen Lächeln und schob ihm ein Glas Wein rüber. „Befreit ihn von seinen Fesseln. Sonst kann er ja gar nicht trinken“, fuhr der Typ ungerührt fort und sofort kam der gehende Schrank und schnitt mit einem Klappmesser die Fesseln durch. Automatisch rieb sich Joey die schmerzenden Handgelenke, rührte das Glas volle Glas aber nicht an. Nicht, dass er Wein nicht mochte, doch er würde von so einem Arsch sicher nichts annehmen. Da konnte der lange warten. „Keinen Durst? Nun, dann nicht. Du weißt, warum du hier bist?“, fragte der Mann nach ein paar Sekunden mit dem gleichen Lächeln und Joey gefror das Blut in den Adern. Zugegeben hatte der Blonde angenommen, dass er mit kaltherzigen Menschen ganz gut zurechtkam, da er einen Eisschrank in der Klasse hatte, aber das hier war ein ganz anderes Level. Viel unheimlicher. „Ja. Sie wollen, dass ich die Schulden meines Vaters, die er bei euch gemacht hat, begleiche …“, antwortete Joey langsam und das Lächeln des Mannes wurde etwas breiter. „Korrekt. Wie gedenkst du, mir die 350.000 Dollar zu beschaffen?“ 350.000!? Das war ja wohl ein schlechter Scherz! Er hatte nie gewusst, wie hoch die Schulden exakt gewesen waren, aber er war von einem 5-stelligen Betrag ausgegangen, was schon schlimm genug gewesen wäre. Aber so viel!? Das konnte er doch nie im Leben abbezahlen … „Indem ich sehr viel arbeite“, erwiderte Joey dennoch trotzig. Es war wie ein Reflex. Er konnte nicht klein beigeben, egal wie sein Gegenüber hieß oder aus welchem Eisschrank er auch ausgestiegen sein mochte. Das war einfach nicht in seinen Genen vorgesehen. „Sehr gut. Die Einstellung gefällt mir. Damit ich auch sicher sein kann, dass du das tun wirst, habe ich einen Job für dich ausgesucht. Du wirst in einem meiner Clubs als Barkeeper arbeiten.“ „Es ist ja wohl egal, wo ich arbeite, solange ich regelmäßig Geld überweise, oder? Ich würde das gern selbst entscheiden“, verteidigte sich Joey störrisch und bekam eine Gänsehaut, als der Mann ihn mit seinen dunklen Augen musterte. Das gefiel ihm nicht, überhaupt gar nicht. Aber er ließ sich einfach nicht gern diktieren, was er wann und wo und wie zu tun und zu lassen hatte. Das war wie eine Allergie. „Also schön. Ich erwarte an jedem ersten Geld von dir und es muss mindestens im dreistelligen Bereich sein – in Dollar versteht sich. Ich bin ja kein Unmensch. Und um dir klarzumachen, wie wichtig es ist, dass du dich an die Abmachung hältst, geben dir meine Bodyguards eine kurze Einführung, was passiert, wenn du es nicht tust“, verkündete der Mann und seine beiden Affen näherten sich dem Sofa. Shit! Shit! Shit!, schoss es Joey durch den Kopf, denn es war absolut klar, dass sie ihm eine Abreibung verpassen wollten, doch er konnte sich dem hier auch nicht entziehen, wie er mit hektischen Blicken feststellte. Er saß in der Falle! „Wie heißen Sie überhaupt?“, versuchte Joey das Gespräch wieder aufzunehmen, während er bereits aufstand und hinter das Sofa sprang, die Augen stur auf die beiden Paviane gerichtet. „Du kannst mich Shinichi nennen, Joey.“ Während der Mann noch einen Schluck seines wahrscheinlich beinahe unbezahlbaren Weines trank, hatten die beiden Männer ihn eingekreist und der Blondschopf machte sich für einen Kampf bereit. Es gelang ihm, ein paar Schläge auszuteilen, doch am Ende musste er einsehen, dass er keine Chance hatte. Geschickt, wie sie leider waren, hatten sie darauf geachtet, dass sein Gesicht unversehrt blieb, damit man nicht sofort merkte, dass er verletzt war. Immerhin würde das beim Arbeiten nur hinderlich sein. Dreckige Schweine! Da sein Vater tot war, hatte er sich in den Ferien sowieso einen Job gesucht, damit er sich seinen Unterhalt selbst verdienen konnte. Das Jugendamt hatte dem auch widerwillig zugestimmt, allerdings würde einmal im Monat ein Betreuer vorbeischauen, um sicherzugehen, dass er auch alles bewältigen konnte. Gott, wenn der ihn so sah, war er ruckzuck im Heim unter Aufsicht. Der Gedanken ängstigte Joey, als er zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Verzweifelt biss er sich auf die Unterlippe. Nein, er würde das schon hinkriegen. Er hatte seinen besoffenen und prügelnden Vater überstanden, dagegen war das hier ein Klacks. Es waren schließlich Fremde, die ihn hier verprügelten und keine Verwandten. Also würde er das auch hinkriegen und dem Jugendamt würde er auch beweisen, dass er allein klarkam. Alles kein Problem. „Das reicht. Ich denke, unser junger Freund hat die Warnung verstanden“, sagte Shinichi irgendwann und erhob sich elegant vom Sofa. Er ging vor ihm in die Hocke und drehte seinen Kopf in seine Richtung, sodass er gezwungen war, ihn anzusehen. „Jeden Monat mehr als 100 $, sonst sehen wir uns ganz schnell wieder und dann wird auch dein süßes Gesicht dran glauben müssen. Klar?“ „Wichser“, spuckte Joey ihm entgegen und der Anzugträger verschwand kalt lächelnd wieder aus seinem Blickfeld. Die Typen zogen ihn auf die Beine, verbanden ihm die Handgelenke und brachten ihn in den Aufzug. Da die Affen auch seine Arme malträtiert hatten, versuchte er erst gar nicht, irgendwie zu bewegen. Alles wäreunendlich schmerzhaft in diesem Moment. Viel mehr konzentrierte er sich darauf, sich gedanklich von den Schmerzen abzulenken, damit die nicht so schlimm blieben. Jeder einzelne Muskel unterhalb des Halses schien ihm zu schmerzen, ebenso wie das Stehen, das Atmen und der Griff der beiden Typen. Sein Kreislauf war jetzt auch nicht gerade auf der Höhe und er keuchte gequält, als die Typen ihn unsanft in das Auto schubsten. Dort lösten sie die Handfesseln wieder, weil sie wahrscheinlich merkten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging. Er schmeckte Blut in seinem Mund und alarmiert befühlte er seine Lippen und die Innenseite. Aber da war nichts. Bedeutete das etwa, dass das Blut aus seinem Inneren kam und nicht nur aus seiner Mundhöhle!? Leichte Panik setzte sich wie ein Geschwür in seinem Inneren fest, doch er zwang sich dazu, die Ruhe zu bewahren. Es gab nichts, was er jetzt tun konnte, um seine Situation zu verbessern. Nach einer dieses Mal deutlich kürzeren Autofahrt schmissen sie ihn an einer Ecke raus. Verloren lag er orientierungslos mit seiner Schultasche und starken Schmerzen da und wusste nicht, wo er war. Er hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt – es gab nichts Besonderes, was ihm weiterhalf – oder wie er hier wegkam. Und er musste dringend zu einem Arzt … Das Blut in seinem Mund bereitete ihm große Sorgen, denn er hatte keine Wunde im Mund gefunden. Als er den leicht verschwommenen Blick schweifen ließ, entdeckte er etwas weiter eine Telefonzelle und ihm kam ein Gedanke. Mit neuer Kraft rappelte er sich vor Schmerzen keuchend irgendwie auf die Beine und taumelte dahin. Mit zittrigen Händen durchsuchte er seine Hosentaschen und sein aufgeregtes Herz machte einen kleinen Hüpfer vor Freude, als seine Finger das warme Metall von Münzen spürten. Zum Glück hatte er die vorhin beim Burger essen nur achtlos reingestopft. Mit dem Kleingeld wählte er eine Rufnummer und lehnte sich erschöpft gegen die kalte Glaswand, die sein geschundener Körper als sehr angenehm empfand. Die Typen hatten ihn echt ordentlich in die Mangel genommen. Da wollte er sich nicht vorstellen, wie es nächstes Mal laufen würde, sollte er eine Rate nicht bezahlen. Es dauerte nur ein Freizeichen, da nahm bereits Kaiba ab und stellte sich nur knapp mit seinem Nachnamen vor. Noch nie war er so froh, diesen Eisklotz zu hören. Da er bei den letzten Duel Monsters Turnieren mit seinen Freunden immer wieder in große Scheiße geraten war, hatte er sich wichtige Handynummern vorsichtshalber eingeprägt und da der reiche Pinkel nun mal über viele Ressourcen verfügte, hatte er auch diese auswendig gelernt. Wer hätte gedacht, dass ihm das wirklich mal zugutekam? „Hier der Köter … Die anderen sind doch bestimmt bei dir, oder?“, fragte er keuchend und hustete leicht. Scharf sog er die Luft ein. Anscheinend hatten die beiden Gorillas seine Rippen übel erwischt. Hoffentlich war nicht seine Lunge betroffen. „Wheeler. Wo steckst du?“, verlangte der Brünette genervt zu wissen, doch Joey konnte ihm die Frage beim besten Willen nicht beantworten, da er noch nie in diesem Teil von Domino – war da süberhaupt noch Domino? – gewesen war. „Keine Ahnung … Kannst du … Telefonzelle … tracken?“ Er war schon lange nicht mehr so in die Mangel genommen worden, dass ihm das Sprechen so schwerfiel und er musste sich ordentlich zusammenreißen, damit er nicht einfach bewusstlos zu Boden ging und liegen blieb. Nein, er musste jetzt durchhalten. Die anderen würden ihn bestimmt zu einem Arzt bringen können und am nächsten Tag war schließlich wieder Schule. Er konnte ja nicht gleich am zweiten Tag fehlen. Im Hintergrund hörte er Kaiba Roland Anweisungen geben und die anderen redeten wild auf ihn ein, bis Seto ihnen allen das Wort abschnitt und sich wieder dem Telefonat zuwandte. „Wir brauchen eine halbe Stunde zu dir. Du bleibst, wo du bist. Und wehe, du lässt dich nochmal entführen“, drohte Kaiba mit kalter Stimme und legte unvermittelt auf, ehe er reagieren konnte. Joey nuschelte etwas Unverständliches und hängte zitternd den Hörer wieder ein. Da kaum Menschen auf der Straße waren, beschloss er in der Zelle zu bleiben, da es recht windig draußen war und ließ sich nun doch an der Wand herunterrutschen. Nur kurz etwas ausruhen … Kapitel 7: Rettung ------------------ Montag, 15.08. Der Brünette hatte die anderen nach dem knappen Telefonat mit Wheeler zum Schweigen verdonnert, da er von der Kindergartentruppe mittlerweile wieder Migräne bekam und wenn er die Promenadenmischung gleich in die Finger bekam, würde er sich diese mal ordentlich vornehmen. Wo kam man denn dahin, dass man für den Köter durch dreiviertel der Stadt fuhr – und das zum größten Teil auch noch umsonst, weil die Verfolgung des Wagens per Überwachungskameras nicht viel ergeben hatte –, während er eigentlich in seinem Büro sitzen und arbeiten sollte? Es war ja nicht so, dass er nichts zu tun hatte. Um diesen Zeitverlust wieder einzuholen, würde er wieder am Sonntag arbeiten müssen, was wiederum zu Verstimmungen bei Mokuba führte. Und das alles nur, weil das Köterchen kein Herrchen hatte, das ihn an die Leine nahm. Genervt massierte er sich die Schläfen und nachdem Mokuba mit gedämpfter Stimme den anderen erklärt hatte, dass das ein klares Migräneanzeichen war, sprachen sie nur noch leise miteinander, was er wohlwollend zur Kenntnis nahm. Es ging doch. Warum nicht gleich so? Kurze Zeit später hielt der Wagen am Straßenrand und noch bevor Seto aussteigen konnte, hatte sich Mokuba bereits an ihm vorbeigedrängelt und die anderen waren auf der anderen Seite ausgestiegen. Seto blieb noch zwei Sekunden sitzen und atmete tief durch, damit er keinen Wutanfall bekam, denn das würde nur unnötige Scherereien nach sich ziehen und stieg dann aus. Was er allerdings zu sehen bekam, ließ sogar ihn kurzzeitig das Herz in die Hose rutschen. Der Blonde lag in der Telefonzelle, die Augen geschlossen und den Kopf zur Seite gekippt. Es sah so aus, als wäre er … „Nein! Joey! Sag doch was! Joey!“, riefen die anderen und rannten zu ihm. Auch Kaiba lief reflexartig los – warum überhaupt!? – und wandte sich dabei an Roland: „Rufen Sie unseren Arzt! Er soll sofort in die Villa fahren!“ „Jawohl Master Kaiba!“ Die anderen schienen recht unentschlossen, was sie tun sollten und so war es Kaiba, der seinen Mantel auf den Boden legte und Mokuba und Tea anwies, aufzupassen, dass er bei dem Wind nicht wegflog. Umsichtig betrat er die kleine Zelle, um nicht aus Versehen auf Joey zu treten, während Yugi die Tür aufhielt. Tristan stand neben ihm, bereit zu helfen. Vorsichtig hob er den leblosen, überraschend dünnen Körper hoch, trug ihn vorsichtig heraus und legte ihn behutsam auf dem Mantel ab. Er horchte an seinem Mund und war erleichtert, als er einen leichten Atem wahrnahm. Tot war er immerhin noch nicht und das würde er zu verhindern wissen, da ihm sonst alle, natürlich insbesondere Mokuba, auf die Nerven gehen würden. Und wen sollte er dann das restliche Schuljahr lang aufziehen? Kurz schob er das T-Shirt hoch und erstarrte, als er die Blutergüsse sah, die sich langsam in dunklen Farben auf dem Oberkörper abzeichneten. Auch mehrere Narben konnte er entdecken, die nicht nach Operationsnarben aussahen. Sogar einen Schuhabdruck konnte Kaiba erkennen. Was waren das für Narben? Wo war er da nur rein geraten? Er zog das T-Shirt wieder runter, da er nichts weiter tun konnte und nahm den Körper wieder hoch, um ihn ins Auto zu legen. „Er ist bewusstlos, aber nicht tot. Wir bringen ihn zu einem Arzt. Ich lasse euch einen anderen Wagen kommen, der euch nach Hause fährt. Mokuba wird sich melden, was mit Wheeler ist“, informierte er die anderen und ignorierte deren Gemecker. Dafür hatten sie jetzt keine Zeit. Da sie den Blonden hinlegen mussten, war für die anderen nun mal nicht genug Platz im Wagen. Yugi und Tea schienen das zu begreifen und beruhigten Tristan. Sie bedankten sich bei ihm, doch er nickte nur abwesend. Was genau hatten sie gesagt? Es war egal. Mokuba kam mit seinem Mantel hinterher und mit einem Ohr hörte er, wie der Kurze Roland instruierte, einen weiteren Wagen zu organisieren, der die anderen nach Hause fuhr. Seto nahm den Mantel, als der Kleine eingestiegen war und legte diesen vorsichtig auf Joey. Der Blondschopf durfte nicht auskühlen, das war das wichtigste. „Seto, was glaubst du, ist passiert?“ „Ich habe keine Ahnung, Mokuba. Aber wir werden es herausfinden.“ Den Rest der Fahrt herrschte Schweigen, bis sie zu Hause ankamen und Kaiba trug den Blonden vorsichtig rein. Er hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass die Flohschleuder einmal seine Villa von innen sehen würde, doch in so einer Situation konnte nicht einmal er ihn einfach liegen lassen. Und da er nun einmal die beste ärztliche Versorgung bieten konnte, würde er sie ihm auch zu teil werden lassen. Feindschaft hin oder her, deswegen würde er ihn nicht so schwer verletzt zurücklassen. Auch wenn er wusste, dass Joey sehr sportlich war – er konnte das immer wieder im Sportunterricht beobachten – und daher auch ziemlich muskulös, war er erstaunt, was für einen schmalen Körper er nach oben in eins der Gästezimmer trug. Und er war relativ leicht für so viel Muskelmasse. Seto hatte kaum Mühe, ihn zu tragen. Im Gästezimmer angekommen, legte er ihn auf das große Doppelbett und zog ihm das Oberteil und die Hose aus, damit der Doc ihn in Ruhe untersuchen konnte. Wieder fiel sein Blick auf den geschundenen Körper. Die blauen Flecken waren unterschiedlich gefärbt, also einige schon etwas älter. Also hatte er sich kurz zuvor schon einmal geprügelt? Oder lag der Tod des Vaters noch nicht allzu lang zurück? Da das Verhältnis nicht gut gewesen war, könnte es doch sein, dass …? Nein, er machte sich da zu viele Gedanken drum. Sobald Wheeler wieder auf den Beinen war, würde er ihn rausschmeißen und dann war diese Geschichte abgeschlossen. Ende. Aus. Kaum, dass er den Blondschopf zugedeckt hatte, kam Mokuba auch schon mit dem Arzt an der Hand hereingelaufen und Seto entfernte sich vom Bett. Er legte die Hände auf Mokubas Schultern, damit dieser den Arzt in Ruhe seine Untersuchungen durchführen ließ. So standen sie mit Abstand am Fußende und beobachteten ihren Hausarzt dabei, wie er verschiedene Untersuchungen vornahm. Es dauerte einige Minuten und Joey gab ab und zu schmerzende Laute von sich, jedoch ohne aufzuwachen, bis sich der Doktor zu ihnen umdrehte und erklärte: „Der junge Mann hat mehrere Prellungen und drei Rippen sind gebrochen, aber glücklicherweise haben sie keine Organe verletzt. Er braucht dringend Ruhe und ich habe noch Schmerztabletten, die er nehmen kann. Für morgen nicht mehr als 2 Stück morgens, 2 mittags und 2 abends, ab übermorgen nur noch eine pro Mahlzeit. Er sollte auch dringend für mindestens drei Tage zu Hause bleiben und sich ausgiebig schonen.“ „Vielen Dank, Doktor. Geben Sie mir bitte die Tabletten, dann kümmere ich mich darum, dass er sie nimmt“, bat Kaiba und der Hausarzt reichte ihm eine Medikamentenverpackung. Dann verabschiedete er ihn und Mokuba setzte sich zu Joey ans Bett. „Ich geh noch etwas arbeiten, kleiner Bruder. Sag mir bitte Bescheid, wenn Wheeler aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, ja?“ „Ist gut, Seto. Mach ich“, stimmte der Kurze zu und Kaiba ging aus dem Raum. Er schloss die Tür leise und seufzte. Heute Morgen noch war sein größtes Problem der Beginn des neuen Schuljahres gewesen und jetzt? Hatte er eine verprügelte Promenadenmischung in seinem Gästezimmer liegen und keine Ahnung, in was für Dinge er sich da verstrickt hatte. So wie er aussah, war es keine Kleinigkeit und Mokuba würde sicherlich alle Hebel in Bewegung setzen, um dem Blonden zu helfen. Er hatte keine Wahl. Obwohl Seto es nun wollte oder nicht, doch er musste mehr darüber in Erfahrung bringen, bevor nachher noch sein kleiner Bruder ungewollt in die Sache hineingezogen wurde. Das würde er um jeden Preis verhindern. Und sollte Mia irgendwelche komischen Andeutungen machen, weshalb er sich für Wheelers Angelegenheiten interessierte, würde er sie feuern und jemand anderen suchen. Schnellen Schrittes marschierte er in sein Büro ein paar Zimmer weiter und fuhr seinen Laptop hoch. Ein Blick auf sein Smartphone und eine eingegangene SMS verriet ihm, dass Thomas die anderen zu Hause abgeliefert hatte. Außerdem hatte er 25 Nachrichten in einer ihm unbekannten WhatsApp Gruppe und nach einem kurzen Öffnen wusste er, dass es der Kindergarten gewesen war, der diese kurzfristig ins Leben gerufen hatte, kaum dass sie anscheinend zu Hause ihre Handys genommen hatten. Seufzend schrieb Kaiba knapp hinein, dass Wheeler mehrere Prellungen und drei gebrochene Rippen hatte und den Rest der Woche nicht in der Schule erscheinen würde. Dann schaltete er die Gruppe auf stumm und begann seine Emails zu lesen – genau genommen nur die, die sich mit den Ereignissen heute beschäftigten. Die Verfolgung des schwarzen Wagens, der Wheeler mitgenommen hatte, hatte keine brauchbaren Ergebnisse zutage befördert, wie Mia zusammenfassend in einer Email schrieb. Dazu hatte sie noch ihre konkreten Ergebnissen als Anhang dazu geschickt und auch er konnte nichts Auffälliges entdecken. In kleinen Nebenstraßen waren sie verschwunden und hatten sich absetzen können. Die Gegend war noch gute 10 Kilometer von dem Ort entfernt gewesen, wo sie Wheeler gefunden hatten. Die Typen waren also Profis. So viel war sicher. Er antwortete auf die Nachricht mit der Anweisung, nach weiteren Hinweisen über diese Typen zu suchen und beendete das Thema danach vorerst. Doch nun musste er dringend noch ein paar Dinge für die Firma erledigen, denn es hatte sich einiges an Arbeit angesammelt. Sein Posteingang quillte erneut über und so konzentrierte er sich auf seine Arbeit. Firmenchef blieb man eben nicht, indem man pünktlich Feierabend machte oder viel Freizeit hatte. Wheeler konnte froh sein, wenn er ihm das hier nicht in Rechnung stellte. Kapitel 8: Unbekannte Umgebung ------------------------------ Montag, 15.08. Es war alles schwarz um ihn herum. Frei von Schmerzen oder anderen negativen Gefühlen schwebte Joey endlos durch das Nichts und fragte sich fast panisch, wo er war. War das hier das Jenseits? Hatten die Affen so eine beschissene Stelle erwischt, dass er auf dem Weg in die Hölle war? Denn da kam er definitiv hin, wenn er sich seinen bisherigen Werdegang so ansah. War das das Ende? Fühlte sich das so an? Würde er gleich noch einen Streifen seines Lebens sehen und dann war Schluss? Eine ganze Weile lang war er in dieser Finsternis, konnte nichts um sich herum sehen und die Panik ließ allmählich nach. Wenn der Film so lange so lange auf sich warten ließ, war das doch ein gutes Zeichen, oder? Dann hätte er noch eine Chance, wieder aufzuwachen und sein Leben weiter in Angriff zu nehmen. Schließlich gab es noch so viele Dinge, die er tun und erleben wollte! Sowieso würde er bestimmt 100 Jahre alt werden und dann mit Yugi, Tea und Tristan in Rollstühlen auf einer Veranda sitzen und die Duelle ganz einfach auf einem Tisch spielen und gemeinsam lachen. Das wünschte er sich für seine letzten Tage und die waren noch mindestens 80 Jahre entfernt! Irgendwann fing er an, sich zu langweilen, als er plötzlich an seiner linken Hand eine angenehme Wärme spürte. Interessiert schaute er seine Hand an, konnte aber nichts entdecken, doch je länger er das tat, desto mehr veränderte sich seine Umgebung. Irritiert blinzelte Joey vorsichtig, da irgendwo in der Nähe eine Lichtquelle war und versuchte sich zu orientieren, als ein schwarzer Struwwelkopf auf einmal in seinem Blickfeld auftauchte. „Mo … kuba?“, krächzte er und erschrak, als er seine eigene Stimme hörte. Warum war sie so schwach? Wo war er überhaupt? Was war passiert, nachdem er den reichen Pinkel angerufen hatte? Wieso war der kleine Kaiba bei ihm? Waren die anderen gar nicht da? „Joey, du bist wach!“, rief er viel zu laut, sodass dem Blonden die Ohren klingeln und Joey bemerkte, dass der Kurze es gewesen war, der seine Hand gehalten hatte. Mit einem wahrscheinlich leicht gequälten Lächeln versuchte er ihn zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen. Stück für Stück dämmerte ihm langsam, wo er war. Vorsichtig schaute er nach rechts und links und da die Wohnung, in der er derzeit wohnte, kleiner schien als dieses Zimmer hier, - und es definitiv kein Krankenhauszimmer war – konnte das nur eins bedeuten. Er war in der Kaibavilla gelandet. Das hatte bestimmt Mokuba zu verantworten. Ein Seto Kaiba wollte sicherlich keinen Haushund haben, so wie er ihn einschätzte. Er versuchte sich etwas aufzusetzen, als ein stechender Schmerz durch seinen Körper fuhr und ein schmerzvolles Keuchen entwich seinen Lippen. „Hast du große Schmerzen, Joey? Der Doctor hat dir extra Schmerztabletten hier gelassen … Hier, warte. Du darfst zwei Stück nehmen, zusammen mit einem Glas Wasser und einer Scheibe Toast mit Butter.“ Mokuba reichte ihm die Tabletten und das Glas Wasser vorsichtig und Joey nahm es dankbar an und schluckte die Tabletten mithilfe des Wassers hinunter. Und auch die Scheibe Toast aß er langsam, da sein Magen schon dabei war zu rebellieren. „Ich sage kurz Seto Bescheid, dass du wach bist, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten und er hätte ihn gern davon abgehalten, damit er sich weiter ausruhen konnte, lief der Kleine schon raus und Joey seufzte. Auf den Eisschrank hatte er jetzt so gar keine Lust. Viel lieber wollte er noch etwas schlafen. Vielleicht konnte er ja so tun, als wäre er wieder eingepennt? Es dauerte allerdings nur kurz, da wurde die Tür erneut geöffnet und Kaiba betrat – ungewohnt in Jeans und T-Shirt – den Raum. Allein und in Freizeitkleidung, wie Joey sofort zur Kenntnis nahm. Der Mann besaß solche Kleidung? Die Erkenntnis schockte ihn und doch ließ es ihn innerlich grinsen. Beruhigend, dass sogar der CEO menschliche Schwächen wie Freizeitkleidung zu haben schien. „Wie geht es dir, Wheeler?“ „Bestens. Ich könnte Bäume ausreißen“, erwiderte Joey trocken und bemerkte, wie Kaiba mit den Augen rollte. Was erwartete er denn? Blöde Frage, blöde Antwort. „Dann kann ich dich ja beruhigt nach Hause schicken“, stellte der Brünette fest und blieb wie ein Arzt vor dem Fußende des Bettes stehen und legte die Hände auf das Fußteil des Gestells. „Ich bitte sogar darum“, stimmte Joey zu und machte einen zweiten Versuch, sich vorsichtig aufzusetzen. Die Schmerztabletten wirkten zwar noch nicht, doch er wollte sich vor Kaiba nicht die Blöße geben, zu zeigen, dass er Schmerzen hatte. Das konnte der reiche Pinkel vergessen. Also hielt er es aus und blieb in einer sitzenden Position, lehnte den Rücken aber an das Kopfende, weil er sich allein sitzen noch nicht wieder zutraute. „Liegen bleiben, verdammt. Der Arzt hat dir mindestens drei Tage Bettruhe verordnet und die wirst du auch einhalten.“ „Vergiss es. Ich gehe jetzt nach Hause und werde mich da ordentlich ausschlafen und morgen bin ich wieder fit. Ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich verprügelt wurde“, entgegnete Joey etwas zu schnell und zischte kurz. Verdammt, das letzte hatte er nicht laut aussprechen wollen. Das ging Kaiba alles gar nichts an. Hoffentlich interpretierte er da nur die Schulprügeleien rein. „Das hat man gesehen. Nicht viele Leute in deinem Alter haben so viele Narben aufzuweisen. Die waren nicht nur von deinen früheren Prügeleien, oder?“, wollte Kaiba mit neutraler Stimme wissen und Joey riss die Augen auf. Das ging den Eisschrank ja wohl gar nichts an! Das schleuderte er ihm auch gleich um die Ohren: „Das geht dich einen Scheißdreck an, Kaiba. Würdest du mir also bitte meine Kleidung geben, damit ich mich anziehen kann?“ Seto verschränkte die Arme und musterte ihn einen Augenblick schweigend mit seinen eiskalten, stechenden Augen, was Joey unruhig werden ließ. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich über die Arme zu reiben, da ihm kalt wurde, doch er verkniff es sich. Der Brünette wirkte schon wieder so genervt und immerhin hatte er ihm auf Mokubas Bitten hin geholfen, da wollte er schon dankbar sein. Nach einer kurzen Pause meldete sich der CEO zu Wort und antwortete: „Nein. Das Hausmädchen hat sie mitgenommen, um sie zu waschen. Du wirst also wohl oder übel hierbleiben müssen. … Also, in was bist du da rein geraten, Wheeler?“ „Nur eine alte Rechnung von früher, die jetzt beglichen ist.“ „Natürlich.“ Kaibas Stimme triefte vor Spott und Joey schnaubte, doch der Brünette führte ungerührt dort: „Wer soll dir das glauben, Köter? Die Typen, die dich entführt haben, waren Profis. Also wer sind die?“ „Verdammt Kaiba, was soll das hier werden? Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig! Ich danke dir für deine Hilfe und dass ein Arzt mich untersucht hat, aber alles Weitere ist meine Sache. Du interessierst dich doch sonst auch nie für meine Privatangelegenheiten und ich würde es sehr begrüßen, wenn das auch so bliebe.“ Anscheinend hatte er es geschafft, den Brünetten irgendwie mit seiner Ansage zu ärgern, denn er kam um das Bett herum und drückte ihn unsanft an den Schultern zurück in dieses verdammt weiche und gemütliche Bett. Mit seinen eisblauen Augen schaute er direkt in seine und sagte: „Hör mir gut zu, Wheeler. Es ist mir egal, was du in deiner Freizeit machst, aber Mokuba hat diese unsägliche Angewohnheit, sich um euch Sorgen zu machen und ich lasse nicht zu, dass es ihm wegen dir schlecht geht. Also regel deine Angelegenheiten gefälligst so, dass er es nicht mitbekommt oder ich werde mich das nächste Mal einmischen, verstanden?“ „Ihr solltet nie von der ganzen Sache erfahren, verdammt! Das ist meine Privatangelegenheit!“ „Dann sorge dafür, dass das auch so bleibt.“ Noch immer hielten sie den Blickkontakt aufrecht und ihm wurde immer kälter. Spürte er da gerade sogar eine Gänsehaut? Schnell schlüpfte er bis zum Hals unter die Bettdecke, da er eingesehen hatte, dass er ohne Klamotten hier nicht weg kam. Schlauer Schachzug von Kaiba, das musste er ihm leider zugestehen. „Okay, machen wir einen Deal. Ich ängstige Mokuba nicht weiter – was ich nie vorhatte, da ich den Kleinen mag – und dafür kann ich morgen zur Schule!“ „Du nervst, Wheeler.“ „Du Gott sei Dank nie“, erwiderte Joey trocken und Kaiba ließ wieder von ihm ab. Er machte Anstalten, das Zimmer wieder zu verlassen, doch so einfach war das nicht. Er konnte jetzt nicht abhauen und ihn so vor vollendete Tatsachen stellen! Das ließ ein Joey Wheeler nicht mit sich machen! „Ich werde morgen in die Schule gehen, damit das klar ist, du Eisklotz!“, stellte er genervt klar und Kaiba drehte sich an der Tür noch einmal zu ihm um. „Frühstück ist um 6:30 Uhr. Deine Schultasche steht neben dem Bett.“ Das war alles, dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich. Warum war eigentlich jede Unterhaltung mit ihm immer so ein Kampf? Das war wirklich nervig … Aber nun gut, er war als Gewinner hervorgegangen, also wollte er sich jetzt nicht beschweren. Die Wirkung des Schmerzmittels setzte endlich ein und Joeys Muskeln entspannten sich etwas. Das Bett war wirklich unglaublich weich und bequem und viel angenehmer als seins zu Hause, dennoch konnte er es kaum abwarten, wieder dort zu schlafen. Wobei das nicht ganz richtig war. Er freute sich drauf, in seinem Bett in seiner neuen Wohnung zu schlafen. In zwei Monaten war der Umzug, dann konnte er seine Vergangenheit hinter sich lassen. All die schrecklichen Nächte, in denen er sich in den Schlaf geweint hatte. Wo er vor Schmerzen kaum gehen konnte, weil sein Vater ihn so geprügelt hatte. Und dennoch … Er hatte eine kleine Schachtel, mit Sachen von seinem Vater, vorbereitet, die er behalten wollte. Das meiste andere würde er versuchen zu verkaufen oder wenn das nicht ging, dann wegschmeißen - bis auf diese paar Erinnerungsstücke, die er mitnehmen würde. Alles andere hatte sich falsch angefühlt, als er in den Ferien bereits angefangen hatte, auszumisten. Und es war auch nicht alles grundsätzlich scheiße gewesen. Wenn nur nicht der Alkohol gewesen wäre … Joey zuckte erschrocken zusammen, als es an der Tür klopfte, hatte er sich doch in ein paar Erinnerungen verheddert. Die plötzliche Bewegung schickte Schmerzen durch seinen gesamten Körper und er keuchte auf, brauchte eine Sekunde, um sich zu beruhigen. Verdammt, was war denn jetzt noch? „Mr. Wheeler? Darf ich eintreten?“ „Ja herein!“, rief er und im nächsten Augenblick betrat eine junge Frau im Hausmädchen Outfit den Raum. In den Händen hatte sie ein Tablett mit Essen und Trinken darauf und ging zielstrebig zu seinem Bett. „Master Kaiba wies mich an, Ihnen das Abendessen zu bringen. Brötchen mit Salami ist Ihnen recht? Zusammen mit einem Glas Saft? Oder darf ich Ihnen etwas anderes servieren?“, fragte sie freundlich und stellte das Tablett auf dem Bett auf Höhe seiner Hüfte ab. Es war diese praktische Art Tablett mit Füßen, dank denen man stundenlang liegen blieben konnte. „Nein, nein! Das ist alles perfekt so, danke“, erwiderte er mit einem Lächeln und mit einem Lächeln wollte sie bereits wieder rausgehen, als er sich noch einmal an sie wandte: „Könnten Sie mir bitte noch meine Schultasche auf das Bett legen? Ich möchte gleich noch meine Hausaufgaben machen. Es wäre auch nett, wenn ich dafür noch das Tablett eine Weile behalten könnte …“ „Ja natürlich, kein Problem. Soll ich auch das Rückenteil des Bettes noch etwas hochfahren?“, erkundigte sie sich, während sie seine Tasche nahm und vorsichtig neben seine Beine legte. „Ja, wenn das geht, wäre das natürlich klasse“, meinte Joey überrascht und sollte sich eigentlich über gar nichts wundern – immerhin war er hier in der Villa von einem der reichsten Männer Japans. Da gab es bestimmt viel schnickschnack, den er sich gar nicht vorzustellen vermochte. Interessiert verfolgte der Blonde, wie sie eine Fernbedienung vom Nachttisch nahm und einen der vielen Knöpfe drückte. Langsam wurde seine Rückenlehne angehoben, bis Joey zu verstehen gab, dass es genug war. Sie reichte ihm das kleine Gerät und erklärte die Knöpfe kurz, dann verschwand sie nach einer kleinen Verbeugung wieder aus dem Raum. Er wollte auch gern so ein verstellbares Bett für sein Zuhause! Wie bequem konnte man es denn noch haben? Zuerst jedoch aß Joey, danach stellte er das Glas und den Teller auf das Nachtschränkchen und stutzte. Dort lag doch tatsächlich sein Smartphone! Die anderen mussten es also bei der Suche nach ihm gefunden haben! Glücklich schaute er es sich an und bemerkte, dass es nur eine kleine Schramme hatte. Dann musste er wenigstens nicht für ein neues sparen, sehr gut! Damit hatte er so gar nicht mehr gerechnet! Was für eine tolle Überraschung! Routinemäßig prüfte er die Nachrichten und bemerkte die WhatsApp Gruppe, die seine Freunde gestartet hatten und in der es hoch her ging, weil Kaiba ihnen geschrieben hatte, dass er eine Woche nicht zur Schule kam. Eine ganze Woche!? Das konnte der ja sowas von vergessen! Schnell tippte er eine Nachricht, dass er sich morgen in der Schule auf sie freute und dass es ihm bereits wieder besser ging und dann legte er es wieder zurück auf den Nachttisch. Die Antworten konnte er auch noch später lesen. Jetzt musste er erst einmal seine Hausaufgaben machen. Also zog er die Tasche noch etwas höher an sich und packte die Sachen auf das Tablett, um sich mit Geographie, Japanisch und Mathe zu beschäftigen. Kapitel 9: Ein ungewöhnlicher Morgen ------------------------------------ Montag, 15.08./Dienstag, 16.08. Seto saß mit Mokuba noch im Wohnzimmer und schaute etwas mit ihm fern, als ihn das Hausmädchen darüber informierte, dass Wheeler noch Hausaufgaben machen wollte. Überrascht nahm er das zur Kenntnis, dann bedankte er sich bei ihr und sie verließ den Raum nach einer knappen Verbeugung wieder. Die Hausaufgaben würde er auch noch erledigen, wenn sein kleiner Bruder später im Bett war. Doch das der Köter so einen Sinneswandel durchgemacht hatte, dass er sich freiwillig mit Schulaufgaben beschäftigte – zumal er verletzt war –, irritierte ihn ziemlich. Aber sei es drum. Das war nicht sein Problem. Eher, dass der Köter Mokuba – und somit auch ihm – noch mehr Scherereien machen konnte. Schließlich wusste er noch immer nicht, wer die Promenadenmischung entführt hatte und warum. „Du Seto?“ „Hm? Ja, was ist denn, Mokuba?“ Der CEO schaute zu ihm und der Kurze sah ihn mit diesen unschuldigen Kulleraugen an. Hoffentlich wollte er nichts, sonst fiel es ihm schwer, das abzulehnen. Das war schon immer so gewesen. Aufgrund ihrer Vergangenheit war Mokuba ihm das wichtigste und sein Glück und sein Wohlergehen hatte oberste Priorität. Und auch wenn es Regeln gab, an die er sich halten musste, war es innerlich für Seto immer wieder eine Herausforderung, ihm nicht jeden Wunsch zu erfüllen. Immerhin sollte der Kleine auch merken, dass man für Dinge etwas tun musste. „Warum hast du Joey eigentlich hierhergebracht?“ Irritiert von der Frage zog Seto die Augenbrauen zusammen. Da sein Bruder zu verstehen schien, dass er nicht wusste, worauf er hinauswollte, fuhr der Schwarzhaarige etwas unsicher fort: „Naja, du hättest ihn auch in ein Krankenhaus bringen lassen können. Stattdessen ist er jetzt hier. Das … irritiert mich einfach.“ „Es war die schnellste Möglichkeit, um ihm ärztliche Versorgung zuteilwerden zu lassen. So ein Unmensch bin ich nun auch nicht, dass ich den Köter in dem Zustand einfach so seinem Schicksal überlasse“, antwortete Seto sachlich und Mokuba musterte ihn einen Augenblick lang, ehe er die Sache auf sich beruhen ließ. Ihm gefiel nicht, worauf sein kleiner Bruder mit der Frage anspielte. Und ob man ihm das nun glaubte oder nicht, auch er war nicht so herzlos, einen verletzten Bekannten einfach liegen zu lassen. Und da sie einen hervorragenden Arzt hatten, der rund um die Uhr Rufbereitschaft hatte, war das die schnellste und einfachste Möglichkeit gewesen. Das war alles. Wieso rechtfertigte er sich das sich selbst gegenüber? Er sollte schnell die Hausaufgaben erledigen und dann ins Bett gehen, damit er morgen fit war. Bevor er noch weitere komische Gedanken bekam, die ihn nicht weiterbrachten. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es bereits nach 21 Uhr war und so war es für Mokuba sowieso Zeit, dass er sich schlafen legte. Also machte er den Fernseher aus und brachte seinen kleinen Bruder in Ruhe ins Bett. Auch wenn der Kurze bereits 12 Jahre alt war, war es Tradition, dass Seto ihn abends in sein Zimmer brachte, wenn er da war. Sobald er sich umgezogen und mit geputzten Zähnen ins Bett gelegt hatte, deckte der Brünette ihn zu, gab ihm ein Küsschen auf die Stirn und wünschte ihm mit gedämpfter Stimme eine Gute Nacht. Dann wuschelte er ihm noch durch die Haare und Mokuba wünschte ihm ebenfalls einen erholsamen Schlaf. Seit sie in das Heim gebracht worden waren, hatten sie dieses Ritual, doch Seto dachte immer wieder daran, es langsam mal zu beenden, doch der Kleine schien da noch immer kein Problem mit zu haben und so folgten sie weiter der Tradition. Leise schritt er zur Tür, löschte das Licht und schloss die Tür hinter sich. Der CEO marschierte in sein Arbeitszimmer, wo er noch schnell seine Emails checkte, zum Glück aber nichts Wichtiges bekommen hatte und dann die Hausaufgaben erledigte. Es war der erste Abend seit Monaten, wo er vor Mitternacht ins Bett kam. Ob er jetzt überhaupt schon einschlafen konnte? Auf dem Weg zu seinem Schlafzimmer blieb er kurz vor Tür des Gästezimmers stehen. Ein Blick auf unteren Türschlitz verriet ihm, dass das Licht bereits aus war, also schlief der Köter wahrscheinlich schon. Leise seufzend – durch seine Gedanken geisterte das Gespräch mit Mokuba – setzte er sich wieder in Bewegung, betrat sein alleiniges Reich und zog sich in Ruhe aus. Auch er putzte sich die Zähne im angrenzenden Badezimmer und legte sich dann auf das große Doppelbett. Die eine Seite sah aus, als hätte dort noch nie jemand geschlafen, was nicht ganz stimmte, doch er selbst brauchte nur eine Hälfte, da er sich im Schlaf kaum bewegte. Eine viertel Stunde später schlief Seto tief und fest, obwohl es noch immer nicht Mitternacht war. Es war 5:30 Uhr, als der Wecker klingelte und Kaiba deaktivierte mit einem gezielten Schlag den Alarm. Er gähnte kurz und streckte sich, dann stand er auf und trat in das Bad. Er hatte überraschend gut geschlafen und das bedeutete, dass er heute noch einiges an Arbeit schaffen konnte. Vielleicht war es ihm sogar möglich, die verlorene Zeit von gestern aufzuholen. Das würde ihm die Arbeit am Sonntag ersparen und einen schlecht gelaunten Mokuba, der darauf bestand, dass er sich wenigstens an einem Tag in der Woche nicht um die Arbeit kümmerte. So oft wie es ging, versuchte er, sich daran zu halten, doch es gelang ihm nicht immer und dann wechselte Mokuba zwei Tage kein Wort mit ihm und ging ihm konsequent aus dem Weg. Nicht einmal ihr abendliches Ritual ließ er dann zu, sondern schloss die Zimmertür ab, bevor er an der Tür angekommen war. Er hasste diese Tage, weil er wusste, dass es seinem kleinen Bruder dann schlecht ging, aber ein Firmenimperium scherte sich nicht um Wochentage und immer, wenn Neuheiten auf den Markt gebracht wurden, waren die Wochen davor und ein paar danach äußerst anstrengend. Gerade bei großen Neuheiten war es purer Stress, doch wenn er Kinder auf der Straße mit seinen Spielzeugen herumlaufen sah, wusste er, dass das alle Mühen wert war. Deswegen arbeitete er jeden Tag so hart. Natürlich ging es um Macht und um Mokubas Absicherung, dass er ein sorgloses Leben führen konnte, doch ohne dass es jemand wusste, war es ihm eine Freude, andere Kinder zum Lachen zu bringen. Sonst hätte er die Firma auch in eine andere Branche umorganisieren können oder hätte im Rüstungsbereich bleiben können. Aufgrund seiner Erziehung war es ihm einfach nur nicht möglich, das alles so zu zeigen, wie er es hin und wieder gern würde. Aber er hatte sich damit arrangiert, dass er diesen Panzer aufgebaut hatte, den nur Mokuba durchbrechen konnte. Und solange der Kurze das konnte, war es ihm vollkommen egal, was die anderen über ihn dachten. Entspannt stellte er sich unter die kalte Dusche und genoss mit geschlossenen Augen das Wasser auf seiner Haut, dass auch den letzten Rest Schlaf von ihm wusch und seinen Kopf von seinen Gedanken befreite. Einfach entspannen. Die fünf Minuten brauchte er täglich. Er shampoonierte seine Haare, seifte sich ein und nachdem das Wasser alles von seinem Körper gespült hatte, drehte er den Hahn ab und nahm sich zwei Handtücher. Mit dem ersten trocknete er sich soweit ab und band es um seine Hüfte. Danach trocknete er seine Haare ab und legte das Handtuch um seinen Nacken. Der Brünette stellte sich vor das Waschbecken und schaute sich kurz im Spiegel an. Überprüfend strich er sich über das Kinn und befand, dass es wieder Zeit war. Dann putzte er sich die Zähne, wusch sich das Gesicht und rasierte sich. Es war seine übliche Morgenroutine, die er brauchte, um sich auf den bevorstehenden Tag vorzubereiten. Um sechs Uhr war er fertig angezogen und marschierte kurz in sein Arbeitszimmer, um alle Vorbereitungen zu treffen. Er studierte den Plan für heute, welche Meetings anstanden, welche Unterlagen er mitnehmen musste und packte auch noch seine Schulsachen zusammen. Die Tasche brachte er selbst ins Foyer, das war ein Tick von ihm. Jeden Morgen stellte er sie neben die Haustür, damit er sie nicht vergaß und niemand außer Mokuba durfte sie anfassen. Immerhin waren sein Laptop und geheime Geschäftsunterlagen darin. Zu seiner Überraschung entdeckte er Wheeler bereits in der Küche am Esstisch und sich mit Hina, der Köchin, unterhaltend. Eigentlich hatte er erwartet, dass man ihn aus dem Bett holen musste, so wie er jahrelang zu spät zur Schule gekommen war. „Guten Morgen Master Kaiba“, begrüßte ihn die Köchin leicht lächelnd und er erwiderte den Gruß höflich. Er setzte sich gegenüber von Wheeler hin, überschlug die Beine und nahm einen Schluck Kaffee und grüßte auch ihn knapp, ehe er sich der Zeitung zuwandte. Mit einem Ohr nahm er wahr, dass der Blonde ihm ebenfalls einen guten Morgen wünschte, doch er war bereits dabei, die Schlagzeilen zu studieren. In Zeiten von Laptops, Tablets und Smartphones war er doch so altmodisch, sich jeden Morgen durch die Zeitung zu blättern. Noch so ein Tick von ihm, den anscheinend auch sein Gegenüber wahrnahm, denn der Köter ließ es sich nicht nehmen, das zu kommentieren. „Du liest Zeitung? Wow, ich hätte dich für moderner gehalten“, meinte er mit einem Grinsen und biss in sein frisches Brötchen. Seto Kaiba spülte jeglichen Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, mit einem Schluck Kaffee herunter, da er nicht um die Uhrzeit schon Lust auf einen Streit hatte. Andererseits würde sich das bei der Flohschleuder wohl kaum vermeiden lassen. Dennoch entschied sich Seto für ein anderes Thema zum Streit. „Und du? Sicher, dass du es in die Schule schaffst und auf dem Weg nicht einfach zusammenklappst?“ „Natürlich. So ein paar Prellungen halten mich nicht davon ab. Danke nochmal für die Hilfe. Achja und dass ihr auch mein Handy gefunden habt“, erwiderte Joey aufrichtig und schaute zu ihm rüber. Dass er von dem Köterchen mal ein Danke bekommen würde, hatte definitiv Seltenheitswert. Er nickte ihm zu und nahm noch einen Schluck seines Kaffees, ehe er sagte: „Schon gut. Wie ich sehe, hat das Hausmädchen gute Arbeit geleistet, was deine Klamotten angeht.“ „Ja, alles perfekt sauber. Ich war auch ganz erstaunt“, stimmte der Blondschopf grinsend zu und drehte den Kopf zur Seite, als Mokuba hereinkam. „Guten Morgen zusammen!“, rief er fröhlich, gab Seto ein Küsschen auf die Wange, grüßte Hina und setzte sich neben Joey, auf seinen Standardplatz. Die Köchin stellte ihm sein Frühstück hin und verließ den Raum, sodass die Drei allein waren. Mokuba und Joey unterhielten sich miteinander über ein neues Videospiel, dass sie offensichtlich beide zockten, und Seto konzentrierte sich wieder auf die Zeitung, in der aber nichts Spannendes zu finden war. Eine viertel Stunde später herrschte Aufbruchsstimmung, denn Mokuba musste immer etwas früher los als er selbst. Also verabschiedete sich der Kurze grinsend von Joey, mit der Hoffnung, dass er ihn öfters besuchen kommen sollte – was er mit Sicherheit zu verhindern wusste, immerhin war das ein haustierfreier Haushalt – und Seto schritt mit seinem kleinen Bruder ins Foyer, wo er ihm einen schönen Tag wünschte und auf den Köter wartete, der hoch in das Gästezimmer gegangen war, um seine Sachen zu holen. Es dauerte nicht lang, dann kam er die Treppe heruntergelaufen und blieb grinsend neben ihm stehen. „Ich bin dann soweit“, stellte er fest, keuchte etwas und Seto rollte nur kurz mit den Augen. Ohne etwas dazu zu sagen – wenn er sich weiter so benahm, würde er spätestens in der Schule wegen der Verletzungen erneut zusammenbrechen, davon war Kaiba überzeugt –, nahm er seinen Koffer und öffnete die Tür. Draußen stand bereits der Wagen bereit und der Chauffeur wartete darauf, dass sie einstiegen. Roland stand an der Autotür bereit und öffnete sie, als Kaiba die Treppe herunter trat und darauf zusteuerte. Joey folgte ihm brav – wie es sich für ein Hündchen gehörte – und setzte sich neben ihn. Die Taschen hatten sie zwischen sich auf den Sitz gestellt. „Du kannst losfahren, Kei“, sagte Kaiba und die Tür wurde geschlossen. Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung und mit dem Drücken einer Taste fuhr das kleine Fenster, das als Verbindung zur Fahrerkabine diente, nach oben. Wheeler neben ihm schien sich sichtlich unwohl zu fühlen, sagte aber nichts, sondern schaute lieber aus dem Fenster. Seto nutzte die Ruhe und ging noch ein paar Dokumente durch, die er nachher noch brauchte. Ein Wunder, dass es dem Kleinen die Sprache verschlagen hatte. Das war – soweit er sich erinnerte – das erste Mal, dass das der Fall war. Nur 20 Minuten später waren sie an der Schule angekommen und noch bevor der Chauffeur die Tür öffnen konnte, war Joey bereits dabei, auszusteigen. Kaiba schüttelte den Kopf, folgte ihm aber und schloss die Tür hinter sich, sodass der Fahrer sitzen bleiben konnte. Ihm entgingen die verwirrten Blicke der anderen Schüler keineswegs, schließlich war es das erste Mal überhaupt, dass noch jemand außer ihm – oder Mokuba – aus der Limousine ausgestiegen war. Die Gerüchteküche konnte er sich lebhaft vorstellen, doch das tangierte ihn nicht. Sollten sie sich doch alle das Maul zerreißen, obwohl sie keine Ahnung hatten. „Willst du weiter dumm rumstehen oder deine guten Vorsätze weiter einhalten?“, fragte er genervt, während er auf die Tür zuging und Joey löste sich aus seiner Starre, folgte ihm allerdings nicht, sondern marschierte zielsicher – ohne eine Erwiderung – zum Kindergarten, den er in der Menge ausgemacht hatte. Kaiba hingegen verschwand im Gebäude, um sich bereits zu seinem Platz zu begeben. Sollte der Köter doch machen, was er wollte, solange er Mokuba keine Angst machte. Kapitel 10: Der Unfall ---------------------- Freitag, 26.08. Fast zwei Wochen waren seit dem Gespräch mit diesem Shinichi und der Versorgung durch Kaiba vergangen und die Wunden der Prügelei waren so gut wie verheilt. Joey war kein einziges Mal zu spät zur Schule erschienen, hatte immer seine Hausaufgaben erledigt und auch keinen Fehltag, so gesehen lief alles bestens. Doch er spürte Kaibas Blicke, die sich verändert hatten. Ihm war nicht klar wieso oder was das zu bedeuten hatte, doch der Blick schien noch kälter geworden zu sein. Dabei hatte er doch nie gewollt, dass irgendjemand von diesem Problem erfuhr! Erst recht nicht Mokuba! Das konnte der arrogante Arsch doch nicht ernsthaft glauben! Gestern hatte er die erste Überweisung auf ein Konto getätigt und immerhin 300 $ zusammen bekommen. Sein Job als Kellner in einem Edelrestaurant machte ihm Spaß und die gehobene Klientel, die dort speiste, gab sehr gutes Trinkgeld, sodass seine finanzielle Situation relativ entspannt war. Zwar arbeitete er dort auch erst seit einer Woche, doch die Bezahlung war zum Glück wöchentlich, was ihm nur recht war. Zwar war die Doppelbelastung aus Schule und Arbeit schon zu spüren, jedoch hatte er den Sonntag zum Entspannen und nach einer Eingewöhnungszeit würde das sicherlich auch besser werden. Heute hatte er seinen ersten freien Abend und den nutzte er, um weiter die Sachen in der Wohnung in Dinge, die er noch brauchte und welche, die er verkaufen oder wegschmeißen wollte, zu sortieren. Seine Freunde hatten sich von dem Schock der Entführung auch soweit erholt und glaubten ihm, dass das lediglich eine alte – nun beglichene – Rechnung war. Ganz im Gegensatz zu Kaiba, der dahinter halt noch immer mehr vermutete. Das wurmte den Blondschopf, denn er sollte sich aus seinen Sachen heraushalten. Dennoch lief es schon fast zu gut derzeit, um wahr zu sein, doch an diesem Abend hatte er sich gewünscht, er hätte diesen Gedanken nie gehabt. Gerade war er dabei, Sachen in seiner Wohnung auszusortieren, die er nicht mehr brauchte, als plötzlich sein Smartphone klingelte. Er griff schnell danach und sah Mokubas Bild aufblinken. Was wollte denn der kleine Kaiba Spross von ihm? Irritiert nahm er ab, klemmte es zwischen Wange und Schulter und sortierte nebenbei weiter. „Hey Kleiner, alles klar bei dir?“, fragte er entspannt und hörte mitten in der Bewegung auf, als er am anderen Ende nur ein Schluchzen hörte. „Was ist los, Mokuba?“, hakte er alarmiert nach und legte die Zeitschriften, die er gerade durchschaute, beiseite. Er griff sein Handy erneut mit der Hand und stand auf. Ohne weiter nachzudenken, zog er sich im Flur die Schuhe an und griff seinen Schlüsselbund, als er endlich eine Antwort des Schwarzhaarigen bekam. „E-es … Es ist so schrecklich, Joey …“, murmelte der Kleine und brach wieder in Tränen aus, als jemand anderes das Smartphone nahm. Es raschelte kurz. „Hallo Joey? Hier ist Roland.“ Roland? Wer war das noch gleich? Ach, der Anzugträger, der immer sofort angedackelt kam, sobald Kaiba ihn rief. Sowas wie sein Assistent oder so? „Was gibt es? Warum weint der Kurze?“, wollte Joey wissen und schwang sich auf sein Fahrrad, was seine Freunde ihm netterweise nach dem Vorfall nach Hause gebracht und an einen Laternenpfahl gekettet hatten. „Könntest du bitte zum städtischen Krankenhaus kommen? Master Kaiba hatte einen schrecklichen Verkehrsunfall und der junge Master braucht deine Hilfe.“ Wie war das gerade? Hatte er sich verhört? Der reiche Schnösel hatte einen Unfall? War er etwa …? Ihm wurde ganz mulmig zumute und verbot sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Das wäre so … schräg. Nein, so schlimm war es bestimmt nicht. Wahrscheinlich war er in zwei Tagen schon wieder topfit. „Was? Ich bin in einer viertel Stunde da!“, informierte er die rechte Hand Kaibas und legte auf. So schnell er konnte, radelte er ins Krankenhaus. Seine Gedanken überschlugen sich mit allerlei Vermutungen und Befürchtungen, doch nichts davon wollte er. Das war alles so seltsam. Andererseits kein Wunder, dass sich Mokuba kaum beruhigte, denn sein großer Bruder war sein ein und alles und jetzt war er wahrscheinlich verletzt. Das musste der reinste Schock für ihn sein, egal wie schlimm es um den reichen Arsch stand. Mokuba himmelte seinen Bruder an wie niemanden sonst und für den Kleinen war er bestimmt der Fels in der Brandung. Und jetzt? Hatte er einen Unfall und lag im Krankenhaus? Wenn er so darüber nachdachte, war ihm nie in den Sinn gekommen, dass Kaiba einmal verletzt werden würde. Er war immer so selbstbewusst und zielsicher gewesen, dass es bestimmt ein merkwürdiger Anblick war, ihn schwach in einem Krankenhausbett liegen zu sehen. Das passte überhaupt nicht zu dem reichen Pinkel. Wie angekündigt betrat er nach einer viertel Stunde das Krankenhaus und versuchte sich zu orientieren. Zur Notaufnahme ging es nach links, also marschierte er geradewegs dorthin und sah im Warteraum Roland und Mokuba auf zwei Stühlen sitzen. Der Assistent hatte einen Arm um den Kleinen gelegt und versuchte ihn zu beruhigen, doch offenbar war das nicht von viel Erfolg gekrönt. Schnell eilte er zu den beiden und kniete sich vor den Schwarzhaarigen. Es zerriss ihm beinahe das Herz, ihn so zu sehen. Denn auch wenn Kaiba ein Arschloch sein konnte, war Mokuba vollkommen in Ordnung und er mochte den Kleinen sehr gern. Er war so anders, als sein großer Bruder und hatte das Herz am rechten Fleck. Manchmal glaubte Joey, dass der Kurze Setos menschliche Seite darstellte. „Hey Mokuba … Hier bin ich“, sagte er einfühlsam und musste aufpassen, nicht hinten überzukippen, als sich der Kurze einfach vom Stuhl nach vorn fallen ließ und sich hilfesuchend an ihn krallte. Beruhigend, wie er das auch bei seiner Schwester tun würde, streichelte er ihm über den Kopf und Rücken und redete beruhigend auf ihn ein. Mit einem Kopfnicken in Richtung Roland bat er ihn, ihm zu sagen, was passiert war. Dieser verstand sofort und begann zu berichten: „Wir haben vor einer halben Stunde den Anruf eines Polizisten erhalten. Master Kaiba war gerade auf dem Weg zu einem Geschäftstermin, als wohl ein LKW eine rote Ampel übersah und in die Seite des Wagens rammte. Das Auto kam von der Straße ab und überschlug sich drei Mal, ehe es auf dem Dach liegen blieb. Andere Autofahrer riefen sofort den Krankenwagen und die Polizei, sodass ihm schnell geholfen werden konnte. Dennoch befindet sich Master Kaiba noch im OP.“ Jetzt wurde auch Joey blass. Das musste ein absoluter Horrorcrash gewesen sein. „Kaiba ist selbst gefahren?“, hakte Joey nach, als die Erkenntnis zu ihm durchsickerte und Roland nickte. „Ja, er hat eine Ausnahmegenehmigung des Verkehrsministeriums und hin und wieder fährt er allein zu Geschäftsterminen.“ Seine Aufmerksamkeit wieder auf Mokuba richtend, hob er ihn vorsichtig hoch und setzte sich mit ihm auf seinen Stuhl, dabei setzte er den Kurzen seitlich auf den Schoß. Während er ihn weiter leicht wiegte und tröstete, bat er Roland um zwei Gläser Wasser, die dieser sofort holte. „Er wird schnell wieder auf den Beinen sein, Mokuba. Keine Angst. Dein Bruder ist mindestens genauso stur wie ich. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, hm?“ Vorsichtig gab er dem Schwarzhaarigen ein halbvolles Glas in die Hand, was er dankbar annahm und einen Schluck trank. Joey nahm es ihm ab, da er so zittrige Hände hatte, dass Mokuba es sonst wahrscheinlich aus Versehen fallen gelassen hätte. Er stellte es auf dem Tisch ab und trank selbst einen Schluck aus dem anderen Glas, als der Kleine in sein T-Shirt nuschelte: „Aber der Polizist … Er … Er sagte, es sei ein Wunder, dass er … dass er überhaupt noch … noch lebt …“ Mokuba zog die Nase hoch, doch wegen des vielen Weinens war das nicht sehr erfolgreich. Noch ehe Joey nach einem Taschentuch fahnden konnte, hatte Roland ihm schon eins gereicht und der Schwarzhaarige putzte ordentlich die Nase. Einen Moment lang hing er seinen eigenen Gedanken nach. Sicher, er hatte Kaiba nie sonderlich leiden können und das beruhte auf jeden Fall auf Gegenseitigkeit, doch so etwas wünschte man seinem schlimmsten Feind nicht, der einem auch erst vor zwei Wochen geholfen hatte. Erst recht nicht, wenn der Feind so einen tollen, kleinen Bruder hatte, der so darunter litt. Und sich vorstellen, dass der Eisschrank schwach und gebrechlich in einem großen Krankenbett lag? Nein, das bekam der Blonde so gar nicht in seinen Kopf. Trotzdem war sich Joey sicher, dass Kaiba das alles ohne größere Probleme überstehen würde und ihnen schon bald wieder jeden Nerv rauben würde. Alles andere konnte sich der Blonde einfach nicht vorstellen. „Dein Bruder ist ein Kämpfer. Als ob er dich hier allein lassen würde. Glaub an ihn, Mokuba. Dann wird er ganz schnell wieder fit sein.“ Die nächsten Stunden verbrachte Joey damit, Mokuba weiter zu trösten, bis dieser sich zumindest halbwegs beruhigt hatte und keine Tränen mehr flossen. Gott sei Dank war Freitagabend, sonst wäre der Gang zur Schule am nächsten Morgen zum Alptraum geworden und das aus mehreren Gründen, wie Joey beiläufig dachte. So aber war der Blick auf die Uhr nicht ganz so dramatisch, denn es war bereits nach 23 Uhr, als die Ärzte endlich aus dem OP kamen. Sie waren alle Drei schon ganz angespannt von dem vierstündigen Warten und ungeduldig immer wieder aufgestanden und durch den Raum getigert. Sogar Roland hatte es nicht auf seinem Platz gehalten. Kaum, dass zwei Ärzte in ihre Richtung kamen, sprangen die Drei förmlich auf und marschierten auf sie zu. „Sind Sie Verwandte von Herrn Kaiba?“ „Ich bin sein kleiner Bruder, das ist sein Freund und das ist sein persönlicher Assistent. Beide dürfen gern zuhören“, stellte Mokuba selbstbewusst klar – ganz der selbstbewusste Kaiba – und Joey glaubte sich verhört zu haben. Freund!? Hatte der Knirps das gerade wirklich gesagt? „Nun gut. Die OP ist soweit gut verlaufen, allerdings haben wir ihn zur Sicherheit in ein künstliches Koma versetzt. Er hat eine schwere Gehirnerschütterung, die linke Lunge gequetscht, mehrere gebrochene Rippen, der rechte Arm ist mehrfach gebrochen, die Hüfte mehrfach geprellt und der rechte Fuß verstaucht. Er wird wahrscheinlich einige Zeit hier verbringen müssen. Wann genau wir ihn aus dem künstlichen Koma holen können, werden die nächsten Tage zeigen. Aber wir sind zuversichtlich, dass Mister Kaiba keine bleibenden Schäden davontragen wird.“ Trotz der guten Nachricht, dass Kaiba das alles wohl ohne längerfristige Probleme schaffen würde, brach Mokuba ein weiteres Mal in Tränen aus und Joey nahm den Struwwelkopf fürsorglich auf den Arm, um ihn besser trösten zu können. Zwar war er fast zu lang dafür, doch es ging so gerade eben noch. „Ich danke Ihnen, Doctor. Ich nehme an, wir können erst morgen zu seinem Zimmer?“, hakte Joey nach, streichelte Mokubas Rücken und der zweite Arzt nickte. „Ja. Sie sollten jetzt auch nach Hause. Herr Kaiba braucht absolute Ruhe und Sie sollten sich ebenfalls ausruhen. Morgen ab 10 Uhr können Sie zu seinem Zimmer, aber wahrscheinlich nur eine Person rein. Hier sind unsere Visitenkarten, falls etwas sein sollte.“ Die Ärzte reichten die beiden Karten an Roland weiter, der sie gewissenhaft verstaute und sich bei den Doktoren bedankte. Dann verließen sie zu dritt das Krankenhaus – Mokuba mussten sie etwas überreden, aber er gab sich dann geschlagen – und Roland schaute ihn kurz an, als sie zum Wagen gingen. „Joey, ich weiß, das ist sehr viel verlangt, aber würdest du mit uns kommen? Ich glaube, Mokuba wäre das ganz recht, wenn er nicht allein ist …“ „Ja natürlich. Ich hole nur ein paar Klamotten aus meiner Wohnung“, stimmte er umgehend zu und setzte den kleinen Kaiba, den er noch auf dem Arm hatte, vorsichtig ins Auto. Es war schon befremdlich, wie still er war. „Ich radel kurz nach Hause und komm dann nach, ja?“, schlug der Blonde vor. „Wir können das Fahrrad auch in den Kofferraum legen und fahren eben bei dir rum“, schlug Roland vor und Joey nickte zustimmend. Groß genug sah der Kofferraum aus. Das würde die Sache deutlich vereinfachen. Also holte er schnell sein Rad und verstaute es mit Rolands Hilfe im Wagen. „Ich danke dir für deine Hilfe.“ „Ach Quatsch. In so einer Situation ist das doch selbstverständlich“, winkte Joey ab und stieg zu Mokuba ins Auto, der kurz durch den Blonden zu starren schien und dann aus dem Fenster schaute, während Roland sich ans Steuer setzte und die Adresse, die Joey ihm nannte, ins Navi eintippte. Dann fuhr er los und Joey legte einen Arm um Mokuba, der vollkommen erschöpft, in ein paar Sekunden an ihn gekuschelt, einschlief. An seiner Wohnung angekommen, packte er schnell ein paar Sachen in seine Sporttasche und dann ging es wieder einmal zur Kaiba Villa. Hätte man ihm vor den Sommerferien gesagt, dass er innerhalb von zwei Wochen zwei Mal dort sein würde, hätte er denjenigen ausgelacht. Jetzt blieb ihm das Lachen irgendwie im Halse stecken. Vorsichtig trug er den schlafenden Mokuba in die Villa und brachte ihn, geführt von Roland, in sein Zimmer und legte ihn auf das große Bett. Er zog ihm das Oberteil, die Schuhe und die Hose aus, was er gar nicht zu merken schien und deckte ihn dann vorsichtig zu. Er überlegte kurz, dann gab er ihm ein Küsschen auf die Stirn und verließ den Raum leise wieder. Sich den Nacken reibend schlenderte er mit Roland gefühlte fünf Minuten durch die Gänge zu einem Raum, den der Assistent „kleiner Salon“ nannte. Dass dieser Salon so groß war wie seine komplette Wohnung, ließ ihn an dem Wort „klein“ zweifeln. Wie groß war dann bitte der normale Salon? Ein Festsaal? Der hier war ja schon riesig, sogar mit einem Billardtisch in der rechten Ecke, wie Joey plötzlich feststellte. Und in der linken Ecke mit einer Fensterfront zu zwei Seiten, gab es eine gemütlich aussehende Sofaecke mit Minibar und genau darauf steuerte Roland zu. Der Raum erinnerte Joey ein wenig an den von Shinichi, doch daran wollte er jetzt nun wirklich nicht denken. Ein Problem zurzeit reichte vollkommen. „Auch was?“, fragte Roland und zeigte auf die Minibar und Joey nickte, als er die Etiketten der Flaschen überflogen hatte. „Gegen einen guten Scotch gibt es nichts einzuwenden …“ „Oh, ein Kenner?“, fragte er mit einem leichten Lächeln und griff nach der teuersten Flasche. Joey lächelte matt. „Ich habe vor ein paar Monaten eine Zeit lang als Barkeeper gearbeitet“, erklärte er knapp und bedankte sich. Er schaute Roland an, hob das Glas zum Gruß und exte das Getränk in einem Zug. Wie zu erwarten, war es ein hervorragender Scotch und Roland goss ihnen noch ein zweites Glas ein, dann verschloss er die Flasche wieder und stellte sie weg. Sie schauten beide aus dem Fenster in die Dunkelheit, wo tagsüber wahrscheinlich ein Garten zu sehen war und hingen stumm ihren Gedanken nach. Nach einer Weile hatte Roland auch das zweite Glas geleert und stellte es auf dem kleinen Tischchen neben dem Sofa ab. Dann spürte Joey seinen Blick auf sich ruhen und nachdem er ebenfalls ausgetrunken hatte, schaute er den Assistenten an und wollte wissen: „Was liegt dir auf dem Herzen, Roland?“ „Darf ich dir eine indiskrete Frage stellen?“ „Klar, ob du eine Antwort bekommst, schauen wir dann“, erwiderte Joey mit einem leichten Grinsen und Roland räusperte sich, bevor er fragte: „Sind Master Kaiba und du ein Paar?“ Joey brauchte einen Moment, bis die Frage in seinem Sinn vollständig zu ihm durchdrang und er blinzelte ihn verwirrt an, bis der Blondschopf nachhakte: „Wie kommst du auf diese Idee?“ „Nun, es ist sehr unüblich für ihn, dass er dich vor zwei Wochen hierher gebracht hat anstatt dich in ein Krankenhaus bringen zu lassen und vorhin hat Mokuba dich als seinen Freund bezeichnet … Da wurde ich neugierig. Sieh es mir bitte nach.“ „Wie der Knirps darauf kam, das zu behaupten, interessiert mich allerdings auch“, brummte Joey mit vorgeschobener Unterlippe und schaute wieder nach draußen, ohne die Dunkelheit oder die Spiegelung im Fenster bewusst wahrzunehmen. „Aber um deine Frage zu beantworten. Nein, wir sind kein Paar und ich denke nicht, dass wir das jemals sein werden. Dafür sind wir viel zu verschieden. Seine arrogante Art bringt mich viel zu schnell auf die Palme.“ Das war absolut absurd, dass er ausgerechnet mit dem Eisschrank was anfing. Er wollte doch keine Frostbeulen bekommen! Sie schwiegen noch eine Weile, ohne dass es unangenehm für ihn war, dann stand Roland leise seufzend auf, rieb sich über das Gesicht und musterte ihn. Die Augenringe unter den müden Augen ließen die Besorgnis in dem Blonden hochkochen, doch er wusste ja gar nicht, wie er ihm helfen konnte. Schließlich kannte er ihn noch weniger als Kaiba und von dem wusste er schon kaum etwas. „Ich werde mich jetzt zurückziehen. Den Weg zu deinem Gästezimmer findest du allein?“, wollte Roland noch wissen. „Ja, ich habe ein gutes Weggedächtnis. Das Zimmer von damals ist ja bestimmt noch frei, oder? Schlaf gut, also so gut es eben geht und bis morgen.“ Roland nickte, dass der Raum vom letzten Mal frei war, wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht und verließ dann den kleinen Salon. Joey genoss die Ruhe, die sich nach dem Schließen der Tür im Raum ausbreitete und dachte noch eine ganze Weile über alles Mögliche nach, ehe er sich auch langsam erhob und in das Schlafzimmer zurückzog, um ebenfalls etwas zu schlafen. Kapitel 11: Die Bitte --------------------- Samstag, 27.08. Das erste, was der Blonde wahrnahm, war Vogelgezwitscher von draußen und danach die Helligkeit, die durch seine Augenlider zu bemerken war. Verschlafen drehte er den Kopf zur Seite, von der Sonne weg und wollte noch etwas weiter dösen, als er etwas Warmes vor sich spürte. Jetzt doch sehr verwirrt, öffnete er vorsichtig die Augen und sah viele schwarze Haare vor sich. Mokuba? Hat sich der Knirps tatsächlich rein geschlichen letzte Nacht …, dachte sich Joey verschlafen und streichelte dem Kleinen sanft über den Kopf. Die ganze Sache mit Kaibas Unfall nahm ihn wirklich sehr mit und es tat Joey leid, dass er so etwas mitmachen musste. Das war sicherlich hart für ihn. Andererseits würde Kaiba bald wieder auf den Beinen sein und ihn wieder nerven können, doch bis es soweit war, würde er Mokuba unterstützen, bis dieser seinen Bruder wieder in die Arme schließen konnte. „ … Oh hey Joey … Morgen …“, murmelte der Kleine müde und rieb sich gähnend über die Augen. Er schien noch mehr zu schlafen als wach zu sein. „Hey Kurzer. Konntest du etwas schlafen?“ „Ja, geht schon … Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich einfach rüber geschlichen bin … Aber ich wollte nicht allein sein“, erklärte der Kleinere leise murmelnd und Joey lächelte ihn freundlich an. „Alles gut, Kurzer. Mach dir keinen Kopf drum. Lass uns lieber runter, was essen, hm?“ „Ja, gute Idee.“ Mokuba krabbelte langsam aus dem Bett und trottete Richtung Tür. Joey stand ebenfalls auf, zog sich ein T-Shirt über und folgte ihm. Ein beiläufiger Blick auf sein Smartphone – das er mitnahm – verriet, dass es kurz nach 10 Uhr war. Für einen Samstag war das fast noch früh für ihn zum Aufstehen. Hina, die anscheinend Bescheid wusste, so mitfühlend, wie sie Mokuba und ihn ansah, bereitete ihnen unten in der Küche ein kleines, aber leckeres Frühstück zu, doch sie schwiegen während der Zeit. Der kleine Kaiba tippte nebenbei auf seinem Handy herum und er tat es ihm gleich. Er schrieb in seine Freundesgruppe, in der Yugi, Tea, Tristan, Bakura und Duke waren, dass Kaiba einen Autounfall hatte und er gerade in der Villa war, um sich um den Kleinen zu kümmern, da es ihm sehr schlecht ging. Sofort kamen die ersten Antworten, ob sie nicht auch kommen sollten, doch Joey bremste sie etwas aus. Er wollte das erst mit Mokuba besprechen, bevor der sich überrannt fühlte. In dieser Situation fiel es Joey schwer, den Kleineren einzuschätzen, was ihm guttat und was nicht. Also versprach er, sich im Laufe des Tages noch einmal zu melden und packte sein Handy dann beiseite. „Sieht aus, als müssten wir gleich den Wagen mit den getönten Scheiben nehmen“, murmelte Roland, als er hereinkam und begrüßte sie freundlich mit einem „Morgen“. Das gut schenkte er sich, was sicherlich nicht verkehrt war. „Ja, das habe ich befürchtet. Es steht in allen Nachrichten, dass Seto einen Unfall hatte und schwer verletzt im Krankenhaus liegt“, meldete sich Mokuba murmelnd zu Wort und verstaute sein Smartphone in der Hosentasche. Ja, das war auf jeden Fall eine große Meldung, dessen war sich Joey auch sicher. Allerdings graute es ihm, dass wenn er mit Mokuba mitfuhr, die nachher auch alle annahmen, er sei Kaibas Freund. Weiter von der Realität entfernt konnten sie nicht liegen! Paparazzi konnten aber sehr unangenehm werden und Wahrheit war für die wahrscheinlich eher lästig, wenn er sich die Klatschmagazine so anschaute. Und selbst für die „seriösen“ Medien war das sicherlich eine Meldung, dass der junge Milliardär einen Partner hatte. Und dann auch noch einen Mann. Joey verstand zwar nicht, warum so ein Aufhebens darum gemacht wurde, ob man nun homo- oder heterosexuell war, aber die Gesellschaft konnte gerade bei Prominenten – und das war Kaiba definitiv, nicht nur in Domino – sehr unerbittlich sein. Selbst er hatte immer wieder in Zeitungen von Gerüchten gelesen, die Kaiba betrafen. Dieser ließ das allerdings alles an sich abperlen, wofür Joey ihn schon etwas bewunderte. Er könnte das nicht so einfach. „Keine Sorge. Durch die Scheiben bist du nicht zu sehen“, beruhigte ihn Roland, der anscheinend seine Gedanken lesen konnte und der Blonde nickte leicht abwesend. „Na hoffentlich“, brummte er und ihm fiel das Gespräch mit den Ärzten von gestern Abend ein. Stimmt, es gab da noch etwas, was er unbedingt wissen wollte! „Ach Mokuba?“, wandte er sich deswegen direkt an den Schwarzhaarigen, der sofort abwinkte. „Später Joey, ja? Lass uns jetzt erst ins Krankenhaus fahren … Ich will sehen, wie es Seto geht“, entgegnete der Knirps entschieden und war schon dabei, den Raum zu verlassen. Na gut, das konnte er verstehen, aber ewig würde er sich nicht vor dem Gespräch drücken können! Doch jetzt lenkte Joey ein und beließ es dabei. Auch er verschwand in seinem Zimmer, um sich schnell zu duschen und fertig zu machen. Ihm grauste es vor den Gerüchten in den Medien, wenn sie ihn doch sehen konnten und ein Kloß bildete sich in seinem Magen, aber er konnte jetzt auch keinen Rückzieher machen. Auch wenn Mokuba sich an diesem Morgen so stark gab, war er ein elfjähriger Junge, der seinen Bruder abgöttisch liebte und große Angst um ihn hatte. Nein, er würde das schon schaffen und ihm beistehen. Darum hatte der Kurze ihn gestern mit dem Anruf gebeten und er würde das bis zum Ende durchziehen. Immerhin hatte sich Mokuba extra an ihn gewandt, obwohl er bestimmt auch noch andere Freunde hatte. Schnell zog er sich eine Jeans und ein T-Shirt an und trabte runter in das Foyer, wo Mokuba bereits wartete. „Na endlich!“ „Ich habe mich schon extra beeilt!“, rechtfertigte sich der Blonde und steuerte automatisch auf die Haustür zu. Doch statt nach draußen zu gehen, was der Blonde erwartet hatte, bog Mokuba rechts zu einer kleinen Tür ab, die offenbar in eine Tiefgarage führte. Das war also für die Fälle, wo sich draußen Reporter tummelten. Sehr clever. Zielsicher lief der Kaiba Spross zu einem der ungefähr dutzend Wagen – Joey zählte jetzt nicht genau nach, aber es waren ein paar mehr –, stieg ein und der Blondschopf folgte ihm rasch. Roland, der hinter ihm gegangen sein musste, setzte sich ans Steuer und lenkte den Wagen geschickt vom Grundstück, vorbei an all den Reportern, die auf ein Statement warteten. Selbst durch die getönten Scheiben schien das Blitzlicht ihn zu blenden und mit einem Mal war ihm klar, dass er auf Fotos garantiert zu erkennen war. Getönte Scheiben hin oder her. Verdammte Scheiße! Dieses Mal brauchten sie aufgrund des Verkehrs eine halbe Stunde und durften durch einen Geheimeingang rein, damit die Paparazzi sie nicht erwischen konnten. Es war absolut komisch und absurd für Joey, sich so zu verstecken und irgendwie wie ein Promi behandelt zu werden. Aber er war schon dankbar dafür, denn er wollte nicht, dass irgendjemand hieraus die falschen Schlüsse zog … Das würde ewig an ihm kleben bleiben und die Gerüchte in der Schule, seitdem er mit Kaiba zusammen zur Schule gefahren worden war, waren schon nervig genug. Wenn jetzt noch ein Foto von ihm in der Presse auftauchte … Nein, er wollte daran gar nicht denken. Eine freundliche Krankenschwester brachte sie zu Kaibas Zimmer, das – wie sollte es auch anders sein – ein großes Einzelzimmer war und sie bat die Drei, vor dem Zimmer zu warten, da sie die Ärzte holen sollte, sobald sie eintrafen. Es dauerte nur ein paar Minuten, da kamen die beiden Herren von letzter Nacht zu Ihnen und begrüßten sie kurz mit Handschlag. „Und? Gibt es Neuigkeiten?“, wollte Mokuba sofort wissen, doch die Ärzte schüttelten den Kopf. „Nein. Aber das ist eine gute Nachricht, denn es bedeutet, dass er die OP recht gut wegzustecken scheint. Was das künstliche Koma angeht, können wir leider nach wie vor keine genauen Angaben machen. Das kann Tage dauern, aber vielleicht auch mehrere Wochen“, erklärte der Arzt und Joey, der seine Hände auf Mokubas Schultern gelegt hatte, spürte, wie dieser verkrampfte. „Vielen Dank, Doc. Sollte sich etwas ändern, informieren Sie uns bitte sofort“, bat der Blonde nach einem Augenblick, als der Schwarzhaarige nichts erwiderte und die Beiden nickten zustimmend. „Kann ich zu ihm rein?“, wollte der Kurze wissen und die Männer tauschten kurz einen Blick, ehe sie langsam nickten. „Ja, aber nur mit Schutzkleidung und auch nur fünf Minuten.“ Eine Schwester brachte passende Überkleidung, bestehend aus Mundschutz, Haarnetz und Mantel und half dem Kleinen beim Anziehen, dann brachte einer der Ärzte Mokuba herein und schloss die Tür wieder leise. Joey konnte einen kurzen Blick reinwerfen und war geschockt, als er die ganzen Maschinen sah und einen ruhig daliegenden Körper, der sich keinen Millimeter bewegte. Nie hätte er gedacht, Kaiba einmal so zu sehen. Nicht mal aus der Entfernung. Er war immer arrogant und stolzierte durch die Gegend, schubste andere herum, wie es ihm gerade passte und strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Das passte nicht zu dem Bild, was er gerade gesehen hatte. Nicht im Geringsten. Die Ärzte sprachen noch kurz mit der Schwester, doch er war zu geschockt, um zuzuhören, dann verabschiedeten sie sich von ihnen, um weiter ihrer Arbeit nachzugehen. Roland und er setzten sich auf Stühle, die neben der Tür standen und warteten, bis die Schwester einen traurigen Mokuba wieder aus dem Zimmer holte und die Sachen abnahm. Dann verschwand sie wieder und der Schwarzhaarige setzte sich blass neben ihn. „Ich habe ihn noch nie so gesehen … Das macht mir Angst …“, murmelte er leise und klang sehr beherrscht, als wollte er unbedingt verhindern, zu weinen. Joey legte ihm einen Arm um die Schultern. „Das glaube ich dir, Mokuba, aber er wird bald wieder fit sein“, machte er dem Kleineren Mut und strich ihm über den Rücken. So blieben sie ein paar Minuten sitzen, Mokuba hatte den Blick stur gen Boden gerichtet und war in Gedanken versunken, bis auf einmal ein Mann vor ihnen stehen blieb, adrett in einem dunkelblauen Anzug gekleidet und mit einem Aktenkoffer in der rechten Hand. „Und Sie sind?“, wollte Joey leicht genervt wissen, als der Kleine neben ihm ebenfalls aufsah und direkt aufstand. „Hallo Yuuto. Gut, dass du da bist. Joey? Das ist Yuuto. Yuuto? Das ist Joey“, stellte der Knirps ihn vor und verwirrt stand der Blonde auf und schüttelte die Hand des Gegenübers. Er lächelte ihn freundlich an, doch ihm stellten sich die Nackenhaare auf. Etwas stimmte mit diesem Mann nicht. Das sagte ihm der sechste Sinn und auf den konnte er sich immer verlassen. Was hatte Mokuba mit dem zu schaffen? „Ah, freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Mr. Kaiba Junior hat mich bereits über alles aufgeklärt und die Unterlagen habe ich bereits dabei.“ „Mokuba, was ist hier los?“, verlangte Joey zu wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem genervten Blick musterte er den Kleinen, der nicht mehr traurig wirkte, sondern seltsam entschlossen. Anscheinend schien er seine Trauer für den Moment überwunden zu haben und einen Plan zu verfolgen. Und Joey beschlich dieses blöde Gefühl, dass er einer der Hauptbestandteile war. Was heckte dieser kleine Zwerg nur aus? Oder anders gefragt: Wollte er das überhaupt wissen? „Gehen wir in den Raum da rüber. Roland, du passt bitte auf, ja?“ Der Assistent nickte und blieb still sitzen, während Joey den anderen beiden misstrauisch folgte. Etwas in ihm sagte ihm, dass er lieber aus dem Krankenhaus rennen sollte. Das war vielleicht die bessere Entscheidung, doch seine Neugier war mal wieder viel stärker, also ging er mit. Allerdings blieb er mit weiterhin verschränkten Armen neben der geschlossenen Tür stehen und wartete darauf, dass die anderen beiden ihn in ihren Plan einweihten. Der Raum war relativ klein, in der Mitte standen ein Tisch mit einer kleinen Tischdecke darauf und vier Stühle drum herum. Ihm gegenüber war ein großes Fenster mit Gardine und auf der Fensterbank waren zwei Vasen mit Blumensträußen. An den Wänden hingen große Fotos von Landschaften in Dominos Umgebung, doch das machte den in hellgelben Tönen gehaltenen Raum auch nicht wirklich schöner. „Also Joey, folgendes … Yuuto ist unser Familienanwalt und Abteilungsleiter der Rechtsabteilung der Kaiba Corporation und ich hatte ihn vorhin gebeten, etwas zu prüfen. Und wie es aussieht, passt das alles, oder?“ Der Anwalt nickte und Joey war der Anzugträger plötzlich noch um einiges unsympathischer. Er konnte einfach nichts mit Rechtsverdrehern anfangen. Mokuba lächelte kurz und fuhr dann fort: „Ich habe eine Bitte an dich. Da Seto höchstwahrscheinlich mehrere Wochen nicht arbeiten kann, möchte ich, dass du mit unserer Unterstützung für die Zeit die Firma leitest.“ Es dauerte ein paar Sekunden, bis Joey die einzelnen Worte in seiner Sinnhaftigkeit verstanden hatte und er wusste nicht einmal, wie er darauf reagieren sollte! Das … Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er war ein ganz normaler Teenager, kein Wunderkind! Außerdem hatte er genug andere Probleme und … und … Das war ein Traum, oder? In Wirklichkeit lag er noch im Gästezimmer von Kaibas Villa und die Schmerzmittel hatten ihn einfach aus dem Orbit geschossen. Das musste es sein! Mokuba und dieser Yuuto schauten ihn an und erwarteten anscheinend noch eine Reaktion von ihm, aber er war wirklich nicht sicher, was er sagen oder tun sollte, also starrte er sie einfach weiter mit offenem Mund an und hoffte, dass sie die Fassungslosigkeit als Antwort gelten ließen. „Joey, du bist der einzige, dem ich das zutraue. Natürlich hast du neben uns beiden noch weitere Unterstützer, aber ich möchte, dass du das machst.“ „Aber Mokuba! Dein Bruder hat doch garantiert fähige Vize und Stellvertreter, die das übernehmen können“, wehrte Joey wild mit den Händen fuchtelnd ab, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. Das war Wahnsinn! Er würde ja nicht einmal den Laden von Yugis Großvater übernehmen wollen … Der Kleine seufzte und stellte sich direkt vor ihn und schaute den Blonden mit diesen riesengroßen Kulleraugen an, denen man kaum einen Gefallen abschlagen konnte. Verdammter Bengel! „Ich trau ihnen aber nicht“, sagte Mokuba schlicht und klang dabei wie Seto, wie Joey mit Erschrecken feststellte, doch er kam nicht dazu, etwas dazu zu sagen, da der Schwarzhaarige bereits weiter ausholte, „Du hast selbst die beiden Zwischenfälle mit den Big Five mitbekommen. Am Anfang sind die Seto in den Arsch gekrochen-“ „Mokuba!“ „Ist doch so, Yuuto. Jedenfalls traue ich denen allesamt nicht und deswegen möchte ich, dass du das machst, Joey. Bitte!“ Oh ja, an diese „Vorfälle“ konnte er sich allerdings sehr gut erinnern. Diese virtuellen Welten Geschichten waren mehr als unangenehm gewesen und in diesem Punkt konnte er den Kurzen sehr gut verstehen. Andererseits hatten die jetzigen Stellvertreter und Vize doch nichts mehr mit der alten Garde von damals zu tun, oder? Es stellte sich als riesengroßer Fehler heraus, als der Blondschopf noch einmal zu Mokuba sah, der ihn mit seinem Unschuldsblick tracktierte und ehe er wusste, was er tat, stimmte er zu: „Okay, okay, ich mach’s!“ Hilfe! Das hatte er nicht wirklich gerade gesagt, oder? Das Strahlen in Mokubas Gesicht wurde immer größer und Joey biss sich auf die Unterlippe, als dieser ihn umarmte. Verdammt. Das konnte er nicht wirklich gesagt haben. Wie sollte er denn bitteschön eine Firma leiten!? Schlimmer noch, ein ganzes Firmenimperium!? „Aber diese ganze Sache muss wasserdicht sein. Und sobald dein Bruder aufgewacht ist, wirst du ihm die Sache erklären und nicht ich. Und mit welcher Begründung willst du das überhaupt durchziehen? Wie lange soll ich das machen? Wie willst du das den Angestellten und den Geschäftspartnern erklären? Was genau sollen meine Aufgaben sein?“ Die Fragen sprudelten nur so aus ihm heraus und während er Mokuba noch reflexartig über den Rücken strich, meldete sich Yuuto zu Wort, der eine Mappe auf den Tisch legte und ein paar seiner Fragen erläuterte: „Was das angeht, ist Mokuba sehr kreativ. Wir werden dich als seinen Freund ausgeben und den Angestellten und Geschäftspartnern eine Verfügung von Seto vorlegen, in der er schreibt, dass – sollte ihm etwas zustoßen – du die Firma so lange übernimmst, bis er wieder in der Lage ist, sich selbst um die Geschäfte zu kümmern.“ „Moment, warum sollte ich dafür sein Freund sein?“, hakte Joey misstrauisch nach. Zwar dachte das eh schon die ganze Schule, seit sie vor zwei Wochen gemeinsam aus seinem Wagen ausgestiegen waren, dennoch entsprach es nicht der Wahrheit. „Aber Joey. Irgendwie müssen wir begründen, dass Seto dich in die Verfügung eingetragen hat. Und da es zu euch beiden passt, eine Beziehung nicht an die große Glocke zu hängen, passt das doch perfekt. Wenn Seto wieder wach ist, spielt ihr noch ein paar Wochen das glückliche Pärchen und dann könnt ihr euch ja auch wieder trennen und jeder geht seine Wege. Ende der Geschichte.“ Irgendwie beschlich den Blonden das Gefühl, dass das nicht so einfach werden würde, wie Mokuba das hier erzählte, doch so wie das alles bereits ausgearbeitet war, konnte er sich schwerlich diesem waghalsigen Plan entziehen. Seto Kaiba würde durchdrehen, wenn er hiervon erfuhr. Oder würde gleich hier einen Herzstillstand erleiden, wenn er erfuhr, dass Mokuba seine geliebte Firma einem räudigen Straßenköter überlassen hatte. Allerdings würde er ihn wahrscheinlich zuerst noch richtig fertig machen und dann einen Herzinfarkt bekommen. Ja, das passte schon eher. Warum noch gleich hatte er sich darauf eingelassen? Ach ja, die Unschuldsaugen von Mokuba … Da war ja was. „Ihr Zwei werdet das dem Eisschrank erklären. Und zwar ganz allein. Damit das klar ist …“, brummte Joey, zeigte auf die Beiden, die sofort nickten und trat seufzend an den Tisch heran, um sich die Unterlagen anzuschauen, die der Anwalt auf der Platte ausgebreitet hatte. Schweigend schaute er sie sich an. Das eine war die Verfügung von Seto, dass er die Firma so lange übernahm. Es musste eine Fälschung sein, zumindest sein Name, aber es sah wie ein echtes Dokument aus. Dann noch ein paar weitere Papiere, die klärten, dass Joey so lange in die Villa einzog und in der Firma von Yuuto, Mokuba, Roland, Yukiko – Kaibas Sekretärin – und einer Yuna unterstützt wurde. Der Name sagte ihm nichts, aber er würde sie bestimmt bald kennenlernen. „Damit das hier für dich auch alles richtig läuft, habe ich einen Arbeitsvertrag ausgearbeitet, in dem deine Rechten und Pflichten sind, außerdem natürlich ein Gehalt für die Zeit, wo du in der Firma arbeitest. Du sollst das ja nicht umsonst machen“, erklärte Yuuto und reichte ihm einen mehrseitigen Vertrag, doch Joey lehnte ab. „Nein danke. Ich mache das hier, um Mokuba zu helfen und nicht des Geldes wegen. Machen Sie einen Vertrag, mit den Rechten und Pflichten, den werde ich mir anschauen und dann unterschreiben, wenn er in Ordnung ist“, entgegnete er und Yuuto stutzte. „Aber bei einer so großen Verantwortung solltest du dafür auch ordentlich entlohnt werden. Das steht dir zu.“ „Mag sein, aber ich bleibe dabei. Mokuba bat mich um Hilfe und ich fordere dafür nichts. Unter Freunden geht es nicht ums Geld, also streichen Sie das bitte raus und dann schaue ich mir den Vertrag an.“ Yuuto lächelte leicht und packte den Vertrag wieder in seinen Aktenkoffer. „In Ordnung, wie du wünschst.“ Kapitel 12: Freunde ------------------- Samstag, 27.08. Roland und Yuuto brachten die wichtigsten Aktenordner gerade zu ihm in das kleine Arbeitszimmer, dass Kaiba vor Jahren mal hatte einrichten lassen, aber nie benutzt hatte, wie der Knirps ihm erklärt hatte. Die Beiden wollten eigentlich, dass er sich in Kaibas Arbeitszimmer einrichtete, da dort alle wichtigen Unterlagen waren und nicht alles hin und her geräumt werden musste, doch Joey empfand es als falsch, sich in sein Heiligstes zu setzen. Er übertrat hier schon genügend Grenzen, da konnte er diese eine wenigstens da lassen, wo sie war. Mokuba hatte ihm daraufhin dieses Zimmer – einen Flur weiter – gezeigt und Joey hatte sofort zugestimmt. Es sah dem von Kaiba recht ähnlich – er hatte von draußen reingeschaut, es aber nicht einmal betreten –, aber es war etwas kleiner und kuscheliger. Neben der Tür war eine lange Kommode, auf der ein paar Vasen standen, darüber an der Wand hing ein Werbebild für die erste Dueldisk, die die Kaiba Corporation veröffentlicht hatte. Die Wände rechts und links bestanden aus eingelassenen Regalen, vollgestopft mit alten Ordnern, die Yuuto, Roland, Mokuba, zwei Hausmädchen und er in Kartons und in einen Abstellraum verfrachtet hatten, damit er sich hier drin einrichten konnte. Das dunkle Holz, welches mit Ornamenten verziert worden war, stand im krassen Kontrast zu den cremefarbigen Wänden, doch Joey gefiel der Raum auf den ersten Blick. Ein großer, massiver Mahagonischreibtisch erstreckte sich fast komplett zwischen den Regalen und nahm gefühlt ein Drittel des Raumes ein. Davor standen zwei passende, gepolsterte Stühle, dahinter ein großer Schreibtischstuhl, dem Joey sofort das Prädikat bequem ausstellte. Der Blonde nahm Platz und wie erwartet, war der Stuhl super gemütlich und schaute aus der riesigen Fensterfront nach draußen in den noch viel größeren Garten, dessen Ende er von hier aus nicht einmal sehen konnte. Ein kleiner See war auf der linken Seite in einiger Entfernung zu erahnen und Joey fragte sich, wie lange man wohl brauchte, um einmal um das Grundstück der Kaibas zu laufen. Er rechnete mit Stunden. „So, das war der letzte Karton“, brummte Yuuto und wischte sich mit einem Taschentuch über die verschwitzte Stirn. Joey drehte sich wieder um und lächelte, als er entgegnete: „Sehr gut. Dann können wir ja runtergehen.“ Irritiert hob der Anwalt eine Augenbraue hoch und der Blondschopf musste sofort an Kaiba denken. Das tat er immer, wenn jemand das machte. „Was ist denn unten?“, fragte er nach und Joey grinste. „Mokuba hat vor einer Stunde Hina Bescheid gegeben, dass sie Essen machen soll und das ist mittlerweile fertig. Also lass uns unten stärken“, klärte Joey auf und schlenderte zusammen mit Yuuto nach runter in die Küche, wo auch ein großer Esstisch stand. Es gab zwar auch ein Speisezimmer, doch das wurde anscheinend nur sehr selten benutzt, wie Joey aus Mokubas Erzählungen geschlossen hatte. Roland und der Knirps saßen bereits am Tisch und sie setzten sich dazu, als sich der Blonde irritiert umschaute. „Wo sind die beiden Hausmädchen, die ebenfalls geholfen haben?“ „Ich nehme an, irgendwas machen …“, entgegnete Mokuba überrascht, verstand dann aber, worauf er hinauswollte. Er ließ die Zwei rufen, die keine drei Minuten später in der Küche standen und fragten, was sie tun könnten. „Setzt euch und genießt das Essen mit uns“, forderte der Schwarzhaarige und zeigte auf zwei weitere Gedecke, die die Köchin gerade noch hingestellt hatte. Irritiert schauten sie sich an und waren offenbar unschlüssig, ob sie es wirklich wagen konnten. „Ihr habt uns beim Tragen genauso geholfen und habt bestimmt Hunger. Also keine Scheu“, munterte Mokuba sie noch einmal auf – Joey lächelte ihn zufrieden an – und vorsichtig näherten sie sich und nahmen Platz. Sie bedankten sich freundlich bei dem kleinen Kaiba und dann aßen sie alle gemeinsam. Der Knirps schien für den Moment recht glücklich zu sein, was Joey freute zu sehen. Wenigstens konnte er anscheinend etwas abschalten. Das war wichtig. Doch er selbst konnte das nicht. Noch immer fragte er sich, wie er sich auf dieses Himmelfahrtskommando hatte einlassen können. Er hatte zwar schon bereits verschiedene Jobs gemacht, aber eine Firma zu leiten, gehörte definitiv nicht dazu und so eine riesige sowieso schon gar nicht. Eine Stunde später beendeten sie das Essen und die Hausmädchen gingen sofort wieder ihrer Arbeit nach, während Joey von Yuuto, Roland und Mokuba in die Geschäfte der Kaiba Corporation eingeführt wurde. Die IT hatte bereits ein Emailkonto für ihn eingerichtet und Mokuba schickte alle wichtigen Mails von Setos Account auf seinen, was am Ende 96 Emails machte. Er würde Tage brauchen, um sich um die alle zu kümmern und halb verzweifelt ließ er den Kopf auf die Tischplatte knallen. Warum nur hatte er zugestimmt? Warum? „Kopf hoch, Joey. Wir bringen dir das alles bei und mit der Zeit wird es besser gehen“, munterte Yuuto ihn leicht lächelnd auf und er riss sich zusammen. Er hatte doch schon ganz andere Herausforderungen gemeistert, also würde er das hier auch schon irgendwie auf die Reihe bekommen. Er musste das ja auch nicht allein bewältigen, also Hintern zusammenkneifen und los. Mit neuem Elan lauschte er den Dreien, die sich abwechselten, um ihm die Grundlagen beizubringen. Nebenbei machte er sich viele Notizen in einem karierten Notizbuch, um nichts Wichtiges zu vergessen. Zu seiner eigenen Überraschung verstand er das meiste recht schnell und mit Mokubas Hilfe schrieb er drei Stunden später schon die ersten Emails. Es war bereits 19 Uhr, als es an der Tür klopfte und Joey „Herein!“ rief. Eine der Hausmädchen stand in der Tür und verbeugte sich leicht, als sie sagte: „Master Wheeler, es ist Besuch für Sie eingetroffen.“ „Ah, sehr gut! Bringen Sie sie bitte in den kleinen Salon. Wir kommen gleich!“, erwiderte Mokuba und das Hausmädchen schloss nach einer Verbeugung die Tür wieder, um der Anweisung Folge zu leisten. „Master Wheeler??? Das kann sie sich gleich wieder abgewöhnen!“, schnaubte Joey und wollte sich wieder der Akte über ein neues Projekt widmen, als Mokuba diese einfach schloss. „Wir machen morgen weiter. Für heute reichen sechs Stunden Input. Das musst du erst einmal sacken lassen. Morgen machen wir weiter.“ „Bist du sicher?“, hakte Joey nach und wollte nicht allzu glücklich klingen, doch die Aussicht auf Feierabend war schon sehr verlockend. Zumal es Samstag war, wo er normalerweise auf der faulen Haut liegen konnte! Doch es gab noch so viel für ihn zu lernen, dass er das Gefühl hatte, er konnte sich keine Pause und erst recht keinen Feierabend erlauben. „Ja, außerdem hast du Besuch!“, erinnerte ihn Mokuba grinsend und er stand, sich den Nacken reibend, auf. Die Verspannungen würden in den nächsten Tagen bestimmt nicht besser werden. Wer ihn wohl besuchte? Und das auch noch hier? Es wusste doch fast niemand, dass er hier war … Yuuto und Roland verabschiedeten sich von ihm und der kleine Kaiba brachte ihn in den bereits bekannten kleinen Salon, wo er beinahe umgekippt wäre, weil all seine Freunde dort auf den Sofas saßen und auf ihn warteten. „Was macht ihr denn hier, Leute?“, fragte er verdattert und Tea lächelte ihn freundlich an. „Mokuba hat uns vorhin angerufen und gebeten, dass wir herkommen sollen. Da haben wir uns natürlich sofort auf den Weg gemacht!“ „Ich dachte, du wolltest sie lieber vorher informieren, bevor sie am Montag in der Schule aus den Latschen kippen“, flüsterte der Kurze neben ihm und verschwand dann winkend und grinsend wieder nach draußen, bevor Joey etwas dazu sagen konnte. „Bin ich froh, euch zu sehen! Ihr werdet mir nie glauben, was heute alles passiert ist …“, murmelte er, schenkte sich einen Scotch ein, leerte ihn auf Ex und ließ sich erschöpft auf den Sessel fallen, der noch leer war. „Also was ist hier los? Warum bist du – anscheinend freiwillig – in Kaibas Villa?“, wollte Tristan neugierig wissen und Joey berichtete in Ruhe von dem Unfall, von Mokubas Anruf, dass er hier übernachtet hatte und der Kurze zu ihm ins Bett gekrabbelt war, von dieser wahnwitzigen Idee inkl. seiner Zusage und den ersten sechs Stunden Arbeit an einem Samstag. Grinsend nahm Joey zur Kenntnis, wie sich das Minenspiel seiner Freunde im Verlauf der Geschichte veränderte und sie ihn sprachlos anstarrten, als er zu Ende erzählt hatte. „Du als vorübergehender Chef der Kaiba Corporation?“, hakte Duke fassungslos nach. „Jup. So sieht es aus … Für ein paar Wochen, bis Kaiba das wieder selbst übernehmen kann.“ „Aber ist das nicht viel zu viel Verantwortung? Immerhin bist du für mehrere Tausend Mitarbeiter verantwortlich!“, mischte sich Tea schockiert ein und Joey hob beschwichtigend die Arme. „Ich mach das ja nicht allein, genau genommen bin ich wohl mehr ein Aushängeschild. Mokuba und Roland unterstützen mich, dann noch Yuuto, der Hausanwalt der Kaibas, Yukiko, Kaibas Sekretärin und Montag lerne ich noch eine Yuna kennen, die mir auch helfen soll. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sie die Personalchefin. Die kennen die Firma ja und sagen mir, was ich tun soll. Es geht ja mehr darum, dass die Kaiba Corporation nicht ohne Chef dasteht. Und da Mokuba verständlicherweise kein Vertrauen mehr in etwaige Stellvertreter bzw. Vizes hat, hat er mich dafür auserkoren. Ihr wisst doch, es gibt keine Herausforderung, die ein Wheeler nicht annimmt!“ „Ja, das hast du mit Kaiba gemein“, stimmte Bakura lächelnd zu und Yugi nickte bekräftigend. „Ich bin mir sicher, dass du das gut machen wirst, Joey. Und wenn du uns brauchst, sind wir natürlich da.“ Die anderen machten zustimmende Gesten und er lächelte seine Freunde an. „Ich danke euch. Könntet ihr mir auch noch einen Gefallen tun?“ „Na klar, was sollen wir tun?“, wollte Tristan sofort wissen und Joey druckste etwas herum, ehe er die richtigen Worte fand: „Da ja Kaiba nun einmal eine Person des öffentlichen Lebens ist und ich mich ab jetzt als sein Freund ausgeben muss, werde ich bestimmt auch in den Fokus der Reporter geraten und höchstwahrscheinlich werden sie auch über euch versuchen, an Informationen zu kommen. Ich weiß, das klingt jetzt echt bescheuert, aber könntet ihr ihnen stecken, dass Kaiba und ich bereits seit fast zwei Jahren ein Paar sind und wir das geheim halten wollten, um eben nicht in der Presse zu landen?“ Das klang so absurd! So falsch in seinen Ohren! Es war einfach unglaublich. Als würde er eine heimliche Beziehung mit dem Eisschrank führen … Als wäre er ein Eskimo, der die Kälte toll finden würde! Aber leider hatte er sich der Argumentation von Mokuba nicht entziehen können. Es war die einfachste Möglichkeit, um alle zu überzeugen, dass Seto ihm deshalb die Vollmacht gab. Und wie der Zufall es wollte, passte es daher auch gut, dass sie vor zwei Wochen gemeinsam zur Schule gefahren waren. „Klar, können wir machen. Ich hoffe, ich kann das auch glaubhaft rüberbringen …“, murmelte Tristan, der das ebenso wenig glauben zu können schien wie er selbst. Es war auch das letzte, womit er jemals in seinem Leben gerechnet hatte. Dass er mal so tun sollte, als wäre er der Partner von Seto Kaiba. „Ich weiß, wie absurd das klingt – das könnt ihr mir glauben! –, aber ich kann Mokuba hier nicht hängen lassen. Der Eisklotz ist nunmal sein heiß geliebter Bruder …“ „Schon gut, wir kriegen das hin. Mach dir darüber keinen Kopf. Du hast ganz andere Probleme gerade“, wiegelte Tea ab und dankbar nickte Joey ihr zu. Den Rest des Abends unterhielten sie sich noch über ganz andere Dinge, ließen die Seele baumeln und lachten viel gemeinsam. Doch gegen Mitternacht machten sich die Freunde langsam wieder auf den Heimweg und Joey schloss leise hinter ihnen die Tür, da das Personal mittlerweile Feierabend gemacht hatte und es still in der Villa war. Der Blondschopf war Mokuba dankbar, dass er seine Freunde eingeladen hatte und dass diese es so gut aufgenommen hatten. Doch es graute ihm vor Montag, wenn er als Kaibas Ebenbild mit Aktenkoffer, Laptop und Firmenhandy in der Schule auftauchen würde. Doch da es so viel zu tun gab, würde auch er die Zeit in den Pausen nutzen müssen. Die Pressemitteilung, dass Joey vorübergehender Chef der Kaiba Corporation war, war bereits vor ein paar Stunden rausgeschickt worden, nachdem Mokuba die Angestellten und wichtigsten Geschäftspartner in einer persönlichen Email davon in Kenntnis gesetzt hatte. Somit gab es keine Chance mehr, einen Rückzieher zu machen. Jetzt half nur noch Angriff. Das war die beste Verteidigung. Kapitel 13: Erinnerungsanruf ---------------------------- Sonntag, 28.08. Es war 8 Uhr, als Joeys Wecker klingelte und fluchend wollte er diesen an die Wand werfen, als ihm Gott sei Dank rechtzeitig einfiel, dass er nur noch sein Smartphone als Wecker nutzte. Er deaktivierte ihn also nur und gähnte herzhaft. Es war ein Sonntag, verdammt noch mal! Doch als Firmenchef war der Tag wohl egal, wie ihm schläfrig durch den Kopf ging. Widerwillig erhob er sich aus seinem Bett und trottete verschlafen in das angrenzende Bad, um sich zu duschen. Danach würde er sich bestimmt wacher fühlen. Nachdem die anderen gestern gegangen waren, hatte er sich doch noch mal ins Arbeitszimmer gesetzt, um ein paar Akten durchzugehen, als es plötzlich halb drei war und Joeys beschloss, sich noch eine Mütze voll Schlaf zu holen. Unter der kalten Dusche kehrten seine Lebensgeister langsam in seinen Körper zurück und Joey stellte das Wasser auf warm, um seinen lädierten Muskeln noch etwas Erholung zu gönnen, ehe er aus der Dusche stieg, sich abtrocknete und fertig machte. Aus der Sporttasche, die er dahatte, holte er frische Klamotten heraus und zog sich in Ruhe an. Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass er noch immer der Teenager von vor drei Tagen war, als er noch nicht gewusst hatte, was auf ihn zukommen würde. Einfach Jeans und T-Shirt musste halt immer noch gehen, zumindest solange er in der Villa war. Bei Geschäftsessen oder anderen Terminen musste er garantiert einen Anzug tragen. Nicht, dass er jemals einen getragen hätte. Und Mokuba, der kleine Rabauke, hatte bereits durchblicken lassen, dass bald ein Geschäftsessen anstand. Schließlich gehörte das auch zu den Aufgaben eines Geschäftsführers. Aber jetzt erst einmal in Ruhe frühstücken … Um 9 Uhr geht es weiter und ich habe wahrscheinlich noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs erkundet, wenn ich an all diese Aktenberge denke … Sich fragend, ob er jemals einen Durchblick haben würde, schlenderte er den mittlerweile bekannten Weg zur Küche und bemerkte die Köchin, die gerade Rühreier zubereitete. Von Mokuba gab es weit und breit keine Spur, anscheinend schlief der Knirps noch. „Guten Morgen, Hina“, grüßte Joey freundlich und griff sich reflexartig die Zeitung, die jemand auf den Tisch gelegt hatte. Das guten Morgen der Köchin ging bei ihm unter, als er die Schlagzeile sah, samt einem Foto von ihm daneben, auf dem er einen Anzug trug. Offenbar hatte Yuuto die Funktionsweise von Photoshop verstanden oder jemanden gefunden, der das übernommen hatte … „Joey Wheeler, Lebensgefährte von Seto Kaiba übernimmt Geschäfte, solange der Jungmilliardär wegen eines Verkehrsunfalls im Krankenhaus liegt!“ prangte da in zwei Zeilen fett auf der ersten Seite der „Domino Today“. Joey las den Artikel, in dem aber zum Glück kaum Informationen über ihn standen. Viel mehr hatten sie ein Statement von Mokuba abgedruckt, in dem er sich dankbar für seine Hilfe zeigte und dass er sich sicher war, dass er das ohne Probleme bewältigen konnte, da Seto ihm einiges für so einen Fall beigebracht hatte. Eins musste man dem Kurzen lassen. Er baute dieses Glashaus auf einem sehr breiten Fundament und schien die Presse sehr gut zu kennen, um sie für seine Zwecke nutzen zu können. Er sollte aufhören, ihn zu unterschätzen. Wer wusste schon, was noch in dem Kleinen schlummerte, von dem er nichts wusste? „Wo ist eigentlich Mokuba?“, fragte der Blondschopf sogleich, als Hina ihm den Teller hinstellte und sie lächelte ihn wie eine Mutter ihren Sohn an. Er mochte das, obwohl es Erinnerungen in ihm weckte, die ihm weh taten. Mit aller Kraft schob er sie beiseite und lauschte ihrer Antwort: „Er ist im Krankenhaus, seinen Bruder besuchen. Allerdings müsste er auch bald wieder zurück sein.“ Joey nickte und widmete sich dann seinem Essen, welches wirklich hervorragend schmeckte. Allerdings war er nicht sicher, ob er sich an all das Personal und den Prunk hier in den nächsten Wochen gewöhnen konnte. Immerhin war er ein Junge aus einfachen Verhältnissen, der jeglichen Widerständen allein getrotzt hatte, die das Schicksal ihm bisher vor die Füße geschmissen hatte und das waren nicht gerade wenig bisher gewesen. Dass er jetzt in diesem Luxus leben sollte, war ihm etwas unheimlich. Gestern hatte er sich darum keinen Kopf gemacht, weil er viel zu sehr mit Mokubas Idee beschäftigt gewesen war. Doch jetzt, wo er sich mit seiner neuen Rolle halbwegs abgefunden hatte, kamen die Gedanken umso heftiger und Joey spürte einen leichten Kopfschmerz. Er trank noch mehr Wasser, in der Hoffnung, dass die Kopfschmerzen nur daherrührten, dass er gestern wahrscheinlich zu wenig getrunken hatte und seufzte, als sein Handy klingelte. Wer war das denn jetzt? Auf dem Bildschirm blinkte ihm „Unbekannter Teilnehmer“ auf und erschrocken hätte Joey beinahe das Handy fallen gelassen. Verdammte Scheiße, das hatte er ganz verdrängt in all dem Trubel! Schnell stürzte er aus der Küche und nahm ab, als er die Tür des kleinen Salons wieder geschlossen hatte. Das hier durfte niemand erfahren – niemand! „Ja?“, fragte er unsicher und hoffte, dass sein Herz noch bei ihm bleiben würde, so schnell wie es schlug. Schließlich brauchte er es noch für eine sehr lange Zeit! „Hier Shinichi. Hätte ich geahnt, dass du so eine Karriere hinlegst, hätte ich dir eine noch höhere Rechnung gestellt“, sagte die Stimme vergnügt und Joey erschauderte es. Er hatte das Gefühl, dass die Temperatur des Raumes gerade um mindestens 20°C abgenommen haben musste. „Die Summe reicht jawohl vollkommen. Außerdem ist die erste Rate da. Es gibt also keinen Grund, mir auf die Eier zu gehen“, beschwerte sich der Blondschopf genervt und hätte am liebsten aufgelegt, doch er wusste nicht, wie dieser Shinichi darauf reagieren würde, also ließ er es bleiben. Seine Worte konnten schon als zu frech rüberkommen, aber er hatte sich nicht beherrschen können. „Na na, nicht solche Ausdrücke hier. Das gehört sich als Firmenboss nicht. Ich wollte mich nur mal erkundigen, wie es dir so geht, jetzt mit all der Verantwortung.“ „Bestens, danke der Nachfrage. Und jetzt muss ich auflegen. Die nächste Rate wird pünktlich überwiesen, also kein Grund zur Panik.“ „Gut.“ Mehr sagte Shinichi nicht, sondern legte selbst auf. Joey starrte das Handy ein paar Sekunden lang an und wusste nicht, wie er die nächste Rate bezahlen sollte. Immerhin nahm er kein Geld von Mokuba für seine Hilfe, aber seinen Nebenjob konnte er definitiv abhaken. Das konnte er unmöglich schaffen. Also musste er sich etwas einfallen lassen, aber auch das würde er schon irgendwie hinkriegen. Bis jetzt hatte es für alles eine Lösung gegeben. Da er gerade eh daran gedacht hatte, kündigte er seinen Nebenjob in dem Nobelrestaurant und entschuldigte sich, dass das so plötzlich war, doch er müsse seinem Freund in dieser schweren Zeit jetzt unbedingt beistehen. Als er die Email noch einmal Korrektur las, klangen die Worte so hohl in seinem Kopf und er war über sich selbst überrascht, wie leicht es ihm fiel, all diese Leute einfach anzulügen. Das war definitiv nicht gut und er sollte schwere Gewissensbisse haben, doch sie kamen einfach nicht. Hatt er sich jetzt schon verändert? Seufzend schickte er die Email ab und verstaute sein Handy wieder in der Hosentasche. Er kehrte in die Küche zurück, um sein Frühstück aufzuessen, welches Hina freundlicherweise warmgehalten hatte und war noch eine Weile in Gedanken versunken, bis er Mokuba, Yuuto und Roland hörte, die aus dem Krankenhaus kamen. Dem Blick nach zu urteilen, gab es von dort keine Neuigkeiten und Joey schnappte sich eine Wasserkaraffe und ein Glas und marschierte ins Arbeitszimmer vor. Es wurde Zeit, weiter in die Welt der Kaiba Corporation einzutauchen. Kapitel 14: Neuer Schulalltag ----------------------------- Sonntag, 28.08./Montag, 29.08. Völlig fertig und geschafft ließ sich Joey aufs Bett fallen und hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich das Oberteil auszuziehen. Volle zehn Stunden lang hatte er gearbeitet, sich weiter über Projekte informieren lassen und gelernt, Statistiken und Bilanzen zu lesen und zu interpretieren. Außerdem hatte er von Yuuto einen Crashkurs in Geschäfts- und Juristensprache bekommen, den er morgen weiter fortsetzen wollte. Obwohl Joey wahrscheinlich noch nicht einmal 1 % gelernt hatte, hatte er allmählich das Gefühl, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie die Dinge zusammenhingen. Dabei kam ihm zugute, dass Kaiba ein sehr ordentlicher Mensch war, der die Sachen auf eine bestimmte Weise anging. Wenn er das verinnerlicht hatte, würde ihm der Rest bestimmt leichter fallen. Als wenn dieser zehn Stunden Marathon nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte er danach noch als Model herhalten müssen, damit der Schneider noch eine ganze Reihe von Anzügen nähen konnte, damit er für die High Society gewappnet war, wie der kleine Kaiba es genannt hatte. High Society … Das klang so gar nicht nach ihm. Es war noch immer alles vollkommen verrückt und absurd und Joey war sich sicher, dass er bald in seinem Bett in seiner kleinen Wohnung wach wurde und feststellte, dass er zu viele Schmerztabletten geschluckt hatte und deswegen so komisch geträumt hatte, doch bisher war ihm das noch nicht vergönnt gewesen. Aber das konnte hier doch unmöglich die Realität sein! Und dann war morgen auch noch der erste Schultag nach Kaibas Unfall. Seine Klassenkameraden würden ihn wahrscheinlich den lieben Tag lang belagern und nerven, während er nur dem Unterricht folgen wollen würde, damit er einen guten Abschluss machen konnte. Das würde ein Kampf werden. Es war sechs Uhr morgens und Joey kämpfte sich aus dem Bett, machte sich im Bad fertig und zog seine Schuluniform an. Irgendwie fühlte sie sich jetzt anders an als letzte Woche. Pure Einbildung!, wies er sich in Gedanken zurecht und schlenderte mit gepacktem Aktenkoffer nach unten in die Küche, wo Mokuba bereits frühstückte. „Guten Morgen, Mokuba. Gut geschlafen?“, grüßte er den Kleinen lächelnd, der sich an einem Nutellabrötchen zu schaffen machte und ihn anschaute. „Ja, und du?“, fragte er zurück und Joey erwiderte, dass es schon in Ordnung gewesen war. Tatsächlich hatte er irgendetwas geträumt, von dem er leider keine Ahnung mehr hatte, was es gewesen war. Ihn beschäftigte, dass er sich so komisch verwirrt gefühlt hatte, als er aufgewacht war, aber egal, wie sehr er versuchte, sich zu erinnern, er schaffte es nicht. Da war nur Leere. „Ich habe heute bis 13 Uhr Schule und fahre dann in die Firma. Du hast bis 15 Uhr Schule, richtig?“, vergewisserte sich Mokuba und der Blondschopf nickte. „Ja, acht Stunden Hölle. Heute wird es garantiert besonders schlimm.“ „Ach, du wirst das schon schaffen. Deine Freunde sind ja auch da! In der Firma machen wir dann einen Rundgang und stellen dich den Angestellten vor, nachdem du deine Sachen hochgebracht hast, damit sie dich auch kurz persönlich kennenlernen können. Am besten überlegst du dir ein paar nette Worte, die du ihnen jeweils sagen möchtest.“ „Okay, das kriege ich hin. Dann bis später, Kleiner“, meinte Joey und wuschelte ihm lächelnd durch die Haare, als Mokuba ihn kurz umarmte und dann zu Thomas ging, der ihn zur Schule brachte. Was Roland für Seto war, war Thomas für Mokuba. Das hatte Joey bereits verstanden. Noch etwas irritiert über das geschäftsmäßige Verhalten des Kleineren frühstückte er selbst, blätterte nebenbei durch die Zeitung, auch durch den Wirtschaftsteil, von dem er mehr verstand, als er gedacht hatte, und stand dann schließlich auf, als Kaibas Assistent in der Tür erschien und ihm einen guten Morgen wünschte. „Dir auch, Roland. Dann lass uns los. Wir nehmen den Wagen mit den getönten Scheiben, ja? Ich bin mir sicher, dass draußen noch immer Reporter sind …“ „Ja, da kannst du von ausgehen“, bestätigte Roland und sie marschierten wieder in die Tiefgarage. Erneut ging das Blitzlichtgewitter los, als sie das Grundstück verließen, doch Joey zuckte dieses Mal nicht zusammen. Er würde sich für die nächsten Wochen daran gewöhnen müssen, ob es ihm nun passte oder nicht. Und er sollte sämtliche Klatschblätter- und Internetseiten meiden. Sonst würde er wahrscheinlich Tobsuchtsanfälle bekommen. Die Fahrt an sich verlief ruhig und der Blonde schaute die meisten Zeit aus dem Fenster, ließ die spätsommerliche Atmosphäre auf sich wirken und versuchte sich einen Plan zurechtzulegen, wie er sich gleich in der Schule verhalten wollte, doch er kannte sich lang genug, um zu wissen, dass die Überlegungen sinnlos war. Er war ein impulsiver Mensch und reagierte auf die Schwingungen der anderen. Also konnte er eh nicht zu 100% steuern, was er sagen oder tun würde. Nach 20 Minuten waren sie angekommen und dieses Mal blieb er so lange sitzen, bis Roland herumgekommen war, um ihm die Tür zu öffnen. Er hatte darauf bestanden, weil das so standesgemäß war und Joey hatte sich dem Assistenten gebeugt, um keine endlosen Diskussionen heraufzubeschwören. Zwar hätte er das dem Grünhaarigen auch verbieten können, aber er wollte, dass Roland weiterhin so offen mit ihm sprach wie bisher, denn er wollte und brauchte seine ehrliche Meinung. Da war das Warten, bis ihm die Tür geöffnet wurde, nicht so dramatisch für ihn. Sofort waren ihm sämtliche Blicke in der näheren Umgebung sicher und Joey nickte Roland freundlich zu und verabschiedete ihn bis später. Dann setzte er sich mit dem Aktenkoffer bewaffnet in Richtung des Schulgebäudes in Bewegung, wofür er aber den Schulhof einmal komplett überqueren musste. Joey war sich nicht sicher, woran es lag, aber die anderen machten ihm Platz, als wäre er Seto Kaiba persönlich, dabei schlenderte er zwar mit geradem Rücken, aber dennoch recht entspannt an allen vorbei und grüßte auch bekannte Gesicht mit einem Winken. Vielleicht war es die Aura eines Firmenbosses, die ihn jetzt auch umgab und alle kuschen ließ. Es war eine total merkwürdige Situation und Joey hoffte, dass sich die anderen bald wieder einkriegten. Das machte einen ja ganz verrückt! Natürlich entging ihm auch nicht, dass sie alle tuschelten und sich dabei teilweise die Hände vor den Mund hielten, um das zu kaschieren, doch das war ihm überraschenderweise egal. Wahrscheinlich, weil er die Wahrheit kannte und es ihm gleichgültig war, was sich die anderen da zusammenreimten, mit den wenigen korrekten Informationen, die sie hatten. „Hey Joey, guten Morgen!“, rief eine bekannte Stimme hinter ihm und er drehte sich abrupt um, entdeckte seine gute Freundin, die winkend auf ihn zukam. „Morgen Tea“, erwiderte er grinsend und begrüßte auch seine anderen Freunde, die hinter ihr langsam angelaufen kamen. „Wow, du jetzt also auch mit Aktenkoffer?“, bemerkte Yugi staunend und Joey nickte. „Ja, das bleibt leider nicht aus. Direkt nach der Schule geht es in die Firma, Vorstellung vor den Mitarbeitern und so weiter“, erklärte der Blondschopf und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Froh, dass wenigstens seine Freunde ihn ein bisschen Normalität spüren ließen, schlenderte er mit ihnen in das Schulgebäude und in den Klassenraum, der bereits ziemlich voll war. Offenbar hatten sie alle nur darauf gewartet, dass er reinkam, denn sofort versuchten die anderen ihn zu belagern, doch Tristan und Duke konnten ihn zu seinem Platz begleiten, während der Rest unaufhörlich durcheinander quasselte und Fragen stellte, bis Joey der Kragen platzte und „Ruhe!“ brüllte. Augenblicklich wurde es leise im Raum und er seufzte erleichtert. „Ich werde euch keine einzige Frage beantworten. Kommt damit klar, dass ich mit Seto zusammen bin und ich ihn in dieser schrecklichen Situation selbstverständlich unterstütze.“ Damit war das Thema für ihn – aber nicht für die anderen, doch die ignorierte er gekonnt – abgeschlossen und er holte seine Schulsachen raus, die er für die erste Stunde brauchte. Außerdem schaute er auf das Firmenhandy, dass Yuuto ihm gestern noch mitgebracht hatte, und sein Email Posteingang quillte weiterhin über. Gefühlt jeder Geschäftspartner hatte ihm auf Mokubas Nachricht geantwortet, Beileid für diese schwere Situation ausgesprochen und Hilfe zugesagt, wenn er diese brauchte. Natürlich freute man sich auch auf die Zusammenarbeit und darauf, ihn einmal persönlich kennenzulernen. Während der Rest noch ein paar Minuten versuchte hatte, ihn zum Reden zu bringen, seine Freunde ihn aber davon abgeschirmt hatten und sie auch endlich verscheucht bekommen hatten, hatte er noch ein paar der Emails mit einem Standardtext beantwortet. Er dankte für das Beileid und die Hilfe und hoffe, dass ein persönliches Treffen in der frühen Zukunft möglich sei, nachdem er sich eingearbeitet hatte. Natürlich schickte er das jedes Mal in leicht abgewandelter Form, damit die Geschäftspartner nicht untereinander merkten, dass er einfach nur copy & paste gemacht hatte. Danach unterhielt er sich noch ein paar Minuten mit seinen Freunden über ihr Wochenende und was sie noch so gemacht hatten, - dankbar, dass der Rest ihn zumindest für den Moment in Ruhe ließ – dann kam auch schon Herr Shirokawa rein und begrüßte die Klasse. Als sich alle nach der Begrüßung wieder hingesetzt hatten, wandte er sich direkt an Joey und sagte: „Mein Beileid, dass Mister Kaiba diesen Unfall hatte. Wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich gern. Ich bin aber stolz darauf, dass du dich dieser großen Herausforderung stellst und ihm so fest an der Seite stehst. Das ist sehr vorbildlich!“ „Ich danke Ihnen, Herr Shirokawa. Da ich bereits mitten in der Einarbeitung bin, kann es allerdings sein, dass das Handy klingelt …“, tastete sich Joey vorsichtig vor und der Lehrer winkte ab. „Das ist gar kein Problem. Du kannst ruhig rausgehen. Nur achte bitte darauf, dass du den Schulstoff deswegen nicht allzu vernachlässigst. Du hast dir die ersten Wochen so viel Mühe gegeben, dass es schade wäre, wenn das alles umsonst war.“ „Keine Sorge, Herr Shirokawa. Ich werde weiterhin mein Bestes geben, um einen guten Abschluss zu machen“, beruhigte der Blonde ihn mit einem leichten Lächeln und konnte nicht fassen, wie nett er plötzlich war, nur weil er Aushilfsboss war. Früher hatte er nur Verachtung für ihn übriggehabt, wenn er zu spät hereinkam oder wieder mal eine verstauchte Hand hatte und nicht richtig schreiben konnte. Und jetzt, wo er Verantwortung trug? Kuschte er einfach so vor ihm? Menschen konnten so widerlich sein … Andererseits glaubte Joey schon, dass der es gut fand, dass er sich so für Seto einsetzte, was ihn etwas verwirrte. Doch das war ja nun egal. Es gab Wichtigeres. Er konzentrierte sich auf den Unterricht und war froh, dass ihm gestern Abend noch eingefallen war, dass er noch Hausaufgaben zu erledigen hatte. Die ersten zwei Stunden verliefen noch ohne Störung und die Lehrer verhielten sich alle auffällig nett ihm gegenüber, was definitiv ein paar Fragen aufwarf, denen Joey noch auf den Grund gehen wollte, doch nun klingelte während des Geographieunterrichts das Firmenhandy. Joey entschuldigte sich hektisch bei der Lehrerin und verließ den Raum. Im Gang war Gott sei Dank niemand und so lehnte er sich gegen die Wand und nahm das Gespräch schnell entgegen. „Hier Joey Wheeler, Kaiba Corporation.“ „Guten Morgen Mr. Wheeler. Mein Name ist Yuna und ich bin die Personalleiterin in der Kaiba Corp. Entschuldigen Sie die Störung, aber sobald Sie in der Firma sind, müssen wir uns kurz mit Mokuba zusammensetzen. Es gibt da einen ärgerlichen Zwischenfall, der Ihrer Aufmerksamkeit bedarf.“ „Ähm ja natürlich, kein Problem“, erwiderte Joey und schaute auf die teure Armbanduhr, die Mokuba ihm aus Kaibas Sammlung gegeben hatte, als er fortfuhr, „Ich werde um 15:30 Uhr in der Firma sein. Kommen Sie dann in Kai– Setos Büro und wir klären das.“ „Sehr gut. Ich freue mich darauf, Sie nachher kennenlernen zu können, Mr. Wheeler. Bis später.“ „Ich mich auch, bis später.“ Er legte wieder auf und schrieb Yukiko eine kurze SMS, dass er von 15:30 Uhr bis 16 Uhr ein Meeting mit Mokuba und Yuna in Kaibas Büro hatte und betrat wieder den Klassenraum. Ohne Gemecker seitens der Lehrerin setzte er sich wieder an seinen Platz und folgte wieder aufmerksam dem Unterricht, auch wenn er sich fragte, was für einen Vorfall es gegeben haben mag. Kapitel 15: Erste Entscheidung ------------------------------ Montag, 29.08. Nach der Schule, wo es zu keinen weiteren Anrufen kam, verabschiedete er sich kurz von seinen Freunden und wollte erst automatisch zu den Fahrradständern gehen, bis er im Augenwinkel die Limousine entdeckte. Ach ja, sein Fahrrad war ja gar nicht hier … Schnell schwenkte er um und schritt zu Roland, der bereits die Tür öffnete. „Wie war dein Tag?“, fragte er leicht lächelnd und Joey seufzte. „Interessant, wenn man mal von den ganzen Beleidigungen absieht, die man an den Kopf geworfen bekommt, wenn man nicht der Norm entspricht. Teenager können so grausam sein, echt unfassbar. Aber weißt du, was noch viel unglaublicher ist, Roland? Ich habe es tatsächlich geschafft, das an mir abperlen zu lassen. Ist das so ein Bossding, dass das klappt?“, hakte der Blonde interessiert nach und legte den Aktenkoffer auf eine der seitlichen Bänke. „Vielleicht, ja. Die Fahrt wird ungefähr 40 Minuten dauern“, informierte ihn Roland leicht schmunzelnd, nickte ihm kurz zu und schloss die Tür. Der Assistent setzte sich ans Steuer und der Wagen setzte sich langsam in Bewegung. Joey holte den Laptop aus dem Koffer und fuhr ihn hoch. Bei der Länge der Fahrt konnte er sich wenigstens schon mal einen Überblick über die Emails verschaffen und ein paar vielleicht beantworten. Es gab ein paar aus der Grafikabteilung mit Entwürfen für ein neues Spiel, die er markierte, um sie sich späterhin noch in Ruhe anschauen zu können. Außerdem gab es ein paar Geschäftspartner, die sich bezüglich Vertragsverlängerungen treffen wollten. Anscheinend war Kaiba dabei gewesen, gewisse Verträge neu auszuhandeln. Na toll, Gott sei Dank war er da zwar nicht allein, dennoch würde er seine Anzüge wohl bald brauchen. Ansonsten gab es noch weitere Emails, mit denen Joey noch nichts anfangen konnte. Also fuhr er den Laptop wieder herunter und schaute die letzten Minuten noch aus dem Fenster. Seufzend bemerkte er, dass vor dem Haupteingang der Kaiba Corp. eine ganze Meute von Journalisten stand und der Sicherheitsdienst alle Hände voll zu tun hatte, sie draußen zu halten. Roland fuhr um die Ecke und einen Schleichweg zum Hintereingang der Firma entlang, der in die Tiefgarage führte. Joey nahm den Aktenkoffer und stieg aus. Er folgte Roland zum Fahrstuhl und musste kurz an Shinichi denken. Auch dort hatte man ihn in eine Tiefgarage gebracht und der Aufzug hatte ihn direkt in sein Apartment hochgefahren. Unruhig ließ er unbewusst die Schultern kreisen. Wie hatte sein alter Herr nur so viele Schulden machen können? Roland interpretierte seine Geste als Nervosität und versuchte, ihn zu beruhigen, in dem er ihn ablenkte. Mit einem Ohr hörte der Blonde, wie der Assistent ihn aufklärte, dass dies der persönliche Fahrstuhl von Kaiba war und nur seine engsten Vertrauten damit fahren durften. Joey nickte und sagte nichts weiter dazu. Ein eigener Fahrstuhl? Das war in seinen Augen unnötig und dämlich, aber sei es drum. Es war nicht seine Baustelle, passte aber zu dem Eisschrank. Bloß nicht zu viel mit dem normalen Fußvolk Kontakt haben. Im obersten Stockwerk angekommen, trat Roland zuerst hinaus und Joey folgte ihm in einen hellen, langen Flur. An den hellblau gestrichenen Wänden waren Bilder von Erfindungen der Kaiba Corp. und der Boden war aus hellem, sündhaft teurem Holzparkett. An sich war es ganz schön, doch Joey nervte es, dass es keine Fenster gab. Das machte den Gang irgendwie so eng, so dunkel trotz der Beleuchtung. Ihm fiel nicht das richtige Wort ein, um das zu beschreiben. „Yukiko? Darf ich dir Joey Wheeler vorstellen?“, fragte Roland und blieb vor einem Tresen stehen, der rechts neben der großen Doppeltür stand. Eine junge rothaarige Frau stand auf und lächelte freundlich. Sie trug ein hellbraunes Kostüm und erinnerte Joey ein wenig an Tea. Sie schien ebenfalls sehr ruhig zu sein, würde sich aber garantiert sehr gut durchsetzen können, sonst wäre sie für diesen Posten bestimmt ungeeignet. Außerdem würde Kaiba kein aufgedrehtes Personal in seinem direkten Umfeld dulden … Joey trat an den Tresen heran und sie kam um diesen herum, um ihn besser begrüßen zu können. „Hallo Mr. Wheeler. Ich freue mich sehr, Sie kennenlernen zu dürfen. Selbstverständlich werde ich Sie, so gut es geht, unterstützen. Gern können Sie mich alles fragen.“ „Ich danke Ihnen und habe direkt eine Bitte“, begann Joey und schüttelte die Hand der Sekretärin, als er fortfuhr, „Bitte nennen Sie mich Joey und duzen mich. Sonst komme ich mir so alt vor.“ Yukiko nickte ihm lächelnd zu und versprach, ihn zu duzen. Er wollte gerade noch etwas Smalltalk mit ihr halten, als aus dem zweiten Fahrstuhl eine weitere Frau trat. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug mit schwarzen Pumps, hatte die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und machte einen sehr selbstbewussten Eindruck, als sie schnellen Schrittes auf sie zukam. „Mr. Wheeler? Ich bin Yuna, die Personalleiterin. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen“, grüßte sie ihn mit einem leichten Lächeln und reichte ihm eine Hand. Joey schüttelte sie und lächelte auch, als er erwiderte: „Freut mich ebenfalls. Bitte nennen Sie mich Joey.“ „In Ordnung, Joey. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber könnten wir reingehen? Ich habe gleich noch ein anderes Meeting.“ „Ja natürlich, gehen wir. Könnte ich noch einen Kaffee bekommen, Yukiko?“, fragte Joey unruhig, denn er war es nicht gewohnt, andere darum zu bitten und eigentlich wollte er das auch gar nicht, aber Yuna würde es ihm wohl kaum durchgehen lassen, jetzt erst noch die Küche zu finden und sich einen Kaffee zu holen. Außerdem öffnete Roland bereits eine der Doppeltüren. Er hörte noch, wie Yukiko bejahte, dann trat der Blonde ein und stellte fest, dass er sich das Büro genauso vorgestellt hatte. Leer, einsam und ohne Emotionen. Gegenüber der Tür war ein großer Schreibtisch, dahinter eine riesige Fensterfront. Links von ihm eine Wand mit einer Vitrine, in der Preise ausgestellt waren, die die Firma bekommen hatte. Rechts von ihm ging das Büro noch etwas um die Ecke weiter und Joey entdeckte zwei gegenüberstehende Ledersofas mit einem Glastisch dazwischen. Natürlich war alles nur aus den besten und teuersten Materialien, dennoch wirkte es kalt und beinahe steril in Joeys Augen. Ja, das war typisch Kaiba. Bloß nichts Persönliches … Mokuba saß bereits auf einem der Sofas und alle grüßten sich kurz, dann nahm Joey neben Mokuba Platz und bat Roland und Yuna, sich ebenfalls zu setzen, was diese auf dem gegenüberliegenden Sofa auch taten. „Also, was gibt es, Yuna?“, fragte Joey und hörte aufmerksam zu, als sie erklärte: „Ein langjähriger Mitarbeiter aus der Marketingabteilung wurde des Diebstahls überführt. Natürlich werde ich ihm gleich noch die fristlose Kündigung in die Hand geben. Aber Herr Kaiba bestand schon immer darauf, über sämtliche Entlassungen informiert zu werden. Daher dachte ich, dass du das auch wissen möchtest.“ „Was hat er gestohlen?“, forschte der Blonde nach. „9000 Yen.“ Joey schwieg einen Augenblick, hörte zu, wie Yuna Mokuba den Namen des Angestellten nannte und dieser ungläubig den Kopf schüttelte, weil er schon viele Jahre für die Kaiba Corp. gearbeitet und immer gute Arbeit geleistet hatte. Offenbar gingen einige erfolgreiche Werbekampagnen auf ihn zurück. Die Tür wurde geöffnet und Yukiko brachte ihm den gewünschten Kaffee auf einem Tablett. Sie stellte Zucker und Milch dazu, da sie nicht wusste, wie er seinen Kaffee trank. Er bedankte sich bei ihr und bat mit einer Handbewegung, dass sie noch kurz blieb. Also blieb sie mit dem leeren Tablett im Arm neben dem Sofa stehen und wartete ab. „Ich möchte mit dem Mann sprechen. Unter vier Augen.“ Alle schauten Joey an, als hätte er gerade mit einer Banane telefoniert. „Warum?“, wollte Mokuba wissen. „Weil ich wissen möchte, warum er das getan hat. Wenn er so einen guten Ruf genießt und viele Erfolge verbuchen kann, wundert es mich, dass er das einfach so für 9000 Yen auf’s Spiel setzt. Dafür muss es einen Grund geben und den möchte ich in Erfahrung bringen. Yukiko, magst du bitte Herrn Nakamura aus der Marketingabteilung informieren, dass er herkommen soll?“ Sie nickte lächelnd und verließ das Büro wieder, um den betreffenden Mitarbeiter zu informieren. „Wenn ich das hier schon durchziehen soll, dann mit Mitspracherecht. Und bevor hier jemandem gekündigt wird, möchte ich den Grund erfahren und mit der Person reden.“ Yuna wollte etwas erwidern und Roland musterte ihn ebenfalls irritiert, doch Mokuba lächelte und nickte zustimmend. „In Ordnung, Joey. Allerdings möchten wir nach dem Gespräch informiert werden und dann entscheiden wir gemeinsam, was wir tun.“ „Ist gut. Ich melde mich dann gleich bei euch.“ Es klopfte an der Tür und für die anderen Drei war es das Zeichen, zu verschwinden, während die Tür geöffnet wurde und Yukiko in der Tür erschien. „Herr Nakamura ist jetzt da“, verkündete sie und ließ die anderen Drei austreten. Joey bat ihn herein und setzte sich mit dem älteren Herrn auf die Sofas. Er bot ihm etwas zu trinken an, was dieser ablehnte und der Blonde beobachtete, wie sein Gegenüber nervös mit den Fingern herumspielte. „Also Herr Nakamura, Sie wissen, warum Sie hier sind?“, fragte Joey direkt und der Mann nickte langsam, während er etwas Milch in seinen Kaffee gab, umrührte und einen Schluck trank. „Ja, ich habe einen großen Fehler gemacht …“ „Warum haben Sie das Geld gestohlen?“, wollte der Blondschopf wissen, während er die Kaffeetasse wieder abstellte und Herr Nakamura rutschte unruhig auf dem Platz hin und her. Er hatte schütteres, dunkles Haar mit grauen Strähnen und seine Augen machten einen übermüdeten Eindruck. Der Anzug saß nicht so akkurat, wie er es wahrscheinlich noch vor einiger Zeit getan hatte. Es schien, als hätte er abgenommen und der Anzug wäre ihm eine Nummer zu groß geworden. „Es tut mir so leid, Mr. Wheeler! Ich arbeite schon so viele Jahre für diese Firma. Sowohl unter Gozaburo als auch unter dem jungen Herrn Kaiba. Aber ich … Sie müssen wissen …“ – der Mann seufzte und rieb sich kurz über das Gesicht – „Meine Frau hat sich vor ein paar Monaten von mir getrennt. Offenbar hatte sie monatelang eine Affäre, von der ich nichts wusste. Wir haben drei Kinder, für die ich jetzt Unterhalt bezahlen muss und so reicht das Geld kaum noch, um Essen und Trinken zu kaufen. Daher habe ich … Als die Gelegenheit günstig war … Da habe ich das Geld aus der Kasse genommen. Ich hatte Hunger und habe mir von dem Geld etwas zu essen und zu trinken gekauft. Den Rest des Geldes habe ich noch! Hier ist es!“ Joey hörte ihm in Ruhe zu und seine Menschenkenntnis – auf die er sich verlassen konnte – verriet ihm, dass dieser Mann ehrlich verzweifelt war. Er würde Roland bitten, die Angaben trotzdem zu prüfen und wenn sie der Wahrheit entsprachen, wollte er mit Yuna sprechen, ob sie nicht eine andere Möglichkeit fanden, um ihn zu bestrafen. Mit zittrigen Händen holte der Angestellte sein Portemonnaie aus der Innentasche seines Sakkos und legte ihm 3.650 Yen auf den Tisch. Er hatte noch nicht einmal das gesamte Geld ausgegeben. „Ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit, Herr Nakamura. Natürlich muss es dafür eine Strafe geben, aber ich werde klären, wie sie ausfallen wird. Sobald darüber entschieden wurde, werden Sie informiert. Bis dahin gehen Sie bitte wieder an die Arbeit.“ „Ich danke Ihnen sehr, Mr. Wheeler!“ Herr Nakamura stand auf, schüttelte ihm noch einmal dankbar die Hand und verschwand nach draußen. Er holte die anderen Drei wieder rein, klärte sie über die Situation auf und bat Roland, die Informationen zu prüfen, was dieser sofort in Angriff nahm. „Welche Möglichkeiten haben wir noch für eine Bestrafung? Wenn das wirklich der Wahrheit entspricht, will ich ihm nicht kündigen. Er ist eh schon am Boden, da müssen wir nicht noch nachtreten.“ „Wir könnten ihm die restlichen vier Urlaubstage streichen z.B. oder das Weihnachts- und Urlaubsgeld“, entgegnete Yuna und Joey nickte langsam. „Gut, sollten sich seine Informationen bewahrheiten, wird ihm für dieses Jahr das Weihnachtsgeld und nächstes Jahr das Urlaubsgeld gestrichen. Soweit ich weiß, wurde das Urlaubsgeld für dieses Jahr bereits ausgezahlt, richtig?“ „Ja, genau.“ „Außerdem wird er nur beratend wichtige Projekte begleiten, aber nicht selbst leiten. Dieses Recht muss er sich erst wieder erarbeiten. Ach so und helfen Sie ihm bitte, eine kleinere und günstigere Wohnung zu finden und einen Nachmieter für die jetzige Wohnung. Dann wird sich seine finanzielle Lage auch wieder beruhigen.“ „In Ordnung, ich notiere mir das und wenn du mir Bescheid gibst, dann trage ich das so in die Akte ein. Sollte er das allerdings dann noch einmal tun …“ Yuna ließ den Rest des Satzes unausgesprochen in der Luft hängen, doch Joey verstand und nickte. „Das nächste Mal fristlose Kündigung, inkl. Anzeige bei der Polizei. Ich bin bereit, den Menschen eine zweite Chance zu geben, aber wenn sie diese nicht nutzen, müssen sie mit den Konsequenzen leben.“ „Gut, das finde ich sehr fair von dir und wird bestimmt wohlwollend von der Belegschaft zur Kenntnis genommen. Wenn es in Ordnung ist, würde ich mich jetzt gern wieder auf den Weg machen. Das nächste Meeting fängt leider gleich schon an“, bat Yuna und Mokuba und Joey verabschiedeten sie. Einen Moment lang blieben die Zwei allein im Büro und der Blondschopf wandte sich an den kleinen Kaiba: „Ist das so für dich auch in Ordnung, Mokuba? Du hast dazu gar nichts mehr gesagt.“ „Ja, vollkommen. Ich melde mich schon, wenn mich etwas stört. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wenn ich schweige, ist alles im grünen Bereich“, entgegnete der Kleine grinsend und zog ihn dann nach draußen, um endlich die Vorstellungsrunde zu starten. Dafür fuhren sie in Kaibas Aufzug bis ins Erdgeschoss, um bei der Empfangsdame anzufangen. Da die Halle sehr groß war und die Reporter von mehreren Sicherheitsleuten am Eindringen gehindert wurden, konnten sie sich gefahrlos dort aufhalten. „Hallo Sakura. Darf ich dir Joey Wheeler, die Vertretung meines Bruders, vorstellen? Er wird sich in den nächsten Wochen um die Firma kümmern, bis mein Bruder wieder vollständig gesund ist“, erläuterte Mokuba und Joey schüttelte ihr lächelnd die Hand. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Auf eine gute Zusammenarbeit. Sollten Sie etwas Wichtiges haben, was Sie beschäftigt, scheuen Sie sich bitte nicht, mich anzusprechen. Gern können Sie bei Yukiko einen Termin für ein Gespräch vereinbaren, sollten Sie meine Hilfe brauchen.“ „Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Wheeler. Vielen Dank für das freundliche Angebot. Sollte es etwas geben, werde ich gern darauf zurückkommen“, versprach Sie mit einem Lächeln und Mokuba verabschiedete sich wieder von ihr, um weiterzugehen. Und so arbeiteten sie sich Stockwerk für Stockwerk, Büro für Büro weiter durch. Freundlich lächeln, zunicken, jedem kurz die Hand schütteln, ein kurzes Gespräch mit den Abteilungsleitern. Es dauerte fast drei Stunden, bis sie wieder in Kaibas Büro angekommen waren und Joey sich ziemlich fertig auf den Stuhl fallen ließ. Selbst das Putzteam kannte er jetzt, aber Joey fand es gut, dass Mokuba jeden Angestellten gleich behandelte. Das wollte er auch so handhaben. Er war aber wirklich froh, dass er das nicht jeden Tag tun musste. Doch bevor er hier vor Müdigkeit halb einschlief, trank der Blonde den Rest seines kalt gewordenen Kaffees, fuhr den Laptop wieder hoch und studierte die Emails, die Mokuba ihm wieder fleißig weiterleitete. Gemeinsam mit Yuuto, der nach ein paar Minuten das Büro betrat und sich lächelnd erkundigt hatte, wie es lief, arbeitete sich Joey weiter durch die Emails, Projekte und Akten, machte sich viele Notizen in sein großes Buch, dass er mittlerweile mit „Arbeitsbibel“ beschriftet hatte. Kapitel 16: Feierabend!? ------------------------ Montag, 29.08. Bis nach 21 Uhr saßen sie dort und Joey qualmte bereits der Kopf, als Yuuto ihn endlich erlöste und Mokuba und ihn nach Hause schickte. Dankbar packte er seine Sachen zusammen und spürte förmlich, wie seine Gedanken sich verhedderten und seine Konzentration stark nachließ. So würde er nichts Sinnvolles mehr auf die Reihe bekommen. Roland fuhr sie zurück zur Villa und auf dem Weg dorthin streckte Joey im Wagen alle Viere von sich, Mokuba hingegen schien hellwach, aber abwesend zu sein. Da der Blonde diesen Zustand nur äußerst selten von ihm kannte, ließ er ihn in Ruhe. Wahrscheinlich dachte er an seinen Bruder und wie lange dieser wohl noch fort sein würde. Auch Joey fragte sich das – nicht, weil er sich vor der Herausforderung drücken wollte –, sondern weil er sich für den Knirps wünschte, dass er am besten morgen wieder da wäre. Immerhin war Mokuba trotz allem ein elfjähriger Junge, das durfte er nicht außer Acht lassen trotz der Tatsache, dass er ihn in der Firma unterstützte und vieles von seinem Bruder vermittelt bekommen hatte. Die Lichter der Stadt zogen an ihm vorbei, aber der Blondschopf nahm sie gar nicht richtig wahr. In Gedanken war er bei seinem ersten Meeting morgen, dass er mit Yuutos Hilfe leiten sollte. Zuhause wollte er sich – nach einer Pause – die Akten dazu nochmal genau anschauen. Versagen kam nicht in Frage. Den Gefallen würde er Kaiba nicht tun. Auch wenn das so viel Stress und Lernen bedeutete, wie er es noch nie erlebt hatte, aber wenn der Eisschrank das auf die Reihe bekam, dann würde er das auch hinkriegen. Wäre doch gelacht! Als Roland in der Tiefgarage geparkt hatte, machte Joey Anstalten auszusteigen und schaute noch einmal zu Mokuba rüber, da dieser sich nicht bewegte. Lächelnd bemerkte der Blondschopf, dass der Kleine anscheinend eingeschlafen war und so stieg er aus, ging einmal um den Wagen herum und holte ihn vorsichtig heraus, trug ihn – immer Roland hinterhergehend – in sein Zimmer. Da es auch dieses Mal recht dunkel war im Raum, konnte er nicht allzu viel erkennen, doch irgendwann würde er es bestimmt noch mal bei Tag sehen. Gerade wollte er anfangen, ihn wieder auszuziehen, als Mokuba sich leise regte. „Schon zu Hause?“, murmelte er verschlafen und streckte sich. „Ja, Kurzer. Schlaf in Ruhe, hm? Der Tag war lang und wir müssen morgen wieder früh aufstehen.“ Mokuba schwieg, zog sich langsam selbst aus und Joey wollte gerade Richtung Tür gehen, als der Schwarzhaarige sich doch noch einmal zu Wort meldete: „Ich danke dir für alles, Joey. Ohne dich wüsste ich nicht, wie ich das alles schaffen sollte. Wenn ich das irgendwie wieder gut machen kann, dann sag es mir bitte, ja? Ich bin wirklich froh, dass du zu meinen Freunden gehörst.“ Der Blondschopf bedachte ihn mit einem Lächeln, dass er sonst nur seiner Schwester zeigte und trat näher an das Bett heran, um ihm durch die zotteligen Haare zu streichen. „Na klar. Als ob ich dich in so einer Situation hängen lassen könnte. Wir kriegen das gemeinsam hin, Mokuba und in nullkommanix ist dein Bruder wieder da und es läuft wieder seinen gewohnten Gang, hm?“ Lächelnd strich Joey ihm über den Kopf und den oberen Rücken, als er schlanke Arme um seine Taille spürte. Mokuba lehnte seinen Kopf an seinen Bauch und schien den ruhigen Moment sehr zu genießen, als er ihn nach ein paar Minuten von unten her ansah und sich noch einmal bedankte. „Es ist aber längst nicht selbstverständlich, also danke. Und sag mir, was ich tun kann, ja?“ „Mach ich. Wenn ich etwas finde, dann melde ich mich sofort bei dir. Aber jetzt ist erst einmal schlafen angesagt, ja?“ Joey gab ihm aus einem Reflex heraus ein Küsschen auf die Stirn und Mokuba lächelte glücklich. Er zog sich fertig aus, wünschte Joey eine gute Nacht und verschwand dann noch im Bad, um Zähne zu putzen. Joey verließ lächelnd den Raum und schloss die Tür hinter sich. Der Kurze konnte wirklich goldig sein. Und er war sehr stark, dass er das alles so meisterte. Hoffentlich war Kaiba bald wieder da, um sich um ihn zu kümmern. Wer hätte gedacht, dass er sich den Geldsack mal zurückwünschen würde? Er trottete in die Küche, weil er noch einen Snack essen wollte und was zu trinken holen, als Roland hektisch auf ihn zukam. Nanu? Was war denn jetzt los? „Joey, der Schuster wartet schon auf dich!“, informierte er ihn eilig und er schaute ihn einen Moment lang irritiert an, ehe es ihm einfiel. Stimmt ja, da er ja Anzüge bekam, brauchte er auch passende Schuhe und das sollte ja heute gemacht werden! „Ich hol mir nur eben eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken und komme dann. Wo ist er denn?“ „Ich habe ihn ins Kleiderzimmer gebracht. Da, wo der Schneider auch deine Maße genommen hat“, erklärte Roland und er nickte sofort. Er wusste noch, wo das war und schickte Roland dann in seinen verdienten Feierabend. Er bedankte sich bei ihm und wünschte eine gute Nacht, dann verschwand der Assistent Richtung Foyer. Zwar hatte er auch hier ein Zimmer, wenn es sehr viel zu tun gab, doch eigentlich hatte er ein kleines Apartment zehn Minuten Autofahrt entfernt, wie Roland ihm einmal anvertraut hatte. Beinahe schon ein Wunder, dass er überhaupt ein Privatleben hatte. Joey griff sich ein Sandwich und eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank und marschierte zielstrebig zu dem Kleiderzimmer, wo er einen älteren Herrn freundlich begrüßte und sich für die Verspätung entschuldigte. „Ist doch kein Problem, junger Mann. Mr. Kaiba hatte auch das Problem, aufgrund der Arbeit nur selten pünktlich erscheinen zu können. Ich freue mich auf jeden Fall, Sie kennenzulernen. Sie können auch gern essen, während ich Maß nehme. Roland war so nett, mir die Stoffe des Anzugs zu zeigen, sodass ich bei den Materialien und Farben bereits sicher bin, was passt“, sagte der Mann und Joey lächelte. „Das freut mich zu hören, dass Sie da schon einen Plan haben. Ich bin, was Kleidung angeht, mehr so der sportliche Typ. Dementsprechend ist das hier für mich absolutes Neuland.“ „Irgendwann ist ja bekanntlich immer das erste Mal.“ Joey nickte grinsend dem freundlich lächelnden Schuster zu und nahm auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes Platz. Daneben war noch ein kleiner Abstelltisch, wo er die Cola hinstellte und dankbar aß er das Sandwich, während der Schuster alles ausmaß und leise vor sich hin murmelnd Notizen in einem Notizbuch machte. Alles im Allem dauerte es etwas über eine halbe Stunde, dann verabschiedete sich der Schuster auch schon wieder und versprach, spätestens übermorgen die Schuhe vorbeizubringen. Joey nickte und brachte ihn noch zur Tür, dann marschierte der Blondschopf zielsicher in sein Arbeitszimmer. Er wollte sich unbedingt noch die Entwürfe der Grafikabteilung ansehen, also schnappte er sich seinen Laptop und öffnete die Email. Außerdem musste er die Dokumente für das Meeting noch durcharbeiten. In Ruhe begann er, sich die Bilder anzuschauen und Kommentare zu jedem Bild aufzuschreiben. Dabei beließ er es aber nicht nur bei Kritikpunkten, sondern notierte auch die besonders gelungenen Dinge, die ihm sehr gefielen. Er wollte, wenn er später arbeitete, auch nicht nur die negativen Dinge zu hören bekommen, sondern auch die Sachen, die er gut gemacht hatte und von daher wollte er auch Kaibas Mitarbeitern diese Wertschätzung zukommen lassen. Leider hatte das auch zur Folge, dass es bereits 2:03 Uhr morgens war, als er die letzte Email abgeschickt hatte und den Laptop herunterfuhr. Er rieb sich über das Gesicht und verstand langsam, warum Kaiba so viel arbeiten musste. Es gab immer etwas zu erledigen und wenn man niemanden hatte, der einen zurückhielt, dann konnte man sich garantiert schnell in der Arbeit verlieren. Vielleicht sollte er sich in Zukunft einen Wecker stellen, damit er pünktlich aufhörte und früher ins Bett kam. Sonst hielt er das bestimmt nicht lange durch. Wie schaffte Kaiba das eigentlich? Er machte nie einen erschöpften Eindruck. Das konnte nie und nimmer nur Fassade sein und geschminkt war der reiche Pinkel auch nicht. Und pünktliche Feierabende konnte er sich bei ihm auch nicht vorstellen … Müde erhob er sich aus dem Stuhl und trottete in sein Zimmer, wo er es immerhin schaffte, sich noch umzuziehen, ehe er ins Bett fiel. Die Hausaufgaben würde er morgen früh machen. Immerhin hatte er morgen erst zur dritten Stunde, das war der einzige Lichtblick. Er musste wirklich besser darauf achten, wann er Schluss machen sollte. Es dauerte nur Sekunden, dann war er im Reich der Träume angekommen. Kapitel 17: Das erste Meeting ----------------------------- Dienstag, 30.08. Nervös stand Joey in Kaibas Büro, hatte sich einen der neuen maßgeschneiderten Anzüge angezogen, den er bereits bekommen hatte und auch das erste Paar Schuhe war bereits fertig geworden. Roland hatte, auf Yuutos Wunsch hin, alles eingekauft, da es Zeit für das erste Meeting war. „Gut siehst du aus, Joey! Anzüge stehen dir. Oder Yukiko?“ Yuuto stand ihm gegenüber, daneben die Sekretärin, die ihm noch Unterlagen hingelegt hatte. „Ja, auf jeden Fall! Sehr schick, Joey!“, stimmte sie lächelnd zu und der Blonde schnaubte leicht verlegen. Eigentlich war das so gar nicht seine Kleiderwahl, aber da er gleich auf die Chefetage der Kaiba Corporation traf, wollte er sich keine Blöße geben. Immerhin sollten die seinen Anordnungen Folge leisten, auch wenn er nur die Vertretung war, also Anzug und Rücken gerade. Joey griff die Mappe, in der alle wichtigen Unterlagen sowie ein Block und Kugelschreiber waren und stellte sich gerade hin. „Ich bin soweit“, sagte er mit fester Stimme und hoffte, dass es überzeugend rüberkam, denn seine Knie waren Wackelpudding. Worauf hatte er sich hier gleich noch eingelassen? Gerade fühlte es sich mehr als Himmelfahrtskommando denn als Vertretung an. „Viel Erfolg, Joey! Du wirst das souverän meistern“, ermutigte Yukiko ihn und hielt die Tür auf, als er das Büro verließ. „Danke Yukiko, ich hoffe, du behältst recht“, murmelte er mit einem schiefen Grinsen und betrat den Fahrstuhl am Ende des Ganges und im Gegensatz zu Kaiba benutzte er den normalen Angestelltenaufzug. Yuuto stellte sich neben ihn und unterhielt sich mit einem Kollegen, der ein Stockwerk tiefer einstieg auf Fachchinesisch über irgendetwas, was Joey nicht verstand. Generell war ihm gerade mehr nach Flucht zumute. Jetzt reiß dich zusammen! Wenn Kaiba sehen würde, wie du dir hier vor einem Meeting ins Hemd machst!, wies ihn seine innere Stimme zurecht und Joey schnaubte leise. Das war wirklich lächerlich. Vier Stockwerke weiter stieg er selbstbewusst aus, strich sich noch einmal die Krawatte glatt – er trug tatsächlich eine Krawatte! – und schritt neben Yuuto durch die Gänge. „Bereit? Rücken gerade und ruhig Blut, dann wird das. Ich bin die ganze Zeit dabei.“ „Bereit“, erwiderte Joey und Yuuto öffnete eine Tür. Dahinter war ein langer Konferenztisch, an dem wahrscheinlich etwa zwanzig Leute sitzen konnten. Ungefähr ein Dutzend Leute waren in dem Raum, verteilt in kleinen Grüppchen und unterhielten sich. Alles Anzugträger, die meisten Männer. Alle drehten sich zu ihnen um, als sie den Raum betraten und Joey nickte kurz und nahm am Ende des Tisches Platz. Auf Kaibas Platz. Mit einer Handbewegung bedeutete er allen, sich zu setzen, was diese auch sofort taten. Er legte die Mappe vor sich und schlug sie auf. Auf der rechten Seite Block und Kugelschreiber, links die Dokumente. „Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich weiß, dass wir bereits während der Vorstellungsrunde kurz das Vergnügen hatten, aber lassen Sie mich noch einmal sagen, dass ich mich auf die gemeinsame Arbeit mit Ihnen freue. Ich werde alles dafür tun, dass die Kaiba Corporation weiter wachsen wird.“ Er machte eine kurze Pause, einige nickten in seine Richtung, andere schienen verbissen zu schweigen, dann fuhrt er fort: „Lassen Sie uns nun beginnen. Dieses Meeting wurde einberufen, da es einige Beschwerden bezüglich unseres Kundenservices gibt. Erklären Sie mir bitte, um welche Beschwerden es genau geht“, forderte Joey mit ruhiger Stimme und hoffte, dass die anderen seinen viel zu schnellen Herzschlag nicht hörten. Souverän bleiben! Ein Mann mittleren Alters meldete sich und Joey nickte ihm zu, dann ergriff Herr Toda das Wort: „Guten Tag Herr Wheeler. Wir freuen uns ebenso auf eine gute Zusammenarbeit. Mein Name ist Toda und ich bin der Kundendienstleiter für den Domestic Bereich, also den japanischen Markt.“ Der Mann machte eine kurze Pause und Joey schenkte sich ein Glas Wasser ein und wartete darauf, dass Herr Toda fortfuhr. Dieser schloss seinen Laptop an den Beamer an und auf der gegenüberliegenden weißen Wand tauchten Facebookkommentare auf, die nicht gerade einen guten Eindruck der Firma vermittelten. „Ein Kunde schrieb: Der Service der KC ist wirklich das allerletzte! Schlechte Hotline, superlange Wartezeiten, unfreundliche Menschen! Nie wieder etwas von der KC! Oder aber: Nicht zu fassen, dass es der größte Spielhersteller nicht schafft, einem aus Kulanz entgegenzukommen! Die Dueldisk ist nach sieben Monaten kaputt gegangen, aber die haben mir nicht geglaubt, dass wir das Gerät immer pfleglich behandelt haben! Angeblich keine Garantie wegen unsachgemäßer Behandlung! Unmöglich, ehrlich!! Diese beiden Beispiele – von vielen – zeigen sinnbildlich, dass die Kunden mit unserem Service nicht zufrieden sind. Durch die sozialen Netzwerke können solche Kommentare schnell einen negativen Einfluss auf unsere Verkaufszahlen und das Image der gesamten Firma haben. Es ist also wichtig, dass wir die Kunden auch nach dem Kauf des Produktes zufriedenstellen.“ „Aber Herr Toda. Vergessen Sie bitte nicht, wie viele tausend Kundenanrufe wir täglich bekommen. Allein unser Hotlineteam umfasst über 30 Leute nur für den Domesticbereich. Weltweit betrachtet kommen wir auf über 100. Wir geben unser möglichstes, jeden Kunden zufriedenstellend weiterzuhelfen, aber zu 100% ist das nicht möglich. Außer wir machen alles auf Kulanz und das kann ja auch nicht die Lösung sein“, mischte sich Frau Shimizu ein. Joey erinnerte sich daran, dass sie die Leiterin der Hotline war. „Ja, das verstehe ich ja auch. Aber wir müssen eine Lösung finden, um die Anzahl dieser Kommentare zu senken. In den letzten zwei Monaten gab es einen großen Anstieg der unzufriedenen Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Sehen Sie bitte hier.“ Statt der Beispielkommentare sah Joey nun einen Graphen, der zehn Monate lang relativ weit unten vor sich hin plätscherte und dann sprunghaft anstieg. „Wurde eine Analyse der Produkte vorgenommen?“, durchbrach Joey die Stille und blätterte durch seine Dokumente. „Der Produkte?“, hakte Herr Toda verwirrt nach und richtete seine Brille, als er zu ihm schaute. „Ja. In dem einen Kommentar ist die Rede von einer Dueldisk. Soweit ich informiert bin, haben wir doch auch ein großes Social Media Team, dass die Seiten moderiert. Es wäre also ein einfaches zu fragen, um welches Produkt es sich genau bei der Beschwerde handelt und anhand einer Analyse wäre es möglich zu prüfen, ob es mit einem Produkt besonders viele Probleme gibt. Es wäre ein Hinweis darauf, dass es womöglich Schwierigkeiten mit der Produktion gibt. Das müsste in so einem Fall geprüft werden. So nutzlose Kommentare wie der erste bringen uns nicht weiter, wenn wir uns verbessern wollen. Sei es After-Sales-Support oder Produktentwicklung. Frau Minami, Sie sind doch die Leiterin des Social Media Teams, oder? Haken Sie bei solchen Kommentaren nach, um was es spezifisch geht?“ Joey lehnte sich vor und schaute zu einer jungen, schwarzhaarigen Frau, die durch das Kostüm fürchterlich streng wirkte. Aber vielleicht war das auch nur der erste Eindruck, den er hatte und in Wirklichkeit war sie die entspannteste Person im ganzen Raum. Herablassend schnaufte er, als er im Augenwinkel bemerkte, dass Herr Yoshimitsu – Leiter des Second Level Supports – auf seinem Smartphone herum tippte. „Wenn Sie sich an der Diskussion nicht beteiligen möchten, dann bitte ich Sie, außerhalb des Raumes auf ihr Smartphone zu schauen, Herr Yoshimitsu“, bat Joey mit schneidender Stimme und dieser schaute ihn überrascht an, stammelte leise ein paar Worte als Entschuldigung, als er das Handy in seiner Innentasche verschwinden ließ und sich mit glühenden Wangen dem Beamer zuwandte. Im Augenwinkel nahm er Yuutos amüsiertes Schmunzeln wahr, dass er hinter seiner Hand zu verbergen versuchte, aber das kurze Zucken seiner Schultern verriet ihn. Was war denn jetzt zum Lachen? Hatte er den Gag verpasst? Frau Minami räusperte sich und bat um das Beamerkabel und während sie ihren Laptop anschloss, begann sie zu erklären: „In der Tat ist es so, dass mein Team bei solchen Kommentaren genauer hinterhakt, worum es explizit geht. Meistens bekommen wir sogar eine Reparaturnummer und können den Vorgang in unserem System nachvollziehen und dem Kunden direkt helfen. Vorsorglich habe ich genau so eine Analyse vorgenommen, allerdings gibt es dort keine Auffälligkeit bestimmter Produkte. Daraus schließe ich, dass es derzeit keine Produktionsprobleme gibt und wir daher den Service generell betrachten müssen. Eine Häufung in den Kommentaren ist allerdings der Vorwurf, dass die Leute in der Hotline unfreundlich seien. Das liest sich in etwa 50% der Kommentare. Desweiteren sind die Kommentare in den letzten Jahren immer drastischer, teils sogar bedrohlicher geworden. Das, was derzeit auch in der Gesellschaft wahrgenommen wird, schlägt sich eindeutig auch auf unsere Bewertungen und Kommentare nieder. Beleidigungen sind beinahe an der Tagesordnung.“ „Also das weise ich entschieden zurück. Meine Kollegen sind immer freundlich und höflich und müssen ihrerseits viel aushalten. Die Kunden führen sich teilweise wie die letzten Idioten auf und dennoch versuchen sie ihnen freundlich zu helfen. Es ist eine Frechheit, wenn behauptet wird, dass sie unfreundlich wären.“ Frau Shimizu saß da wie eine Löwin, die ihre Jungen beschützen musste und bevor die beiden Frauen noch weiter diskutierten, übernahm Joey das Wort: „Also gut. Es liegt also kein Produktfehler vor und Kunden beschweren sich über unfreundlichen Telefonservice. Ich bin sicher, dass wir dafür eine Lösung finden werden. Dennoch haben die Reparaturen im letzten Jahr deutlich zugenommen. Gibt es dafür einen bestimmten Grund? Mehr Produkte, kompliziertere?“ „Beides“, erwiderte Herr Yoshimitsu und bekam das Beamerkabel gereicht. „Seit der Einführung der Duel Disk haben wir 50% mehr Reparaturen, da die ersten Modelle noch recht anfällig waren. Mittlerweile sind wir in der dritten Generation und die Fälle haben sich stabilisiert. Da die Kosten einer Reparatur relativ erschwinglich sind, beschließen viele Eltern auch nach Ablauf der Gewährleistung, das Gerät lieber reparieren zu lassen anstatt ein neues zu kaufen. Ich denke, das wird sich mit Einführung der neuen DuelDisk für eine gewisse Zeit ändern. Dann wird lieber in das neue Produkt investiert statt in eine Reparatur. Allerdings muss man auch sagen, dass die Fehler bei den neueren DuelDisks andere sind, weshalb der Second Level Support in engem Kontakt mit den Ingenieuren und der Hotline steht, um den Kunden bestmöglich zu unterstützen. Andererseits vertreiben wir ja auch andere Hardware wie Spielkonsolen und Handhelds, die natürlich ebenfalls zur Reparatur eingeschickt werden. Da zum Beispiel die Konsole erst letztes Jahr eingeführt wurde, führt auch das zu einem erhöhten Reparaturaufkommen.“ Joey nickte verstehend und schaute sich das auf die Wand projizierte Tortendiagramm an und war innerlich doch erstaunt, dass er verstand, aus was es bestand und welche Schlüsse daraus gezogen werden mussten. Die Uhr war schon weit fortgeschritten und er hatte noch andere Dinge auf dem Plan, weshalb er das hier abkürzte. Außerdem wäre es wohl besser, wenn die sich zunächst untereinander besprachen, wie sie das Problem angehen wollten. Gewisse Gespräche waren erst mal ohen Chef wichtig, da war sich der Blonde sicher. „In Ordnung. An dieser Stelle möchte ich das Meeting beenden. Bis Freitag möchte ich ein Konzept zur Verbesserung der Hotline auf dem Schreibtisch haben. Außerdem eine exakte Analyse der Kommentare auf den gängigen Plattformen und wie mit diesen umgegangen wird bzw. Ideen, wie man vielleicht noch anders auf diese reagieren kann. Wie Herr Toda vorhin bereits anmerkte, ist der After-Sales-Support sehr wichtig, damit wir Kunden auch halten können und sie weitere Produkte bei uns kaufen. Denken Sie immer daran: Das erste Produkt verkauft der Sales, die restlichen der Service. Guten Tag, die Damen und Herren.“ Die anderen klopften ein paar Mal auf den Schreibtisch und Joey erhob sich. Er wollte sich gern den Nacken reiben, verschob das aber auf später, wenn er im Büro war und packte seine Mappe zusammen. „Ähm Herr Wheeler? Haben Sie noch eine Minute?“, wollte ein kleiner, untersetzter Mann wissen, der sich während des gesamten Meetings nicht einmal zu Wort gemeldet hatte. Wer war er noch gleich? „Natürlich, was gibt es?“ „Mein Name ist Tanaka. Ich leite die Ersatzteilabteilung. Es gibt da Probleme mit einer Fabrik, die Ersatzteile für uns produziert und ich erwarte noch eine Anordnung von Ihnen, wie wir da verfahren sollen.“ Ach ja, etwas klingelte da in Joeys Hinterkopf. Mokuba hatte so etwas in der Richtung erwähnt. Seufzend holte er sein Smartphone heraus und checkte kurz seinen Kalender. „Kommen Sie in einer Stunde in mein Büro. Bringen Sie alle Unterlagen mit und wir schauen uns an, wie wir das am besten lösen können“, forderte Joey, trug den Termin nach einem Nicken in den Kalender ein und gab Yuuto mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er wieder hoch wollte. Dieser folgte ihm und gemeinsam fuhren sie wieder hoch in das Büro, wo Joey als erstes die Mappe auf den Schreibtisch fallen ließ und sich den Nacken rieb. „Wie hält Kaiba das nur den ganzen Tag aus?“, brummte er, knackte mit ein paar Halswirbeln und schaute aus dem bodentiefen Fenster. Domino lag ruhig da, es war ein angenehmer Sommertag und von hier oben wirkte selbst das hektische Treiben auf der Straße unten irgendwie ruhig. Yuuto stellte sich neben ihn und klopfte ihm grinsend auf die Schulter. „Das war spitze. Die nächsten Meetings werde ich zwar mitkommen, aber du hast das echt super gemacht. Und wie Seto gleich ein Ausrufezeichen gesetzt, dass man dich auch nicht unterschätzen darf. Super, wie du das Fachchinesisch auswendig gelernt hast und dann noch Herr Yoshimitsu!“ „Ja, das amüsierte Gesicht konntest du auch nicht verbergen. Ich meine, wenn man schon ein Meeting hat, hört man doch aufmerksam zu. Was sollte das denn, gelangweilt im Handy rumzuschauen?“ „Das machen viele. Irgendwie gehört das zur Meetingkultur dazu. Seto macht das auch, wenn die anderen diskutieren. Er hört zwar mit einem Ohr zu, aber meistens bearbeitet er nebenbei Emails, um auch ja keine Sekunde zu verschwenden.“ Joey schüttelte verständnislos den Kopf. Diese Flausen würde er den Leuten hier schon noch aus dem Kopf treiben. Wenn man eine Besprechung hatte, dann sollte auch jeder Teilnehmer zuhören und sich daran beteiligen. Sonst brauchte die Person gar nicht erst teilzunehmen. „Na komm, essen wir noch etwas, bevor Herr Tanaka kommt. Die Kantine hat jetzt leider schon zu“, seufzte Yuuto nach einem Blick auf die Uhr und der Blonde nickte. Er drückte einen Knopf auf dem Telefon und bat Yukiko, Pizza für sie zu bestellen. Kapitel 18: Geschäftsessen -------------------------- Freitag, 02.09. Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Joey stellte sich einen Wecker, dass er spätestens um Mitternacht mit der Arbeit aufhörte und er hatte Herrn Nakamura eine zweite Chance gegeben, da Roland nach seiner Recherche alle Angaben bestätigt hatte. Er hatte ihm zu Füßen gelegen, dass er diese zweite Chance bekommen hatte und versprach, der Firma, Kaiba und ihm nie wieder Schande zu bereiten. Joey hoffte, dass er sich auch daran hielt. Er nahm an verschiedenen Meetings mit Mokuba oder Yuuto zusammen teil und bekam ein immer besseres Gespür für die Firma, wobei er immer vorbereitet auftauchte und seine Meinung kundtat, die mehr und mehr geschätzt wurde. Das war ein absolut neues Gefühl für ihn, aber er genoss es, Respekt für seine Arbeit und seine Meinungen zu erhalten. Ob Kaiba deswegen auch so viel arbeitete? Irgendwie konnte er sich das nur schwer vorstellen, dass das der Grund war, aber andererseits sehnte sich doch jeder nach Anerkennung, oder nicht? Auch den Stellvertreter Kazumi hatte er mittlerweile kennengelernt – er war für ein paar Tage auf Geschäftsreise gewesen – und verstand sich gut mit ihm, dennoch war Joey vorsichtig. Der Blondschopf war sich nicht sicher, wie viel Freundlichkeit echt war und wie gut er wirklich damit klarkam, dass Mokuba ihm jemand Unbekannten vorgesetzt hatte. Es war mittlerweile Freitagabend und Joey stand in seinem Zimmer in der Villa vor dem Spiegel und wusste nicht so recht, was er von dem Anblick halten sollte. Er trug einen eleganten Dreireiher in schwarz mit einem weißen Hemd darunter. Passend dazu trug er schwarze, perfekt polierte Lederhalbschuhe und eine hellblaue Seidenkrawatte sowie ein hellblaues Einstecktuch. Mokuba hatte ihm goldene Manschettenknöpfe gegeben, in die ein KC eingraviert worden war. Seine Haare hatte er etwas gebändigt, so wiet, wie das eben ging, und so stand er da nun und war sich nicht mehr sicher, ob das noch Joey Wheeler war, den er da anschaute. Es war nicht so, dass er sich nicht gefiel in dem Outfit – er mochte es sogar überraschend gern –, aber war das noch er? Der Joey Wheeler, der sich jahrelang geprügelt hatte und mit Ach und Krach jedes Jahr irgendwie die Versetzung geschafft hatte? Andererseits war das ja nur für eine begrenzte Zeit, also kein Grund, sich ernsthaft Gedanken zu machen. Er strich sich noch einmal über das Sakko und wandte dann den Blick ab. Das war sein allererstes Geschäftsessen und er war höllisch aufgeregt. Sein Magen hatte sich zu einem einzigen Knoten zusammengezogen und er hoffte inständig, dass er es auf die Reihe bekam, auch nur die Villa zu verlassen, ohne sich zu übergeben. Schließlich ging es um Tausende Arbeitsplätze und darum, einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen und womöglich einen sehr guten Vertrag auszuhandeln. Wobei … Er war schon froh, wenn es überhaupt einen Vertrag aushandeln konnte und nicht einfach nur dumm stotternd dasaß und nichts auf die Reihe bekam. So wie er sich gerade fühlte, war das wohl die wahrscheinlichere Alternative. Der Blonde fühlte sich, als würde man ihn als Nichtschwimmer ins hundert Meter tiefe Meer schubsen und er musste zusehen, dass er nicht unterging. Ja, der Vergleich kam ihm passend vor. Vielleicht schwammen unter ihm auch noch zusätzlich ein paar Haie. Er griff seine beiden Smartphones und verstaute sie in den Hosentaschen und marschierte dann runter ins Foyer, wo Yuuto bereits auf ihn wartete. Auch er trug einen eleganten Dreireiher, allerdings in dunkelblau mit hellblauem Hemd. „Gut siehst du aus“, meinte er mit einem Lächeln und Joey lächelte milde. „Danke, du auch.“ Da Roland einen freien Tag hatte, wartete Kei am Wagen auf sie. Nachdem sie eingestiegen waren und sich der Wagen in Bewegung gesetzt hatte, begann Yuuto, ihm ein paar Dinge zu erklären. „Also, ich wiederhole das noch einmal zur Sicherheit. Wir treffen uns gleich mit Familie Takahashi. Sie produzieren Metallkomponenten, die in unseren Duel Disks verbaut werden. Sie hatten den Vertrag gekündigt, um bessere Konditionen aushandeln zu können, da die Familie eine der begehrtesten Firmen für Metallkomponenten des Landes ist. Es gab bereits erste Gespräche, doch so richtig kommen die Verhandlungen nicht weiter. Daher hatte Seto um dieses Essen gebeten, um mit der Familie direkt verhandeln zu können.“ Joey hörte aufmerksam zu und blätterte danach einen Ordner durch, den er mitgenommen hatte. „In den Unterlagen steht, dass sie bisher pro Komponente 3900 Yen erhalten haben. Pro Monat kaufen wir 150.000 Stück davon. Macht also pro Monat Kosten von 585 Millionen Yen. Ist es das einzige, was wir von ihnen ankaufen? Oder gibt es noch andere Dinge, die für uns von Interesse sind?“, wollte Joey wissen, schaute aber nicht von den Unterlagen auf. „Derzeit ist es das einzige, was wir beziehen. Seto hatte allerdings überlegt, für das Nachfolgermodell noch andere Komponenten dort zu kaufen. Ein entsprechendes Angebot ist auch in dem Ordner.“ Joey blätterte weiter und fand das entsprechende Dokument. Das sah monatliche Kosten von 500 Mio. für 100.000 Komponenten vor. Also 5000 Yen pro Komponente. Anhand der Beschreibung verstand Joey, dass sie teurer sein musste, da sie schwerer in der Herstellung war, doch vielleicht konnten sie einen Festpreis für beide Komponenten zusammen bekommen. Das war auf jeden Fall einen Versuch wert. „In Ordnung. Was kannst du mir noch über die Familie sagen?“ „Der Hausherr ist ein sehr strenger Mensch, aber durchaus fair. Als Verhandlungspartner tritt er selten in Erscheinung, meist erledigt das sein Sohn, der immer mehr Aufgaben innerhalb der Firma übernimmt. Die Frau des Hausherrn ist eine sehr freundliche, zurückhaltende Dame, die ihren Männern den Rücken freihält und durchaus auch Verantwortung übernimmt und sich in die Firma einmischt, wenn sie es für richtig hält. Sie ist eine sehr durchsetzungsfähige Dame, die man keinesfalls unterschätzen sollte. So wie ich das verstanden habe, werden heute die Frau und der Sohn teilnehmen, da der Hausherr leider anderen Verpflichtungen nachkommen muss, obwohl er dich gern kennengelernt hätte.“ „Ach, ist dem so, ja? Gut. Das kriege ich schon hin … Irgendwie …“, murmelte Joey, schaute auf sein Handy und seufzte kurz. Das war sein erster richtiger Termin. Das durfte er nicht in den Sand setzen. Sonst würde Seto ihm so gehörig den Marsch blasen, sobald er das wieder konnte, dass er sich nie wieder in der Stadt, oder wahrscheinlich eher im ganzen Land, blicken lassen konnte. Er war so nervös, dass er froh war, nichts gegessen zu haben, sonst wäre ihm das garantiert spätestens jetzt wieder hochgekommen. Also konzentrierte er sich auf seine Atmung, immer ein und ausatmen. Langsam, bewusst. Dann würde das schon werden. Es war nur eine weitere Herausforderung, die er meistern würde, um der Firma und vor allem Kaiba keine Schande zu bereiten. Wenn der das hinbekam, würde er das erst recht! Wäre doch gelacht! Der Wagen hielt vor einem Edelrestaurant und Joey schluckte. Wo war noch gleich seine Motivation? Yuuto hatte ihm in den letzten Tagen extra mehrfach beigebracht, was in so einem Schuppen wichtig war – wann welches Besteck benutzt wurde und so – und er war so dankbar, dass er ihn begleitete. Andernfalls hätte er wohl jedes einzelne Fettnäpfchen mitgenommen, das es gab. Der Blonde wartete brav, bis der Chauffeur ihm die Tür geöffnet hatte und stieg dann aus, als auch schon das Blitzlichtgewitter kam. Er kniff die Augen überrascht zusammen und der Geräuschpegel nahm unnatürlich schnell zu, weil die Reporter ihn belagerten und mit Fragen bombardierten, die er aber in dem Wirrwarr aus Stimmen gar nicht richtig verstand. Als der erste Schreck vorbei war, straffte Joey die Schultern und schritt voran, doch die Reporter versperrten ihm den Weg und wollten unbedingt ein Statement von ihm haben. Diese Dreistigkeit! Sollten die sich doch alle um ihre eigenen Probleme kümmern. Genervt wollte er gerade etwas sagen, als Yuuto neben ihm auftauchte und ihm eine Hand auf den Rücken legte. Offenbar hatte er die Security des Restaurants zu sich gewunken, denn zwischen den Reportern tauchten zwei Schränke auf, die sich rechts und links von ihm postierten und ihn zum Eingang brachten. Dankbar marschierte er rein und seufzte erleichtert auf, als er drinnen war und es deutlich ruhiger wurde. Woher wussten die, dass ich hier bin? Das muss denen doch jemand gesteckt haben …, schoss es Joey genervt durch den Kopf, beschloss aber, sich damit nicht mehr heute zu befassen. Stattdessen ließ er Yuuto und sich von einem Ober zu ihrem Platz bringen, wo eine ältere Dame mit Hochsteckfrisur und einem hellblauen Abendkleid saß. Sie trug teuren Designerschmuck, das sah Joey sofort und wirkte sehr ruhig, aber auch hart auf ihn. Rechts neben ihr war ein deutlich jüngerer Mann, vielleicht Mitte 30 mit kurzen schwarzen Haaren, die er leicht zurückgegelt hatte und einem weißen Anzug mit dunkelblauem Hemd. Er wirkte frecher und etwas hinterlistig, doch das war kein Problem für Joey. Er musste nur darauf achten, auf seinen Instinkt zu hören. Er war nicht der erste dieser Sorte, mit dem er es zu tun hatte und garantiert auch nicht der letzte. „Guten Abend, Melady Takahashi. Mein Name ist Joey Wheeler und es ist mir eine Ehre, Sie persönlich kennenlernen zu dürfen. Lassen Sie mich bitte meine Bewunderung über ihre bezaubernde Garderobe zum Ausdruck bringen“, begrüßte Joey sie mit einem freundlichen Lächeln und gab ihr einen angedeuteten Handkuss, während er sich leicht vor ihr verbeugte. Dabei hatte er seine linke Hand auf dem Rücken. Sie lächelte ihn freundlich an und erwiderte: „Ein formvollendeter Gentleman. Ich hätte nicht gedacht, dass ein junger Mann wie Sie so gute Manieren an den Tag legt. Ich bin ebenfalls erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Wheeler.“ Joey lächelte sie lediglich an und ging nicht näher darauf ein. Sie hatte sich also über ihn kundig gemacht. Das war gut zu wissen, aber hoffentlich kein Problem. Vielleicht konnte sich das sogar noch als Vorteil herausstellen, wenn er sich hier von seiner besten Seite präsentierte. Immerhin hatte er in den letzten Tagen immer wieder diese blöden Benimm-Bücher gelesen, um perfekt vorbereitet zu sein. Zwischen Schule und Arbeit war es ihm ein Rätsel, wie er da überhaupt die Zeit für gefunden hatte. „Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen, Mr. Takahashi.“ Joey schüttelte dem Sohn die Hand und dieser grinste ihn an, als er den Gruß erwiderte und hinzufügte: „Kein Kompliment für meine Abendgarderobe? Dabei habe ich mir sehr viel Mühe gegeben.“ „Lass die Frechheiten, Schatz“, mischte sich die Hausherrin ein und der Jüngere beließ es dabei, grinste aber immer noch. Es war also wichtig, die Mutter von sich zu überzeugen, dachte sich Joey und rückte ihr den Stuhl zurecht, als sie sich erneut setzen wollte. Unwillkürlich fragte sich der Blonde, ob Seto sich genauso verhalten hätte oder ob das unter seiner Würde gewesen wäre. So gesehen wusste er nur sehr wenig über ihn … Über den Geschäftsmann Seto Kaiba. Doch das spielte jetzt auch keine Rolle. Erst musste sich auf dieses Treffen konzentrieren. Danach konnte er über alles Mögliche nachdenken. Der Ober kam und fragte nach Getränken und Joey bestellte eine sündhaft teure Weinflasche für alle Drei und für sich ein Glas Wasser, da er noch minderjährig war und offiziell keinen Alkohol trinken durfte. Er war sich nicht sicher, ob man hier eine Ausnahme machte, doch er wollte das auch nicht herausfinden und nachher Ärger wegen so einer Lappalie kriegen. Außerdem schadete es nicht, einen klaren Kopf zu behalten. Der Ober verschwand lächelnd wieder, um die Bestellung schnellstmöglich zu bearbeiten. „Sie kennen sich mit Wein aus?“, fragte Misses Takahashi interessiert und Joey nickte. „Ja, die Mutter eines Freundes hat ein Faible für Wein und sie hat mir einmal erklärt, worauf es ankommt und mir ein paar edle Tropfen empfohlen zu probieren, sobald ich alt genug bin.“ Das war immerhin nicht gelogen, denn Tristans Mutter war passionierte Weintrinkerin und hatte ihm auch das ein oder andere erklärt, aber dass er wusste, dass dieser Wein so gut war, lag daran, dass er in seiner Zeit als Barkeeper diesen Wein immer an die VIP Gäste ausgeschenkt hatte. Damals hatte er den einmal selbst probiert und als hervorragend abgestempelt. „Ich bin beeindruckt“, entgegnete sie knapp und begann ein belangloses Gespräch mit Yuuto, der ihr gegenüber saß über verschiedene Themen, zu denen Joey nichts sagen konnte. Daher wandte er seine Aufmerksamkeit dem Sohn zu, der ihn anlächelte und fragte: „Und du bist also mit Seto Kaiba liiert, ja?“ „Ja, das stimmt. So einen Mann wie ihn findet man schließlich nur einmal“, entgegnete Joey schnell und lächelte leicht. Irgendwie hatte er komplett vergessen, dass das Thema aufkommen könnte. Wie peinlich! Sein Gegenüber lachte kurz, ein helles, ehrliches Lachen und schien seine kurzzeitige Irritation nicht bemerkt zu haben. „Ja, das stimmt wohl. Und wie habt ihr euch kennengelernt?“ Joey schluckte. Darüber hatte er sich bisher noch gar keine Gedanken gemacht. Verdammt, er musste improvisieren! Warum hatte er daran nicht früher gedacht? Es war doch klar, dass Leute ihn danach fragen würden und jetzt saß er hier wie Hein Blöd! „Nun, das erste Mal begegnet sind wir uns in der Schule, als er zu uns gewechselt war. Anfangs konnte ich ihn überhaupt nicht leiden, bis wir uns eines Tages durch Zufall am Strand begegnet sind. Mokuba hatte ihn dazu überredet, einen freien Tag dort zu verbringen und ich war dort, um meinen Kopf leer zu kriegen und zu entspannen. Wir kamen ins Gespräch und dann hat sich im Laufe der Zeit eins zum anderen entwickelt.“ So, damit stand die Geschichte jetzt auch fest. Und er musste sie sich gut merken, damit er nicht jemand anderem eine andere Geschichte vorsetzte, dann wäre alles zu spät. Also prägte er es sich ein und bemerkte den verwirrten Blick von Hiro. „Ein Seto Kaiba hat freie Tage? Wow, ich bin schwer beeindruckt.“ „Naja, also alle halbe Jahr kommt das mal vor, aber damit muss man leben, wenn man mit einem Firmenboss zusammen ist. Ich könnte mir ein Leben ohne ihn trotzdem nicht mehr vorstellen. Auch wenn er nicht so viel Zeit hat, genieße ich die Stunden, die wir gemeinsam haben, umso mehr. Außerdem kann ich mich immer auf ihn verlassen, egal worum es geht“, entgegnete Joey lächelnd und war wieder einmal von sich selbst überrascht, wie leicht es ihm fiel, von Kaiba zu schwärmen. Dabei konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, auch nur einen Abend mit ihm allein zu verbringen. Irgendwie gruselte ihn die Vorstellung viel mehr. Das würde doch keiner von ihnen unverletzt überstehen. „Wow, verstehe. Da kann sich Kaiba ja glücklich schätzen, so einen verständnisvollen Partner an seiner Seite zu haben“, sagte Hiro, ließ den Blick kurz schweifen und fuhr dann fort, „Das mit dem Unfall hat uns alle sehr geschockt. Wenn wir Mokuba oder dir irgendwie helfen können, dann sagt uns bitte Bescheid, ja? In so schweren Zeiten ist es wichtig, eng zusammenzurücken, um sie besser überstehen zu können.“ Joey lächelte leicht, als er meinte: „Ich danke dir. Sollte es etwas geben, werden wir uns bei euch melden. Es ist immer gut zu wissen, dass man so etwas nicht allein durchstehen muss.“ Der Ober kam mit dem Wein und dem Wasser für ihn zu ihnen zurück und nahm die Bestellungen für die Vor- und Hauptspeise entgegen, dann verschwand er wieder im Trubel. Es war 21 Uhr und fast alle Tische besetzt. Überall nur schicke Abendgarderobe und sündhaft teure Dinge. Joey hatte das dringende Bedürfnis, zu Burger Queen zu fahren und sich mit den einfachen Burgern einzudecken. Leider war ihm das jetzt nicht möglich, denn er hatte ein Geschäft abzuwickeln. Gott, hatte er sich schon immer so nach Kaiba angehört? Sie stießen gemeinsam an und Misses Takahashi lenkte das Thema auf die Verträge. Offenbar wollte sie das heute Abend unbedingt geklärt haben. Joey sollte es recht sein. Wichtig war nur, dass der Vertrag zugunsten der Kaiba Corporation ausfiel, sonst hatte er ein lebenslanges Problem. Kapitel 19: Deal! ----------------- Freitag, 02.09. Die Stimmung änderte sich, die Lockerheit war weg, das sah Joey den beiden Takahashis und auch dem Anwalt an, doch er selbst machte sich da keinen Kopf. So viel Wein, wie die Zwei tranken, mussten Yuuto und er das Gespräch nur in die Länge ziehen. Die Frage war allerdings, ob so ein Vertrag auch gültig war? Das konnte ihm nur der Hausanwalt beantworten, doch der war gerade mit verschiedenen Argumenten dabei, Misses Takahashi davon zu überzeugen, dass das Angebot der Familie nicht ausreichte, was aber nicht so recht gelang. Der Blonde war sich nicht sicher, ob es Yuutos Absicht war, dass er nur von dem bestehenden Vertrag und diesen Komponenten sprach und nicht von dem neuen Vorhaben, doch da alle Worte nicht fruchteten, beschloss Joey, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Misses Takahashi, wir haben vor drei Wochen ein Angebot von Ihnen eingeholt über andere Komponenten, die wir gern bei Ihnen beziehen würden. Das ist Ihnen bekannt, oder?“ Hiro nickte. „Ja, ich habe das Angebot selbst erstellt.“ „Ah, sehr gut. Wir haben selbstverständlich auch noch bei anderen Firmen Angebote eingeholt, doch da zwischen unseren Firmen eine langjährige, vertrauensvolle Geschäftsbeziehung herrscht, würden wir diese gern auch bei Ihnen produzieren lassen. Vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit, dass Sie uns ein wenig entgegenkommen und dafür lassen wir den zweiten Auftrag auch an sie gehen. Das wäre doch für beide Firmen die angenehmste Entscheidung, schließlich würden beide Seiten davon profitieren.“ „Und an was hatten Sie da gedacht?“, erkundigte sich Misses Takahashi neugierig, während sie ihren Fisch sehr gekonnt mit dem Fischmesser bearbeitete. „Nun, ich dachte daran, dass wir Ihnen monatlich einen Betrag von 1,07 Mrd. Yen überweisen und wir dafür beide Komponenten bekommen. Das ist zwar etwas weniger, als wir derzeit für beide bezahlen müssten, aber dafür haben Sie einen zweiten Auftrag von uns in der Tasche. Da wir hoffen, den Absatz noch steigern zu können, sobald das Produkt erschienen ist, könnten wir uns dann auch über eine Steigerung der Stückzahlen unterhalten, wenn es so weit ist.“ Hiro schien sehr angetan von der Idee zu sein, doch seine Mutter war noch nicht restlos überzeugt. Das war nicht zu übersehen, während sie weiter ihren Fisch aß. „Über was für Stückzahlen sprechen wir?“, hakte sie nach und Joey führte sich noch einmal die Prognosen vor Augen, die er zu dem Thema studiert hatte. Wenigstens ließ ihn sein Gedächtnis hier nicht im Stich, wenn schon sein Magen. Er hatte gerade einmal die Hälfte seines Rinderfilets gegessen und nur ein bisschen von dem Kartoffelgratin angetastet. „Nun, wir erwarten für das nächste Jahr eine mögliche Steigerung zwischen 50 und 100.000 Einheiten pro Satz Komponenten“, erläuterte er, während er noch etwas von seinem Filet in sich hineinzwängte. Es war wirklich fantastisch – das beste Stück Fleisch, was er bisher in seinem Leben serviert bekommen hatte –, allerdings hoffte er auch darauf, dass sein Magen nicht weiter rebellierte. Und dabei war das schon nur eine kleine Portion, wie das in solchen Nobelschuppen Normalität war. Wenn er an den Vergleich von Menge und Preis dachte, wurde ihm ganz anders. Wie viele Burger er sich davon hätte kaufen können … Wahrscheinlich einen Wochenvorrat, während er hier lediglich ein kleines Menu dafür bekam! „Würden Sie meine Mutter und mich bitte einen Moment entschuldigen?“, fragte Hiro mit einem leicht entschuldigenden Lächeln und stand auf. Yuuto und er nickten ihnen zu und Misses Takahashi folgte ihrem Sohn durch das Restaurant in einen nicht einsehbaren Bereich. „Wow, du weißt, dass das gewagt ist mit den Prognosen? Sie wird das garantiert in den Vertrag schreiben.“ „Soll sie doch. Dann müssen wir die Prognosen eben eintreten lassen. Das werden wir schon hinkriegen.“ „Ich bin beeindruckt, Joey. Die Takahashis sind keine einfachen Verhandlungspartner. Wenn du das durchbringst, dass die erst einmal auf 15 Mio. Yen verzichten, dann hast du es geschafft. Das nächste Geschäftsessen kann ich wohl getrost dir allein überlassen, was?“ Beim letzten Satz begann er zu grinsen und Joey lächelte matt. Er freute sich über das Kompliment, aber er war froh, wenn er endlich aus diesem Anzug rauskam und er sich eine Jogginghose anziehen konnte und auf dem Sofa lümmeln. Das war nämlich sein Plan für den restlichen Abend. Wenigstens einen Abend in der Woche hatte er sich verboten zu arbeiten und dafür hatte er den Freitag auserkoren. Da war normalerweise ab 20 Uhr Feierabend, komme, was wolle. Dass da jetzt ein Geschäftsessen war, war halt Pech gewesen. „Vergiss es. Ich bin nur so sicher, weil ich weiß, dass du mir gegen das Bein treten würdest, wenn ich Bockmist baue. Außerdem wird das ja hoffentlich mein einziges Geschäftsessen sein.“ „Naja, es gibt auf jeden Fall noch nächste Woche Dienstag einen Businesslunch mit einer Agentur und eine Einladung zu einem Empfang nächste Woche Samstag und da solltest du unbedingt auftauchen. Da trifft sich die High Society Dominos.“ „Also das reinste Haifischbecken.“ „Ja genau. Aber da du selbst ein Hai zu sein scheinst, dürfte das ja nicht das Problem sein. Immerhin repräsentierst du den größten Arbeitgeber Dominos. Da käme es nicht so gut, wenn du da nicht auftauchst.“ „Ja, ja, ich habe es ja verstanden“, brummte Joey und hatte schon jetzt keine Lust mehr auf diesen Termin. Da würde er wieder so aufgeplustert auftauchen müssen und jede Menge belanglosen Mist reden. Hier ging es ja wenigstens noch um etwas, aber dieser Empfang schien nur dazu da zu sein, um miteinander zu reden. Ein gruseliger Gedanke. So nutzlos … Aber er würde sich auch dem stellen. Yuuto stupste ihm mit dem Ellbogen leicht in die Seite – war er so abwesend gewesen? –, als die Takahashis wieder zurück zum Tisch traten. Joey stand auf und rückte ihr erneut den Stuhl zurecht, was sie mit einem freundlichen Lächeln quittierte und verkündete: „Also gut, Mr. Wheeler. Wir werden einen entsprechenden Vertrag aufsetzen lassen und Ihnen nächste Woche zukommen lassen. 1,07 Mrd. Yen für beide Projekte mit der Aussicht auf eine Produktionssteigerung von 50 bis 100.000 Sätzen nächstes Jahr.“ Joey nickte ihr lächelnd zu und hob sein Glas. „Ich danke vielmals für Ihr Vertrauen. Wir freuen uns auf diese engere Zusammenarbeit mit Ihrer Firma und nun möchte ich auf diesen für alle gelungenen Abend anstoßen.“ Mittlerweile brachte der Ober Ihnen das Dessert, wo sich Joey für ein Tiramisu entschieden hatte, das er gefühlt auf dem riesigen Teller erst noch finden musste, so klein war das, aber es schmeckte hervorragend, und währenddessen unterhielt er sich noch über verschiedene Themen mit ihnen, bis die Takahashis nach dem Essen das Restaurant verließen, um nach Hause zu gefahren zu werden. Joey bezahlte für alle Vier mit der Firmenkreditkarte, die Mokuba ihm mit den Worten: „Wenn du zu Geschäftsessen gehst und einen Deal durchgedrückt bekommst, musst du bezahlen! Das macht sonst einen schlechten Eindruck! Und da ich weiß, dass du damit keinen Unsinn machst, musst du sie jetzt annehmen!“ angedreht hatte, und erhob sich nach der teuersten Restaurantrechnung seines Lebens ebenfalls. Yuuto folgte ihm freundlich lächelnd und die Security war so nett, ihn wieder bis zum Wagen zu begleiten, da sich noch immer – oder schon wieder? – einige Journalisten vor der Tür aufhielten. Im Wagen grinste Joey über beide Ohren und klatschte sich mit Yuuto ab, der ihn genauso grinsend ansah. „Das war absolut klasse, Joey! Damit hast du richtig Eindruck gemacht! Das werden die auch mit anderen in der Geschäftswelt besprechen und du hast den Grundstein für einen vernünftigen Ruf gelegt. Das war großartig!“ Joey kratzte sich wie immer in solchen Fällen verlegen am Hinterkopf und wiegelte ab, doch Yuuto ließ sich fast gar nicht mehr beruhigen. Die ganze Autofahrt bis zur Villa sprach der Anwalt von dem Essen und wie der Blonde das gemacht hatte und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Er selbst war nur froh, dass er nicht gekotzt hatte und einen halbwegs klaren Kopf behalten. Das war das wichtigste, denn nur so konnte er weiterleben, wenn Kaiba wieder wach wurde. Mittlerweile machte ihm die Arbeit schon Spaß und auch seine Angst vor Geschäftsessen würde wohl hoffentlich in Zukunft abnehmen, auch wenn er das nicht jede Woche brauchte. „Also Yuuto, es war mir eine Ehre. Wir sehen uns morgen, ja?“, verabschiedete sich Joey lächelnd an der Villa und wies den Fahrer an, ihn noch nach Hause zu fahren und dann konnte auch dieser Feierabend machen. Der Anwalt bedankte sich bei ihm und versprach pünktlich um 9 Uhr im Arbeitszimmer zu stehen und Joey stieg grinsend aus. Er massierte sich mit einer Hand leicht den Nacken und betrat die Villa durch den Haupteingang. Mokuba hatte ihm einen Schlüssel gegeben, damit er jederzeit ein und aus gehen konnte, was noch immer ein total komisches Gefühl bei dem Blonden verursachte. Er gehörte hier nicht hin. Das war nicht sein Zuhause. Er war ein Fremdkörper und auch wenn Mokuba ihn als Familienmitglied behandelte, wusste er, dass sobald Kaiba wieder da war, die Sache ganz anders aussah. Das Hausmädchen begrüßte ihn freundlich, als sie ihn im Foyer entdeckte und nahm ihm das Sakko ab. Er löste die Krawatte und übergab sie ebenfalls an sie und wünschte ihr einen schönen Feierabend. Dann schlenderte er Richtung Wohnzimmer, von wo er noch Geräusche hörte. Anscheinend war Mokuba noch wach und am Zocken oder so. Er öffnete die Tür und staunte nicht schlecht, als er auch Yugi und Tea entdeckte. „Hey Leute, ihr auch hier?“, grüßte er sie daher und empfing verwirrte Blicke seitens seiner drei Freunde. Dabei hatte er doch allen Grund, verwirrt zu sein! „Joey … Ist das … ein Anzug?“, fragte Tea verdattert und stand auf. „Ja. Stell dir vor. Sakko und Krawatte habe ich allerdings schon ausgezogen … Was ist jetzt so verwunderlich daran?“, fragte er leicht schnippisch. Als ob er in Jeans und T-Shirt zu einem offiziellen Anlass gehen könnte. „Sogar ein Dreiteiler“, wie Yami erstaunt feststellte und erst jetzt bemerkte der Blonde, dass der Pharao auf dem Sofa saß und nicht sein kleiner Freund. Mokuba war es, der grinsend die Stille durchbrach und meinte: „Na selbstverständlich. Wenn Joey schon Firmenboss ist, muss er doch auch korrekt eingekleidet sein!“ Tea musterte ihn doch eine Weile lang interessiert und verwirrt, ehe sie sich wieder auf das Sofa setzte. Er folgte ihr und knöpfte die Weste auf, da ihm zunehmend warm wurde. „Und wie lief es, Joey? Erzähl schon! Normalerweise dauern die Essen mit den Takahashis länger, also seid ihr nicht weitergekommen?“, forderte Mokuba aufgeregt, aber auch etwas skeptisch und der Blondschopf grinste. Er legte die Arme auf die Sofalehne und den linken Knöchel auf seinen Oberschenkel und antwortete: „Im Gegenteil. Ich habe den Deal an Land gezogen. Und wir sparen dabei jeden Monat 15 Mio. Yen, weil wir die zweiten Komponenten ebenfalls dort produzieren lassen. Nächstes Jahr gibt es dann Verhandlungen über die Preise der Steigerungen der Produktionszahlen, die zwischen 50 und 100.000 Stück liegen werden.“ Mokuba schaute ihn frech grinsend an: „Scheint, als wäre ein Geschäftsmann an dir verloren gegangen, mein Lieber! Das ist ja großartig! Das Geld können wir dann in die Marketingkampagne investieren!“ „Mal sehen, es gäbe da auch noch zwei, drei andere Ideen für Investitionen, aber das muss ich mir mit euch noch genauer ansehen. Jedenfalls war das ein sehr erfolgreicher Abend und ich finde, dafür habe ich mir was verdient.“ „Und was?“, wollten die Drei wissen und Joey holte sein Smartphone raus. „Wer hat Lust auf Burger?“, fragte er breit grinsend und Mokuba war sofort Feuer und Flamme. Auch Tea und Yami stimmten zu, allerdings war seine Freundin nicht überzeugt, dass er noch etwas essen konnte: „Aber du warst doch gerade erst essen, Joey.“ „Tea, seit wann kennen wir uns jetzt? Ich kann immer essen! Und von diesen Winzportionen in diesen Edelschuppen kann doch kein normaler Mensch satt werden! Das Tiramisu war nach fünf Löffeln weg, so klein war das!“, echauffierte er sich und bestellte dann für sie alle Burger mit Pommes und Cola. „Mensch Joey, ich erkenne dich kaum wieder. Du im Anzug mit erfolgreichem Geschäftsessen und Ideen, wo man Geld investieren kann. Das klingt so gar nicht nach dem Typen, den ich seit Jahren kenne“, gestand Yami mit einem leichten Lächeln und er nickte. „Ich weiß, Alter. Das ist ja auch alles so verrückt, aber mir scheint das echt ganz gut zu liegen. Jedenfalls macht es mir Spaß, obwohl es mega anstrengend ist. Und es ist ja auch nur für eine begrenzte Zeit, dann kann Kaiba sich wieder austoben. Ich sorge ja nur dafür, dass der Laden in der Zwischenzeit nicht wie ein Kartenhaus zusammenfällt.“ „Also dafür machst du das echt großartig! Seto wird bestimmt froh sein, dass du ihn so gut vertreten- oh, ich habe ganz vergessen, noch meinen Kumpel anzurufen! Der musste heute noch zum Arzt und ich wollte wissen, was er hat! Verdammt, ich bin gleich wieder da! Und wehe, ihr esst was von meinen Burgern!“, plapperte Mokuba, zeigte drohend mit dem Finger auf sie und lief mit Handy in der Hand aus dem Raum. Die anderen Drei sahen ihm kurz irritiert nach, dann grinste Joey: „Als ob Kaiba mir dankbar wäre. Niemals, Leute. Ich werde doch nicht mal ein Danke dafür hören, dass ich mir hier das Bein ausgerissen habe. Wobei das sicherlich ein Anblick wäre. Zu sehen, wie er sich ausgerechnet bei mir – dem Straßenköter – bedankt.“ „Ja, wahrscheinlich … Dabei hättest du mehr als nur ein Danke verdient für alles, was du hier leistest! Schließlich bist du auch Mokuba eine Stütze und hilfst ihm, das alles zu schaffen. Er sollte dir dafür mehr als nur Respekt zollen. Ganz ehrlich, Joey!“ „Ach komm schon, Tea, wir kennen den reichen Eisschrank doch alle. Aber genug davon. Wir wollen uns jetzt nicht den Abend davon versauen lassen“, beendete er das Thema, bevor sich seine Stimmung noch verschlechterte und quatschte mit seinen Freunden, was sie die Woche über so gemacht hatten, da sie sich außerhalb der Schule nicht gesehen hatten, bis nach einer halben Stunde endlich die Burger geliefert wurden. Immerhin muss Kaiba auch erst einmal aufwachen, bevor er überhaupt die Chance hätte, sich zu bedanken, schoss es ihm noch durch den Kopf, dann ließ er sich die einfachen Burger schmecken. Kapitel 20: Serenitys Anruf --------------------------- Sonntag, 04.09. Joey hatte sich selten so unwohl gefühlt. Es war Sonntagmittag und Mokuba wollte unbedingt Seto besuchen. Das war ja an sich kein Problem, allerdings hatte er darauf bestanden, dass er mitkam, weil er nicht allein da sein wollte. Also war er mitgekommen, nachdem der kleine Bonsaiterrorist ihn mit diesen unschuldigen Kulleraugen manipuliert hatte. Er musste lernen, sich nicht davon einwickeln zu lassen. Ob Kaiba da ein Geheimrezept hatte? Hatte er das vielleicht irgendwo notiert? Nun stand er sogar in Seto Kaibas Zimmer und wäre am liebsten sofort wieder herausgerannt. Doch er blieb eisern hinter Mokuba stehen und streichelte ihm über die Schultern, während der Kleine die Hand seines Bruders hielt. Es war ein seltsames Gefühl, diesen selbstbewussten Mann so fertig und blass in einem Krankenhausbett liegen zu sehen. In seinem Hals war ein Beatmungsschlauch und um ihn herum waren verschiedene Apparaturen aufgebaut. Ein ständiges Piepen dröhnte in dem sonst so unnatürlich stillen Raum und erinnerte Joey daran, dass Kaiba immerhin noch am Leben war. Es erinnerte ihn aber auch krampfhaft daran, dass er Krankenhäuser hasste. Diese sterilen Räume … Das stete Gefühl, dass ein Leben am seidenen Faden hing. Auf dem Gang verzweifelte, trauernde Menschen auf der einen Seite und glückliche und dankbare auf der anderen. Es waren einfach überall Unmengen an Gefühlen und Joey konnte das nicht verarbeiten. Es war ihm unheimlich und er hoffte, so schnell wie möglich wieder rausgehen zu können. Mokuba murmelte seinem Bruder Worte zu, während er weiter dessen Hand streichelte und Joey wandte den Blick von Kaiba ab und schaute aus dem Fenster. Irgendwie konnte er diesen Anblick nicht ertragen. Es war ein Paradoxon – ein Widerspruch in sich. Ein Kaiba war nicht so schwach, dass er Geräte brauchte, um am Leben zu bleiben. Das widersprach einfach allem. Ein Seto Kaiba marschierte wie ein General durch die Gänge, gab Befehle, die andere sofort befolgten und nervte einen mit seinem überheblichen Grinsen, dass man ihm aus dem Gesicht wischen wollte. Er lenkte sich ab, indem er seinen Tagesplan in Gedanken durchging, bis der Schwarzhaarige sich vor ihm erhob. „Möchtest du gehen, Mokuba?“, fragte er leise und musterte ihn besorgt. Er hatte ein paar Tränen vergossen, nickte aber langsam und trottete mit hängendem Kopf aus dem Raum. Aus einem Impuls heraus blieb der Blonde noch einen Augenblick stehen, wartete, bis der Kleine rausgegangen war und schaute noch einmal zu Kaiba. „Ich an deiner Stelle wäre schon lange aufgewacht, du reicher Pinkel! Du wirst alt! Sieh zu, dass du hinne machst, damit Mokuba wieder lachen kann!“ Mit diesen Worten verließ auch Joey das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Er hatte erst überlegt, ihm damit zu drohen, dass er sonst die Firma komplett umkrempeln würde, doch er wollte ihm ja auch keinen Herzinfarkt verpassen. Nicht, dass er schuld war, dass dem Eisschrank die Lichter ausgingen. Er verließ mit Mokuba das Krankenhaus durch den VIP Eingang und sobald sie zu Hause angekommen waren, verkrümelte sich der Kurze in sein Zimmer. Er wollte allein sein, hatte er gesagt und Joey respektierte den Wunsch, auch wenn er sich Sorgen um ihn machte. Die Situation wurde schlimmer und schlimmer für ihn, je länger sein Bruder im künstlichen Koma lag, was allzu verständlich war. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und erledigte ein paar Dinge allein, die er sich zutraute. Roland war noch Besorgungen machen und Yuuto hatte sich heute einen freien Tag genommen, also hatte er endlich mal Zeit für sich. Nachdem er alles erledigt und sich Notizen zu Emails gemacht hatte, die er nicht selbst bearbeiten wollte, beendete er seinen Arbeitstag und verließ den Raum. Einen Moment lang stand er etwas verloren im Gang und überlegte. Er könnte sich mit seinen Freunden treffen, aber er war gerade froh, dass mal keiner um ihn herum war. Er könnte auch in sein Zimmer und die Seele baumeln lassen, aber dumm rum liegen war jetzt auch nicht seins. Seufzend stemmte er die Hände in die Hüften. Er hasste dieses Gefühl, etwas tun zu müssen, aber nicht zu wissen, was. Unentschlossen schlenderte Joey durch den langen Gang und schaute aus einem der Fenster und dann wusste er, was er wollte. Er würde jetzt in den Garten gehen und ein paar Bahnen im Pool ziehen. Immerhin war das ein 25 Meter Becken und draußen war herrliches Wetter. Er holte also schnell seine Badehose – Roland und er hatten vor ein paar Tagen fast sämtliche Klamotten von ihm rüber geholt –, zog sich um und lief nach draußen. Unterwegs bog er noch ins Bad ab, um zwei Handtücher mitzunehmen und dann sprang er grinsend in das warme nass. Es war die perfekte Temperatur und sofort begann er zu schwimmen. Es war einfach super entspannend und Joey schaltete komplett ab. Erst eine Stunde später machte er eine Pause und legte den Kopf auf den Beckenrand. Er schloss genießerisch die Augen und träumte vor sich hin. Allmählich fing er an, sich an dieses Leben zu gewöhnen, doch er war sich sicher, dass er kein Problem damit hatte, wieder in seine alte Welt zurückzukehren. Immerhin war das seine Komfortzone, die er jetzt seit über einer Woche verlassen hatte. Und auch wenn er dabei war, sich mit dieser Situation zu arrangieren und das Beste draus zu machen, freute er sich schon auf den Tag, wo er endlich wieder in seine Wohnung zurückkonnte. Am besten gleich in die neue, dann konnte er einen kompletten Neustart hinlegen. Ohne die Erinnerungen, die er mit der alten Wohnung verband … Ein Klingeln durchbrach die Stille und seufzend öffnete Joey die Augen. Es war sein Privathandy und einen Moment lang dachte er daran, einfach liegen zu bleiben und seinen Sonntag weiter unbeschwert zu genießen. Doch dann siegte die Neugier und Joey stemmte sich aus dem Wasser, weil er zu faul war, bis zur Treppe zu schwimmen. Er schrubbelte kurz seine Haare und legte das Handtuch in seinen Nacken, als er auf die Liege zuging, neben der auf einem kleinen Tischchen das Handy lag. Zu seiner großen Überraschung blinkte der Name seiner Schwester auf dem Display und sofort nahm er ab. „Serenity! Wie geht es dir?“, rief er glücklich und ließ sich auf die Liege fallen, auf der ein großes, kuscheliges Strandtuch lag. „Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Aber was ist bei dir los? Ich habe vorhin in den Nachrichten gescrollt und bin halb vom Stuhl gefallen! Warum hast du mir gar nicht Bescheid gesagt?“ Obwohl sie glücklich zu sein schien, hörte er den Vorwurf deutlich in ihrer Stimme und er konnte es ihr nicht verübeln. Er massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel, während er nach den richtigen Worten suchte. „Es ist alles so absurd, Schwesterchen. Ich wollte nicht, dass du dir zu große Sorgen um Mokuba machst. Ich weiß doch, dass ihr euch so gut versteht. Daher hielt ich es für besser, es dir lieber bei unserem nächsten Telefonat mitzuteilen.“ „Jetzt mache ich mir erst recht Sorgen! Also was ist denn genau passiert? Und was ist da mit Seto Kaiba?“, wollte sie neugierig wissen und Joey hob eine Augenbraue, als er ihren grinsenden Unterton wahrnahm. „Letzte Woche Freitag hatte Seto Kaiba einen Verkehrsunfall und Mokuba bat mich um Hilfe, also bin ich zu ihm ins Krankenhaus. Ich war dann die Nacht in der Kaiba Villa und am nächsten Morgen kam der Kurze auf die glorreiche Idee, dass ich – während Kaiba im Krankenhaus ist – für die Zeit Kaibas Vertretung bin, weil er nach den Big Five kein Vertrauen in Stellvertreter hat, was ich nachvollziehen kann. Ich habe also zugestimmt und bin jetzt offiziell solange Boss der Kaiba Corp., bis Seto Kaiba wieder fit ist. Ja, das ist dann auch schon Ende der Geschichte.“ „Und warum heißt es überall, dass du sein Lebensgefährte bist?“, wollte sie vergnügt wissen und Joey seufzte. Das Thema nervte ihn so langsam. Er zählte schon gar nicht mehr, wie oft er in der Schule als Schwuchtel, Schwanzlutscher und was nicht alles bezeichnet worden war. Dank seiner Bossaura hatte er das alles an sich abprallen lassen können, ansonsten würden jetzt mehrere Schüler im Krankenhaus liegen und er wahrscheinlich in einer Zelle, um auf seine Gerichtsverhandlung zu warten. Um ein paar der Beleidigungen im Internet kümmerte sich Yuuto mit seinem Team, da sie definitiv eine Grenze überschritten. Deswegen hielt er sich von den meisten Internetseiten mittlerweile fern und griff nur die seriösen Zeitungen. Die Schlagzeilen der Klatschmagazine waren schon schlimm genug, da wollte er die dazugehörigen Artikel gar nicht erst lesen. „Mokuba hat das als Begründung genommen, warum ausgerechnet ich die Firma in dieser Zeit leite“, erwiderte er grummelnd und Serenity kicherte. „Schlau von ihm. Aber es geht dir gut, ja? Und du arbeitest auch nicht so viel wie Kaiba?“ „Nein, keine Sorge. Ich habe ja auch noch gar nicht den Durchblick, also kann ich auch gar nicht viel machen. Und ich werde von Mokuba, Roland und drei weiteren Kollegen aus der Firma wirklich gut unterstützt. Also du brauchst dir keine Sorgen zu machen, okay?“ Einen Moment lang herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, ehe Serenity ihm antwortete: „Ja, ist gut. Ich hoffe, das bleibt auch so. Schick mir unbedingt mal ein Foto von dir, wo du einen Anzug trägst, ja? Tea hat mir in einer Email geschrieben, dass sie beinahe in Ohnmacht gekippt wäre! Also pass gut auf dich auf, ja? Ich melde mich bald wieder!“, sagte sie glücklich und Joey lächelte. „Ich habe mich sehr gefreut, dass du angerufen hast und wir sprechen bald. Auf jeden Fall! Ich habe dich lieb, Schwesterherz!“ „Ich dich auch, großer Bruder!“ Serenity legte auf und Joey legte lächelnd sein Handy wieder auf das Tischchen. Er fühlte sich glücklich, dass sie die Zeit gefunden hatte, sich bei ihm zu melden und hoffte, dass ihr nie etwas zustoßen würde. Das könnte er nicht ertragen. Da wäre er nicht so stark wie Mokuba. Wahrscheinlich würde er auf der Stelle zusammenbrechen. Oder durchdrehen. Entschieden schüttelte Joey den Kopf. Er wollte nicht den Teufel an die Wand malen und ein bekannter Mensch im Krankenhaus reichte. Außerdem war das Wetter echt großartig und das sollte er genießen und nicht Trübsal blasen. Also sprang er noch einmal in den Swimming Pool und genoss das Wasser um sich herum. Kapitel 21: Unangenehmer Businesslunch -------------------------------------- Dienstag, 06.09. Yuuto betrat das Büro und Joey schaute nur kurz auf und wandte sich dann wieder dem Bildschirm zu. Die Grafikabteilung hatte ihm gerade eine Email mit weiteren Entwürfen für ein Fantasy Brettspiel geschickt und interessiert studierte er sie. „Kommst du?“, hakte der Anwalt nach und blieb vor dem Schreibtisch stehen. „Mhm“, murmelte er und tippte auf der Tastatur herum, um einen Kommentar zu schreiben. Der Kopf des Drachen war einfach etwas zu klein und die Flügel waren … irgendwie unpassend. Yuuto räusperte sich und verwirrt sah der Blonde auf. „Ja, was ist denn?“ „Es ist Zeit für den Businesslunch. Wir müssen los, damit wir das Konzept für die Marketingstrategie besprechen können.“ „Ach ja, stimmt ja!“ Joey speicherte schnell die Kommentare ab, fuhr den Laptop herunter und nahm ihn aus seiner Ladestation. „Gehen wir“, sagte er noch und verließ mit Yuuto das Büro. Sie verabschiedeten sich von Yukiko, die ihnen einen guten Appetit wünschte und fuhren ins Erdgeschoss. Da das Restaurant nur zwei Straßen weiter war, beschlossen sie, zu Fuß zu gehen. Roland begleitete sie für den Fall, dass Reporter doch zudringlich werden sollten, doch anscheinend sah es zur Abwechslung gut aus. „Warum macht eigentlich eine außenstehende Agentur die Marketingkampagne und nicht unsere eigene Abteilung?“, wollte Joey wissen und schaute zu Yuuto rüber. „Zum einen, weil unsere Marketingabteilung zurzeit komplett ausgelastet ist. Aufgrund von mangelndem Fachpersonal ist die Abteilung derzeit am Limit, was die Ressourcen angeht. Außerdem leistet sie hervorragende Arbeit für einen fairen Preis. Von daher hatte Seto entschieden, in diesem Fall die Agentur zu beauftragen.“ „Ist es so schwer, Personal zu finden?“ „Ja, leider schon. Du kannst ja gern mal Yuna danach fragen. Das Problem ist, dass – nicht nur wir, sondern viele Finrmen – immer weiterwachsen, aber Japan sehr geburtenschwach ist. Von daher gibt es mehr Stellen als Arbeitnehmer und die Arbeitnehmer entscheiden sich für das Unternehmen mit den besten Konditionen. Außerdem ist die Kaiba Corporation zwar sehr beliebt bei den Käufern, aber als Arbeitgeber hat sie nicht den besten Ruf, was mir unverständlich ist, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls haben wir deswegen Personalmangel und zwar nicht nur im Marketing, sondern auch in der Buchhaltung und im Verkauf.“ Joey nickte langsam und machte sich so seine Gedanken darüber, wie man das ändern könnte. Bestimmt gab es eine Möglichkeit, um die Kaiba Corporation als Arbeitgeber zukünftig attraktiver zu gestalten. Er sollte da wirklich mal mit Yuna reden. In der Zwischenzeit waren sie an dem Restaurant angekommen und zu seiner Freude war es ein günstiges, normales Restaurant, wo es auch vernünftige Portionen gab. Jetzt musste nur noch das Gespräch gut laufen und dann hatte er das auch erledigt! Zielstrebig schritt Yuuto auf drei Anzugträger zu, die an einer Seite standen. Bei dem einen Mann hatte er direkt ein ganz schlechtes Gefühl. Es war nicht so, dass er es begründen konnte, aber die Alarmglocken läuteten, seitdem er ihn gesehen hatte. Dennoch stellte er sich zu ihnen, stellte sich vor und ließ sich die Männer von Yuuto vorstellen. Sie nickten einander zu, schüttelten die Hände und nahmen an einem Tisch am Fenster Platz. Dieser unsympathische Mann, der auf den Namen Oda hörte, setzte sich neben ihn und Yuuto gegenüber von ihm. Eine Kellnerin nahm nach ein paar Minuten die Bestellungen auf und Joey und Yuuto ließen sich das Konzept zeigen, dass die Agentur ausgearbeitet hatte. Es klang ganz gut, auch wenn der Blondschopf an einigen Stellen noch Korrekturen vorschlug, die sich die Männer notierten und prüfen wollten, ob sie zum Gesamtkonzept passten. Sie waren gerade dabei, die letzten Punkte während des Desserts abzuarbeiten, als Joey erstarrte. Auf seinem Oberschenkel spürte er eine fremde Hand, die ihn streichelte und dabei langsam nach innen und oben wanderte. Erschrocken starrte der Blonde den lächelnden Herr Oda neben sich an und stand so ruckartig auf, dass der Stuhl nach hinten fiel. Durch den Lärm schauten die anderen Restaurantbesucher sie an, doch er nahm das gar nicht wahr. „Lassen Sie ihre dreckigen Pfoten bei sich, Herr Oda!“, zischte er angespannt und ballte die auf dem Tisch liegenden Hände zu Fäusten. „Was reden Sie da, Mister Wheeler?“, fragte er irritiert, doch anhand seines Blickes wusste Joey ganz genau, dass er wusste, worum es ging. Yuuto schaute ihn verunsichert an genauso wie die anderen beiden, aber Joey hielt es keine Sekunde länger an dem Ort aus. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nahm er seine Mappe und schritt nach draußen. Was fiel diesem widerlichen Typen nur ein, ihn anzufassen!? Für wen hielt sich dieser Kerl eigentlich? „Ist alles in Ordnung, Joey?“, fragte Roland vorsichtig und erst jetzt merkte er, dass er zitterte. Yuuto trat hinter ihm aus dem Laden und wollte gerade fragen, als der Blonde sie mit einem Wink zum Gehen aufforderte. Sie entfernten sich von dem Restaurant und Joey atmete tief durch, als er sagte: „Die Zusammenarbeit mit der Agentur wird gekündigt. Wir werden notfalls mehr bezahlen und mit einer anderen zusammenarbeiten, die sich professionell verhält. Außerdem muss in der Kreditorendatenbank ein Vermerk gemacht werden, dass es auch in Zukunft keine Zusammenarbeit mehr geben wird.“ „Was ist denn passiert, Joey?“, hakte Yuuto nach und musterte ihn fragend von der Seite her. „Herr Oda hat mich am Oberschenkel angefasst“, antwortete er dunkel und glaubte noch immer die Hand zu spüren. Es war widerlich und er wollte das Gefühl loswerden, doch er konnte schlecht in der Öffentlichkeit minutenlang den Oberschenkel streicheln, um es loszuwerden. Also riss er sich zusammen und widerstand diesem Drang. „Was? Soll ich eine Anzeige gegen ihn vorbereiten?“, wollte Yuuto sofort wissen und holte sein Smartphone raus, doch Joey schüttelte den Kopf. „Nein, schon gut. Eine Kündigung der Zusammenarbeit reicht. Das wird der Agentur sicherlich schaden und ich will nicht mehr Aufhebens darum.“ Den Rest des Weges in Richtung der Kaiba Corporation marschierten sie schweigend nebeneinander her und auf dem Weg nach oben Richtung Büro stieg Joey eine Etage darunter aus und schritt zielstrebig in Yunas Büro, nachdem die Sekretärin ihm bestätigt hatte, dass sie Zeit hatte und im Büro war. Es war halb so groß wie das von Kaiba, aber um einiges gemütlicher eingerichtet. Es gab Pflanzen auf der Fensterbank, persönliche Bilder an der Wand und einen flauschigen, grünen Teppich vor dem Schreibtisch, der ihn an eine Wiese erinnerte. „Oh hallo Joey, komm doch rein“, begrüßte Yuna ihn leicht lächelnd, als sie vom Monitor aufschaute und der Blonde nahm auf einem der Stühle Platz. „Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst etwas durch den Wind aus, wenn ich so ehrlich sein darf.“ „Ja. Es gab nur gerade etwas Stress beim Businesslunch, aber nichts, was sich nicht regeln lassen würde. Ich hatte mich eben noch mit Yuuto über den Ruf der Kaiba Corporation als Arbeitgeber unterhalten und darüber, dass wir in ein paar Abteilungen Personalmangel haben. Stimmt das?“ Yuna nickte ihm zu und drehte sich etwas mit ihm Stuhl, um ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. „Ja, das ist richtig. Da Kaiba immer 100% erwartet und auf viele Menschen einen kalten Eindruck macht, gehört die Firma nicht zu den beliebtesten Arbeitgebern.“ „Was für Angebote gibt es hier für Angestellte? Sportraum, Fahrkartenzuschlag, Rabatt bei Restaurants in der Nähe oder so etwas?“ Yuna öffnete eine Schublade in ihrem Schreibtisch und holte ein laminiertes A4 Papier hervor, das sie Joey reichte. „Wir haben eine Kooperation mit einem Fitnessstudio, dass nur ein paar Häuser weiter ist, dann natürlich die Kantine, mehrere Ruheräume und Teile der Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr übernehmen wir auch. Das war es dann allerdings auch.“ Joey nickte langsam und in seinem Kopf ratterte es. Allerdings dachte er mehr an Herrn Oda als an Yuna und er rieb sich kurz über die Augen. Sie brauchten unbedingt mehr Personal, also brauchten sie ein besseres Image. Und wenn sie schon dabei waren – diese Hand, die er eben gespürt hatte – verdammt, er musste sich konzentrieren! „Also gut. Bereite bitte bis Freitag einen Fragebogen für eine Mitarbeiterbefragung vor. Gern auch online. Ich will wissen, was unsere Mitarbeiter vermissen und was sie gut finden. Aufgrund dessen werden wir überlegen, wo wir uns verbessern können und eine Kampagne machen, um neue Mitarbeiter anwerben zu können. Der Personalmangel wird früher oder später noch richtig ärgerlich für uns werden und das möchte ich gern vermeiden.“ „In Ordnung, wie du wünschst. Ich werde dir den Fragebogen bis Freitag vorlegen“, versprach sie und Joey lächelte sie dankbar an. Dann stand er wieder auf, wünschte ihr noch einen schönen Tag und fuhr hoch in sein Büro, wo Yuuto Mokuba über die aufgekündigte Zusammenarbeit aufklärte. „Geht es dir soweit gut, Joey? Möchtest du sonst lieber Feierabend machen? Selbstverständlich teile ich deine Meinung und werde einen Eintrag in der Kreditorendatenbank veranlassen.“ „Danke Kurzer. Nein nein, wir können gern noch weitermachen. Immerhin müssen wir jetzt eine neue Agentur finden …“ Mokuba nickte langsam und gemeinsam mit Yuuto, Roland und dem kleinen Kaiba schaute Joey nach einer anderen Agentur, die ihren Ansprüchen genügte und nicht unbezahlbar war. Kapitel 22: Nervenzusammenbruch ------------------------------- Mittwoch, 07.09. Der Schultag war schnell vorbei gewesen, wofür Joey mehr als dankbar war. Die Kommentare der anderen – zum Glück zurzeit nicht mehr aus seiner Klasse – raubten ihm die Nerven. Er hatte nicht so ein dickes Fell wie Kaiba und konnte die Welt um sich herum ausblenden, doch im Moment wünschte er sich genau das. Gestern Abend hatte er noch wach gelegen und war wütend, dass dieser Typ ihn begrabscht hatte. Die Berührungen schienen noch auf seiner Haut gebrannt zu haben und es ärgerte ihn umso mehr, weil sich der Kerl das bei Kaiba niemals getraut hätte! Scheiße, über seinem Kopf stand doch nicht: Bitte hier grabschen!? Genervt stand Joey ruckartig aus dem Ledersessel auf und wandte sich zum Fenster. Selbst bei Tage war die Aussicht aus Kaibas Büro atemberaubend und er war froh, dass ihn die anderen für ein paar Minuten in Ruhe ließen, weil sie andere Dinge zu tun hatten. Es war richtig, dass sie die Zusammenarbeit gekündigt hatten und das wäre garantiert ein schwerer Schlag für die Firma, wenn er sich die Zahlen so anschaute, aber ihm schwirrten Yuutos Worte noch immer im Kopf herum. Sollte er das anzeigen? Nein, der Schlag würde reichen müssen. Nachher kam das an die Öffentlichkeit und er müsste sich vor der Presse rechtfertigen. Das kam nicht in Frage. Was würde das für einen Blick auf ihn und Kaiba werfen? Und auf die Firma? Nachher würde das zu einer Schlammschlacht werden, denn es hatte ja niemand explizit gesehen, also wäre es Aussage gegen Aussage. Ach scheiße, er hätte ihm mit aller Kraft in die Weichteile treten sollen. Genervt strich er sich durch die Haare, legte die Hände danach auf die eiskalte Glasscheibe und atmete tief durch. Die Augen schließend konnte er spüren, wie sich die Scheibe aufgrund des Windes leicht bewegte und plötzlich schien es, als würde das Gebäude leben. Du meine Güte, was war nur mit ihm los? Gleich hatte er ein Meeting mit dem Verkauf und da musste er sich konzentrieren! Es klopfte an der Tür, doch er sagte nichts, weshalb nach ein paar Sekunden später ein weiteres Mal geklopft wurde. Schnell drehte er sich um, strich über das Sakko und legte eine Hand auf die Rückenlehne des Schreibtischstuhls. „Ja bitte!?“ Yuuto trat ein, musterte ihn kurz unverhohlen und fragte: „Hey, alles okay bei dir?“ „Ja, alles gut. Gehen wir.“ Er griff die Mappe, die er sich vorbereitet hatte und klemmte sie unter den Arm, während er um den Tisch herumging. Sein Herz schlug genauso heftig in seinem Brustkorb wie beim ersten Meeting, nur dieses Mal aus anderen Gründen. Er ignorierte den Blick des Anwalts, als er an ihm vorbeischritt und marschierte zu den Aufzügen, um zum Besprechungsraum zu fahren. Yuuto schien seinen Wunsch zu schweigen zu respektieren, doch er merkte ihm deutlich an, dass ihm eine ganze Reihe an Fragen auf dem Herzen lagen, aber Joey wollte sich jetzt konzentrieren. Das war wichtig, damit er gleich keine falsche Entscheidung traf. Nicht auszudenken, was dann passieren würde. Bei einem Verkaufsmeeting könnte er die Umsätze einbrechen lassen, wenn er die falsche Strategie einschlagen ließ. Scheiße, er konnte Kaibas Firma gegen die Wand fahren. Der Fahrstuhl wurde immer kleiner, die Wände bewegten sich auf ihn zu und er griff sich an den Krawattenknoten und lockerte ihn eilig. „Joey?“, drang die besorgte Stimme Yuutos an sein Ohr, doch er schüttelte nur den Kopf. Fuck, was tat er hier eigentlich!? Wie kam er darauf, dass er solch ein Firmenimperium mal eben leiten konnte? Ohne irgendwelche Vorkenntnisse oder sonst etwas? Wie dumm war er eigentlich? Sein Puls raste viel zu schnell, sein Atem war unkontrolliert und panisch krallte er seine Hand an die Stelle, wo darunter sein Herz schlug. Die Mappe landete geräuschvoll auf dem Boden und ruckartig starrte er sie mit großen Augen an, doch sein Kopf konnte das gar nicht verarbeiten. Da war nur Panik. Nur Angst vor dem Versagen. Angst davor, alles kaputt zu machen. Angst, dass er Kaibas Lebenswerk zerstörte. Nein, er konnte das hier nicht. Er war nur ein unbedeutender Straßenköter, der nichts konnte und kein Recht hatte, einen maßgeschneiderten Anzug zu tragen. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle ausgezogen, um dieses falsche Fell loszuwerden und wieder zu der nichtsnutzigen Person zu werden, die er doch war. Sonst hätte seine Mutter ihn doch damals auch mitgenommen! Sonst hätte ihn sein Vater doch nicht jeden Tag darauf aufmerksam gemacht – ihn angebrüllt –, was für ein Versager er doch war. Versager, Versager, Versager. Die Stimme seines Vaters setzte sich in jedem Winkel seines Gehirns fest und er merkte gar nicht, dass ihm stumm die Tränen die Wangen herunterrannen. Erschöpft ließ er sich an der Wand herabsinken, zog die Beine heran und atmete zittrig. Wie hatte er nur so dumm sein können? Er würde Mokuba enttäuschen. Nein, er konnte ihn nicht enttäuschen. Der Kleine glaubte doch an ihn. Aber er musste ihm anders helfen. Das hier, diese ganze Chefsache, das konnte er nicht. Wegen ihm würde Kaiba am Ende vor einem Trümmerhaufen stehen und ihm einfach den Hals umdrehen, weil er alles zerstört hatte. Einfach alles. Nein, er konnte das nicht. Er musste hier raus. Weg. Verschwinden. Warum konnte er sich nicht einfach in Luft auflösen? „ … – du mich? Joey! Hey Joey! Ich rede mit dir. Kannst du mich hören?“ Irritiert schaute er sich um, konnte die Stimme im ersten Moment nicht zuordnen, entdeckte Yuuto, der sich vor ihn gekniet hatte und mit sehr besorgten Augen anschaute. „I-ich kann das nicht“, wisperte er leise flehend und der Anwalt wollte offenbar etwas erwidern, doch aus ihm brach alles heraus: „Ich kann diese Rolle nicht weiterspielen. Am Ende werde ich alles zerstört und meine Eltern recht behalten haben. Ich bin nur ein Nichtsnutz, der sich irgendwie mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten wird. Wie konnte ich glauben, dass ich das hier kann!? Ich bin ein Niemand! Ich muss hier raus! Sofort!“ Sanft, aber bestimmt, legten sich zwei Hände auf seine Wangen und für eine Millisekunde wünschte er sich, dass es Kaibas wären, doch es waren die von Yuuto, der ihn aber genauso eindringlich musterte. „Joey, bitte. Hör mir zu.“ Langsam – wie ein Roboter – nickte er und versuchte sich auf die Stimme zu konztentrieren, doch die Panik riss an seiner Konzentration, um sie ihm wieder zu entreißen. Scheiße, was passierte hier gerade!? Versager, spuckte ihm in Gedanken sein Vater vor die Füße und er hielt sich die Ohren zu, kniff die Augen fest zusammen. Sein alter Herr war tot! Wieso redete er in seinem Kopf!? Das durfte doch nicht wahr sein! Er sollte aufhören. Versager, Nichtsnutz, Verlierer, Loser! Aus dir wird nie etwas werden! Sieh dich doch mal an! Du schaffst es ja nicht mal, die Schule jeden Morgen pünktlich zu besuchen! Die Stimme lallte. Joey hatte das Gefühl, dass er den Alkoholgeruch förmlich riechen konnte und ihm wurde kotzübel. Die Hände lösten sich von seinen Wangen und griffen vorsichtig seine Handgelenke. Im ersten Moment sperrte er sich dagegen, dann ließ er es zu, dass der Anwalt seine Hände auf seine Knie legte und dann wieder sein Gesicht berührte. „Joey, bitte. Bleib bei mir. Ich möchte dir etwas sehr Wichtiges sagen“, durchbrach Yuuto seine Gedanken und der Blonde blinzelte etwas, nickte leicht als Zeichen, dass er ihm zuhören würde. Sein Blick fixierte dabei seine Fingerknöchel, die weiß hervorstachen, weil sich seine Finger in seine Knie gruben. „Du bist ein wunderbarer junger Mann, der sich in einer krassen Ausnahmesituation absolut hervorragend schlägt. Du scheinst die Zusammenhänge sehr schnell zu begreifen, du schaust dir die Situationen aus allen Blickwinkeln an und du hörst deinen Angestellten aufmerksam zu, wenn sie das Wort an dich richten. Das alles macht dich zu einem großartigen Boss der Kaiba Corporation. Jeder Mensch mit solch einer Verantwortung hat Selbstzweifel und sie sind im gewissen Maße sehr gut, weil wir uns hinterfragen, um die beste Entscheidung treffen zu können. Auch Seto hat diese Zweifel, obwohl er mit aller Macht versucht, das zu verstecken, aber er hat sie. Ich verstehe, dass sie dich überwältigen, weil es so plötzlich ist. Aber du bist nicht allein.“ Yuuto machte eine Pause und Joey nickte angestrengt. Er war nicht allein. Kaiba hatte auch Zweifel? Das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er war doch so selbstbewusst, als könnte er auch die Welt regieren, ohne mit der Wimper zu zucken. „Yukiko, Yuna, Roland, Mokuba und ich sind bei dir. Wir helfen dir und werden dafür sorgen, dass keine Fehlentscheidungen fallen werden. Wir prüfen deine Arbeit und bügeln sie im Notfall wieder aus. Wir sind ein Team, das zusammen an der Spitze steht und wir helfen einander, okay?“ „Zusammen … Nicht allein“, murmelte der Blonde und spürte, wie bei den Worten die Panik ein wenig nachließ. Der Anwalt hatte recht. Er musste das nicht allein durchstehen. Seine neuen Freunde und auch seine alten würden ihm helfen. Fuck, er musste sich zusammenreißen und hastig wollte er aufstehen, doch Yuuto hielt noch immer seine Wangen fest und schien noch nicht fertig zu sein, weshalb er aufhörte, sich weiter zu bewegen und ihm wieder in die Augen sah, die ihn so anstrahlten. „Eine letzte Sache noch. Was auch immer deine Eltern zu dir gesagt haben: Du bist ein toller Mensch, Joey. Und garantiert kein Nichtsnutz. Andere hätten Mokuba die Hilfe verweigert, wieder andere hätten sich dafür wie ein König bezahlen lassen, noch andere hätten nur wie eine Puppe dagesessen und sich alles diktieren lassen, doch du hast dich mit Elan in die Aufgabe geworfen. Weil dein Freund Mokuba dich darum gebeten hat. Das ist eine absolut tolle Eigenschaft und jeder, der dich zum Freund hat, kann sich sehr glücklich schätzen! Alle, die anderes behaupten, sind Arschlöcher, die keine Ahnung haben und die haben nicht einmal deine Aufmerksamkeit verdient, hörst du? Vergiss niemals: Nur du lebst dein Leben und nur du kannst beurteilen, was es mit dir macht. Kein anderer hat das Recht, deine Entscheidungen zu beurteilen, auch wenn das jeder tut. Doch nur du allein kannst für dich den Weg finden, den du beschreiten willst. Sei es durch den Vertreterjob hier, durch Gelegenheitsjob oder etwas vollkommen anderes. Es ist dein Leben und deine Entscheidung. Hast du das verstanden?“ „J-ja“, hauchte er und zog Yuuto in eine feste Umarmung, als ihm noch einmal die Tränen kamen. Verdammt, der Anwalt hatte recht. Und was war er froh, dass er gerade bei ihm war! Er war wirklich ein toller Typ. „Es ist alles gut, Joey. Du bist ein starker und toller Mensch. Lass dich nicht beirren.“ „Danke Yuuto. Werde ich nicht. Also ich werde es versuchen“, schniefte er und entließ ihn wieder aus der Umarmung. Yuuto stand vorsichtig auf, hielt ihm eine Hand hin und mit der Hilfe rappelte sich der Blonde erneut auf, griff dabei noch die Mappe, damit er sie nicht vergaß. Bewusst atmete er langsam ein und aus. Anfangs zitterte sein Atem noch, dann beruhigte er sich wieder und schnäuzte seine Nase, als Yuuto ihm ein Taschentuch hinhielt. Mit einem zweiten wischte er über sein Gesicht und das Zittern seines gesamten Körpers ließ allmählich nach. Fuck. Zum Glück war er nicht allein gewesen. Dann hätte er sich vielleicht gar nicht beruhigt. Aber halt, sie waren doch im Aufzug? Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie sich gar nicht bewegten und fragend schaute er zu Yuuto, der stumm verstand und leicht lächelnd auf den Stop Knopf zeigte. „Neben dem Aufzug ist direkt ein WC, da kannst du dir nochmal das Gesicht waschen, ehe wir ins Meeting gehen, okay? Bereit?“ Joey atmete tief durch, straffte seine Schultern und nickte. „Ja. Legen wir los. Wir haben eine Firma weiterzuentwickeln.“ „Das ist der Joey, den ich kennengelernt habe“, sagte Yuuto lächelnd und sorgte dafür, dass sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung setzte. Es ruckte kurz, dann hielt er ein Stockwerk weiter unten und Yuuto stellte sich vor ihn, damit nicht jeder sofort sehen konnte, wie scheiße es ihm gerade ging. Zu seinem Glück war es leer auf dem Gang und er betrat schnell das WC, wo anscheinend ebenfalls niemand war. Der Blick in den Spiegel ließ ihn erschrocken die Augen aufreißen. Seine Augen waren vollkommen verquollen und schnell hielt er eine Hand vor den Sensor und eine Sekunde später kam ein Strahl Wasser aus dem Hahn und er spritzte sich etwas davon in sein Gesicht. Neben ihm stand Yuuto und hatte sein Smartphone in der Hand und studierte wahrscheinlich irgendwelche Nachrichten, die er bekommen hatte. „Glaubst du wirklich, dass aus mir etwas werden kann?“ Joeys Stimme klang noch immer schwach und kratzig, doch es interessierte ihn nicht. Stattdessen starrte er erneut in den Spiegel und sah wie hypnotisiert dabei zu, wie sich einzelne Wassertropfen einen Weg über sein Gesicht bis zum Hals suchten. Bevor sie aber sein Hemd erreichten, nahm er ein Papier und wischte sie weg. Den musternden Blick von Yuuto hatte er nur am Rande wahrgenommen, doch als er sich soweit abgetrocknet hatte und zu ihm rüberschaute, bemerkte er sofort wieder diesen stechenden Blick. „Dir stehen alle Türen offen, Joey. Es ist eine Schande, wenn dir deine Eltern etwas anderes gesagt haben. Ich weiß nicht, wie sie es übersehen können … Deine Intelligenz, deine Empathie, deine Stärke, deine Neugier, dein großes Herz, deine Bescheidenheit, dein Wille, immer alles zu geben. Das sind tolle Eigenschaften und mit dem richtigen Ausbilder oder Professor kannst du alles erreichen. Lass dir das von einem sagen, der früher in der Schule geschwänzt hat, der Hausaufgaben als ein Übel betrachtet hat, dass einen nicht kümmern musste.“ Überrascht musterte er den Anwalt. „Was denn? Du? Ein schlechter Schüler?“ Das konnte er sich gar nicht vorstellen! Ein leicht verschmitztes Grinsen umspielte Yuutos Lippen, als er nickte und an die Decke schaute, während er für einen augenblick in Erinnerungen zu schwelgen schien. „Es war das Schulpraktikum im vorletzten Jahr, dass meine Meinung geändert hat. Damals war ich bei Casio in der Uhrenabteilung und hatte einen Ausbilder, der sich auch um die Praktikanten kümmerte. Er hat sich zwei Tage lang angesehen, wie ich lustlos da rumhing du notgedrungen meinen Aufgaben nachging, weil ich darauf gar keine Lust hatte. Ich wollte damals nur Bilder malen. Wo auch immer ich war, ich hatte immer einen Skizzenblock dabei. Am dritten Tag setzte sich der Ausbilder zu mir an den Tisch, als Mittagszeit war und deutete auf den Block, den ich neben mir liegen hatte. Er sah sich die Bilder an und war ganz begeistert davon. Wir haben die ganze Zeit darüber gesprochen und ich war so happy, weil sich jemand dafür interessierte. Das war das erste Mal! Den Rest des Tages habe ich fleißig gearbeitet und am nächsten Tag setzte er sich erneut zu mir und sagte zu mir: Yuuto, es ist wichtig, dass du dein Hobby pflegst. Freizeitbeschäftigungen sind wichtig für die Seele. Sie sind wie eine tägliche Auszeit, aus der du Kraft schöpfen kannst. Und vielleicht wirst du eines Tages damit auch Geld verdienen, wenn du das möchtest. Mir ist aufgefallen, dass du die Aufgaben gestern sehr pflichtbewusst beendet hast und die Dinge schnell begriffen hast. Ein Junge wie du sollte sein Leben nicht jetzt schon wegschmeißen. Egal, wogegen du rebellierst, verbau dir damit nicht dein Leben. Dafür ist es noch viel zu früh. … Ich habe es damals gar nicht richtig verstanden, aber dann zählte er mir auf, was ich nach der Schule noch alles tun könnte, wenn ich einen guten Abschluss hätte: Studieren, was immer ich will, verreisen, im Ausland arbeiten, die Welt kennenlernen, völlig neue Orte kennenlernen und dort Inspirationen für neue Zeichnungen sammeln. Er hat meine graue Welt kunterbunt ausgemalt und von dem Moment an habe ich fleißig gelernt, jede Hausaufgabe erledigt und meinen Abschluss mit 1,2 bestanden. Bei meinem Praktikum war ich damals auch drei Tage in der Rechtsabteilung und ich spürte sofort, dass mir das liegt und ich habe Jura studiert und mich direkt nach meinem Examen hier bei der Kaiba Corporation beworben und ich bin der erste, den Seto eingestellt hat, nachdem er die Firma übernommen hatte. Und so bin ich hier gelandet. Was ich sagen möchte, Joey: Mach deinen Abschluss mit aller Kraft und dir steht die gesamte Welt offen. Erobere sie dir und finde deinen Platz, wo auch immer er sein wird. Und so, wie ich am Rande mitbekommen habe, hast du auch viele tolle Freunde, die dich unterstützen werden. Das ist das wichtigste.“ Mit offenem Mund starrte er den Anwalt an, blinzelte zwei Mal und konnte nicht fassen, was er da hörte. Er soll tatsächlich ein schlechter Schüler gewesen sein? Das passte so überhaupt gar nicht zu dem Menschen, mit dem er seit ein paar Tagen zusammenarbeitete. Er war so gewissenhaft, freundlich und organisiert, doch offenbar hatte auch er seine Vorgeschichte. Es stand ihm nicht zu, nachzuhaken, wollte Yuuto nicht drängen, irgendetwas zu erzählen, was er gar nicht wollte. Immerhin wollte er auch nicht über seine Eltern ausgefragt werden. Schnell schloss der Blonden den Mund, als Yuuto ihn ansah und entgegnete: „Danke. Ich werde das beherzigen, versprochen.“ „Gut so. Dann zeigen wir jetzt im Meeting allen, dass du es draufhast, alles klar? Und denk dran: Ich bin immer hinter dir. Du kannst nicht fallen.“ Kapitel 23: Das zweite Meeting ------------------------------ Mittwoch, 07.09. Das Gespräch mit Yuuto hatte ihm neuen Mut gegeben. Der Anwalt glaubte so sehr an ihm, dass es für den Moment seine Zweifel zerstreute, die ihm seine Eltern eingebläut hatten. Gemeinsam mit seinen Freunden würde er alles schaffen können. Das durfte er nie wieder vergessen. Noch einmal warf er einen Blick in den Spiegel und sah sofort die Veränderung. Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen und seine Augen waren lebendiger. Fast nichts mehr erinnerte noch an seinen Zusammenbruch und darüber war er sehr froh. Beim Meeting musste er professionell wirken und konnte sich nicht erlauben, dass er wie ein Wrack erschien. Noch einmal straffte Joey seine Schultern, dann verließ er die Toilette als Erster und schritt durch den Gang entlang, bis er vor einer Glastür ankam. Dahinter konnte er bereits einige Männer entdecken, die in kleinen Grüppchen beisammenstanden und sich unterhielten. Also dann, auf geht‘s!, dachte er sich und betrat den Raum. Sofort waren alle Blicke auf ihn gerichtet, aber er ließ sich davon nicht irritieren. Als Chef war es klar, dass man ihn anschaute, wenn er hereinkam. Hinter sich hörte der Blonde Yuuto, der die Tür schloss und während er sich auf den Weg zu seinem Platz machte, bat er alle mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Sie leisteten der Geste folge und Joey nahm auf Kaibas Platz am Kopfende Platz. Er wartete einen kurzen Augenblick, bis sich auch sein Kumpel gesetzt hatte und eröffnete das Meeting. Es war organisiert worden, um die Strategie für das finale Weihnachtsgeschäft noch einmal abzustimmen. In den Akten hatte er Kommentare von Kaiba gefunden, was ihm nicht gefiel und würde diese als Aufhänger nutzen, um zu starten. Zunächst wollte Joey herausfinden, wie die Lage gerade war und ob die Bemerkungen berechtigt waren oder nicht. „Herr Kawasaki, wie ist die aktuelle Strategie?“, fragte er direkt und ein älterer Herr in einem akkurat sitzenden Anzug beugte sich leicht vor und musterte ihn unverhohlen einen Moment lang. Joey fühlte sich innerlich unwohl, achtete aber darauf, dass er nach außen hin unbeeindruckt wirkte. Vielleicht war Kaiba deswegen so kalt. Weil er verlernt hatte, seine Maske abzunehmen, dachte er still und musste zugeben, dass das ziemlich plausibel klang. „Als Verkaufsleiter sollten Sie über die Strategie informiert sein oder irre ich, Herr Kawasaki?“, hakte Joey nach, als nichts kam und die Stimmung schien zum Reißen gespannt zu sein. Dann räusperte er sich endlich und antwortete pikiert: „Selbstverständlich kenne ich die Verkaufsstrategie der Kaiba Corporation.“ „Sehr gut, das wollte ich hören. Dann klären Sie mich bitte auf.“ Mit einer einladenden Geste bat er ihn zu reden und Joey konnte ihm ansehen, wie zuwider es ihm war, doch dann begann er zu sprechen: „Die vereinbarte Strategie umfasst für die DuelDisk Probe-Exemplare in vielen Elektro- und Spielwarengeschäften, damit sie dort direkt vorgeführt werden können. Außerdem wird es im November ein kleines Turnier geben, wo sie von allen Duellanten benutzt werden soll. Eine Anfrage an Yugi Muto, ob dieser teilnehmen möchte, ist bisher leider unbeantwortet geblieben.“ Joey machte sich eine Notiz und nahm sich vor, bei ihm nachzufragen. „Ich werde mich um die Antwort kümmern. Weiteres?“ Da er noch schrieb, achtete er nicht auf die Teilnehmer, staunte aber, als eine andere Stimme weitersprach und sofort schaute er auf. „Desweiteren gibt es selbstverständlich eine große Marketingkampagne mit Werbespots, Plakaten, Fernseh-, Radio- und Social Media Werbung. Außerdem fahren Lastwagen durch die Straßen vieler Städte, die beklebt wurden. Unsere Verkäufer gehen explizit an kleinere Geschäfte und in die Kleinstädte, um dort neue Kunden zu werben, damit unsere Produkte überall zu erwerben sind. Die internationale Strategie ist nicht viel anders. Alle geben ihr Bestes, um unsere Produkte zu verkaufen.“ „Daran zweifle ich nicht. Dennoch ist die Frage, ob es vielleicht noch andere Ideen gibt. Seto hat sich vor dem Unfall besonders mit dem europäischen Markt beschäftigt. Er hat hier mehrere Notizen, wo es darum geht, noch weitere Möglichkeiten auszuschöpfen. Markenbotschafter hat er hier notiert. Wurde das bereits diskutiert?“ Der Blonde ließ den Blick schweifen und hörte das leise, genervte Schnauben von Herrn Kawasaki. Offenbar hatte er ein Problem mit ihm und er wollte wissen, was es war. Also wandte er sich direkt an ihn: „Möchten Sie die Frage nicht beantworten, Herr Kawasaki?“ „Selbstverständlich wurde bereits gemeinsam mit der Marketingabteilung über Botschafter gesprochen, aber das ist zeitaufwendig und kostspielig.“ „Das stimmt, aber sie können einen großen Mehrwert bringen, wenn sie das Produkt gern bewerben. Bedenken Sie die Möglichkeiten über Social Media, wenn wir einen Promi oder Influender mit mehreren Millionen Followern überzeugen könnten. Weitere Meinungen dazu?“ Er ließ den Blick schweifen, als sich ein klein wirkender Mann zu Wort meldete. Seine Brille saß etwas schief und er hatte nebenbei seinen Laptop aufgeklappt, doch da er einen aufmerksamen Eindruck machte, ließ Joey ihn das durchgehen. „Ich halte das ebenfalls für eine gute Idee. Die Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen, sind nicht zu unterschätzen – gerade, wenn man die weitere Zukunft in Betracht zieht. Prominente zu haben, die sich jahrelang mit dem Unternehmen identifizieren und so unsere Produkte bewerben, hätte einen unschätzbaren Wert, auch was das Image anginge. Ich habe diese Einschätzung auch Herrn Kaiba schon mitgeteilt.“ „Je schneller wir damit anfangen, einen zu finden, desto eher werden wir davon profitieren. Doch ich gebe zu bedenken, dass der oder die Kandidaten zu uns passen müssen. Sonst kann das auch schnell nach hinten losgehen“, wandte ein weiterer Angestellter ein und Joey nickte zustimmend. „Das ist richtig. Etwaige Influencer müssen sorgfältig ausgewählt werden. Sie müssen zum Unternehmen, zu unserem Image und zu den Produkten passen, sonst wird uns das böse auf die Füße fallen. Ich werde mich mit den Kollegen im EU Headquarter kurzschließen, was sie dazu sagen.“ „Dann haben Sie das jetzt also einfach so beschlossen?“, hakte Herr Kawasaki ungehalten nach und Joeys Augen verengten sich. Also gut, er wollte die Auseinandersetzung, dann sollte er sie bekommen. Nach dem Gespräch eben wusste er, dass Yuuto ihn aufhalten, wenn er hier falsche Entscheidungen traf und er hatte sich bisher nicht zu Wort gemeldet. „Ja, das habe ich. Stellt das ein Problem für Sie dar?“ „Ja, das tut es. So eine Entscheidung kann doch nicht so einfach über das Knie gebrochen werden. Sie sind nichts weiter als ein Aushängeschild und haben doch gar keine Ahnung von dieser Firma“, platzte dem Angestellten der Kragen und er zitterte sogar leicht vor Wut. „Ich schätze, dass Sie mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg halten und es stimmt, dass ich neu in dieser Firma bin. Doch das ändert nichts daran, dass Seto hier bereits Notizen zu diesem Thema hat.“ Joey hielt einen Zettel hoch, sodass die Teilnehmer sehen konnten, dass da handschrftliche Kommentare waren, „Außerdem nimmt Yuuto deswegen ebenfalls an all den Meetings teil. Er passt darauf auf, dass ich nichts gegen Seto entscheide, denn es ist und bleibt seine Firma. Das ändert aber nichts daran, dass ich möchte, dass diese Firma noch weiterwächst. Und solange Seto das nicht selbst übernehmen kann, werde ich dafür sorgen. Also entweder geben Sie mir jetzt stichhaltige Argumente, warum ich mich nicht an das EU HQ wenden sollte, oder Sie schweigen und lassen mich mit Yuuto meinen Job machen.“ Unnatürlich laut hörte Joey, wie Yuuto neben ihm mit dem Kugelschreiber etwas aufschrieb und es wirkte, als hätten die anderen die Luft angehalten, während Herr Kawasaki und er sich anschauten. Der Blickkontakt hielt eine gefühlte Ewigkeit, doch Joey würde nicht wegschauen. Dann würde man ihn nicht mehr ernstnehmen und das musste er um jeden Preis verhindern. Er war kein Versager! Und er würde auch mit Rebellen in den eigenen Reihen klarkommen. Es war schließlich nur für eine begrenzte Zeit, dann konnte sich Kaiba wieder mit ihnen herumärgern. Herr Kawasaki senkte den Kopf und augenblicklich durchströmte Erleichterung den Raum. Es war, als wäre der Sauerstoff plötzlich wieder da und alle atmeten durch. Er selbst war froh, dass er sich nicht hatte unterkriegen lassen und auch Yuuto nickte ihm sehr zufrieden zu. Sehr gut! Er war also auf dem richtigen Weg. Der Rest des Meetings ging schnell und unkompliziert über die Bühne. Herr Kawasaki hatte sich nicht weiter zu Wort gemeldet und nachdem alle Punkte abgearbeitet waren, verließen alle recht schnell den Besprechungsraum. Nur der Manager, der so groß wie Yugi war, war noch da und wandte sich an ihn. War das immer so, dass man nach dem Ende des Meetings noch angesprochen wurde? Sollte er sich daran gewöhnen? Zeit einplanen? „Mr. Wheeler?“ „Ja?“ „Mein Name ist Yamamura und ich würde gern auf Ihr Gesprächsangebot zurückkommen, dass Sie bei Ihrer Vorstellung erwähnt haben. Wäre das wohl möglich?“ „Ja natürlich. Sie haben Glück, dass das nächste Meeting erst in einer halben Stunde beginnt. Wollen wir direkt hierbleiben?“ „Ja gern.“ Yuuto verabschiedete sich und wollte ihn in seinem Büro abholen, weshalb Joey zustimmend nickte. Dann setzte er sich mit Herrn Yamamura noch einmal an den Tisch und er musterte den Mann noch einmal genauer. Er dürfte ca. Mitte 30 sein, sein Anzug hatte einige Falten und ein kleines Loch am unteren Ärmel, was man aber nur beim genauen Hinsehen entdeckte. Seine haare hingen ihm leicht in die Stirn, aber es wirkte noch seriös, doch mehr Sorge bereiteten ihm die Augenringe, die er hatte. Vorhin war er so beschäftigt gewesen, dass ihm das alles gar nicht aufgefallen war und Joey richtete das Wort an ihn: „Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Yamamura? Erzählen Sie mir, was Sie möchten, aber zwingen Sie sich bitte nicht. Selbstverständlich bleibt alles unter uns.“ Unruhig spielte sein Gegenüber mit den Fingern, nickte langsam und schien sich noch einen Moment lang sammeln zu müssen, als plötzlich sein Smartphone klingelte. „Verdammt, moment“, brummte Joey, holte es heraus und sah zum Glück Rolands Namen aufblinken. Schnell ging er ran und sagte: „Entschuldige Roland, aber ich habe jetzt keine Zeit. Ich melde mich später bei dir.“ „In Ordnung, ich erwarte deinen Rückruf.“ „Kriegst du, bis dann.“ Dann legte er schnell auf und stellte es auf lautlos. „Verzeihung, aber jetzt bin ich ganz da“, sagte er, aber Herr Yamamura winkte ab. „Sie sind der Boss und haben sicherlich viel zu tun. Bitte entschuldigen Sie meinen Egoismus.“ „Nein nein, es ist in Ordnung. Ich möchte, dass es den Mitarbeitern gut geht und wenn das bei Ihnen gerade nicht der Fall ist, versuche ich Ihnen gern zu helfen.“ Überrascht sah er zu ihm auf und Joey schenkte ihm ein leichtes Lächeln. Es schien seine Wirkung zu entfalten, denn Herr Yamamura räusperte sich und begann zu erzählen: „Ich weiß derzeit nicht, was ich tun soll. Meine Mutter ist schwer erkrankt und ich kann nichts mehr für sie tun. Der Krebs ist dafür schon zu fortgeschritten und jeden Tag besuche ich sie nach der Arbeit im Krankenhaus. Es hat sich seit ein paar Monaten angekündigt, aber nun kann jederzeit der Anruf kommen, dass sie gestorben ist. Das ist sehr belastend.“ „Das ist schrecklich“, murmelte Joey und war ehrlich getroffen, dass hören zu müssen. Sein Verhältnis zu seinen Eltern war seit so vielen Jahren zerrüttet, aber er stellte es sich schrecklich vor, wenn man einen geliebten Elternteil verlor. Das musste einem das Herz brechen und wie sollte es wieder zusammenwachsen? Der Tod war so endgültig. „Ja, das ist es. Aber da ist noch etwas anderes … Es weiß niemand, aber ich bin homosexuell. Ich hatte nie den Mut, mich zu outen und auch mein Partner, mit dem ich seit vier Jahren zusammen bin, ist da sehr vorsichtig. Doch seit ungefähr einem Jahr wird uns immer mehr bewusst, dass wir uns nicht mehr verstecken wollen. Und da Sie … Naja, da Sie ja …“, stammelte Herr Yamamura und senkte den Kopf, schaute peinlich berührt die Tischplatte an. „Sie können es ruhig aussprechen“, ermutigte ihn Joey und sein Gegenüber nahm all seinen Mut zusammen. „Naja, Sie sind ja mit Mr. Kaiba liiert. Und ich wollte fragen, ob … ob Sie sich vorher geoutet haben?“ Nun war es Joey, der schwieg. Die Wahrheit war, dass er bisher noch keine feste Beziehung hatte, aber bereits mit beiden Geschlechtern Sex hatte und ihm war auch klar, dass es ihm mit Männern mehr Spaß brachte. Aber da er noch nichts Ernstes hatte, war er auch noch nicht in die Verlegenheit gekommen, sich darüber klar zu werden, ob er sich outen wollte oder nicht. Doch nun musste eine Antwort her. „Ich habe das meinen Freunden gegenüber getan. Ich vertraue ihnen zu 100% und sie haben es sehr gut aufgenommen. Das Verhältnis zu meinen Eltern jedoch ist kein gutes und mein Vater auch vor ein paar Wochen verstorben, sodass er sowieso nichts davon weiß und meine Mutter ist ausgewandert und ich habe seit vielen Jahren nichts von ihr gehört. Insofern wird es durch das Fernsehen wohl wissen, aber da sie sich deswegen nicht gemeldet hat, scheint es sie wohl nicht weiter zu interessieren.“ Er wollte ihn nicht ganz anlügen, weshalb er sich für diesen Weg entschied und er wollte auch gar nicht den Blick sehen, den ihm Herr Yamamura gerade schenkte. Nein, um seinen altern Herrn war es nun wirklich nicht schade. „Mein Beileid“, murmelte er, doch Joey winkte ab und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wichtig ist, was Sie fühlen. Haben Sie das Bedürfnis, ihr Umfeld einzuweihen, auch wenn das vielleicht zur Folge hat, dass Sie Freunde oder vielleicht sogar Familie verlieren? Hält Ihre Beziehung das aus?“ „Mein Freund und ich wollen nächstes Jahr heiraten und ich glaube, dass wir stark genug dafür wären“, antwortete Herr Yamamura mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen und der Blonde grinste. „Na, wenn das keine tollen Neuigkeiten sind! Herzlichen Glückwunsch!“ „Vielen Dank. Und ich würde schon gern aufhören, mich zu verstecken. Es ist so anstrengend und kräftezehrend, sich ewig umzuschauen, damit man sicher ist, dass keiner einen sieht … Letztes Jahr haben wir gemeinsam Urlaub gemacht und konnten uns zusammen zeigen, weil uns niemand kannte und das war ein großartiges Gefühl! Einfach Arm in Arm oder Händchen haltend durch die Straßen zu schlendern, sich kurz ein Küsschen zu geben oder kuschelnd stehen zu bleiben, ohne dass man dumm angeschaut wird, war wirklich einmalig. Seitdem überlegen wir, was wir tun sollen.“ „Dabei ist das doch absolut klar, wenn ich Sie so höre“, meinte Joey lächelnd und irritiert wurde er angeschaut. „So wie Sie von den Möglichkeiten schwärmen, sollten Sie es tun. Aber! Und das ist denke ich sehr wichtig. Nutzen Sie in ihrem Umfeld die Gelegenheit, das Thema wertfrei anzusprechen und schauen Sie, wie Sie auf das Thema ganz allgemein reagieren. Wenn Sie dann das Gefühl haben, dass sie es wagen können, schnappen Sie sich ihren Verlobten und stellen Sie sich gemeinsam vor. Dan müssen Sie diese stressige Situation nicht allein meistern. Es ist immer gut, wenn man weiß, dass da jemand ist, der einem den Rücken freihält und auffängt, sollte doch etwas schief gehen.“ Herr Yamamura nickte langsam und sah ihn mit neuem Mut an. Dann nahm er seine beiden Hände und sagte: „Ich danke Ihnen vielmals, Mr. Wheeler! Das hilft mir sehr weiter. Wie nicht anders zu erwarten war, hat Mr. Kaiba eine hervorragende Partie mit Ihnen. Ich wünsche Ihnen, dass er schnell wieder gesund ist und Sie die weitere gemeinsame Zeit genießen können. Sie haben sich alles Glück verdient. Ich muss dann auch wieder an die Arbeit. Lassen Sie sich von Menschen wie Herrn Kawasaki bitte nicht unterkriegen, ja?“ „Keien Sorge, ich werde den Kopf oben halten.“ Herr Yamamura nickte ihm lächelnd zu, griff dann schnell seinen Laptop und verschwand aus dem Büro, um weiter seiner Arbeit nachzugehen. Seufzend lehnte er sich zurück und rieb sich den Nacken. Was für ein Tag … Hoffentlich hatte Herr Yamamura Glück mit seinem Umfeld. Das hatte er sich verdient. Kapitel 24: Klatschpresse ------------------------- Donnerstag, 08.09./Freitag 09.09. Nachdem dem aufregenden Mittwochmittag hatte sich der Nachmittag und Abend zum Glück entspannter gestaltet und er hatte sogar noch mit Mokuba gezockt, als er nach Hause gekommen war. Natürlich hatte er danach noch etwas weitergearbeitet, doch er hatte den Eindruck, dass er immer mehr allein tun konnte. Joey hatte mehr und mehr einen neuen Alltag und fand sich ganz gut in der Firma zurecht. Die Mitarbeiter schienen ihn bis auf wenige Ausnahmen zu akzeptieren und es machte ihm Spaß, mit ihnen zu arbeiten und neue Dinge zu kreieren. Langsam aber sicher verstand der Blondschopf, warum Kaiba die Firma so wichtig war. Und er war weit mehr Teamspieler, als er sich immer gab, denn sonst könnte er die Firma nicht so erfolgreich leiten. Dafür musste man mit anderen zusammenarbeiten und sich austauschen können, sonst kam man nicht weit. Mittlerweile war es Donnerstagabend, als sich Joey von Kei am Spielwarenladen von Yugis Großvater absetzen ließ. Er stieg aus und klingelte an der Tür. Nach ein paar Sekunden ging das Licht im Laden an und drinnen regte sich etwas. Beinahe hätte er die Nachricht von Yugi mit der Uhrzeit gar nicht gefunden, denn seit sein Name durch die Presse gewandert war, hatte er unfassbar viele Nachrichten bekommen. Seine Social Media Kanäle hatte er eingeschränkt, damit er nicht noch weiter zugespammt wurde, aber trotzdem wären es hunderte Benachrichtigungen, die da täglich über sein Display tickerten, hätte er sie nicht deaktiviert. Es war abartig, was da abging und er hielt sich zu seinem eigenen Schutz davon fern. Was er teilweise schon mitbekam, war anstrengend genug, da musste er sich das nicht auch noch extra antun. Sein bester Freund öffnete lächelnd die Tür und bat ihn herein. „Hey Yugi, alles klar bei dir?“, fragte Joey grinsend und zog sich direkt das Sakko aus. Da er in wichtigen Meetings gesessen hatte, hatte er heute auch die Schule über in einem Anzug gesessen, sehr zur Verwunderung der anderen Klassenkameraden, die einen weiteren Punkt gefunden hatten, um ihm auf die Nerven zu gehen. Auf die Weste hatte er allerdings verzichtet. Das wäre dann doch zu viel des Guten gewesen. „Ja, alles super. Und? Hattest du die Zeit, etwas für das Referat vorzubereiten? Wenn nicht, ist das natürlich kein Problem“, fragte er, während er in Richtung der Treppe latschte, um in den ersten Stock zu gehen. Dort war die Wohnung, die sich Yugi mit seinem Großvater teilte. Joey nickte knapp und dachte daran, wie er den gestrigen Abend damit verbracht hatte, Informationen über Oda Nobunaga zusammen zu suchen – dabei hatte er verdrängt, dass der Grabscher ebenfalls Oda geheißen hatte –, da er mit Yugi zusammen morgen ein Referat über ihn halten sollte. Irgendwann zwischen Mitternacht und ein Uhr hatte er das erledigt, nachdem sein Wecker ihn daran erinnert hatte, dass er genug gearbeitet hatte. Aus der Küche hörte er Geräusche und neugierig steckte Joey einen Kopf durch den Türspalt und begrüßte den älteren Mann, der gerade dabei war, das Abendessen vorzubereiten. „Hallo Joey. Wie geht es dir? Läuft es gut als Vertretung?“ „Alles gut. Es ist sehr anstrengend gerade, aber ich kriege das schon auf die Reihe“, erwiderte er mit einem Grinsen und der Opa nickte zustimmend. „Ja, da bin ich absolut sicher. Wenn das einer schaffen kann, dann du! Ich bringe euch gleich noch etwas zu essen.“ „Super Sache! Vielen Dank Herr Muto!“ Zielsicher marschierte er weiter in Yugis Zimmer, wo dieser bereits dabei war, seine Recherchen auf dem Bett auszubreiten. Joey setzte sich neben ihn auf das Bett und holte seine Unterlagen raus. Während sie nebenbei noch Sushi aßen, das der Großvater selbst zubereitet hatte, arbeiteten sie an ihrem Referat und überlegten, welche Informationen wichtig waren und in welcher Reihenfolge sie den Vortrag halten wollten. Als sie sich darüber einig waren, holte Joey seinen Firmenlaptop heraus und machte mit Yugi zusammen eine Power Point Präsentation. Da sie einen Projektor zur Verfügung hatten, würde das sicherlich Eindruck beim Lehrer schinden und genau das wollten sie ja erreichen. Dafür lohnte es sich definitiv, den Laptop zur Verfügung zu haben und Mokuba hatte ihm viel über Power Point und andere Programme beigebracht, da auch er in Meetings schon Präsentationen hatte halten müssen. Sie saßen mehrere Stunden daran und Joey streckte sich grinsend, aber müde, als sie fertig waren. „Wow, es ist schon nach Mitternacht. Willst du nicht hier übernachten, Joey?“, fragte Yugi und der Blonde stimmte sofort zu. Es gab ein kleines Gästezimmer, wo er bereits des Öfteren übernachtet hatte, wenn sein Alter durchgedreht war und er hatte für den Notfall sogar eine Ersatzschuluniform hier. Also sprach nichts dagegen und er schrieb Mokuba schnell eine SMS, damit dieser sich am Morgen nicht wunderte, wo er war. Der Blonde half seinem Kumpel dabei, dass Bett vorzubereiten, dann legte sich Joey hin und schlief bereits nach ein paar Minuten tief und fest. „Guten Morgen Herr Muto!“, grüßte Joey Yugis Opa und grinste leicht. Es war angenehm, nur mit Yugi und seinem Großvater zu frühstücken, wie er es früher öfters getan hatte. Kein Personal, keine riesige Villa, in der man sich verlaufen konnte und keine Paparazzi. Das war wirklich schön. Sie waren mitten beim Essen, als Joey das Meeting wieder einfiel. „Hey Yugi, du hast von der Kaiba Corp. eine Einladung für ein Turnier im November bekommen, oder?“ Überrascht nickte der Zwerg und begann zu lächeln. „Es wäre mir eine Ehre, dir damit zu helfen.“ „Danke Alter! Dann kann ich das nachher noch weitergeben.“ „Mach das. Aber mach dich darauf gefasst, dass du deinen Freund wieder trösten musst.“ Vergnügt grinste der Kurze. „Yugi!“ So frech kannte er seinen besten Freund gar nicht, doch er stimmte in Yugis Lachen ein. Wer hätte gedacht, dass sie darüber einmal Witze machen würden? Die Teller waren fast leer und der Stachelkopf scrollte wahrscheinlich gerade durch irgendwelche Nachrichten, als ihm plötzlich die Gesichtszüge entgleisten. „Yugi, was ist los?“, fragte Großvater, bevor er es selbst tun konnte und schweigend drehte der Knirps das Handy um, sodass sie auf dem Display lesen konnten: Geht Mr. Wheeler Seto Kaiba fremd??? Verräterische Fotos aufgetaucht! Mehr in unserer Promirubrik. Geschockt starrte Joey das Display an und das Foto, das darunter zu sehen war. Es war durch Yugis Dachfester aufgenommen worden und aus dem Winkel sah es aus, als würden sie sich auf dem Bett küssen, statt an dem Referat zu arbeiten. Joey spürte förmlich, wie jegliche Gesichtsfarbe aus seinem Gesicht wich und im nächsten Augenblick klingelte sein Privathandy und vor Schreck sprang er auf. Hatten diese widerlichen Paparazzi jetzt auch schon seine Handynummer rausbekommen? Noch immer sagte niemand ein Wort, während Joey das Handy aus seiner Hosentasche angelte und Mokuba auf dem Display sah. Er nahm das Gespräch entgegen, sagte aber nichts. „Joey? Ist alles in Ordnung bei dir? Hast du schon Nachrichten gesehen oder gelesen?“ „Ja, allerdings habe ich das! Was fällt diesen Affen eigentlich ein, auch noch Yugi da mit reinzuziehen? Wir haben an einem Referat für die Schule gearbeitet!“, regte er sich plötzlich auf und seine Gefühle brachen aus ihm heraus, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Diese Frechheit, einfach irgendwelche Lügen zu verbreiten, war so schamlos, so widerlich! Was hatten die denn davon, wenn sie diese Lügen veröffentlichten? Gab es nicht wichtigere Themen, über die sie berichten konnten? So auf Anhieb fiel ihm da einiges ein: Klimawandel, Rechtsradikale, Globalisierung, Handel. Die Themenpalette war endlos und stattdessen verbreiteten sie Lügen über Yugi und ihn! „Paparazzi suchen immer nach der neuesten Sensation. Wir werden dazu schweigen. Darauf einzugehen, würde ihnen nur noch mehr Futter geben. Wenn sich das weiter festsetzen sollte, können wir immer noch dagegen vorgehen. Also ruhig Blut und lass sie schreiben, was immer sie wollen. Du kennst die Wahrheit und das ist das wichtigste“, versuchte Mokuba ihn zu beruhigen, doch Joey sah das ganz anders und dachte gar nicht daran, dass auf sich beruhen zu lassen. „Mir ist das egal, was die über mich schreiben. Aber die ziehen auch Yugi und seinen Großvater damit rein! Die werden die Zwei doch genauso belagern und das will ich nicht! Können wir da gar nichts tun???“ Mokuba dachte einen Moment nach und der Blonde schnaubte genervt, als Yugi sich in das Gespräch einmischte. „Alles gut, mach dir keinen Kopf drum. Wir kriegen das schon geregelt.“ „Sollten Reporter oder Paparazzi den Beiden zu nahekommen, sollen sie sich melden und wir schicken ihnen einen Sicherheitsdienst vorbei, okay?“ „Ja, in Ordnung“, brummte Joey und verabschiedete sich von Mokuba und legte auf. „Wenn die zu aufdringlich werden sollten, sagt Bescheid. Dann schicken wir euch einen Sicherheitsdienst“, richtete Joey aus und die anderen beiden nickten, versuchten ihn aber zu beruhigen, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Leider teilte er ihre Ansicht nicht, doch er ließ es erst einmal auf sich beruhen. Als ob er seinen Partner betrügen würde, während dieser im Krankenhaus lag. Wie eiskalt musste man bitteschön sein, um so etwas zu tun? Das traute er ja nicht einmal Kaiba zu, sollte dieser irgendwann mal jemanden finden, der es mit ihm aushielt. Oder sie. Er hatte keine Ahnung, ob Kaiba hetero- oder homosexuell war und mit einem Mal wurde ihm ganz kalt. Wenn er nun auf Frauen stand, würde das sicherlich spannend werden, wenn sie sich als Pärchen ausgeben mussten. Bei ihm lag das Problem mehr bei Kaiba als bei seinem Geschlecht. Himmel, das würde die reinste Katastrophe werden. Und dann auch noch diese Gerüchte jetzt … Seufzend ließ Joey den Kopf auf die Tischplatte knallen und Yugi klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. „Na komm, wir müssen langsam los“, meinte er mitfühlend und stand auf. Joey nickte ergeben und stand ebenfalls auf, bedankte sich bei Herrn Muto für das Frühstück und entschuldigte sich vorsorglich für die Unannehmlichkeiten. Dieser winkte nur ab und die Zwei verließen das Haus, als Kei mit der Limousine angebraust kam und neben ihnen hielt. Joey ging zielstrebig zum Wagen, doch Yugi ging geradeaus weiter und verabschiedete sich von ihm. Der Blonde verstand den Wink, nickte ihm zu und stieg dann ein. Seufzend nahm er Platz und Kei brachte ihn zur Schule. Es war schon irritierend, dass vor der Tür keine Reporter gewesen waren. An die würde er sich nie gewöhnen können. Und ehrlich gesagt wollte er das auch gar nicht. Schnell prüfte er seinen Emaileingang und entdeckte den Personalfragebogen, den Yuna ihm schicken sollte. Pflichtbewusst hatte sie das bereits gestern Abend getan und mit einem Lächeln prüfte er ihn kurz, ehe er ihn freigab und sie bat, diesen mit der Bitte, ihn innerhalb von zwei Wochen auszufüllen und zurückzuschicken, online zu stellen und eine Rundmail an alle Mitarbeiter zu senden. In der Schule begrüßte er Tea und Tristan, Yugi war verständlicherweise noch nicht da. „Na, die Presse hat dich ja anscheinend richtig auf dem Kieker, was?“, hakte der Brünette nach und Joey seufzte. „Die sollen mir bloß niemals unter die Augen treten. Dann lernen die mich aber kennen“, brummte der Blondschopf genervt und grüßte auch Duke und Bakura, als sie reinkamen. Das Getuschel der anderen hatte er gelernt zu überhören und als Yugi auch da war, unterhielten sie sich noch, bis es zum Unterricht klingelte. Auf seinem Platz angekommen, erstarrte er, als mit Edding verschiedene Beleidigungen auf den Tisch geschrieben worden waren. Schwanzlutscher, Stricher, Kaibas Stricher, Hure, Schwuchtel, geldgeile Schlampe konnte er da lesen und ihm gefror das Blut in den Adern. „Nicht nur Kaibas Stricher, sondern auch noch Yugis Stecher? Du lässt ja nichts anbrennen, was Schwanzlutscher?“, wollte einer amüsiert wissen und etwas in ihm setzte in dem Augenblick aus. Als hätte man vor seinen Augen ein rotes Tuch gehängt, stürmte er auf seinen Klassenkameraden zu und wollte ihn schlagen, doch Tristan und Duke schafften es gerade noch, ihn festzuhalten. „Lass es, Kumpel. Das bringt dir viel zu viel Ärger! Denk dran, dass du Firmenboss bist!“, zischte Duke in sein Ohr, aber all der Ärger über die Paparazzi und die Beleidigungen seiner Klassenkameraden wollten sich jetzt entladen. Er musste das rauslassen, sonst … sonst … „Herrn Wheeler geht es nicht gut. Wir bringen ihn kurz raus und kommen gleich wieder, ja?“, hörte er Tristan sagen und Herr Shirokawa, der in der Zwinschenzeit angekommen sein musste, stimmte besorgt zu, dann brachten ihn seine beiden Kumpels nach draußen, wo er sich eine Runde aufregen konnte. Diese ganzen Beleidigungen regten ihn so auf! Konnte es ihnen nicht scheißegal sein, wen er liebte? Ob Mann oder Frau? Ging sie das irgendetwas an? Mit welchem Recht wollten sie sich in sein Privatleben einmischen!? Verdammte Scheiße, das kotzte ihn alles so an! Wütend prügelte er auf einen Baum ein, der zwar nicht dafür konnte, aber irgendwie musste er die angestauten Emotionen loswerden, sonst würde er sich das nächste Mal nicht aufhalten lassen. Seine Kumpels standen ruhig daneben und ließen ihm seine Zeit, sich abzureagieren, bis die Erschöpfung alles andere verdrängte. Befreit atmete Joey tief durch und richtete sich seine Schuluniform. In den nächsten Tagen sollte er mehr Sport treiben, schoss es ihm durch den Kopf und sah seine Freunde an. „Danke Jungs, das tat gut. Gehen wir wieder rein“, murmelte er und die Zwei nickten ihm zu. Seine Hände schmerzten, bluteten teilweise, aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil hatte der Schmerz gerade eine ungewohnt beruhigende Wirkung auf ihn. Und er wusste, was das zu bedeuten hatte, verdrängte es aber. Er wollte nur wieder rein und weiter am Unterricht teilnehmen. Sein Abschluss hatte absolute Priorität. Kapitel 25: Galaempfang ----------------------- Samstag, 10.09. Nun war es Samstag und der Empfang, von dem Yuuto ihm vor dem Geschäftsessen erzählt hatte, stand auf dem Plan. Mokuba hatte gleich klar gemacht, dass er sich im Wohnzimmer einschließen und zocken würde, was er dem Kurzen nicht übelnahm. Also würde er sich da heute allein durchschlagen müssen, denn Yuuto hatte sich heute überraschend krankgemeldet und Roland hatte einen Tag frei genommen, weil er etwas mit Freunden unternehmen wollte. Schwer seufzend entschied er sich für einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd, hellblauer Krawatte und Einstecktuch und seinen schwarzen Lederhalbschuhen. Auch dieser Anzug war ein Dreiteiler und er entschied sich erneut für die Manschettenknöpfe mit den Initialen der Kaiba Corp.: KC. Yukiko und Yuuto hatten ihm eine Liste mit den voraussichtlichen Gästen erstellt, die er gestern Abend schon studiert hatte. Ihm war klar, dass er sich da nicht blamieren durfte und auch nicht zu viel preisgeben, das würde sonst sicherlich auf die Firma, Kaiba und ihn zurückfallen. Außerdem war es das erste Mal, dass er sich mit der Presse bewusst herumärgern musste. Nach dem Vorfall am Donnerstag hatten sie weiter Unsinn geschrieben und auch seine Freunde gestern alle belästigt, das hatten sie ihm in der Freundes WhatsApp Gruppe bestätigt. Sie hatten sich an die Abmachung gehalten und berichtet, dass sie von der Beziehung mit Seto seit zwei Jahren wussten, doch die Zwei das nicht öffentlichen machen wollten und deswegen sonst niemand die Wahrheit gekannt hatte. Nicht einmal die anderen Klassenkameraden. Auch hatte Yugi den Kuss dementiert und die Freunde bestätigt, dass es für Joey nur einen gab und der hieß nun mal Seto Kaiba. Es war seltsam, das in der Zeitung zu lesen. Sowohl, dass seine Freunde, die nicht vorhandene Beziehung bestätigt hatten, als auch, dass Joey verliebt wie am ersten Tag wäre und er Seto niemals fremdgehen würde. Heute Abend aber musste er über einen roten Teppich gehen, sich ablichten lassen und mit diesem Pack von Reportern reden. Ob er wollte oder nicht spielte dabei leider keine Rolle, aber auch das würde er schon irgendwie hinkriegen. Yukiko, Yuuto und Yuna hatten das mit ihm geübt, damit er sich nicht zum letzten Deppen machte und er hoffte, dass das ausreichend war. Schnell schaute er sich noch einmal im Spiegel an, nickte zufrieden und trat den Weg ins Foyer an, als ihm seine Schwester in den Sinn kam. Also ging er noch kurz zurück, machte ein Selfie vor dem Spiegel und schickte eine Email an seine Schwester. Jetzt war er aber wirklich fertig, ging runter und lief Mokuba über den Weg, der sich gerade mit einer Chipstüte und einer Cola Flasche ins Wohnzimmer einquartieren wollte. „Hey Kurzer, bis später, ja?“ „Oh hey Joey, schick siehst du aus! Viel Spaß und lass dich nicht ärgern, ja?“, meinte er grinsend und der Blonde wollte ihn erst tadeln, aber da er ja nicht sein großer Bruder war, ließ er es bleiben, sondern schüttelte nur grinsend den Kopf. „Du kennst mich, würde ich nie machen“, erwiderte er grinsend und strubbelte ihm kurz die Haare. „Deswegen sage ich das ja, gerade weil ich dich kenne.“ Glucksend verschwand Mokuba im Wohnzimmer und ließ ihn allein im Foyer stehen. Kurz schaute er dem frechen Bengel hinterher, dann schüttelte er grinsend den Kopf und marschierte in die Tiefgarage, wo der Chauffeur bereits die Limousine vorgefahren hatte. Joey seufzte innerlich kurz, dann stieg er ein und ergab sich seinem Schicksal, zu dieser Veranstaltung zu müssen. Die Fahrt dauerte 40 Minuten, dann kam er am roten Teppich an und musste einfach nur funktionieren. Kein verbales Ausrasten, keine Prügeleien auf die Reporter. Das würde alles ruinieren, wofür er sich derzeit so viel Mühe gab. Er durfte Mokuba nicht enttäuschen. Also atmete er noch einmal tief durch, dachte an den kleinen Kaiba, seine Schwester und seine Freunde und lächelte leicht. Durch das Fenster sah er bereits die vielen Reporter, die darauf warteten, dass er ausstieg und sich ihnen stellte und er würde ihnen jetzt mal zeigen, wie das ging. Ein Angestellter der Veranstaltung öffnete seine Tür und er setzte ein leicht arrogantes Lächeln auf, als er ausstieg. Sofort blitzte es um ihn herum und er blinzelte kurz, damit er wenigstens noch erahnen konnte, wo er hingehen musste. Etwas weiter vorn war auf dem Boden ein kleines Kreuz mit Klebeband geklebt worden und Yukiko hatte ihm erklärt, dass er sich dort hinstellen sollte. Auf dem Weg dorthin öffnete er sein Sakko, weil es ziemlich warm war, stellte sich auf dieses Kreuz, packte die Hände entspannt in die Hosentaschen und lächelte selbstbewusst. Die Kameras klickten in einer Tour und weiter rechts hörte er die Reporter nach sich rufen. Nach ein paar Sekunden drehte er sich in die Richtung und schritt weiter. Dieses Mal musste er sich wenigstens kurz mit ihnen unterhalten, um sich nicht den Hass von Dominos Presse auf sich zu ziehen, auch wenn sie das bei ihm schon geschafft hatten. „Mr. Wheeler! Mr. Wheeler! Wie ist es, die größte Firma Dominos vertretungsweise zu leiten?“, wollte einer wissen und Joey näherte sich der Absperrung, um auf die Frage zu antworten. Er war noch nicht ganz angekommen, da hatte er schon ein Mikro unter der Nase und eine Fernsehkamera im Gesicht. Er riss sich zusammen, die Menge nicht anzumeckern, sondern lächelte brav weiter und antwortete der Reporterin: „Es ist eine sehr große Ehre, diese Firma leiten zu dürfen, wenn auch sehr, sehr anstrengend. Wenn nur die Umstände nicht so traurige wären.“ „Wie geht es denn Seto Kaiba?“ „Es tut mir leid, aber dazu kann ich leider keine Angaben machen.“ „Und was haben Sie zu den Gerüchten über-“, begann die Reporterin, hielt aber inne, als sich jemand einmischte. „Hallo Joey. Na, plauderst du ein wenig aus dem Nähkästchen?“, fragte eine Stimme und Hiro stellte sich grinsend neben ihn. Er legte ihm einen Arm um die Schultern und Joey erwiderte: „Hiro! Ich dachte, du erzählst uns jetzt ein paar Geschichten aus deinem Leben.“ „Nein, nein, da gibt es nichts Aufregendes. Aber nun komm, lass uns weiter.“ Joey nickte ihm dankbar zu, verabschiedete sich von der Reporterin und schlenderte nun mit Hiro weiter den Teppich entlang, der aber wenigstens den Arm wieder weggenommen hatte. Wie Joey von Yuuto wusste, gab Hiro gern damit an, viele Leute zu kennen und ihnen auch gern mal den Arm kurz umzulegen, insofern war das normal und harmlos, auch wenn die Presse da sicherlich wieder etwas draus drehen würde, aber verdammt, sollten sie doch! Auf dem Weg zum Eingang hielt Joey noch einmal an, um guten Willen zu zeigen. Er sagte Hiro Bescheid, dass er nachkommen würde, doch dieser stellte sich neben ihn und antwortete einem anderen Journalisten. Joey grinste kurz, hatte wieder Mikro und Kamera vor sich und dieses Mal einen Journalisten, der sich an ihn wandte: „Warum haben Seto Kaiba und Sie ihre Beziehung so lange geheim gehalten?“ „Sie reden nicht um den heißen Brei herum, das gefällt mir. Sowohl Seto als auch ich wissen unsere Privatsphäre zu schätzen. Doch durch den Unfall wurde alles durcheinandergewirbelt und ich konnte seinen Wunsch, ihn zu vertreten, selbstverständlich nicht abschlagen und deswegen stehe ich hier heute vor Ihnen.“ „Wir hoffen natürlich, dass Mr. Kaiba schnell wieder auf den Beinen ist, aber es wird gemunkelt, dass Sie ein ebenso guter Boss sein sollen. Könnten Sie sich vorstellen, in die Firma einzusteigen?“ „Das ist keine Frage, die ich hier mit Ihnen diskutieren werde. Erst einmal ist das wichtigste, dass mein Freund wieder gesund wird. Das hat die oberste Priorität. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Nickend und mit einem Lächeln schritt Joey durch den Eingang in den Saal, ohne eine Reaktion des Journalisten abzuwarten. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass diese kurzen Interviews wahrscheinlich im Fernsehen zu sehen sein würden und ihm wurde heiß und kalt gleichzeitig. Vor zweieinhalb Wochen war er noch ein ganz normaler Teenager gewesen und jetzt wurden Interviews mit ihm im Fernsehen gezeigt! Verrückt war das! Immerhin hatte er keine Frage zu seiner angeblichen Affäre beantworten müssen. Keine Ahnung, wie souverän er da reagiert hätte. Joey ließ den Blick durch den Saal schweifen und entdeckte an den Stehtischen allerlei prominente Gesichter. Schauspieler, Moderatoren, Sportler, Autoren, Maler, Regisseure, Produzenten, Geschäftsleute. Es kostete ihn viel Kraft, seinen inneren Fanboy im Zaun zu halten und nicht sofort loszustürmen und sich von einigen ein Autogramm zu organisieren. Dabei gab es hier einige, mit denen er gern quatschen wollte und natürlich Fotos machen! Damit er sich später noch daran erinnern konnte. Vor seinem inneren Auge erschien die Gestalt von Yuuto, der mit erhobenem Zeigefinger dastand und sagte: „Das Zauberwort lautet: Professionalität.“ Da der innere Yuuto nicht so schnell verschwand, seufzte Joey kurz und konzentrierte sich. Er hatte ja recht. Deswegen war er nicht hier. Er sollte die Kaiba Corporation repräsentieren und sich nett unterhalten. Das war alles. Wenn es sich ergab, konnte er ja immer noch fragen. Eine Kellnerin trat von der Seite an ihn heran und fragte: „Darf ich Ihnen etwas zu trinken reichen?“ „Ja, sehr gern, aber bitte alkoholfrei.“ „Wasser oder Orangensaft?“ Joey wählte das Wasser und hielt nun ein Champagnerglas damit gefüllt in der Hand. Er schlenderte zwischen den Stehtischen herum und schaute sich interessiert um, bis ein älterer Herr zielstrebig auf ihn zuging. „Ah, da ist ja unser Star des Abends!“, begrüßte ihn der leicht dickliche Mann und breitete die Arme aus. Irritiert blieb Joey reflexartig stehen und hoffte, dass sein Lächeln noch immer freundlich wirkte und nicht so verwirrt, wie er sich gerade fühlte. Der Mann umarmte ihn kurz, aber herzlich und Joey stand stocksteif da. Auf so etwas war er nicht vorbereitet gewesen. Er war davon ausgegangen, dass sie sich hier passiver verhielten, doch wie es schien, hatte er sich da gründlich getäuscht. „Ach, Sie kennen mich ja wahrscheinlich noch gar nicht. Mein Name ist Takeshi Kido und ich habe diese jährliche Veranstaltung vor vielen Jahren ins Leben gerufen. Da ich seit Langem ein gutes Verhältnis zur Familie Kaiba pflege, kenne ich auch Seto bereits seit Jahren. Es freut mich, seinen Partner endlich kennenlernen zu dürfen. Ich hatte ja schon etwas Sorge, dass er Zeit seines Lebens ohne Partner oder Partnerin sein würde.“ Einen Moment lang überlegte Joey, dann fiel es ihm wieder ein. Kido war ein gewiefter Geschäftsmann, der Modekleidung produzierte und über ein weltweites Filialnetzwerk selbst vertrieb. Die Kaiba Corp. hatte – laut Rolands Aussage – vor einigen Jahren mal mit ihm zusammengearbeitet, aber das war noch zu Gozaburos Zeiten gewesen. Sei es drum. Er würde das Spiel mitspielen, schließlich wollte er nur die Firma repräsentieren und keinen Streit vom Zaun brechen. Auch wenn es ihm schon schwerfiel. Immerhin schien der Mann mit Gozaburo damals an Soldatenkleidung gearbeitet zu haben. Und alles was mit Krieg zu tun hatte, war Joey einfach zuwider. „Es freut mich ebenfalls, Mr. Kido. Ich fühle mich geehrt, als Vertretung hier sein zu dürfen.“ „Na selbstverständlich! Wie geht es denn dem jungen Herrn Kaiba?“ „Er ist leider noch nicht aufgewacht, doch die Ärzte sind optimistisch“, entgegnete Joey und ließ das Lächeln verschwinden. Er schaute betroffen sein Glas an, um einen traurigen Eindruck zu vermitteln. Es war ja nicht so, dass ihm die Sache mit Kaiba völlig am Allerwertesten vorbei ging und er war der Meinung, dass selbst er das nicht verdient hatte. Arsch hin oder her. Aber es ging ihm halt auch längst nicht so nah, wie er hier vorgab. Dafür hatte ihm der Kerl vorher schon zu viele Nerven gekostet. Dennoch überraschte es ihn noch immer, dass er anscheinend so ein guter Schauspieler war. Mr. Kido klopfte ihm aufmunternd auf den oberen Rücken und sprach ihm Mut zu, als ihn ein bekannter Schauspieler ansprach. Nachdem sich der Veranstalter bei ihm entschuldigt hatte, atmete Joey erleichtert auf und schlenderte weiter durch den Saal. Wahrscheinlich fehlten jetzt noch um die 200 solcher Gespräche, dann hatte er es geschafft. Ein Blick zurück zum Eingang verriet ihm, dass alle Gäste mittlerweile eingetroffen waren, denn die Türen waren verschlossen worden, damit wahrscheinlich keine aufdringlichen Reporter hereinkommen konnten. Also dann, wie schlimm konnten ein paar Stunden schon werden? Es war eine dämliche Frage, wie sich herausstellte, denn sein Lächeln schien in sein Gesicht fest getackert worden zu sein. Mit viel Wasser schaffte er es irgendwie, dass sein Mund nicht austrocknete trotz der endlos vielen Small Talk Gesprächen, denen er ausgeliefert war. Es war ihm ein Rätsel, wie er das geschafft hatte zu überleben. Immerhin hatte er ein paar Selfies mit Promis und auch ein paar Autogramme ergattert, ohne unprofessionell zu wirken und auch ein paar Visitenkarten ausgetauscht. Je später es wurde, desto mehr suchte Joey Abstand zu den Anwesenden. Er fühlte sich eingeengt und unwohl. Kamen die Wände nicht auch langsam näher? Okay, er musste hier weg. Es gab einen kleinen Garten, wie er vor einiger Zeit gesehen hatte und genau dorthin verschwand er jetzt auch. Da es recht kühl an dem Abend war, waren nicht allzu viele Leute dort und er konnte ein wenig durchatmen und sich sammeln. Langsam entspannte er sich wieder und war froh, dass er anscheinend doch keine Panikattacke bekam. Solche Menschenansammlungen waren einfach nicht seins. Allein, ohne Ablenkung, erst recht nicht. Erschrocken zuckte er zusammen, als plötzlich sein Privathandy klingelte. Irritiert holte er es heraus und Mokuba blinkte auf dem Display. Was wohl los war, dass er ihn hier anrief? War ihm etwas passiert zu Hause? „Mokuba, was gibt es? Alles in Ordnung?“ „Komm sofort ins Krankenhaus! Seto ist wach geworden! Ich bin schon da!“ „Das freut mich wirklich sehr, Kurzer. Aber du willst doch nicht, dass er gleich einen Herzinfarkt bekommt, weil er mich sieht, oder?“, hakte Joey verunsichert nach und hoffte wirklich, dass er sich darum drücken konnte, doch Mokuba war felsenfest davon überzeugt, dass er kommen musste und er hatte leider ein unglaublich gutes Argument, dass er ihm auch gleich unter die Nase rieb: „Sag Mr. Kido, dass Seto wieder aufgewacht ist und du deswegen gehen musst. Das ist gute PR und zeigt, wie sehr du ihn doch liebst. Das Krankenhaus hat eine ausgezeichnete Security und kommt mit dem Ansturm schon klar.“ Seufzend stimmte Joey zu und legte auf. Er schrieb dem Chauffeur eine SMS, dass er ihn in zehn Minuten abholen sollte und blieb noch einen Moment draußen stehen und leerte das Wasserglas. Er stellte es auf einem der Tische ab, die auch draußen aufgestellt worden waren und schritt seufzend wieder in den Saal zurück, der nach vier Stunden noch immer komplett gefüllt zu sein schien. Einen Moment lang ließ er den Blick schweifen, dann marschierte er zielstrebig zu Mr. Kido, der sich gerade mit einer berühmten Schauspielerin unterhielt. „Entschuldigen Sie, Mr. Kido?“ „Ah, Mr. Wheeler. Was gibt es denn?“, fragte er und Joey merkte, dass er gerade störte, doch das machte seinen Abgang nur noch authentischer, oder? Joey lächelte leicht verlegen und sagte: „Ich habe gerade einen Anruf erhalten, dass Seto aufgewacht ist. Ich fühle mich sehr geehrt, ihr Gast zu sein, dennoch würde ich nun gern ins Krankenhaus und nach ihm sehen. Er ist bestimmt verwirrt, was los ist und ich möchte bei ihm sein.“ Sofort hellten sich die Gesichtszüge des Unternehmers auf und auch die Schauspielerin wirkte erleichtert. „Das sind ja hervorragende Nachrichten! Natürlich, gehen Sie nur! Richten Sie ihm bitte meine Genesungswünsche aus, ja?“ „Selbstverständlich. Das mache ich. Vielen Dank und ich freue mich, Sie bald wieder zu sehen“, verabschiedete sich Joey und schritt durch den Saal, lächelte die anderen glücklich an, auch wenn er vor Nervosität leicht zitterte, wie er feststellte, und bat den Security an der Tür, ihn herauszulassen, was dieser auch sofort tat. Die Journalisten waren Gott sei Dank größtenteils verschwunden, bis auf ein paar, aber die wurden von anderen Sicherheitsmännern ferngehalten, sodass sie ihn nicht belästigen konnten. Die Limousine stand bereits an der Straße und ein Angestellter öffnete die Tür, als er ankam und wünschte ihm einen schönen Heimweg. Joey bedankte sich höflich und kaum, dass er sich angeschnallt hatte, fuhr der Wagen los und er nannte ihm die Adresse des Krankenhauses. Kei sah einen kurzen Augenblick verwirrt in den Rückspiegel, doch er starrte aus dem Fenster, sah sich gerade nicht der Lage, etwas dazu zu sagen. Ihm wurde schlecht. Kaiba würde doch ausrasten, sobald er ihn sah. Immerhin hatten sie sich bisher immer angekeift und jetzt wurde er ihm als sein Stellvertreter und – schlimmer noch – als sein Partner vorgesetzt. Das konnte doch nicht gut gehen. Es gab in seinem Leben nur zwei oder drei Situationen, vor denen er gern weggerannt wäre und diese hier gehörte definitiv dazu. Doch er hatte Mokuba gesagt, dass er zu ihm gehen würde, also musste er das auch durchziehen. Außerdem … Was sollte schon passieren? Sie mochten sich eh nicht, also konnte ihm seine Reaktion vollkommen egal sein. Vielmehr konnte er dem Geldsack jetzt mal zeigen, wie er sich den anderen gegenüber immer benahm und was er damit anrichtete. Ja, das würde er tun. Und dann konnte ihm dieser reiche Pinkel in ein paar Wochen den Buckel herunterrutschen, während er selbst in seine neue kleine Wohnung zog und es sich gemütlich einrichtete. Kapitel 26: Krankenhausbesuch ----------------------------- Samstag 10.09./ Sonntag11.09. Die Schritte der Lederschuhe hallten auf dem polierten Linoleumboden, als er angespannt schweigend durch die Flure schritt. Krankenhäuser waren noch nie sein Fall gewesen. Zwar hatte er hier noch niemanden verloren, doch der Geruch nach Desinfektion und die hellen Wände erinnerten ihn immer daran, wie er von seinem besoffenen Vater so stark verprügelt worden war, dass er erst hier wieder aufgewacht war. Wenn sich die Nachbarn nicht wegen der Ruhestörung beschwert hätten … Wer wusste schon, ob er dann überhaupt noch hier wäre? Die Schwere der Gedanke ließen Joey seufzen. Der Teil seines Lebens war abgeschlossen, doch je mehr er darauf denkte, desto mehr hatte er das Gefühl, dass es sich in den Vordergrund drängen wollte. Dabei war sein alter Herr tot. Er konnte ihm nichts mehr tun. Da er ihn in der Wohnung in seiner eigenen Kotze gefunden hatte, wusste er, dass er tot war. Es gab keinerlei Zweifel daran und er war irgendwo zwischen Erleichterung, Schock, Fassungsloigkeit, Trauer und Wut gefangen gewesen. Früher hatte der Blonde immer gedacht, dass sich dieser Tag fest in sein Bewusstsein brennen würde, aber er konnte sich kaum daran erinnern, dabei war der Tod noch gar nicht so lange her. Es war, als würde sein Inneres ihn davor schützen wollen, zu viel darüber nachzudenken, weil er so viel anderes um die Ohren hatte, dass dieser Tag in seinen Erinnerungen kaum stattgefunden hatte. Gehörte das nicht auch zur Trauerverarbeitung? Gab es da nicht so ein Schritte Programm, wo auch verdrängen vorkam? In der Phase war er wohl gerade. Scheiße, was war das für ein Jahr? Erst der Tod, dann die Schuldeneintreiber, dann Kaibas Unfall und Mokubas Idee, dass er die Vertretung übernehmen sollte. Allein nur mit diesem Jahr konnte er ein ganz neues Buch schreiben! Und er hatte noch knapp vier Monate vor sich, in denen alles Mögliche passieren konnte. Wollte er überhaupt wissen, was noch kam? Sein Kopf schien jetzt schon zu platzen und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er vor dem Moment Angst, wo er allein in seiner Wohnung sein würde und er sich nicht mehr durch Arbeit oder Ähnliches ablenken konnte. Wenn sich all die Erinnerungen der letzten Wochen und Monate in sein Bewusstsein kämpften und er irgendwie lernen musste, damit zu leben, wie es war. Fahrig strich er sich mit einer Hand durch die Haare und atmete tief durch. Es würde überwältigend werden, da war er sich sicher – aber nicht jetzt. Er musste sich konzentrieren. Wenn er gleich auf den Drachen persönlich traf, durfte er sich seine Schwäche nicht anmerken lassen. Das wollte er Kaiba nicht gönnen. Das hier war sein Auftritt, um auch ihm zu zeigen, dass er sich in ihm irrte. Wie seine Eltern. Wie seine Lehrer. Wie viele Klassenkameraden. Er war mehr. Mehr als ein Versager. Er war ein Jemand. Und das würde er sich von niemandem nehmen lassen, egal ob tot oder lebendig, verletzt oder gesund. In dem Gang vor dem Zimmer begegnete er einem der Ärzte und obwohl es beinahe Mitternacht war, bekam er keinen Kommentar zu hören, dass die Besuchszeit längst vorbei war. Im Gegenteil, der Arzt kam auf ihn zu und begrüßte ihn freundlich lächelnd. „Ihr Freund wird bestimmt froh sein, dass sowohl sein Bruder als auch Sie hier sind. Da Mokuba mir erlaubt hat, Sie ebenfalls über alles zu informieren, möchte ich die Gelegenheit nutzen. Mr. Kaiba ist vor ungefähr zwei Stunden aufgewacht. Wir haben den Beatmungsschlauch entfernt und wie es derzeit aussieht, geht es ihm den Umständen gut. Morgen werden wir ihn noch weitergehend untersuchen, damit wir auch absolut sicher sein können. Bleiben Sie allerdings bitte nicht allzu lang, ja?“ „Keine Sorge, ich werde ihm nur kurz hallo sagen und dann mit Mokuba erst einmal wieder nach Hause fahren. Morgen werden wir ihn dann etwas länger sehen können?“, hakte Joey nach und hoffte, dass der Arzt nein sagen würde, doch das tat er leider nicht. „Natürlich. Morgen Nachmittag sollten die Untersuchungen abgeschlossen sein.“ „Vielen Dank für alles, Doktor. Bis morgen dann“, verabschiedete er sich und schlenderte zu Kaibas Zimmertür, während der Arzt in einem Gasng verschwand. Entschieden legte Joey seine Hand auf die Türklinke, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann klopfte er doch kurz an und betrat den Raum, ehe er es sich noch spontan anders überlegte. Mit den Händen in den Hosentaschen und betont entspannt trat er an das Bett heran, in dem Kaiba lag und der ihn böse anfunkelte. Mokuba saß am Fußende auf dem Bett und beobachtete das Schauspiel schweigend. „Na, auch endlich mal wach geworden? Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, Eisschrank“, stichelte Joey und stellte sich mit etwas Abstand an das Bett. „Wheeler. Werd nicht übermütig, sonst wirst du das noch bitter bereuen.“ „Das glaube ich kaum. Immerhin habe ich mich während deiner Abwesenheit um deine Firma gekümmert. Und glaub ja nicht, dass ich das deinetwegen getan hätte.“ „Als ob du eine Firma leiten könntest, du elendiger Köter“, knurrte Kaiba genervt und Joey reckte das Kinn etwas, als er ihm in die Augen schaute: „Du würdest dich wundern, was ich alles kann. Aber sei es drum. Du wirst dich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass wir ein paar Wochen das verliebte Paar spielen müssen, ehe wir uns trennen können und jeder wieder seinen Weg gehen kann. Also find dich damit ab, damit wir das möglichst einfach und schnell über die Bühne bringen können. Danach siehst du mich nie wieder.“ „Ist das ein Versprechen?“ Der unsichere – beinahe panische – Blick Mokubas ließ ihn innehalten, ehe er entgegnete: „Ja. Aber ich werde mich weiterhin mit Mokuba treffen, wenn er das möchte.“ Kaiba brummte etwas Unverständliches, doch er fragte nicht weiter nach. Joey drehte sich von ihm weg und schaute aus dem Fenster. Er wollte seine hasserfüllten Augen gerade nicht weitersehen müssen. Dieses Eisblau, das jeden einfrieren konnte. Ein wenig fürchtete er sich vor den nächsten Wochen, obwohl er auch gleichzeitig diese Wut in sich spürte, weil Kaiba sich wie immer wie ein Arsch benahm, obwohl er so nett gewesen war, zu helfen. Aber er wollte hier nicht ausrasten. Mokuba war sicher froh, dass sein Bruder endlich aufgewacht war und das wollte er dem Kleinen nicht versauen, also konzentrierte er sich auf die Aussicht, die sich vor ihm erstreckte. Sie waren im 9ten Stock und man hatte einen schönen Blick auf die Stadt, da das Krankenhaus auf einem Hügel errichtet worden war. Schon immer hatte der Blondschopf es gemocht, nachts unterwegs zu sein, weil alles dann seine ganz eigene Atmosphäre hatte. Ruhiger und geheimnisvoller. Vielleicht sollte er den Weg vom Krankenhaus in die Kaiba Villa zu Fuß gehen? Den Kopf etwas frei bekommen … „Als ob ich so tun würde, als wären wir ein Paar! Mokuba, was hast du dir dabei gedacht?“, giftete Kaiba und der Blonde sah in der Spiegelung des Fensters, wie er seinen kleinen Bruder böse anschaute, doch anders, als Joey erwartete hatte, ließ sich der Kleine davon nicht einschüchtern. „Es war die beste Lösung. Ich trau den anderen in deiner Firma nicht und ich war mir sicher, dass von unseren Freunden-“ „Der Kindergarten gehört nicht zu unseren Freunden!“ „… Joey diese Herausforderung am besten meistern könnte.“ Der Brünette seufzte schwer und wollte wieder ansetzen, als Joey keine Lust mehr darauf hatte. Der Brünette brauchte noch dringend Ruhe und dieses Gespräch würde jetzt zu nichts mehr führen. „Hör zu, Kaiba. Ich bringe dir morgen ein paar Unterlagen, die ich während deiner Abwesenheit bearbeitet habe, dann kannst du dir selbst ein Urteil bilden, wie gut oder schlecht das bisher gelaufen ist. Wir Zwei werden jetzt jedenfalls in die Villa zurückfahren. Mokuba muss ins Bett und ich bin nach dem Galaabend auch erschöpft. Und du brauchst sicherlich auch noch Ruhe nach dem Schock.“ „Du warst auf einem Galaabend?“, entfuhr es Kaiba entsetzt, sein Gesichtsausdruck war aber unverändert kalt. Man hörte es anhand seines Tonfalls, dass er ehrlich geschockt war. Joey machte die Manschettenknöpfe ab und legte sie auf Kaibas Nachtschränkchen, damit er das KC sehen konnte, was eingraviert worden war. Vielleicht verdeutlichte ihm das, das er als vollwertiger Stellvertreter in der Firma war. „Ja, war ich. Immerhin kann ich mich als Stellvertreter nicht vor diesen Events drücken, oder? Du kannst jedenfalls beruhigt sein. Der Ruf der Firma ist einwandfrei. Achja und gute Besserung von Mr. Kido, bevor ich es vergesse“, erwähnte Joey beiläufig und fummelte an seinem Hemd herum, weil es so nervige Falten warf. Seto verschluckte sich an seinem Wasser, welches er gerade trank und der Blonde seufzte. Hatte er gedacht, dass es anstrengend werden würde, eine Firma zu leiten, so würden die nächsten Wochen zu einer echten Belastungsprobe seiner Nerven werden. Und das nur, weil Kaiba sich nicht zusammenreißen konnte. Na großartig! „Er freut sich im Übrigen darauf, uns das nächste Mal gemeinsam zu treffen“, fügte der Blonde hinzu und konnte sich diese Spitze nicht verkneifen. Kaibas Blick war ihm diese kleine Lüge einfach wert. „Also bis morgen, Schatz“, sagte Joey und betonte das letzte Wort extra. Dann schritt er Richtung Tür und Mokuba verabschiedete sich von Seto und folgte ihm dann. Er wollte eigentlich zu Fuß gehen, um seine Gedanken zu ordnen, doch der Kurze hatte ihn überzeugt, dass das keine gute Idee war. Immerhin war er nicht mehr der unbekannte Teenager und so setzte sich der Blondschopf widerwillig in den Wagen und ließ sich mit einem glücklichen Schwarzhaarigen in die Villa gefahren. Kapitel 27: Horrornachrichten ----------------------------- Samstag, 10.09./Sonntag, 11.09. Es tat weh, den Beatmungsschlauch entfernt zu bekommen und Kaiba verzog das Gesicht vor Schmerzen, als er versuchte zu schlucken, doch er war unendlich froh, das Ding los zu sein. Neben zwei Schwestern, die im Raum waren, untersuchte ihn ein Arzt, der immerhin einen halbwegs kompetenten Eindruck machte. „Wissen Sie, wie Sie heißen?“, wollte der Arzt wissen und Seto rollte mit den Augen. Es waren die Standardfragen, um zu sehen, ob er einen Gedächtnisverlust hatte, aber er kam gegen diese Reaktion einfach nicht an. „Mein Name ist Seto Kaiba und ich bin am 25.10. geboren.“ „Sehr gut.“ Der Doktor prüfte noch die Maschinen und eine der Schwestern notierte alles, während die zweite den Arzt unterstützte. Nach ein paar Minuten schienen sie fertig zu sein und der Arzt erklärte ihm, dass es soweit gut aussah und sie morgen noch intensivere Tests machen würden. „Meinetwegen. Geben Sie mir mein Handy, ich muss Mokuba anrufen“, verlangte er in bester Bossmanier, ignorierte das Krächzen in seiner Stimme und die Schwester holte es aus dem Tresor im Schrank. „Wir haben den Tresor für Sie eingerichtet. Wenn Sie möchten, können Sie diesem gern ein neues Passwort geben“, erläuterte die Schwester und Kaiba nickte kurz. „Wissen Sie denn, was genau passiert ist?“, hakte der Arzt nach, ehe er Mokubas Nummer wählen konnte und Seto musste kurz überlegen. Er wollte zu einem Geschäftsessen und war allein gefahren, weil er danach vielleicht noch woanders hinwollte, als … Kaiba riss unbewusst die Augen auf. Er erinnerte sich daran, wie er zur Seite geschaut hatte, weil er ein Hupen gehört hatte und dann nur noch von Scheinwerfern geblendet worden war. Reflexartig hatte er beschleunigt, in der Hoffnung, noch vorbeizukommen, doch der LKW hatte ihn voll erwischt. Er war durch den Wagen geschleudert worden, nur der Gurt hatte wahrscheinlich schlimmeres verhindert und automatisch hatte er die Arme schützend um den Kopf gelegt. Dann war alles schwarz geworden. „Ja, ein LKW hat mich gerammt. Wie lange war ich bewusstlos?“ „Wir mussten Sie in ein künstliches Koma versetzen. Der Unfall ist 15 Tage her.“ Das reichte an Informationen. Er schickte sie alle Drei nach draußen und wartete, bis die Tür geschlossen war, ehe er Mokubas Handynummer wählte. Der Kleine hatte sich bestimmt schreckliche Sorgen gemacht und er wollte ihn beruhigen. Hoffentlich hatten sich Thomas und Roland so lange gut um ihn gekümmert. 15 Tage … Also war er zwei Wochen weg gewesen. Ob es in der Firma noch gut lief? Er hatte zwar einen Stellvertreter, aber das änderte nichts daran, dass er selbst zwei Wochen nicht dort war. Bis er das alles aufgearbeitet hatte … „Seto, bist du es???“, fragte eine ihm sehr bekannte Stimme und unwillkürlich musste Kaiba lächeln. „Ja, kleiner Bruder. Ich bin aufgewacht“, sagte er leise und erschrak, wie schwach seine Stimme klang. Das hörte sich so überhaupt nicht nach ihm an! „Gott sei Dank! Ich bin so froh, Seto! Ich mach mich sofort auf den Weg! Bis gleich, ja?“ Mokubas Stimme überschlug sich fast vor Freude und noch bevor der Brünette ihn davon abhalten konnte, hatte der Kleine schon aufgelegt und rannte wahrscheinlich gerade durch die Villa, um sich anzuziehen. Er sah es bildlich vor sich und lächelte. Auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, Mokuba würde erst morgen kommen, so freute er sich doch darauf, dass der Kleine zu ihm kam. Er döste noch etwas, bis es soweit war und lächelte glücklich, als die Tür aufging und der Kurze reingelaufen kam. „Seto!“, rief er froh und krabbelte stürmisch auf das Bett, achtete aber darauf, ihn nicht an den Verbänden zu berühren und umarmte ihn vorsichtig. Der Brünette genoss die Nähe zu ihm und legte die Arme um ihn, als der kleine Körper anfing zu zittern und er leise Weingeräusche hörte. Beruhigend streichelte er ihm über den Rücken und redete beruhigend auf ihn ein. Ein paar Minuten verweilten sie so, dann hatte sich der Kurze wieder beruhigt, wischte sich über die Augen und musterte ihn. „Ich bin so unendlich froh, großer Bruder!“ „Das bin ich auch, Mokuba. Haben sich Thomas und Roland gut um dich gekümmert?“ Mokubas Gesichtsausdruck veränderte sich etwas, als er das ansprach und aus einer Vorahnung heraus bekam Seto ein flaues Gefühl im Magen. Hatte einer der Beiden etwas angestellt, während er bewusstlos gewesen war? „Mokuba, was ist los? Hat sich einer von beiden inkorrekt dir gegenüber verhalten?“, wollte Seto wissen und seine Miene verdüsterte sich. Auch wenn beide schon sehr lange für die Familie Kaiba arbeiteten, hatte er kein Problem damit, ihnen fristlos zu kündigen, wenn sie sich nicht gut um seinen kleinen Bruder gekümmert hatten. Der Kleine druckste noch ein wenig herum und langsam wurde er ungeduldig. Was war denn in den zwei Wochen passiert, dass er sich so seltsam benahm? „Nein Seto. Sie haben sich gut um mich gekümmert. Aber sie waren nicht die einzigen.“ Misstrauisch hob er eine Augenbraue. Was sollte das denn jetzt heißen? „Hauptsächlich war es Joey, der mir in der Zeit zur Seite stand.“ „Der Köter!?“, entfuhr es ihm und Mokuba nickte. „Ja. Ich hatte ihn aus einem Impuls heraus an dem Abend des Unfalls angerufen und er hatte sich sofort auf den Weg gemacht. Und dann ist er so lange in der Villa geblieben, weil ich ihn darum gebeten hatte und war immer für mich da und … Naja … Es gibt da noch etwas Wichtiges …“ Noch mehr? Kaiba war sich nicht sicher, ob er das jetzt auch noch hören wollte, andererseits war es das Beste, er bekam jetzt einmal alles zu hören und danach konnte er es sacken lassen. „Seto, du weißt, dass ich deinen Stellvertreter nicht leiden kann und da habe ich mit Hilfe von Roland und Yuuto getrickst.“ „Mokuba!“, rief er ehrlich empört. Er hatte sich da doch gerade verhört, oder? Das konnte nicht sein Ernst sein! „Was denn? Ich musste doch verhindern, dass der Firma etwas passiert! Es wusste ja auch niemand, wie lang du bewusstlos sein würdest!“, rechtfertigte sich der Kleine trotzig und Seto seufzte. „Wen hast du ausgewählt und mit welcher Begründung?“, wollte der Brünette wissen und wusste wirklich nicht, ob er die Antwort hören wollte. Das endete doch alles in einer großen Katastrophe! Es war ja lieb von dem Kurzen, dass er so helfen wollte, aber er war elf Jahre alt. Yuuto und Roland allerdings … Denen würde er seine ehrliche Meinung bald um die Ohren hauen! „Ich habe mich für Joey entschieden, mit der Begründung, dass ihr seit fast zwei Jahren ein Paar seid“, erwiderte Moki noch immer trotzig und Kaiba blinzelte ihn einen Augenblick an. Wollte er ihn veräppeln? War das der Moment, wo er lachen sollte? Setos Augen verengten sich zu Schlitzen. Er konnte nichts an dem Kleinen finden, was auf einen Witz hindeutete. Das war noch viel irritierender, denn Mokuba wusste, dass Straßenköter unmöglich eine Firma leiten konnten. „Das … ist dein Ernst, oder?“, hakte Seto irritiert nach und fixierte den Kurzen, der selbstbewusst dasaß und nickte. „Ja und Joey hat sehr gute Arbeit geleistet. Aber du kannst ihn gleich selbst danach fragen. Ich hole ihn her!“ Der Schwarzhaarige sprang vom Bett und lief zur Tür. Seto rief noch krächzend seinen Namen, doch der Kleine ignorierte ihn. Das war doch alles unfassbar! Das konnte Mokuba doch unmöglich getan haben! Wheeler als sein Vertreter! An der Spitze der Kaiba Corporation! Sobald er aus dem Krankenhaus kam, sollte er sich einen Insolvenzverwalter suchen. Das durfte doch nicht wahr sein! Wenn er nicht so mit Medikamenten zugepumpt wäre und so schwach, würde er … er würde …! Mokuba kam wieder rein und blieb dieses Mal mit Abstand neben dem Bett stehen. „Seto, bitte glaub mir, dass ich wusste, was ich tat. Niemals würde ich die Firma gefährden.“ Kaiba spürte diesen Impuls, aufzustehen und Mokuba zu schütteln, was er sich nur gedacht hatte, doch er war zu schwach und das nicht nur körperlich, wie er sich gerade eingestehen musste. Diese ganzen Informationen schwebten wie ein Damoklesschwert über ihm und er brauchte Zeit, um das zu verarbeiten. Und er musste sich einen Plan überlegen, wie er seine Firma vor dem Untergang retten konnte. Außerdem könnte er seinem Bruder nie etwas antun. In all den Jahren war er der einzige, dem er vertraute und den er liebte. Und so beschissen die Situation zu sein schien, sie würden es gemeinsam schaffen. Wie sie es immer taten, auch wenn ihm noch immer schleierhaft war, wie er auf diese absurde, groteske Idee gekommen war, einem Straßenköter seine Firma als Vertretung zu überlassen. „Komm her, kleiner Bruder“, forderte Seto mit sanfter Stimme und klopfte neben sich auf das Bett. Der Kleine kletterte neben ihn und er umarmte ihn liebevoll. „Tut mir leid, dass ich zwei Wochen weg war. Wir kriegen das schon wieder hin.“ Mokuba nickte leicht und kuschelte sich vorsichtig an ihn. Einige Minuten verharrten sie so, während er in Gedanken bereits nach Wegen suchte, das Chaos irgendwie in den Griff zu kriegen. Niemand würde seine Firma in den Ruin treiben! Wheeler schon gar nicht! Kaum, dass er den Gedanken zu Ende formuliert hatte, klopfte es leise an der Tür. Mokuba setzte sich auf und schaute lächelnd hin, als der Blonde das Zimmer betrat. Kaiba staunte innerlich nicht schlecht, denn der dunkelblaue Dreireiher, den er trug, stand ihm ausgezeichnet. Es war eine Maßanfertigung, das erkannte Kaiba auf einen Blick. Man hätte fast glauben können, dass aus dem Köter ein Mensch geworden war. Erst recht, wenn man bedachte, dass er noch vor ein paar Wochen bewusstlos in einer Telefonzelle gelegen hatte. Das Gespräch mit Wheeler war überhaupt nicht so gelaufen, wie er es sich gewünscht hatte. Was war überhaupt mit ihm? So ruhig und gelassen erkannte er den Blonden gar nicht wieder! Das war alles so absurd, unfassbar. Irgendwie versuchte Seto seinen Kopf zu ordnen. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Wheeler die Firma nicht an die Wand gefahren hatte, blieb das Problem, dass er mit ihm auf Liebespärchen machen sollte! Ausgerechnet der Straßenköter! Was hatte sich Mokuba nur dabei gedacht? Dass er ihm das antat! Mit dieser Flohschleuder in der Öffentlichkeit – glücklich wirkend – herumlaufen zu müssen, gehörte eindeutig in die Kategorie: Höchststrafe! Noch bevor er sich weiter darüber aufregen konnte, dämmerte Seto langsam wieder weg. Das neue Schmerzmittel, das er durch den Tropf bekam, zeigte Wirkung und er war nicht unglücklich darüber. Nachdenken konnte er morgen auch noch, denn jetzt konnte er eh nichts tun, schoss es ihm noch durch den Kopf, dann schlief er wieder erschöpft ein. Kapitel 28: Arbeitskontrolle ---------------------------- Sonntag, 11.09. „Nein Mokuba, wir fahren erst heute Nachmittag. Jetzt wird dein Bruder noch untersucht. Das hat mir der Arzt extra noch gesagt.“ „Aber Joey!“ „Es macht doch keinen Sinn, den halben Tag lang in einem leeren Zimmer zu sitzen. Außerdem muss ich noch arbeiten“, erklärte der Blondschopf und frühstückte in Ruhe weiter. In einer halben Stunde würde Yuuto auf der Matte stehen und bis dahin wollte er noch etwas vorbereitet haben. Mokuba schmollte ein wenig, während er die zweite Hälfte seines Brötchens aß, bis er auf einmal anfing zu grinsen. Was hatte der Kleine denn jetzt schon wieder? Er würde aber auch nicht fragen. Bei dem Grinsen war sich Joey sicher, dass er es nicht erfahren wollte. Also trank er stattdessen seinen Kaffee aus, der in den letzten Wochen zu seinem besten Freund geworden war und stand auf. „Wir fahren nach dem Mittagessen, ja?“ „Alles klar, kein Problem! Bis später!“, rief Mokuba und lief überraschend fröhlich in Richtung Wohnzimmer davon. Etwas gruselig war das ja schon in Joeys Augen. Den Kopf schüttelnd ging er in sein Arbeitszimmer und bereitete einige Unterlagen vor, als Yuuto nach einem kurzen Klopfen das Zimmer betrat. „Guten Morgen, Joey. Es ist 8 Uhr an einem Sonntagmorgen und du bist schon so fleißig? Wie war es denn gestern Abend?“, fragte er mit einem Lächeln und nahm auf einem der Stühle Platz. Joey blickte von den Unterlagen auf und musterte den Anwalt kurz. „Du warst gar nicht krank, oder? Du wolltest nur, dass ich den ersten öffentlichen Auftritt allein absolviere. Auch damit die Medien sehen, dass ich nicht vielleicht mit noch jemand anderem anbandel, während mein „Freund“ im Krankenhaus liegt.“ „Erwischt. Aber die Interviews hast du sehr souverän gemeistert. Ich bin stolz auf dich.“ „Ja ja, danke. Du hättest mir das auch einfach sagen können! Aber egal. Hast du die Verträge von Takahashi Industries dabei?“, lenkte Joey vom Thema ab und suchte ein paar Unterlagen zusammen. Wenn er Kaiba nachher wieder unter die Augen treten musste, wollte er bestmöglich vorbereitet sein, um ihm zu zeigen, dass er seine Arbeit sehr gut gemacht hatte. Er wollte ihm unbedingt beweisen, dass er nicht der Loser war, für den Kaiba ihn Zeit seines Lebens hielt. Und das hier war seine Möglichkeit, das zu tun. „Ja, habe ich. Sie sind fertig geprüft und sauber. Die können unterschrieben werden.“ „Sehr gut. Vorher will Kaiba sie garantiert noch prüfen.“ „Er ist aufgewacht?“, hakte Yuuto irritiert nach und der Blondschopf nickte abwesend. Wo hatte er noch gleich die Entwürfe hingelegt? Yuuto sagte etwas, doch er hörte erst gar nicht richtig zu. Erst als er noch mal ansetzte, bemühte er sich zuzuhören: „Das ist doch großartig, Joey!“ „Wie man’s nimmt. Es grenzt jedenfalls an ein Wunder, dass er letzte Nacht keinen Herzinfarkt bekommen hat, als Mokuba ihm alles erklärt hat. Stell dich drauf ein, dass er dich rund machen wird.“ Sein Gegenüber nickte nur lächelnd, sagte aber nichts dazu und bis zum Mittagessen um 14 Uhr gingen sie gemeinsam mit Roland, der ebenfalls noch auftauchte, noch Emails und andere Dinge durch, unter anderem auch das Konzept für die Hotline und die Reaktionen des Social Media Teams auf negative Kommentare. Sie aßen zusammen mit Mokuba zu Mittag und danach machten sie sich bereit für den Krankenhausbesuch. Joey schlenderte in sein Zimmer und wechselte noch das Hemd, da ihm warm war. Er hatte beschlossen, in Anzughose und Hemd bei Kaiba aufzutauchen, um ihm zu zeigen, dass er sehr wohl wusste, wie wichtig sein Auftreten derzeit war. Der Eisschrank würde einsehen müssen, dass ihm das Leiten dieser Firma – überraschenderweise – schon etwas im Blut lag. Dass er deswegen zu einem fast komplett anderen Menschen wurde, gehörte dazu. Dafür war sein bisheriges Ich einfach zu lodderig, um als Firmenboss durchgehen zu können. Und es machte ihm auch Spaß, sich so verwandeln zu können und andere zu verblüffen. Das konnte er nicht leugnen. Aus dem Arbeitszimmer holte er noch seine Aktentasche, in der alle wichtigen Unterlagen für Kaiba drin waren inkl. Laptop und Firmenhandy. Dann marschierte er nach unten, wo die anderen bereits auf ihn warteten. Roland fuhr den Wagen vor und Yuuto, Mokuba und er selbst stiegen entspannt ein. Kaum, dass der Wagen angefahren war, krempelte Joey die Hemdärmel bis unter den Ellbogen hoch. Es war einfach zu warm. Oder war das die Nervosität, dass er so schwitzte? Joey wusste es nicht, doch es spielte auch keine Rolle, denn es änderte nichts an der Tatsache, dass ihm warm war. Im Krankenhaus angekommen, lief Mokuba ohne anzuklopfen direkt ins Zimmer rein und neben den beiden Ärzten waren auch zwei Polizisten gerade bei ihm. Joey nickte ihnen lächelnd zu und ging direkt zu Kaiba ans Bett. Alles in ihm sträubte sich gegen das Kommende, aber was sollte er tun? Sie waren ein Liebespaar und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auch dementsprechend zu verhalten. Mokubas Lüge durften sie jetzt noch nicht auffliegen lassen, aber sein Herz schlug so schnell, dass er glaubte, dass er jederzeit umkippen würde. „Hallo Schatz. Wie fühlst du dich?“, fragte er so liebevoll, wie er das bei dem Eisblick hinbekam, den der Brünette ihm zuwarf und gab ihm ein kurzes Küsschen auf die – wie er feststellte – überraschend weichen Lippen. Himmel, was tat er hier nur? Wie war Mokuba nur auf diese dumme Idee gekommen? Eine kurze Sekunde sah Kaiba ihn geschockt an, dann verkniff er sich jeglichen Kommentar und sagte stattdessen: „Es wird besser. Die Ärzte haben mir auch gerade mitgeteilt, dass alles gut verheilt.“ „Das beruhigt mich zu hören“, erwiderte Joey lächelnd, strich Seto über die stumpfen Haare und setzte sich vorsichtig neben ihn auf das Bett. „Wenn es so weitergeht, dürfte Mr. Kaiba nächste Woche das Krankenhaus verlassen können. Aufgrund seiner Verletzungen wird er aber eine Reha brauchen und noch weitere Wochen Ruhe zu Hause. Vollständig arbeiten wird er wahrscheinlich erst in vier bis sechs Wochen wieder können. Je nach Heilung kann die Prognose noch nach oben oder unten korrigiert werden“, erläuterte einer der Ärzte und der Blonde nickte. Dann verabschiedeten sich die beiden Doktoren und verließen nach einer kurzen Verabschiedung den Raum. „Und Sie sind sicherlich wegen des Unfalls hier“, mutmaßte Joey und schaute die Polizisten an, die beide nickten. „Ja, wir haben Ihren Partner bereits befragt, aber hätten auch noch ein paar Fragen an Sie.“ „Natürlich. Was möchten Sie wissen?“ „Seit wann sind Sie mit Mr. Kaiba liiert?“, fragte einer und Joey seufzte innerlich. Na toll, jetzt musste er das Lügengerüst schnell glaubhaft rüberbringen. Perfekt. Danke Mokuba. „Im Oktober vor zwei Jahren sind wir zusammengekommen.“ „Ist Mr. Kaiba ein sicherer Autofahrer?“, wollte der andere wissen. „Ja, das ist er. Er ist ein sehr gewissenhafter Mann, der noch nie einen Unfall hatte. Zu erfahren, dass der Crash so ein schrecklicher war, hat mir den Boden weggerissen. Es war ein Schock“, murmelte Joey und nahm Setos Hand und streichelte sie vorsichtig. Sie war kalt, doch die Haut fühlte sich weich und gepflegt an. Um glaubhaft in der Rolle bleiben zu können, schaute er seinen „Partner“ lieber nicht an. Wahrscheinlich versuchte dieser ihn gerade zu erdolchen oder Ähnliches. „Ja, das glaube ich Ihnen. Wo waren sie zu der Zeit, als sich der Unfall ereignete?“ „Ich war in meiner Wohnung, als Mokuba mich anrief. Da wir beide unsere Privatsphäre sehr schätzen, habe ich noch immer eine eigene Wohnung. Damit ist es etwas einfacher, die Paparazzi zu täuschen.“ Die Polizisten nickten und der eine schrieb sich noch ein paar Notizen auf. „Gut, das war es erst einmal. Wir melden uns, wenn es Neuigkeiten gibt oder wir noch weitere Fragen haben sollten“, sagte einer und Joey und Seto nickten und verabschiedeten sich. Kaum, dass sie das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatten, stand Joey ruckartig auf und überließ Mokuba das Feld, seinen Bruder zu begrüßen, der sich bis dahin ruhig an den Tisch gesetzt hatte. „Das war doch schon gar nicht so schlecht!“, lobte der Kleine grinsend und Joey sah finstere fünf bis sieben Wochen auf sich zukommen. So lange würde er das doch nie durchhalten … Der Todesblick, den Kaiba ihm zugeworfen hatte, ehe er geschaltet hatte, machte ihm nur zu deutlich, wie angewidert er von ihm war und wie Joey in dem Moment gemerkt hatte, tat ihm das weh. Mehr, als er zugeben wollte. „Mokuba, Wheeler. Ich muss mit Roland und Yuuto sprechen“, sagte Seto eisig und der Blondschopf nickte, dankbar, dass er aus dem Zimmer kam. „Ist gut, wir sind in der Cafeteria. Schreib uns, wenn du fertig mit Anbrüllen bist“, informierte er ihn und verließ mit dem Kleinen den Raum. Die Cafeteria befand sich zwei Stockwerke tiefer und Joey spendierte Mokuba ein Stück Kuchen und einen Kakao. Da der Kleine in Gedanken versunken war und nicht zu reden wollen schien, holte Joey den Laptop heraus und arbeitete noch etwas. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass Kaiba wahrscheinlich gerade erst Fahrt aufgenommen hatte. Dementsprechend würde er noch einiges abarbeiten können. Es dauerte in der Tat fast eineinhalb Stunden, ehe Joey und Mokuba von Roland zurückgebeten wurden und die Zwei machten sich umgehend auf den Weg. Zufrieden stellte er fest, dass alle noch am Leben waren und sogar verhältnismäßig gute Laune hatten, bis auf Kaiba natürlich, aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Aus seiner Aktentasche holte Joey zwei schmale Ordner, die prall gefüllt waren und legte sie Kaiba vorsichtig auf den Schoß. „Hier sind die Dokumente für die neue Generation der Duel Disk mit Angeboten von verschiedenen Produzenten für diverse Komponenten. Außerdem ein Vertrag mit Takahashi Industries, der geprüft und für gut befunden wurde, aber noch nicht unterschrieben. Die bisherigen Metallkomponenten beziehen wir monatlich für 585 Mio. Yen, das Angebot für eine zweite Komponente waren 500 Mio. Yen. In dem Vertrag sind 1,07 Mio. Yen für beide Komponenten plus Verhandlungen über 50.000 – 100.000 mehr Komponenten der zweiten Generation im nächsten Jahr. Im zweiten Ordner sind Designs für das neue Brettspiel, dass du entwickelst. Außerdem Storyideen und mögliche Marketingstrategien. Ich war so frei, Kommentare dazuzuschreiben. Außerdem noch Konzepte bezüglich des After-Sales-Supports, da es da derzeit Probleme gibt, insbesondere was negative Kommentare auf den Social-Media-Kanälen angeht. Schau es dir in Ruhe an.“ Kaiba schwieg, öffnete den ersten Ordner mit Informationen für die DuelDisk und studierte sie aufmerksam. Joey setzte sich an den kleinen Tisch am Fenster und holte sein Firmenhandy heraus. Er hatte eine WhatsApp Nachricht von Hiro bekommen, in der er schrieb, dass Kido ihm erzählt hätte, dass Kaiba wach sei und bat ihn, ihm gute Genesung zu wünschen. Joey bedankte sich bei ihm und versprach, dass auszurichten und steckte das Handy dann erst einmal wieder weg. Es war unnatürlich ruhig im Raum. Roland war nach draußen gegangen, um Besorgungen zu tätigen und Yuuto saß gegenüber von ihm am Tisch, während Mokuba neben Seto auf dem Bett saß und ihm ein paar Dinge zu den Akten erklärte. Das überließ er lieber dem Kleinen. Joey lehnte sich zurück und entspannte etwas, in dem er die Augen schloss und sich auf seine Atmung konzentrierte. Er hörte ab und zu das Schreiben von einem Kugelschreiber auf Papier und Mokubas leise Stimme. Eine ganze Weile konnte er so sitzen bleiben, bis plötzlich sein Firmenhandy klingelte. In der Stille klang es unnatürlich laut. Seufzend öffnete er die Augen und fischte es aus der Hemdbrusttasche. Sein Blick wanderte aus dem Fenster, als er abnahm, wohl wissend, dass Seto Kaibas Augen versuchten, ihn zu erdolchen. „Ah hallo, Mr. Kido. Schön, von Ihnen zu hören. Ich hoffe, der Abend war noch zu Ihrer vollen Zufriedenheit?“, fragte er freundlich und hörte am anderen Ende ein vergnügtes Glucksen. „Ja, alles bestens gewesen, vielen Dank! Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass Sie noch länger hätten bleiben können. Ich wollte mich mal erkundigen, wie es Ihrer besseren Hälfte geht, nachdem sie letzte Nacht noch ins Krankenhaus gefahren sind.“ „Seto ist auf dem Weg der Besserung. Die Ärzte sind zufrieden und ich bin sehr beruhigt darüber. Die letzten zwei Wochen waren unglaublich anstrengend. Diese Ungewissheit, wie lange er bewusstlos sein würde …“ „Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Umso schöner zu hören, dass er auf einem guten Weg ist. Ich möchte Sie dann auch gar nicht weiter belästigen. Meine Sekretärin wird Ihnen eine Einladung zu meiner Gartenparty in vier Wochen zuschicken. Es wäre mir eine Ehre, wenn Mr. Kaiba und Sie gemeinsam kommen könnten.“ Joey nickte gedankenversunken, als er antwortete: „Sehr gern. Ich hoffe, Seto ist bis dahin wieder soweit fit. Wenn ja, kommen wir sehr gern zu Ihrer Gartenparty. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag und vielen Dank für Ihre Anteilnahme“, sagte der Blondschopf und legte auf, nachdem sich Mr. Kido verabschiedet hatte. Er öffnete das Mailprogramm, in dem Wissen, dass alle anderen im Raum ihn anschauten, doch es gab dazu nichts weiter zu sagen. Sie hatten schließlich hören können, wer es war und um was es gegangen war. Da er aber im Augenwinkel bemerkte, dass sie den Blick nicht abwandten, beschloss er, in die Offensive zu gehen und sprach Seto direkt an: „Grüße von Mr. Kido. Er wollte wissen, wie es dir geht und wir sind in vier Wochen zu seiner Gartenparty eingeladen.“ „Als ob wir auf eine gemeinsame Gartenparty gehen würden. In vier Wochen sind wir längst getrennt“, stellte Kaiba mit eiskalter Stimme klar und Joey konzentrierte sich weiter auf die Emails, als er entgegnete: „Ich weiß, aber zumindest jetzt muss es sich ja noch nach Liebe anhören. Du solltest das für die nächsten Tage üben.“ „Du kannst mich mal.“ „Ja, ja, ich weiß. Wenn du dann bitte den Vertrag prüfen könntest. Ich würde den gern heute noch unterschreiben, um ihn morgen abschicken zu können. Außerdem müsstest du dir die Entwürfe für dein Spiel noch anschauen und abnicken oder deine Kommentare dazu schreiben, damit ich in dem Meeting morgen Nachmittag den Grafikern Bescheid geben kann und sie die Entwürfe nochmal überarbeiten können. Achja und hast du Kommentare wegen der Service Support Sache? Ich möchte das schnell in die Wege leiten, da ein schlechter Service einen schlechten Ruf zur Folge hat und dementsprechend auch mit Einbußen gerechnet werden müsste. Das willst du doch sicherlich vermeiden, oder?“, ratterte Joey herunter, während er eine Email las und er spürte, wie genervt Kaiba war, weil er ihn nicht einmal anschaute und ihm auch noch sagte, was er tun sollte. Es war pure Genugtuung für ihn, dass zur Abwechslung er dem großen Seto Kaiba einmal sagen konnte, was dieser zu tun hatte. Zu seinem Erstaunen schwieg der Brünette jedoch verbissen und widmete sich wieder den Akten. Kapitel 29: Nur ein Traum!? --------------------------- Sonntag, 11.09. Er durfte Wheeler nicht töten. Das würde unnötig Scherereien machen. Aber er konnte Yuuto, der ihm mit seinem Grinsen gerade genauso auf die Eier ging, selbiges aus dem Gesicht prügeln. Das war doch legitim, oder? Obwohl der Köter in seinem Outfit nach Geschäftsmann aussah und an seinem Handy auch so geschäftig tat, konnte Kaiba nicht glauben, dass er das wirklich war. Entweder hatte sich da jemand als Wheeler verkleidet oder er war noch gar nicht wach und hing in einem Alptraum fest, aus dem er schnellstmöglich aufwachen wollte. Nein, das konnte einfach nicht die Wahrheit sein! Als der Blonde ihn auch noch aufforderte, die Dinge zu prüfen, war er kurz davor auszurasten – niemand, und erst recht nicht der Köter, gab ihm Befehle! –, doch Mokuba legte ihm eine Hand auf den Unterarm und schaute ihn mit diesen Kulleraugen bittend an. Mit leichten Schmerzen hob er seinen Arm, atmete sehr tief durch und massierte sich seine Nasenwurzel. Nein, das war nur ein Traum. Anders konnte das einfach nicht sein. Wheeler und Geschäftsmann. Beinahe hätte er hysterisch losgelacht, doch Moki sah ihn so besorgt an, dass ihm das Lachen förmlich im Halse stecken blieb und seufzend konzentrierte er sich stattdessen wieder auf die Unterlagen. Das klappte auch ganz gut, bis er sich unbewusst über die Lippen leckte und an das sanfte Küsschen des Köters dachte. Obwohl es nur kurz und kaum zu spüren gewesen war, hatte Seto eine Gänsehaut bekommen. Das würde er natürlich nie zugeben, aber die weichen, vollen Lippen hatten ihm sehr gefallen. Himmel, es musste wirklich ein Traum sein, wenn ihm die Lippen des Köters irgendwie gefallen hatten. Oder er musste sich selbst einweisen. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung, dass er asexuell war, hatte er immer mal wieder One Night Stands, früher mit Frauen, mittlerweile nur noch mit Männern. Es hatte sich vor gut einem Jahr ergeben, dass er mit einem Mann geschlafen hatte und seitdem wusste er, dass ihn das eigene Geschlecht mehr anturnte. Während viele andere ein Problem damit hatten, sich einzugestehen, schwul zu sein, hatte er selbst sich sofort umgestellt. Immerhin wollte er die wenigen Male, die er sich dafür Zeit nahm, auch richtig genießen können und wenn das mit Männern für ihn befriedigender war, dann schlief er halt mit Männern. In der Öffentlichkeit gab es diese Gerüchte, aber er hatte dafür gesorgt, dass etwaige Bettbekanntschaften nichts verrieten, denn das war das letzte, was er wollte. Das war eine sehr intime Angelegenheit, die nur ihn und den anderen etwas angingen. Zum Glück waren seine Drohungen bisher immer sehr wirkungsvoll gewesen, sodass er bislang nichts Derartiges von sich lesen musste. Doch gerade bildeten sich ganz andere Fragen in seinem Kopf, ohne dass er es verhindern konnte. Ob Joey Männer auch attraktiv fand? Hatte er schon mal Sex gehabt? War er doch eher hinter Frauen her? Wahrscheinlich letzteres, denn immerhin schien er – zumindest während des Battle City Turniers – in Mai verknallt oder zumindest gewesen zu sein. Aber das war ja auch alles egal, denn er würde nie mit einem Köter im Bett landen. Der Flohplage würde er nie wieder Herr werden können. Es verging einige Zeit, zumindest glaubte er das, da er nicht auf die Uhr schaute, als er den von Joey ausgehandelten Vertrag in der hand hatte. Yuuto hatte extra noch eine Notiz dran geklebt, dass er von ihm aus freigegeben war. Je mehr er las, desto größer wurde die Falte zwischen seinen Augenbrauen. „Wie hast du es geschafft, dass die alte Takahashi auf 15 Millionen Yen pro Monat verzichtet? Das ist Wahnsinn“, kommentierte Kaiba, als er es im Vertrag schwarz auf weiß las. Wheeler, der gerade am Smartphone tippte, hielt es noch immer nicht für nötig, ihn beim Reden anzusehen. Irgendwann würde er ihm mal richtig Manieren beibringen! „Immerhin haben sie jetzt – wenn du zustimmst – zwei Aufträge von uns. Außerdem glaube ich, liegt das zum einen daran, dass Hiro und ich auf einer ähnlichen Wellenlänge sind und zum anderen geht Misses Takahashi wohl davon aus, dass sie das durch den zusätzlichen Vertrag nächstes Jahr wieder reinholen kann. Aber das liegt dann ja in deiner Hand.“ Joey steckte das Smartphone weg und lächelte ihn auf eine ekelhafte, zuckersüße Art und Weise kurz an. Seto schwieg verbissen, bevor er etwas Falsches sagte und vertiefte sich erneut in die Dokumente. Er hatte keine Lust, einen Anschnauzer von Mokuba zu riskieren. Dafür fühlte er sich noch lange nicht fit genug, auch wenn er das nie zugeben würde. Was er hier bei den weiteren Unterlagen sah – inklusive der Kommentare von Joey – hatte bis auf kleine Ausnahmen Hand und Fuß. Er wusste nicht, wie viel davon von dem Blonden selbst gemacht worden war oder von Roland und Yuuto, doch entgegen seiner Erwartung war es gut. Egal von wem genau das war. Der Brünette bemerkte im Unterbewusstsein, dass Yuuto und Mokuba das Zimmer verließen. Kaiba hatte nicht zugehört, was sie vorhatten, aber es interessierte ihn auch nicht. Denn gerade hatte er etwas gefunden, was ihn stutzen ließ. „Warum wurde die Zusammenarbeit mit der Marketing-Agentur beendet? Sie ist eine der –“ „Bevor du dich hier in Lobeshymnen verlierst, möchte ich dazu nur sagen, dass Herr Oda mich beim Businesslunch am Oberschenkel begrapscht hat. Sorry, aber da können sie meinetwegen die weltbeste Kampagne ausarbeiten, aber die kriegen keinen Yen, wenn die sich so scheiße verhalten.“ Wheelers Stimme klang ungewohnt hart und schweigend musterte er ihn einen Moment lang, wie er da, wie eine Bogensehne gespannt, saß. Konnte er ihn sonst immer ganz gut lesen, hatten sich seine Haselnussbraunen Augen nun komplett vor ihm verschlossen und wahrscheinlich war es deswegen, dass er sich jeglichen abfälligen Kommentar – wer wollte schon einen Köter begrapschen!? – verkniff und nickte. Er hatte keinen Grund, an seiner Geschichte zu zweifeln, denn wenn er eins über den Blonden wusste, dann dass er ein, von Grund auf, aufrichtiger Mensch war, der sich solche Geschichten nicht ausdachte. Dafür wirkte er auch viel zu getroffen. „Wenn das so ist, veranlasse eine Bemerkung in der Kreditorenabteilung, damit es nie wieder zu einer Zusammenarbeit kommt. Yuuto hat eine Anzeige bereits aufgegeben, nehme ich an?“ „Nein, hat er nicht.“ Überrascht lupfte Kaiba eine Augenbraue und schaute Wheeler weiter an, obwohl er sich gerade den zweiten Ordner greifen wollte. „Warum nicht?“, fragte er scharf, hatte Wheeler doch jeden Grund dazu und eins der weltbesten Anwaltsbüros auf seiner Seite. So eine Sache würde Yuuto noch vor dem Frühstück durchbosen und der Herr Oda keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen. Joey seufzte, strich sich mit einer Hand durch die Haare und starrte die Tischplatte an. Dann drehte er ruckartig den Kopf in seine Richtung und Kaibas Herz machte einen kleinen Aussetzer, als er den verletzten Blick sah. Was war nur mit ihm? Der Blonde öffnete den Mund, doch es kam kein Wort heraus, also räusperte er sich und sagte dann: „Das bringt doch nichts. Keiner kann die eigentliche Bewegung bezeugen, weil sie unter der Tischplatte stattgefunden hat und ich habe keine Lust, dass ich in der Presse als Weichei zerrissen werde. Die Medienaufmerksamkeit ist derzeit schon beschissen genug. Da will ich nicht noch Öl ins Feuer gießen. Außerdem würde das auch ein Schlaglicht auf die Kaiba Corporation werfen. Du siehst doch die Schlagzeile genauso vor deinen Augen, oder? „Lebensgefährte von Seto Kaiba, derzeitige Vertretung des CEOs der Kaiba Corp. beschuldigt Geschäftspartner der sexuellen Belästigung“. Nein, das erspare ich mir und der Firma. Viel wichtiger ist doch, dass sie alle über die neue Generation der DuelDisk berichten werden.“ „Wheeler, es ehrt dich, dass du dabei an die Firma denkst, aber es geht hier um deine körperliche Autonomie, die wissentlich verletzt wurde. Das gehört bestraft“, erwiderte Seto eisern, aber Joey winkte ab und er sah ihm so deutlich an, dass er nicht darüber reden wollte, dass er es für den Moment beruhen ließ, machte sich aber gedanklich eine Notiz, dass er mit Yuuto darüber sprechen würde. Der Blondschopf konnte ja nicht wissen, dass sein Anwalt das auch sehr diskret abwickeln konnte. Also widmete sich Kaiba dem zweiten Ordner, den Wheeler ihm noch hingelegt hatte. Interessiert studierte er die Zeichnungen für das Brettspiel und las sich aufmerksam die Kommentare dazu durch. Ihm war das vorher nie aufgefallen, aber das Köterchen hatte eine gut lesbare, leicht geschwungene Handschrift. Irgendwie hatte er da immer mehr Hieroglyphen erwartet, die er selbst nicht hätte lesen können. „Wie stellst du dir hier die Änderungen vor?“, wollte er von Wheeler wissen und dieser stand auf und setzte sich ungeniert einfach auf das Bett, wo bis eben noch Mokuba gesessen hatte. Der Kleine wurde allmählich zu mutig. Das musste er unterbinden, doch aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht kannte, sagte er nichts. Er ließ ihn gewähren und ohen Scheu beugte sich der Blonde zu ihm und begann ihm die einzelnen Aspekte zu erklären, ohne ins Schwafeln zu kommen. Seto schob seine Gedanken darüber, dass ausgerechnet der Köter sein Stellvertreter war, beiseite und lauschte der melodischen, sachlichen Stimme in Ruhe. Während der Blonde alles erläuterte, konnte Seto die Probleme nachvollziehen und nickte zu den Lösungsvorschlägen. Er ließ sich dann auch die Kommentare der anderen Bilder erklären und musste zugeben, dass Joey ein sehr gutes Auge für Bilder und deren Wirkung hatte. Unter Umständen war der Köter doch zu mehr zu gebrauchen, als er anfangs angenommen hatte. Danach sprachen sie noch über die beiden Kundendienstthemen, die der Blonde erwähnt hatte, aber Seto merkte, dass er unaufmerksamer wurde, schläfrig. Er musste sich ausruhen. Immerhin hatten sie, wie ein Blick auf die Uhr verriet, bereits über drei Stunden Akten gewälzt. Und auch die Schmerzen schlichen langsam, aber unaufhörlich wie eine Raubkatze durch seinen Körper, kaum, dass seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Dokumenten lag. „Das reicht für heute. Den Vertrag kannst du unterschreiben, mit den Vorschlägen zu den Bildern bin ich einverstanden, das Konzept für die Hotline muss noch mal überarbeitet werden, im anderen Ordner sind noch Kommentare. Ich verlasse mich darauf, dass das weiterhin so gut läuft, sonst werde ich dich persönlich in der Hölle schmoren lassen, Köter.“ „Schon verstanden, du Geldsack. Sieh du lieber erst mal zu, dass du auf die Beine kommst, bevor du große Reden schwingst“, konterte Joey und rutschte vom Bett. Er nahm die beiden Ordner und verstaute sie wieder in der Aktentasche, während Seto es sich halbwegs gemütlich machte und den Kommentar des Köters gepflegt ignorierte. Es war kaum zu glauben, aber er war selbst viel zu müde, um jetzt noch etwas zu diskutieren. Er hatte die Augen schon geschlossen, als er Joeys Schritte Richtung Tür hörte, als sie abrupt endeten und seine leise Stimme die aufkommende Stille durchbrach: „Schlaf gut und weiterhin gute Besserung.“ Kaiba brummte etwas und hörte schon gar nicht mehr, dass der Blonde die Tür schloss. Sein Duft lag noch wie eine Wolke über ihm und verschlafen dachte er daran, dass es das wohl billigste Deo war, doch komischerweise störte es ihn nicht. Es passte zu Wheeler und sein Kopf wurde seltsam klar, als er in den Schlaf glitt. Er träumte davon, wie Joey und er auf der Gartenparty von Mr. Kido waren und wie der Blondschopf ihn liebevoll anlächelte und seine kalte Hand mit seinen wärmte. Irgendwann waren sie auf der Tanzfläche, gaben sich dem Takt hin und Seto spürte diese innere Ruhe, wenn er in Joeys Nähe war. Die anderen Anwesenden waren beinahe schon nervig und lästig, störten sie doch ständig, weil sie sich unterhalten wollten oder mit ihnen Fotos machen. Am liebsten wäre er mit Joey an einen Ort abgehauen, wo sie allein waren, doch Mr. Kido konnte es einem sehr übelnehmen, wenn man nicht ohne gute Begründung früher verschwand. Also gab Seto sein bestes, höflich zu bleiben, legte einen Arm um Joeys Hüfte, der sich sofort lächelnd an ihn lehnte und versuchte nicht jede Sekunde einzeln zu zählen, bis sie endlich gehen konnten. Kapitel 30: Auf nach Hause! --------------------------- Freitag, 16.09./Samstag, 17.09. Die Woche verlief ziemlich stressig für Joey, denn neben der Schule und der Arbeit musste er jeden Abend noch zu Kaiba, um Bericht zu erstatten und sich für jede Zahl und jeden Buchstaben zu rechtfertigen. Nur gestern war es ziemlich schnell gegangen, da er da ein langes Meeting mit Yuna und dem Betriebsrat gehabt hatte. Da war es um ein neues Einarbeitungsprogramm gegangen, dass Kaiba und sie ausgearbeitet hatten und mit zwei kleinen Änderungen, die Joey sich erlaubt hatte, war es gut angenommen worden. Ihm wurde immer mehr bewusst, dass Kaiba nicht die Fähigkeit besaß, Leute in seinem Sinne mit Zuckerbrot zu manipulieren, dabei würde er damit noch viel weiterkommen. Da war Joey fest von überzeugt. Immerhin schien der Brünette von Abend zu Abend etwas milder gestimmt zu sein, aber was das bei einem Kaiba bedeutete, konnte man sich vorstellen. Daher gab er sich immer Mühe, alles vollständig dabei zu haben und jede Entscheidung gut begründen zu können. Dafür saß er meist noch spät im Arbeitszimmer, bis er alles soweit aufgearbeitet hatte, dass er es am nächsten Tag Kaiba zeigen konnte. Doch wer war er, dass er sich beschweren wollte? An der Stelle des CEOs würde er das bestimmt genauso handhaben. Es war Freitagabend und Joey hatte Seto mit einem Küsschen begrüßt, was er immer tat, wenn die Ärzte im Raum waren und Kaiba ließ es mittlerweile ohne Eisblick über sich ergehen, tat aber nichts, um die Sache von sich aus glaubwürdiger wirken zu lassen. Das würde noch sehr anstrengend werden. Er setzte sich vorsichtig neben den Brünetten auf das Bett und legte seine Hand auf Setos, der überrascht zuckte, da er das zum ersten Mal tat, zog sie aber zum Glück nicht zurück. Joey hatte das aus einem Instinkt herausgetan und für richtig erachtet, da die Ärzte sie ja schon etwas kannten und da war es bestimmt besser, sich etwas „verliebter“ zu zeigen, um die Scharade noch weiter aufrecht erhalten zu können. An den anderen Abenden war Mokuba immer mitgekommen, doch heute hatte er sich mit Freunden aus der Schule verabredet, sodass er allein da war. Er gönnte es dem Kurzen, dass er heute Abend hoffentlich abschalten konnte und einen tollen Abend hatte. „Guten Abend, Mr. Wheeler. Ich habe gute Neuigkeiten für Sie, denn Sie können ihren Freund gleich mit nach Hause nehmen. Wir haben bereits mit dem Hausarzt der Familie Kaiba telefoniert und alle wichtigen Informationen weitergegeben“, erläuterte der eine Arzt lächelnd und Joey erstarrte. Nein, das konnte doch nicht sein. Darauf war er gar nicht eingestellt. Ihm im Krankenhaus ein Küsschen aufzudrücken oder in seiner Abwesenheit von ihm zu schwärmen, war eine Sache, aber mit ihm in einer Villa zu wohnen, war etwas ganz anderes. Und auch wenn sie in unterschiedlichen Flügeln untergebracht wären, würde Joey sich unwohl fühlen. Es war immerhin Mr. Eisklotz persönlich! Egal – er musste sich jetzt zusammenreißen und dem Schicksal fügen. Es war ja nicht für lang. Das würde er schon hinkriegen! Wäre doch gelacht! „Das ist ja großartig! Endlich kannst du wieder nach Hause, Schatz“, meinte Joey also und versuchte Seto glücklich anzulächeln. Hoffentlich sah es wenigstens halb so überzeugend aus, wie es sollte. Zu seiner Überraschung erwiderte Kaiba das Lächeln kurz, was ungewöhnlich gut bei ihm aussah, und stimmte zu: „Ja, ich freue mich auch. Das wurde auch Zeit.“ „Gut, dann können Sie jetzt in Ruhe Sachen zusammenpacken. Die nächsten Wochen wird dann Ihr Hausarzt die weitere Versorgung übernehmen.“ Die Ärzte nickten ihnen zu und verließen nach einer Verabschiedung den Raum, um ihrer weiteren Arbeit nachzugehen. „Du weißt, was das bedeutet?“, hakte Joey genervt nach und holte den Koffer aus dem Schrank. Da Kaiba sich nach wie vor schonen musste, begann er damit, die Sachen von ihm ordentlich zu falten und einzupacken. „Was wird das?“, wollte der Brünette mit hochgezogener Augenbraue wissen und Joey antwortete, während er weiter packte: „Ich bin ein braver Freund und helfe dir.“ „Als ob du jemals brav wärst …“, brummte Kaiba genervt, blieb aber auf dem Bett sitzen. Er packte also in Ruhe weiter, da keine weiteren Einwände kamen. Joey hatte keine Lust, jetzt ewig zu warten, bis Kaiba endlich so weit war. Also beschleunigte er das und schrieb nebenbei noch Roland, der unten im Wagen wartete, damit dieser den Koffer holte. Ein paar Minuten später war der Assistent da und nahm, wie der Blondschopf es wünschte, den Koffer. Der Blonde wandte sich Kaiba zu, der bereits angezogen war und seine Krücke nahm. Da er sich den rechten Fuß verstaucht und den rechten Arm mehrfach gebrochen hatte, konnte er nur links eine Krücke benutzen. „Warte, ich stütze dich“, murmelte Joey und legte einen Arm um Kaibas schlanke Taille, was dieser schweigend, aber unzufrieden aussehend, hinnahm. Es war ein komisches Gefühl, dem Geldsack so nah zu sein und sein Gehirn registrierte, dass er gar nicht so kalt war, wie er immer tat. Ein bescheuerter Gedanke, da er ja auch ein lebender Mensch war, aber er kam da nicht gegen an. Hatte er den Gedanken nicht auch schon mal gehabt? Ach, war ja auch egal. „Strahl gefälligst, wenn ich die Tür jetzt aufmache“, brummte der Blondschopf genervt und ignorierte den eiskalten Mörderblick, den Seto ihm von der Seite her zuwarf. Dafür hatte er den einfach schon zu oft gesehen. Als die Tür aufging, entspannten sich Kaibas Gesichtszüge sichtlich und er lächelte sogar ein ganz kleines bisschen, als Krankenschwestern im Gang auftauchten. Anscheinend konnte Kaiba doch annähernd schauspielern. Das würde die Sache in den nächsten Wochen hoffentlich etwas einfacher gestalten. Vorsichtig brachte Joey ihn in den Aufzug und drückte auf den Knopf, als Kaiba den Kopf zu ihm drehte und ihm ein Küsschen auf die Schläfe gab. Die Türen schlossen sich gerade und Joey, obwohl er nicht darauf geachtet hatte, war sich sicher gewesen, dass niemand auf dem Gang gewesen war. Was also die Frage aufwarf, warum Kaiba ihm dieses Küsschen gegeben hatte. Sein Herzschlag hatte sich sofort beschleunigt und er glaubte die Lippen noch immer auf seiner Wange zu fühlen. Was war nur mit ihm? Oder mit ihnen beiden? Langsam drehte er den Kopf zu dem Firmenchef und musterte ihn irritiert, doch Kaiba schaute schon wieder starr auf die Tür, weshalb er schwieg. Okay, etwas war hier seltsam. Sehr seltsam. Aber der Blonde wollte ihn auch nicht danach fragen, denn die Ruhe, die gerade zwischen ihnen herrschte, fühlte sich angenehm an. Es war nicht so eine gezwungene, wo er sofort das Bedürfnis hatte, über irgendetwas zu reden, sondern sie schwiegen gemeinsam und das war in Ordnung so. Bis zum Auto sprachen sie nicht miteinander und Joey half ihm, sich hinzusetzen und nahm neben ihm Platz. Roland fuhr langsam los und achtete darauf, nicht zu schnell zu fahren, damit Kaiba sich nicht plötzlich bewegen musste. „Was liegt morgen an?“, fragte Kaiba in die Stille und Joey war im ersten Moment überfordert, weil er nicht auf ein Gespräch eingestellt war. Dann dachte er einen kurzen Moment über die Frage nach, jedoch war er sich sicher, dass der Brünette nicht seine wenige Freizeitplanung meinte. Hatte er überhaupt noch eine? „Yuuto kommt morgen um 8 Uhr und zusammen mit Roland machen wir eine Nachbesprechung der Woche bis zum Mittag und nach dem Mittagessen planen wir die nächste.“ „Gut, ich werde auch dabei sein.“ „Klar, alles andere hätte mich auch gewundert“, seufzte Joey und legte das Kinn auf die Handfläche, den Blick stur aus dem Fenster gerichtet. Er war sich wirklich nicht sicher, ob sie gut zusammenarbeiten konnten, auch wenn sie in nächster Zeit dazu gezwungen waren. „Problem Wheeler?“ „Mit dir? Immer“, knurrte Joey genervt und wünschte sich, sie wären wieder im Aufzug, wo sie so entspannt miteinander hatten schweigen können. Das war deutlich besser gewesen als das hier. Den Rest der Fahrt über hielt dieser Zustand leider an, doch Joeys Gedanken waren mittlerweile auch zu schwer, um noch darüber nachzudenken, worüber er mit dem Eisschrank reden konnte. Etwas unruhig rutschte der Blonde auf seinem Platz hin und her und riss die Tür auf, sobald der Wagen in der Tiefgarage geparkt war. Beinahe fluchtartig stieg er aus, atmete kurz durch und drehte sich dann um, um Kaiba zu helfen, was dieser aber durch ein Wegschlagen seiner Hand abwehrte. „Gut, dann sieh doch zu, wie du klarkommst“, giftete Joey genervt und stampfte durch die Tür in die Villa. Schnurstracks verschwand er in seinem Zimmer und weiter ins Bad. Auf den Firmenchef fluchend zog er sich aus und stieg unter die warme Dusche. Wie sollte er das in den nächsten Wochen mit dem Stinkstiefel schaffen? Was hatte er sich nur dabei gedacht, das ganze anzunehmen!? Frustriert seufzend wusste er die Antwort natürlich und das schlimmste war einfach, dass er es jedes Mal wieder tun würde. Schließlich konnte er dem kleinen Hosenscheißer nichts abschlagen. Nach dem Duschen trocknete er sich die Haare ab und zog sich eine Boxer über, dann ließ er sich auf das große Bett fallen. Bevor er sich noch weitere Gedanken machen konnte, war er schon eingeschlafen und träumte von einem Kaiba, der nur am Nörgeln und Terrorisieren war. Es war bereits der zweite Kaffee, den Joey trank, als Seto und Mokuba gemeinsam runterkamen. Der Kleine strahlte über das ganze Gesicht, dass sein großer Bruder endlich wieder zu Hause war und der Blonde konnte sich ein Lächeln bei dem Anblick nicht verkneifen. „Na, hattest du einen schönen Abend gestern?“, fragte er freundlich und der Kleine nickte eifrig. „Ja! Wir haben zu viert gezockt und die Mama hat Pizza selber gemacht, die war superlecker! Es war großartig!“ „Das freut mich zu hören, Kurzer. Wie du siehst, habe ich dir gestern Abend auch eine Überraschung mitgebracht.“ „Ja, ich bin so froh, dass du endlich wieder da bist, Seto!“, freute sich der Kleine weiter und setzte sich an seinen Platz. Wenigstens einer, der sich freuen kann …, dachte Joey und nickte Kaiba zu, der ihn bis dahin nur einmal kurz angesehen hatte und sich dann hinter der Zeitung verkroch. Er selbst hatte sie eben schon studiert, bevor die beiden heruntergekommen waren und festgestellt, dass wieder einmal viel Unsinn drinstand. Immerhin nichts Neues über Kaiba oder ihn. Das war zurzeit ein Grund zum Feiern, denn irgendetwas versuchten die immer zu schreiben. Es war so ätzend. „Ach Joey? Ich habe für heute Abend noch deine Freunde eingeladen. Ich hoffe, das ist okay für dich.“ „Ja klar. Aber wie kommt es dazu?“, hakte der Blonde überrascht nach und nun war es Seto, der sich in das Gespräch einmischte: „Mokuba, wie kommst du dazu, den Kindergarten einzuladen?“ „Weil Yugi und Co. mir in den letzten Wochen auch geholfen haben! Außerdem hat Joey in der Zeit so viel gearbeitet, dass er sie außerhalb der Schule praktisch gar nicht gesehen hat! Der war fast so schlimm wie du!“, maulte Mokuba und der Blonde schaute ihn einen Moment lang verwirrt an. Er? Ein zweiter Kaiba? Was für ein Blödsinn! Er musste sich halt einarbeiten und so etwas brauchte Zeit, aber wenn er das noch ein Jahr gemacht hätte, hätte er sich auch mehr Freizeit genommen. … Oder? Oder??? Hätte er doch bestimmt! Seto seufzte schwer atmend, ersparte sich aber jegliche Widerworte und ergab sich in sein Schicksal. Joey hatte für sich beschlossen, dieses untypische Verhalten des reichen Pinkels auf die Medikamente zu schieben, die er derzeit regelmäßig schlucken musste. Anders war das halt auch nicht zu erklären. Erst recht nicht das Küsschen von gestern Abend, von dem Joey letzte Nacht sogar geträumt hatte. Es war alles zum Haare raufen. Und bevor er sich hier jetzt noch mehr Gedanken machte, sollte er lieber arbeiten gehen. „Da Yuuto in einer viertel Stunde kommt, gehe ich hoch ins Arbeitszimmer. Bis gleich dann, Kaiba …“, brummte Joey und erhob sich. Für den Notfall goss er sich noch eine dritte Tasse Kaffee ein, nahm diese mit und schlurfte in Anzughose und Hemd nach oben. Kapitel 31: Ohnmacht -------------------- Samstag, 17.09. „Sei bitte nicht zu hart zu ihm, okay?“, bat Mokuba und schaute ihn mit diesen Kulleraugen an, die Seto regelmäßig zur Verzweiflung brachten, weil er dem Schwarzhaarigen in diesen Situationen fast nie etwas abschlagen konnte. „Wheeler kennt mich nicht anders.“ „Seto, ich meine das ernst. Er hat in den letzten Wochen so viel für uns getan und selbst auf so viel verzichtet. Und er hätte jeden Grund gehabt, abzulehnen. Aber er hat es nicht getan und sich dieser riesigen Herausforderung gestellt und sie wirklich gut gemeistert. Also mach es ihm nicht so schwer, ja?“ Seto nickte schweigend und brummte etwas Unverständliches in die Kaffeetasse, als er einen Schluck trinken wollte. Zugegebenermaßen schien sich der Köter gemausert zu haben, was er die Woche über so mitbekommen hatte. Das Ganze schien ihm recht gut zu liegen und mit mehr Übung konnte er irgendwann vielleicht auch ein Geschäftsführer werden, das musste er wohl oder übel zugeben, aber die Kaiba Corporation war seine Firma! Und die würde er freiwillig niemandem überlassen! Das Köterchen konnte sich, wenn es soweit war, seine eigene Firma suchen oder aufbauen. „Ich bin dann auch oben. Bis später, Mokuba“, verabschiedete sich Seto und krückelte zurück in den ersten Stock. Mokuba allerdings folgte ihm und kurz vor seinem Arbeitszimmer blieb der Brünette abrupt stehen. Die Medikamente bekamen ihm nicht, sonst hätte er doch schon früher daran gedacht! „Mokuba. Sag mir bitte nicht, dass Wheeler gerade in meinem Arbeitszimmer sitzt.“ Das war sein eigener Raum und abgesehen von seinen engsten Vertrauten – zu denen der Köter garantiert nicht gehörte – durfte sich niemand dort aufhalten. „Nein, er hat es nicht einmal betreten. Nur vom Flur aus reingeschaut“, antwortete Mokuba irritiert und Seto bemerkte im Augenwinkel, wie der Kleine zu ihm aufschaute. „Wirklich?“ „Ja Seto, wirklich. Ich habe extra die Überwachungsaufnahmen aufbewahrt, auch wenn ich Joey gegenüber ein schlechtes Gewissen deswegen habe … Aber du kannst es dir alles anschauen. Er meinte, er würde schon viel zu viele Grenzen überschreiten und wenigstens dein Heiligstes wollte er unberührt lassen. Yuuto und Roland mussten die Akten alle in das andere Zimmer tragen, weil Joey sich weigerte, es auch nur zu betreten.“ „Danke Mokuba. Das werde ich nachher tun … Also wo steckt Wheeler?“ Anstatt es zu sagen, wuselte Mokuba vor ihm den Gang entlang und führte ihn zu dem kleinen Arbeitszimmer, welches Seto schon fast wieder vergessen hatte. Ohne anzuklopfen – er war hier schließlich zu Hause – marschierte er rein und entdeckte Joey hinter dem Schreibtisch sitzend und auf einen Monitor schauend. Nebenbei machte er sich Notizen auf einem Block und schien so konzentriert zu sein, dass er ihn noch nicht einmal bemerkt hatte. „Also bis später“, nuschelte Mokuba und verschwand wieder in den Weiten der Villa. Seto nickte knapp, krückelte dann näher an den Schreibtisch und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Hatte er jemals auf dieser Seite eines Schreibtischs gesessen? Bei Gozaburo damals vielleicht … Ansonsten konnte er sich an so eine Konstellation nicht erinnern. Und er hatte sich geschworen, dass es nie wieder dazu kommt und jetzt? Der Blonde brachte alles durcheinander. „Wir warten noch eben, bis Yuuto und Roland da sind und dann starten wir“, murmelte Joey und kniff die Augen leicht zusammen, dann notierte er sich wieder etwas auf dem Notizblock. Kaiba bemühte sich wirklich, Mokubas Rat zu befolgen und nicht so hart zu dem Blondschopf zu sein, aber wenn der ihn noch einmal ignorieren sollte, würde er sich zu Wort melden und zwar sehr ausfallend. Und dann auch noch gestern Abend im Aufzug … Wie war er dazu gekommen, dem Köterchen ein Küsschen zu geben? Das war so unter seiner Würde. Es war doch niemand auf dem Flur gewesen! Insgeheim kannte er den Grund natürlich, aber es kam ihm schon schwach vor, ihn nur zu denken. Dass er beruhigt war, dass er nicht allein das Krankenhaus verlassen musste. Dass da jemand war, der ihm Halt gab. Nein, das klang schon in Gedanken erbärmlich! Tief durchatmend bemerkte der Blauäugige, dass die Tür erneut geöffnet wurde und die anderen Zwei eintraten. Dann konnten sie ja endlich starten. Kaiba hörte sich in Ruhe die Zusammenfassung an und studierte nebenbei noch weitere Akten. Die Entwicklung der neuen Duel Disk war fast beendet und die Marketingvorbereitungen in vollem Gange. Außerdem verlief die Entwicklung eines neuen Brettspiels ebenfalls sehr gut. Die von Joey korrigierten Grafiken gefielen ihm sehr gut und gaben den Bildern viel mehr Persönlichkeit. Was Bilder anging, konnte man dem Blonden offenbar wenig vormachen. Es war kurz vor dem Mittagessen, als Kaiba noch etwas sehr Wichtiges einfiel. Also schaute er Joey an und fragte: „Wie steht es eigentlich um die Vorbereitungen für das Firmenjubiläum?“ „Das musst du Yuuto, Roland und Mokuba fragen. Das haben sie übernommen.“ „Aber du bist derzeit der Boss und hast die finale Entscheidung.“ Es klingt so falsch, den Köter als Boss zu bezeichnen. Das ist doch alles ein schlechter Traum! Ein Alptraum! „Ja, aber ich bin hier nur als Vertretung und eine Firmenfeier, an der geladene Gäste und auch die Presse teilnehmen, sollte von Leuten geplant werden, die mit der Firma vertraut sind. Daher habe ich sie gebeten, eine Präsentation vorzubereiten mit allen Showaspekten, Essen, Trinken, und natürlich einen Kostenplan. Das sollen sie mir morgen vorstellen. Also uns.“ Der Kleine überraschte ihn immer wieder, wie er feststellte. Andererseits – wenn Kaiba so darüber nachdachte – passte es wie die Faust auf’s Auge. So gern Wheeler auch die Klappe aufriss und sich überschätzte, so wusste er meist doch, wann es wichtig war, sich zurückzuhalten. Zumindest hatte er das Verhalten des Öfteren beobachtet, wenn es um seine Freunde ging. „Gut, dann warten wir darauf. Wo stecken Yuuto und Roland überhaupt? Sie wollten doch nur kurz Unterlagen holen.“ „Bestimmt sind sie in der Küche hängen geblieben, weil das Essen schon fertig ist“, mutmaßte Joey grinsend und klappte den Laptop zu. Offenbar wollte er auch zum Essen und Kaiba konnte eine Kleinigkeit ebenfalls vertragen, also stand er vorsichtig auf und griff sich seine Krücke. „Geht es oder brauchst du Hilfe?“ „Es geht“, erwiderte er knapp und humpelte zur Tür, die Joey ihm freundlicherweise öffnete. Eigentlich hätte er ihn lieber heruntergeputzt, wie er es immer getan hatte, aber Mokuba hatte recht, wenn er sagte, dass er ihm viel zu verdanken hatte. Und wenn Seto ehrlich zu sich war, war er mehr dafür dankbar, dass sich der Blonde um Mokuba gekümmert hatte als um die Firma. Das hätten sein Stellvertreter, Yuuto und Roland auch hinbekommen, aber dass er seinem kleinen Bruder eine Stützte gewesen war ... Dafür war Seto wirklich dankbar. Und irgendwie musste er sich dafür auch erkenntlich zeigen, allerdings hatte er noch keine Ahnung wie. Das würde sich in den nächsten Wochen hoffentlich noch ergeben. Innerlich seufzend stand er vor der Treppe und machte sich in inneres Memo für alle Fälle eine Rolltreppe oder einen Aufzug einbauen zu lassen, damit – falls Mokuba oder er noch einen Unfall haben sollten – sie wenigstens problemlos die Stockwerke wechseln konnten. Plötzlich spürte er einen Arm um seine Kniekehlen und einen auf seinem Rücken und vorsichtig wurde er hochgehoben. „Was soll das, Köter!?“ „Ich habe keine Lust, jetzt noch eine Stunde zu warten, bis ich essen kann. Bis dahin bin ich verhungert“, meckerte Joey und trug ihn langsam die Treppe herunter. Das war ja sowas von peinlich! Er – Seto Kaiba – wurde die Treppe heruntergetragen! Was war mit seiner Autorität!? Wie kam die Töle dazu, diese einfach so zu untergraben? Und dann ignorierte diese Flohschleuder auch noch seine Wut! So ging das nicht. Er musste dringend einen Hundefänger rufen, der ihn aus dieser Villa entfernte. Unten angekommen, setzte Joey ihn wieder vorsichtig ab und marschierte einfach in die Küche vor, ohne ihn weiter zu beachten, setzte sich an seinen Platz und wartete gemeinsam mit den anderen auf ihn. Seto atmete tief durch, strich sich über sein Hemd und zählte innerlich bis zehn. Umbringen würde nur noch mehr Ärger bringen. Das musste er sich unbedingt vor Augen halten. „Und? Kommt ihr gut voran?“, fragte Mokuba neugierig und Yuuto nickte. „Ja, die Nachbesprechung ist wie geplant fertig und nach dem Essen planen wir die nächste Woche vor. Aber ich denke, gegen 18 Uhr werden wir damit auch fertig sein und dann ist Feierabend“, erklärte der Anwalt lächelnd und Mokuba grinste. Offenbar freute sich sein kleiner Bruder auf den Besuch heute Abend, während er gut und gerne darauf verzichtet hätte. Wheeler in seiner Villa dulden zu müssen, war schon schlimm genug. Das Essen war relativ in Ordnung, sofern sich seine Nerven in dieser Situation beruhigen konnten und das gestaltete sich um einiges schwerer, als er gedacht hatte. Doch Mokuba lachend zu sehen, entspannte ihn beinahe augenblicklich und er lächelte den Kleinen an. Er war froh, dass es ihm nach diesem Schock wieder gut zu gehen schien. Um nichts in der Welt wollte er, dass es ihm schlecht ging. Dafür hatten sie zu viel gemeinsam geschafft und er war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Sein Glück hatte für ihn oberste Priorität. Die Nachmittagsbesprechung verlief sehr konstruktiv und sie waren tatsächlich pünktlich um 18 Uhr fertig geworden. „Yuuto? Bleibst du bitte noch einen Moment?“ Joey und Roland erhoben sich und schauten kurz verwirrt zwischen ihnen hin und her, dann verließen das Büro und der Anwalt blieb noch sitzen. „Was gibt es?“ Kaiba wartete, bis die Tür auch wirklich geschlossen war und musterte sein Gegenüber dann. „Weißt du, warum die Zusammenarbeit mit der Marketingagentur beendet wurde?“ „Ja, ich kenne den Grund“, antwortete Yuuto schlicht und Kaiba schätzte es, dass er das Geheimnis von Joey nicht sofort ausplapperte. Es hatte halt seinen Grund, warum er mittlerweile auch sein Familienanwalt war. „Sehr gut. Dann hast du hoffentlich trotz Wheelers Widerstand eine Anzeige vorbereitet?“ „Habe ich, aber noch nicht aufgegeben. Wieso fragst du?“ „Es gibt keinen Grund an seiner Geschichte zu zweifeln. Auch auf mich hat dieser Oda schon einen seltsamen Eindruck hinterlassen, nur hat er sich das bei mir nicht getraut. Mich widern solche Menschen an und ich will, dass du diskret dafür sorgst, dass er seine gerechte Strafe bekommt.“ Yuuto nickte und tippte kurz auf seinem Smartphone herum, steckte es dann wieder weg und schaute ihn leicht fragend an. „Findest du das richtig, das hinter seinem Rücken zu machen? Er sagte ausdrücklich, dass ich mich nicht darum kümmern soll.“ „Das hat er mir auch gesagt. Er will nicht, dass das in der Öffentlichkeit zerrissen wird, was ich sehr gut verstehen kann. Außerdem macht er sich Sorgen, dass sich das auf den Ruf der Firma auswirken könnte, was sehr nett, aber dumm ist. Es ist mir egal, was das für einen Eindruck hinterlässt. So etwas gehört verdammt nochmal bestraft.“ Kaiba spürte, wie sein Blut bei dem Thema in Wallung kam, doch er konnte nichts dagegen tun. Das alles regte ihn furchtbar auf und auch wenn er es schätzte, dass Joey – wie er – alles der Firma unterordnete, gab es doch ein paar Grenzen für ihn. „In Ordnung. Ich werde mich darum kümmern. Joey lassen wir erst einmal außen vor?“ „Ja, nach Möglichkeit soll er erst eingeweiht werden, wenn es erforderlich ist.“ Yuuto nickte, schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber anders und stand auf. „Ich werde mir unten noch etwas zu trinken holen und mit Mokuba sprechen.“ Kaiba machte eine zustimmende Geste und der Anwalt verschwand aus dem Raum. Eigentlich hatte er noch weiterarbeiten wollen, doch sein Kopf fühlte sich etwas schwummrig an, weshalb er beschloss, eine Pause zu machen. Seto krückelte dieses Mal allein die Treppen herunter und war gerade angekommen, als es an der Tür klingelte. Eines der Hausmädchen tauchte aus einem der Räume im Erdgeschoss auf und öffnete eine der Flügeltüren. Der Kindergarten stand bereits da und begrüßte sie freundlich, als sie eingelassen wurden. Kaiba beäugte sie misstrauisch, war aber zufrieden, als sie im Eingangsbereich ihre Schuhe auszogen. Immerhin etwas Benehmen hatten sie vorzuweisen. „Hey Schatz, kann ich dir noch helfen oder kommst du so klar?“, wollte eine Stimme hinter ihm wissen und irritiert drehte sich Kaiba um. Joey kam gerade entspannt lächelnd in Anzughose und Hemd, was er schon den ganzen Tag trug, die Treppe herunter und Seto hob eine Augenbraue. Seine Freunde wussten doch, was Sache war, oder nicht? Oder dachten sie auch, dass sie ein Paar waren und sie mussten die Show hier auch abziehen? Nein, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Als ob der Köter den Kindergarten anlog … So in Gedanken bemerkte Seto nicht, dass Joey bereits bei ihm angekommen war und ehe er es realisierte, küsste der Blonde ihn kurz, wie er es immer tat, wenn andere Menschen da waren. Reflexartig erwiderte Seto den Kuss zum ersten Mal und konnte nicht glauben, dass er seinen Freunden nicht die Wahrheit gesagt hatte. Aber wieso überhaupt hatte er erwidert!? Was war denn nur los mit ihm? „Nein, ich komm klar. Hab du einen schönen Abend“, murmelte er irritiert und wollte sich gerade umdrehen, als Joey neben ihm gefährlich schwankte. „Ist alles in Ordnung?“ „I-ich –“ Gerade noch rechtzeitig konnte er den fallenden Körper mit seinem linken Arm auffangen. „Joey?“ Auch die anderen kamen jetzt zu ihnen rüber gelaufen, nachdem sie den Kuss aus Sicherheitsabstand heraus beobachtet hatten und leicht verstört wirkten. Kaum zu glauben, aber er konnte das zur Abwechslung verstehen. „Macht die Tür auf!“, befahl Kaiba, ließ seine Krücke fallen und hob Joey mit beiden Armen hoch. Da sein rechter Arm noch eingegipst war, war das nicht ganz einfach, aber auch nicht unmöglich. Die aufkommenden Schmerzen ignorierte er für den Moment. „Was ist passiert???“, fragte Mokuba aufgeregt – wahrscheinlich hatte er seine schneidende Stimme gehört –, als er die Treppe herunterkam, um den Kindergarten zu begrüßen. „Joey ist bewusstlos!“, rief Tea aufgeregt und öffnete eine der Doppeltüren zum kleinen Salon. Schnellen Schrittes trat Seto ein – ignorierte den Schmerz in seinem Fußgelenk und den Arm – und legte den Blonden vorsichtig auf das Sofa. „Mokuba, hol ein Glas Wasser“, forderte er und legte eine zusammengefaltete Decke unter Joeys Beine. Wahrscheinlich war es ein Schwächeanfall. Warum auch immer, denn so sportlich, wie er war, sollte sein Kreislauf sehr stabil sein. Sein kleiner Bruder rannte aufgeregt in die Küche und kam bereits nach ein paar Sekunden zurück. Er stellte das Glas auf den kleinen Beistelltisch und kniete sich vor das Sofa. Seto beobachtete interessiert, wie er sofort nach dem Handgelenk griff und den Puls überprüfte. Und auch erst jetzt nahm er wahr, dass der Kurze leicht zitterte. „Roland, rufen Sie unseren Hausarzt!“, befahl Moki und der Assistent war sofort dabei. Auch Yuuto kam jetzt, durch den Rummel angezogen, in den Raum, um zu sehen, was los war. „Mokuba, was hast du denn? Wahrscheinlich ist es nur sein Kreislauf. Die letzten Wochen waren anstrengend“, sagte Duke leise, doch sein kleiner Bruder schüttelte energisch den Kopf. „Das ist egal! Ich will, dass er untersucht wird! Seit Battle City … Seitdem Joey …“ Dem Kleinen brach die Stimme weg und er hielt weiter die Hand des blonden Chaoten. Besorgt setzte sich Seto neben ihn, darauf achtend, dass er sein verletztes Bein gerade machen konnte und zog Mokuba zu sich. „Was ist los, kleiner Bruder? Was war beim Battle City Turnier?“ „Nach dem Duell gegen Marik … Als er zusammengebrochen war … I-ich war ja als erster da und da … da habe ich es gespürt“, stammelte der Kleine zittrig, noch immer Joeys Handgelenk haltend und halb auf seinem Schoß sitzend. Die anderen um sie herum hörten dem Schwarzhaarigen still zu. Es dauerte einen Moment, bis sich Moki wieder so weit gefangen hatte, dass er fortfahren konnte: „Er … er war tot. Marik hatte mit dem Angriff des Ra im Reich der Schatten Joey so viel Lebensenergie abgezogen, dass er tot war! Die Ärzte haben mir das bestätigt. Mehrere Minuten war er tot und die Ärzte sagen, es ist ein medizinisches Wunder, dass er keine Folgeschäden davongetragen hat!“ Eine Welle des Unglaubens und des Schocks durchflutete den Salon und ließ alle schweigen. Nur das leise Schluchzen des kleinen Kaibas war zu hören. Auch Seto war geschockt. Ihm war klar gewesen, dass diese Duelle im Reich der Schatten nichts Normales waren und dass sie eine sehr große Belastung sein konnten, doch bei dem Turnier hatte niemand sterben sollen. Nicht einmal für ein paar Minuten. „Warum hast du das nicht schon vorher erzählt?“, fragte Seto leise, streichelte seinem Bruder durch die struwweligen Haare und wiegte ihn leicht hin und her. „Weil … weil … Als Joey wieder so fit war und Yugi unterstützen wollte, da … da schien es ihm ja gut zu gehen. Und ich wollte nicht, dass ihr euch alle auch so große Sorgen macht. Da habe ich allen gesagt, dass sie das für sich behalten sollen.“ „Wer … soll was … für sich behalten?“, murmelte eine Stimme und aufgeregt schoss Mokuba sofort nach oben. Seto drehte sich lediglich um. Da er einen langen Oberkörper hatte, konnte er nun Joey direkt in die hellbraunen, schwachen Augen sehen. Sie wirkten erschöpft, abgekämpft und Seto konnte den Blick nicht von ihnen abwenden. Er sah den Schmerz in ihnen, den er versuchte zu verbergen, doch in diesem Augenblick konnte er in diesen Augen lesen wie in einem offenen Buch. Es ging dem Blonden nicht gut und es belastete ihn doch mehr, als er zugeben wollte. „Joey!“, riefen die anderen und der Blonde brach den Blickkontakt ab und wandte sich zunächst an Mokuba, der leise schluchzend den Kopf auf seinen Oberkörper gelegt hatte. „Hey Kleiner, alles gut. Nur ein kleiner Schwächeanfall, weil ich die Woche zu wenig geschlafen habe … Ich werde heute Nacht ordentlich schlafen und morgen bin ich wieder topfit. Du weißt doch, dass ich nicht so schnell unterzukriegen bin.“ Mokuba nickte leicht und schien sich auch allmählich wieder zu beruhigen. „Entschuldigt Freunde, aber anscheinend war die Woche mit drei Stunden Schlaf pro Nacht wohl doch etwas anstrengender, als ich dachte. Wir treffen uns die Tage nochmal in Ruhe, ja?“ „Ja natürlich, kein Problem. Ruh du dich ordentlich aus und mach morgen einen freien Tag, ja?“ Tea lächelte ihn leicht an und drückte kurz seine Hand. Sie wartete ein Nicken ab und trat dann beiseite, als Seto dazwischenredete. „Von mir aus könnt ihr auch hier übernachten und morgen den Tag mit ihm verbringen. Dann habe ich wenigstens mal einen Tag Ruhe vor ihm.“ „Echt? Ist das wirklich in Ordnung?“, hakte Tristan nach und Kaiba nickte. „Ja, solange ihr euch leise und gesittet verhaltet. Sonst lasse ich euch sofort rausschmeißen und Hausverbot erteilen“, drohte Kaiba, doch der Kindergarten sah ihn nur glücklich an und grinste. „Danke“, nuschelte Joey und lächelte ihn sanft an, was Seto dazu veranlasste, dieses Mal den Blickkontakt als Erster abzubrechen. Nicht, dass er noch einen Rotschimmer auf den Wangen bekam, so süß, wie das Lächeln ausgesehen hatte. Das wäre viel zu peinlich. „Ich tu das für Mokuba, weil er euch mag“, brummte er genervt und stand vorsichtig wieder auf. Sein Körper verlangte nach der Aktion nach seinen Schmerzmitteln und es gab keinen Grund, ihm diese vorzuenthalten. Zur Abwechslung erwiderte Joey nichts, sondern lächelte nur. „Bis morgen dann. Frühstück gibt es um 9 Uhr“, informierte er alle und verließ mit Yuuto den Raum, als der Hausarzt hereineilte. Der Anwalt ließ ihn eintreten und verabschiedete sich dann bei ihm und sie vereinbarten, morgen alle einen freien Tag zu machen, sodass Yuuto erst Montag wieder in die Firma kommen musste. Selbstverständlich würde Seto morgen noch weiter Unterlagen durchsehen, aber dafür brauchte er den Anwalt nicht. Doch jetzt würde er seinem Körper auch erst einmal die wohlverdiente Ruhe gönnen, die er brauchte, um sich weiter zu erholen. Kapitel 32: Badespaß! --------------------- Sonntag, 18.09. Entspannt streckte sich Joey in seinem Bett und drehte den Kopf zum Fenster. Die Vorhänge waren offen und so konnte er deutlich den Herbstanfang sehen. Die Blätter am Baum vor dem Fenster waren bereits goldgelb und einige orange und rot gefärbt. Die Sonne stand tiefer als noch im Sommer und es wurde kühler. Er dachte an gestern Abend zurück, als er Seto in die Augen geschaut hatte und die Zeit für einen kurzen Moment stillgestanden hatte. Deutlich hatte er Sorge in ihnen gesehen und die Beruhigung, dass er wieder aufgewacht war. Sein Herz hatte vor Aufregung gegen seinen Brustkorb gehämmert und er hatte diesen Drang gehabt, ihn zu küssen, ihn zu sich zu ziehen und mit ihm zu kuscheln. Doch so sehr er sich das auch wünschte, Kaiba würde wohl immer nur den nutzlosen Straßenköter in ihm sehen. Frustriert seufzend über diese seltsamen Gedanken stand Joey auf und deaktivierte seinen Wecker. Nachdem der Arzt bestätigt hatte, dass er einen leichten Schwächeanfall gehabt hatte, hatte er sich mit Mokuba und den anderen noch etwas unterhalten, ehe er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, um zu schlafen. Und sein Körper hatte das ausgenutzt, denn ein Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass er 12 Stunden lang durchgeschlafen hatte. Doch jetzt fühlte er sich gut und machte sich schnell im Bad fertig, ehe er noch kurz in das Arbeitszimmer schlenderte, bevor es Frühstück gab. Zu seiner Verwunderung saß an seinem Platz Kaiba, der geschäftig Akten studierte und Emails zu beantworten schien. „Noch einer, der sich nicht an den freien Tag hält, was?“, fragte Joey amüsiert und schloss die Tür hinter sich. Er sollte wütend sein, dass Kaiba dort auf seinem Platz saß und wahrscheinlich bereits seine komplette Ordnung durcheinandergebracht hatte, obwohl er sich noch ausruhen sollte, doch es war seine Firma, seine Villa und seine Gesundheit, also konnte er da auch tun, was er wollte. „Was machst du hier, Joey? Du solltest dich wirklich an den freien Tag halten“, bemerkte Seto spitz, aber die Schärfe fehlte in seiner Stimme und er blieb vor dem Schreibtisch stehen. Wann war es so komisch zwischen ihnen geworden? Gestern Abend? Das Küsschen im Fahrstuhl? Irgendetwas hatte sich verändert und er war unsicher, wie er damit umgehen sollte. Konnte er einen Schritt auf ihn zu machen? Würde Seto das zu lassen? Oder würde er zwei nach hinten gehen? „Ich wollte nur schnell die Emails checken“, antwortete der Blonde ehrlich und Seto schloss die Akte und schaute ihn eindringlich an. „Hör zu, Joey. Ich bin dir dankbar für deine Hilfe, insbesondere, dass du dich um meinen Bruder gekümmert hast, als er dich brauchte. Aber du hattest gestern Abend einen Schwächeanfall, also wirst du heute nicht eine Email öffnen. Leg das Firmenhandy hier ab und dann geh zu deinen Freunden. Ich brauche dich in den nächsten Wochen fit.“ Überrascht nickte Joey. Wenn Seto ihn schon freiwillig mit seinem Vornamen ansprach und dankbar war, sollte man das einfach hinnehmen und auf ihn hören. Das würde er nie wieder von ihm zu hören bekommen. Verdammt, warum hatte er kein Diktiergerät laufen gehabt? Er holte das Firmenhandy aus der Hosentasche und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Er widerstand dem Drang, um den Schreibtisch herum zu gehen und ihn zu küssen – was sollten diese Gedanken nur!? – und marschierte stattdessen zur Tür. Er legte die Hand auf die Türklinke und drehte sich dann doch noch einmal um. „Sag bitte Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Du brauchst schließlich auch noch viel Ruhe.“ Seto nickte ihm zu, dann verließ er das Büro wieder und schlenderte nach unten in die Küche, wo er sich als erster an den gedeckten Tisch setzte. Es dauerte noch eine viertel Stunde, bis der Rest da sein sollte und so holte er sein Privathandy aus der anderen Hosentasche heraus, als er erstarrte. Das war ja das Firmenhandy! So ein Mist, schoss es Joey durch den Kopf und marschierte zurück zum Arbeitszimmer. Er klopfte kurz und trat dann ein, sah Seto grübelnd über einer Akte und entschuldigte sich kurz für die Störung. Er tauschte die Handys wieder aus und verließ den Raum wieder. Kaiba hatte ihn dieses Mal nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Manchmal verstand er ihn einfach nicht. Während er zurück zur Küche schlurfte, checkte er seine Privatmails und Chats, doch es war nichts Dringendes dabei. Also nahm er wieder Platz und hörte vom Foyer her seine Freunde. Warum kamen sie denn von dort? Sie hatten doch im gleichen Flügel geschlafen wie er? Irritiert schaute er zu Hina, die nur mit den Schultern zuckte. Offenbar hatte sie auch keine Ahnung, was los war. Doch kaum, dass sie den Raum betraten, verstand er es. Sie hatten sich zu Hause umgezogen und noch Taschen dabei. „Wollt ihr hier einziehen oder warum habt ihr noch Sporttaschen dabei?“, fragte Joey grinsend und Yugi antwortete: „Quatsch! Aber Mokuba meinte eben, dass heute super Wetter werden soll und wir im Pool schwimmen könnten. Da haben wir noch unsere Badesachen geholt!“ „Pool klingt nach einer hervorragenden Idee!“, stimmte er sofort zu und begann zu essen, als sich alle hingesetzt hatten. „Was ist mit Kaiba? Der schläft doch nicht noch, oder?“, hakte Duke nach und Joey schüttelte den Kopf. „Ne ne, der arbeitet.“ „Aber er ist doch auch noch verletzt“, gab Tea zu bedenken, als Mokuba seufzend reinkam. „Als ob ihn das jemals von der Arbeit abgehalten hätte. Es ist schon ein Wunder, dass er noch nicht wieder voll arbeitet.“ „Keine Sorge, Kurzer. Ich werde ihn die nächsten Wochen noch davon abhalten und auch mehr auf meinen eigenen Schlaf achten“, meinte Joey lächelnd und der Kleine nickte. Auch er hatte sich irgendwie verändert, aber erst seit gestern Abend. Ob es an seinem Schwächeanfall gelegen hatte? Es war alles so seltsam zurzeit. Den Tag im Pool genoss Joey sehr. Auch dass seine Freunde da waren und sie gemeinsam Spaß haben konnten, gefiel ihm. Zumal er dadurch Kaiba und die Gedanken über ihn für ein paar Stunden vergessen konnte und sich richtig erholte. Es war immer wieder befreiend, mit seinen Freunden etwas zu unternehmen und viel zu lachen. Bis auf Yugi mussten sich seine Freunde gegen 18 Uhr auf den Weg machen, der Knirps jedoch blieb noch etwas länger und sie zogen sich in den kleinen Salon zurück, um dort noch etwas zu reden. Obwohl er Tristan länger kannte, musste Joey mittlerweile zugeben, dass Yugi – oder besser noch der Pharao – sein bester Freund war. Mit dem ruhigen Yami zu reden, der ihm bei Duellen und auch sonst immer Mut machte, war wichtig für ihn. Und er bildete einen guten Gegenpol zu seinem eigenen impulsiven Verhalten. Man konnte sagen, sie balancierten sich gegenseitig aus. „Was trinken?“ „Nein danke, Joey. Also erzähl mal … Wie läuft es hier?“ Joey schenkte sich einen Scotch ein und ließ sich neben ihn auf das Sofa fallen. Er schwenkte das Glas mit den Eiswürfeln darin und starrte es an, als er berichtete: „Eigentlich ganz gut. Kaiba ist zufrieden mit dem, was Mokuba, Roland, Yuuto und ich in den letzten Wochen geleistet haben. Die Projekte konnten ohne Zeitverzug weitergehen und das diesjährige Weihnachtsgeschäft dürfte ein voller Erfolg werden. Nächste Woche haben Kaiba und ich unser erstes gemeinsames Geschäftsessen. Dann noch das Firmenjubiläum und danach werden wir wieder getrennte Wege gehen.“ „Du klingst nicht sehr überzeugt, Joey. Entschuldige meine indiskrete Frage, aber kann es sein, dass du in Kaiba verliebt bist?“ Yami fragte ihn ganz ruhig und ohne irgendwelche Anspielungen, wie zumindest Tristan das getan hätte und doch schockierte ihn die Frage. Dabei war er sich ja selbst nicht einmal sicher, ob das der Fall war oder nicht. Doch so direkt gefragt zu werden und es laut auszusprechen, gab der Sache noch eine deutlich realere Dimension. Andererseits verspürte er das Bedürfnis, Kaiba zu küssen, in seiner Nähe zu sein und ihn besser kennenzulernen. Das war doch schon eindeutig, oder? „Ich weiß es nicht. Auch wenn es aufgrund von Mokubas Plan gezwungen ist, dass wir uns in der Öffentlichkeit küssen oder einen Arm um den anderen legen, ist es doch ein schönes Gefühl. Nach den Jahren bei meinem Vater, der mich entweder ignoriert oder verprügelt hat, ist es einfach mal schön, so nette Gesten zu spüren. Aber ob ich deswegen in ihn verliebt bin? Ich glaube, wenn das jemand anderes tun würde, würde ich mich auch so wohlfühlen, aber ich würde es nicht als Verliebtheit bezeichnen. Dafür sind Kaiba und ich auch viel zu unterschiedlich.“ „Aber du würdest auch mit einem Mann eine Beziehung eingehen?“, wollte Yami weiter wissen und Joey musterte seinen besten Freund einen Moment. Wohin sollte diese Diskussion führen? Verstand er da etwas zwischen den Zeilen nicht? Yami schien das zu bemerken, denn er lächelte leicht und erklärte: „Ich will dir nicht zu nahetreten, Joey. Ich hätte bei dir nur irgendwie erwartet, dass du mit Mai durchbrennst.“ „Ich mag Mai sehr, aber eine Beziehung kann ich mir mit ihr irgendwie nicht vorstellen. Und ja, ich würde mich auch auf eine Beziehung mit einem Mann einlassen. Ich habe schließlich schon mit beiden Geschlechtern Sex gehabt.“ „Ach hattest du?“ „Ja, als ich damals die Monate als Barkeeper gearbeitet habe. Das hat sich ein paar Abende lang einfach so ergeben“, entgegnete Joey schulterzuckend und trank einen Schluck seines Scotch. Es war für ihn nichts Besonderes und er hatte kein Problem damit gehabt, auch auf die Avancen eines Mannes einzugehen. Der Sex war in seinen Augen sogar besser gewesen und warum sollte er sich dafür schämen? Es war ja nun sein Sexleben, um das es ging und da konnten die anderen brav ihre Nase heraushalten und einfach akzeptieren, was ihm gefiel und was nicht. „Hauptsache, du wirst glücklich, Joey. Du hast dir das verdient. Egal mit wem“, schloss Yami das Thema ab und lächelte ihn kurz an, ehe er sich streckte. „Ich sollte mich auch langsam wieder auf den Weg machen. Immerhin ist morgen wieder Schule …“ „Ja, ich werde gleich auch nur noch die Hausaufgaben machen und noch etwas lesen. Damit ich morgen wieder fit bin“, stimmte Joey zu und brachte Yami zur Haustür. Während der Stachelkopf seine Schuhe anzog, verabredeten sie sich noch für das nächste Wochenende und umarmten sich kurz zum Abschied. Dann verließ Yami die Villa und Joey begann, seinen Plan in die Tat umzusetzen und setzte sich in seinem Schlafzimmer an den kleinen Schreibtisch und bearbeitete die Hausaufgaben, die sie am Freitag aufbekommen hatten. Kapitel 33: Unbekannter Anrufer ------------------------------- Sonntag, 18.09. Joey hatte das Arbeitszimmer gerade wieder verlassen, als sein Handy klingelte. Ohne hinzuschauen, griff Kaiba es und nahm ab. „Ja, hier Kaiba.“ „Ich hatte eigentlich mit Mister Wheeler gerechnet. Das ist doch seine Privatnummer“, sagte eine Stimme am anderen Ende und irritiert schaute Kaiba kurz das Handy an. Tatsächlich war das nicht das Firmenhandy und wie er jetzt feststellte, war die Rufnummer unterdrückt worden. „Und mit wem habe ich die Ehre? Damit ich ihm ausrichten kann, dass Sie angerufen haben.“ „Da Sie es waren, der ihn aus der Telefonzelle geholt hat, sollten Sie doch wissen, wer ich bin“, begann die Stimme vergnügt und Seto setzte sich automatisch aufrecht auf den Stuhl und drehte sich um, schaute durch die große Fensterfront nach draußen in den Garten, der die Villa umgab. „Oder hat er es ihnen etwa verheimlicht? Dass er ein Ehrenmann ist, der die Schulden seines toten Vaters abarbeitet?“ „Was für Schulden?“, verlangte Seto zu wissen und fragte sich ernsthaft, in was für Probleme der Blondschopf da geraten war. Die Verletzungen, die er davongetragen hatte, waren alles andere als harmlos gewesen und von dem Telefonat mit Serenity wusste er auch, dass sein Vater kein unbeschriebenes Blatt war, aber das hier klang deutlich gefährlicher, als er gedacht hatte. Die Stimme am anderen Ende lachte und Seto stellten sich die Nackenhaare auf. Er glaubte, das Handy würde gleich einfrieren, so kalt war das Lachen und Seto nahm sich vor, weitere Recherchen zu veranlassen, als der Mann weitersprach: „Was ist er nur für ein Freund, dass er Ihnen so wichtige Dinge verheimlicht?“ Seto schwieg. Auf so eine billige Ansage würde er gar nicht erst eingehen. „Nun denn. Joeys Vater hat sich bei uns Geld geliehen, um es für Alkohol und Wetten ausgeben zu können und mittlerweile liegt die Summe bei 350.000$ und da er vor ein paar Monaten verstorben ist, ist es nun an Ihrem Freund, uns diese Summe zurückzuzahlen. Ich wollte ihn lediglich daran erinnern, dass bald wieder die nächste Rate fällig ist. Also dann, ich wünsche noch einen angenehmen Sonntag.“ Der Mann am anderen Ende hatte aufgelegt, noch bevor Kaiba etwas hatte sagen können. Irritiert legte er das Handy wieder an seinen Platz und dachte nach. 350.000$ war nicht wenig und wenn der Vater wirklich alles in Alkohol und Wetten investiert hatte, tat ihm Joey doch mehr leid, als er gedacht hatte. Geprügelt hatte er ihn allem Anschein auch und so begann sich der Brünette zu fragen, wie die Kindheit von Joey eigentlich ausgesehen hatte. Das Bild, was er hatte, war ähnlich düster wie das seiner eigenen Kindheit. Wenn das wirklich so stimmte, was er sich da zusammengereimt hatte, dann fragte er sich doch, wie aus ihm so ein fröhlicher, fürsorglicher, junger Mann geworden war. Das schien an ein Wunder zu grenzen. Auf jeden Fall würde er der Sache weiter auf den Grund gehen, das stand fest. Draußen Schritte hörend wandte er sich schnell wieder Akten zu und studierte diese, als Joey auch schon hereinkam und sich entschuldigte, weil er die Handys verwechselt hatte und verschwand wieder aus dem Büro. Als sich die Schritte weit genug entfernt hatten, rief Kaiba eine Angestellte in der IT an und bat tiefergehende Recherchen über Joeys Familie und den Geldströmen des Vaters. Sie versprach, so schnell wie möglich Informationen zu beschaffen und Seto widmete sich wieder der Arbeit, als ihm einfiel, dass er bereits Nachforschungen angeordnet hatte und prüfte seinen privaten Email Posteingang, den nicht einmal Mokuba kannte. Dort war eine neue Email von seiner Angestellten mit weiteren Informationen über Joeys Vater und mit zusammengezogenen Augenbrauen studierte er die Informationen, die wirklich kein einziges gutes Haar an diesem Mann ließen. Choleriker, nach der Scheidung saufend und prügelnd aufgefallen, doch das Jugendamt hatte nichts unternommen, sodass Joey weiter hatte allein durch diese Hölle gehen müssen. Offenbar hatte auch der Blonde sein Päckchen zu tragen. Am Anfang der Sommerferien war der alte Mann an einer Alkoholvergiftung gestorben. Wahrscheinlich war das das Beste, was Joey hatte passieren können und zugegeben auch ein passender Tod für den Säufer. Er loggte sich aus dem Emailaccount aus und ließ sich gegen seine Rückenlehne fallen. Sein Bild über Joey änderte sich derzeit fast täglich und obwohl sie seit Jahren zur Schule gingen, hatte er den Eindruck, dass er jahrelang mit einem Fremden zu tun gehabt hatte. Dennoch würde er die Kollegin aus der IT recherchieren lassen. Vielleicht entdeckte sie ja noch andere Dinge. Als er sich mittags eine Kleinigkeit zu essen holte, bevor gleich sein Hausarzt kam, bemerkte er den Kindergarten unten im Pool. Auch Mokuba war dort und so wie sie lachten, hatten sie eine Menge Spaß. Ab und zu genoss er es auch, ein paar Runden im Pool zu drehen, aber eigentlich hatte er ihn damals für seinen kleinen Bruder bauen lassen. Ein paar Minuten beobachtete er die Gruppe – eigentlich nur Joey, wie er lachend Tea ins Wasser zog und Tristan wenig später unter Wasser drückte. Er wirkte befreit und Seto lächelte. Der Blondschopf sah glücklich aus. Ob er in seiner Anwesenheit auch mal so ausgelassen lachen können würde? Schnell schüttelte er den Kopf, doch das Bild des lachenden Joeys und die Frage hatten sich bereits tief in sein Gehirn gebrannt. Abrupt wandte er sich von dem Anblick ab und humpelte weiter in die Küche. Hina servierte ihm eine kleine warme Mahlzeit und Seto aß in Ruhe, als eins der Hausmädchen mit dem Doktor reinkam. „Master Kaiba? Ihr Arzt möchte sie noch einmal untersuchen“, sagte sie, verbeugte sich leicht und verschwand dann wieder aus der Küche. „Natürlich. Ich esse nur eben auf“, stimmte er zu und der Arzt nickte. „Ich warte dann oben“, sagte er und marschierte zielsicher nach oben in sein zweites Schlafzimmer. Kaiba hatte das öffentliche Schlafzimmer, was sein Arzt und noch andere betreten durften und sein privates Schlafzimmer, das außer Mokuba niemand betreten durfte. Und er durfte das auch nur, wenn er klopfte und ein Herein abwartete. Das war der eine private Raum, der nur ihm gehörte. Die Untersuchung ergab, dass alles gut verheilte und er den Fuß langsam wieder etwas trainieren konnte. Er durfte ein paar Schritte ohne Krücken versuchen und den Fuß dabei aber noch nicht komplett belasten. Der Arzt stellte klar, dass auch wenn es schon deutlich besser war, er dennoch viel Ruhe brauchte und Seto nickte brav. Zwar ging das meiste in ein Ohr rein und durch das zweite wieder raus, aber das schien der Doktor nicht zu merken. Das war gut, denn dann musste er sich das nicht noch ein zweites Mal anhören. Nachdem der Arzt wieder gegangen war und Seto mit dem Fuß ein paar Schritte gegangen war, hatte er sich ein Buch genommen und setzte sich ans Fenster auf einen Sessel, um etwas zu entspannen. Er hatte eingesehen, dass sein Körper noch nicht wieder komplett fit war und wollte sich bis zum Abendessen etwas schonen. Da der Pool im Innenhof war und seine beiden Schlafzimmer zur anderen Seite hinausgingen, konnte er die Ruhe wenigstens auch genießen, ohne die ganze Zeit den Kindergarten sehen zu müssen. Also entspannte er sich bei seinem Roman, bis das Hausmädchen ihn nach ein paar Stunden auf das Abendessen aufmerksam machte. Auf dem Weg nach unten hörte er Stimmen aus dem kleinen Salon und interessiert blieb er neben der angelehnten Tür stehen. Es waren Joey und Yugi, die sich unterhielten. Da sonst niemand da war, blieb er stehen und lauschte den beiden ungeniert. „Nein danke, Joey. Also erzähl mal … Wie läuft es hier?“, fragte Yugi und Joey schwieg etwas, ehe er antwortete: „Eigentlich ganz gut. Kaiba ist zufrieden mit dem, was Mokuba, Roland, Yuuto und ich in den letzten Wochen geleistet haben. Die Projekte konnten ohne Zeitverzug weitergehen und das diesjährige Weihnachtsgeschäft dürfte ein voller Erfolg werden. Nächste Woche haben Kaiba und ich unser erstes gemeinsames Geschäftsessen. Dann noch das Firmenjubiläum und danach werden wir wieder getrennte Wege gehen.“ Ach? Hatte er sich das so schon überlegt? Dass sie nach dem Jubiläum ihre Trennung verkünden würden? Gut, dass er das auch noch erfuhr … „Du klingst nicht sehr überzeugt, Joey. Entschuldige meine indiskrete Frage, aber kann es sein, dass du in Kaiba verliebt bist?“ Was war das denn jetzt für eine Frage? Als ob Wheeler etwas von ihm wollte! Sie waren wie Feuer und Eis und passten auch überhaupt gar nicht zusammen. Das war absolut lächerlich. Und trotzdem schlug sein Herz etwas schneller, als er die Stimme des Blonden hörte. „Ich weiß es nicht. Auch wenn es aufgrund von Mokubas Plan gezwungen ist, dass wir uns in der Öffentlichkeit küssen oder einen Arm um den anderen legen, ist es doch ein schönes Gefühl. Nach den Jahren bei meinem Vater, der mich entweder ignoriert oder verprügelt hat, ist es einfach mal schön, solche Gesten zu spüren. Aber ob ich deswegen in ihn verliebt bin? Ich glaube, wenn das jemand anderes tun würde, würde ich mich auch so wohlfühlen, aber ich würde es nicht als Verliebtheit bezeichnen. Dafür sind Kaiba und ich auch viel zu unterschiedlich.“ Obwohl Joey das aussprach, was er eben noch gedacht hatte, fühlte er dennoch dieses Unbehagen. Was war nur los mit ihm? Es war wohl wirklich gut, wenn Joey bald wieder ging und er sich wieder ganz auf sein Leben konzentrieren konnte. Und was diesen versoffenen Vater anging, hätte er den doch gern mal kennengelernt und gezeigt, was es bedeutete, wenn man schlecht mit seinem Kind umging. Er bekam blanke Wut, wenn er daran dachte, dass er Joey verprügelt hatte. Und das offenbar auch noch regelmäßig! Was Gozaburo mit Mokuba und ihm gemacht hatte, war schändlich – keine Frage –, aber er hatte nie einen von ihnen verprügelt. Das war wirklich das letzte! Ein Gedanke schlich sich nach vorn und Seto schluckte trocken. Diese ganzen Veilchen und andere Blessuren, die er früher immer gehabt hatte. Waren die von seinem Vater? Und nicht von irgendwelchen unsinnigen Prügeleien, die er früher gerne mal angezettelt hatte? Und hatte er diese angezettelt, um gegen die eigene Hilflosigkeit bei seinem Vater anzukämpfen? Seto lehnte sich an die Wand. Er hatte heute viel Neues über den Blonden gelernt und er musste das erst noch in Ruhe einordnen, bevor er wusste, wie er damit umgehen wollte. „Aber du würdest auch mit einem Mann eine Beziehung eingehen?“, wollte der kleine Stachelkopf wissen und Kaiba wurde hellhörig. Yugi nahm jedenfalls auch kein Blatt vor den Mund. Das musste man ihm lassen. Anscheinend verstand Joey das etwas falsch, denn der Stachelkopf erklärte: „Ich will dir nicht zu nahetreten, Joey. Ich hätte bei dir nur irgendwie erwartet, dass du mit Mai durchbrennst.“ „Ich mag Mai sehr, aber eine Beziehung kann ich mir mit ihr irgendwie nicht vorstellen. Und ja, ich würde mich auch auf eine Beziehung mit einem Mann einlassen. Ich habe schließlich schon mit beiden Geschlechtern Sex gehabt.“ „Ach hattest du?“ Das war allerdings auch für den Firmenchef etwas Neues. Irgendwie war er immer davon ausgegangen, dass Joey noch Jungfrau war. „Ja, als ich damals die Monate als Barkeeper gearbeitet habe. Das hat sich ein paar Abende lang einfach so ergeben“, entgegnete Joey schlicht und Seto war beeindruckt. Offenbar ging er mit seiner Sexualität genauso entspannt um wie er selbst. Das war gut, denn alles andere machte die Dinge nur viel zu kompliziert. Wenn er es also darauf anlegen würde, könnte er eine Nacht mit Joey verbringen … Ihm war nicht klar, warum ihm der Gedanke so behagte oder vielleicht wollte er es auch einfach noch nicht einsehen, doch es war für den Fall der Fälle gut zu wissen. „Hauptsache, du wirst glücklich, Joey. Du hast dir das verdient. Egal mit wem“, schloss Yugi das Thema ab und Kaiba beschloss, dass er genug gehört hatte. Er humpelte in die Küche und nahm dort sein Abendessen allein zu sich, da Mokuba bereits fertig war und ließ die neuen Informationen noch sacken. Irgendwie sagte ihm sein Gefühl, dass die nächsten Wochen noch sehr anstrengend werden würden. Kapitel 34: Nur Schauspielerei? ------------------------------- Montag, 19.09. „Ich werde einen Arm um dich legen, wenn wir ausgestiegen sind, um dich zu stützen. Denn auch wenn der Fuß gut verheilt, darfst du ihn trotzdem nicht überanstrengen. Außerdem müssen wir auch in der Schule … Na, du weißt schon“, brummte Joey genervt und saß neben Kaiba in der Limousine. Es war Montagmorgen und der CEO hatte sich natürlich nicht davon abhalten lassen, bereits heute wieder die Schule zu besuchen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er sich noch eine Woche zu Hause ausgeruht hätte, zumal er keine Lust auf all die anderen Schüler hatte, die sie wieder nerven würden. Nachdem publik geworden war, dass er Vertretung und Kaibas Lebensgefährte war, hatten sie ihn die Zeit über terrorisiert und Joey war kurz davor gewesen, die Schule einfach abzubrechen, aber er brauchte den Abschluss und vor allem brauchte er einen mit guten Noten, um bessere Chancen auf einen vernünftigen Job zu haben. Aber jetzt, wenn er mit Seto gemeinsam in die Schule kam, würden wieder alle durchdrehen und dieses Mal bestimmt so richtig. Zwar wären sie auch schneller wieder ruhig, denn immerhin konnte Kaiba sie gefühlt an Ort und Stelle mit seinem Blick einfrieren, doch das Getuschel und die Blicke würden wieder unerträglich werden. „Ja, ist gut. Bringen wir es hinter uns“, brummte auch Kaiba und Joey musterte ihn einen Augenblick. Anscheinend gab er sich seit seinem Unfall deutlich schneller geschlagen als vorher. Daran musste er sich noch gewöhnen, denn früher war jedes Gespräch ein Kampf gewesen. Daher war er auch immer auf ellenlange Diskussionen eingestellt, sobald er ein Gespräch mit ihm begann, doch es war wohl an der Zeit, sich etwas umzustellen – zumindest, solange er noch Tabletten schlucken musste. An der Schule angekommen, öffnete der Blonde die Tür und wurde sofort von einem Blitzlichtgewitter empfangen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er überhaupt wieder etwas sehen konnte und bemerkte, dass er ein Mikrofon unter der Nase hatte und eine Kamera direkt vor seinem Gesicht. Diese elendigen Reporter! „Es heißt, dass Seto Kaiba aus dem Krankenhaus entlassen wurde! Stimmt das? Wie geht es ihm?“, fragte eine aufgeregte Reporterin und Joey atmete innerlich tief durch. Sie alle anzubrüllen und zu verprügeln, brachte ihm viel mehr Ärger ein. Das war es alles nicht wert. Also ruhig und sachlich bleiben. „Kein Kommentar.“ Natürlich wollten die noch viel mehr wissen, doch der Sicherheitsdienst der Schule, der eigens von Kaiba für solche Fälle eingestellt worden war und bezahlt wurde, entfernte sie alle vom Gelände und außer Sichtweite, damit Kaiba in Ruhe aussteigen konnte, was dieser dann auch tat. Joey half ihm dabei und legte dann, wie abgesprochen, einen Arm um seine Taille und sie verabschiedeten sich von Roland. Für die anderen Schüler sah es so aus, dass sie einfach nur kuschelnd das Gebäude betraten und das war genau das, was Joey auch erreichen wollte. Zum einen musste Kaiba sich nicht die Blöße geben, dass er noch immer verletzt war, obwohl er unter seiner Schuluniform noch immer Verbände trug und zum anderen gaben sie so das verliebte Pärchen, was sie zur Schau stellen mussten. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Vielleicht hatte Kaiba deswegen so schnell nachgegeben. Natürlich tuschelten die anderen und gaben sich nicht einmal die Mühe, es zu verbergen. Es war einfach lächerlich. Alle ignorierend öffnete Joey die Klassentür und betrat mit Seto den Raum, als alle Blicke auf sie gerichtet waren. Der Brünette, der ebenfalls einen Arm um seine Taille gelegt hatte, hielt mit der anderen Hand seine Schultasche, während Joey sie geschultert hatte. So standen sie einen Augenblick da, weil Seto anscheinend kurz seinen Fuß entlasten wollte und wurden von den anderen angestarrt. „Habt ihr noch nie ein Pärchen gesehen oder warum starrt ihr uns mit offenen Mündern an?“, fuhr Kaiba die Klasse an und Joey grinste. Er hatte in etwa dasselbe gedacht, es nur nicht laut ausgesprochen. „Dann ist das also wirklich alles wahr? Dass ihr seit fast zwei Jahren ein Paar seid? Aber so gut kann doch keiner schauspielern! Wir hätten das doch gemerkt!“ „Offenbar haben wir uns wohl den Oscar verdient, sonst hättet ihr das ja herausgefunden“, konterte Seto gelangweilt und der Blondschopf spürte einen leichten Druck von Setos Arm aus. Er schaltete schnell und setzte sich langsam in Richtung ihrer beiden Tische in Bewegung. Während seine Freunde sie nur freudig begrüßten und in sich hinein kicherten, hatte sich der Rest der Klasse noch nicht damit abgefunden, dass die Pärchennummer wirklich echt war, wenn er das Getuschel richtig verstand. Als Kaiba sich an seinen Platz gesetzt hatte, sah Joey, wie der Brünette aufgrund der blöden Kommentare von einigen Klassenkameraden mit den Augen rollte und ihm etwas sagen wollte. Also beugte er sich vor – war bestimmt etwas Geschäftliches –, doch dann legte er eine Hand in seinen Nacken und zog ihn nach unten. Bereitwillig ließ der Blonde ihn machen, immerhin war es schon fast Gewohnheit, Kaiba hin und wieder kurz zu küssen, um zu beweisen, dass sie wirklich ein Paar waren, doch dieses Mal war der Kuss um einiges länger und vor allem intensiver. Für einen Moment vergaß Joey, dass er gegen Setos Tisch gelehnt stand und sie in der Schule waren. Genießend schloss er die Augen und ließ sich in den Kuss fallen, den Kaiba kurzzeitig sogar in einen Zungenkuss vertiefte, was Joey mit einem wohligen Laut kommentierte, als die Schulglocke ertönte und Joey überrascht seine Augen aufriss. Er musterte Seto, sah in diese strahlend blauen Augen, die nichts Kaltes in diesem Moment hatten und dem Blickkontakt standhielten. Er war froh, dass die anderen in der Klasse ihn gerade nicht sehen konnten, da er mit dem Rücken zu ihnen stand. Sein Herz klopfte wie verrückt und auch sein Atem war leicht beschleunigt. Der Blick des Brünetten verursachte eine Gänsehaut bei ihm und seine Nackenhärchen kribbelten, wo Seto noch immer seine Hand hatte. „Du solltest dich hinsetzen, Schatz. Der Lehrer wird jede Sekunde hier sein“, sagte er leise, aber doch gut hörbar für die Schüler in ihrer Nähe und Joey nickte langsam. „Ja, du hast recht.“ Lächelnd gab er ihm noch ein schüchternes Küsschen auf die weichen Lippen und wandte sich dann von ihm ab. Das Gejohle der männlichen und Gequietsche der weiblichen Mitschüler und Mitschülerinnen war ihm natürlich nicht entgangen und noch immer starrten sie zu ihnen hinüber, doch Joey war das gerade sehr egal. Er hatte diesen Kuss so sehr genossen und er hätte am liebsten noch mehr, aber ganz bestimmt nicht in der Schule und erst nicht vor anderen Leuten. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde vor lauter Glück überquillen. Der Lehrer zeigte sich dann auch hocherfreut, dass Kaiba wieder am Unterricht teilnehmen konnte, was nicht anders zu erwarten gewesen war. „War es Ihnen möglich, den Stoff etwas nachzuholen, den wir in der Zwischenzeit behandelt haben?“ „Ja, Herr Shirokawa. Joey war so nett, alles mitzuschreiben und hat mir Kopien zur Verfügung gestellt, auch von den Arbeitsblättern. Ich bin also mit den aktuellen Themen vertraut.“ „Sehr schön. Ich wünschte nur, Sie hätten schon von Anfang an so einen guten Einfluss auf Mr. Wheeler gehabt, dann wären seine Noten schon früher deutlich besser gewesen.“ Seto lächelte erst leicht zu dem Blondschopf, der den Kopf zu ihm umgewandt hatte und dann zum Lehrer: „Joey ist niemand, der sich bevormunden lässt, Sir. Das tut er auch jetzt nicht. Es war seine Entscheidung, sich dieses Jahr mehr einzusetzen. Ich unterstütze ihn lediglich dabei.“ Joey traute seinen Ohren kaum. Es klang unglaublich schön, wie Kaiba über ihn sprach und er wünschte sich, dass es ernst gemeint wäre, doch mit einem Schlag wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es nur zur Show gehörte. Leider. Er durfte sich nicht um den Finger wickeln lassen. Es war alles nur geschauspielert. Mr. Shirokawa begann dann auch endlich mit dem Unterricht und Joey konzentrierte sich darauf, auch wenn es ihm etwas schwer fiel aufgrund des Kusses. Doch mit den Gedanken konnte er sich später beschäftigen, wenn er heute Abend irgendwann Feierabend hatte. Die Doppelstunde verging dann auch wie im Flug, wie ihm beim Klingeln auffiel und in der Pause ging er zu Kaiba rüber, mit dem er sich recht entspannt über den Unterricht unterhielt. Es war ein ganz neues Gefühl, halbwegs normal mit ihm zu reden und nicht direkt eingefroren oder in den Boden gestampft zu werden. Yugi und die anderen winkten kurz zu ihnen rüber und verließen dann das Zimmer. Sie hatten eine Sondergenehmigung drinnen zu bleiben, da sich Kaiba mit seinem Fuß noch immer nicht gut bewegen konnte. Am liebsten hätte Joey ihn sofort wieder geküsst, doch das war keine gute Idee. Er begann, sich in die Dinge zu verrennen und das würde ihm später alles nur unnötig schwer machen. Er musste die Distanz wahren und zwischen echt und Schauspielerei unterscheiden. Sonst würde er an dieser Geschichte zugrunde gehen. Und das wollte er nicht. Das durfte er nicht. „Woran denkst du gerade?“, fragte Seto mit ruhiger Stimme und Joey zuckte kurz zusammen. „An das Meeting mit der Grafikabteilung nachher. Weitere Verzögerungen bei den Grafiken können wir uns nicht leisten. Sonst wird das alles viel zu knapp“, log er. Er wollte es dem Firmenchef nicht gönnen, dass er erfuhr, wie er sich in seinen Gedanken eingenistet hatte. Das kam überhaupt nicht in Frage. Er widerstand dem prüfenden Blick des Brünetten, der nur nickte. „Ja, da hast du recht. Die müssen das langsam abschließen, damit wir weiterkommen.“ Die Pausenklingel ertönte und bevor er aufstehen und sich wieder an seinen Platz setzen konnte, zog Seto ihn plötzlich zu sich. Da Joey aber schon aufgestanden war und der CEO den Stuhl etwas vom Tisch weggerückt hatte, landete er etwas ungelenk auf seinem Schoß, als er sein Gleichgewicht verloren hatte. Mit roten Wangen schaute er Seto an und entschuldigte sich hektisch: „Es tut mir leid. Was zerrst du auch so an mir! Geht es deiner Hüfte gut? Oder tut es-“ Weiter kam er nicht, denn Seto versiegelte seine Lippen mit seinen eigenen. Überrascht keuchte er auf, dann schloss Joey wieder genießend die Augen und ließ zu, dass Seto sich weiter in seinen Gedanken einnistete. Er spürte seine langen Finger, die mit seinen Nackenhärchen spielten und ihm so einen Schauer nach dem nächsten verpassten. Die andere Hand hatte er an seiner Taille und seine Körperwärme schien sich durch seine Kleidung zu brennen. Joey tat es ihm gleich, legte ihm eine Hand in den Nacken, die andere auf eine Schulter und streichelte ihn, während er sich frecherweise Zutritt zu Setos Mundhöhle verschaffte. Er tat es einfach, hatte seine Gefühle und Handlungen nicht mehr unter Kontrolle und sein Kopf war wie leergefegt. Dieser ließ das natürlich nicht einfach durchgehen und begann sofort, seine Mundhöhle zu räubern und Joey keuchte genießend auf. Er wollte mehr und er wollte es am liebsten jetzt, doch die ersten Klassenkameraden kamen gerade wieder rein und fingen an zu johlen, als sie die Zwei entdeckten. Der Blonde löste daraufhin den Kuss, denn die Stimmung war dahin und er musste seinen Körper dringend beruhigen. Am besten dachte er an seine ehemalige Nachbarin. Die sah aus, wie eine alte Berghexe und diente perfekt dazu, um sich von sonstigen Gedanken zu befreien. „Du wirst zu gierig, mein Lieber“, kommentierte Joey mit einem feinen Lächeln und stand auf. Seto bedachte ihn nur mit einem frechen Blitzen in den Augen und einem Grinsen, dass überhaupt nichts mehr von diesem überheblichen, gemeinen Grinsen von früher hatte. Joeys Herz machte einen kleinen Satz, dann setzte er sich an seinen Platz und konzentrierte sich auf die alte Berghexe, die auch noch so ein gruseliges Hexenlachen draufhatte, um nicht weiter zu verraten, was für eine Wirkung Seto gerade auf ihn hatte. Während des folgenden Matheunterrichts klingelte Setos Firmenhandy und automatisch drehte sich Joey zu ihm um. „Entschuldigen Sie, aber das ist wichtig. Joey, magst du dich darum kümmern? Das ist Mr. Kawaii.“ „Ja klar, kein Problem“, erwiderte er lächelnd, stand auf und nahm das klingelnde Handy entgegen. Während er sich durch die Tischreihen schlängelte, nahm er bereits ab. „Ah, Mr. Kawaii. Hier ist Joey Wheeler. Mr. Kaiba lässt sich gerade entschuldigen, daher bin ich ran gegangen. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte er freundlich, zeigte einem Mitschüler einen Mittelfinger, den seine Lehrerin nicht sehen konnte und verließ den Klassenraum. „Hallo Mr. Wheeler, freut mich sehr. Es geht um das Geschäftsessen am Mittwoch. Ich wollte fragen, ob es möglich ist, das spontan auf heute zu verschieben, da mir etwas Privates dazwischengekommen ist. Würde 19 Uhr passen?“ „Einen Augenblick, ich prüfe mal eben den Kalender“, erwiderte Joey höflich und öffnete an Kaibas Handy den Kalender, in dem alle Termine eingetragen waren. Da auch Kaiba über ein Geschäfts- und ein Privathandy verfügte, hatte er den Pin für dieses bekommen, da dort nichts zu finden war, was ihn nichts anging. Das machte die Arbeit gerade deutlich einfacher. Im Gegenzug konnte Seto auch auf sein Geschäftshandy zugreifen, aber auch damit hatte der Blondschopf kein Problem. Solange niemand an sein Privathandy ging, war ihm der Rest relativ egal. „Da spricht nichts gegen. Das Restaurant bleibt das gleiche?“, vergewisserte er sich und notierte den neuen Termin im Kalender, während die Stimme am anderen Ende bestätigte. „In Ordnung. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und bis später“, verabschiedete sich Joey, wartete noch die Verabschiedung von Mr. Kawaii ab und legte dann auf. Einen kurzen Moment blieb er noch draußen stehen und genoss die Ruhe, doch als sich Seto mit diesen beiden Küssen wieder penetrant in seine Gedanken drängte, musste er schnell wieder an die alte Berghexe denken, sonst gab das noch ein Unglück und das musste er um jeden Preis verhindern. So schritt er lieber schnellen Schrittes zurück ins Klassenzimmer, bevor er noch so in Gedanken versank, dass die Stunde ohne ihn vorüber ging. Das wäre auch nicht gut. Er hatte sich in den letzten Monaten so verändert. Ihm war die Schule wichtig geworden, hatte von 0 auf 100 gelernt, für Tausende Mitarbeiter Verantwortung zu übernehmen und es fühlte sich gut an. Beinahe wie … Freiheit. Nach all den Jahren mit seinem Vater, der so oft betrunken gewesen war, der ihn geschlagen und beleidigt hatte, hatte er irgendwann selbst Zweifel gehabt, ob aus ihm etwas werden würde. Ob er das Zeug dazu hatte, besser als sein Vater zu werden. Und nun? Es war wohl nicht zu viel, wenn er dachte, dass er seine Feuertaufe bestanden hatte. Seine Finger berührten die Türklinke und noch ein weiterer Gedanke machte sich in ihm breit: Er hatte keine Angst mehr vor dem Schulabschluss oder was danach kommen würde. In ihm schien viel mehr zu schlummern, als er selbst jemals gedacht hätte und damit ließ sich doch bestimmt arbeiten! Mit neuem Mut öffnete er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen die Tür und bedankte sich kurz bei der Lehrerin, dann reichte er Seto das Handy zurück und informierte ihn knapp über die Terminverlegung und der Brünette nickte kurz. Dann nahm Joey wieder Platz und versuchte sich auf Mathe zu konzentrieren, was ihm aber nach wie vor schwerfiel. Nicht nur, weil Mathe ein Buch mit sieben Siegeln für ihn war, sondern auch weil er immer wieder an Setos Küsse denken musste. Schauspielerei hin oder her. Er hatte sie genossen und wollte mehr und das war nicht gut. Überhaupt nicht gut. Kapitel 35: Kantinenbesuch -------------------------- Montag, 19.09. Am liebsten hätte er Joey den ganzen Tag geküsst. Eigentlich war der erste vorhin nur dafür gewesen, um seine Klassenkameraden davon zu überzeugen, dass sie wirklich bereits fast zwei Jahre ein Paar waren – immerhin konnten sie Mokis Plan jetzt nicht einfach über den Haufen werfen –, doch als er gemerkt hatte, dass sich Joey in diesen Kuss fallen ließ, hätte er ihn am liebsten an Ort und Stelle verführt. Ein Grund, weshalb er den Blonden auch erst am Ende der Pause ein zweites Mal geküsst hatte, bevor er sich doch noch zu dummen Dingen hätte hinreißen lassen können und wieder war das Hündchen voll eingestiegen und raubte ihm fast den Atem. Verdammt, er wollte den Blondschopf. Und zwar so schnell wie möglich. Doch nach dem Telefonat und dem vorgezogenen Essen würde er sich wohl noch etwas gedulden müssen. Außerdem meldete seine innere Stimme Zweifel an, ob das wirklich seine klügste Idee war, aber er schob sie ab und beschloss, zu sehen, wie Joey auf weitere Annäherungen reagierte. Wenn er das so tat wie bisher, würde er den Kleineren noch heute Nacht verführen und wenn sie dafür morgen zu spät zur Schule kamen, dann war das eben so. Der Unfall hatte ihm bewusst gemacht, dass auch er nicht unverwundbar war und dass auch er nur dieses eine Leben zur Verfügung hatte, also warum sollte er es dann nicht auch nutzen? Es war ihm zwar ein Rätsel, warum er plötzlich so heftig auf das Hündchen reagierte, aber schlussendlich spielte es auch keine Rolle. Es war ja nicht so, dass er plötzlich in ihn verliebt war. Er wollte den Sex mit ihm, ihn körperlich spüren und hatte die leise Vermutung, dass eine Nacht mit ihm sehr befriedigend sein würde. Mehr nicht. Nach zwei weiteren Mathestunden und einer Japanischstunde war Mittagspause und das bedeutete, dass alle in die Kantine gehen mussten. Joey kam nach dem Klingeln wie ein braves Hündchen sofort zu ihm und Arm in Arm verließen sie den Klassenraum. Es war schlau von dem Blonden gewesen, das so einzufädeln, denn er konnte seinen Fuß entlasten, ohne wie ein Schwächling zu wirken und gleichzeitig so tun, als wären sie ein Liebespaar. Ihm war noch immer schleierhaft, wie Moki auf diese absurde Idee gekommen war und er war im Krankenhaus wirklich kurz vor einem Herzinfarkt gewesen, als er das zu hören bekommen hatte. Doch mittlerweile konnte er mit seinem Gewissen vereinbaren, dass Wheeler das doch besser gemanaged hatte, als erwartet. Viel besser. Es gab keine einzige Beschwerde über ihn und selbst das Getuschel der Abteilungsleiter hielt sich überraschenderweise in Grenzen, was er so hörte. Wie es schien, hatte der Blondschopf sich komplett reingekniet und eigentlich sollte ihn das nicht wundern. Schon immer schien die Devise bei ihm zu lauten: Ganz oder gar nicht. Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass er froh war, wenn er endlich wieder fit war und sich allein um seine Firma kümmern konnte. Und das Versprechen, dass er Wheeler danach nie wiedersehen musste, war ebenfalls verlockend. Immerhin war ihm vollkommen klar, dass er nur auf den Blonden so reagierte, weil sein letzter Sex schon einige Zeit her war. Und vielleicht wollte er nach diesem einschneidenden Erlebnis auch einfach jemanden haben, der bei ihm war. Das war für die nächsten Wochen für ihn ok, aber dann war es auch wieder in Ordnung, wenn er allein war und seine Zeit der Firma widmete. Die beanspruchte ihn nämlich schon genug. Er spürte, wie Joey neben ihm verkrampfte, weil auch ihm bewusst wurde, was der Gang zur Kantine bedeutete und aus einem Impuls heraus strich er ihm beruhigend über den Rücken und beugte sich leicht zu ihm, um zu flüstern: „Einfach ignorieren.“ „Das sagt sich so leicht … Du musstest das Gerede ja auch noch keine drei Wochen mitmachen …“ „Überlass das mir.“ Das hier würde heute auf jeden Fall der anstrengendste Teil des Tages werden, denn alle Schüler konnten sie zusammen sehen und Kommentare abgeben – als wären sie irgendwelche Ausstellungsstücke. Sie betraten die Kantine und wie zu erwarten war, waren auch hier sofort sämtliche Blicke auf sie gerichtet. Seto drückte seinen Arm leicht in Joeys Rücken, damit dieser gerade ging und so mehr Selbstbewusstsein ausstrahlte. Das konnte bei einigen Leuten schon Wunder bewirken. Sie stellten sich hinter dem Kindergarten in die Schlange und Joey quatschte nebenbei etwas mit Duke und Tea, um sich abzulenken, während er selbst auf sein Handy schaute, um die neuesten Emails zu studieren. Da das Restaurant bei ihm in der Nähe war, wären sie wahrscheinlich gegen 21 Uhr wieder zu Hause, das war in Ordnung. Dann konnte er immer noch schauen, wie sich der Abend entwickelte. „Ich fass es nicht. Der reiche Sack ist tatsächlich eine Schwuchtel!“, rief plötzlich ein Schüler und Seto verdrehte genervt die Augen. Doch er kam gar nicht dazu zu antworten, denn Joey war bereits dabei: „Lieber eine glückliche Schwuchtel als ein dummes Arschloch! Und jetzt verpiss dich, du homophober Wichser!“ „Ach, wie süß. Das kleine Hündchen verteidigt sein Herrchen. Holt er sich beim Vögeln denn auch keine Flöhe von dir?“, flötete der Typ und brach zusammen mit ein paar anderen aus seiner Clique in schallendes Gelächter aus. Kaiba schüttelte nur – ohne aufzusehen – den Kopf, doch wie zu erwarten, sprang der Blondschopf natürlich sofort darauf an und auch Tristan und Duke waren bereit, sich einzumischen und ihren Kumpel zu unterstützen. Seto verstärkte seinen Griff um Joeys Taille und spürte, wie seine Muskeln bis zum Äußersten angespannt waren. Noch ein Kommentar und hier würde die große Prügelei losgehen. Das sollte er verhindern, denn es schmälerte die Aussichten des Hündchens auf einen Schulabschluss enorm und dieser Idiot war es nicht wert, deswegen von der Schule zu fliegen. „Joey, ignorier ihn. Du willst doch nicht wegen ihm deinen Abschluss verpassen“, versuchte er den Blondschopf zu beruhigen, doch der Kleinere zitterte bereits vor Wut. Sie schmissen sich noch weitere Beleidigungen gegenseitig an den Kopf, bis Joey endgültig bereit war, loszustürmen. Seto riss ihn in letzter Sekunde beinahe mit Gewalt zu sich herum, hielt ihn ganz eng bei sich und küsste ihn ein drittes Mal heute. Sofort entspannten sich die Muskeln des Hündchens und bereitwillig erwiderte er den Kuss ebenso leidenschaftlich. Eine Hand legte der Blonde in seinen Nacken, um ihn nah bei sich zu behalten und Seto musste sich eingestehen, dass er gar nicht weg wollte. Durch den Saal ging ein Raunen, dass wie eine Welle erst lauter und dann wieder leiser wurde. Offenbar waren die anderen Schüler nicht davon ausgegangen, dass sie von nun an so offen mit ihrer „Beziehung“ umgehen würden, wo sie jetzt offiziell war. Seine zweite Hand legte Joey auf seinen Oberkörper, da, wo sein Herz war, und Seto fragte sich, ob er spürte, dass es schneller als sonst schlug. Er selbst hingegen kraulte wieder den Nacken des Hündchens und so blieben sie einige Sekunden stehen, die anderen ausblendend, und konzentrierten sich auf diesen Kuss und mussten aufpassen, dass sie es nicht übertrieben. Also löste Kaiba den Kuss wieder, bevor sie die Kontrolle verloren und nahm zufrieden wahr, dass der Rest schwieg. Zumindest für ein paar Sekunden, ehe ein paar anfingen zu klatschen und zu johlen, was ihn dazu veranlasste, eine Augenbraue zu heben, als er sich umschaute. Was war denn jetzt wieder deren Problem? Auch Joey schien verwirrt zu sein, hatte noch immer die Hand auf seiner Brust liegen und schaute sich ebenfalls um. „Lasst euch bloß nicht von den Idioten ärgern. Ihr seid ein tolles Paar und passt toll zusammen“, sagte eine Schülerin, die Kaiba im selben Jahrgang vermutete. Er nickte ihr nur kurz zu und Joey bedankte sich bei ihr, dann schlenderten sie weiter Richtung Tresen, da die Schlange vor ihnen bereits fast weg war, um sich das Mittagessen abzuholen. Selbstverständlich hatte Kaiba einen Koch eingestellt und förderte die Kantine, damit sie auch vernünftiges Essen serviert bekamen und nicht irgend so einen Fraß, der einen wahrscheinlich noch vergiftete. „Kannst du das Tablett tragen oder soll ich dir helfen?“, fragte Joey ihn und Seto winkte ab. „Das sollte gehen. Ich geh dann schon mal vor.“ „Mach das, ich komm gleich“, meinte der Blonde und Kaiba griff sich sein volles Tablett und marschierte zielstrebig zu dem Tisch, an dem der Kindergarten immer aß. Den leichten Schmerz im Fuß ignorierte er dabei. Ohne zu fragen, setzte er sich neben Tea und Joey, der hinter ihm war, nahm ihm gegenüber und neben Yugi Platz. „Hoffentlich kehrt bald wieder Ruhe ein. Diese Kommentare gehen mir so auf die Eier“, brummte der Blonde sichtlich genervt, begann zu essen und seine Freunde stimmten ihm zu. Es war komisch, nicht allein zu essen, wie er es sonst immer tat, aber er stellte überrascht fest, dass es so in Ordnung war. Anscheinend gewöhnte er sich langsam an den Kindergarten. Ob das jetzt wirklich gut war, ließ er mal dahingestellt, doch Joey zuliebe würde er sich so oder so damit abfinden müssen. Wieso eigentlich ihm zuliebe? Als wäre er in ihn verliebt. Er wollte ihn im Bett haben, das definitiv, aber das hieß noch lange nicht, dass er Gefühle für den Blonden entwickelt hatte. Das war ausgemachter Blödsinn. „So schnell werden die sich leider nicht einkriegen. Dafür sind diese Idioten viel zu engstirnig, als dass sie damit klarkämen, dass es schwule Männer gibt“, erwiderte Kaiba und Joey seufzte. „Ja, da hast du wohl recht. Und natürlich sind sie auch nicht in der Lage, sich um ihre eigenen Probleme Gedanken zu machen, sondern hacken lieber auf anderen herum. Ich bin so froh, wenn das Schuljahr rum ist.“ „Hast du denn mittlerweile einen Plan, was du nach der Schule machen möchtest?“, fragte Tea interessiert, lenkte so das Thema in eine andere Richtung und der Angesprochene entgegnete geheimnisvoll: „Ja, ich habe einen Plan, aber er steht noch nicht zu 100% fest, daher werde ich ihn auch noch nicht verraten.“ Seto hob eine Augenbraue und war doch neugierig, was für ein Plan das sein sollte. Und er ignorierte den leichten Stich, den er aufgrund dieser Aussage spürte, denn er war sich sicher, dass er in diesem Plan keine Rolle spielte. Und das wurmte ihn. Viel zu sehr, denn es sollte ihm egal sein. Er hatte eine Firma zu leiten und musste sich um seinen kleinen Bruder kümmern. Da blieb keine Zeit für eine feste Beziehung. Wieso schwankten seine Gedanken so sehr bei dem Thema? Das war so anstrengend. Was hatte Mokuba nur mit dieser Schnapsidee angerichtet? Kapitel 36: Spontane Planänderung --------------------------------- Montag, 19.09. Joey versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Nach den drei atemberaubenden Küssen half nicht einmal mehr die alte Berghexe. Das war ihm noch nie passiert, dass sie ihre Wirkung verfehlte. Also irgendetwas lief wirklich schief. Oder richtig gut. Das kam jetzt darauf an, welche Sichtweise man vertrat. Joey würde sich liebend gern auf den Firmenchef einlassen, in seinem Tagtraum auf dem Weg von der Schule zur Firma hatte er sich etwas gehen lassen und vorgestellt, wie sie gemeinsam die Firma leiteten und tatsächlich ein Paar waren. Das hatte Joey ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert und den Rest des Tages hatte er so gute Laune, dass sogar Yuna fragte, ob alles in Ordnung war, als sie ihm auf dem Gang begegnet war. Jetzt aber, wo er in der Villa wieder einmal vor seinem Spiegel stand und das Anzugoutfit prüfte, kamen die Zweifel zurück. Es war alles nur geschauspielert. Es war Mokubas Idee gewesen, sie als Paar auszugeben, damit er eine Begründung hatte, warum er Setos Stellvertreter war, doch er hatte Zweifel, ob das bei ihm alles nur noch geschauspielert war. Diese – zumindest oberflächliche – Seite, die Kaiba ihm zeigte, gefiel ihm. Das konnte er nicht leugnen. Eben weil sich Seto nicht mehr als Eisschrank ausgeben konnte, weil sonst alles ungläubig gewirkt hätte. Aber er durfte einfach nicht vergessen, dass es nur gespielt war, verdammt. Das konnte doch nicht so schwer sein! War er nach allem, was in seinem Leben passiert war, so froh darüber, dass jemand nett zu ihm war, dass er alles außer Acht ließ? Dass er schon bei einem Kuss völlig durchdrehte und die rosarote Brille auspackte? Das klang so erbärmlich in seinem Kopf! Es war noch immer Seto Kaiba und sie zofften sich, zickten sich an, da konnte er doch nicht zulassen, dass da etwas anderes in ihm wuchs, dass alles veränderte. Nein, das kam gar nicht in Frage. Außerdem würde Kaiba ihn so schnell wie möglich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Darauf musste er sich vorbereiten und etwaige Wunschvorstellungen wie vorhin, würden ihm alles nur noch schwerer machen. Gedankenverloren strich er über die Weste des Dreireihers, für den er sich entschieden hatte, weil er diese Art Anzug am liebsten mochte und griff nach den Manschettenknöpfen, die Roland ihm vorhin gegeben hatte. Es waren die gleichen wie immer. Dieses Mal hatte er sich für grau als Farbe entschieden, einem recht hellen, das gut zu seiner Stimmung passte. Denn grau war für ihn gerade alles, gefangen zwischen weiß und schwarz und nicht zu wissen, was er tun oder glauben wollte oder sollte. Hoffentlich war das bald alles vorbei und er konnte in seine neue kleine Wohnung einziehen. Den Umzug musste er auch noch bald planen. Das durfte er nicht vergessen, weshalb er zu seinem Schreibtisch ging und sich eine Notiz machte, damit er bei den nächsten Hausaufgaben daran dachte. Dann verließ er sein Zimmer und zog im Gehen sein Sakko über. Unten wartete Kaiba bereits, der – wie Joey vermutet hatte – einen dunkelblauen Anzug trug – ebenfalls einen Dreiteiler – und passenderweise mit einer grauen Krawatte. Joey hatte sich wohl weislich für eine dunkelblaue entschieden und so waren sie farblich komplett aufeinander abgestimmt, was schon etwas gruselig war. Aber nun gut, er ignorierte die Tatsache einfach. Einzig die Krücke störte den perfekten Anblick, doch Mokuba hatte wahrscheinlich darauf bestanden, dass er diese mitnahm. Es war ja auch besser für seine Genesung. Dass er das in der Schule noch nicht beherzigt hatte, weil er ihn die ganze Zeit gestützt hatte, wusste der Kurze nicht und Joey hielt es für schlau, das auch dabei zu belassen. Ansonsten würde der kleine Wirbelwind wahrscheinlich zu einem Hurrikane werden. „Hast du die Unterlagen?“, fragte Seto und Joey nickte. „Ja, Roland hat sie bereits in den Wagen gelegt. Wir können also los“, sagte er und schritt an dem Brünetten, den Blick in seinem Rücken ignorierend, vorbei zur Haustür, wo der Wagen bereits vorgefahren war. Seto schritt hinter ihm her, stieg ein und schloss die Tür hinter sich. Roland fuhr sofort los und Joey wusste einfach nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er ihn einfach am Kragen gepackt und ihn geküsst, bis sie beide keine Luft mehr bekamen und ihm minutenlang in die blauen Augen geschaut. Den ganzen Tag benahm er sich schon wie ein verliebter Teenager und er nahm sich vor, noch diese Woche mit Seto zu reden, damit er endlich wusste, wo er bei ihm stand. Sonst würde er noch durchdrehen! Dabei war ihm die Antwort eigentlich klar. Aber was, wenn … Wenn er auch nicht mehr nur schauspielerte? Wenn er vielleicht doch auch etwas spürte, wenn sie sich küssten? Nein, das war doch kompletter Unsinn! Du meine Güte, er sollte mal sich selbst zuhören. Das war ja absoluter Käse! Er würde gar nicht mit ihm reden, das wäre das peinlichste Gespräch seines Lebens. Sobald das alles hier abgeschlossen war und er in seiner neuen Wohnung, würden sich nach ein paar Tagen seine Hormone beruhigen und er konnte anfangen, sich nach einem guten Partner umzusehen. Einer, der nicht schauspielerte, der ihn wirklich liebte und der ihn nicht als Köter bezeichnete. Ja, das klang doch viel mehr nach einem guten Plan! „Bist du bereit?“, fragte Seto mit ruhiger Stimme. Joey schaute irritiert zu ihm rüber und stellte fest, dass sie bereits an ihrem Ziel angekommen waren. Hatte die Fahrt nicht eine halbe Stunde gedauert? War er die ganze Zeit in Gedanken versunken gewesen? Musste wohl … Er nickte langsam. „Ja, lass es uns hinter uns bringen“, murmelte Joey, schnappte sich die Aktentasche und stieg als erster aus dem Wagen. Danach half er Seto raus, damit er seinen Fuß nicht so belasten musste und sofort schlang dieser einen Arm um ihn. Joey lächelte leicht, wusste nicht, ob er sich wohl fühlen und es genießen sollte oder lieber zusammenreißen, weil nichts davon echt war. Es war unfassbar, wie ihn jede Bewegung des CEOs aus der Bahn warf. Zum Glück kannte niemand seine Gedanken. Um aber überzeugend in der Rolle zu bleiben, kuschelte er sich leicht an Seto und grüßte den Ober, der sie vor der Tür erwartete, mit einem Lächeln und kurzen Nicken. Auch Kaiba begrüßte diesen kurz und er führte die Zwei in das Restaurant zu Mr. Kawaii und dessen Frau, wie der Blonde annahm. Er löste sich von seinem „Partner“ und begrüßte zunächst die Dame, da Seto sich an Mr. Kawaii wandte. Damit war klar, dass Kaiba sich schon wieder in der kompletten Chefrolle sah, obwohl er noch immer krankgeschrieben war. Er war einfach unverbesserlich. „Guten Abend, Mrs. Kawaii. Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Ihr Abendgarderobe ist wirklich wunderschön, wenn ich das anmerken darf“, sagte er mit einem Lächeln und gab ihr einen angedeuteten Handkuss, was Mr. Kawaii dazu veranlasste, sich zu Wort zu melden, nachdem er Seto die Hand geschüttelt hatte: „Ihr Freund scheint mir ein sehr vorbildliches Benehmen zu haben, Mr. Kaiba.“ „Ja, das hat er“, erwiderte Seto lächelnd und begrüßte die Dame ebenfalls mit einem Handkuss, während Joey sich nun Mr. Kawaii vorstellte. „Es freut mich ebenfalls, Sie endlich persönlich zu treffen, Mr. Wheeler. Setzen wir uns doch alle erst einmal hin.“ „Die Freude ist ganz meinerseits, Mr. Kawaii“, stimmte Joey zu. Sie nahmen an einem runden Tisch Platz, Joey zwischen Seto und Mrs. Kawaii. Der Ober nahm die Bestellung auf, eine teure Flasche Wein, die Mr. Kawaii bestellte und Joey nahm noch ein Glas Wasser dazu. „Eine exzellente Wahl des Weins“, meinte der Blondschopf lächelnd und Mr. Kawaii musterte ihn interessiert. „Sie interessieren sich für Weine?“ „Ja. Die Mutter meines besten Freundes interessiert sich für Wein und hat mir bereits viel darüber beigebracht. Dennoch trinke ich keinen Alkohol, immerhin bin ich noch minderjährig“, erläuterte Joey mit einem seiner unwiderstehlichen Lächeln und Mrs. Kawaii tätschelte seine Hand und zwinkerte, als sie sagte: „Ach, in der Geschäftswelt geht es kaum ohne Alkohol, also kein Grund, so schüchtern zu sein.“ Er lächelte noch immer, dachte sich nur seinen Teil, dass sie gerade dabei war, einen Minderjährigen anzustiften und noch bevor er das Thema wechseln konnte, sprach Mrs. Kawaii weiter: „Wir sind so froh, dass wir die Ehre haben, Sie gemeinsam treffen zu dürfen. Und zugegeben bin ich schon neugierig, wie Sie sich kennengelernt haben.“ Joey schaute kurz zu Seto, der über das Thema gar nicht glücklich schien, was auch daran lag, dass er ihm auch gar nicht erzählt hatte, welche Story er sich ausgedacht hatte, also übernahm er schnell die Antwort, bevor es peinlich wurde: „Nun, wir kennen uns schon seit einiger Zeit aus der Schule. Und vor ungefähr zwei Jahren haben wir uns durch Zufall am Strand getroffen – Mokuba hatte ihn zu einem freien Tag am Meer genötigt – und sind ins Gespräch gekommen. Wir haben damals beide total die Zeit vergessen beim Reden und sind erst nach Mitternacht zu seinem Strandhaus gegangen. Danach haben wir uns immer wieder getroffen, sofern die Zeit es zuließ und dann hat es nach kurzer Zeit gefunkt. Weil wir beide unsere Privatsphäre sehr schätzen, haben wir diese Beziehung geheim gehalten. Doch nach dem Unfall und dem Schreiben, das er dem Hausanwalt gegeben hatte, konnte und wollte ich mich nicht mehr verstecken. Aber das ist alles nebensächlich. Hauptsache ist, dass es ihm wieder deutlich besser geht und er bald wieder ganz gesund ist. Nicht wahr, Schatz?“ „Ja“, murmelte Kaiba ungelenk neben ihm und das Unwollen über dieses Thema platzte ihm beinahe aus jeder Pore, sodass der Blonde beschloss, lieber diesen Teils des Gesprächs zu führen. Sie konnten es sich noch nicht leisten, dass das aufflog – erst recht nicht bei einem Geschäftsessen. Was würde das für PR geben!? „Es muss ein großer Schock für Mokuba und Sie gewesen sein“, murmelte Mrs. Kawaii und Joey nickte, legte seine Hand auf die von Seto und drückte sie leicht, weil er das Gefühl hatte, dass der Brünette sie reflexartig wegziehen wollte, als er den Faden wieder aufnahm. „Ja, es war schrecklich. An dem Abend war ich in meiner Wohnung, weil ich einen Ausflug für uns Beide planen wollte und plötzlich rief mich Mokuba an. Ich bin natürlich sofort ins Krankenhaus geeilt und wir haben bis fast Mitternacht gewartet, bis die OP vorbei war und die Ärzte uns sagen konnten, was genau los war. Es war furchtbar.“ Hoffentlich wirkte sein Gesichtsausdruck etwas betreten, denn er hatte das Gefühl, das mehr runtergerattert zu haben, doch ein Blick zu den Geschäftspartnern, die ihn ganz betroffen ansahen, ließen ihn innerlich zufrieden durchatmen. Vielleicht sollte er über eine Karriere als Schauspieler nachdenken, schoss es ihm durch den Kopf, als sich Kaiba an ihn wandte: „Schon gut, Joey. Es geht mir ja wieder viel besser.“ Das leichte Lächeln auf seinen Lippen ließ das Herz des Blonden einen Satz machen und er verfluchte sich dafür. Blödes Herz! „Gott sei Dank, ja“, stimmte er stattdessen zu und wollte das Gespräch endlich auf das Geschäftliche lenken, als sich Mr. Kawaii zu Wort meldete: „Hach, man sieht Ihnen richtig an, wie glücklich Sie sind. Das ist so schön zu sehen.“ Seine Frau nickte zustimmend und Joey spürte, wie sich ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen legte. Es war ein sehr süßes Kompliment und er war sich auch sicher, dass er es absolut ernst gemeint war. Doch es sorgte auch dafür, dass sein Herz tonnenschwer wurde, denn er wusste, dass Kaiba einfach nur ein hervorragender Schauspieler war, der einen Oscar verdient hatte. Bei ihmn selbst … Nun ja. Zu seinem Glück kam gerade der Ober mit der Weinflasche und dem Glas Wasser. Er schenkte ihnen allen den Wein ein und stellte die Flasche in den dafür vorgesehenen Behälter und nahm die Bestellung für die Vorspeise und den Hauptgang entgegen. „Also auf einen schönen Abend und Sie Zwei als glückliches Paar!“, sprach Mr. Kawaii den Toast und sie stießen alle Vier an, wobei er bei Kaiba deutlich spüren konnte, dass es ihm gegen den Strich ging, dass sie noch nicht über den eigentlichen Grund des Treffens gesprochen hatten. Er konnte das verstehen, denn seit dem Unfall schienen sich alle nur noch für das Privatleben zu interessieren. Jahrelang hatte der CEO es wie ein Löwe verteidigt, damit nichts nach außen drang und sie ihre Ruhe hatten und jetzt stürzten sich alle wie die Aasgeier darauf. Während Seto in der Folge mit Mr. Kawaii über das Geschäftliche sprach, plauderte er mit Mrs. Kawaii und beantwortete ihr in Ruhe alle Fragen, die sie an ihn hatte. Allerdings verpackte er die Wahrheit manchmal etwas anders, da er sie als typische reiche Ehefrau einschätzte, die auf der Suche nach neuen Gerüchten war, um sie beim nächsten Damenkränzchen zu erzählen. Also wählte er seine Worte mit Bedacht, um sich und Kaiba keine Blöße zu geben. Beim Dessert wurden sich die beiden Männer per Handschlag einig und sie unterhielten sich danach noch eine Weile, um nicht unhöflich zu wirken, als Mrs. Kawaii kurz hinter vorgehaltener Hand gähnte. Joey war ihr unendlich dankbar. Er hatte keine Kraft mehr, jetzt noch weiter Smalltalk zu machen. Im Kopf erst jedes Wort zu durchdenken, ob man das fehlinterpretieren könnte, war äußerst anstrengend und er tat das sowieso viel zu selten, weshalb er das gar nicht gewohnt war. So verabschiedeten sie sich von dem Ehepaar – Kaiba bezahlte kurz – und Kei erwartete sie bereits mit dem Wagen draußen. Sie stiegen ein und Joey lockerte durchatmend seine Krawatte. Er bemerkte nicht, dass Seto das Fenster zum Fahrer schloss, sondern zog sein Sakko aus, weil ihm warm war. Endlich Feierabend! „Und? Alles gut gelaufen?“, wollte er wissen und schaute zu dem Brünetten, der ihn seltsam musterte. Was hatte er denn jetzt? Hatte er etwas im Gesicht? Was Falsches gefragt? Die Stille breitete sich in dem Wagen aus und es wurde immer unangenehmer für ihn, als sich der CEO endlich zu einer Antwort herabließ: „Ja, sehr gut sogar. Der neue Vertrag wird sich positiv auf das Geschäftsquartal auswirken. Anscheinend bist du doch nicht so nutzlos, wie ich dachte.“ Wow. War das … ein Kompliment? Von Kaiba an ihn? Es war eine absurde, überfordernde Situation für den Blonden und er blinzelte, weil er nicht fassen konnte, dass er das tatsächlich gesagt hatte und beugte sich Kaiba etwas zu ihm vor? Aber wieso? Hatte er doch etwas im Gesicht? Sein Herz schlug schneller, als es sollte und ihm war gar nicht klar, worauf er sich als erstes konzentrieren sollte. Du meine Güte, was ging hier ab? Noch eine Bewegung des CEO und nun war sich Joey vollkommen sicher, dass er sich ihm näherte! W-wollte er ihn etwa? Nein, nein, das war doch unmöglich! Es war der Eisschrank! Sein Privathandy klingelte plötzlich und ruckartig drehte er den Kopf weg, holte es mit zittrigen Fingern aus der Innentasche seines Sakkos. Kaiba schnaubte genervt und zog sich komplett in seine Ecke zurück, als er das Gespräch annahm. „Hey Duke, was gibt es?“, wollte er hektisch wissen und bemerkte den eklatanten Temperaturabfall im gesamten Wagen sofort. Ob die Wetterstation in Domino das fahrende Gefrierfach aufzeichnen würde, fragte er sich kurz in Gedanken und konzentrierte sich dann auf Devlins Stimme, der ziemlich gut gelaunt klang. „Hey Joey, alles klar bei dir? Ich wollte fragen, ob du spontan Zeit hast, mich im Laden zu treffen oder noch fleißig dabei bist, Kaibas Firma in neue Höhen zu führen. Es gibt da etwas, was ich gern mit dir besprechen würde.“ „Ähm klar, ich habe Zeit“, antwortete er und schaute kurz aus dem Fenster. Die Lichter der Anzeigen blinkten unaufhörlich, während der Wagen an ihnen vorbeifuhr und er fügte hinzu: „Ich bin in der Nähe. Zehn Minuten, dann bin da. Also bis gleich, ja?“ „Super, bis gleich! Klopf einfach an die Scheibe, dann mach ich auf.“ „Verstanden, mach ich.“ Er legte auf und wandte sich an Kei, mit der Bitte zu Duke’s Laden zu fahren. Der Chauffeur nickte und wechselte die Spur, um dem Auftrag nachzukommen. Kaiba schwieg verbissen und er hatte das dringende Bedürfnis, sich einen Wintermantel zu organisieren. Was hatte er denn jetzt? Das Essen war doch super gelaufen! Hatte er doch selbst gesagt! Der Wagen hielt nach kurzer Zeit an und er stieg aus, drehte sich noch einmal um, weil er sich verabschieden wollte, doch Kaiba gab bereits das Zeichen zum Losfahren und überrascht schlug er brummend die Tür zu. Idiot! Kapitel 37: Ein Abend zu Zweit ------------------------------ Montag, 19.09. Was für ein schlechtes Timing konnte dieser kleine Möchtegerngeschäftsführer bitte haben!? Eben noch war seine Laune gut gewesen. Wheeler hatte ihn beim Essen nicht blamiert und der Geschäftsabschluss war hervorragend, während der Blondschopf die viel zu neugierige Mrs. Kawaii mit bedachten Aussagen im Zaun gehalten hatte. Seine anfängliche Befürchtung, dass er ihn lächerlich machen und all die Privatsphäre nicht mehr da wäre, war unbegründet gewesen. Natürlich hatte er die Geschichte des Kennenlernens etwas ausschmücken müssen, um die Neugier zu befriedigen und auch, wie er von dem Unfall erfahren hatte, wobei das wahrscheinlich sogar der Wahrheit entsprach. Ein Wheeler lügte nicht gern, das wusste er, und deswegen dürfte er das nur an den notwendigen Stellen getan haben und beim Erfahren des Unfalls war das nicht von nöten. Wo er jetzt so darüber nachdachte, grenzte es auch an ein Wunder, dass der Köter dem Ganzen überhaupt zugestimmt hatte, wo er doch die Wahrheit so in Ehren hielt. Zurzeit log er fast überall und auf einmal störte es ihn nicht mehr? Das war doch alles Schwachsinn. Eine halbe Stunde später war er endlich in der Villa und wollte sich eigentlich direkt in sein Zimmer zurückziehen, als Mokuba auf ihn zugelaufen kam. „Seto!“, rief dieser glücklich und lächelnd schaute er zu ihm. „Moki, alles gut bei dir?“ Sie umarmten sich und er strich seinem Kleinen liebevoll über den Kopf. „Ja, alles super! Wo ist denn Joey? Ihr wart doch zusammen bei dem Essen, oder?“ „Wheeler hat einen Anruf von Devlin bekommen und trifft sich gerade noch mit ihm“, erwiderte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme kalt und hart wirkte. Es nervte ihn einfach, wie sein Abend jetzt verlaufen würde und wie er eigentlich hätte verlaufen sollen. Mit Joey in seinem Bett, unter sich und laut stöhnend. „Habt ihr euch gestritten?“ „Nein Mokuba. Das Essen ist überraschenderweise gut gelaufen und Wheeler ist ein freier Mann. Wenn er sich mit dem Idioten treffen will, kann er das tun.“ Der musternde Blick seines kleinen Bruders entging ihm keinesfalls, doch er hatte jetzt keine Lust, das Thema weiter zu diskutieren und deswegen setzte er zu einer Ablenkung an: „Was hältst du davon, wenn wir noch etwas spielen? Es ist noch nicht allzu spät und ein bisschen Zeit hätten wir noch.“ „Au ja!“ Sofort rannte er los und Seto schaute ihm leicht lächelnd hinterher. So wie er es mit seinen Kulleraugen schaffte, ihn zu manipulieren, so konnte er das auch bei ihm. Wenn auch nicht mit den Augen, sondern mit der Aussicht auf seine wertvolle Zeit. In den nächsten Wochen würde er davon noch mehr haben, weil er Wheeler wohl halbwegs getrost in seiner Firma arbeiten lassen konnte und sein Bruder es ihm niemals verzeihen würde, wenn er sich nicht vernünftig ausruhen würde. Du meine Güte, lag das an den ganzen Tabletten, dass er den Straßenköter freiwillig in seine Firma lassen würde? Was war nur aus ihm geworden? Vorsichtig humpelte er mit der Krücke in Richtung des Wohnzimmers, in dem Mokuba bereits verschwunden war und war froh, dass die Medikamente ihren Dienst taten. Vorsichtig ließ er sich auf das Sofa sinken und legte die Krücke beiseite, als sein Bruder ihm auch schon einen Controller in die Hand drückte. Sie zockten eine Weile lang ein neues Spiel, dass Mokuba total großartig fand und Seto musste zugeben, dass auch er ein wenig Spaß daran gefunden hatte. Die Story war gut, die Steuerung ausgewogen und die Grafik hervorragend. Doch nach knapp zwei Stunden war es spät genug und der Brünette beendete den Spieleabend. Mokuba protestierte zwar, sah dan aber ein, dass er ins Bett gehen musste. Schließlich war es Montag und morgen stand wieder Schule auf dem Plan. In Ruhe steuerte Kaiba mit der Krücke Mokis Zimmer an, während dieser bereits vorgelaufen war, um sich bettfertig zu machen. Er hatte es nicht gedacht, aber der Abend mit seinem kleinen Bruder hatte ihm gutgetan. Sehr gut sogar. Wahrscheinlich war das besser gewesen, als sein ursprünglicher Plan, denn mit Wheeler hätte er früher oder später bestimmt noch Scherereien bekommen. So aber war es eine schöne Zeit gewesen und längst überfällig, wie er sich selbst eingestehen musste. Die Firma nahm ihn vollkommen ein, das konnte er nicht leugnen, und Mokuba war so lieb, dass er sich nur selten darüber beschwerte. Er hatte wirklich einen großartigen kleinen Bruder und innerlich freute er sich darüber, dass er die Gelegenheit haben würde, um sich besser um ihn kümmern zu können. Selbstverständlich würde er sich jeden Tag vom Köter über alles informieren lassen, doch vielleicht war das hier die Gelegenheit, um ein kleines bisschen loszulassen. Wenn ihm der Unfall eins klar gemacht hatte, dann, dass er nur dieses eine Leben hatte und dass er seine Prioritäten sorgfältig auswählen musste. „Du Seto?“ Die Stimme des Schwarzhaarigen riss ihn aus seinen Gedanken und er beobachtete, wie der Kurze vor ihm stehenblieb. „Ja? Was ist denn, Mokuba?“ „Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Können wir in Zukunft öfters zusammenspielen?“ „Ich bin auch froh“, murmelte er und strich ihm über den Rücken, als dieser ihn fest umarmte. Einen Moment lang blieben sie so stehen und er konnte förmlich spüren, wie sich die Muskeln des Kleineren entspannten. Anscheinend begriff er langsam, dass er tatsächlich wieder aus dem Krankenhaus raus und er auf dem Weg der Besserung war. „Na komm, Moki. Leg dich hin, hm?“, sagte er sanft und begleitete ihn zum Bett, wo er sich brav hinlegte. Vorsichtig setzte sich Kaiba auf die Bettkante und lächelte ihn leicht an. Was würde er nur ohne ihn tun? Wie viel trister wäre das Leben? Er musste alles in seiner Macht stehende tun, damit ihm niemals so etwas passierte. Es war schon schrecklich genug, was ihm alles im Königreich der Duellanten geschehen war. Er hatte ihn nicht beschützen können. Das schmerzte noch immer. Nie wieder durfte er so etwas zulassen. „Das war ein ganz toller Abend, Seto! Bis morgen, ja?“ „Bis morgen, Moki. Schlaf schön.“ Noch einmal strich er ihm über den Kopf und gab ihm ein Küsschen auf die Stirn. Etwas wackelig richtete er sich auf, dann deckte er ihn richtig zu und schritt zur Tür. Noch einmal schaute er zu seinem Bruder, der mit einem Lächeln auf den Lippen dalag und ihm noch einmal stumm winkte. Seto erwiderte die Geste und schloss dann die Tür hinter sich. Er humpelte den Gang entlang bis zu seinem privaten Schlafzimmer und keuchte kurz vor Schmerz auf, als er den Fuß falsch bewegte. Verdammter Mist. Hoffentlich wäre das bald wieder besser. Er kam sich so nutzlos und eingeschränkt vor, dass er die Wände hochlaufen könnte. Noch ein Grund, warum er mehr Zeit mit seinem kleinen Bruder verbringen musste, denn er musste sich ablenken. Und da der Blondschopf ja anscheinend andere Pläne verfolgte, wie er vorhin in der Schule noch geheimnisvoll angedeutet hatte, fiel er wohl flach. Verdammt, warum wurmte ihn das so? Schlecht gelaunt setzte sich Kaiba an seinen Schreibtisch und fuhr seinen Laptop hoch. Wenigstens die Emails wollte er noch einmal prüfen, um zu sehen, ob es doch irgendwelche Katastrophen gab, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Nein, anscheinend war alles soweit in Ordnung, sehr gut. Kaum zu glauben, aber ihm konnte es nur recht sein. Wheeler und ein Geschäftsmann. Allein der Gedanke war schon absurd, aber mit der Hilfe von den anderen und was er selbst bisher mitbekommen hatte, hatte da wohl jemand ein verstecktes Talent in sich entdeckt. Der Brünette erinnerte sich daran, dass er nach dem mysteriösen Anrufer noch eine weitere Recherche in Auftrag gegeben hatte und so öffnete er seinen privaten Email Account. Dort gab es nur eine neue Email und wie erwartet, war sie von der Angestellten aus der IT. Interessiert überflogen seine blauen Augen die Zeilen, die sie geschrieben hatte: „Sehr geehrter Mr. Kaiba, anbei sind ein paar verschlüsselte Dokumente, die ich finden konnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Joey Wheeler seit seinem 6ten Lebensjahr mit seinem Vater zusammenwohnte, da die Mutter mit seiner Schwester in die USA ausgewandert ist. Mit acht Jahren verlor der Vater seine Anstellung bei einer angesehenen Spedition und schaffte es danach nicht mehr, eine feste Anstellung auf Dauer zu halten. Er hat mehrere Versuche unternommen, kam aber nie über die Probezeit hinaus. Kurz nachdem er arbeitslos wurde, fing der Alkoholkonsum an, besorgniserregende Ausmaße anzunehmen. Doch Beschwerden von Nachbarn über späte Ruhestörung oder andere Delikte wurden nie ernsthaft verfolgt – weder von der Polizei noch vom Jugendamt. Die Mittelschule gab der Polizei ebenfalls einen Hinweis, nachdem Mr. Wheeler so stark verletzt war, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste, doch auch diese Spur wurde nicht verfolgt. Der junge Mr. Wheeler wiederum begann bereits mit elf Jahren, Geld zu verdienen, indem er Zeitungen austrug, mit Hunden Gassi ging und andere Tätigkeiten ausführte. Laut verschiedenen Quellen übernahm er ca. ab 11 Jahren den Haushalt, bezahlte monatlich die Miete und versorgte beide mit Essen und Trinken. Weitere zwei Jahre später geriet er immer öfters in Prügeleien, sodass etwaige Hinweise auf häusliche Gewalt nur noch darauf geschoben wurden. Mr. Wheeler Senior wiederum lieh sich immer mehr Geld von fragwürdigen Quellen, um neben dem Alkoholkonsum auch Wetten zu können. Ab Joey Wheelers zwölftem Lebensjahr muss das drastisch zugenommen haben. Über den anonymen Anrufer wiederum konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Wer auch immer es ist, muss über beste Technik verfügen, dass er sämtliche Spuren verwischen kann. Im Anhang sind Protokolle vom Jugendamt, der Polizei und zwei Arztberichte, die ich finden konnte. Selbstverständlich werde ich mich melden, sollte ich noch mehr Informationen finden.“ Die übliche Verabschiedungsfloskel ignorierte er und öffnete die Berichte, von denen in der Email die Rede waren. Ihm wurde schlecht, als er den zweiten Arztbericht las, der angefertigt worden war, als Joey 14 Jahre alt war. Sein rechtes Auge war komplett zugeschwollen, an den Armen hatte er mehrere Abwehrverletzungen in Form von Prellungen und Schnittwunden und auch sein Oberkörper war davon übersät. Eine Prellung sah sogar so aus wie ein Schuhabdruck. Laut des Arztes war er sogar bewusstlos eingeliefert worden, nachdem ein Nachbar den Notruf gewählt hatte. Und die Polizei hatte das nicht weiterverfolgt? Wut stieg in ihm auf und seine Hände krampften zu Fäusten. Wie konnte ein Vater so etwas seinem Sohn antun? Drei Tage hatte Wheeler im Krankenhaus verbringen müssen, weil er so viele Schmerzmittel gebraucht hatte und die Ärzte hatten sichergehen wollen, dass er keine inneren Verletzungen davongetragen hatte. Unwirsch klappte Kaiba den Monitor runter und starrte aus dem Fenster, welches sich hinter dem Schreibtisch bodentief erstreckte. Das Licht spiegelte den Raum im Glas, aber das nahm er gar nicht wahr. Zugegebenermaßen war seine Kindheit mit Mokuba eine schreckliche Zeit gewesen und er wünschte sie niemandem, aber sie hatte ihn auch stark gemacht. Doch zur Wahrheit gehörte auch, dass er abgesehen von gelegentlichen Backpfeifen keine körperliche Gewalt erfahren hatte. Gozaburos Kälte war emotionaler Natur, was auch teilweise auf ihn abgefärbt hatte. Das konnte er nicht leugnen. Bei Joey jedoch … Nicht nur, dass die Mutter ihn zurückgelassen hatte, nein sie hatte auch noch die Geschwister getrennt. Anfangs war das vielleicht noch gegangen, doch spätestens mit dem Verlust des Jobs muss für den Blonden die Hölle begonnen haben. Was brachte einem ein Vater, der einen anscheinend nur verabscheute und verprügelte? Wie hatte sich Wheeler nur so gut entwickeln können, wenn er zu Hause wahrscheinlich Qualen litt? Es war ihm ein Rätsel, doch sein Bild des Straßenköters wandelte sich von Minute zu Minute. Straßenköter … Wer würde das nicht werden, wenn man kein richtiges zu Hause hatte? Seufzend rieb er sich über das Gesicht. Das ging ihn alles eigentlich gar nichts an und er wusste noch immer nicht, wer der Erpresser war. Außerdem war es auch schon viel zu spät. Morgen musste er für die Schule wieder fit sein, also humpelte er ohne Krücke zum Bett, zog sich seinen Schlafanzug an und legte sich hin. Schnell griff er noch nach der Wasserkaraffe auf dem Nachttisch und schluckte noch seine Tabletten, dann machte er es sich so gut es ging bequem und schloss die Augen. Kapitel 38: Zukunftspläne schmieden ----------------------------------- Montag, 19.09. Wie abgesprochen, klopfte Joey an die Fensterfront und es dauerte nur kurz, bis die Tür neben ihm aufging und Duke den Kopf herausstreckte. „Komm rein!“, forderte er ihn auf und der Blonde betrat das Geschäft, indem nur im hinteren Teil noch Licht brannte. Sein Kumpel war bereits wieder zwischen den Regalen verschwunden und so schloss Joey die Tür hinter sich und schlenderte in Richtung des Kassentresens. „Und? Was gibt es noch?“, fragte er in den Raum und lehnte sich an den Tisch, auf dem die elektronische Kasse stand. Es war ein neueres Modell als die, die Yugis Großvater besaß, wie er mit einem Blick feststellte. Dukes Kopf tauchte zwischen den Regalen auf und er schritt auf ihn zu, während er antwortete: „Ich habe da in den letzten Wochen eine Idee ausgearbeitet, die ich gern mit dir besprechen wollte.“ Der Erfinder von Dungeon Dice Monsters blieb vor ihm stehen und zog eine Augenbraue hoch. Was hatte er denn? „Wow, dass ich das mal erleben darf. Joey in einem maßangefertigten Anzug. Steht dir echt gut, Mann“, meinte er und winkte ihn dann zu einer Tür, die er öffnete. „Tja, als Vertreter eines CEOs bleibt es wohl nicht aus, nach außen hin einen ordentlichen Eindruck zu vermitteln“, erwiderte er und folgte ihm in einen Besprechungsraum. Sie ließen sich an einem Tisch auf zwei einfachen Plastikstühlen nieder und unbewusst schlug er die Beine übereinander. „Da hast du wohl recht. Und das ist auch der Grund, warum ich dich sprechen wollte. Möchtest du noch etwas trinken?“ „Hast du zufällig einen Wein hier? Ich hatte zwar eben schon ein Glas, aber gegen ein weiteres wäre nichts einzuwenden.“ Immerhin trank er nie mehr al drei Gläser an einem Abend, da es für ihn kaum eine schrecklichere Vorstellung gab, dass er wie sein Vater endete. Schnell verdrängte er sämtliche Erinnerungen und konzentrierte sich auf Duke, der ihn frech angrinste. „Zufälligerweise habe ich da noch etwas da. Rot- oder Weißwein?“ „Gern einen Weißen“, antwortete Joey und wartete, während Duke im Nebenraum verschwand, um Gläser und die Flasche zu holen. „Also dann, lass mich mal von deinem Grund hören“, forderte Joey, nachdem sie angestoßen hatten und Duke klappte den Laptop auf, der neben ihm auf dem Tisch war. Sein Kumpel schien noch einen Moment lang nach den richtigen Worten zu suchen, dann wandte er ihm den Blick zu und sagte: „Man mag es kaum glauben, aber trotz der Übermacht der Kaiba Corporation laufen meine Geschäfte gut und ich möchte weiter expandieren.“ Gedankenverloren nickte Joey als Zeichen, dass er zuhörte und nippte an seinem Wein. Er ahnte, worauf das Gespräch hinauslaufen sollte, und er konnte sich das durchaus vorstellen. Duke drehte ihm den Laptop zu und hatte eine Präsentation geöffnet, mit der er mittlerweile etwas anfangen konnte. Die Graphen und Tortendiagramme zeigten ihm, dass Duke ein gesundes Unternehmen leitete und alle Kurven zeigten auf Wachstum. „Wie du siehst, zeigen die Zahlen seit einem Jahr ein konstantes Wachstum zwischen 4% und 7% pro Monat, was durchaus sehr solide ist. Aus dem Grund möchte ich eine weitere Filiale eröffnen. Sie wird in Tokyo sein und ich bin bereits auf der Suche nach einem passenden Geschäft. Derzeit gibt es ein paar zur Auswahl, doch ich habe mich noch nicht entschieden. Sobald ich mich entschieden habe, werde ich anfangen, nach Personal zu suchen und ich möchte den Aufbau persönlich begleiten, weshalb ich nach dem Schulabschluss nach Tokyo ziehen werde. Und mein Wunsch ist es, dass du hier Filialleiter wirst. Man spricht von dir in den höchsten Tönen, was deine Arbeit als Vertretung bei der Kaiba Corp. angeht, aber wenn der Eisklotz wieder vollständig genesen ist, wird er ja zurückkehren und das Ruder übernehmen. Dann könntest du doch bei mir anfangen. Es ist natürlich nicht so groß wie der Konzern, aber vielleicht wäre das ja was für dich?“ Duke hielt inne und musterte ihn. Joey ließ sich die Worte noch etwas durch den Kopf gehen und trank einen weiteren Schluck des sehr leckeren Weins. Er als Geschäftsführer dieses Ladens hier? Das klang in der Tat sehr verlockend und nach den Erfahrungen der letzten Wochen hatte er definitiv Blut geleckt. Auf jeden Fall wollte er weiter in der Wirtschaft arbeiten und am liebsten eine Firma leiten, um etwas zu erreichen. Um seinem Vater zu beweisen, dass er eben doch kein Nichtsnutz war! Und seiner Mutter könnte er so auch beweisen, dass er besser war, als sie all die Jahre geglaubt hatte. „Mir gefällt die Idee, Duke. Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Doch lass uns das alles in Ruhe besprechen, wenn ich aus der Kaiba Corporation raus bin. Dann habe ich –“ Das Klingeln des Firmenhandys ließ ihn innehalten und seufzend holte er es heraus. Es war Yuna und er wandte sich an Duke: „Entschuldige, aber da muss ich rangehen.“ „Klar, kein Problem. Profi durch und durch“, zog der Schwarzhaarige ihn grinsend auf und Joey grinste schwach, als er aufstand und das Gespräch entgegennahm. „Yuna, was gibt es noch?“, fragte er und rieb sich über den Nacken, während er vor die Tür trat. Die frische Abendluft schlug ihm entgegen und er liebte dieses Gefühl. „Hallo Joey, entschuldige die späte Störung, aber ich wollte dich kurz auf einen Zwischenstand bringen, was die Mitarbeiterbefragung angeht bzw. die vorläufigen Endergebnisse, dnen es haben bereits fast 84% den Bogen zurückgeschickt. Ich denke, es gibt da eine Menge handlungsbedarf, wenn ich mir das so anschaue, aber ein paar Dinge dürften sich recht gut umsetzen lassen. Da alle anonym ausfüllen durften, gibt es aber auch ein Thema, dass viele aufgeschrieben haben, was nicht so einfach zu händeln sein dürfte.“ „Es geht um Seto, oder?“, hakte er nach und seufzte. Er war halt kein Goldstück, dabei würde er mit mehr Freundlichkeit ein viel besserer Arbeitgeber sein und sie mehr Bewerbungen bekommen, um dem Personalmangel entgegenwirken zu können. Davon war er fest überzeugt. „Ich fürchte ja. Dein Freund ist zwar sehr fair, aber auch sehr streng zu sämtlichen Mitarbeitern und es gibt viele, die damit nicht gut zurechtkommen. Es gibt sogar mehrere Bemerkungen, wo sich Angestellte wünschen, dass du dauerhaft die Geschäftsführung übernimmst.“ Ach ja? Wirklich? Wow, das war ein großartiges Kompliment! Er freute sich richtig darüber, dass einige Leute seine Arbeit so sehr zu schätzen wussten. Das war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn und er konnte nicht leugnen, dass das wie Öl runterging. Er als Chef eines riesigen Konzerns und die Mitarbeiter respektierten ihn! Sein Herz quoll beinahe über und seine Laune war bestens. „Lass ihn das bloß nicht hören“, meinte er grinsend und hörte ein leises Kichern am anderen Ende der Leitung. Wenn er sich nicht irrte, hatte er sie noch nicht lachen hören. „Keine Sorge, ich werde schweigen wie ein Grab. Meinst du, du kannst da in Ruhe mal mit dem Chef drüber sprechen? Ich denke, dass du da einen besseren Draht hast als ich. Denn es steht ja außer Frage, dass er nach seiner Genesung wieder als CEO zurückkehren wird.“ „Richtig. Ich versuche in den nächsten Wochen mein Möglichstes, damit er hoffentlich neue Einsichten bekommt, aber du kennst seine Sturheit. Es dürfte nicht einfach werden.“ Als ob er diesen Eisschrank davon überzeugen könnte, aufzuwärmen, damit er zu den Menschen netter wird. Da könnte er auch mit Hilfe eines Gefrierschranks versuchen, den Nordpol aufzutauen. Yuna seufzte leise und er konnte sich vorstellen, dass sie das ähnlich sah wie er, aber er würde es versuchen. Vielleicht konnte er ihn ja mit logischen Argumenten irgendwie überzeugen. Oder er fragte Mokuba um Hilfe … Das wäre eine andere Möglichkeit. „Es wirkt eher wie eine unlösbare Aufgabe, aber ich wünsche dir viel Erfolg.“ „Danke, das kann ich gebrauchen. Setze bitte für morgen Nachmittag ein Meeting zum Thema Personal rein. Auch wenn wir den Wunsch nicht erwähnen, möchte ich gern die anderen Punkte schon mal ansehen und durchsprechen.“ „Natürlich, mach ich. Kein Problem.“ „Super danke! Also dann, wir sehen uns morgen, ja?“ „Ja, entschuldige nochmal die späte Störung. Schönen Feierabend und bis morgen.“ Er legte auf und ließ sich das Telefonat noch einmal durch den Kopf gehen. Es gab Mitarbeiter, die lieber ihn als Boss sahen. Das war unglaublich! „Na du fleißiger CEO, alles klar? Oder rollt da gerade die nächste Katastrophe an?“, wollte Duke gut gelaunt wissen und Joey grinste. „Bei mir gibt es keine Katastrophen, merk dir das“, erwiderte er frech, was den Schwarzhaarigen auflachen ließ. „Ich erinnere dich dran, wenn du den Laden hier übernimmst.“ „Mach das“, stimmte er zu und nahm wieder Platz. Entspannt trank er noch einen Schluck des Weins und unterhielt sich mit Duke über verschiedene Themen. Schule, Arbeit, Planungen für das Wochenende, die Situation mit Kaiba, doch Joey war nicht danach, in die Tiefe zu gehen und hielt die Unterhaltung daher oberflächlich. Es lag nicht an Duke, den er mittlerweile sehr schätzte, sondern viel mehr daran, dass er bei Kaiba und der Arbeit selbst nicht zu 100% wusste, wie er das sah. Der Gedanke, dass er in ein paar Wochen aus der Firma ausscheiden würde, verursachte ihm einen Stich im Herzen. Doch es war Kaibas Schätzchen und er hatte keinerlei Recht, irgendetwas zu fordern. Er hatte das nur für Mokuba getan, damit er während Kaibas Unfall jemanden an seiner Seite hatte und er sich nicht auch noch Sorgen um die Firma machen musste. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. „Hey, alles okay?“, murmelte Duke plötzlich und seine grünen Augen musterten ihn leicht besorgt. Oh je, da musste er wohl ziemlich in Gedanken versunken sein. „Hey ähm … Es ist schon spät und langsam brummt mir der Schädel. Ich finde deine Idee auf jeden Fall klasse und sobald ich aus der Kaiba Corp. raus bin, besprechen wir das genauer, ja?“ „Das ist ein Deal. Also dann bis morgen in der Schule, ja? Ich muss mich auch langsam mal auf den Heimweg machen.“ Sie standen beide auf und verließen den Laden. Mit einem Handschlag verabschiedeten sie sich voneinander und Joey rief Roland an, der netterweise nach kurzer Zeit mit einem Wagen vor ihm hielt und ihn dann nach Hause fuhr. Seine Gedanken fuhren nach diesem Tag Achterbahn und er hatte das Gefühl, dass sich noch mehr Fragen gebildet hatten, was Kaiba anging, dass er einen Plan für die Zeit nach der Schule hatte und dass er unsicher war, wie er es finden sollte, dass er in ein paar Wochen nicht mehr mit Yuuto, Yuna, Yukiko und all den anderen zusammenarbeiten würde. Verdammt, das war ihm alles sehr ans Herz gewachsen. Mensch Mokuba, was hattest du da nur angerichtet? Kapitel 39: Das Personalmeeting ------------------------------- Dienstag, 20.09. Widerwillig stieg Kaiba aus dem Wagen, griff seine Krücke und humpelte zum Eingang, ohne zurückzuschauen. Wheeler würde die Woche allein in die Firma fahren, weil Mokuba ihm mehr als deutlich gemacht hatte, dass er sich noch schonen sollte. Sonst würde sein kleiner Bruder ernsthaft wütend werden und das wollte er nicht. Und da er zu den Meetings auch per Video zugeschaltet werden konnte, hatte Seto seinen Widerstand recht schnell aufgegeben. Eine leise Stimme irgendwo ganz hinten in seinem Kopf hatte ihm auch dazu geraten, weil die Schmerzmittel auch nur eine begrenzte Wirkung hatten und er wollte es nicht darauf anlegen, dass er einmal ohne in der Firma war und sich womöglich vor anderen vor Schmerzen krümmte. Das wäre eine Katastrophe. Also zog er sich in Wheelers Arbeitszimmer zurück, da dort alle Unterlagen waren und ließ sich etwas umständlich auf den Stuhl fallen. Eines der Hausmädchen kam sofort herein und brachte ihm eine Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken und er bedankte sich knapp. Sie verließ den Raum und er fuhr seinen Laptop hoch. Es gab so vieles zu erledigen und das Köterchen sollte auch bald in der Firma angekommen sein. Nebenbei aß er ein wenig, da sich sein Magen zu Wort meldete und beantwortete einige Emails, bis er im internen Chatprogramm sah, dass Wheeler ebenfalls online war. Sofort klickte er auf das Icon mit der Videotelefonie und es dauerte nur eine Sekunde, bis der Blondschopf den Anruf entgegennahm. So arbeiteten sie sich durch einige Projekte und Emails, die Aufmerksamkeit verlangten und Seto stellte wieder einmal fest, wie angenehm es war, mit jemandem zu arbeiten, der gut vorbereitet war. Nicht einmal sein Stellvertreter zeigte sich so tief in den Themen, die wichtig waren und Wheelers Nachfragen hatten Sinn und Verstand. Verdammt, lobte er gerade in Gedanken das Hündchen für seine Arbeitsweise? Was war aus seinem Leben geworden? „Kaiba?“ „Ja, was ist?“ „Ich melde mich gleich wieder. In fünf Minuten beginnt das Personalmeeting mit Yuna und den anderen. Bis gleich, ja?“ Ah, deswegen blinkte es in seiner Taskleiste so penetrant. Er war so in der Arbeit versunken, dass er das Meeting außer Acht gelassen hatte. „Natürlich. Bis gleich.“ Er beendete den Anruf und beschloss, noch kurz das WC aufzusuchen, bevor das Meeting gleich begann. Neben Yuna nahmen auch noch drei Abteilungsleiter teil, da es in diesen Bereichen besondere Engpässe gab, was das Personal betraf. Joey schaltete ihn dazu und alle grüßten ihn kurz. Joey nickte ihm zu und so begann Kaiba zu reden: „In diesem Meeting geht es um das knappe Personal im Marketing, in der Buchhaltung und dem Personalwesen. Gibt es Ideen, wie das behoben werden kann?“, kam er direkt auf den Punkt und zu seiner Überraschung war es Joey, der sich zunächst zu Wort meldete. „In Absprache mit Yuna haben wir einen Personalfragebogen entwickelt, um zu sehen, was die Mitarbeiter schätzen und wo sie persönlich noch Verbesserungsbedarf sehen. Magst du bitte einmal die Zwischenergebnisse präsentieren?“ Eine Befragung des Personals? Kaiba notierte sich das in seiner Notizapp und musste zugeben, dass das ein kluger Schachzug des Köterchens war. Damit konnte man arbeiten. Yuna teilte ihren Bildschirm und Kaiba schaute sich die Ergebnisse an, während sie erläuterte: „Zunächst haben bereits 85% der Kollegen bereits den Bogen ausgefüllt zurückgeschickt, sodass bereits ein klares Bild gezeichnet werden kann. Hauptkritikpunkt sind die festen Bürozeiten. 75% der Angestellten wünschen sich, dass eine Gleitzeit eingeführt wird. Weitere 60% wünschen sich einen anderen Umgang mit Überstunden. Sie würden gern freier entscheiden können, ob sie diese ausgezahlt oder als Freizeit nutzen dürfen. Der dritte große Punkt mit 54% ist eine bessere Einarbeitung und bessere Dokumentation der Arbeitsprozesse und Programme. In der Tat gibt es nicht allzu viele gute Anleitungen für unsere Programme und auch keine Aufzeichnung der gängigen Abläufe.“ Kaiba schnaubte. War das deren Ernst? Joey bemerkte das natürlich sofort und schaute direkt in die Kamera, als er ihn fragte: „Du scheinst das nicht für wichtig zu halten?“ „Es gibt eine ausführliche Einarbeitung, damit jeder seine Aufgaben kennt und weiß, wie er sie zu bearbeiten hat“, erwiderte er stur und seine Augenbraue zuckte, als das Köterchen seufzend den Kopf schüttelte. Was sollte das denn jetzt werden? „Kaiba, versetz dich in die Lage eines normalen Angestellten. Da sind 80% regelmäßiger Aufgaben, die du jeden Tag erledigst, aber es gibt immer etwas, was nicht alltäglich ist und dann musst du erstmal überlegen, wie das noch war oder Kollegen fragen, ob die das wissen. Das kostet uns unnötig Zeit und Personal. Es wäre viel einfacher, Anleitungen für jeden Abteilung anzufertigen, die sie jederzeit hervorholen können, um ihre Aufgaben schnell und effizient erledigen zu können. Ich bin mir sicher, dass das bestimmt um die 15 – 20% an Zeitersparnis bedeuten würde. Da könnten sie andere Arbeit erledigen. Außerdem geben festgeschriebene Arbeitsprozesse eine Sicherheit, welche Kompetenzen man in seinem Job hat und wo man sich an seinen Vorgesetzten wenden sollte. Natürlich würde das in der Erstellungsphase Ressourcen binden, aber ist das Projekt erst einmal abgeschlossen, wirst du das schon an den nächsten Quartalszahlen sehen.“ Ach so? Das glaubte er also? Na das sollte er erst einmal beweisen, bevor er hier große Töne spuckte. „Das überzeugt mich nicht.“ „Kaiba, sei kein Idiot. Lass mich dir beweisen, dass das die Firma weiterbringen wird. Darum geht es doch schließlich.“ „Du nennst mich nie wieder einen Idioten, Wheeler“, sagte er kalt und konnte auf dem Bildschirm sehen, wie er zusammenzuckte. Privat war es eine Sache, wie sie miteinander umgingen, aber in einem offiziellen Meeting würde er dem eisern einen Riegel vorschieben. Das durfte er sich als CEO nicht bieten lassen – von niemandem. „Entschuldige. Das ging wirklich zu weit“, sagte Joey und er nickte ihm leicht zu. Wenigstens hatte er den Arsch in der Hose, das zu einzugestehen und von daher ließ er davon ab, ihn weiter zu maßregeln. „Yuna, wie siehst du das?“, wollte er stattdessen wissen und sie räusperte sich kurz. Sie wägte ihre Worte wie immer sorgfältig ab, als sie antwortete: „Um das für alle Abteilungen umzusetzen, braucht es viele Ressourcen und es dürfte gut ein Quartal dauern, bis das alles erledigt ist. Doch ich kann mich Joey nur anschließen. Es ist eine gute Methode, um kurzfristig Effekte zu erzielen und der langfristige Erfolg ist nicht zu unterschätzen. Selbstsichere Mitarbeiter, die wissen, was sie dürfen und wie sie ihre Aufgaben erledigen sollen, sind immer ein Gewinn.“ Kaiba nickte. „Gut, dann werdet ihr einen Plan ausarbeiten, dass weltweit Arbeitsprozesse und Anleitungen angefertigt werden. Nächste Woche möchte ich den auf dem Schreibtisch liegen haben.“ „Verstanden, kriegst du“, bestätigte Joey und tippte auf seinem Laptop herum. Interessanterweise hatte Kaiba automatisch damit gerechnet, dass er jubeln würde oder ihm einen Spruch drücken, doch er war wieder komplett professionell. Würde er sich jemals daran gewöhnen? Ein Köter im Anzug, der selbstständig und mit Verstand arbeitete? „Gibt es sonst noch wichtige Punkte?“, wollte Kaiba wissen und Yuna wandte sich wieder ihrer Auswertung zu. „Der vierte und letzte Punkt ist zugegeben sehr ungewöhnlich, doch 47% wünschen sich Teamevents, die von uns bezahlt werden.“ „Ungewöhnlich!? Wieso sollte das ungewöhnlich sein?“, grätschte Joey gleich empört dazwischen und schaute Yuna skeptisch an. „Naja, es geht noch immer um einen Beruf, der ausgeübt werden soll und keine Freizeitveranstaltungen, die wir finanzieren“, entgegnete sie sichtlich verwirrt über das Verhalten des Blonden, der sich laut seufzend die Haare raufte. Kaiba konnte sich in etwa denken, was gleich kommen würde, dafür kannte er den Blondschopf mittlerweile zu gut, aber er sah das so wie Yuna. Sie waren schließlich kein eingetragener Verein, der das Ganze hier zum Spaß machte. „Ich würde gern etwas dazu sagen“, meldete sich Joey zu Wort und schaute ihn durch den Monitor mit so strahlenden hellbraunen Augen an, dass er selbst durch die räumliche Trennung in ihnen versinken könnte. Er brannte für dieses Thema – für diese ganze Mitarbeiterführung, das merkte er ihm deutlich an. Und sollte er es schaffen, Yuna zu überzeugen, dass sie es guthieß, würde er sich überlegen, ob das vielleicht in Frage kam oder nicht. Da er sich so höflich verhielt, gab ihm Kaiba das Zeichen, dass er loslegen durfte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um sich das in Ruhe anschauen zu können. „Ich verstehe den Blickwinkel, dass das nur Kosten verursacht. Dafür habe ich mich mittlerweile auch genug mit diesen Themen hier auseinandergesetzt, aber – und ich möchte euch jetzt nicht zu nahetreten – ihr scheint kaum ein Gefühl für den Mitarbeiter zu haben, der zwanzig Etagen unter uns sitzt und seinem Job nachgeht, von dem er nicht mal weiß, wo die Grenzen liegen oder wie er seltene Aufgaben schnell und effizient erledigen kann. Im schlimmsten Fall hat er noch nicht mal viel mit seinen Kollegen zu tun, weil er so viel Arbeit auf dem Tisch liegen hat. Da wird doch jeder irre! Wir vertreiben Spielzeuge, um Leute jeden Alters glücklich zu machen und schaffen es nicht einmal, dass unsere eigenen Leute zufrieden sind? Wie erbärmlich ist das denn bitte? Wir hier oben haben mehr Abwechslung in dem Job, haben Geschäftsessen, treffen Leute aus anderen Firmen, um uns mit ihnen auszutauschen, aber ein einfacher Angestellter hat das nicht. Der kommt morgens zur Arbeit, weil er pünktlich um 8 Uhr hier sein muss, arbeitet, macht zwischen 12 und 14 Uhr Mittagspause und arbeitet dann noch mal bis 17 Uhr, bis er offiziell Feierabend machen darf, hat aber so viel Arbeit auf dem Tisch, dass er doch noch bis 19 Uhr bleibt, weil er Angst hat, von seinem Abteilungsleiter angeschnauzt zu werden, dass er nicht mehr geschafft hat. Das ist doch kein Arbeiten! Es fördert nicht die Qualitäten des Arbeitnehmers, er wird sich kaum mit der Firma identifizieren, weil er alles als Belastung ansieht und es gibt keinen Teamspirit, weil er dafür gar keine Zeit hat.“ Joey hielt kurz inne, damit alle seinen Ausführungen folgen konnten und Kaiba konnte nicht abstreiten, dass er da ein paar Punkte hatte, aber ging es darum, bei der Arbeit Spaß zu haben? Sie sollten ihren Job erledigen, damit die Zahlen stimmten und dann war es gut. Weiter kam Seto mit seinen Gedanken nicht, denn Joey sprach weiter: „Da liegt so viel verschwendetes Potenzial, dass ich mich ernsthaft frage, wie die Zahlen so gut aussehen können! Versteht mich bitte nicht falsch: Ich will hier keinen Spielplatz draus machen, aber es geht darum, dass motivierte Mitarbeiter automatisch bereit sind, mehr zu tun. Sie reden besser über die Firma, was für ein besseres Image als Arbeitgeber sehr positiv wäre. Ich habe mir mal im Internet ein paar Bewertungen durchgelesen und konnte nicht fassen, was ich da zu lesen bekam. Ich bin der Meinung, dass wir dringend gegensteuern müssen und alle vier Punkte der Mitarbeiter in Angriff nehmen müssen. Es wird uns nicht das Genick brechen, wenn wir eine Gleitzeit einführen. Sagen wir mal, die Kollegen können zwischen 7 und 9 Uhr anfangen, dann können sie vielleicht noch ihre Kinder in die Schule bringen, was den Familienfrieden wahren wird. Für den Kundendienst müsste es eine Ausnahme geben, da wir dort ab 8 Uhr alle Leitungen offen haben, aber da könnte es ein Schichtsystem geben, damit Kollegen ihre Tage besser planen können. Was die Überstunden angeht, sollten die Abteilungsleiter einmal im Monat eine Auswertung pro Mitarbeiter machen und bei kritischen Kennzahlen von – sagen wir mal 40 Plus oder Minus – ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer führen, was da los ist und wie man das ausgleichen kann. Dabei sollte der Abteilungsleiter entscheiden, ob bzw. wann freie Tage genehmigt werden können, weil er den Plan für sein gesamtes Team hat. Die Arbeitsprozesse und Dokumentationen hatten wir ja schon durchgesprochen und zum Schluss noch die Teamevents. In diesem Fall würde ich vorschlagen, dass jede Abteilung ein festes Budget pro Quartal erhält, was sie für solche Events nutzen können. Es muss ja nichts Großes sein, aber zum Beispiel nach der Arbeit mal zum Karaoke oder auch nur etwas essengehen, damit die Kollegen sich kennenlernen, Erfahrungen austauschen können und das Wissen miteinander teilen. Viele Kollegen eignen sich vieles selbst an, wenn sie mit den Programmen arbeiten und wenn sie in Teams darüber sprechen, können auch die anderen noch etwas lernen und sich so weiterentwickeln. Was mich übrigens wundert, dass das Thema Fortbildungen nur an fünfter Stelle kommt, denn das ist ebenso wichtig in dieser Aufstellung. Nur, wenn wir die Stärken unserer Mitarbeiter fördern und sie Neues erlernen können – sei es Kommunikation mit Lieferanten oder Kunden, Programme oder andere Dinge –, werden sie uns auch einen Mehrwert bringen. Ich bin mir sicher, dass wir so noch viel mehr erreichen können und auch für Menschen als Arbeitgeber viel attraktiver werden, sodass wir den Personalmangel wieder in den Griff bekommen. Im Übrigen denke ich, sollte es da eine Grundstrategie geben, aber landestypische Eigenheiten sollten nicht aus dem Fokus geraten. Wie siehst du das, Seto?“ Kaiba schwieg einen Moment, filterte noch die wichtigen Informationen aus der leidenschaftlichen Rede heraus, als sich der Abteilungsleiter des Marketings zu Wort meldete: „Dürfe ich mich dazu äußern?“ „Nur zu“, gestand Kaiba ihm zu und Herr Watanabe wandte sich Joey zu und sagte: „Mir sagen alle Ihre Ideen sehr zu und ich möchte Sie da gern unterstützen, aber das wird langwierig und im ersten Moment sehr viele Ressourcen fressen. Am Ende ist es fast eine komplette Neuausrichtung des Personalwesens in dieser Firma. Dennoch möchte ich Ihnen für Ihre Vorschläge und Ihren Enthusiamus danken.“ „Das wäre ein Mammutprojekt. Dafür habe ich gar nicht die Mittel, um das umzusetzen“, mischte sich Yuna ein und schien auch nicht restlos überzeugt zu sein, doch Kaiba hatte sich von den Blonden anstecken lassen. Ihm war im Grunde ja auch klar, dass zufriedene Arbeiternehmer besser arbeiteten und sich das positiv auf das Image auswirken würde. Doch bisher hatte er die vorhandenen Strukturen von Gozaburo übernommen, weil er erst einmal die Produkte hatte ändern wollen. Das war schon zeitintensiv genug gewesen und so hatte sich das Thema immer weiter nach hinten verschoben. Allerdings hatte er niemals vorgehabt, so viel zu ändern. Doch wenn er ein stimmiges Gesamtkonzept bekam, würde er sich daran auch halten. Und da Joey mit so viel Feuereifer dabei war, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, würde er ihm das auch liefern. „Über die Mittel und Wege unterhalten wir uns, wenn ich ein Gesamtkonzept des zukünftigen Personalwesens von Joey bekommen und für gut befunden habe. Wie Sie alle wissen, sind die Strukturen noch genauso wie früher, als Gozaburo diese Firma leitete. Es wird Zeit, auch diesen Part der Firma zu erneuern und deswegen möchte ich, dass du ein komplettes Konzept inkl. Der fünf genannten Punkte erarbeitest, Joey. Was am Ende davon sinnvoll oder machbar ist, werden wir dann entscheiden. Wie ist der derzeitige Mangel zu beurteilen?“ „Nun, wir kommen mit unserer Arbeit nicht mehr hinterher. Wir befinden uns ca. zwei Wochen im Verzug“, antwortete der Leiter der Buchhaltung und auch bei Yuna und Herrn Watanabe sah es nicht viel besser aus. Der Rest ging dann schnell. Sie einigten sich darauf, noch Leute aus der Zeitarbeit zu holen, um wenigstens in ein paar Wochen wieder besser aufgestellt zu sein und um den Rest würde sich Joey in den nächsten Wochen kümmern. Damit war das Meeting beendet und Seto beendete die Verbindung. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte für einen Moment die Decke an. In seinem Kopf waberte ein Gedanke, den er noch nicht richtig greifen konnte und vielleicht auch nicht wollte. Wohin entwickelte sich das hier alles? Kapitel 40: Einladung zum Essen ------------------------------- Dienstag, 20.09. Mokuba hatte seinen großen Bruder dazu gezwungen, nach der Schule direkt wieder in die Villa zu fahren, um von dort aus ein bisschen zu arbeiten, denn sonst würde er sich wohl gar nicht mehr ausruhen und direkt wieder durchstarten. Dabei hatte Kaiba noch mehrere Verbände, die der Hausarzt kontrollieren musste. Aber Mokuba hatte einen solch großen Einfluss auf den CEO, dass er sich seufzend seinem Schicksal ergab. Vielleicht war da auch ein Funke Einsehen, dass er es noch ruhiger angehen lassen sollte. Das konnte er aber nur vermuten. Und so fuhr Roland zunächst an der Villa vorbei, wo Kaiba langsam ausstieg und sich mit der Krücke in Richtung Eingang in Bewegung setzte und Joey schaute ihm nach. Sie hatten noch nicht über die drei atemberaubenden Küsse gesprochen. Dabei waren sie so anders als alles gewesen, was sie vorher miteinander geteilt hatten. Warum hatte er es in der Schule so sehr darauf angelegt? Die anderen hätten die einfachen, kurzen Küsse auch als Beweis akzeptiert, da war er sich sehr sicher, und doch hatte Kaiba ihn so intensiv geküsst. Allein der Gedanke daran ließ seine Lippen kribbeln und er schluckte. Wie konnte dieser Eisschrank so ein heißes Feuer in ihm entfachen? Es war ihm schleierhaft und als der Wagen in die Tiefgarage fuhr, beschloss Joey, dass die Gedanken Zeit bis später haben mussten. Jetzt galt es, sich auf die bevorstehende Arbeit zu konzentrieren. Das Meeting hatte in seinen Augen offengelegt, wo das Problem dieser Firma lag und das war nicht nur Seto, der sicherlich ein ausgewöhnlicher CEO war, auch Yuna hatte gezeigt, dass sie nicht so viel von Personalführung verstand und dass, obwohl das ihre Aufgabe war. Es war nicht so, dass er sich jetzt für den Besten hielt oder so, doch er war von seinen Ideen überzeugt und deswegen würde er ein grandioses Konzept ausarbeiten, dass Kaiba nicht ablehnen konnte! Es war komisch nach dem Meeting in das Büro zurückzukommen und allein zu sein. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass Yuuto, Roland oder jemand anderes hier war, dass er gar nicht richtig wusste, wie es allein hier drin war. Unangenehm, schoss es ihm durch den Kopf, als er zum Tisch schritt, um den Laptop in die Ladestation zu stecken und sich in den Sessel fallen zu lassen. Wahrscheinlich lag es daran, dass es hier nichts Persönliches gab. Kein Wunder, dass Kaiba hier drin nur arbeitete, ansonsten würde er wahrscheinlich auch durchdrehen. Vielleicht sollte er ihm zum Abschied etwas schenken, dass den Raum etwas freundlicher wirken ließ oder so. Abschied … Würde er das Konzept bis dahin fertig haben? Und viel schlimmer noch: Würde er einfach so loslassen können? Nein, er durfte nicht schon wieder daran denken. Es gab noch viel zu tun und entschlossen lehnte sich Joey vor, lockerte die Krawatte um seinen Hals etwas und arbeitete eine Weile lang, als plötzlich sein Privathandy klingelte. Überrascht holte er es hervor, nahm unbewusst wahr, dass es bereits kurz vor 20 Uhr war und schaute auf das Display. Reicher Pinkel stand da und den Song erkannte er auch sofort, den er für ihn ausgewählt hatte. Irgendwie passte das einfach. Genug gestarrt, geh ran, mahnte seine innere Stimme und Joey nahm den Anruf entgegen. „Hier der Straßenköter, was gibt es, Geldsack?“ Tatsächlich hörte er am anderen Ende einen vergnügten Laut, der ihm bestimmt unabsichtlich entflohen war. Anders konnte er sich das gar nicht vorstellen. „Hunger?“, war die einfache Gegenfrage und mit gerunzelter Stirn schaute er kurz sein Smartphone an. Was ging denn jetzt mit dem Brünetten? Und konnte er nicht in vollständigen Sätzen mit ihm kommunizieren? „Überflüssige Frage, Kaiba. Dafür solltest du mich gut genug kennen.“ „Gut, dann sei in zehn Minuten in der Tiefgarage.“ „Aber ich muss noch die –“, setzte er an, wurde aber sofort abgewürgt. „Ich weiß, was noch erledigt werden muss, aber das können wir auch morgen tun. Also bis gleich.“ Tuut. Tuut. Was zur Hölle war das denn gewesen? Seit wann ließ Kaiba Arbeit sausen, um Essen zu gehen? Einem Gedankenblitz folgend schaute er im Laptop hektisch nach, ob er vielleicht ein Geschäftsessen vergessen hatte, doch der Kalender war leer. Wieso dann also wollte Kaiba mit ihm Essen gehen? Das war ihm ein Rätsel und schnell beantwortete er noch zwei Emails, ehe er den Laptop herunterfuhr. „Joey?“, fragte eine Stimme und überrascht sah er auf, während er seine Tasche zusammenpackte. „Yuuto! Was gibt es?“ „Ich habe gehört, du darfst mit Genehmigung des Bosses die halbe Firma umgestalten?“, erkundigte er sich gut gelaunt und Joey antwortete: „Na das spricht sich ja schnell rum, aber ja, ich soll ein Konzept für das Personalwesen entwickeln, um Pluspunkte bei den Mitarbeitern zu sammeln und attraktiver für andere zu werden.“ „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich dir vor dem Lunch da so einen Floh ins Ohr gesetzt habe“, gab dieser lächelnd zu und blieb in der Nähe der Tür stehen. Joey prüfte kurz, dass er alles dabeihatte, dann nahm er die Tasche und grinste Yuuto an. „Wenn man so viel Zeit auf Arbeit verbringt, sollte sie wenigstens halbwegs Spaß machen und die Probleme nicht von innen kommen. Das wird uns am Ende noch sehr viel bringen, aber der Weg dahin wird sehr lang und sehr anstrengend. Aber jetzt muss ich los, sorry.“ „Ja, ich seh das schon. Seit wann machst du so früh Feierabend?“ Yuuto hielt ihm netterweise die Tür auf und er trat hindurch, sah Yukiko noch hinter dem Tresen sitzen und antwortete: „Kaiba will noch mit mir essen gehen. Keine Ahnung, was in den gefahren ist, denn es steht kein Termin im Kalender, aber bei Essen kann ich einfach nicht nein sagen.“ Er grinste schief, als Yuuto ihn schmunzelnd verabschiedete und viel Spaß wünschte. Yukiko schloss sich ihm an und Joey ließ die Beiden nach einem „Schönen Feierabend und bis morgen“ zurück. Als sich die Fahrstuhltüren schlossen und er noch sehen konnte, wie sich Yuuto mit einem Arm auf den Tresen stützte und mit der Sekretärin sprach, hatte er das Gefühl, dass sie ganz falsche Schlüsse zogen. Joey stellte den Koffer vor sich in eine Halterung, die Kaiba mal hatte anbringen lassen, wie Roland ihm erklärt hatte und schnallte sich an. „Also Kaiba, was gibt es?“, wollte er direkt wissen, als Kei losfuhr und der Brünette musterte ihn kurz von der Seite her. „Was sollte schon sein? Ich führe meinen Lebensgefährten zum Essen aus, damit die Öffentlichkeit weiter den Eindruck hat, dass wir zusammen sind“, erwiderte er etwas steif und Joey nickte. Das ergab Sinn. Wenigstens einmal sollte man sie wohl bei einem Date sehen, sonst würde das sicherlich nur wieder dummes Geschwätz nach sich ziehen. Und vielleicht würden dann die Gerüchte über seine Affäre mit Yugi etwas nachlassen. Dennoch war da ein kleiner Stich, von dem er genau wusste, was er zu bedeuten hatte, aber er musste loslassen. Die Küsse vergessen, die Finger in seinem Nacken, die ihn so wunderbar streichelten und die Blicke, die es da ab und an zwischen ihnen gab. Selbst beim Meeting vorhin war da so ein Moment gewesen, wo sie sich nicht hatten voneinander lösen können, obwohl sie sich nur durch die Kamera gesehen hatten. Es war ganz seltsam gewesen, aber nicht schlecht oder so, nur … ungewöhnlich. Kaibas Blick lag auf ihm und ihm fiel siedend heiß auf, dass er noch gar nichts dazu gesagt hatte und so meinte er schnell: „Gute Idee. Und Essen geht halt immer.“ Er grinste breit und hoffte, dass Kaiba es dabei beließ, und zum Glück tat er das auch, sodass er nach draußen schaute. Es war gerade einmal kurz nach 20 Uhr. Normalerweise wäre er noch ein bis zwei Stunden geblieben und wäre dann erst nach Hause gefahren, um dort noch die letzten Reste zu erledigen. Das Konzept anfangen zum Beispiel. Oh, da fiel ihm etwas ein! „Ach so, ich wollte mich noch einmal bei dir für vorhin entschuldigen.“ „Hm? Was meinst du?“ „Dass ich dich während des Meetings Idiot genannt habe. Das war unprofessionell und ich wollte nicht so respektlos sein. Das war dumm von mir. Du warst, bist und bleibst der Boss und als Vertreter hätte mir das so nicht passieren dürfen. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr blamiert.“ Zwar hatte er sich schon kurz entschuldigt, nachdem das passiert war, aber er wollte ihm zeigen, dass er das auch wirklich verstanden hatte. Wie sie sich privat benahmen, war privat und öffentlich war öffentlich. Das musste er unbedingt bedenken. Aber manchmal war sein Mund eben schneller als sein Kopf und dann passierte so ein Mist. Seto, der ebenfalls aus dem Fenster geschaut hatte, drehte den Kopf zu ihm und da waren sie wieder: Diese eisblauen Augen, die ihn hypnotisierten, sodass er den Blick nicht abwenden konnte. Der ihn alles um ihn herum vergessen ließ und den Wunsch weckte, dass Kaiba mehr in ihm sah, als einen Straßenköter, der es geschafft hatte, seine Firma nicht gegen die Wand zu fahren. Es war so albern und er kam sich so blöd vor, aber er bildete sich ein, dass dieser Blick nicht mehr so respektlos und kalt war wie noch vor dem Unfall. Oder war das nur sein verdammtes Wunschdenken? „Darüber machst du dir noch Gedanken?“ Die Frage brachte ihn so aus dem Konzept, dass er den Blickkontakt abbrach und plötzlich war er wieder in der Realität. Die Limousine, die sich durch den Verkehr schlängelte, der Geruch von Leder und Parfums, die sie beiden trugen, die gedämpften Geräusche von draußen. Der magische Moment war weg und er fühlte sich wie ein begossener Pudel. „Ich ähm … Ja?“, hakte er unsicher nach und wusste nicht, was er erwartet hatte, doch Seto schmunzelte. Es wirkte ehrlich vergnügt und nicht so herablassend und arrogant wie sonst immer und Joey spürte, wie sein Herz doppelt so schnell weiterschlug. Ob er das wohl noch öfters sehen konnte? „Ich habe dich darauf aufmerksam gemacht und du hast dich entschuldigt, damit war das Thema für mich erledigt. So einsichtig kenne ich dich gar nicht, Wheeler.“ Der Nachname triggerte etwas in ihm, als er sofort zurückschoss: „Du kennst mich sowieso nicht richtig, reicher Pinkel! Aber …“ Sein Blick wanderte wieder aus dem Fenster, ohne dass er darauf achtete, was er da zu sehen bekam. „Als Vertreter muss ich mir doch Mühe geben und da muss ich solche Ereignisse auch selbst reflektieren, damit sie in Zukunft nicht mehr passieren. Du hast das ja schon perfektioniert. Es ist fast etwas gruselig, wie du zwei verschiedene Charaktere hast, je nachdem, wo du bist.“ „Es bleibt nicht aus, dass man als Person des öffentlichen Interesses sehr gut schauspielern muss. Hast du wirklich geglaubt, ich wäre zu Hause genauso zu Mokuba wie draußen oder zu euch? Er ist meine einzige Familie.“ „Ja! Nein! Ach, ich weiß auch nicht. Wenn man jahrelang immer nur die gleiche Seite zu Gesicht bekommt, glaubt man irgendwann schon, dass es auch nur die eine gibt“, entgegnete er ehrlich und fühlte sich mit einem Mal irgendwie so unwohl. Dieses Gespräch entwickelte sich ganz anders, als er gedacht hatte. „Sei versichert, dass es nicht nur die eine gibt, aber wie du selbst merkst, muss man sich an die Gegebenheiten anpassen.“ Ja, das hatte Joey auch erkannt. Obwohl es ihm überhaupt nicht passte, so hatte er sich bereits in vielen Dingen angepasst, denn hier ging es nicht um ihn, nicht einmal um Seto oder die Firma, sondern in erster Linie um Mokuba. Für ihn hatte er es bis hierhergeschafft und würde noch weiter gehen, damit sich der Kurze keine Sorgen machen musste. Ein Lämpchen blinkte kurz auf und im nächsten Moment meldete sich Kei bei ihnen: „Wir werden in fünf Minuten vor Ort sein.“ „Danke Kei.“ Kaiba warf noch kurz einen Blick auf sein Smartphone und Joey wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, aber er war nervös – furchtbar nervös. Dabei war es doch nur ein Essen! Kapitel 41: Romantisches Dinner ------------------------------- Dienstag, 20.09. Die Limousine hielt auf dem Parkplatz und Kei öffnete ihm die Tür. Mokuba hatte ihn vorhin auf die Idee mit dem Essen gebracht und einmal mit dem Köterchen auszugehen, erschien ihm vertretbar zu sein, damit der Plan weiterhin funktionierte. Außerdem war es die richtige Gelegenheit, um dem Blonden für seine Hilfe zu danken. Dass er sich so gut um Mokuba gekümmert hatte, rechnete er ihm sehr hoch an und dass er sich so in die Firma gestürzt hatte, um auch das zu meistern, nötigte ihm Respekt ab. Und das hier war dafür ein guter Anlass. Joey stieg auf der anderen Seite aus und kam sofort um den Wagen herum. Zwar konnte er auf die Krücke schon verzichten, da sein Fuß gut abheilte, aber der Arzt und Mokuba bestanden darauf. So wollte er sich gerade auf den Weg machen, als ihm ein Arm um die Taille gelegt wurde. „Geht es so besser?“, erkundigte sich das Hündchen und er nickte ihm leicht lächelnd zu. „Ja danke.“ Sie schritten zum Eingang, wo ein Ober die Gäste empfing und Kaiba sprach ihn direkt an, ehe dieser es tun konnte. „Ich hatte einen Tisch für Zwei auf den Namen Kaiba reservieren lassen.“ „Einen Moment bitte.“ Flink huschten die Augen über das Reservierungsbuch, bis er ihn gefunden hatte und einen Haken machte. „Folgen Sie mir bitte.“ Obwohl ihm klar war, dass Joey bestimmt gern in einem Fastfood Laden gegessen hätte, hatte er sich für ein Sternerestaurant entschieden. Alles andere wäre unter seiner Würde und soweit ging seine Dankbarkeit dann doch nicht. Der Ober führte sie einmal durch den gesamten Laden in einen Bereich, der etwas geschützter lag und wo nicht jeder sofort sehen konnte, dass sie dort waren. Direkt an der Fensterfront, draußen war nur zwei Meter entfernt ein Fluss, der die Lichter der Stadt reflektierte, blieb der Ober stehen und bat sie mit einer einladenen Geste, sich zu setzen. „Vielen Dank“, hörte er den Blonden sagen und vorsichtig nahm er ihm die Krücke ab und stellte sie vorübergehend in den Regenschirmständer. Das war Joey – pragmatisch wie immer. „Wow, das sieht echt schön aus.“ Sein Hündchen sah sich die Aussicht an und er hatte doch gewusst, dass es ihm gefallen würde. So wie ihm selbst die Aussicht gefiel – allerdings nicht die nach draußen. Zwar wollte er das am liebsten noch immer leugnen, doch es brachte nichts. Ihm gefiel Joey und er wollte ihn. So wie er ihn gestern schon gewollt hatte, aber heute würde er ihn nicht davonziehen lassen. Das hatte er einmal mit ihm tun können, ein zweites Mal würde er unterbinden. Im Licht der gedimmten Lampe über ihnen wirkten Joeys Augen wie flüssiges Gold und ihr Blickkontakt blieb – er schien sich endlos zu ziehen –, bis sich der Ober räuspernd bemerkbar machte und Kaiba schaute ihn genervt an, was diesen aber nicht abschreckte. Stattdessen bekamen sie die Karten vorgelegt und in der Mitte wurde noch eine Kerze entzündet. „Darf ich den Herren bereits etwas zu Trinken empfehlen?“, erkundigte er sich und Joey schaute kurz zu ihm rüber, als er schon die Bestellung aufgab: „Wir hätten gern den teuersten Champagner, den Sie zu bieten haben.“ „Natürlich, sehr wohl.“ Damit verschwand der Mann wieder und ließ sie allein. „Gibt es etwas zu feiern, von dem ich nichts weiß?“, wollte der Blondschopf irritiert wissen und beugte sich dabei leicht vor. „Es ist Teil meines Dankes, dass du dich während meiner Abwesenheit um Mokuba gekümmert hast. Das ist etwas, wofür ich dir sehr dankbar bin. Der Kurze hat es so schon nicht leicht und dass du dich so selbstverständlich um ihn kümmerst, hat mich sehr beruhigt, als ich wieder wach war.“ „Das macht man so unter Freunden, Seto.“ Joey hatte seine Stimme gesenkt, damit sie niemand hören konnte, da der Teil nicht zur offiziellen Version passte und er erwiderte ebenfalls leiser: „Nein, auch Freunde machen das nicht automatisch. Nimm das Kompliment einfach an, in Ordnung?“ „Bald sind das ganz schöne viele.“ Das freche Grinsen entlockte ihm ein belustigtes Schnauben, aber der Blonde hatte recht. Was ihn anging, schien er zurzeit mit Komplimenten nur so um sich zu werfen. Das war nicht gut. Der Blondschopf würde sonst nur übermütig werden. „Ich hätte da auch noch eine Frage an dich“, fing Joey an und Kaiba lupfte eine Augenbraue, gab ihm aber zu verstehen, dass er fortfahren sollte, als der Ober schon wieder bei Ihnen war. Dieser Mann hatte ein unglaublich schlechtes Timing, schoss es dem Brünetten durch den Kopf und sie warteten, bis der Champagner geöffnet worden war und sie Gläser vor sich stehen hatten. Dann wurde die Flasche noch in den Kühler auf dem Tisch gestellt und der Ober zog sich zunächst zurück, als Kaiba ihm klargemacht hatte, dass sie sich noch nicht entschieden hatten. Im Hintergrund begann ein Pianist am Klavier zu spielen und Joey schaute ihm einen Moment lang wie gebannt zu, dann riss er sich förmlich davon los und schaute ihn wieder an. Mit einem beinahe schon schüchternen Lächeln hob er das Glas und Kaiba erwiderte die Geste und sie stießen an. „Auf deine baldige, vollständige Genesung“, sagte der Blondschopf und er nickte nur. Der Champagner schmeckte wirklich hervorragend, obwohl er nur selten so etwas trank, doch das hier gehörte zur Scharade und zu seinem Dank, da konnte er das schon einmal tun. „Also was für eine Frage hattest du?“, nahm Seto den Gesprächsfaden wieder auf und stellte das Glas ab. Der Blondschopf tat es ihm gleich, räusperte sich nervös und fing an zu reden: „Also eigentlich sind es mehrere Fragen und ich möchte deine ehrliche Meinung zu allem!“ „Ich bin immer ehrlich zu dir“, versicherte er, obwohl er sich fragte, was da jetzt alles auf ihn zukam und Joey nickte. „Also erstens: Würdest du wirklich so ein Konzept umsetzen, wenn ich es dir vorlege? Weder Yuna noch du haben auf mich den Eindruck gemacht, dass euch sonderlich interessiert, was ich da von mir gebe.“ „Selbstverständlich würde ich das tun, wenn es sauber und nachvollziehbar ausgearbeitet wurde und die Firma nicht in den Ruin treibt. Ich kann deinen Punkten durchaus folgen, nur halte ich sie persönlich für nicht so wichtig wie du. Sieh es als deine Meisterprüfung an: Überzeuge mich und es wird genauso umgesetzt, wie du es dir vorstellst.“ Die Augen des Hündchens wurden immer größer und für einen winzigen Augenblick glaubte er, Unsicherheit in ihnen zu sehen, doch da war das auch schon wieder weg. Irrte er sich vielleicht? „Ich werde dich überzeugen. Und wenn du danach die ersten neuen Quartalszahlen siehst, wirst du dich fragen, warum du es nicht schon viel früher getan hast.“ „Herausforderung angenommen.“ „Gut! Dann zu meiner nächsten Frage –“ „Warte kurz, Joey. Lass uns erst für ein Gericht entscheiden, bevor du gleich wieder unterbrochen wirst, in Ordnung?“ Ein Rotschimmer bildete sich auf den süßen Wangen und hektisch nickend versteckte er seinen Kopf hinter der großen Karte, was ihn amüsierte. Der Kleine konnte so schüchtern richtig niedlich sein. Dann studierte er die Menus, die angeboten wurden und kaum, dass er sich entschieden hatte, tauchte bereits der Ober wieder auf. Immerhin war sein Timing dieses Mal besser. Sie bestellten Vorspeise, Suppe und Hauptgericht und danach bedeutete er dem Hündchen, seine weiteren Fragen zu stellen. „Denkst du, dass ich das in Zukunft auch tun könnte? Eine Firma leiten? Also nicht deine, denn das ist ja deine, aber so generell. Vom Prinzip her, weißt du?“ Du meine Güte, wieso war er denn jetzt so unsicher? Manchmal verstand er einfach nicht, was in ihm vorging. „Natürlich könntest du das. Sonst hätte ich dich schon am Sonntag, aus dem Krankenhaus heraus, gefeuert. Jeder Firmenboss muss in die Themen eingearbeitet werden und fällt nicht einfach vom Himmel und du hast in der kurzen Zeit so unglaublich viel gelernt und anscheinend ein sehr gutes Gespür. Es spricht nichts dagegen, dass du zukünftig in eine Firma einsteigst oder selbst gründest. Außerdem hast du den Vorteil, dass du bereits einen Namen in der Wirtschaft hast, wenn du deinen Abschluss in der Tasche hast. Es würde mich nicht wundern, wenn Headhunter auf dich zukommen, um dich in verschiedene Firmen zu locken.“ Wieder diese tellgroßen Augen des Blondschopfs. Was hatte er denn gerade? Er wollte doch ehrliche Antworten, also wieso wirkte er so seltsam auf ihn? „Ich ähm … danke. Danke, das bedeutet mir wirklich viel, dass du das glaubst.“ „Joey, was ist los?“, fragte er und seine Stimme klang selbst in seinen Augen überraschend sanft. Sein Gegenüber wandte den Blick ab, schaute aus dem Fenster und sah durch die Spiegelung hindurch den fast pechschwarzen Fluss, der sich durch die Stadt schlängelte. Nur die Lichter der umstehenden Geschäfte beleuchteten ihn ein wenig und Kaiba glaubte, dass sein Vertreter gerade ganz woanders war. In Ruhe trank er einen Schluck und ließ ihm seine Ruhe, die er brauchte, bis die leise Stimme an sein Ohr drang. Das Klavierspiel übertönte es beinahe und so musste er sich anstrengen, die Worte auch zu hören: „Bisher hat niemand so richtig an mich geglaubt. Nein warte, das ist falsch. Yugi, Tea und Tristan glauben an mich, aber wenn es darum geht, nach der Schule etwas aus meinem Leben zu machen, sehe ich auch ihre skeptischen Blicke. Dabei wissen auch sie nicht, was alles passiert ist … Yuuto war der erste, der mir Mut zusprach, während du noch bewusstlos warst und ich habe das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass ich es zu etwas bringen kann. Dass ich nicht dieser elendige, nichtsnutzige Versager werde, von dem meine Eltern – besonders mein Vater – immer ausgingen. Dass in mir vielleicht doch noch Dinge sind, die ich selbst erst noch entdecken muss, aber die mich etwas in meinem Leben erreichen lassen. Und was die Führung einer Firma angeht, vertraue ich deinem Urteil. Deswegen fühle ich mich geehrt, dass du mir das zutraust.“ Mit so einer tiefgehenden Antwort hatte er nicht gerechnet und es verunsicherte ihn, dass Joey seinen Panzer so stark fallenließ. Dass er nicht alles weglachte, wie er es sonst so oft in der Vergangenheit getan hatte. Außerdem musste er aufpassen, was er entgegnete, denn der Blonde wusste nicht, dass er von den Schulden wusste. „Deine Eltern sind dumm, wenn sie so etwas von dir behaupten. Das ruiniert die eigene Erziehung.“ Joey lachte einmal bitter auf, starrte noch immer nach draußen, bis plötzlich schon wieder dieser Ober an ihrem Tisch auftauchte. Der Blondschopf riss sich von dem Anblick los und nickte ihm zu, als dieser die Suppen servierte. „Naja, das Thema hat sich jetzt ja auch zur Hälfte erledigt“, brummte Joey, als die Bedienung wieder verschwunden war und Kaiba spürte diesen Drang in sich, die Stimmung aufzulockern. Es passte nicht zu seinem Hündchen, dass er so verbittert war. Das fühlte sich nicht richtig an. Auch wenn er sie nach allen Informationen, die er bekommen hatte, absolut nachvollziehen konnte. Aus einem Impuls heraus legte Kaiba eine Hand auf die von Joey und dieser schaute ihn überrascht an. „Du musst nichts sagen, was du nicht willst. Aber lass dir gesagt sein, dass du nach allem, was du in den letzten Wochen für Mokuba und mich getan hast, vieles bist, aber kein Nichtsnutz, kein Versager und auch kein Idiot. Du hast nicht nur ein großes Herz bewiesen, sondern auch viel Köpfchen. Lass dir nichts von anderen einreden. Die haben keine Ahnung. Ich kann nicht leugnen, dass ich dich früher auch so gesehen habe, aber jeder mit ein kleinem bisschen Verstand wird erkennen, dass du dich stark verändert hast und das in einer eindrucksvollen Art und Weise.“ Wie gebannt hörte der Blondschopf ihm zu und beugte sich leicht vor. Reflexartig stellte Kaiba die Kerze an den Rand des Tisches, ohne sie anzusehen, dafür waren diese goldenen Augen viel zu besonders. Sie nahmen ihnen gefangen und im nächsten Augenblick überwanden sie beide die letzten Zentimeter und Seto glaubte, dass ein Feuerwerk in ihm explodierte, als sich ihre Lippen berührten. Es war ein sanfter, zärtlicher Kuss und dauerte nur einen Moment, ehe Joey ihn leicht errötet löste und sich verlegen räusperte. „Dann, also dann guten Appetit, ja?“ „Ja, dir auch“, erwiderte der Brünette leicht lächelnd und mit klopfendem Herzen löffelte er die hervorragende Suppe. Was war da gerade passiert? Sie hatten sich geküsst, aber das ja auch nicht zum ersten Mal. Mehr oder weniger leidenschaftlich taten sie das seit über einer Woche, doch keiner hatte sich so intensiv angefühlt, so … gefühlvoll. Die Küsse in der Schule waren verlangend gewesen, die im Krankenhaus vor den Ärzten notwendig, aber dieser hier … Für eine Sekunde hatte er das Gefühl gehabt, dass ihn ein ganz besonderes Gefühl eingefangen hatte. Nein, das konnte nicht sein. Er wollte den Sex und er respektierte ihn mittlerweile, aber alles weitere war ausgemachter Unsinn. Sobald er gesund war, würde Joey aus der Firma scheiden und er ihn dank seines Versprechens nie wieder sehen. Doch wieso fühlte sich dieser Gedanke plötzlich so falsch an? Er ließ sich doch nicht von einem Hündchen – einem ziemlich süßen nebenbei bemerkt – einwickeln. Nein, das würde er zu verhindern wissen. Außerdem hätte er gar keine Zeit für ihn. Mokuba kam ja schon viel zu kurz. Um sich vor den Gedanken zu drücken, die sich unaufhörlich damit beschäftigten, ob er sich nicht doch in das Hündchen verliebt hatte, beschloss Kaiba, das Gespräch wiederzubeleben. „Hattest du eigentlich noch weitere Fragen an mich? Das ist deine einmalige Gelegenheit, sie zu stellen.“ Überrascht sah Joey auf und nickte langsam. „Ja, da wären in der Tat noch welche …“ „Dann los. Du nimmst doch sonst kein Blatt vor den Mund“, neckte er ihn und spürte ein leichtes Zucken unter seiner Hand. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie noch immer auf Joeys lag. Während des Kusses und selbst während sie jetzt ihre Suppe aßen, hatte er sie nicht weggenommen. „Hast du manchmal Zweifel, wenn du Entscheidungen für die Firma triffst? Immerhin haben sie weitreichende Konsequenzen.“ „Hattest du Zweifel?“ „Ja natürlich! Ich kenne die Firma schließlich nicht so gut wie du. Und ich will ja, dass sie gut läuft.“ „Und was hast du dann getan?“ „Meistens mit Yuuto, Yuna, Yukiko oder Roland gesprochen. Sie haben mir dann gewisse Zusammenhänge erklärt und ich habe dann nochmal neu abgewägt, wie die Entscheidung ausfallen sollte und sie dann getroffen“, erklärte der Blondschopf leicht irritiert und musterte ihn. „Da ich die Firma kenne, muss ich das nur in seltenen Fällen tun, aber natürlich hat man Zweifel, wenn schwierige Entscheidungen anstehen. Dabei kann es um ganz verschiedene Dinge gehen. Leute entlassen, Projekte einstampfen, neue Strategie in Verkauf oder Kundendienst und auch die Umstellung des Personalwesens. Das sind tiefgreifende Prozesse, die sich in jeden Winkel der Firma auswirken und wenn man gezwungen ist, so etwas zu entscheiden, muss das Hand und Fuß haben. Also denkt man drei Mal darüber nach, ehe man sie fällt. Aber so lange du sie vor dir selbst vertreten kannst, kannst du sie auch allen anderen gegenüber vertreten.“ Joey nickte langsam und ein kleines Lächeln legte sich auf diese betörenden Lippen. Du meine Güte, seit wann war er so offen? Wie kam er dazu, so viel von sich preiszugeben? Das tat er sonst nie und er achtete normalerweise strikt darauf, dass er das nicht tat. Kapitel 42: Vergangenheit und Zukunft ------------------------------------- Dienstag, 20.09. Joey wusste nicht, was mit ihm passierte. Er fühlte sich wie auf Wolke 7, während sie in der Ecke des Restaurants saßen, aßen und sich unterhielten. So einen netten Kaiba hatte er noch nie erlebt und er konnte kaum fassen, dass der Brünette diese Situation überhaupt zuließ. Es fühlte sich wie ein richtiges Date an und der Kuss eben war einfach nur magisch gewesen. So sanft, so gefühlvoll, dass ihm noch immer schwindelig wurde, wenn er daran dachte. Fühlte sich so Perfektion an? Mittlerweile waren sie beim Hauptgang angekommen und es gab da immer noch eine Frage, die ihn beschäftigte. Doch er war sich nicht sicher, ob er nicht vielleicht die Stimmung komplett ruinierte, wenn er sie stellte. Das wollte er ja auch nicht. Dafür war es gerade zu schön. Kaiba hingegen schien einen sechsten Sinn dafür entwickelt zu haben, wenn ihm noch etwas unter den Nägeln brannte, denn er musterte ihn aufmerksam und weil er gerade kaute, bedeutete er ihm mit einer Handbewegung, dass er reden sollte. „Naja, ich ähm … Ach nein, lass mal gut sein. Ich will die Stimmung nicht ruinieren“, sagte er schließlich und aß ebenfalls weiter. Die Frage konnte er auch noch ein andernmal stellen, wenn sich eine Gelegenheit bot. Doch was hatte er erwartet? Der Geldsack ließ das natürlich nicht auf sich beruhen und hakte sofort nach: „Es scheint dich ziemlich zu beschäftigen, also lass es raus.“ „Also schön, aber wehe, die Stimmung kippt“, drohte er leise, wollte er doch nicht derjenige sein, der diesen schönen Abend zerstörte. Kaiba nickte nur und wartete darauf, dass er endlich zum Punkt kam und bevor er es sich noch einmal überlegte, begann er zu reden: „Schon seit dem Battle City Turnier frage ich mich, wie es eigentlich bei dir in der Kindheit war. Nachdem dieser Noah uns da in diese virtuelle Welt gesperrt hatte und das alles so aus dem Ruder gelaufen war, habe ich mich gefragt, was du wohl so in der Vergangenheit erlebt hast. Wie es dazu kam, dass du der geworden bist, der du jetzt bist.“ Er sah es sofort. Das Blau in den Augen wurde kälter und Joey bereute es sofort, dass er das Thema angeschnitten hatte. Das war dumm gewesen. Schnell wollte er noch etwas hinterhersetzen, als Seto seine Hand hob – die linke lag noch immer auf seiner – und er schluckte seine Worte herunter. „Unsere Eltern sind ziemlich früh gestorben. Ich war acht Jahre alt und habe nur noch verschwommene Erinnerungen an sie. Mokuba kann sich gar nicht erinnern. Wir kamen in ein Heim, dass nicht das schlechteste war, aber auch kein Hort der Freundlichkeit. Mehrere Eltern überlegten, mich zu adoptieren, doch ich stellte die Bedingung, dass wir nur gemeinsam adoptiert werden und so blieben wir Jahre dort. Zwei Kinder auf einmal aufzunehmen, hatten sich viele nicht zugetraut. Eines Tages kam Gozaburo Kaiba in das Heim und war auf der Suche nach einem Kind. Ich spielte Schach gegen ihn und gewann und so musste er Mokuba und mich mit sich nehmen. Es war unsere Fahrkarte aus dem staatlichen System, doch …“ Kaiba hielt inne und trank einen Schluck des Champagners. Ruhig hörte er ihm zu, sah, wie er in Erinnerungen gefangen war und entzog ihm seine Hand. Seto registrierte das sofort und musterte ihn scharf, doch der Blick wurde weicher, als er sie auf seine legte, um sie leicht zu streicheln. „Die Zeit bei Gozaburo war schwer. Die meiste Zeit hielt er Mokuba und mich getrennt. Gemeinsame Zeit mit meinem kleinen Bruder musste ich mir durch die besten Noten erarbeiten und dann bekam ich sie auch nur kurz. Ich wurde zu dem erzogen, der ich heute noch in großen Teilen bin. Gerade, was Geschäfte und die Firma angeht, bin ich sehr von ihm geprägt. Die Kälte, wie du sie beschreibst, habe ich damals wie einen Schutzmantel gebraucht. Ich habe mehr als einmal miterlebt, wie er andere Menschen gebrochen hat. Wie er ihnen ihren Willen genommen und sie dann rausgeschmissen hat. Doch er hat mich dadurch auch unglaublich stark gemacht. Dennoch würde ich es nicht als gute Kindheit beschreiben.“ „Mein Beileid, dass deine Eltern so früh verstorben sind. Mit Mokuba war das bestimmt nicht einfach“, murmelte er getroffen und senkte den Blick, doch Kaiba brummte nur. „Das sind die Prüfungen, die man ablegen musste. Nach deiner Entführung zu urteilen, hast du da auch ein paar von ablegen müssen, oder?“ „Ja, das kann man wohl so sagen.“ Sein Blick glitt wieder aus dem Fenster und er haderte mit sich, doch Kaiba hatte sich ein Stück weit geöffnet, da hatte er das Recht, auch etwas über ihn zu erfahren. Also riss er sich zusammen und begann zu erzählen: „Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich ebenfalls acht Jahre alt war. Meine Mutter nahm Serenity mit sich und sie wanderten nach Amerika aus. Ich blieb bei meinem Vater, der anfangs „nur“ etwas überfordert war, doch nachdem er seinen Job verloren hatte, ging alles den Bach runter. Er trank immer mehr Alkohol und ließ sich komplett gehen. Weitere Jobs verlor er schon nach ein paar Wochen und mit jedem Rausschmiss wurde es schlimmer. Er fing an, mich zu schlagen und ich musste mich um alles kümmern. Kochen, waschen, putzen, einkaufen, alles. Ich fälschte die Unterschrift meines Vaters, wenn irgendwelche wichtigen Dokumente im Briefkasten waren, damit ich nicht in ein Heim musste. Irgendwann war mir selbst das egal, doch als selbst Polizei und Jugendamt keinen Grund sahen, mich aus dem Loch zu holen, weil mein Vater leider Gottes sehr überzeugend sein konnte, habe ich die Hoffnung irgendwann ganz aufgegeben. Ich prügelte mich mit anderen, um mich irgendwo stark zu fühlen, weil ich gegen meinen alten Herrn keine Chance hatte und die Schmerzen sorgten dafür, dass meine innere Taubheit für ein paar Stunden verschwand. Dann traf ich auf Yugi, Tea und Tristan. Sie haben mir gezeigt, was Freundschaft bedeutet und ich fühle mich sehr wohl bei ihnen, doch auch sie kennen die Geschichte nicht richtig. Es sind meine Probleme und die löse ich auch allein, weshalb ich angefangen habe, alles wegzulachen. Damit die anderen keine Fragen stellen. Es erleben zu müssen, ist schon beschissen genug, es anderen zu erzählen eine Tortur, wenn man nicht bereit dafür ist. Doch in den Sommerferien starb mein alter Herr. Er hatte sich so zugesoffen, dass er an seiner eigenen Kotze erstickt ist. Es war ein merkwürdiges, absurdes Gefühl, den alten Mann tot auf dem Boden liegen zu sehen. Naja, ist ja auch egal. Der Teil der Geschichte ist jetzt abgeschlossen.“ So, das war sie. Seine Geschichte oder zumindest Teile davon und er traute sich nicht, Kaiba anzusehen. Er hielt ihn bestimmt für einen Schwächling, dass er es nicht geschafft hatte, sich gegen ihn zu wehren. Immerhin hatte Kaiba das doch bei seinem Stiefvater auch hinbekommen. Das Unwohlsein hielt an und er nahm die Hand von Kaibas und legte sie auf seinen Oberschenkel, sodass Kaiba nicht an sie herankam. Die Berührung war zu viel, alles war zu viel und er fühlte sich wie ein ängstliches Hündchen, das in die Ecke gedrängt worden war. Warum hatte er nur angefangen, davon zu reden? Jetzt war die Stimmung im Eimer und das war seine Schuld. Wie so viel anderes auch. Sein Herz setzte einen Schlag aus, nein es brach, als der Brünette wortlos aufstand und Joey brauchte all seine Kraft, um nicht loszuweinen. Er wollte das nicht hier in der Öffentlichkeit, aber dass der CEO ihn einfach so sitzen ließ, machte ihn fertig. Doch dann blieb er neben ihm stehen und beugte sich zu ihm runter. „Folge mir mit deinem Blick, Joey.“ Die Stimme nur ein leises Hauchen schritt Kaiba leicht humpelnd weiter durch den Laden und verwirrt tat der Blondschopf, wie ihm geheißen. Was war denn jetzt los? Sollte er zusehen, wie er ihn einfach sitzen ließ? Zu seiner großen Überraschung sprach Seto kurz mit dem Pianisten und dieser stand nickend auf und machte für den Brünetten Platz. Was sollte das denn jetzt werden? Den Blick auf die Tasten gerichtet, begann Seto zu spielen. Es war ein ruhiges, sanftes Stück, welches Joey sofort in eine andere Welt entführte. Eine Welt, in der all die Scheiße niemals passiert war. In der alles in Ordnung war. Wie gebannt starrte er Kaiba an, wie er sich selbst in der Musik verlor und das Klavier zu seinem Instrument machte. Und mit einem Mal fiel dem Blonden auf, dass niemand mehr sprach. Da war nur noch die Musik zu hören, das Klavierspiel, in dem so viel Gefühl lag, dass ihm regelrecht schwindelig wurde. Jeder Ton schien sich direkt den Weg in sein Herz zu suchen und verdrängte eine schlechte Erinnerung, bis da nur noch die Musik war. Die Musik und Seto. Langsam stand er auf und trat an das Klavier heran, während die Musik fordernder, mitreißender wurde und Joey musterte ihn noch immer wie gebannt. Seto hatte die Augen geschlossen, wippte mit dem Oberkörper leicht vor und zurück und schien – wie er – vollkommen in der Musik aufzugehen. Die Trauer verflog, der Schmerz verebbte, die stürmischen Gedanken wurden ruhig und mit einem Mal war alles glasklar: Er wollte Seto an seiner Seite und er wollte mit ihm zusammenarbeiten. Er konnte es noch so sehr abstreiten, verleugnen oder unterdrücken, aber das änderte nichts an seinem Wunsch. Und in diesem Moment wurde er übrmächtig. Bedächtig, um keinen Lärm zu verursachen, schritt um das Klavier herum und setzte sich neben Kaiba auf die Bank und er schaute ihn an. Augen, so blau und stürmisch wie das weite Meer schauten ihn an und er schluckte. Das war alles so … Ihm fehlten die Worte, um diesen Moment auch nur annähernd beschreiben zu können, aber er wusste, dass er niemals enden sollte. Das Spiel wurde schneller, steuerte auf seinen Höhepunkt zu und sein Herz schien sich mit dem Schlagen an der Melodie anzupassen. Und plötzlich waren da Setos Lippen auf seinen, stürmisch und keinen Zweifel daran lassend, dass er das hier genauso wollte er wie. Dass er ihrer beider Kummer mit diesem Stück Musik davontrug und ihnen so ihre Sicherheit wiedergab, die sie für einen Moment verloren hatten. Joey erwiderte den Kuss fordernd, blendete selbst die Musik aus und wünschte sich, dass sie irgendwo allein in Kaibas Villa wären, wo sie mit anderen Dingen fortfahren konnten, doch sie waren noch in diesem Edelrestaurant, sodass sie sich nach einem Augenblick voneinander lösten. „Wieder besser?“, wollte Seto wissen und er nickte. „Viel besser.“ Das Lächeln, das Kaiba ihm schenkte, war atemberaubend schön, doch dann wandte er den Kopf schon wieder ab und konzentrierte sich auf das Klavier. Ruhig ließ er das Stück ausklingen und als er den letzten Ton gespielt hatte, herrschte einen Moment lang Stille. Wie eine Welle rollte plötzlich der Applaus über ihnen hinweg und Joey spürte, wie seine Wangen warm wurden. Also wenn die jetzt nicht alle glaubten, dass sie das perfekte Liebespaar waren, dann könnte die gar nichts mehr überzeugen, schoss es ihm absurderweise durch den Kopf. Danach hatten sie sich wieder an ihren Tisch gesetzt und noch das Dessert gegessen und die Stimmung war intim, aber nicht mehr schwer und sie unterhielten sich noch über ein paar belanglose Dinge aus der Schulzeit. Joey war froh, dass Kaiba es geschafft hatte, seine Stimmung aufzuhellen und er fühlte sich dem CEO dadurch noch verbundener. Es war ein gutes Gefühl, mit ihm über alles reden zu können – selbst über seine inneren Dämonen. Nun saßen sie in der Limousine, um nach Hause gefahren zu werden und Joey zog sich das Sakko aus, da ihm warm genug war. Er legte es zusammengelegt auf die seitliche Bank und als er sich wieder zurückgelehnt hatte, um noch etwas zu entspannen, beugte sich Seto auf einmal zu ihm und küsste ihn leidenschaftlich. Der Blondschopf erwiderte ihn sofort und schlang seine Arme um Setos Nacken, obwohl eine Stimme flüsterte, dass er erst mit ihm reden sollte, bevor das hier noch weiter ging, doch Joey ignorierte sie. Reden konnten sie auch noch später. Am Rande nahm er wahr, dass der Wagen irgendwann wieder anhielt, doch Seto suchte mit der Hand den Griff und öffnete die Tür. Er löste kurz den Kuss und stieg aus und Joey folgte ihm augenblicklich. Das Sakko ließ er achtlos im Wagen liegen genauso wie den Aktenkoffer. Kei würde das sicherlich noch reinbringen, ehe er Feierabend machte. Sofort griff der Brünette seine Hand und zog ihn in die Villa. Ein Blick auf die Uhr im Eingangsbereich verkündete, dass es halb 11 war, also war Mokuba schon schlafen und das Personal im Feierabend. Entweder war Kaiba das bewusst oder es war ihm egal, denn er drückte ihn neben der Tür an die Wand und küsste ihn erneut gierig und nach mehr verlangend und Joey war gewillt, ihm in dieser Nacht alles zu geben, was er hatte. So gewährte er ihm Einlass in seine Mundhöhle und keuchte erregt auf, als Seto diese genüßlich ausräuberte. Er drängte sich an den Größeren und begann mit seinen Nackenhärchen zu spielen, als der CEO ihn weiter in Richtung Treppe zog. Das Foyer der Kaiba Villa stand jetzt auch nicht auf Platz 1 seiner Orte für Sex mit Kaiba. Insofern folgte er ihm bereitwillig und strich ihm frech über den knackigen Hintern, was Seto mit einem arroganten Grinsen und einem langen Kuss auf der Treppe kommentierte. Dabei stand Joey eine Stufe weiter oben, sodass sie beinahe gleich groß waren. Der Blonde genoss es, dass er nicht aufschauen musste und fing an, Setos Hemd aus der Hose zu rupfen, als dieser es ihm gleich tat. Noch immer küssend standen sie da, mitten auf der Treppe und konnten einfach die Hände nicht voneinander lassen. Doch bevor nachher noch Mokuba aus seinem Zimmer kam, weil er Durst oder so hatte, löste Joey den Kuss, schaute ihn mit leicht lüsternen Augen an und leckte sich über die Lippen. Vorsichtig stieg er rückwärts die letzten Treppenstufen hinauf und winkte Seto mit dem Zeigefinger zu sich. Der Brünette folgte ihm bedächtig, löste die Krawatte und zog sie sich über den Kopf, behielt sie aber in der Hand und folgte ihm in dem Abstand, dass sie sich gerade eben nicht berührten. Seto deutete auf eine Tür rechts von ihm und Joey wollte die Tür gerade öffnen, als der Brünette mit zwei Schritten bei ihm war, ihn mit seinem Körper gegen die Tür drängte und ihn erneut innig küsste. Joey erwiderte ihn gierig, wollte ihn überall spüren und zog ihn mit beiden Händen am Kragen noch enger zu sich. Er spürte Setos Hände, wie sie langsam über seine Seiten fuhren und schließlich den Weg zu seinem Hintern fanden und ihn massierten. Wohlig keuchte Joey in den Kuss und suchte nach der Türklinke, doch er fand sie einfach nicht. Verdammt, wo war die denn jetzt!? Der Firmenchef wiederum nutzte die Sekunde, öffnete die Tür und schob ihn in das dahinter liegende Zimmer. Der Blondschopf wollte das Hemd erst aufknöpfen, doch er war viel zu ungeduldig und der Brünette konnte sich danach auch noch ein neues Hemd schneidern lassen. Also riss er es einfach auf und Seto grinste ihn an. „Ist da jemand ungeduldig?“, fragte er mit rauer Stimme, während er ihn langsam durch den Raum bugsierte. „Als ob ich jetzt in aller Seelenruhe das Hemd aufknöpfen würde!“, brummte Joey und musterte interessiert den überraschend durchtrainierten Oberkörper des Firmenchefs. Mit so einem definierten Körper hatte er nicht gerechnet, aber er sah einfach perfekt aus. Am liebsten würde ihn stundenlang anstarren und Joey kaute leicht auf seiner Unterlippe, während er mit seinen Händen über den Körper fuhr. „Ich bin beeindruckt, dafür, dass du ein Schreibtischhengst bist.“ Seto brach in schallendes Gelächter aus, aber es war ein ehrliches, befreites Lachen und Joey bekam eine Gänsehaut. Das hörte sich großartig an und doch unterbrach er das, als er ihm seine Lippen aufdrückte und ihn wild küsste. Denn ihn zu küssen, war gerade noch viel besser als sein Lachen zu hören. Seto war mit ihm mittlerweile am Bett angekommen, denn er spürte das Gestell an seinen Beinen. Frecherweise gab ihm der Brünette einen starken Stoß, sodass er hintenüberfiel, doch es störte ihn nicht, denn er landete weich. Gierig musterte er den CEO, der zwischen seinen Beinen stand und ihn unverhohlen musterte. Ihm gefiel es, so von ihm angesehen zu werden. Es gab ihm das Gefühl, dass er gerade das einzige war, was für ihn eine Rolle spielte. Dennoch konnte er ihn auch später noch anstarren und so winkelte er seine Beine an und schubste Seto in seine Richtung. „Du bist viel zu ungeduldig, Joey“, flüsterte er mit tiefer Stimme, als er sich vorbeugte und der Blonde spürte wieder diesen wohligen Schauer. Er spürte, wie Seto ihm langsam über den Hals leckte und er drehte den Kopf etwas zur Seite, damit er mehr Platz hatte und legte eine Hand in seinen Nacken, weil er bereits festgestellt hatte, dass der Brünette das mochte. Die andere strich hauchzart über den Oberkörper und er hörte ein zufriedenes Brummen des Firmenchefs, was ihn unwillkürlich lächeln ließ. Er wiederum liebte es, wie sein Hals verwöhnt wurde, zärtlich hineingebissen und dann über die Stelle geleckt wurde. Ihm war auch bewusst, dass er am nächsten Morgen mindestens einen Knutschfleck haben würde, doch das war dann eben so. Keuchend spürte er, wie der Blauäugige eine Hand unter sein Hemd gleiten ließ und über seinen Oberkörper fuhr. Die weiche Haut des anderen fühlte sich so wunderbar an und überrascht keuchte er auf, als die Hand über seine Brustwarze strich. Seto löste sich von seinem Hals und zog die Hand weg, um elendig langsam sein Hemd aufzuknöpfen und Joey stöhnte genervt, aber grinsend auf. „Ernsthaft?“ „Im Gegensatz zu dir habe ich eben mehr Selbstbeherrschung“, erwiderte Seto arrogant lächelnd und drückte Joey bestimmt wieder auf die Matratze, als dieser sich hochstemmen wollte, um ihn zu küssen. „Jetzt warte doch mal eben und lass mich das hier genießen“, ärgerte Seto ihn noch immer mit einem Lächeln weiter und Joey ergab sich grinsend seinem Schicksal. Zärtlich strich der Firmenchef über seinen nackten Oberkörper und schob die Hemdseiten beiseite, als er es fertig geöffnet hatte und Joey fühlte die Röte auf seinen Wangen. Der musternde, gierige Blick jagte ihm einen Schauer über den Rücken und der Blonde war sich einen Moment lang nicht sicher, ob er so einen Blick verdient hatte. Vielleicht hatte er doch größere Minderwertigkeitskomplexe, als er dachte. Aber warum zur Hölle musste er ausgerechnet jetzt daran denken? „Du bist wunderschön, Joey.“ „Findest du?“, fragte der Blondschopf leise und Seto nickte langsam. „Ja“, hauchte er und ehe Joey protestieren konnte, küsste Seto ihn erneut. All seine Gedanken verflüchtigten sich und er legte seine Arme auf Kaibas Rücken und zog ihn zu sich runter, sodass dieser mit seinem ganzen Gewicht auf ihm lag. Er drückte leicht den Rücken durch und genoss es, ihn überall zu spüren und schlang seinen Arm um seine Taille, als er plötzlich an den Unfall denken musste und abrupt löste Joey den Kuss und schaute Seto in die blauen Augen. Wenn er noch nicht wieder fit war und die vier Wochen Frist der Ärzte war noch lange nicht um, dann sollten sie das hier lieber abbrechen. So schwer es ihm auch gerade fallen würde. „Du bist noch krankgeschrieben.“ Es war eine Feststellung und er bemerkte, dass sein Gegenüber nicht ganz begriff, worauf er eigentlich hinauswollte. „Wir sollten das hier lassen, wenn du noch nicht richtig fit bist“, konkretisierte Joey seine Bedenken und Seto lächelte ihn kurz liebevoll an. Dann schüttelte er den Kopf und küsste den Blondschopf wieder und sagte gegen seine Lippen: „Wenn ich mich nicht fit fühlen würde, hätte ich damit nicht angefangen.“ Eigentlich hätte er weiter protestieren sollen, doch Kaiba erstickte sämtliche Bedenken in einem heißen Kuss, den der Blonde einfach nicht abbrechen wollte. Es würde schon gut gehen. Kaiba musste selber wissen, was er sich zutraute und was nicht. Und auf den Sex verzichten, wollte er auch nicht wirklich, wenn er ehrlich war. Aber vor allem wollte er eins: Nicht mehr unten liegen. Also beförderte er mit einem Ruck Seto unter sich, löste den Kuss, krabbelte vom Bett und stellte sich hin. Er packte Setos Beine und legte sie auf das Bett, dann setzte er sich auf die Oberschenkel und leckte sich lasziv über die Lippen, während er sachte Setos Oberkörper mit seinen Fingern nachfuhr. „Was soll das denn werden, hm?“ „Lass dich überraschen“, schnurrte Joey und beugte sich vor, um über Setos Hals zu lecken. Auch er verpasste ihm einen Knutschfleck, was der Firmenchef mit einem leisen Keuchen quittierte. Dann küsste er sich langsam weiter über das Schlüsselbein bis zur muskulösen Brust und den Brustwarzen, die er genüsslich mit den Zähnen reizte, darüber pustete und entschuldigend leckte. Seto griff ihn fest im Nacken und wollte ihn dirigieren – eben ganz der Firmenchef –, doch Joey blieb standhaft und grinste ihn von unten her an. „Nix da, du wirst dich für den Moment fügen müssen.“ „Das wird sich noch rächen, glaub mir“, knurrte Seto leicht erregt. „Oh ja, das hoffe ich.“ Joey schnurrte und sah das Blitzen in Setos Augen. Das würde wahrscheinlich eine sehr lange Nacht werden. Kapitel 43: Sex --------------- Montag, 19.09. Heute Nacht würde er Joey Manieren beibringen. Frech wie er war, hatte der Blonde ihn in die Kissen befördert und entzog sich auch noch seiner Anordnung. Notgedrungen hielt sich Seto also erst einmal zurück und beobachtete, wie der Blondschopf ihn weiter an den Brustwarzen verwöhnte, ehe er sich langsam weiter zum Bauchnabel küsste, dort kurz verharrte, was Seto aufkeuchen ließ und spürte, wie eine Hand über seine Hose strich. Genießend legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er wollte sich auf die Berührungen konzentrieren, auch wenn es ihm sehr schwerfiel, die Kontrolle abzugeben, doch Joey war so geschickt, dass er das auskosten wollte. Dafür würde er sich zusammenreißen. Die Hand fuhr mal stärker, mal sanfter über seine Beule im Schritt, während sein Hündchen noch immer seine Bauchpartie küsste und der Brünette strich mit einer Hand über seinen Kopf, versuchte ihn doch etwas weiter nach unten zu schieben, was dieser überraschenderweise mit sich machen ließ. Das hatte er nicht erwartet. Ein paar Sekunden spürte er beide Hände auf seiner Hose, dann öffnete Joey den Gürtel und auch die Hose. Der Blonde stand auf und zog ihm die Hose mitsamt den Socken aus, nachdem er den Hintern hochgehoben hatte. Im Gegensatz zu Joey wurde er nicht rot, wenn man ihn auszog. Es gab nichts, wofür er sich schämen müsste, also auch keinen Grund, rote Wangen zu bekommen. Er hatte noch immer die Augen geschlossen, um jede Empfindung noch bewusster wahrzunehmen, hörte wie Joey die Sachen durch den Raum warf und Seto beschloss, noch etwas hochzurutschen, damit der Blondschopf noch etwas mehr Platz hatte. Als Joey sich zwischen seinen Beinen platziert hatte, öffnete Seto doch neugierig seine Augen und schaute zu dem Blonden runter, der mit geschlossenen Augen über seine Boxershort leckte und Seto stöhnte überrascht auf. Der Kleine wusste wirklich, was ihm gefiel und er genoss es, dass der Blonde so in die Offensive ging. Zärtlich wurde nun sein Boxershort geküsst und entlockte ihm so jedes Mal ein Keuchen. Der Stoff spannte und sorgte dafür, dass er noch leichter zu erregen war und der Blondschopf nutzte das gnadenlos gegen ihn aus. Noch ein paar weitere Minuten leckte und küsste Joey abwechselnd seine Boxershort und reizte seine Beherrschung bis auf’s Äußerste, aber er würde nicht nach mehr betteln. Da konnte sich das Hündchen noch so viel Mühe geben. Die Blöße würde er sich niemals geben. Joey schien das einzusehen, denn er zog ihm den Boxershort schließlich aus und Seto beobachtete ihn dabei, wie er sein bestes Stück musterte, sich über die Lippen leckte und dann mit der Zunge von der Wurzel bis zur Eichel leckte. Seto stöhnte erregt auf, fixierte den Kleineren mit seinem Blick, der das zu merken schien, denn während er seine Eichel mit seinen Lippen umschloss und ihn tiefer in seinen warmen Mund aufnahm, schaute er ihn seinerseits erregt an. Seto legte seine Hände auf Joeys Kopf, dirigierte ihn ein wenig, aber viel ließ die Promenadenmischung nicht zu. Stattdessen begann er träge, den Kopf auf und ab zu bewegen und ihn weiter anzuschauen. Nach kurzer Zeit verlagerte Joey sein Gewicht etwas, um einen Arm freizubekommen und schloss seine Hand um seinen Schaft und begann diesen im gleichen Takt zu massieren. Setos Keuchen ging in ein Stöhnen über, während er versuchte, Joey noch etwas tiefer zu drücken, doch der Kleine musste über wahnsinnige Nackenmuskeln verfügen, dass er das verhindern konnte. Der Brünette knurrte leicht genervt, aber auch erregt und endlich hatte er ein Einsehen mit ihm, verstärkte sein Tempo und nahm sein bestes Stück tief in sich auf. Es dauerte nicht mehr lang, bis er stöhnend in Joeys Mund kam und den Kopf in den Nacken legte. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Er hatte schon einige Blowjobs bekommen, aber dieser hier gehörte definitiv zu den Besten. Blasen konnte Joey definitiv. Das hatte er jetzt gelernt. Doch was der Kleine konnte, konnte er selbst schon lange und das würde er ihm jetzt beweisen. Einen Moment blieb er noch liegen und hörte, wie Joey nach oben kletterte und ihm dann abwartend in die Augen sah. Sie waren lustverhangen und ohne Vorwarnung schoss Seto etwas mit dem Kopf nach oben und küsste den Blonden und schmeckte noch etwas von seinem Samen, was ihn aber nicht weiter kümmerte. Während des Kusses griff Seto zwischen ihn und sich und öffnete ebenfalls Joeys Gürtel und zog ihn aus der Hose. Er warf ihn achtlos zu Boden, strich über die Beule und wie erwartet drängte sich Joey sofort gegen seine Hand, was ihn in den Kuss grinsen ließ. „Ich bin dran“, raunte er ihm ins Ohr, nachdem er den Kuss beendet hatte und Joey ließ sich bereitwillig neben ihm in die Kissen sinken. Mit den geröteten Wangen und den lustverschleierten Augen sah er richtig süß aus und Seto würde jede Sekunde auskosten. Wie schon Joey küsste er sich vom Hals – der Blonde hatte jetzt auch auf der anderen Seite einen Knutschfleck – über das Schlüsselbein bis zu seiner muskulösen Brust. Er verwöhnte seine Brustwarzen, indem er darüber leckte, vorsichtig seine Zähne benutzte und das erregte Keuchen bestätigte ihm, dass er genau das richtige tat. Doch anstatt es noch weiter zu intensivieren, küsste sich Seto weiter nach unten, fuhr mit der Zunge seine Bauchmuskeln nach und lauschte Joeys erregtem Keuchen, welches Musik in seinen Ohren war. Nachdem er über seinen Bauchnabel geleckt hatte, setzte Seto sich auf und starrte Joey ungeniert an, wie er erregt unter ihm lag, den Kopf mit geröteten Wangen halb zur Seite gelegt und leicht am keuchen. Um seine Aufmerksamkeit wieder zu bekommen, griff er ihm fest in den Schritt und Joey stöhnte überrascht auf und schaute ihn an. Seto hielt seinen Blick gefangen, während er weiter seinen Schritt massierte und Joey stöhnte, während er ihn noch immer ansah und Seto begann zu grinsen. „Soll ich dir die Hose ausziehen?“ „Du … steht auf diese Talks, oder?“, brachte der Blondschopf zwischen dem Stöhnen hervor und der Brünette erwiderte lächelnd: „Du doch auch.“ Jetzt war es Joey, der grinste und seine Hand nahm und sie weiter über seinen Schritt streichen ließ. Genüsslich hob der Blonde seine Hüfte an und stöhnte laut auf, als Seto ihm seine Hand entzog. Doch offenbar hielt das Joey nicht davon ab, aufzuhören. Im Gegenteil. Der Kleine ließ seine Hand in seine Hose wandern und begann sich ungeniert selbst einen runterzuholen. Seto beobachtete ihn dabei, fixierte ihn geradezu, bis er Joeys Hand aus der Hose zog und diese langsam auszog. Gnädigerweise zog er den Boxershort gleich mit aus, da er diesem Schauspiel beiwohnen durfte und umschloss Joeys aufgerichtetes Glied mit seinen schlanken Fingern und begann es langsam zu pumpen. Der Blondschopf keuchte erregt, stieß mit seiner Hüfte zu, doch Setos Reflexe waren zu gut, als dass der Kleine damit etwas erreichen konnte. Quälend langsam genoss der Firmenchef den Anblick eine Weile. „Seto … Bitte …“, stöhnte Joey halb verzweifelt und Seto beugte sich zu ihm runter, während er noch immer langsam sein Glied pumpte. „Was ist denn, Joey?“, raunte er und der Blonde schaute ihn so flehend an, dass der Brünette sich zusammenreißen musste, um ihn nicht sofort zum Höhepunkt zu bringen. Er wollte das noch etwas genießen. „Lass mich bitte kommen!“, bat der Kleine stöhnend und Seto steigerte etwas das Tempo. Es turnte ihn an, dass Joey so hilflos und folgsam unter ihm lag und es diesem offenbar auch noch gefiel. Doch so langsam kämpfte er gegen seine eigene Ungeduld und immerhin wollte er noch richtig Spaß mit Joey haben, also sollte er vielleicht doch Erbarmen zeigen. Seto machte es sich zwischen Joeys Beinen bequem und leckte genüsslich über seine Eichel. Joey stöhnte laut auf und hob sein Becken an, doch Seto ließ sein bestes Stück einfach los und frustriert stöhnte Joey genervt auf. Seto fixierte seine Hüfte mit den Händen auf dem Bett und leckte ein zweites Mal über seine Eichel und nahm sie dieses Mal in den Mund und begann träge auf und ab Bewegungen, verstärkte diese immer wieder und reizte den Kleineren bis aufs Äußere und erst als der Kleine laut stöhnte, ließ er ihn in seinem Mund kommen und schluckte alles. Er entließ Joeys Glied aus seinem Mund und schaute den Kleinen an, der ihn mit einem Blick anstarrte, dass er ihn am liebsten augenblicklich nehmen wollte, doch er riss sich noch zusammen, wollte den Kleineren noch zu Atem kommen lassen. Joey wollte sich aufsetzen und Seto half ihm dabei und hielt ihn im Arm, während sie sich innig küssten. So saßen sie einen Moment auf dem Bett und der Blonde war ganz gierig und energisch dabei, räuberte frech seine Mundhöhle und Seto keuchte: „Ich will dich nehmen.“ „Dann mach“, forderte Joey ihn auf und der Brünette grinste innerlich. Das war so typisch Joey. Der Kleine nahm Setos Hände und führte sie über seinen Körper und der Brünette ließ ihn machen. Er nutzte seine Hände, um sich wieder zu erregen und Seto beobachtete ihn interessiert dabei. Er spürte, wie eine Hand über die Brust geführt wurde und automatisch kratzte er leicht über die Brustwarzen und drehte sie etwas mit den Fingern, was Joey aufstöhnen ließ. Der Kleine war wirklich leicht zu erregen. Die zweite Hand führte er zu seinem Hintern und sofort begann Seto, ihn zu massieren. Joey küsste Seto wieder, keuchte in den Kuss und begann seinerseits Seto zu streicheln, doch er fing die Hände ab und murmelte: „Sonst wird das ein kurzes Vergnügen.“ „Oh, das will ich natürlich nicht“, erwiderte er grinsend und gab sich Setos Berührungen hin. Dieser legte die zweite Hand auch auf Joeys Hintern und massierte ihn und schob einen Zeigefinger zwischen die Pobacken, was Joey mit einem lauten Keuchen kommentierte. Er strich ihm wieder und wieder über den Muskelring und mit einem Blick nach unten überzeugte er sich, dass der Kleine wieder gut erregt war. „Ich will dich reiten, Seto“, forderte Joey stöhnend und Seto musste sich ernsthaft zurücknehmen. Wie der Blondschopf ihn mit so lustverhangenen Augen ansah und so etwas zu ihm sagte, fiel es ihm sichtlich schwer, sich zurückzuhalten. „Ach so, willst du das?“ „Eigentlich will ich noch ganz andere Dinge, aber wir müssen noch wegen deiner rechten Seite aufpassen“, keuchte dieser erregt und für einen Bruchteil einer Sekunde stutzte Kaiba. Selbst in diesem Moment dachte er noch so weit, dass er auf seine Verletzungen Rücksicht nehmen wollte? Eigentlich hatte er andere Pläne mit seinem Hündchen gehabt, doch nun warf er sie über den Haufen. Das würde er sich für ein weiteres Mal aufheben. „Also gut, ausnahmsweise werde ich mich dir fügen. Aber nur, weil du so rücksichtsvoll bist. Danach läuft es nach meinen Regeln“, wisperte er ihm mit rauer Stimme in sein Ohr und Joey nickte keuchend. Es war ein befremdliches Gefühl, als er sich wieder auf das Bett legte, doch sein Hündchen hatte recht, dass es unklug war, jetzt zu übertreiben. Und die Aussicht, ihn bei jeder Bewegung genau beobachten zu können, hatte etwas für sich. Das konnte er nicht abstreiten. „Wo ist das Gleitgel?“, wollte Joey mit hochrotem Kopf wissen und Seto schmunzelte, als er auf die oberste Schublade seines Nachtschränkchens zeigte. Schnell krabbelte er rüber und öffnete sie. Es war Seto ein diebisches Vergnügen, zu sehen, wie seine Augen groß wurden, als er die anderen Dinge darin entdeckte. So konnte er gleich mal schauen, was er von zukünftigen Aktivitäten hielt. „Schade, dass du noch angeschlagen bist“, kommentierte sein Hündchen mit ungewöhnlich tiefer Stimme, griff nach der Tube und schloss die Schublade wieder. „Ja, allerdings“, brummte Seto, hob einen Arm und legte ihn um den Nacken, zog ihn wieder runter, um noch einmal zu kosten, seine Mundhöhle auszuräubern, was dieser liebend gern mit sich machen ließ. Ihm gefielen also die Spielzeuge? Sofort spürte der Brünette, wie es in seinem Unterleib zog. Die nächsten Wochen konnten nur gut werden. Das stand jetzt außer Frage. Doch nun löste sich der Blondschopf von ihm und setzte sich auf seine Oberschenkel. Mit einem schnellen Blick stellte er fest, dass sie beide wieder hart waren und innerlich konnte er es kaum erwarten, sich in ihn zu versenken. Und das lag nicht nur daran, dass sein letzter Sex einige Zeit her war. Joey triggerte ihn auf eine Weise, dass er kaum an sich halten konnte. Was hatte er nur, dass er solch eine Wirkung auf ihn hatte? Die Tube klackte und riss ihn so aus seinen Gedanken. Er beobachtete, wie etwas davon in der Handfläche landete und das Gel wieder weggeworfen wurde. Dann spürte er die Hand an seinem Schwanz und keuchte auf. Joey schien es zu gefallen, sein Glied auch richtig einzucremen, so viel Zeit, wie er sich ließ, doch als er fertig war, hörte er auf. Gespannt, was nun kam, musterte er sein Hündchen und er beugte sich zu ihm vor, stützte sich mit einem Arm neben seinem Kopf auf und die glasigen, lüsternen Augen schauten ihn so intensiv an, dass er eine Gänsehaut bekam. „Genieß die Show“, gurrte Joey und keuchte auf, als er anfing, sich selbst zu weiten. Eigentlich hatte er das auf seiner to-do-Liste gehabt, aber nun gut. Wie gesagt, dieses Mal war noch anders. Das nächste Mal würde er ihm nicht so einfach davonkommen. Der Blondschopf schloss die Augen und klemmte sich die Unterlippe zwischen die Zähne, doch er herrschte ihn an: „Mach die Augen auf. Ich will sie sehen.“ Es dauerte einen Moment, dann folgte er seinem Befehl und Seto beobachtete jede Regung in diesem Gesicht, während er sich weiter fingerte. „Woran denkst du gerade?“ „Das wüsstest du wohl gern“, erwiderte er keuchend, aber mit einem Grinsen im Gesicht und Seto wurde ungeduldig. Er liebte diese Spielchen so sehr und es machte ihn unfassbar an, dass der Blondschopf darauf ansprang. Dabei war das doch von Anfang an klar gewesen, denn wenn eins auf Joey zutraf, dann er sich nicht unterbuttern ließ. Nicht ohne Kampf. Und es wäre sein süßester Gewinn, wenn er diesen in Zukunft gewann. „Du wirst es mir noch sagen.“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht“, keuchte Joey und setzte sich wieder auf. Den Hintern über seinem pulsierenden Glied schwebend, schauten sie sich einen Moment lang gegenseitig an und obwohl da diese Narben der Vergangenheit waren, achtete er nicht auf sie. Für ihn sah er einfach nur heiß aus, genauso wie er jetzt war und so hob er leicht die Hüfte an, sodass seine Spitze an seinen Po gedrückt wurde und sie stöhnten beide auf. „Jetzt bist aber du ungeduldig.“ Da war diese diebische Freude in Joeys Stimme, die ihn kurz auflachen ließ. Der Typ war wirklich etwas Besonderes, schoss es ihm durch den Kopf, doch das war alles egal, als er wieder eine Hand an seinem besten Stück spürte und Joey sich langsam auf ihn sinken ließ. Sie stöhnten beide und als der Brünette, wie die Oberschenkel seines Hündchens anfingen zu zittern, entdeckte er endlich seine Arme wieder und hielt ihn an der Hüfte fest, um ihn etwas zu unterstützen. Zwar merkte er einen leichten Schmerz auf der rechten Seite, denn der Arm war noch immer bandagiert, doch darauf konnte und wollte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Da waren nur der Blondschopf und die unbändige Lust, ihn zu ungeahnten Höhen zu treiben. Sie verharrten einen Augenblick, als er in ihm war und Seto spürte nur die heiße Enge, hatte dieses Gefühl, dass es einfach perfekt passte und Joey schien es genauso zu gehen. Er lehnte sich zurück, krallte seine Hände in seine Oberschenkel und rollte seine Hüfte. Laut stöhnte sein Hündchen auf, bewegte sich erst noch gleichmäßig, aber dann bröckelte seine Kontrolle und er wurde schneller, gieriger. Seto konnte diesem Schauspiel nur gespannt zusehen. Wie ungeniert Joey ihn für seinen eigenen Spaß benutzte, hatte etwas Faszinierendes an sich. Doch allmählich wurde er zu frech und Kaiba löste sich aus seiner Beobachterrolle. „Beug dich vor!“, befahl er mit gebieterischer Stimme, was ihm einen irritierten Blick des Hündchens einbrachte. Er konnte doch nicht ernsthaft denken, dass er das hier wirklich nur passiv mitmachte? Überraschend folgsam tat Joey, was er von ihm wollte und stützte sich mit beiden Händen neben seinem Kopf ab, während sein Blick ihn zu verschlingen schien. „Ist es recht so?“, hauchte er und seine schwitzigen, in die Stirn hängenden Haare ließen ihn noch wilder wirken und Seto packte seine Hüfte, hielt sie fest, als er seine Hüfte anhob. Ein lautes, beinahe animalisches Stöhnen verließ die Kehle Wheelers und er konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. „Besser?“ „Mehr!“ „Sag brav bitte.“ „Bi-bitte.“ Das war das Stichwort und nun war es Seto, der bei dem Anblick fast die Kontrolle verlor. Fest stieß er in diesen perfekten Hintern, spürte, wie es dem Blondschopf immer schwerer fiel, sich noch zurückzuhalten, doch das wollte er gar nicht. Er sollte sich gehen – sich fallen lassen und einfach nur genießen. Und es dauerte nicht lange, bis sie beide an ihre Grenzen kamen. Joey stöhnte nur noch, krallte seine Hände in sein Kissen und schaute ihn immer wieder an, konnte den Blickkontakt aber nicht aufrechterhalten, wenn er seine Prostata traf. Dann warf er den Kopf in den Nacken und sein Stöhnen klang dann besonders süß in Kaibas Ohren. „Ahh~ Seto, ich~“, brachte er hervor, doch der CEO dachte nicht daran, langsamer zu werden. Er wollte selbst die Erlösung und er wollte sie jetzt. Nach zwei weiteren Stößen entlud sich Joey auf seinem Oberkörper, schrie heiser seinen Vornamen und in dem Moment setzte etwas in ihm aus. Hart und tief stieß zu, spürte, wie sein Hündchen durch den Orgasmus noch enger wurde und mit einer Hand riss er ihn zu sich herunter und er verstand sofort, schlang die Arme um seinen Nacken und presste seinen Körper so eng es ging an seinen eigenen. Ihn überall zu spüren, war der Kick, den er gebraucht hatte. Selbst für seine Verhältnisse stöhnte er laut auf, als er sich tief in ihm ergoss. Sie zitterten beide, Seto stieß noch ein paar Mal zu, um den Orgasmus richtig auszukosten und dann legte sich eine seltsame Stille über sie. Nur ihr angestrengtes Keuchen war zu hören und sie brauchten etwas Zeit, um sich zu beruhigen. „Wow … Einfach wow …“, murmelte der Blondschopf erschöpft und Seto stimmte keuchend zu: „Das kann ich nur zurückgeben.“ Einen Moment lang blieben sie noch so liegen, dann hob Joey seinen Hintern an, sodass er aus ihm glitt. Er setzte sich auf und Kaiba spürte den musternden Blick des Kleineren auf sich, dann beugte sich der Blondschopf unvermittelt vor und leckte ihm den Samen von seinem Oberkörper. Er keuchte leise auf, als er die Zunge auf seiner Haut spürte und strich ihm mit einer Hand durch die verschwitzten Haare. Leider meldete sich sein Körper mit einigen Schmerzhinweisen bei ihm, doch er verdrängte die Gedanken so gut es ging. Er würde gleich seine Tabletten nehmen und zusätzlich mit einer Portion Schlaf würde es ihm morgen wieder gutgehen. Und um nichts auf der Welt hätte er heute darauf verzichten wollen. „Lass uns noch duschen“, murmelte Seto schließlich und Joey schaute auf, nickte ihm zu und brummte: „Gute Idee. Kommst du klar?“ Der besorgte Blick entging ihm keinesfalls, doch er verzog keine Miene, als er sich aufsetzte und zur Tür gegenüber dem Bett humpelte. Verdammt, vielleicht war das doch nicht so eine gute Idee gewesen. Joey folgte ihm und so stellten sie sich gemeinsam unter die große Dusche und Kaiba hatte das Gefühl, dass die Stimmung seltsam war. Doch er hatte jetzt keine Kraft mehr, danach zu fragen. Da würden sie auch noch ein anderes Mal für Zeit haben. Kapitel 44: Familienbruch ------------------------- Freitag, 23.09. Es war Freitagmorgen und Joey lag glücklich neben Seto, in dessen Privatschlafzimmer. Nachdem sie Dienstag das erste Mal miteinander geschlafen hatten, hatten sie das die letzte Nacht ebenfalls getan und so war sich der Blonde mittlerweile sicher, dass die Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte und er hatte sich noch nie in seinem Leben so wohl und beschützt gefühlt. Da heute Feiertag war, hatten sie beschlossen, den Wecker um zwei Stunden nach hinten zu stellen, doch der Blonde war zur üblichen Zeit wach geworden. Der Blauäugige neben ihm schlief noch und er beobachtete ihn eine Weile dabei. Er konnte noch immer nicht glauben, dass er sich in Seto Kaiba verliebt hatte, den lebenden Eisschrank. Wobei er diesen auch nur nach außen hin gab. In Mokubas und mittlerweile auch in seiner Gegenwart benahm er sich anders, herzlicher, wärmer und Joey liebte diese Seite an dem Firmenchef. Entspannt kuschelte er sich weiter an ihn und döste noch eine Weile, als es plötzlich an der Tür klopfte. Seto gähnte, strich Joey kurz durch die Haare, der ihn anlächelte, und rief „Herein!“. Sofort wurde die Tür aufgerissen und Mokuba kam rein gerannt. „Guten Morgen!“, rief er fröhlich grinsend und sprang aufs Bett. „Morgen Moki“, murmelte Seto noch immer gähnend und Joey grinste den Kurzen ebenfalls an. Offenbar war der Kleine bester Laune. „Machen wir einen Wochenendausflug?“, wollte er aufgeregt wissen und Joey schaute zu Seto auf, der langsam wach zu werden schien. „Was für einen Ausflug?“, wollte Seto schläfrig wissen und strich dem Blondschopf mit einer Hand über den Rücken, was dieser leise schnurrend wahrnahm und sich weiter ankuschelte. „Ans Meer! In unser Ferienhaus!“, rief Moki und schaute sie beide mit erwartungsvollen Augen an. Seto wandte den Kopf wieder zu ihm und fragte: „Ist das okay für dich?“ „Ja klar. Ich war schon ewig nicht mehr am Meer.“ „Juhuuu!“ Mokuba sprang wieder vom Bett und ehe sie noch etwas sagen konnten, rannte er auch schon raus, um wahrscheinlich ein paar Sachen zu packen. Joey grinste ihm hinterher und widmete sich dann noch dem Brünetten und verwickelte ihn in einen heißen Kuss, den dieser bereitwillig erwiderte. Nach ein paar Minuten lösten sie sich wegen Luftmangels voneinander und am liebsten hätte der Blondschopf ihn gleich noch mal geküsst, jedoch klingelte plötzlich sein Privathandy und irritiert drehte er sich um. Er erkannte die Melodie, es war Serenitys Klingelton und lächelnd griff er es und nahm sofort ab. Was für eine schöne Überraschung, dass sie sich meldete! „Hallo Schwesterherz. Wie geht es dir?“ Seto musterte ihn leicht lächelnd, doch Joey gefror das Blut in den Adern, als er die Stimme am anderen Ende hörte. Sein eigenes Lächeln schwand und seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Schock. „Joseph Jay Wheeler! Ich fass es nicht!“, kreischte seine Mutter in den Hörer und der Blonde spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich. Er krallte das Handy fest, damit er es nicht aus Versehen fallen ließ, als sich ein Kloß in seinem Hals und Magen bildete und sein Herz tonnenschwer wurde. Das durfte doch nicht wahr sein. Gerade hatte er das mit Kaiba auf die Reihe bekommen und jetzt direkt ein neues Problem? Konnte er nicht mal ein paar Monate ohne irgendetwas genießen? Verkrampft setzte sich der Blonde auf, hatte das Gefühl, sein Smartphone zu zerquetschen, doch er konnte seine Muskeln gerade nicht entspannen. Es war einfach unfassbar, dass sie das Handy seiner Schwester genommen hatte! Seto setzte sich neben ihm ebenfalls auf, schaute ihn leicht besorgt an und legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Mutter. Was gibt es?“ Während er ihrer aufgeregten Stimme lauschte, kaute er auf seiner Unterlippe herum und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Was es gibt? Die Frage kann nicht ernst gemeint sein! Was hast du an dem Wort Kontaktverbot nicht verstanden? Da war ich so nett, es nach ihrer OP zu lockern und du! Du bringst sie in solche Gefahr! Nach allem, was du Serenity angetan hast, belästigst du sie noch immer?“ „Angetan? Was zur Hölle meinst du? Yugi und mir hast du zu verdanken, dass wir ihre OP bezahlen konnten! Angetan hast du uns nur, dass du uns als Kinder getrennt hast!“, verteidigte sich Joey mit zittriger Stimme und versuchte halbwegs ruhig zu bleiben, doch er schaffte es kaum. Das war einfach gerade zu viel für ihn. Was fiel ihr ein, ihn so anzumachen!? „Serenity hat noch immer Alpträume von diesem dämlichen Turnier, zu dem du sie mit geschliffen hast! Und anstatt sie in Ruhe zu lassen, drängst du sie weiter dazu, Kontakt zu haben! Noch ein einziger Anruf, Joseph, und ich werde Anzeige erstatten!“ Sie legte auf und Joey ließ das Handy achtlos aus seiner Hand auf das Bett fallen. Es glitt einfach aus seinem Griff, doch er nahm das gar nicht richtig wahr. Seto nahm es und legte es auf seinem Nachtschränkchen ab, aber der Blonde realisierte auch das gar nicht richtig. Warum war seine Mutter so? Was hatte er verbrochen, dass sie ihn so behandelte? „Joey? Was ist los?“, fragte der Brünette ruhig und der Angesprochene brauchte ein paar Sekunden, um sich so weit zu sammeln, dass er antworten konnte. Er wollte nicht weinen. Nicht wegen seiner Mutter, die ihn offensichtlich so verabscheute. Aber es fiel ihm schwer und die ersten Worte waren mehr gekrächzt als gesprochen, bis er sich wieder so weit unter Kontrolle hatte, dass seine Stimme halbwegs funktionierte. „Meine Mutter besteht auf dem Kontaktverbot, dass sie gegen meinen Vater und mich bereits nach der Scheidung erwirkt hatte. Serenity und ich hatten deswegen jahrelang keinen Kontakt, bis ich von ihr kurz vor dem Königreich der Duellanten ein Video bekommen habe, wo sie mir mitteilte, dass sie mich gern noch einmal wiedersehen würde, bevor sie erblindete. Yugi spendete großzügiger weise das Preisgeld, das er gewonnen hatte und so konnte meine Schwester operiert werden und es konnte verhindert werden, dass sie erblindete. Mutter schien für die Zeit das Kontaktverbot auszusetzen, doch jetzt sagt sie, dass Serenity Alpträume vom Battle City Turnier hat und dass ich mich nie wieder bei ihr melden soll.“ Joey legte seine Hände auf das Gesicht und versuchte sich weiter zu beruhigen. Er liebte seine Schwester und wollte, dass es ihr gut ging und dass er sie sehen durfte. Da sie sowieso nach Miami ausgewandert waren, war es für ihn eh kaum möglich, sie zu sehen. Doch jetzt durfte er sie nicht einmal mehr anrufen? Wahrscheinlich nicht mal einen Brief schreiben … Was sollte das nur? Er konnte doch nichts dafür, was beim Battle City Turnier passiert war. Das war nicht seine Schuld! Seto schwieg und strich ihm noch immer über den Rücken, doch der Blonde wollte jetzt einen Moment allein sein. Er murmelte ein „Entschuldigung“ und verschwand dann im Badezimmer, stellte sich unter die Dusche und fing dann hemmungslos an zu weinen. Er rutschte an der Wand herunter und ließ sich vom Wasser nassregnen, doch er spürte das kaum. Sein Herz hatte sich schmerzhaft zusammengezogen und er konnte sich einfach nicht vorstellen, Serenity nie wieder zu sehen. Was sollte er nur tun? Joey wusste nicht, wie lange er da so gesessen hatte, aber irgendwann hatte er sich halbwegs beruhigt und wieder auf die wackeligen Beine gekämpft. Er duschte noch richtig, dann verließ er sie nach einer gefühlten Ewigkeit, putzte sich die Zähne und zog sich an. Er wollte Mokuba nicht den Ausflug vermiesen, doch seine Laune war im absoluten Keller angekommen. Ihm zuliebe würde er versuchen, sich zusammenzureißen, jedoch konnte er für nichts garantieren. Andererseits würde ihm vielleicht auch das Meer jetzt guttun und konnte ihn etwas von der Situation ablenken. Mal ganz davon abgesehen, dass sich der Knirps so sehr auf diesen Ausflug freute, was er ihm nicht verdenken konnte, denn wann stimmte Seto schon freiwillig zu, die Arbeit Arbeit sein zu lassen? Langsam trottete er in die Küche, wo die Kaiba Brüder bereits saßen und mit dem Frühstück offenbar auf ihn gewartet hatten. Er zwang sich zu einem Lächeln und setzte sich dazu. „Ihr hättet doch nicht auf mich warten müssen“, murmelte er, doch Mokuba bestand darauf und wünschte ihm einen guten Appetit. Joey erwiderte das, war sich aber sicher, dass er nicht einen Bissen herunterbekam. Also trank er ablenkend einen Schluck Kaffee und beobachtete, wie Seto sich an seinen kleinen Bruder wandte. „Hast du deine Sachen schon zusammengepackt?“ „Ja, alles fertig!“ „Ich muss noch eben etwas für die Arbeit erledigen, aber ich bin spätestens in einer Stunde fertig. Dann fahren wir direkt los.“ Mokuba nickte nur leise grummelnd, beließ es aber dabei. Joey lächelte den Kleinen leicht an und verabschiedete sich auch kurz, um noch Sachen für den Ausflug zusammenzupacken. Er hatte überhaupt keine Lust oder Kraft dafür, doch er wollte dem Kurzen das nicht versauen. Er freute sich so sehr darauf, dass er es wenigstens versuchen wollte. Ohne einen Bissen gegessen zu haben, verschwand er im ersten Stock. Er packte ein paar Klamotten ein, inklusive Badehose, und schaute noch eine Weile das Sperrbild seines Handys an. Serenity und er lachten glücklich in die Kamera und er fing an zu weinen, als er daran dachte, dass das womöglich ihr letztes gemeinsames Bild sein könnte. Das konnte seine Mutter ihm doch nicht antun. Hatte sie nicht schon genug angerichtet, indem sie ihn bei ihrem Ex-Mann gelassen hatte? Sie war schuld, dass er eine beschissene Kindheit gehabt und so unter seinem Vater gelitten hatte. Wie oft hatte er sich vorgestellt, wie es gewesen wäre, wenn er mit ihr gegangen wäre. Nein, das war falsch. Wie oft hatte er sich vorgestellt, dass sie ihn mitgenommen hatte? Doch es war egal. Belanglos. Denn so war es nicht gekommen. Und er lebte immer noch und hatte es geschafft. Die Tyrannei seines Vaters war vorbei, weil er vor ein paar Monaten auf die einzig logische Weise abgetreten war. Die Tränen versiegten ein weiteres Mal und Joey trottete ins Bad und wusch sich das Gesicht. Jetzt hatte er die Chance, sich etwas abzulenken und er sollte das nutzen. Ein paar Minuten später schlenderte er zu Mokuba ins Wohnzimmer und unterhielt sich mit ihm, bis Seto wohl bald runterkommen würde, um sie abzuholen. „Ist alles in Ordnung, Joey?“, erkundigte sich der Kurze leicht besorgt und fügte direkt an: „Hast du doch keine Lust ans Meer zu fahren?“ „Doch, doch. Ich freue mich auf das Meer. Es ist wirklich schon lange her, dass ich dort war. Es ist glaub ich einfach etwas viel gerade. Mein Leben wurde immerhin komplett umgekrempelt und das zu realisieren, braucht einfach etwas Zeit“, antwortete Joey leicht lächelnd und wuschelte ihm durch die Haare. Er wollte Moki nicht mit seinen Problemen belasten und es stimmte ja auch, dass sein Leben praktisch eine 180 Grad Drehung hingelegt hatte. Insofern war das nicht einmal gelogen, auch wenn es gerade nicht sein Topthema war. „Aber … es ist gut so, oder? Oder hättest du es gern anders?“ „Nein, es ist absolut großartig! Ich habe in den letzten Wochen so viel Verschiedenes gelernt, dass ich mir nichts Besseres vorstellen könnte. Mach dir darüber keinen Kopf, okay?“ „Okay gut!“ Der Kurze umarmte ihn stürmisch und er strich ihm über die Haare, freute sich darüber, dass Moki ihn so ins Herz geschlossen hatte. Dennoch war da die Trauer über den Anruf seiner Mutter, der ihm dieses Wochenende wohl ziemlich verhageln würde. So eine Scheiße! Kapitel 45: Familienausflug --------------------------- Freitag, 23.09. Nachdem er die Tür abgeschlossen hatte und sicher war, dass keiner vor der Tür stand, setzte sich Seto auf seinen Schreibtischstuhl und telefonierte kurz. Keine zehn Minuten später bekam er eine Email und Seto wählte die Telefonnummer, die dort stand. Es klingelte zwei Mal, dann wurde das Gespräch entgegengenommen. „Hier Wheeler.“ „Guten Tag, Mrs. Wheeler. Mein Name ist Seto Kaiba und ich bin der Lebensgefährte ihres Sohnes.“ „Ich weiß, wer Sie sind. Man kommt selbst in Amerika nicht darum, Sie und meinen Sohn in den Nachrichten zu sehen. Was wollen Sie?“, unterbrach sie rüde und Kaiba schnaubte abfällig. Wie unhöflich. Sie wusste doch, mit wem sie es zu tun hatte. „Ihr Sohn hatte einen Nervenzusammenbruch nach dem Telefonat eben. Ich wollte Sie fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, die Sache ohne ein Kontaktverbot zu regeln.“ „Nein, gibt es nicht. Meine Tochter leidet seit diesem Turnier und hat noch immer Alpträume ab und zu. Ich werde nicht zulassen, dass so etwas noch einmal passiert.“ „Es ehrt Sie, dass Sie ihre Tochter so beschützen möchten. Ich verstehe das, aber ihr Sohn hat nichts mit den Dingen zu tun gehabt, die beim Battle City Turnier passiert sind. Wissen Sie überhaupt, wie es Ihrem Sohn in den letzten Jahren ergangen ist? Dass er regelmäßig von ihrem besoffenen Ex-Mann verprügelt wurde? Dass er nebenbei illegal arbeiten musste, um Geld für Essen und Trinken zu haben, weil der Vater alles verwettet und versoffen hat? Bei einem dubiosen Typen hat Ihr Ex-Mann Schulden von 350.000$ angehäuft und Joey soll diese nun abbezahlen. Haben Sie überhaupt irgendetwas davon gewusst? Oder Ihren Sohn, der auch Ihr Blut in sich hat, geholfen in dieser schweren Zeit?“ Setos Stimme war gefrorenes Eis. Er hasste diese Frau, obwohl er sie noch nie getroffen hatte. Doch mittlerweile war er zu der Erkenntnis gelangt, dass Joeys Kindheit schlimmer gewesen war als seine eigene. Seine Eltern waren gestorben, weshalb sie ins Heim gekommen waren und auch wenn Gozaburo ein überaus unangenehmer Mensch gewesen war – er hatte nie geprügelt. Außerdem war Mokuba immer an seiner Seite gewesen, auch wenn Gozaburo versucht hatte, sie voneinander fernzuhalten, und sie hatten sich gegenseitig unterstützt. Doch Joey war von seiner Schwester getrennt worden und hatte den prügelnden und saufenden Vater allein ertragen müssen. Und dafür hatte Seto Respekt vor ihm, denn er war nicht komplett durchgedreht, sondern hatte diese Situation überlebt – mit Narben, vielen Narben, aber er hatte nun endlich die Chance, sein eigenes Leben aufzubauen. „Das geht mich nichts mehr an. Wie ich gehört habe, ist mein Ex-Mann mittlerweile verstorben und außerdem trägt Joseph auch seine Gene in sich. Ich konnte es nicht zulassen, dass er in Serenitys Nähe kommt und ihr womöglich auch etwas antat.“ Kaiba schluckte und atmete tief durch. Er musste jetzt Anstand bewahren, damit er das klären konnte. Sonst würde sie für immer dicht machen und Joey ein Schatten seiner selbst bleiben. Das wollte er unbedingt verhindern. Aber diese Frau machte ihn so wütend, wie es schon lange niemand mehr geschafft hatte. Hatte diese Frau denn gar keine Gefühle für ihren eigenen Sohn übrig? Wie kaltherzig konnte man sein? „Hören Sie. Wie Sie wissen, bin ich der CEO der Kaiba Corporation und würde gern einen Vertrag mit ihnen schließen. Ich zahle das Studium Ihrer Tochter und dafür verzichten Sie auf ein weiteres Kontaktverbot. So oft werden sich die Zwei eh nicht sehen können, da Sie ausgewandert sind. Also lassen Sie ihnen wenigstens die Telefonate und gelegentliche Besuche.“ „Und Sie zahlen das Studium, ja? Das sind insgesamt 500.000$.“ „Ja. Im Gegenzug dürfen die Zwei so viel Kontakt haben, wie sie möchten. Sollten Sie das unterbinden, werde ich den kompletten Betrag mit einer Rate zurückfordern.“ „Also gut. Aber wenn Joseph ihr weh tun sollte, dann hat er ein Problem mit mir. Und zwar ein großes.“ Seto verstand, verabschiedete sich knapp und legte auf. Er hasste diese Frau so sehr. Am liebsten wäre er rübergeflogen und hätte ihr seine ehrliche Meinung gesagt, doch das wäre nicht gut gewesen. Sie hätte sich bedrängt gefühlt und er wäre wahrscheinlich ausfallend geworden. So war es besser und er hatte seinen Willen bekommen. Seto veranlasste in einer Email an Yuuto, dass er sich um die Privatüberweisung samt Vertrag kümmern sollte und fuhr seinen Laptop wieder runter. Er packte ihn in seine Tasche, legte noch ein paar Unterlagen dazu und verließ dann wieder sein Arbeitszimmer. Immerhin konnte er so auch Joey seine Dankbarkeit zeigen, dass er sich um Mokuba gekümmert hatte. Das war ihm wichtig, nach allem, was der Blonde für ihn getan hatte. Das war er ihm schuldig und ein Kaiba blieb nichts schuldig. Kurz packte er noch eine Sporttasche zusammen, mit ein paar Klamotten und einem Buch und schritt nach unten, wo Joey gerade die Tür vom Wohnzimmer aufriss und ihn mit großen Augen anstarrte. Er hatte noch sein Handy in der Hand, dann hatte Serenity ihn anscheinend schon über das Ende des Kontaktverbots in Kenntnis gesetzt. Kaum war er am unteren Ende der Treppe angekommen, rannte Joey auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er drängte sich richtig gegen ihn und einen Augenblick taumelte Seto, ehe er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte und Joey ebenfalls umarmte. „Danke“, wisperte der Kleinere nur und Seto lächelte, als er erwiderte: „Bitte. Du hast schließlich auf meinen kleinen Bruder aufgepasst.“ Sie blieben noch kurz so stehen, bis Mokuba ungeduldig mit dem Fuß anfing zu wippen. „Der kleine Boss befiehlt zum Aufbruch“, murmelte Seto und Joey ließ langsam wieder von ihm ab. „Dann sollten wir ihn nicht warten lassen“, erwiderte er lächelnd und der Brünette schritt durch das Foyer in die Tiefgarage, wo er zu einem der Sportwagen ging. Es war einer seiner Lieblingswagen und ein Fünfsitzer, sodass alle bequem mitfahren konnten. Mit einem Piepen öffnete sich der Kofferraum und die Drei verstauten ihre Taschen, dann stieg Mokuba – zu Setos Überraschung – freiwillig hinten ein und Joey setzte sich auf den Beifahrerplatz. Seto startete den Motor und fuhr den Wagen langsam die Auffahrt herunter. Er ordnete sich in den Verkehr ein und bemerkte, dass er leicht zitterte. Es war das erste Mal seit dem Unfall, dass er selbst einen Wagen lenkte und er fühlte sich unwohl dabei. Bisher hatte er nie ein Problem damit gehabt, Auto zu fahren, doch bei jedem Hupen zuckte er kurz. Es war absolut affig und entbehrte seiner Meinung nach jeglicher Grundlage, aber seine Psyche sah das offenbar anders. Fast schon krampfhaft versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, jedoch konnte er gegen das immer mal wieder kurz auftauchende Zittern nichts tun. Joey schien das zu bemerken, denn er legte ihm vorsichtig eine Hand auf den Oberschenkel und streichelte ihn leicht. An der Ampel stehend schaute Seto kurz zu ihm und der Blonde lächelte ihn glücklich und aufmunternd an. Seto schwieg und konzentrierte sich beim Fahren auf die Hand, um sich ruhig zu halten. Er musste das hier durchziehen, auch um sich selbst zu zeigen, dass er weiterhin Auto fahren konnte. Und es war gut, dass Mokuba und Joey ihn begleiteten und ihm halfen, auch wenn er das niemals zugeben würde. Außerhalb von Domino fiel ihm das Fahren leichter, da auch nicht mehr so viele Autos unterwegs waren, trotzdem war er froh, dass der Blonde seine Hand liegen ließ. Mokuba unterhielt sich mit dem Hündchen, der bereitwillig auf das Gespräch einging, während er immer wieder zu ihm schaute, um sich zu vergewissern, dass es ihm so weit gut ging. Nach einiger Zeit meldete sich Joey zu Wort und fragte: „Wie lange dauert es noch, bis wir da sind?“ „Ungefähr eineinhalb Stunden“, antwortete Seto knapp. „Möchtest du nicht lieber eine kurze Pause machen?“ „Ja, bitte eine Pause. Ich muss pullern!“, meldete sich Mokuba von hinten zu Wort und Seto nickte. „In Ordnung. Beim nächsten Rastplatz halten wir an.“ Nach zehn Minuten hatten sie diesen erreicht und Mokuba rannte sofort raus. Joey drehte sich zu ihm und strich ihm zärtlich über die Wange. „Geht es soweit?“ „Ja, ich komm klar.“ Joey beugte sich vor und küsste ihn und Seto erwiderte den Kuss, doch er fühlte sich dabei nicht so wohl, wie das bei den letzten Abenden der Fall gewesen war. In diesem Kuss ging es nicht um die Leidenschaft oder die Aussicht auf Sex, sondern um tiefergehende Gefühle. Oder? Anscheinend ging der Blondschopf jetzt davon aus, dass sie jetzt auch wirklich ein Paar waren, doch für Seto ging es um den – zugegebenermaßen sehr guten – Sex. Nicht um die große Liebe. Er wollte nicht einmal eine Beziehung. Immerhin kam Mokuba schon viel zu kurz, wie sollte er da noch Zeit für einen Partner haben? Dabei genoss er schon die Nähe zu dem Kleineren, der so überraschend handzahm sein konnte. Trotzdem. Es fühlte sich … nicht richtig an für ihn. Mehr als Sex war da nicht. Sollte er das Schauspiel schon jetzt beenden? Die Trennung würden sie sowieso bald verkünden, doch er wollte Mokuba den Ausflug nicht versauen, indem er gerade jetzt reinen Tisch machte. Dafür war der Kurze viel zu begeistert. Froh, dass Mokuba wieder zum Wagen zurückkehrte, beendete Seto den Kuss und wartete, bis der Kleine sich wieder angeschnallt hatte. Der Brünette fuhr wieder los und Joeys Hand auf seinem Oberschenkel schien sich plötzlich durch seine Hose durchzubrennen. Er würde am liebsten das Bein wegziehen, weil er sich so unwohl fühlte, doch das konnte er nicht. Er hatte keinen Platz zum Ausweichen und außerdem wollte er jetzt Joey auch nicht so vor den Kopf stoßen. Schließlich würde das die Stimmung beim Ausflug nachhaltig verschlechtern und das wollte er seinem kleinen Bruder nicht antun. Er hatte ihm das Leben in den letzten Wochen schon schwer genug gemacht. Also ertrug er die Hand, die sich tonnenschwer anfühlte und konzentrierte sich auf den Verkehr. Den Rest der Fahrt sprachen hauptsächlich Joey und Mokuba miteinander und Seto war froh, als sie nach über einer Stunde Fahrt endlich das Grundstück erreicht hatten. Es war ein kleines Einfamilienhaus, das ihnen allein gehörte und stand nur wenige Meter vom Strand entfernt. Das Gelände war umzäunt und recht großzügig, sodass sie auch am Strand ihre Ruhe hatten und nicht belästigt werden konnten. Mokuba sprang fröhlich raus und Seto lächelte ihm hinterher und stieg auch langsam aus. Zusammen mit Joey trug er die drei Taschen ins Haus und stellte sie im Wohnzimmer ab. Es sah noch alles so aus wie beim letzten Mal. Der Eingangsbereich war ein schmaler Flur, von dem aus ein paar Türen abgingen. Direkt links neben der Tür führte eine Wendeltreppe nach oben in den ersten Stock, wo es zwei Schlafzimmer gab – eins davon war Mokubas Schlafzimmer – und noch ein weiteres Bad. Sein eigenes war im Erdgeschoss hinten links. Die erste Tür rechts führte in das geräumige Wohnzimmer. Hinter der hinteren Tür auf der rechten Seite verbarg sich die Küche und vorne links war das Badezimmer. Joey schaute sich interessiert um und öffnete die Türen hintereinander im Erdgeschoss und gab bewundernde Laute von sich. Anscheinend gefiel es ihm. Seto beobachtete ihn dabei und grinste. So eine große Zweithundehütte hatte er wahrscheinlich noch nie gesehen. Eine halbe Stunde später waren alle Drei im Meer baden und hatten eine Menge Spaß. Seto schwamm in Ruhe eine Runde, genoss das seltene Gefühl der Entspannung, während die anderen Zwei miteinander spielten. Irgendwann wandte sich Mokuba ihm zu und der Brünette spielte auch mit dem Kleinen, was dieser mit diesem unvergleichlichen Glitzern in den Augen kommentierte, dass Seto schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte, während Joey keuchend zum Strand zurück watete und sich auf eine Sonnenliege fallen ließ. Kaiba hingegen kam mit seinem Bruder erst zwei Stunden später aus dem Wasser. Wie beide jedoch feststellten, war der Blondschopf nicht mehr auf der Liege und irritiert betraten sie halb abgetrocknet das Haus, wo sie Geräusche aus dem hinteren Bereich hörten. Verwundert tauschten die beiden Kaiba Brüder Blicke aus, dann folgten sie den Geräuschen und hörten einen summenden Joey. Der Blondschopf schien glücklich zu sein. Er kannte die Melodie nicht, die er vor sich hinsummte und einen Augenblick lang überlegte Seto, einfach wieder rauszugehen, doch Mokuba lief einfach rein und staunte, als er Wheeler – in kurzer Hose und einfachem Top gekleidet – kochend am Herd entdeckte. Überrascht starrte der Blonde den Kleinen einen Moment lang an, dann lächelte er und schaute zu ihm rüber und hatte diesen leichten Rotschimmer auf den Wangen. Schweigend lehnte der Brünette noch immer nur in der Badehose am Türrahmen und verschränkte die Arme. Warum wurde er denn jetzt rot? Es roch unglaublich gut und er fragte sich, wo er die Sachen zum Kochen hergezaubert hatte. Anscheinend hatte er beim Packen daran gedacht, denn grundsätzlich war im Haus nichts, solange sie nicht hier waren. Und einkaufen hatte Seto einfach vergessen, weil er sich so auf das Fahren hatte konzentrieren müssen. „Was kochst du denn da, Joey?“, wollte Mokuba neugierig wissen und wuselte um ihn herum. „Nur ein Curry, nichts Besonderes“, antwortete der Blondschopf lächelnd und der Kleine jubelte. Er liebte Curry und Seto lächelte den Kurzen liebevoll an. Er selbst bevorzugte ein gutes Rinderfilet, aber gegen ein leckeres Curry war nichts einzuwenden. Wenn es so schmeckte, wie es roch, würde es ihm gefallen. Er selbst konnte zwar auch ein paar Gerichte kochen, aber aufgrund von Zeit und Personal musste er das nur, wenn sie hier waren und der letzte Besuch war schon über ein Jahr her. Zusammen mit Mokuba deckte er den Tisch im Wohnzimmer und eine halbe Stunde später aßen sie gemeinsam und wie erwartet war es sehr lecker. Den Rest des Tages entspannten sie noch draußen am Strand und abends vor dem Fernseher. Der Brünette war seinem Bruder dankbar, dass er sich auf dem Sofa zwischen Joey und ihn gedrängelt hatte und beobachtete belustigt, als der Schwarzhaarige Joey spät am Abend mit nach oben zog, damit sie dort noch weiterreden konnten. Er wies beide an, nicht die ganze Nacht durchzumachen, wünschte ihnen eine Gute Nacht und machte den Fernseher aus, als die Zwei weg waren. Er löschte das Licht im Zimmer und zog sich in sein Schlafzimmer zurück. Seufzend schloss er die Tür und setzte sich auf seinen Sessel, holte den Laptop heraus und arbeitete noch die halbe Nacht lang, ehe auch er einsah, dass ein paar Stunden Schlaf nicht schaden konnten. Doch kaum, dass er auf dem Bett lag, kehrten die Gedanken zurück. Hatte er sie mit der Arbeit noch betäuben können, schienen sie ihn jetzt geradezu in den Wahnsinn zu treiben. Was war das zwischen Joey und ihm? Und wie sollte es weitergehen? Wenn er so in sich hineinhorchte, dann fand er das Hündchen mittlerweile sehr attraktiv und der Sex mit ihm war wirklich gut, doch er war nicht bereit für eine Beziehung. Vielleicht würde er das auch nie sein, das wusste er nicht, aber jetzt kam das überhaupt nicht in Frage. Er musste diese Scharade schnellstmöglich beenden. Doch wie sollte er das tun? Es war ja nicht nur der Blondschopf, der so einen glücklichen Eindruck machte. Nein, auch Moki wirkte viel lebensfroher, seit Joey bei ihnen war. Immer wieder spielten die Zwei auch miteinander und schienen sich prächtig zu verstehen, doch wenn er sich jetzt trennte und der Blonde tatsächlich Gefühle für ihn entwickelt haben sollte, würde er verständlicherweise sofort ausziehen und sein kleiner Bruder wäre bestimmt sehr traurig darüber. Aber je länger er das hinausschob, desto schlimmer würde es werden. Tief in seinen Gedanken versunken, zuckte er zusammen, als er ein leises Knarzen von der Treppe her hörte. Was war denn jetzt los? Lautlos stand der Brünette auf und schlich zur Tür, öffnete sie aber noch nicht. „Pssst, nicht so laut, sonst hört uns dein Bruder noch.“ „Tschuldige! Zum Glück kann ich im Dunkeln halbwegs gut gucken“, wisperte Moki voller Stolz und Seto verdrehte die Augen. Was hatten die zwei Chaoten denn jetzt vor? „Ja, ich auch, sonst wäre das hier ohne Licht nicht zu schaffen. Aber die Aussicht auf ein Eis ist einfach zu verlockend!“ Aha, da her wehte der Wind also. Anscheinend hatte Joey vorhin beim Suchen fürs Kochen einen Blick ins Eisfach geworfen und vom letzten Ausflug noch welches gefunden. Aber das bedeutete ja, dass er vergessen hatte, den Strom abzustellen. Verdammt, daran musste er übermorgen denken. Das war sonst eine viel zu große Verschwendung. „Ja und dann auch noch Karamell und Mango! Also los, aber leise!“, forderte Moki wispernd und den Kopf schüttelnd, aber mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, schlich Seto wieder zurück zum Bett und legte sich hin. Sollten die beiden mal machen. Aber nein, er konnte seinem kleinen Bruder noch nicht wieder das Herz brechen, indem er die Scharade beendete. Noch nicht jetzt. Scheiße, das würde ihn in Teufelsküche bringen. Kapitel 46: Umzug ----------------- Samstag, 01.10. Die Woche war wie im Flug vergangen. Der Ausflug ans Meer war wundervoll gewesen und Joey hatte die drei Tage sehr genossen. Das gleiche galt auch für Mokuba, der mit dem Grinsen gar nicht mehr hatte aufhören können. Sie hatten heimlich gegessen, die halbe Nacht ferngeschaut und unendlich viel Zeit im Wasser verbracht, bis Seto sie beinahe aus dem Wasser gezogen hatte, damit sie sich ausruhten. Den zweiten Abend hatten sie alles nach draußen getragen und dort in Ruhe Abend gegessen und sich danach auf Liegen an den Strand gelegt und entspannt irgendwelche Geschichten erzählt. Es hatte sich wie ein richtiger Urlaub angefühlt und Joey hatte neue Kraft gesammelt. Die Woche danach war sehr gut gelaufen. Zweimal hatte er mit Serenity telefoniert und Kaiba und er hatten sich das Büro für die Arbeit geteilt, was überraschend gut funktioniert hatte. Während der CEO, wie es sich gehörte, vom Schreibtisch aus arbeitete, saß er selbst mit dem Laptop auf dem Sofa, doch das störte ihn nicht. Bei einem Meeting mit der Grafikabteilung hatte Seto sogar auf seine Anwesenheit verzichtet, weil er ihm zutraute, dass auch allein im Sinne der Firma zu regeln. Das war ein großes Kompliment für ihn gewesen, aber er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. An diesen netten, warmherzigen Seto würde er sich vielleicht nie gewöhnen können, aber sein Herz schwebte förmlich deswegen. Doch heute stand ein ganz anderes Thema an. Es war Samstag und er durfte seine neue Wohnung beziehen! Dafür hatte Seto sogar einen großen Van organisiert, den allerdings Roland fuhr. Kaiba selbst hatte keine Zeit, weil er noch zu Hause arbeitete und außerdem konnte er noch nicht tragen, da seine Verletzungen noch nicht komplett verheilt waren. Stattdessen waren Roland, Tristan, Tea, Duke und Yugi da, um ihm zu helfen. Der Assistent von Kaiba war mittlerweile ein guter Freund, ebenso wie Yuuto und Yukiko. Mit Yuna hatte er nicht ganz so viel zu tun, deswegen war das Verhältnis etwas lockerer, doch er hatte sie alle in sein Herz geschlossen. Jetzt aber stand er zwischen gepackten Kisten und die Wohnung wirkte seltsam leer und trotzdem vollgestellt. Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte und es überforderte ihn. Mit diesen vier Wänden verband er so viel. So viele Erinnerungen, die auf ihn einprasselten, die ihn beinahe überwältigten. Joey ließ den Karton auf den Boden fallen und durch das Geräusch aufgeschreckt, kam Yami auf ihn zu. Die anderen waren gerade draußen am Van, um ein paar Möbel zu verstauen. „Hey Joey, alles okay?“ Ganz langsam setzte sich der Blondschopf auf einen Stuhl, der in der Nähe war und atmete bewusst ein und aus. Ein und aus. Ein und aus. Es war bereits nach 22 Uhr, als er vollkommen erschöpft und müde die Wohnung aufschloss. Hoffentlich würde sein alter Herr schon schlafen oder noch oder wie auch immer, dann könnte er schnell die Einkäufe verstauen und sich in seinem Zimmer einschließen. Auf Zehenspitzen schlich er vorsichtig durch den Flur, wo er eine leere Flasche entdeckte. Langsam bückte er sich und hob sie auf, um sie wegzustellen. Sollte aus irgendeinem Grund mal jemand klingeln, wäre es nicht gut, wenn man das sehen würde. Andererseits kümmerte das schon seit Jahren niemanden, also wozu sich die Mühe machen? In der Küche packte er alles weg und er war schon froh, dass er das lautlos hinbekommen hatte, als er mit der leeren Tüte eine Wasserflasche aus Glas vom Tisch fegte. Klirrend zerbrach sie am Boden und panisch hielt Joey den Atem an. Wie ein verschrecktes Beutetier lauschte er auf die Geräusche, doch anscheinend schien der Alte zu schlafen und schnell, aber sehr leise räumte er die Scherben weg und wischte den Boden. „Joey!? Du Nichtsnutz eines Sohnes! Bist du da?“, donnerte plötzlich die tiefe Stimme seines Vaters durch die Räume. Mit angehaltenem Atem verharrte er mitten in der Bewegung und machte ein Stoßgebet, dass er einfach wieder einschlafen würde, doch das tat er nicht. Natürlich nicht. Der da oben war noch nie gnädig zu ihm gewesen. Das Rascheln, das er wahrnahm, verhieß nichts Gutes und schnell stellte er den Wischmobb beiseite und wollte in sein Zimmer flüchten, doch sein Vater torkelte gerade in den Flur und wie ein aufgescheuchtes Reh, dass einem Wolf gegenüberstand, blieb er abrupt stehen. Sofort ging Joey in eine Abwehrhaltung, weil er nie wusste, was in dem Kopf des alten Mannes vorging. Wahrscheinlich wusste der das nicht mal selbst. „Was willst du?“ „Was ich will? Einen guten Sohn, der was aus sich macht! Der was in seinem Leben erreicht! Aber du … Die Schule hat letztens schon wieder angerufen, dass du dich geprügelt hast! Es war so klar, dass deine Mutter dich hiergelassen und meine Prinzessin mitgenommen hat. Was soll ich nur mit dir machen, hm? Sag’s mir!“ Was? Was sagte er da? War das sein beschissener Ernst? Der Blondschopf war fassungslos und konnte den Mann vor sich nur anstarren. Er nahm kaum wahr, dass er sich langsam auf ihn zubewegte, weil sein Gehirn noch immer versuchte, seine Worte zu begreifen. Der Alkohol schien aus jeder Pore zu stinken, sein ganz Äußeres war so ungepflegt und er hatte das Bedürfnis, ihn für eine Stunde unter die Dusche zu stellen. Was war nur aus seinem Paps geworden? Wo war der freundliche, freche und abenteuerlustige Mensch hin verschwunden? Wie hatte es nur so weit kommen können? Der plötzliche, feste Griff um seinen Unterarm holte ihn zurück und panisch rüttelte er an dem Arm. „Lass mich los!“ Seine Stimme war viel zu hoch, sein Atem ging viel zu schnell. Alles in ihm schrie förmlich danach, zu flüchten, sich in Sicherheit zu bringen. „Joey, ich bin es doch nur. Dein Papa. Warum hast du so eine Angst? Was ist passiert?“ Und auf einmal umarmte der Mann ihn einfach nur. Er schlug ihn nicht, wie all die Male zuvor, sondern hängte sich förmlich an ihn, als würde er ertrinken. „Es tut mir alles so leid, mein Sohn. Du bist doch mein ein und alles. Ich habe dich so lieb. Aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wie sollen wir das alles nur schaffen?“ Erstarrt stand der Blondschopf da, rührte sich nicht und konnte nicht fassen, was gerade geschah. Was ging bloß in diesem Kopf vor? „Willst du deinen armen Papa nicht auch umarmen, mein Sohn? Das –“ „Arm?“ Das Wort ließ bei ihm eine Sicherung durchbrennen und unwirsch stieß er den alten Mann von sich weg. Der war zu überrascht, um sich festzuklammern und landete unsanft auf dem Boden vor sich. Beim Versuch, Halt zu finden, hatte er seine grüne Freizeitjacke zerrissen, die er im Königreich der Duellanten getragen hatte. Ein Erinnerungsstück, zerfetzt von seinem alten Herrn, wie so vieles. „Du bist nicht arm! Du hast dich aufgegeben und bist deswegen in dieser beschissenen Lage! Du warst es, der meine Kindheit zerstört hat! Der mich zu dem gemacht hat, der ich bin! Aber ich werde niemals so enden! Siehst du das eigentlich!? Was DU für ein elender Versager bist? Ich werde etwas aus mir machen! Verlass dich drauf! Und du kannst hier weiter vor dich hinvegetieren, wie du es schon seit fast zehn Jahren tust! Ich habe dich nicht mehr lieb, Papa. Ich habe deine Vergangenheit lieb, an die ich noch ein paar Erinnerungen habe. Als wir damals zusammen Fußball gespielt haben oder wir im Wald unterwegs waren, um Abenteurer zu spielen. Aber das hat nichts mehr mit diesem Arschloch vor mir zu tun! Sieh doch zu, wie du klarkommst!“ Schnell griff er die kaputte Jacke, verließ die Wohnung und rannte weg. Weit weg. Das war seine letzte Begegnung mit ihm gewesen. Über eine Woche hatte er sich bei Yugi einquartiert, wo er bei vorigen Besuchen schon einige Sachen hingebracht hatte. Dann war er nach dem Beginn der Ferien noch einnmal in die Wohnung gefahren, um saubere Kleidung zu holen und hatte ihn gefunden. Tot in seiner eigenen Kotze liegend. Ironie des Schicksals. „Joey? Hey, ist alles ok? Rede bitte mit mir“, murmelte Yami besorgt neben ihm und er löste sich aus der Starre. Langsam nickte er und schaute seinem Kumpel in die Augen. „Ich musste nur gerade an unsere letzte Begegnung denken.“ „Es ist eine schwere Situation, aber wir sind alle bei dir, Joey. Sag uns, wenn wir etwas für dich tun können.“ „Das werde ich, danke. Aber jetzt sollten wir den anderen beim Tragen helfen, sonst meckern die noch, dass sie die ganze Arbeit machen.“ Er rang sich ein leichtes Grinsen ab und Yami nickte ihm zu, als er den Karton griff und nach draußen schleppte. Es dauerte nur etwas über zwei Stunden, da hatten sie alles in dem Van verstaut und Joey bat die anderen, draußen zu warten. Dann schritt er mit hektischen Atemzügen ein letztes Mal in die Wohnung. So leer wirkte sie so anders, dass er nicht einmal sicher war, ob er hier jemals gelebt hatte. Alte Flecken von Alkohol und anderen Dingen hatte er überstrichen, die Böden mehrfach gewischt und geputzt, bis sie fast wieder wie neu wirkten und die Möbel wollte er nach und nach ersetzen, sobald er etwas Geld hatte. Geld. Immerhin da hatte er etwas Glück gehabt. Tea hatte vorhin in einer Schublade versteckt noch einen Umschlag mit 100.000 Yen gefunden, so konnte er über ein paar Monate hinweg die Raten bei dem Arschloch abbezahlen. Woher der alte Sack auch immer das Geld hatte, doch das war ihm jetzt egal. Keiner seiner Freunde hatte diese Wohnung jemals vorher gesehen und es war besser so gewesen, auch wenn es ihm geschmerzt hatte. Es war schon seltsam genug, dass sie heute dabei gewesen waren. Er hatte immer akribisch dafür gesorgt, dass sich seine beiden Welten nicht begegneten und jetzt waren sie es irgendwie doch. „Du hast mir das Leben zur Hölle gemacht und es gibt so unendlich viel, was ich dir niemals verzeihen kann. Vielleicht hattest du Gründe, dich mal fallen zu lassen, aber nicht für so lange Zeit und nicht so krass. Du hast mich auf Arten geprägt, die mich mein ganzes Leben nicht loslassen werden und dafür verabscheue ich dich. Und trotzdem ist da dieser kleiner Junge in mir, der dich bewundernd abgeschaut hat, als du einen Fisch mit den Händen aus dem Wasser gezogen hast. Der mit leuchtenden Augen danebenstand, wenn du das Radio auseinander- und danach wieder zusammengeschraubt hast und es immernoch funktionierte. Der sich darauf freute, wenn du ihm abends im Bett selbst ausgedachte Abeteuergeschichten erzählt hast, wo das Gute immer gewonnen hat. Was ist nur daraus geworden?“ Seine Stimme versagte und er versuchte die Tränen nieder zu kmäpfen, aber es klappte nicht. Eine Stimme in ihm wollte ihn maßregeln, dass dieses Arschloch keine Tränen verdient hatte, aber sie liefen trotzdem und aus Angst, dass er einfach umkippen würde, weil ihm die Beine versagten, ließ er sich auf die Knie sinken. Dann vergrub der Blondschopf sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte hemmungslos. Vielleicht beweinte er auch nicht mal ihn, sondern seine Vergangenheit, die nie zurückgekehrt war. Scheiße, das war alles so frustrierend. Ihm war nicht klar, wie lange er da so gesessen hatte, doch er wollte die anderen nicht länger warten lassen. Schniefend zog er die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke über die das Gesicht. Mit wackeligen Knien rappelte er sich auf und schleppte sich ins Bad, um sich noch ein letztes Mal das Gesicht zu waschen. So konnte er sich ja nicht draußen zeigen. Wie immer schaute Joey nach dem Waschen nach oben, doch da waren nur Fliesen. Den Spiegel hatte er eingepackt und womöglich war es besser, dass er den Haufen Elend gerade nicht sehen konnte. Das Zuziehen und Abschließen der Wohnungstür hatte etwas so Endgültiges, dass sich sein Herz zusammenzog, aber Joey ging eisern weiter. Seine Hand zitterte stark, als er den Schlüssel, wie mit der Hausverwaltung abgesprochen, in den Briefkasten warf, und das Haus verließ. Für eine Sekunde blieb er noch auf dem Absatz stehen, hörte, wie die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, und sah seine Freunde, die winkend am Van standen und lächelten. Es wurde Zeit für sein neues Leben und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ließ er seine Vergangenheit hinter sich und schritt auf seine Zukunft zu. Kapitel 47: Unerwarteter Besuch ------------------------------- Samstag, 01.10. Die Ruhe hatte etwas Entspannendes. Joey war dabei, seine alte Wohnung auszuräumen und die Sachen in die Neue zu bringen und Roland half ihm dabei. Mokuba war bei Freunden zu Besuch und er hatte dem Personal für das Wochenende freigegeben. So war Seto heute ganz allein in der Villa und er konnte nicht leugnen, dass es ein angenehmes Gefühl für ihn war. Endlich konnte er ohne Sorgen durch die Gänge schlendern, ohne dass irgendwer hinter der nächsten Ecke wartete und irgendetwas von ihm wollte. Es war mittlerweile Mittag und er hatte sich nach einem geschäftigen Vormittag vorgenommen, den restlichen Tag etwas zu entspannen. Seine Genesung schritt gut voran und er wollte das nicht gefährden. Zwar kribbelte es in seinen Fingerspitzen, doch wenn er das jetzt nicht ordentlich abheilen ließ, würde er noch viel länger damit zu tun haben und das war eine absolute Horrorvorstellung für ihn. Also kochte er sich eine Kleinigkeit in der Küche, nahm den Teller mit ins Wohnzimmer und machte es sich dort gemütlich. Nach dem kurzen Essen griff er das Buch, welches er schon gestern Abend hier angefangen hatte, nachdem alle anderen im Bett gewesen waren und schlug es erneut auf. Es gab nichts Besseres, als ein gut geschriebenes Werk, um die Zeit wie im Flug vergehen zu lassen. Doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab, wollten sich mit anderen Dingen als mit der Handlung beschäftigen und nach einer halben Stunde gab er es frustriert auf. Da war immer wieder die Frage, was Joey eigentlich in ihm sah. Erst recht nach ihrem Date letzte Woche. Sie waren alle Beide viel zu tief mit ihren Erzählungen gegangen und ihm war noch immer nicht klar, wie er es so weit hatte kommen lassen können. Es war nicht gut, dass der Blondschopf so viel über ihn wusste, das war klar, aber er hatte es in diesem Moment nicht verhindern können. Seine Worte waren draußen gewesen, ehe er sie hatte einfangen können. Und wie Joey sich danach neben ihm ans Klavier gesetzt hatte. Dieser Blick hatte etwas tief in ihm berührt, etwas von dem er nicht wusste, was es war, aber es machte ihm Angst. Denn er wusste, dass dieses Etwas mächtig war. Sehr mächtig. Irgendwie musste er sich dagegen wehren, damit es nicht die Kontrolle über ihn übernahm. Das würde ihn nur in Teufelsküche bringen und das durfte er nicht zulassen. Dennoch konnte Kaiba auch nicht leugnen, dass der Sex mit dem Hündchen mehr als nur gut war. Sie waren zwar noch recht harmlos dabei, aber dennoch schaffte es der Kleinere immer wieder, ihn mehr als nur zu befriedigen. Es war ihm überhaupt nicht klar, wie er das hinbekam, doch er konnte es nicht abstreiten. Wahrscheinlich war auch das der Grund, warum sie alle paar Tage in seinem Bett landeten. Es wäre schade, wenn das demnächst vorbei war, doch beim Firmenjubiläum würden sie seinen Ausstieg verkünden. Bis dahin wollte der Blondschopf auch sein Konzept für das Personal vorlegen und er hatte seine Schuldigkeit getan. Dann würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen, also naja, abgesehen von den Änderungen, die dann in Angriff genommen werden würden. Es war noch immer absurd, wenn er daran dachte, dass ausgerechnet Joey Wheeler einen tiefgreifenden Einfluss auf seine Firma hatte, obwohl er nur ein paar Wochen da gewesen sein würde. Der Blondschopf hatte ihn wirklich überrascht und nicht nur ihn. Die Geschäftswelt war ziemlich – wie hatte Hiro das in einem Telefonat genannt? Ach ja – entzückt von diesem Newcomer, der so schnell lernte und einen Konzern wie die Kaiba Corporation im Griff hatte, wenn natürlich auch mit viel Hilfe von anderen. Dem Blondschopf standen nach dem Abschluss also alle Türen offen, um etwas aus sich zu machen, wie er es vorhatte. Und es wäre mehr als seltsam, würde er ihm bei Veranstaltungen als ebenbürtiger Mann gegenüberstehen. Ob er sich jemals daran gewöhnen könnte? Er bezweifelte es stark. Mokuba hatte jedenfalls einen hervorragenden Riecher bewiesen. Woher hatte er gewusst, dass Joey das irgendwie hinbekommen würde? Dass er ganz neue Talente in sich entdeckte, die der Blonde nicht einmal selbst gekannt hatte? Die Klingel des Tores am Grundstückseingang durchbrach die Stille und seine Gedanken und stirnrunzelnd legte Kaiba sein Buch beiseite. Er stand auf, um an der Haustür auf den Monitor zu schauen. Wer sollte ihn auf einen Samstagnachmittag stören? Er erwartete keinen Besuch und unangemeldeter war er noch nie ein Freund von gewesen. Als einer der beiden Männer den Polizeiausweis in die Kamera hielt, öffnete er das Tor. Ob sie neue Informationen zu dem Unfallfahrer hatten? Na hoffentlich! Er wollte das Thema gern mal abschließen, damit er sich wieder auf wichtigere Dinge konzentrieren konnte. Es dauerte einen Moment, ehe sie die Haustür erreicht hatten und Kaiba öffnete sie, um sie einzulassen. „Mr. Kaiba?“ „Ja, der bin ich. Treten Sie ein.“ Er machte einen Schritt zur Seite und mit einem freundlichen Nicken traten die Männer ein. Er führte sie in den kleinen Salon, wo sie sich auf der Sofagruppe niederließen. „Was führt Sie her? Haben Sie den Unfallfahrer endlich gefunden und festgenommen?“ „Ja, das haben wir. Die Ermittlungen sind noch nicht ganz abgeschlossen, aber wir haben ihn in Gewahrsam genommen. Wir sind aber aus einem anderen Grund hier.“ Ein anderer Grund? Seto verzog keine Miene, aber er konnte sich nicht vorstellen, warum die Polizei sonst zu ihm wollte. Seine Methoden waren legal, er hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. „Klären Sie mich auf“, forderte er nach einer Gesprächspause und einer der Polizisten räusperte sich. Wenn er sich die Zwei genau anschaute, schienen sie unruhig zu sein. War ihnen der Besuch hier unangenehm? „Wir sind wegen des Todes von Mr. Wheeler hier.“ Joeys Vater? Wie kamen sie denn jetzt darauf? Die ganze Sache wurde immer verworrener und er noch ungeduldiger. „Sie müssen das schon spezifizieren.“ „Aufgrund unserer Datenlage haben wir Ermittlungen bezüglich des Todesfalls aufgenommen. In den letzten Jahren sind mehrere Streifen zur Wohnung der Wheelers gerufen worden. Meistens ging es dabei um Ruhestörung und Joey Wheeler wurde mehrfach ermahnt, sich angemessen zu verhalten. Nun stellt sich uns die Frage, ob ein Streit womöglich eskaliert ist und Mr Wheeler Senior deswegen verstarb.“ „Das kann unmöglich Ihr Ernst sein.“ Geradezu empört wischte er die Aussage mit einer Handbewegung weg. Es war ausgeschlossen, dass das der Wahrheit entsprechen konnte. Nach allem, was er jahrelang durchmachen musste, ohne dass es irgendjemanden interessiert hatte, kam die Polizei jetzt auch noch so an!? „Wir sind dazu verpflichtet, jeder Spur nachzugehen, Mr. Kaiba. Und als Ihr Lebensgefährte haben wir ein paar Fragen bezüglich Mr. Wheeler an Sie.“ „Wären Sie immer jeder Spur nachgegangen, hätten Sie Joey ein jahrelanges Marthyrium erspart! Sein Vater hat gesoffen, ihn geschlagen und misshandelt! Und Sie sagen ihm, dass er sich „angemessen“ verhalten soll!? Mir wird schlecht. Aber genug der Reden. Ich werde Ihnen beweisen, was ich meine. Einen Moment.“ Ruckartig stand Kaiba auf und verließ den Salon, ohne sich auch nur eine ihrer Fragen anzuhören. Er brauchte Luft. Einen Moment der Ruhe. Diese Ungerechtigkeit ließ ihn vor Wut schwindelig werden und ohne zu überlegen, stolzierte er in das Arbeitszimmer. Unwirsch griff er seinen Laptop und marschierte wieder zurück. Er konnte nicht zulassen, dass das so im Raum stehen blieb. Auch wenn er keine Beziehung mit Joey wollte, so konnte er das nicht so lassen. Das war er ihm schuldig, nachdem was er alles für ihn und seinen kleinen Bruder getan hatte. „Hier. Sehen Sie sich diese Dokumente an. Vor Jahren wurde Joey ins Krankenhaus eingeliefert und der behandelnde Arzt war zum Glück kein Idiot und hat Fotos der Verletzungen gemacht. Und jetzt sagen Sie mir nicht, dass er Schuh- und Handabdrücke irgendwie selbst verursachen könnte. Sein Vater war anscheinend in der Lage, gute Miene zu machen, aber ich lasse nicht zu, dass Sie hier die Wahrheit verdrehen.“ Er drehte den Polizisten den Bildschirm zu und zeigte ihnen die Dokumente, die seine Mitarbeiterin ihm geschickt hatte. Die beiden Männer studierten sie, machten sich Notizen und murmelten Dinge, die er nicht verstand, doch es interessierte ihn auch nicht. Hauptsache sie begriffen, was für Idioten sie waren. Er hatte für solche Mätzchen keine Zeit. Trotzdem würde er zur Sicherheit Yuuto über den Besuch informieren, damit er notfalls eingreifen konnte. „Nun, schicken Sie uns diese Daten bitte zu. Wir werden Sie eingehend prüfen. Bitte beantworten Sie uns dennoch ein paar Fragen.“ Anstatt etwas zu sagen, machte er nur eine Handbewegung und nebenbei versandte er die Dateien an das nächste Polizeirevier. Vielleicht sollte er noch den Polizeipräsidenten mit einem gepfefferten Kommentar in Kopie nehmen, damit klar war, was für ein ausgemachter Unsinn das hier war. „Wie ist Joey Wheeler so?“ „Er kann ein ziemlicher Trottel sein, der gefühlt den ganzen Tag essen kann. Er lächelt persönliche Probleme grundsätzlich weg, weil er niemandem zur Last fallen will. Ich habe seinen Vater trotz unserer Beziehung nie persönlich kennengelernt, weil sich Joey dafür schämte. Erst nach seinem Tod hat er mir so wirklich erzählt, was alles passiert war. Doch er hat ein großes Herz und gibt notfalls sein Leben für die, die ihm wichtig sind. Daher hat er auch die Firma übernommen, als ich im Krankenhaus war. Er denkt nicht großartig nach, sondern hilft einfach.“ Ja, so war er. Abgesehen davon, dass er unglaublich treu und loyal war. Und irgendwie schaffte er es, ihn mit seinem Grinsen von allen Problemen abzulenken. Stop! Das spielte keine Rolle. Das Köterchen hatte sich in den letzten Wochen viel zu sehr in seinen Gedanken eingenistet. Dabei würde er demnächst wieder weg sein und er seinem Leben nachgehen können. Mit der Bezahlung von Serenitys Studium und der Befreiung der Anschuldigungen durch die Polizei war seine Schuldigkeit dann auch getan. Er brauchte wieder Ordnung in seinem Leben. „Und Sie sind der felsenfesten Überzeugung, dass Joey Wheeler seinem Vater nichts angetan hat? Dass sich die Wut nicht doch in einem Moment entladen hat?“ „Keinesfalls. Er würde sein Leben nicht einfach so in den Ruin treiben. Dafür hat er noch viel zu viel vor.“ „In Ordnung. Dann vielen Dank für Ihre Zeit und die Daten. Sollten sich noch Fragen ergeben, melden wir uns.“ „Wenn Sie in der Lage sind, richtig lesen zu können, haben sich alle Fragen erledigt. Schönen Tag noch.“ Sie standen auf und er brachte sie zur Tür. Kaum, dass sie außer Sichtweite waren, schüttelte er verständnislos den Kopf. Arbeiteten bei der Polizei nur Idioten? Kein Wunder, dass so viele Taten unentdeckt blieben. Vielleicht sollte er sich da mal einmischen, um den Laden auf Vordermann zu bringen. Nein, er hatte genug mit seiner Firma zu tun. Da konnte er keine weiteren Baustellen gebrauchen. Doch eine kleine Email an den Polizeipräsidenten könnte vielleicht etwas Wirkung entfalten. Es war früher Abend, als Joey in die Villa zurückkehrte und nur ein paar Minuten später war auch Mokuba wieder da. Er hörte es, weil die Tür zum Wohnzimmer nur angelehnt war, in dass er sich erneut zurückgezogen hatte. Das Buch hatte er zur Hälfte gelesen, doch jetzt war es mit der Ruhe vorbei, denn er hörte schon die näherkommenden Schritte der Beiden. „Hallo Seto! Wir sind wieder da! Wie geht es dir?“ „Mir geht es gut, Moki. Hattest du auch viel Spaß bei deinen Freunden?“ „Ja, es war super!“ Seto wuschelte seinem kleinen Bruder lächelnd durch die Haare und schaute zu Joey, der seltsam bedröppelt in der Tür stehen geblieben war. „Alles in Ordnung?“ „Ja, der Umzug lief gut. Ich muss nur noch die Kisten wieder auspacken, aber das mache ich in den nächsten Tagen ganz in Ruhe, wenn sich die Zeit findet. Trotzdem war es anstrengend und ich wünsche euch noch einen schönen Abend. Schlaft später gut und bis morgen.“ „Waaas? Ich dachte, wir spielen noch etwas“, jammerte Moki, doch Joey entschuldigte sich und verschwand in Richtung seines Zimmers. Wie konnte die Polizei nur glauben, dass er seinen eigenen Vater getötet hätte? Das war doch unglaublich. Die Empörung über diese haltlose Anschuldigungen wollte einfach nicht verschwinden. „Ach schade“, murmelte Moki und setzte sich neben ihn. Er löste den Blick von der Tür und schaute seinen kleinen Bruder an, als er entgegnete: „Er wird bestimmt die Tage noch mit dir spielen. So ein Umzug ist sehr anstrengend, selbst für ein Köterchen wie ihn.“ „Ich weiß nicht … Irgendwie glaube ich, da war noch etwas anderes bei ihm, aber offenbar will er darüber nicht reden. Naja, spielen wir dann noch etwas, Seto!?“ „Ja, meinetwegen“, stimmte er zu und beobachtete zufrieden, wie der Schwarzhaarige alles vorbereitete. Doch was der Kurze gesagt hatte, dürfte wohl ins Schwarze treffen. Wahrscheinlich war er sentimental geworden, als er den Ort der jahrelangen Schickanierung betreten hatte und wer konnte es ihm verübeln? Vielleicht konnte er nun wirklich damit abschließen und sich auf seine Zukunft konzentrieren. Kapitel 48: Angriff ------------------- Sonntag, 02.10. / Montag, 03.10. Das restliche Wochenende war seltsam gewesen. Kaiba hatte viel gearbeitet, weil es Probleme mit Nordamerika gab wegen neuer Beschränkungen, die in der Politik beschlossen waren und so hatte er ihn praktisch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Stattdessen hatte er den Tag halb mit Mokuba verbracht, ehe dieser seinen großen Bruder im Arbeitszimmer aufgesucht hatte. Er selbst hatte sich ebenfalls in sein Zimmer zurückgezogen, diesem Shinichi die nächste Rate überwiesen und sich danach an die Hausaufgaben gesetzt, doch so richtig konzentrieren konnte er sich nicht. Tief in seinem Inneren hatte er sich gestern Abend gewünscht, dass Kaiba noch beim ihm reingeschaut hätte, um sich zu erkundigen, wie es ihm ging, doch da war nichts gekommen. Stundenlang hatte er seitlich auf dem Bett gelegen und die Tür förmlich angestarrt, doch sie war geschlossen geblieben. Es war dumm gewesen, anzunehmen, dass sich der Brünette plötzlich für ihn interessierte und an seinem Leben teilhaben wollte. Und die Erkenntnis, dass eben doch alles geschauspielert war, tat ihm weh. Viel mehr, als er es wollte. Auch auf sein Angebot, dass er ihm mit der Nordamerikasache helfen könnte, um schneller fertig zu werden, war er nicht eingegangen. Wahrscheinlich bereitete er sich bereits auf ihre Trennung vor, die nach dem Firmenjubiläum irgendwann verkündet werden sollte. Trennung. Ha! Dafür hätten sie ja jemals miteinander zusammen gewesen sein müssen. Scheiße, das ging ihm echt nah. Frustriert räumte er mit einer Hand die Sachen von seinem Schreibtisch und schlug auf die Holzplatte. Er musste sich zusammenreißenm. Es konnte doch nicht sein, dass er Gefühle für den Eisschrank entwickelt hatte! Das war doch so absurd, so lächerlich. Kaiba würde ihn auf der Stelle auslachen, wenn er damit ankam. Nein, die Blöße würde er sich nicht geben. Es klopfte und erschrocken starrte er die Tür an. „J-ja?“ Sein Herz klopfte unnatürlich schnell, als er gebannt beobachtete, wie sie geöffnet wurde und Seto in einem dünnen Pullover und Jogginghose dastand. „Was ist denn hier passiert?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue und schaute auf die Schulsachen, die neben ihm auf dem Boden lagen. Es arbeitete in Joeys Kopf, was er erwidern sollte und noch ehe er sich in die Scheiße reiten konnte, antwortete er: „Mathe bringt mich noch ins Grab. Ich verstehe es einfach nicht.“ Kaiba seufzte, schloss die Tür hinter sich und trat an ihn heran, blieb vor dem Hefter stehen und hob ihn auf. „Du gibst doch sonst nie auf.“ Es war eine Feststellung und die blauen Augen, die ihn so intensiv musterten, waren ihm irgendwie so unangenehm und andererseits wollte er für immer so weiter angeschaut werden. Das war doch alles zum Haare raufen! „Mathe ist etwas anderes. Ich verstehe nicht, wie Leute sagen können, dass Mathe etwas Logisches ist und etwas Beruhigendes an sich hat. Ich meine, warum gibt es Buchstaben in der Mathematik? Mathe sind Zahlen und Sprachen sind Buchstaben! Das muss man doch nicht durcheinanderwürfeln!“, echauffierte er sich und entlockte dem Brünetten so ein Schmunzeln. „Dir wird es genauso gehen, wenn der Groschen erst einmal gefallen ist. Du hast in den letzten Wochen so viel gelernt, dass du doch jetzt nicht damit aufhören willst, oder?“ „Kommt aufs Thema an“, brummte der Blondschopf und beobachtete aufgeregt, wie Kaiba einen Stuhl holte und sich neben ihn setzte, während er schnell die Stifte aufhob und auf den Tisch legte. Zwei Stunden saßen sie da an seinem Schreibtisch und Joey hatte danach das Gefühl, wenigstens etwas mehr verstanden zu haben. Allerdings hatte er sich auch nicht immer konzentrieren können. Der Pulli saß so perfekt und wenn er an den Körper darunter dachte … Aber so viel wichtiger für Joey war sein Lächeln. Das ehrliche, liebevolle Lächeln, mit dem er oft Mokuba bedachte, wenn dieser ganz begeistert von etwas war. Es sah so wunderschön aus. „Wieso bist du eigentlich hier?“, fragte er plötzlich und Kaiba sah zu ihm. „Hm?“ „Na, du bist doch wohl kaum hierhergekommen, um mir Mathe Nachhilfe zu geben. Oder hast du hier Kameras installiert und wusstest so, dass ich hier verzweifel?“ „Interessanter Gedanke, aber hier gibt es keine Kameras. Ich wollte dir nur sagen, dass ich die Angelegenheit klären konnte. Du kannst Emails dazu einfach ignorieren. Ich werde mich um die letzten Details, die morgen sicherlich noch aufkommen werden, kümmern.“ „Das klingt gut.“ Der Brünette nickte und stand auf und der Blondschopf wusste nicht, was er tun sollte. Bis Freitag hätte er ihn sofort geküsst und verführt, aber irgendetwas war anders. Lag es an ihm selbst? Weil der Umzug so viel an die Oberfläche gespült hatte, dass er glaubte zu ertrinken? Lag es an Kaiba, weil er gestern etwas erlebt hatte, was ihn beschäftigte? Scheiße, was sollte er tun? „Also dann, gute Nacht und schlaf schön. Bis morgen.“ „Du auch, bis morgen“, murmelte Joey und schaute dem CEO nach, der bereits an der Tür war und diese hinter sich schloss. Das war sie gewesen, deine Chance, tadelte ihn eine innere Stimme, doch er schüttelte den Kopf. Nein, das war alles nur geschauspielert. Obwohl … Nein, nicht alles. Dass Kaiba ihm sehr dankbar war, dass er sich um Mokuba gekümmert hatte und deswegen ein paar Dinge für ihn getan hatte, das war echt. Da war er sich sicher. Aber anscheinend gehörte der Brünette zu den Menschen, die zwischen Sex und Liebe unterscheiden konnten. Fuck, das konnte doch nicht sein. Nein, das durfte nicht sein. Die Limousine hielt vor der Schule an und Joey straffte die Schultern. Es war ein täglicher Kampf, der ihm auf den Sack ging, aber den er immer wieder gewinnen musste. Er brauchte diesen verdammten Abschluss, um in der Zukunft gut aufgestellt zu sein. Sonst hätte er sich diesen Spießrutenlauf schon seit Wochen nicht mehr angetan. Die halbe Schule schien homophob zu sein und hatte er bisher geglaubt, dass er bi war, dann hatte er mittlerweile das Gefühl, schon aus trotz schwul zu sein. Der Blonde schritt um den Wagen herum zu Kaiba, der wie immer sofort einen Arm um ihn legte, doch heute Morgen wusste er nicht, was er davon halten sollte. Dafür war das Wochenende zu seltsam gewesen. Sie marschierten über den Schulhof, begleitet von Blicken und Tuscheleien, die ihm immer mehr zusetzten. Hatte er es am Anfang noch geschafft, das zu ignorieren, fiel es ihm von Zeit zu Zeit schwerer, das noch so zu handhaben. Und sein Rettungsanker neben ihm hatte sich als sehr brüchig erwiesen. Auf Kaiba wollte er sich nicht mehr verlassen. Er musste das allein schaffen. Wie er bisher auch alles allein geschafft hatte. Anders ging es einfach nicht. Das hatte er gestern Abend begriffen. In der Klasse angekommen, brachte er den CEO zu seinem Platz und entschuldigte sich dann bei ihm. Er legte seine Tasche auf seinen Stuhl und wandte sich dann grinsend Yugi zu, dem er durch die Frisur wuschelte. „Na, wie war noch dein Wochenende?“, wollte er wissen und hoffte, dass die gute Laune überzeugend herüberkam. Er brauchte Ablenkung und sich mit seinen besten Freunden zu unterhalten, wirkte da noch immer Wunder. „Ziemlich unspektakulär. Ich habe gestern noch mit Großvater einen Ausflug ans Meer gemacht, weil wir da beide Lust zu hatten, aber sonst nichts. Und du?“ „Ich habe mich gestern mit Mathe herumgeärgert, aber dank der Nachhilfe des Eisklotzes habe ich wenigstens etwas verstanden“, antwortete er automatisch und spürte plötzlich diesen Blick in seinem Nacken. Kaiba hatte sie bestimmt gehört, so weit entfernt waren sie nicht, aber warum fühlte er sich so unwohl? Es war einer seiner Spitznamen, die er für ihn hatte. Da konnte er sich doch nicht wundern, dass er ihn nutzte, oder? Oder … verletzte es ihn, dass er ihn noch immer so nannte? „Guten Morgen!“, rief Tea fröhlich und kam sofort auf sie zu und die Gedanken verblassten, als ihre Freundin ihnen erzählte, dass sie gestern ein paar Bewerbungen für Tanzschulen weggeschickt hatte. Sie beglückwünschten sie dazu und Joey spürte auf einmal, dass er sich viel besser fühlte. Was würde er nur ohne seine Freunde tun? Es war Zeit für die Kantine, als Joey seufzte. Es war die Zeit des Tages, die ihn am meisten Kraft kostete, die ihn am meisten nervte. Obwohl all seine Freunde und auch der Brünette ihm halfen und für ihn konterten, konnten sie nichts daran ändern, dass die meisten Beleidigungen und Beschimpfungen ihm galten. Nicht Kaiba, weil sich niemand traute, es sich mit ihm zu verscherzen, sondern ihm. Dem Straßenköter, der sich ein Herrchen gesucht hatte, dass auf ihn aufpasste. Das war die gängige Meinung und so war es eben er, der alles abbekam. „Ich geh noch eben ins Bad, bis gleich“, verabschiedete er sich von den anderen und sie nickten ihm zu, als Joey in einen anderen Gang abbog, wo sich die WCs befanden. Er war gerade fertig und wollte sich die Hände waschen, als plötzlich fünf Typen aus der Parallelklasse auftauchten und ihm den Weg versperrten. Nach außen hin unbeeindruckt wusch er sich in Ruhe und trocknete die Hände ab, doch innerlich schrillten alle Alarmglocken. Sie waren von Anfang an ganz vorn dabei gewesen, ihn zu schickanieren und wenn er sich die jetzt so ansah, wollten sie es nicht mehr nur bei Worten belassen. Und er saß in der Falle. „Na, wenn das nicht unser schwanzlutschender Freund ist. Gar kein Herrchen bei dir?“ Verbissen schwieg Joey. Er durfte sich nicht provozieren lassen. Wenn er von der Schule flog, waren die letzten Wochen vollkommen umsonst und er konnte sich seine Träume in die Haare schmieren. Dafür hatte er noch viel zu viel vor. „Was denn? Seit wann so schweigsam? Du kläffst doch sonst immer sofort los, Mr. „glückliche Schwuchtel“. Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?“ „Hören wir auf zu quatschen. Ich will ihn endlich loswerden. Die Fresse nervt mich“, knurrte ein anderer und reflexartig ging Joey in eine Abwehrhaltung. Was sollte „loswerden“ überhaupt heißen? Von der Schule fliegen? Umbringen? Ihm wurde schlecht, doch er zwang sich dazu, nicht durchzudrehen. Dabei züngelte die Panik durch seine Adern, schärfte seine Sinne, aber vernebelte auch seine Gedanken. Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Zwei Typen griffen an. Den einen konnte er abwehren, der andere traf ihn mit der Faust in den Bauch, sodass ihm kurz die Luft ausging. Für die anderen Drei war es das Startsignal. Joey verteidigte sich nur, zu groß war die Angst, bei einem Angriff sofort von der Schule zu fliegen. Aber bei fünf Angreifern war es sowieso schon beinahe unmöglich, alles abzuwehren – geschweige denn anzugreifen. Er war ja kein ausgebildeter Kämpfer. Ein letzter Schlag gegen sein Brustbein, dann ließen die Typen lachend von ihm ab und er rutschte an der Wand herunter und blieb vor Schmerz stöhnend sitzen. Die Schweine hatten darauf geachtet, ihn nicht im Gesicht zu erwischen, damit niemand sah, was sie mit ihm gemacht hatten. Scheiße, tat das weh. Sein gesamter Oberkörper schmerzte und mit zusammengebissenen Zähnen blieb er einfach sitzen. Nur eine Bewegung und er würde wahrscheinlich die gesamte Schule zusammenbrüllen. Nach ein paar Minuten ging es ihm schon etwas besser und er konnte zu den anderen gehen. Shit, die anderen! Fest griff Joey mit einer Hand das Waschbecken und zog sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hoch. Es würde nicht lange dauern, bis sich seine Freunde auf den Weg machen würden, um zu sehen, ob es ihm gutging. Sie sollten ihn so nicht sehen. Zu schwach, um sich zu wehren. Zu schwach, um das selbst regeln zu können. Langsam und gleichmäßig atmete Joey ein und aus, hielt sich mit beiden Händen an dem Porzellan fest und wartete darauf, dass der Schwindel verschwand. Immerhin konnte er problemlos atmen, also war seine Lunge schonmal in Ordnung. Das war doch ein Anfang. Mit schweren Schritten schleppte er sich in die Kantine und wollte gerade in Richtung des Tresens gehen, um sich etwas zu holen, als Seto plötzlich vor ihm stand. „Joey, was ist passiert?“ „N-nichts. Mir ist nur ein bisschen schwindelig“, murmelte er und wollte an ihm vorbeigehen, doch der CEO stellte sich ihm in den Weg. „Joey, an deiner Uniform ist Blut. Was ist los?“ „Blut?“, wiederholte er fragend und schaute an sich herab. Tatsächlich waren da zwei Blutflecken. Mist, das sauber zu kriegen, war die Hölle, schoss es ihm durch den Kopf, als sich alles um ihn herumdrehte und dann wurde alles schwarz vor seinen Augen. Kapitel 49: Das Versprechen --------------------------- Montag, 03.10. Joey betrat schlurfend die Kantine und sofort zog sich etwas in Kaiba zusammen. Er hatte doch nur auf Toilette gehen wollen. Was war da passiert? „Ist das Blut auf seiner Uniform?“, fragte Tea geschockt und die anderen wollten schon loslaufen, doch mit einer Handbewegung brachte er sie dazu, in der Bewegung innezuhalten. Stattdessen stand er selbst auf und schritt zu dem Hündchen, dass so fertig wirkte, dass es schon fast an ein Wunder grenzte, dass er noch aufrecht stehen konnte. „Joey, was ist passiert?“, wollte er wissen und musterte ihn aufmerksam. Er zitterte leicht, sein Atem ging stoßweise und seine Pupillen zuckten unruhig hin und her. „N-nichts. Mir ist nur ein bisschen schwindelig“, bekam er als Antwort kredenzt, doch er glaubte ihm den ersten Teil nichts. Wegen nichts würde er nach einem Toilettenbesuch kaum so aussehen. Der Blondschopf bewegte sich langsam einen Schritt nach vorn, doch er versperrte ihm den Weg. Er sollte ihm sagen, was geschehen war. Er würde sich darum kümmern. Egal, um wen oder was es ging. „Joey, an deiner Uniform ist Blut. Was ist los?“, fragte er nachdrücklich. „Blut?“ Irritiert sah der Blonde an sich herunter und noch ehe irgendeine Reaktion kam, klappte das Hündchen einfach zusammen. „Joey!“, rief er überrascht und fing ihn gerade noch auf. Die Muskeln des Kleineren zuckten, als er seinen Oberkörper berührte und er ahnte, was auf dem Klo passiert war. Wenn er die Leute zu fassen bekam, würden die nichts mehr zu lachen haben. Er würde sie wie Kakerlaken zerquetschen. Feige Schweine. Behutsam hatte er den Blondschopf auf den Armen und während er ihn in Richtung der Krankenstation trug, kam auch der Kindergarten angerannt. Sanft legte Tea den Kopf ordentlich an seine Brust, damit er sich nichts ausrenkte und er nickte ihr knapp zu. Devlin und die anderen spekulierten über die Täter und dass sie ihnen den Marsch blasen würde, was ihn verächtlich schnauben ließ. Taylor zickte ihn sofort an, doch die anderen beruhigten ihn schnell wieder. „Überlass die Typen mir. Das dürfte mehr Eindruck hinterlassen.“ „Danke Kaiba. Wir wissen das zu schätzen“, sagte Yugi schnell und lächelte ihn kurz an, ehe sein Blick wieder sorgenvoll war. Sie bogen in den Gang mit dem Krankenzimmer ab und Seto spürte, dass seine eigenen Wunden noch nicht vollständig geheilt waren. Hatte er die letzten Tage kaum noch Schmerzen gehabt, spürte er nun umso deutlicher, dass er noch nicht schwer tragen sollte. Seine gesamte rechte Seite schickte nun pausenlos Schmerzimpulse an sein Gehirn, doch er versuchte es, auszublenden. Gleich war er da und konnte den Blonden ablegen. Hoffentlich war es nichts allzu Schlimmes. Vorsichtig legte Seto das Hündchen auf das Bett, während Taylor schon dabei war, den Arzt zu suchen und ranzupfeifen. Immerhin war der Typ einmal nützlich. „Was ist passiert?“, wollte der ältere Herr abgehetzt wissen und Kaiba antwortete, während er bereits die Uniform aufknöpfte: „Ich vermute, dass er verprügelt wurde. Von wem weiß ich noch nicht, aber das werde ich noch herausfinden. Ihm ist der Kreislauf abgeklappt, als er die Kantine betrat, aber ich konnte ihn zum Glück auffangen.“ „Lassen Sie mich mal sehen“, erwiderte der Arzt, knöpfte das Hemd unter der Jacke auf und schob die Kleidung beiseite. Auf dem Oberkörper bildeten sich bereits erste Blutergüsse. Zwei Stellen waren offen, weshalb die Uniform die Blutflecken hatte und Tea hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund. „Verdammte Scheiße, wer tut denn sowas!?“, wollte Duke geschockt wissen und Kaiba fragte sich das gleiche. Aber das würde er in Erfahrung bringen und die Schüler ohne Gnade vor Gericht stellen lassen. Wenn Yuuto das erst einmal mitbekam, würde er sich garantiert mit Freude darum kümmern. Da war er sich sicher, so gut, wie er sich mit Joey verstand. „Machen Sie bitte Fotos von den Verletzungen. Wir brauchen sie als Beweis für die Polizei“, sagte Kaiba deshalb und tippte bereits auf seinem Smartphone herum. Doch kaum, dass er eine kurze Nachricht an den Anwalt geschickt hatte, rief dieser schon an. „Was zur Hölle ist passiert?“ „Irgendwelche Schüler haben Joey in der Toilette aufgelauert und ihn verprügelt. Der Arzt macht gerade Fotos, damit wir die bei der Polizei vorlegen können.“ „Sehr gut! Ich bereite alles vor.“ „Ich melde mich, sobald ich die Namen habe“, erwiderte Kaiba und legte wieder auf. Unruhig warteten alle darauf, dass der Arzt mit ihnen sprach, doch es dauerte noch ein paar Untersuchungen, ehe er sich an ihn wandte und fragte: „Sie sind der Lebensgefährte, richtig?“ „Ja, das ist korrekt“, log er ohne mit der Wimper zu zucken, was ihn fragende Blicke des Kindergartens einbrachte, auf die er aber nicht weiter einging. Es ging sie gar nichts an, wie die Situation zwischen dem Hündchen und ihm war. „Mr. Wheeler hat großes Glück gehabt. Es wurden keine inneren Organe verletzt, aber zwei Rippen sind angebrochen und die Prellungen dürften ihm starke Schmerzen bereiten. Ich werde ihm Schmerzmittel verabreichen und er sollte ein paar Tage auf die Bremse treten. Sollte irgendetwas sein, zögern Sie nicht, ihn sofort ins Krankenhaus zu bringen.“ „Danke Doktor, ich werde dafür sorgen, dass er sich schont“, murmelte er und musste daran denken, wie er vor ein paar Wochen bereits einmal übel zugerichtet worden war. Warum zog das Hündchen das auch so magisch an? Hatte er so ein unsichtbares Schild auf seiner Stirn, dass er noch nicht gefunden hatte? „Bitte hier prügeln“ oder so? „Wenn ich diese Arschlöcher in die Finger kriege!“, schnaufte Tristan und ballte die Hände zu Fäusten, doch Kaiba schüttelte den Kopf. „Spart euch den Atem. Ihr wollt doch wegen solcher Trottel nicht von der Schule fliegen, oder? Gerade jetzt, wo es das letzte Schuljahr ist. Yuuto bereitet die Anzeigen bereits vor. Ich muss nur noch herausfinden, wer damit steckt.“ „Danke nochmal dafür, Kaiba“, meldete sich Yugi zu Wort und sein sorgenvoller Blick, den er auf Joey gerichtet hatte, löste etwas in Kaiba aus. Er konnte es nicht benennen, aber es gefiel ihm nicht, wie er den Blondschopf ansah. „Entschuldigt mich kurz. Sagt Bescheid, wenn er aufwachen sollte.“ Duke und Tea nickten ihm zu und der CEO verließ das Krankenzimmer. Er hörte, wie Yugi ihm folgte, doch es war ihm egal. Er hatte etwas zu erledigen. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis er die fünf Namen hatte und wie erwartet, waren sie ziemlich klein geworden, als er ihnen mit einer saftigen Anzeige gedroht hatte und das vor der ganzen Klasse. Zwei von ihnen machten zwar noch einen auf starken Macker, aber es war klar, dass sie die Hosen voll hatten – erst recht, als die Sekretärin des Direktors auftauchte und sie zu einem Gespräch zitierte. Die anderen Schüler hatten nicht schlecht gestaunt, als er einfach im Klassenraum erschienen war und er hörte einzelne Kommentare, dass er sich das auch nur erlauben konnte, weil er Firmenchef war und die Lehrer deswegen kuschten. Da hatten sie definitiv recht und er hatte kein Problem damit, das für sich zu nutzen. Sein Weg zu dieser Position war lang genug gewesen. Er hatte nur Joeys Namen erwähnen müssen und anhand der Reaktionen hatte er sofort gewusst, wer es gewesen war. Vage erkannte er die Gesichter, weil sie schon in der letzten Zeit gepöbelt hatten. Jetzt hatten sie offenbar ihren Worten Taten folgen lassen, doch das wäre das letzte Mal, dass sie Joey als Zielscheibe hatten. Zufrieden, dass die Arschlöcher ihre Strafe kassieren würden, machte er sich mit Yugi, der das ganze schweigend beobachtet hatte, auf den Rückweg. Währenddessen tippte er auf seinem Handy eine nachricht an Yuuto mit den Namen der Schuldigen und checkte kurz noch die Emails, doch zum Glück gab es anscheinend keine mittelschwere Katastrophe. Offenbar waren sie keine Sekunde zu spät, denn das Hündchen schien gerade wieder wach zu werden. Es nervte den Brünetten, dass sich alle um das Bett herum versammelten, doch er wusste, dass es dem Blonden helfen würde, wenn auch der Kindergarten da war. „Hey Leute …“, murmelte er noch leicht benommen und drehte den Kopf leicht. Es versetzte ihm einen Stich, den blonden Chaoten so fertig und schwach zu sehen. Das passte nicht zu ihm. Am schlimmsten für ihn war, dass sein Hündchen gerade erst dabei war, mit seinem Vater abzuschließen, nur um jetzt wieder verprügelt zu werden. Das hatte er nicht verdient. „Joey, wie fühlst du dich?“, erkundigte sich Tea mitfühlend. „Wie durch den Fleischwolf gedreht …“ „In ein paar Tagen ist alles wieder gut. Der Arzt meinte, dass du keine inneren Verletzungen hast. Also bist du bald wieder fit“, ermutigte ihn Yugi und Joey nickte leicht. Kaiba hielt es nicht mehr aus und übernahm das Wort, um sein Hündchen weiter zu beruhigen: „Die fünf Typen, die dir das angetan haben, sitzen auch gerade beim Direktor und Yuuto bereitet die Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung vor.“ „Was!?“ Geradezu geschockt weiteten sich die Augen des Blondschopfs und plötzlich wollte er sich aufsetzen, hielt aber wegen der Schmerzen überrascht inne. Geradezu gequält stöhnte er auf, wollte sich aber trotzdem aufsetzen. „Ganz ruhig, Joey. Bitte.“ Sanft drückte Seto ihn wieder in die Kissen, aber er schien richtig außer sich zu sein. „Wie kommst du dazu, das einfach so zu tun!? Ich bin der Verletzte, also ist es auch meine Entscheidung, was passiert!“ Perplex schwieg Seto. Was regte er sich denn jetzt so auf? Die hatten ihm Verletzungen zugefügt, also war es doch nur normal, dass sie auch zur Rechenschaft gezogen werden mussten. „Wir ähm … melden uns dann später“, murmelte Yugi und schob die anderen nach draußen. Er nickte ihm zu und der Stachelkopf schloss die Tür hinter sich. Endlich waren sie allein. „Joey, die Typen haben dich übel zugerichtet. Dafür gehören sie bestraft. Das musst du dir nie wieder bieten lassen“, versuchte er ihm ruhig zu erklären, doch das Hündchen schien nicht überzeugt zu sein. „Aber deswegen ist es doch trotzdem meine Sache!“ „Ich wollte dir nur helfen, Joey. Ich habe mir Sorgen gemacht, als du wie ein Zombie in die Kantine gewankt kamst. Und du hast es nicht verdient, jemals wieder verprügelt zu werden. Aber wenn du darauf bestehst, werde ich Yuuto anrufen und das zurücknehmen.“ Seine Stimme war merklich abgekühlt, das hörte selbst er heraus, doch er verstand ihn einfach nicht. Er hatte ihm helfen wollen und das machte er ihm jetzt zum Vorwurf? „Nein. Nein, schon gut … Ich bin … nur etwas überrumpelt“, ruderte Joey zurück und aus einem Impuls heraus setzte sich der CEO auf die Bettkante und beugte sich über den Blondschopf, der ihn überrascht musterte. „Du hast dich nicht gewehrt, oder? Um nicht von der Schule zu fliegen?“, fragte er leise nach und dass sein Hündchen den Blick abwandte, reichte ihm als Antwort. So durfte das nicht weitergehen. Das war nicht richtig. Etwas unwirsch legte er eine Hand an sein Kinn und zwang ihn dazu, ihn anzusehen. „Ich möchte, dass du mir etwas versprichst, Joey.“ Irritiert schauten ihn zwei goldene Augen an. „Und was?“ „Wehr dich. Lass dich nie wieder besiegen. Du bist ein Kämpfer und du kannst alle besiegen, wenn du das nur willst. Und wenn andere auf dich losgehen, dann wirst du nicht von der Schule fliegen, wenn du dich verteidigst. Also versprich mir, dass du dich nicht unterkriegen lässt.“ Die Augen des Hündchens weiteten sich etwas, ehe er überrascht leicht nickte und sagte: „Ich verspreche es.“ „Gut.“ Ohne nachzudenken oder zu ahnen, was er damit anrichtete, gab er Joey ein Küsschen auf die Stirn und stand dann langsam wieder auf. Es hatte bereits vor ein paar Minuten geklingelt, doch er hatte warten wollen, bis der Blondschopf wieder wach war. Damit er auch wirklich sicher sein konnte, dass es ihm den Umständen entsprechend halbwegs gutging. „Ich gehe zurück zum Unterricht und werde für dich mitschreiben. Du ruhst dich so lange aus. Nachher hole ich dich ab.“ „Ja, ist gut.“ Seine Stimme klang noch ziemlich kläglich, doch der CEO hatte den Eindruck, dass das noch nicht alles war. Von daher schaute er ihn noch einmal an und er hatte sich nicht geirrt. „Ach und Seto?“ „Hm?“ „Danke …“ „Schon gut. Also bis später“, verabschiedete sich der Brünette und verließ das Krankenzimmer. Nachdenklich saß er im Unterricht und folgte diesem halbherzig. Wie er seinem Hündchen versprochen hatte, schrieb er für ihn mit, doch noch immer war ihm nicht klar, warum er so heftig auf seine Nachricht reagiert hatte. Joey konnte unmöglich darauf auf sein, sich außerhalb der Schule mit ihnen zu prügeln und sie da zu besiegen. So gut er kämpfen konnte, war eine Auseinandersetzung gegen fünf Männer noch einmal etwas anderes. Sein Unterbewusstsein registrierte, dass es zur kurzen Pause geklingelt hatte, doch die Information drang nicht wirklich zu ihm durch, weshalb er weiter aus dem Fenster schaute. Der Lehrer hatte schon seit fünf Minuten einen Monolog begonnen und es gab nichts Wichtiges, was er hätte notieren müssen. „Erde an Kaiba!“ „Was gibt es, Taylor?“, brummte er genervt und schaute den Brünetten missmutig an, was dieser aber entweder ignorierte oder gar nicht wahrnahm. Bei ihm war er sich da nicht so sicher. „Was ist das zwischen Joey und dir? Seid ihr wirklich zusammen?“ „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“ „Eine ganze Menge! Er ist mein bester Freund und wenn ihr zusammen seid, dann ist das für mich ok, aber echt seltsam. Ich würde nie verstehen können, wie das ausgerechnet zwischen euch funken konnte, doch sei es drum. Aber vor allem will ich, dass es ihm gutgeht! Er musste schon genug mitmachen und kann da keinen arroganten Eisschrank gebrauchen, der nur mit ihm spielt!“ Böse blitzten ihn die Augen an und er konnte nicht abstreiten, dass der Möchtegern zur Abwechslung voll ins Schwarze getroffen hatte. Der Blondschopf hatte das nicht verdient, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann spielte er schon mit ihm. Denn Joey sah wahrscheinlich mehr in ihnen als er und er hatte noch nicht das Kreuz gehabt, es anzusprechen. Das war etwas, dass er sich vorwerfen lassen musste. „Ich bin sicher, Joey weiß deine Sorge zu schätzen, aber ich werde mich nicht zu den privaten Dingen äußern. Er wird dich sicherlich auf dem Laufenden halten, was sein Leben angeht, wenn ihr so eng miteinander seid.“ Tristan murmelte etwas Unverständliches, war unzufrieden mit seiner Reaktion, was aber an ihm abperlte. Ein anderer Gedanke schlich sich allerdings in den Vordergrund und der CEO nutzte die Gelegenheit. „Warum hat Joey so unwirsch auf die Anzeige reagiert?“ „Wie? Das verstehst du nicht?“ Erstaunt wurde er angeschaut und abwehrend verschränkte Seto die Arme vor der Brust. Nein, er verstand es nicht. War das denn so offensichtlich? „Mensch Kaiba. Die Sache ist doch klar. Ist dir nie aufgefallen, dass die ganzen Arschlöcher nur gegen Joey sticheln? Dass sich die Beleidigungen gegen ihn richten? Du bist der große Firmenchef, deswegen sagen sie nur indirekt etwas gegen dich, aber Joey ist der Leidtragende der Situation. Und er will nicht, dass du dich derart einmischst, weil es viele der Beleidigungen bestätigt. Dass du sein Herrchen bist und so. Joey ist unabhängig und will nicht, dass andere denken, dass das nicht so ist. Deswegen will er deine Einmischung nicht. Sie untergräbt ihn.“ Verstehend nickte der Brünette und entließ Taylor mit einer Handbewegung aus dem Gespräch. Jetzt, wo er darüber nachdachte, war es wirklich so, dass sich die Kommentare und Beleidigungen gegen den Blondschopf richteten. Es kotzte ihn an, wie verlogen die alle waren. Aber er konnte nachvollziehen, warum sich der Blondschopf so darüber aufgeregt hatte. Er selbst wollte ja auch nicht, dass seine Autorität untergraben wurde. Kapitel 50: Das Firmenjubiläum der Kaiba Corporation ---------------------------------------------------- Freitag, 14.10. Joey summte, während er noch einmal den Plan für den Abend durchging. Es waren zwei Wochen seit dem Angriff vergangen und seine Wunden so gut wie verheilt. Ein paar letzte, hartnäckige blaue Flecken waren noch gelblich zu erkennen, aber das war es zum Glück auch schon. Drei Tage war er auf Anordnung von Seto, Mokuba und seinen Freunden zu Hause geblieben, auch wenn er am liebsten sofort wieder zum Unterricht gegangen wäre. Aber er musste zugeben, dass Moki einem schon Angst machen konnte, wenn er einen im Brustton der Überzeugung in Grund und Boden redete, bis man einfach nur noch kapitulierte. Die Stimmung in der Schule war noch immer seltsam, weil alle wussten, dass die Typen geflogen waren und eine Anzeige am Hals hatten, aber da man ihn selbst seitdem mit Sprüchen in Ruhe ließ, wollte er sich nicht beschweren. Und dann war da noch das Versprechen gewesen. Ob sich Seto bewusst gewesen war, wie wunderschön diese Geste von ihm war? Dass er ihn als Kämpfer ansah, der nie aufgeben sollte? Er hatte sich so beflügelt gefühlt in diesem Moment und das Küsschen auf die Stirn war die Krönung gewesen. Obwohl er noch immer nicht mit ihm über seine Gefühle gesprochen hatte, war er sich von da an sicher, dass er das gleiche fühlte. Sonst hätte er das niemals so getan. Außerdem waren sie noch ein paar Mal in Kaibas Bett gelandet, was doch ebenfalls ein Zeichen von gegenseitiger Zuneigung war. Aus dem Grunde hatte er auch für morgen Abend einen Tisch reserviert, wo er es endlich offiziell machen wollte und ihm seine Liebe gestehen. Seto wusste von dem Glück allerdings noch nichts. Das sollte eine Überraschung werden. Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er sich langsam auf den Weg nach unten machen musste. Da heute das Firmenjubiläum der Kaiba Corporation anstand – es waren immerhin 5.000 Gäste, inkl. Angestellten und deren Partnern, eingeladen –, sollten Seto und er auf jeden Fall pünktlich sein. Also schlenderte er gut gelaunt – heute in einem maßgeschneiderten Frack – die Treppe runter und bemerkte, dass die Tür zum Salon nur angelehnt war. Er wollte gerade reingehen, als er zwei Stimmen hörte und er hielt mitten in der Bewegung inne. „Kann es sein, dass Joey und du mittlerweile ein echtes Pärchen seid?“, fragte Yuuto interessiert und Joeys Herz drohte ihm gleich aus dem Brustkorb zu springen. Reflexartig hielt er die Luft an und wartete auf Setos Antwort. Anscheinend trank er einen Schluck, denn die Antwort kam, nachdem ein Glas abgestellt worden war. „Wie kommst du darauf?“ „Naja, ihr wirkt generell sehr vertraut miteinander. Und dass ihr miteinander schlaft, ist hier auch eher ein offenes Geheimnis …“ „Nur weil wir Sex haben, ist das noch lange keine Beziehung. Es macht Spaß, ja, und meine Meinung über ihn hat sich stark verändert, aber zu einer Beziehung gehört mehr dazu. Wir sind viel zu unterschiedlich. Mal ganz davon abgesehen, dass wir ja nun genötigt sind, vertraut zu wirken, um diese inszenierte Scharade glaubhaft aussehen zu lassen.“ Joeys Herz setzte aus. Hatte Kaiba das gerade wirklich gesagt? Dass er gut genug für Sex war, aber sonst nichts für ihn empfand? Nach allem, was sie zusammen erlebt hatten? Nach allem, was er für ihn getan hatte? Joey krallte sich an den Türrahmen, versuchte Halt zu finden, doch er schien ins Bodenlose zu stürzen. Die Tränen kamen hoch, doch er unterdrückte sie krampfhaft. Er versuchte es zumindest, biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuschreien und loszuheulen. Nein, er konnte das. Er war professionell genug, um den Abend über die Bühne zu bringen. Danach würde er das Weite suchen, aber so lange musste er durchhalten. Die Kollegen und Gäste wollten sie schließlich gemeinsam sehen, als glückliches Pärchen … Einmal noch … Dann will ich ihn nie wieder sehen. Wie konnte er mir das nur antun? Mit wackeligen Beinen löste sich Joey langsam vom Türrahmen, verstand die Worte nicht, die im Salon noch gewechselt wurden und stolperte etwas unkoordiniert in die Küche. „Hey Joey, alles gut?“, fragte Mokuba sofort besorgt und eilte zu ihm. Hina wusste instinktiv, was er brauchte und gab ihm ein Glas Wasser in die zittrigen Hände, wofür er sich bei ihr bedankte. „Ja, Kleiner. Das ist nur die Nervosität. 5.000 Menschen und roter Teppich ist etwas anderes als die Geschäftsessen bisher“, log er murmelnd und trank einen Schluck in der Hoffnung, seine Enttäuschung den Rachen herunter spülen zu können, doch die Bitterkeit war auch nach dem ganzen Glas noch da. Das wäre auch wirklich zu schön gewesen. Yuuto – im Anzug – und Seto – auch im Frack – betraten ebenfalls die Küche und der CEO musterte ihn einen Moment lang. „Du wirst das schon hinkriegen. Du warst doch auf Mr. Kidos Galaabend.“ „Ja, aber …“, begann Joey und biss sich leicht auf die Zunge. Aber da war ich allein, du Arschloch und musste nur den besorgten Freund geben. Und mich nicht wie jetzt als Freund ausgeben, der gerademal gut genug zum Vögeln ist. Ich bin so ein verdammter Idiot! „… aber das ist unsere eigene Veranstaltung. Das ist immer etwas anderes“, beendete er den Satz mit kratziger Stimme und stellte das Glas ab. „Also gehen wir.“ Joey wäre am liebsten davongerannt, doch sein Stolz verbot ihm, den Abend in den Sand zu setzen. Es war sowieso sein letzter Auftritt als Vertretung für Kaiba, also wollte er sich auch mit Anstand von den ganzen tollen Leuten verabschieden. Das war er ihnen schuldig und ein paar wollte er unbedingt noch persönlich treffen, ehe er ausschied. Also nahm er, wie er es ursprünglich gewollt hatte, Setos Hand, was sich noch nie so falsch angefühlt hatte, und gemeinsam gingen sie zur Haustür, wo Roland bereits die Tür des Wagens aufhielt. Sie stiegen alle ein, inklusive des Assistenten, und Kei fuhr sie zum Gelände der Kaiba Corporation. Die Stimmung war kühl und Joey wusste, dass das auch an ihm lag, doch er konnte es einfach nicht richtig verbergen. Dafür war seine Enttäuschung zu groß. Niemand aber traute sich, ihn anzusprechen. Stattdessen unterhielt sich Seto mit Yuuto über Geschäftliches und Mokuba sah, wie er, schweigend aus dem Fenster. Dort angekommen, gab es in einem der oberen Stockwerke einen riesigen Saal, wo das Jubiläum gefeiert werden sollte. Unten war ein roter Teppich ausgerollt worden und hinter einer Absperrung tummelten sich auf der rechten Seite die Reporter und Journalisten, auf der linken Seite Fans, da auch einige Prominente eingeladen worden waren. Roland stieg als erster aus, gefolgt von Yuuto, die beide das Blitzlichtgewitter nicht so toll fanden. Das konnte Joey ihnen deutlich ansehen. Normalerweise hätte er jetzt gegrinst und Seto darauf aufmerksam gemacht, doch er musste sich darauf konzentrieren, gleich überzeugend zu lächeln und ihm nicht vor laufenden Kameras die Faust sonst wohin zu schlagen oder loszuheulen. Oder beides. Mokuba wuselte als nächstes – auch im Frack – aus dem Wagen und meisterte das alles sehr souverän. Nun war er dran und stieg aus. Sofort wurde er blind, weil das Blitzlichtgewitter losging und spürte ein paar Sekunden später Seto neben sich, wie er einen Arm um seine Taille legte und gemeinsam posierten sie für die Kameras. Joey setzte sein glücklichstes Lächeln auf, was er gerade hinbekam und legte eine Hand auf Mokubas Schulter, der sich nach ein paar Pärchenfotos grinsend vor sie stellte, als wären sie eine kleine, glückliche Familie. Seine Hand an Setos Rücken verkrampfte etwas und der Firmenchef schaute zu ihm runter, doch er ignorierte ihn. Irgendwie musste er die Gedanken loswerden, sonst würde der Abend die reinste Katastrophe werden. Also dachte er an seine Freunde, die er in den letzten Wochen viel zu wenig gesehen hatte und sein Blick hellte sich sofort auf. Während er seinen Blick wandern ließ, entdeckte er einen kleinen Fotografen, der Joey an einen Zwerg aus „Herr der Ringe“ erinnerte und er beugte sich zu Mokuba vor und flüsterte es ihm grinsend ins Ohr, als der Kurze begann zu kichern. Seto hob eine Augenbraue und der Blonde überlegte kurz, ihn unwissend zu lassen, aber da sie hier auf dem roten Teppich standen, bedeutete er ihm, etwas runterzukommen, was der Brünette auch bereitwillig tat und ließ ihn an dem Witz teilhaben, was auch ihm ein Grinsen entlockte. Doch, bevor er den Kopf wieder abwenden konnte, küsste Seto ihn und Joeys Muskeln verkrampften sich. Dennoch erwiderte er den Kuss zaghaft. Er schloss bewusst die Augen, konzentrierte sich nur darauf, nicht an Ort und Stelle zu weinen und spürte, wie er leicht zitterte. Auch Seto fiel das auf, denn als er den Kuss wieder löste, der sich so unglaublich falsch angefühlt hatte, musterte der Brünette ihn irritiert. „Knutschen könnt ihr auch noch später, jetzt kommt!“, forderte Mokuba grinsend und Joey folgte ihm augenblicklich. Er war dem Kurzen so dankbar, dass er ihn an einer Hand einfach weiterzog und Seto setzte sich ebenfalls in Bewegung. Natürlich mussten sie noch Fragen von ein paar Reportern beantworten und Joey wusste im Nachhinein gar nicht mehr, was er gesagt hatte, geschweige denn, was gefragt worden war, doch da ihm keiner böse Blicke zuwarf, schien er es nicht in den Sand gesetzt zu haben. Als sie das Foyer betraten, wo Roland und Yuuto bereits warteten, wurde es unnatürlich still, kaum dass die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. Ihm dröhnten die Ohren und er machte wahrscheinlich ein ziemlich zerknautschtes Gesicht, weil sich das alles so falsch anfühlte. „Alles in Ordnung, Joey?“, fragte Yuuto mit einem besorgten Lächeln und der Blonde seufzte. „Dieses Blitzlichtgewitter und Geschrei der Reporter geht mir einfach auf die Eier“, brummte er und hörte zustimmende Laute von allen Seiten. Sie stellten sich alle in den Fahrstuhl, der sie zur Feier hochbrachte, wo mittlerweile wahrscheinlich alle angekommen waren. Joey achtete penibel darauf, Seto nicht zu berühren, denn das war die letzte Chance, sich vorzubereiten und sich einzureden, dass er das schon schaffen würde, bevor gefühlt unendlich viele Blicke für Stunden auf ihnen lagen. Also atmete er tief durch, nahm wahr, dass sich Roland und Seto und Yuuto und Mokuba miteinander unterhielten und rief sich die Gesichter seiner Freunde vor Augen. Helft mir! Ohne euch schaffe ich diesen Abend einfach nicht … Die lächelnden Gesichter von Serenity, Yugi, Yami, Tristan, Tea, Duke, Bakura und sogar Mai tauchten vor seinem inneren Auge auf und unwillkürlich musste er lächeln. Sie waren immer bei ihm, egal was auch passierte. Und sie unterstützten ihn, wo auch immer sie gerade waren. Ihr Band der Freundschaft war das stärkste, was es gab, davon war Joey überzeugt und er würde mit ihnen gemeinsam diesen Abend bewältigen. „Bist du bereit?“, erkundigte sich Seto leise und Joey öffnete entschlossen die Augen. „Ja. Gehen wir.“ Die Türen öffneten sich und Joey begann, in Gedanken an seine Freunde, zu strahlen und legte einen Arm um Setos Taille, der die Geste erwiderte und sie betraten den festlich, aber dezent geschmückten Saal. Überall waren Stehtische positioniert und rechts und links gab es große Buffettische. Über ihnen hingen mehrere riesige Kronleuchter, die alles in ein angenehmes Licht tauchten und den Saal noch etwas pompöser wirken ließen. Die Gäste trugen alle Abendgarderobe und applaudierten ihnen, als sie den Saal in Richtung Bühne durchquerten. Joey lächelte und freute sich, als er Hiro und auch Mr. Kido entdeckte. Mit denen konnte er sich nach der Begrüßungsrede bestimmt gut unterhalten und sich hoffentlich etwas ablenken können. Yukiko, die heute durch den Abend führte, moderierte sie bereits beide an, doch Joey hörte ihr gar nicht zu. Er hatte den Ablauf in den letzten Tagen intensiv geübt und wusste genau, was wann noch alles kommen würde und wo er wann zu sein hatte. Seto ließ ihm den Vortritt und folgte ihm dann auf die Bühne. Es war auch an Joey, als erster etwas zur Menge zu sagen und so überreichte Yukiko ihm das Mikrofon und die Gäste klatschten eifrig. In der Hosentasche spürte er den Notizzettel mit der vorgeschriebenen Rede, die er mit Yuuto geprobt hatte und die die anderen auch kannten, doch er ließ den Zettel, wo er war. Es fühlte sich jetzt falsch an, das vorzulesen. Er war unglaublich nervös, denn er sollte vor so vielen Leuten sprechen und für einen winzigen Augenblick glaubte er, eine Panikattacke zu bekommen. Hektisch schaute er noch einmal zu Yuuto, der ihn freundlich anlächelte und die Daumen drückte. Okay, er war ja nicht allein. Das würde er schon hinkriegen. Jetzt nicht die Nerven verlieren. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, Angestellte der Kaiba Corporation, Partner und Geschäftsfreunde, ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um ein paar Worte an Sie zu richten.“ Okay, das war schon mal gut gewesen. Immerhin nicht gestottert und grammatikalisch korrekt. Darauf ließ sich aufbauen. „Wie Sie wissen, ist es einem traurigen Umstand geschuldet, dass ich nun an diesem Platz stehe und das Wort an Sie richte. Der Unfall Setos vor acht Wochen war ein schwerer Schock für Mokuba und mich und unser aller Leben wurde von eine Sekunde auf die andere vollkommen umgekrempelt. Die Ärzte waren zwar sicher, dass er wieder auf die Beine kommen würde, doch niemand konnte sagen wann und für uns alle begann das kräftezehrende Warten. Da ich die Verfügung Setos kannte und er mir auch vor seinem Unfall bereits die Grundlagen der Wirtschaft gelehrt hatte, wusste ich, dass es meine Pflicht war und ich ihm am besten helfen konnte, wenn ich seine Vertretung übernahm und er sich nicht um die Firma sorgen musste, sondern sich ganz auf seine Regeneration konzentrieren konnte. An dieser Stelle möchte ich mich sehr herzlich bei Mokuba, Roland, Yuuto, Yukiko und Yuna für Ihre tatkräftige Hilfe bedanken. Sie haben mich in die Vorgänge eingearbeitet und alle Zeit genommen, die ich brauchte, um mich in den Akten zu Recht zu finden und Sie können mir glauben, dass ich zwischenzeitlich das Gefühl hatte, dass das Papier das komplette Büro einnahm!“ Joey machte an dieser Stelle eine kurze Pause und grinste, als die anderen lachten. Je mehr er redete, desto sicherer fühlte er sich. Dann setzte er wieder an: „Also danke euch Fünf. Ohne euch wäre das alles nie so glatt gelaufen. Natürlich gilt mein Dank genauso allen anderen Angestellten, die mich als Vertretung akzeptiert haben und mit denen ich die Ehre hatte, an verschiedenen Projekten zu arbeiten. Es ist unglaublich zu sehen, wie alles verzahnt ist und wie viel man gemeinsam erreichen kann. Was alles möglich ist, wenn man sich zusammensetzt, die Stärken miteinander kombiniert und sich alles am Ende zusammenfügt. Und mit ihnen allen bin ich absolut sicher, dass dieser Firma noch goldene Zeiten bevorstehen werden. Natürlich dürfen an dieser Stelle auch die verehrten Geschäftspartner der Kaiba Corporation nicht fehlen. In den wenigen Wochen hatte ich die Ehre, ein paar von Ihnen kennenzulernen, während ich mit anderen nur per Telefon oder Email Kontakt hatte. Doch auch Ihnen gilt mein aufrichtiger Dank, dass Sie mich als Vertretung akzeptiert haben und wir immer sehr vertrauensvoll und konstruktiv miteinander arbeiten konnten. Ich hoffe, dass das auch in den nächsten 50 Jahren noch der Fall sein wird!“ Das Publikum klatschte und Joey schaute kurz leicht lächelnd zu Seto. Eigentlich war das der Part, den Seto übernehmen sollte, doch es war ihm ein Bedürfnis gewesen, das auch zu sagen, da es schließlich sein letzter öffentlicher Auftritt war und er diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen wollte. „So, meine verehrten Damen und Herren. Jetzt habe ich meinem Freund fast den kompletten Text geklaut, also falls Sie das gleich in ähnlicher Form noch einmal zu hören kriegen, tut mir das wirklich leid!“, sagte er daher und kratzte sich grinsend und leicht verlegen am Hinterkopf und das Publikum lachte erneut. „Ich wünsche Ihnen allen einen wundervollen Abend und freuen Sie sich auf das Buffet gleich. Das wird super!“ Er verbeugte sich leicht und hörte das Klatschen des Publikums. Wieder einmal traten ihm Tränen in die Augen, dieses Mal jedoch aus anderen Gründen. Es war der letzte Abend. Er würde nicht mehr mit Yuuto, Yukiko, Roland oder einem der anderen Angestellten zusammenarbeiten und das war nicht nur ein seltsames Gefühl, sondern ein beschissenes. Er mochte sie alle und wollte das nicht aufgeben, aber er hatte keine Wahl. Kaiba war wieder gesund und offenbar nicht an ihm interessiert. Also gab es keinen einzigen Grund für ihn, bleiben zu können. Peinlich berührt wischte er sich einmal über das Gesicht, dann reichte er das Mikro an Seto weiter, der ihn kurz anlächelte und nach vorn trat. Er selbst hingegen stellte sich an den Rand der Bühne, weit weg von dem CEO und weit weg von den Blicken der Gäste, auch wenn man ihn natürlich noch sehen konnte. Aber er hoffte, dass Kaiba alle Aufmerksamkeit auf sich zog. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich ebenfalls, Sie alle hier begrüßen zu dürfen. Wie mein Partner bereits sagte, ist dies nicht selbstverständlich. Der Unfall hat mich viel gelehrt und dazu gehört, dass ich einen Freund an meiner Seite habe, auf den ich mich zu 100 % verlassen kann.“ Nein, rede bitte nicht weiter … Ich ertrage das nicht. Das ist nicht ernst von dir gemeint … Lass es, hör auf!, flehte Joey in Gedanken, doch er wusste auch, dass sie diese Show bis zum Ende durchziehen mussten und er versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen und nur an seine Freunde zu denken. Er dufte ihm einfach nicht zuhören, dann würde das schon werden. Dann konnte er diese süße Folter hier überleben, ohne daran zu zerbrechen. „ … und damit bleibt mir nur noch einmal Danke! An Sie alle zu sagen und wir werden weiterhin daran arbeiten, großartige Neuheiten auf den Markt zu bringen, gemeinsam mit Ihrer Hilfe!“ Seto gab das Mikro an Yukiko zurück und Joey atmete tief durch. Er hatte es geschafft, sich abzulenken. Sehr gut. Das war gut. Yukiko eröffnete nun das Buffet und Seto und Joey würden sich jetzt eine Weile mit den Gästen unterhalten, ehe es noch eine kleine Verlosung gab. Außerdem sollte es zwischenzeitlich noch zwei Musik Acts und einen Magier geben. Doch der Blonde war nur froh, wenn er sich irgendwie ablenken konnte. Das war das einzige, was er gerade wollte. Beide schritten die Treppe hinab und Seto legte ihm eine Hand auf den Rücken, als er neben ihm schritt. Am liebsten hätte Joey sie weggeschlagen, doch er widerstand dem Impuls und grüßte nickend und lächelnd einigen Mitarbeitern zu, als Herr Nakamura sich durch die Menge zu ihnen begab. „Guten Abend Mr. Kaiba. Guten Abend Mr. Wheeler, ich möchte Ihnen noch einmal für Ihre Großzügigkeit danken. Wie kann ich mich je erkenntlich zeigen?“, fragte er und verbeugte sich tief vor ihm, was Seto mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentierte. Stimmt, fiel Joey ein, er hatte ihm in der Hektik des Tagesgeschäfts gar nicht von dem Vorfall berichtet. Dem Blonden war es unangenehm, dass sich Herr Nakamura so unterwürfig verhielt. Sie standen doch auf einer Stufe. „Herr Nakamura. Das müssen sie nicht. … Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Joey und der Angesprochene antwortete: „Wieder besser. Das Scheidungsverfahren läuft und dank Ihrer Unterstützung habe ich bereits eine kleinere Wohnung gefunden.“ „Das freut mich sehr zu hören. Achten Sie gut auf sich in so einer schweren Situation, ja? Das ist ganz wichtig, glauben Sie mir“, versicherte Joey und Herr Nakamura nickte zustimmend. Der Blonde lächelte und verabschiedete sich von ihm, da bereits die nächsten mit ihnen sprechen wollten. Auch Kaiba verabschiedete sich kurz und Herr Nakamura verschwand mit einem dankbaren Lächeln wieder in der Masse. Nach ein paar oberflächlichen Gesprächen kam Herr Yamamura auf sie zu und Joey, der ihn beim Herumschauen entdeckte, löste sich von Kaiba, um ihm entgegenzugehen. Wie erwartet, folgte Seto ihm, doch das war ihm egal. Nach dem letzten Gespräch mit ihm hatte er nichts mehr von ihm gehört und so war es ihm ein Bedürfnis, zu zeigen, dass er ihn nicht vergessen hatte. „Herr Yamamura. Ich freue mich, dass Sie auch gekommen sind. Wie geht es Ihnen?“ „Mr. Wheeler, zu Ihnen wollte ich gerade. Mr. Kaiba.“ Er verbeugte sich leicht vor Ihnen und Seto begrüßte ihn auch kurz, blieb dicht neben ihm stören, was dem Blonden unangenehm war, aber er konnte ihn ja schlecht anfauchen, weshalb er das schweigend hinnahm. „Die Lage ist gerade leider nicht einfach. Vorgestern war die Beerdigung meiner Mutter, baer ich hatte das Glück, dass ich am Ende bei ihr sein konnte, sodass sie keine Angst haben brauchte. Das hat ihr glaube ich geholfen.“ Er senkte seinen Blick und mitfühlend nahm Joey seine Hände und drückte sie leicht. Im Augenwinkel bemerkte er den irritierten Blick des CEO, sagte aber nichts, da er das Gespräch begonnen hatte. „Mein herzliches Beileid. Den Verlust einer Mutter kann nichts gutmachen, aber es klingt schön, dass Sie sich verabschieden konnten. Melden Sie sich bitte, wenn Sie Hilfe benötigen. Ich mag vielleicht ab Montag nicht mehr als Vertretung von Seto in der Firma angestellt sein, aber ich bin mir sicher, dass er Ihnen bei Bedarf ebenfalls helfen wird. Oder Seto?“ „Natürlich. Auch von mir Beileid zu diesem schmerzlichen Verlust.“ „Ich danke Ihnen beiden sehr. Es ist nicht leicht, aber mein Partner unterstützt mich sehr und hilft mir, mit der Situation klarzukommen.“ „Das freut mich sehr zu hören“, sagte der Blondschopf leicht lächelnd und etwas unruhig trat Herr Yamamura von einem Bein auf das andere. Er wirkte so nervös, dass er versuchen wollte, ihn zu beruhigen. „Sie müssen nichts sagen, was Sie nicht möchten. Oder wir können auch an einen ruhigeren Ort gehen, wenn es Ihnen lieber ist.“ „Nein nein, schon gut. Ich habe Ihre Rat beherzigt und das Thema vorsichtig angesprochen und ich hatte den Eindruck, dass mein Umfeld das ganz gut aufnimmt, doch als ich mit meinem Verlobten beim Essen war und wir es offiziell gemacht haben, war es eine halbe Katastrophe …“ „Was? Aber wieso denn das?“ Joey war ehrlich schockiert, wo es doch anfangs erst noch recht gut zu sein schien. Woher der plötzliche Sinneswandel? Herr Yamamura schaute auf die Hände, die er noch immer vorsichtig hielt, und murmelte: „Es wäre generell in Ordnung, aber doch nicht in unserer Familie. Meine ältere Schwester ist die einzige, die mir den Rücken gestärkt hat. Meine beiden kleineren Brüder, mein Vater und mein Onkel und meine Tante waren leider nicht so verständnisvoll. Wir haben beschlossen, ihnen Zeit zu geben, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen. Vielleicht können wir dann noch einmal darüber reden.“ „Ich wünsche Ihnen, dass sie noch Einsicht zeigen werden. Niemand sollte wegen seiner Liebe aus der Familie ausgeschlossen werden“, sagte Seto ruhig und Joey nickte zustimmend. Zur Abwechslung musste er ihm mal zustimmen heute. „Vielen Dank. Ich bin dennoch froh, dass wir es getan haben. Es ist, als wäre mir eine große Last von den Schultern genommen worden, obwohl die Reaktion fast ausschließlich negativ war. Mir war gar nicht bewusst, was für eine große Belastung die Geheimhaltung war und mein Freund steht immer an meiner Seite. Das hat er an dem Abend wieder bewiesen und ich bin unglaublich froh, ihn kennengelernt zu haben. Es ist vielleicht vermessen, das zu sagen, aber durch ihr gezwungenes Outing in der öffentlichkeit habe ich den Mut gefunden, selbst diesen Schritt zu gehen. Dafür möchten wir Ihnen danken! Hier ist eine Einladung für unsere Hochzeit Ende März nächsten Jahres. Es wäre uns eine große Ehre, wenn Sie an dieser teilnehmen würden.“ Herr Yamamura entzog ihm seine Hände und holte aus der Innentasche seines Sakkos einen Briefumschlag. In goldenen Lettern standen dort ihre Namen und Joey schluckte, als er sie mit leicht zittrigen Händen entgegennahm. Fuck, die Situation war so absurd. Ihm war schlecht und er wollte am liebsten wegrennen. Es fühlte sich so falsch an, ihn zu belügen. Kaiba schien das zu merken, denn er legte ihm eine Hand auf den Rücken und antwortete: „Vielen Dank für Ihre Einladung. Wir werden es in unserem Kalender eintragen und hoffen, dass nichts Wichtiges dazwischenkommen wird. Wenn Sie uns entschuldigen?“ „Ja natürlich! Du meine Güte, ich halte Sie hier schon so lange auf. Verzeihen Sie.“ „Schon in Ordnung, alles gut. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Abend hier.“ „Ich danke Ihnen!“ Joey sah ihm leicht lächelnd nach und er freute sich, dass er mit seinem Partner anscheinend so eine gute Partie erwischt hatte. Konnte ja nicht jeder so ein Pech haben wie er … Kapitel 51: Geständnis ---------------------- Freitag, 14.10. Seto hatte das Gefühl, dass Joey sich am heutigen Abend anders benahm. Er gab sich zwar große Mühe, das zu verbergen und die anderen schienen das auch nicht richtig wahrzunehmen, aber er war nicht blöd. Und es gefiel ihm nicht, dass er nicht sagte, was mit ihm los war. Sobald sie zu Hause waren, würde er ihn darauf ansprechen. Die Leichtigkeit fehlte ihm, die er sonst immer hatte. Er wirkte verkrampft, schien am liebsten nur weg zu wollen und die Begrüßungsrede hatte er auch anders interpretiert als die anderen. Das war nicht nur eine Dankesrede, wie Roland es ausgedrückt hatte, sondern eine Abschiedsrede. Den Wink hatte er durchaus verstanden. Und das wurmte ihn. Zwar war es an sich ja auch richtig. Er selbst war fast wieder komplett gesund und hatte mit Joey abgesprochen, ab Montag wieder alle Geschäfte zu übernehmen, doch noch hatten sie ihre Trennung nicht verkündet und Seto sah dafür auch gar keine Veranlassung. Also wo war sein Problem? Sie hatten sich gerade am Buffet bedient – nachdem sie sich von Herrn Nakamura, was war da passiert? Und einigen anderen Mitarbeitern – unter anderem Herrn Yamamura – verabschiedet hatten –, als Mr. Kido auf sie zu kam und freudig begrüßte. Er umarmte Joey, der ihn freundlich anlächelte und die Umarmung erwiderte, während Seto ihm lediglich die Hand schüttelte. Er kannte dessen Angewohnheit, alle zu umarmen, doch er war kein Fan davon. Das hatte er bei ihrem ersten Treffen bereits klargestellt und Gott sei Dank hatte dieser auch kein Problem damit. „Es ist so schön zu sehen, dass Sie wieder wohlauf sind“, wandte sich Mr. Kido glücklich an ihn und Seto bedankte sich höflich, als er zwei Arme um seine Taille spürte und Joey lächelnd sagte: „Ja, ich bin auch so froh. Endlich ist dieser Abschnitt überstanden.“ Seto strich ihm über den Rücken und gab ihm ein kurzes Küsschen auf die Schläfe, während der Blondschopf sich weiter an ihn kuschelte. Hatte er sich doch geirrt? Ging es ihm doch gut? „Hach, wenn ich Sie so sehe, muss ich an Yumiko – meine erste große Liebe – denken. Wir waren auch so verliebt damals“, schwärmte Mr. Kido und Joeys Lächeln trübte sich für einen kurzen Moment ein, doch dann war es schon wieder normal. Wurde er jetzt verrückt? Das hatte er sich doch nicht eingebildet, oder? „Ja, die erste Liebe ist immer etwas Besonderes. Davon bin ich überzeugt“, riss Joey ihn mit so einer seltsamen Stimmlage aus seinen Gedanken und ihr Gegenüber nickte eifrig. „Ja, junger Freund, so sehe ich das auch. Sie musste damals mit ihren Eltern umziehen, weil ihr Vater ein Jobangebot im Ausland erhalten hatte. Gott, ich war am Boden zerstört und für Monate nicht mehr zu gebrauchen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz wäre in 1.000 Scherben zersprungen und es würde nie wieder zusammenwachsen. Fast hätte ich meinen Schulabschluss deswegen in den Sand gesetzt. Es war wirklich schrecklich. Aber es ging irgendwie weiter und ich fand während meiner Uni Zeit meine wundervolle Ehefrau.“ „Das freut mich sehr für Sie. Eine traurige, aber dennoch wundervolle Geschichte. Entschuldigen Sie mich bitte kurz? Ich fürchte, ich habe bereits etwas viel getrunken“, sagte Joey mit einem Lächeln und rosanen Wangen in Richtung Mr. Kido und gab ihm selbst noch einen kurzen Kuss, ehe er in Richtung der Toiletten verschwand. Seto sah ihm kurz nach – der Kleine hatte doch erst ein Glas Wasser getrunken eben –, bis Mr. Kido sich wieder an ihn wandte. „Sie sollten gut auf ihn achten. Wie Sie bereits auf der Bühne gesagt haben, werden Sie so jemanden nicht noch ein zweites Mal finden.“ Der Brünette nickte leicht. „Ja, da haben Sie recht“, murmelte er und Mr. Kido klopfte ihm kurz auf die Schulter und schlenderte weg, um sich mit jemand anderem zu unterhalten, als sich auch schon jemand anderes an ihn wandte. „Hallo Seto. Na, wieder fit?“ „Hiro. Schön, dass du hier bist“, begrüßte er ihn höflich und schüttelte ihm kurz die Hand. „Wo ist denn deine bessere Hälfte?“ „Sich erleichtern“, entgegnete er ehrlich und nahm selbst noch einen Schluck Champagner. „Wirklich ein süßer Freund, den du dir da ausgesucht hast. Wenn er etwas älter wäre, würde ich glatt schwach werden.“ „Tja, dann habe ich wohl Glück, dass er so jung ist“, kommentierte Seto trocken und Hiro grinste. „Ja, hast du. Und? Wird er dich auch in Zukunft unterstützen?“ „Wie meinst du das?“ „Naja, da er ja jetzt in die Firma eingearbeitet ist, dachte ich, ihr würdet jetzt eine Doppelspitze machen. Immerhin hättet ihr beide dann mehr Freizeit. Ich kann mich noch lebhaft an Mokubas Gemecker erinnern, als er beim letzten Treffen dabei war. Und jetzt bietet sich das doch an.“ Seto schwieg. So weit hatte er bisher nicht gedacht, aber die Idee war gar keine schlechte. Es würde ja trotzdem seine Firma bleiben, aber eine Unterstützung konnte sicherlich nicht schaden. Und mehr Freizeit auch nicht, denn Mokuba hatte definitiv recht, dass er viel zu wenig Zeit zu Hause verbrachte. Und auch wenn der Kurze immer mit im Büro saß, war das für ihn doch meist langweilig und außerdem gab es einige Dinge, die Mokuba mit ihm unternehmen wollte. Und Joey war definitiv eingearbeitet und hatte bereits bewiesen, dass er eine Entlastung für ihn war. Warum war er noch nicht auf den Gedanken gekommen? Doch darüber konnte er sich auch noch später den Kopf zerbrechen, denn Joey war auffallend lange weg und das hieß nichts Gutes. Das hatte er im Gefühl. „Darüber haben wir bisher noch nicht gesprochen. Wir werden sehen, was die nächsten Wochen bringen … Jetzt entschuldige mich bitte. Wir reden später, ja?“ Seto marschierte durch den Saal, entdeckte Roland und Yuuto und winkte sie zu sich. Gemeinsam verließen sie den Saal und er informierte die Zwei im Gehen, dass Joey bereits seit über zehn Minuten weg war. Ein kurzer Blick auf die Toilette bestätigte ihm, dass er nicht dort war und etwas unschlüssig stand Seto im Gang. Der Kleine konnte überall sein. Hoffentlich war ihm nichts passiert … „Na dann kann es ja nur noch einen Ort geben, wo er ist“, murmelte Yuuto und drückte den Knopf für den Aufzug. „Ach ja?“, hakte Seto misstrauisch nach. Hier gab es mehrere hundert Räume, also woher wollte er wissen, wo sich Joey aufhielt? „Ja“, erwiderte Yuuto schlicht und stieg mit Roland in den Aufzug. „Glaubst du, es ist etwas passiert?“, wollte der Assistent wissen, während auch Seto einstieg und Yuuto nickte. „Ja, ich bin mir sogar absolut sicher, was passiert ist.“ „Und was bitte? Rede Klartext“, befahl Seto genervt und bemerkte, dass der Fahrstuhl weiter nach oben zu seinem Büro fuhr. „Joey wird unser Gespräch im Salon gehört haben. Und im Gegensatz zu dir empfindet er mehr für dich.“ Seto hatte das Gefühl, als hätte ihm Yuuto gerade in den Magen geboxt und die Luft entwich aus seinen Lungen. Er hatte auch das Gefühl? Ihm war es immer mal wieder so vorgekommen, aber das hatte er erfolgreich verdrängt und es jetzt von jemand anderem zu hören, machte die Sache viel zu real. Dennoch sollte Joey genauso gut wie er wissen, dass das alles geschauspielert war – nein, das war falsch ausgedrückt. Er hatte sehr viel mehr Respekt für Joey, seitdem sie sich so viel besser kennengelernt hatten und was er alles gesagt hatte, war ernst gemeint gewesen, nur … hatte er keine Gefühle entwickelt. Dementsprechend konnte er auch keine Beziehung mit ihm eingehen. Das würde den Blonden nur noch mehr verletzen. Selbstbewusst öffnete Seto die Tür zu seinem Büro, welches stockdunkel vor ihm lag. Nur die blinkenden Lichter der Stadt leuchteten durch die Fensterfront. Langsam betrat er das Büro, während sich seine Augen allmählich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten. Er wollte gerade etwas sagen, als er ein leises Schluchzen von seinem Schreibtisch hörte. Langsam ging Seto um ihn herum und entdeckte Joey auf dem Boden sitzend, die Beine angewinkelt, den Kopf nach unten geneigt und den Rücken gegen die Schubladen seines Schreibtisches gelehnt. Seto schluckte. Dann hatte Yuuto also recht? Scheiße, er verabscheute diese gefühlsduseligen Situationen … „Hey … Joey …“, sagte er leise und räusperte sich leicht, da ihm die Stimme zu versagen drohte. Auch wenn er ihn nicht liebte, wollte er ihn nicht so sehen. Nicht nach allem, was er schon hatte mitmachen müssen. Das war mehr als genug für ein Leben, aber er konnte ihn doch auch nicht anlügen. Das hatte er schon viel zu lange getan. Wieso hatte er nicht mit ihm darüber gesprochen? Er stellte sich doch sonst jedem Gespräch. „Ich … Geht gleich wieder …“, murmelte der Blondschopf und wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch weg. Er atmete ein paar Mal tief durch und beruhigte sich etwas, als er ungelenk versuchte, aufzustehen. Seto griff seinen Arm, um ihm zu helfen, doch Joey schlug ihn heftig weg. „Fass mich nicht an“, sagte er mit überraschend kalter Stimme und Seto ging automatisch einen Schritt zurück. „Was soll das?“, fragte er genervt, weil er nur nett gewesen sein wollte und kaum, dass Joey sich aufgerichtet hatte, zeigte er mit dem Finger auf ihn und begann alles herauszulassen: „Was das soll? Das fragst du wirklich? Hast du blöder Eisschrank es immer noch nicht begriffen? Im Gegensatz zu dir bin ich niemand, der mit jemandem vögelt, ohne dass da mehr ist! Hätte ich geahnt, dass du einfach nur ein verdammt guter Schauspieler bist und Druck abbauen willst, hätte ich mich nie auf diese Nächte eingelassen! Du bist so ein gefühlskaltes Arschloch! Ich ertrage das nicht mehr! Ich kann nicht mehr vor anderen stehen und deinen glücklichen Freund geben, während ich genau weiß, dass da nichts ist. Das ist so …!“ Der Blondschopf hielt keuchend inne, suchte nach dem richtigen Wort, doch anscheinend fiel ihm keins an. Frustriert strich er sich durch die Haare und redete weiter: „Weißt du, ich habe mir wirklich Mühe gegeben. Erst für Mokuba, weil ich weiß, wie sehr ihr euch gegenseitig braucht und dann auch für dich, weil ich weiß, wie wichtig dir neben Mokuba diese Firma ist! Ich wollte, dass du aus dem Krankenhaus kommen kannst und dich in Ruhe regenerieren, weil du weißt, dass die Firma läuft und es Mokuba gut geht! Ich habe mir viele Nächte um die Ohren geschlagen, um alles zu lernen. Um zu begreifen, wie deine Firma funktioniert, zu schauen, wie ich das am effektivsten händeln kann! Ich habe mich komplett auf diese Rolle eingelassen! Um dir keine Schande zu bereiten! Noch nie zuvor habe ich meine Freunde so weit zurückgestellt, um das hier nicht zu vermasseln! Und du … Du!“ Joey brach ab und hielt sich am Schreibtisch fest. Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen, doch die Tränen kamen automatisch und anscheinend merkte er gar nicht, dass auch seine Unterlippe begann zu bluten. „I-ich kann das nicht mehr … Das bringt mich um. Noch heute Nacht werde ich ausziehen und nächste Woche die … die Trennung bekannt geben“, stammelte Joey und wischte sich ein weiteres Mal mit einem Tuch über das Gesicht. Er sah einen kleinen Blutfleck auf dem Taschentuch und tastete an seine Lippe, bis er kurz zusammenzuckte, weil er die blutige Stelle gefunden hatte. „So ein Mist“, fluchte er leise und Seto löste sich aus seiner Starre. Sollte der Köter doch machen, was er wollte! Er hatte keine Zeit für diese Gefühlsduselei. Wenn es hier so enden sollte, dann war das eben so. Wieso nur fühlte er sich so seltsam? Warum war ihm so kalt, obwohl es doch hier drin normal temperiert war? „Dann geh.“ Mehr brachte er nicht heraus und marschierte an Roland und Yuuto vorbei zur Tür. Er musste raus. Er hielt es in seinem eigenen Büro nicht aus und es machte ihn wahnsinnig, dass er nicht verstand, warum es ihm so komisch ging. „Wie willst du die Trennung begründen?“, fragte er noch kalt und hörte ein kurzes, bitteres Auflachen von Joey. „Keine Sorge. Ich werde dich da nicht in Mitleidenschaft ziehen, auch wenn du es verdient hättest.“ Seto nickte nur knapp und ging dann raus in den Gang. Auch wenn der Kleine gerade fertig war, wusste er, dass er gleich für die anderen strahlend noch ein letztes Mal an seiner Seite stehen würde, denn Joey war niemand, der einen Rückzieher machte. Sonst hätte er sich bereits vor der Veranstaltung verkrochen und wäre gar nicht erst hierhergekommen. Seto wusste nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Seine Gefühle fuhren Achterbahn und er verabscheute dieses Gefühl zutiefst, keine Kontrolle über sich zu haben. Einerseits war er froh, dass die Scharade dann ein Ende hatte, aber andererseits … hatte er sich an ihn gewöhnt und in der Villa war es lebendiger geworden. Mokuba ging es seitdem auch besser, doch damit war es dann wohl vorbei. Er spürte diese Wut in sich, wollte am liebsten etwas zerstören, doch er hatte hier keine Möglichkeit. Unruhig tigerte Kaiba im Gang zwischen seinem Büro und dem Fahrstuhl hin und her und versuchte sich irgendwie zu ordnen. Warum hatte er das nicht schon vorher geklärt? Dann hätten sie sich das hier alles ersparen können. Er war so wütend auf sich selbst. Du bist schwach geworden, Seto. Die Stimme in seinem Kopf dröhnte und augenblicklich hielt er in der Bewegung inne. Nein, der Alte hatte keine Ahnung. Er war nicht schwach. Dafür hatte Gozaburo selbst gesorgt. Unwirsch löste er die Krawatte ein wenig und atmete hektisch. Der Typ sollt eihn in Ruhe lassen. Er war tot. Nicht mal mehr digital irgendwo zu finden. Er hatte keine Macht mehr über ihn. Shit, ihm entglitt die Kontrolle. Das durfte doch nicht wahr sein. Schnell stieß er die Tür zum bad auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Fest umkrallte er das kalte Porzellan des Waschbeckens und betrachtete sich einen Moment im Spiegel. „Ich bin nicht schwach.“ Es war wie ein Mantra, dass er in Gedanken wiederholte und allmählich beruhigte sich der CEO. Es war kein Zeichen der Schwäche, dass sich sein Bild des Köterchens geändert hatte. Das eine hatte mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Schnell trocknete der Brünette sein Gesicht und schritt mit geradem Rücken in den Gang und wartete vor dem Aufzug auf die anderen. Zum Glück hatte niemand mitbekommen, dass ihm kurz die Kontrolle entglitten war. Nicht auszudenken, was sie von ihm gedacht hätten. Hoffentlich würden sie nicht so lange brauchen, denn die Gäste fingen bestimmt an, sich zu wundern, wo sie waren. Dabei sollte es doch der perfekte Abend werden. Kapitel 52: Abschied -------------------- Freitag, 14.10. „Es tut mir leid, Joey …“, murmelte Yuuto und schritt auf ihn zu. Er legte ihm beruhigend eine Hand auf den Rücken und streichelte ihn etwas und der Blondschopf beruhigte sich allmählich wieder. Nach den Worten von Mr. Kido hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Seto war seine große Liebe, das war ihm in dem Moment bewusst geworden und er spürte, wie sein Herz in 1.000 Teile zersprungen war, als Kaiba das Büro wieder verlassen hatte. „Dann geh“, hatte er kalt gesagt und Joey wären beinahe wieder die Beine weggesackt. Einen Moment hatte er vergessen zu atmen. Das war alles so unwirklich gerade. Heute Morgen war er noch aus Kaibas Privatschlafzimmer gekommen, was sonst kaum einer zu Gesicht bekam, weil sie letzte Nacht wieder miteinander geschlafen hatten und jetzt stand er hier in seinem Büro, verloren und nicht sicher, ob Mr. Kido recht hatte, wenn er sagte, dass sich das Herz im Laufe der Zeit wieder zusammensetzen lassen würde. „Danke Yuuto. Ich hätte es wissen müssen … Warum sollte ausgerechnet ich – der Straßenköter – den kalten, berechnenden Firmenchef erweichen können? Das klappt vielleicht in Disney Filmen, aber nicht im wahren Leben. Ich werde jetzt einen Freund anrufen und ihn bitten, mich nachher abzuholen. Im Statement Ende nächster Woche wird stehen, dass ich Kaiba betrogen habe und deswegen die Beziehung beendet habe. Dann werden mich noch ein paar Tage die Reporter belagern und dann ist es endlich vorbei. Also entschuldigt mich bitte, ja?“ Joey merkte, dass die Zwei sich ansahen und darüber nachdachten, ob sie es wagen sollten, ihn umzustimmen, doch sie gaben schließlich nur zustimmende Laute von sich und verließen das Büro. Mit zittriger Hand holte er sein Privathandy heraus und wählte Yugis Nummer. „Hey Alter …“, murmelte er mit Tränen erstickter Stimme und hörte sofort, dass statt Yugi nun Yami am Telefon war, als er fragte, was los sei. „Kurzfassung ist: Ich habe mich wirklich in Kaiba verliebt, aber er sich nicht in mich. Kannst du mich in drei Stunden von der Firmenfeier abholen? Natürlich werden die Reporter dann die nächsten Tage auch dich belagern und Ende der nächsten Woche will ich ein Statement veröffentlichen, dass ich Kaiba betrogen habe und deswegen die Beziehung beendet habe. Wahrscheinlich werden sie dann schnell auf dich kommen. Also wenn du das wegen der Medien nicht tun willst, dann verstehe ich das-“ „Sei nicht albern, Joey. Ich werde da sein.“ „Danke …“, murmelte der Blonde erleichtert und legte wieder auf. Ein paar Minuten blieb er noch in dem leeren Büro stehen, hätte am liebsten einfach weiter geheult, aber er musste das jetzt noch schaffen. Danach konnte er wochenlang weinen und sich in seinem Liebeskummer vergehen, aber jetzt musste er sich zusammenreißen. Er verdrängte die Erinnerungen, die er mit diesem Büro verband, ganz tief in seinen Hinterkopf, atmete durch und stellte sich gerade hin. Schnell trank er noch das Glas Wasser aus, das er mit hochgenommen hatte und schritt zur Tür. Der Countdown begann. Drei Stunden. Im Gang standen die anderen Drei unangenehm schweigend, warteten auf ihn und ohne ein Wort zu sagen, bog er in das WC ab, um sich kurz das Gesicht zu waschen. Er schaute in den Spiegel und erschrak, wie elendig er aussah. So konnte er sich unten nicht blicken lassen. Schon erstaunlich, was Kaiba aus mir gemacht hat … Ungewollt einen guten Geschäftsmann, was wohl niemand erwartet hätte. Am wenigstens ich selbst … Und jetzt? Ein Wrack, weil er meine Liebe nicht erwidert … Nach ein paar Minuten hatten sich seine Augen etwas beruhigt und er beschloss, dass er sich so wieder in die Öffentlichkeit wagen konnte. Also öffnete er die Tür und nickte den Dreien zu. „Bringen wir es hinter uns“, sagte er schlicht und stieg in den Aufzug. Die Männer folgten ihm, Roland und Yuuto unsicher, wie sie sich verhalten sollten. Joey nahm es ihnen nicht übel. Die Zwei waren sehr in Ordnung und sie sorgten sich um ihn, was er unheimlich lieb von ihnen fand. Sie konnten ja auch nichts dafür, dass ihr Chef ein lebendiger, in Menschenform gegossener Eisberg war. Doch sei es drum. Jetzt musste er sich konzentrieren. Kaum, dass Roland die Tür zum Saal geöffnet hatte, schlang Joey lächelnd einen Arm um Seto und betrat gemeinsam mit ihm wieder den Saal. Er fühlte sich jetzt besser, hatte den ganzen Ballast des Abends rausgelassen und Kaiba vor die Füße geworden. Er wusste jetzt, wie es in ihm aussah und Joey konnte in drei Stunden damit beginnen, das alles hinter sich zu lassen, in seine kleine Welt zurückkehren und anfangen, die Scherben seines Herzens aufzusammeln. Seto musterte ihn kurz misstrauisch, als er so gut gelaunt neben ihm lief und Joey lächelte ihn freundlich an. Wenn er glaubte, dass er keine schauspielerischen Fähigkeiten hatte, dann würde er ihm jetzt das Gegenteil beweisen. Sie unterhielten sich gemeinsam mit Hiro, Yuna und noch anderen Geschäftspartnern und obwohl es sich falsch anfühlte, Arm in Arm mit Kaiba dazustehen und Smalltalk zu betreiben, spürte der Blondschopf eine innere Ruhe, wie seit dem Morgen nicht mehr. So sehr das alles wehtat und sein Herz einfach zu zerbrechen drohte, war da die Erlösung, dass endlich alles raus war. Dass er Gewissheit hatte, wie es um sie stand. Natürlich wünschte er sich, dass der CEO sich auch ihn verliebt hatte, doch in den letzten Wochen hatte er immer geschwankt. Hatten sich bei Kaiba Gefühle entwickelt? War es nur Schauspielerei gewesen? Jetzt hatte er die Antwort, auch wenn sie ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Doch die klare Ansage würde ihm helfen, irgendwann damit abschließen zu können. „Mr. Wheeler?“ Seto klopfte ihm sanft mit der hand auf den Rücken und irritiert blinzelte er. Verdammt, er war so in Gedanken gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass sich schon die nächste Person genähert hatte. Eine Dame stand in einem atemberaubenden, dunkelblauen, langen Abendkleid vor ihnen. Die hellbraunen Haare waren zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur verarbeitet wurden und nur einzelne Strähnen rahmten ihr schmales Gesicht ein. Sie war wahrscheinlich etwa doppelt so alt wie er, doch bei ihrer Ausstrahlung war das nicht weiter von Bedeutung. Mist, arbeitete sie hier? Kannte er sie? Nein, so eine schöne Frau wäre ihm doch sicherlich aufgefallen. „Guten Abend, Ms.?“, fragte er vorsichtig und gab ihr einen aufgehauchten Abendkuss, als sie die Hand ausstreckte. „Ito. Sachiko Ito ist mein Name. Ihre Manieren sind wirklich äußerst vorbildlich“, sagte sie mit einem Lächeln, was er freundlich erwiderte. „Eigentlich sollte das kein herausstechendes Merkmal sein, aber in der heutigen Zeit stolpert man doch darüber, nicht wahr?“ „Ja, da haben Sie leider recht. Seto, schön, dich wohlauf zu sehen. Wie geht es dir?“ Irritiert, dass sie ihn mit dem Vornamen ansprach, schaute er zu dem CEO rüber, der sie ebenfalls formvollendet begrüßte und antwortete: „Der Unfall ist Vergangenheit. Ich bin wieder vollständig genesen. Es freut mich, dass du es ebenfalls hierhergeschafft hast, Sachiko.“ „Als würde ich mir dieses Ereignis durch die Lappen gehen. Erst recht, wo du endlich einen Partner gefunden hast, der dich zum Schmelzen gebracht hat.“ Sie zwinkerte ihnen zu und Joey hoffte, dass ihm das Lächeln nicht verrutschte. Schnell nahm er unauffällig einen Schluck seines Champagners, um nichts zu sagen, denn alles, was ihm auf der Zunge lag, war zu sarkastisch. Zu ehrlich. „Gerade du solltest wissen, dass es in dieser Welt nicht ohne eine Fassade geht. Dass man stark wirken muss, um weiterzukommen. Welcher Geschäftsmann hat mich denn anfangs ernst genommen? Da musste ich mich eben anders geben, um das zu kriegen, was ich haben wollte.“ Nanu? Seit wann sprach Kaiba so offen darüber? Und was sollte das heißen: „stark wirken muss“? War er es nicht? Das konnte sich Joey nicht vorstellen. „Natürlich weiß ich das. Nur im Gegensatz zu dir kann ich die Maske auch jederzeit wieder abnehmen und ich ich selbst sein. Aber du mein Lieber, hast das doch bis zu deinem Unfall verlernt. Also Bravo an Sie, Mr. Wheeler, dass Sie ihm seine Fassade eingerissen haben. Das wurde dringend Zeit.“ „Man tut, was man kann“, murmelte er in sein Glas und bemerkte den Seitenblick Setos, den er aber ignorierte. Irgendwie kam er sich vollkommen fehl am Platz vor, aber leider waren alle so beschäftigt, dass keiner auf die Idee kam, ihn anzusprechen. Wo war denn Hiro, wenn man ihn mal brauchte? „Ich bin im Übrigen erschüttert, dass du mir nicht schon viel früher erzählt hast, dass du in einer Beziehung bist!“ „Ich wüsste nicht, was dich mein Liebesleben angeht“, entgegnete der CEO trocken und der Blondschopf hatte genug. Er wollte jetzt wissen, wer sie war! „Verzeihen Sie meine Neugier, aber darf ich fragen, woher ihr euch kennt?“ „Wie? Sie wissen gar nicht, wer ich bin?“ Verdutzt schüttelte Joey den Kopf und Sachiko stemmte eine Hand in die Hüfte, in der anderen hielt sie ebenfalls ein Champagnerglas. „Ich war Gozaburo Kaibas Privatsekretärin. Anfangs habe ich ihm geholfen, in die Firma eingearbeitet zu werden, doch als ich schwanger wurde, bin ich aus dem Unternehmen raus, um mich um meine Tochter und meinen Mann zu kümmern. Dennoch pflegen wir einen regelmäßigen Kontakt“, erklärte sie lächelnd und Joey nickte verstehend. Kaiba hatte nicht alle Brücken zu seiner Vergangenheit gekappt? Irgendwie irritierte ihn diese Erkenntnisse, aber das Gefühl der Eifersucht, weil sich die zwei duzten und so einen vertrauten Eindruck machten, verschwand. Ha! Warum sollte er überhaupt noch eifersüchtig werden? Sie waren ja nie zusammen gewesen. Im Hintergrund hörte der Blondschopf mit einem Ohr, wie Yukiko den Höhepunkt des Abends ankündigte und er wandte sich den Beiden wieder zu. „Verzeihen Sie, aber wir müssten zurück zur Bühne.“ „Ja natürlich, geht ihr nur. Es freut mich, dass ich Sie kurz kennenlernen durfte und vielleicht ergibt sich ja noch eine Gelegenheit.“ „Es war schön, dich mal wiederzusehen. Grüß deine Familie bitte, ja?“, verabschiedete sich auch Kaiba und mit einem seltsamen Gefühl schritt er mit einem Arm um Kaiba gelegt zur Bühne, wo sie die Verlosung durchführen sollten. Beim Eintreten hatte jeder einen kleinen Zettel mit Ziffern bekommen und nun würden 50 Nummern aus der Lostrommel gezogen werden und jede bekam einen kleinen Preis. Joey und Seto zogen abwechselnd die Nummern aus dem Topf und nach gut einer halben Stunde war auch der letzte Teil der Veranstaltung beendet. Danach verabschiedeten Seto und Joey die Gäste, was sie zwar schnell und effizient erledigten, doch bei 5.000 Gästen dauerte das halt doch eine ganze Weile, doch es war Joey wichtig, jedem wenigstens einmal zu danken und die Hand zu schütteln, also zog er es durch und ließ Kaiba so keine andere Wahl als mitzumachen. Am Ende wurde es unnatürlich still in dem riesigen Saal. Es waren nur noch ein paar Leute da, die er allesamt kannte. Plötzlich war alles so groß und leer und der Blondschopf hatte das Gefühl, in seinem eigenen Herzen zu stehen. Scheiße, das war alles so verrückt. Kurzentschlossen schritt Joey auf Yuuto zu, umarmte ihn kurz und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich danke dir für alles. Lass uns demnächst auf einen Kaffee treffen, ja?“ „Das machen wir, Joey. Versprochen.“ Er umarmte auch Yuna und Yukiko nacheinander und bedankte sich bei ihnen für ihre Hilfe in der schwierigen Zeit. Sie hofften, ihn bald wiederzusehen und wünschten ihm alles Gute für die Zukunft. Die Personalchefin ließ es sich nicht nehmen, dass er nach dem Ende der Schule sich gerne bewerben könne und er entgegnete leicht lächelnd, dass er sich das überlegen werde, wenn es so weit war. Sie wusste ja nicht, was eben passiert war, daher nahm er es ihr auch nicht übel, aber es tat weh. Denn ihm war klar, dass nach diesem Gespräch alle Türen zur Kaiba Corporation für immer geschlossen waren. Er würde es nicht ertragen können, im selben Gebäude wie Seto zu arbeiten. Schließlich wandte er sich Roland zu, überlegte einen Moment, dann umarmte er auch ihn, obwohl es sich komisch anfühlte, dem Assistenten so nah zu sein. Ihn konnte er irgendwie am schwersten einschätzen, lag vielleicht an der Sonnenbrille. „Auch dir danke für alles. Könntest du mir einen letzten Gefallen tun und mir meine Sachen in die Wohnung bringen?“ „Natürlich. Ich bringe alles morgen früh zu dir. Und wenn du sonst mal Hilfe brauchen solltest, hast du meine Telefonnummer.“ „Danke, Roland.“ Da Mokuba bereits zu Hause war, weil er noch nicht so lang aufbleiben durfte, konnte er sich von diesem jetzt nicht verabschieden, aber er würde ihm nachher noch eine Nachricht schicken und ihn um ein Treffen bitten, damit er es ihm erklären konnte. Er hatte den Kleinen so sehr in sein Herz geschlossen, dass er ihm das gern selbst erklären wollte. Er blieb vor Seto stehen und musterte ihn. Er sah unglaublich gut aus in dem Frack und Joey wünschte sich trotz allem, dass er ihn jetzt umarmte und ihm sagte, dass er ihn doch liebte und ihn bat, mit ihm zu kommen, doch er tat es nicht. Er erwiderte den Blick, der so kalt und unnahbar war, dass Joey ein kalter Schauer über dem Rücken lief. Andererseits hatte der CEO ihn noch nie mit seinen Blicken verscheuchen können. Also ließ er sich da jetzt auch nicht von beeindrucken. „Danke Kaiba. Auch wenn du ein Arschloch bist, habe ich die letzten Wochen sehr viel gelernt. Über das Geschäftsleben, über Führungsstärke, über Vertrauen, die Schauspielerei, über mich und auch über dich. Und ich bin trotz allem froh, dass du den Unfall so gut überstanden hast und wieder fit bist. Ich wünsche dir alles Gute und dass die Firma weiterwachsen kann. Deine Angestellten und du … Ihr habt euch das verdient. Oh, und ich werde mein Versprechen dir gegenüber trotzdem nicht brechen, denn du hast recht: Ich bin stark und lasse mich nicht mehr unterkriegen.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, drehte sich Joey um und verließ den Saal. Es war alles ernst gemeint, was er gesagt hatte, denn es war eine großartige Firma und Kaiba leistete einen tollen Beitrag. Immerhin hatte er aus einer zerstörerischen Kriegsfirma eine Spielefirma gemacht, die Kindern mit neuen Spielzeugen Unterhaltung versprach und ihnen half, eine schöne Kindheit zu haben. Das war eine wundervolle Sache. Ein paar hartnäckige Fotografen schossen Fotos von ihm, wie er mit gesenktem Kopf allein das Gelände verließ und in Yamis Auto, das bereits am Straßenrand parkte, einstieg. Er schnallte sich an und sein bester Freund gab Gas. Er hatte seinen Freund begrüßen wollen, doch er konnte nur noch weinen. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte hemmungslos. Es war vorbei. Der Traum war geträumt. Kapitel 53: Streit mit Mokuba ----------------------------- Freitag, 14.10./ Samstag, 15.10. Seto glaubte ihm. Obwohl der Blonde wütend und verletzt war, glaubte er ihm jedes Wort, das er zum Abschied gesagt hatte. Joey war in den letzten Wochen unglaublich erwachsen geworden. Das hatte er mit diesen Worten noch einmal eindrucksvoll bewiesen. Schweigend sah er ihm nach, bis die Tür hinter ihm wieder ins Schloss gefallen war und drehte sich dann abrupt um. „Wir sehen uns dann Montag wieder.“ Im Augenwinkel sah er verhaltenes Nicken und er kehrte noch einmal in sein Büro zurück. Ihm war nicht ganz klar, warum er jetzt ausgerechnet dorthin wollte, doch der Drang war so stark, dass er ihm nicht widerstehen konnte. Einen Moment blieb er in der Tür stehen. Dieses Mal war es totenstill. Bedächtig schloss er die Tür hinter sich und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Er sah auf die Stelle, wo Joey wie ein Häufchen Elend gesessen hatte, und strich gedankenverloren über die Schreibtischplatte, wo er noch glaubte, Joeys Tränen zu spüren. Das war Unsinn, denn nach über drei Stunden waren sie garantiert getrocknet. Kaiba ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken und ließ den Blick durch den Raum schweifen, der ihm plötzlich so klein und kalt vorkam. Er hatte nie wert auf persönliche Gegenstände gelegt, denn im Notfall konnte alles gegen einen verwendet werden und das hatte er krampfhaft vermeiden wollen. Doch seit Joey sich wegen Mokuba so abrupt in sein Leben gedrängelt hatte, kam er nicht umhin, dass ein paar Bilder hier vielleicht doch nicht so schlecht wären. Seufzend schaltete er seine kleine Tischlampe an und entdeckte auf dem kleinen Dokumentenberg an der Seite eine Mappe. Wie in Zeitlupe griff er danach und erkannte sofort die leicht gekritzelte Handschrift des Hündchens auf dem Post-It: Hier die Personalführung a la Joey. Der Erfolg wird mit recht geben, vertrau mir! ;D Die gute Laune sprang förmlich aus dem Zettel und mit einer zittrigen Hand riss er ihn ab. Er konnte das jetzt nicht. Du bist so schwach geworden, Seto. Verdammt, diese Stimme sollte ihn in Ruhe lassen! Warum nervte ihn der alte Sack jetzt so? Das war doch wohl nicht wahr! Schwer seufzend massierte er sich einen Moment lang die Nasenwurzel und beruhigte sich. Ausflippen würde ihn auch nicht weiterbringen. Um sich abzulenken, aber auch aus Neugier blätterte er durch das Konzept, welches Joey mithilfe von ein paar Abteilungsleitern erstellt hatte. Eigens dafür hatte er ein paar Meetings organisiert, um sich weitere Meinungen einzuholen und das hier war das Ergebnis. Während er sich das grob durchlas, musste er an das Gespräch im Restaurant denken. „Überzeuge mich und es wird genauso umgesetzt, wie du es dir vorstellst“, hatte er gesagt und dazu würde er stehen. Doch jetzt hatte er nicht den Kopf, um das Konzept eingehend zu prüfen, daher schloss er die Mappe wieder, ließ sie aber direkt vor sich liegen. Die Arbeit mit ihm war so unkompliziert gewesen, dass er sich sogar daran gewöhnt hatte, dass er nicht allein im Büro gesessen hatte. Doch die entspannten Zeiten waren jetzt vorbei. Von nun an war die Firma wieder allein seine Sache. Er drehte sich in seinem Stuhl zur Fensterfront um und schaute nach draußen. Er musste daran denken, als Joey in der Nacht zu ihm ins Krankenhaus gekommen war, weil Moki darauf bestanden hatte, und er sich an das Fenster gestellt hatte, um ihn nicht ansehen zu müssen. Seto hatte gesehen, wie er lächelnd rausgeschaut hatte, weil er den Anblick bei Nacht zu genießen schien. Er selbst konnte das nur bestätigen, denn auch er liebte den Anblick von Domino bei Nacht. Wenn er einen harten Tag auf Arbeit hatte, hatte er sich oft noch einmal hierher zurückgezogen und einfach nur rausgeschaut, um sich wieder zu beruhigen und den Tag sacken zu lassen. Aber was spielte das jetzt für eine Rolle? Er musste nach Hause und sich schlafen legen. Der Tag war anstrengend genug gewesen und sein Körper schrie förmlich nach seinem Bett, also stand Kaiba wieder auf, blieb doch kurz am Fenster stehen und versank in Gedanken. Warum fühlte er sich wie betäubt, seit Joey gegangen war? Es war besser so. Für alle. Ab Montag konnte er sich wieder voll auf seine Arbeit konzentrieren und in ein paar Tagen wäre wieder alles beim Alten. Abgesehen davon, dass er unbedingt mehr Platz für Mokuba einplanen musste. Das war er seinem kleinen Bruder schuldig. Die nächsten Wochen mit dem Weihnachtsgeschäft würden sowieso schon sehr anstrengend werden, da konnte er sich jetzt nicht auch noch Gedanken um Zank mit seinem kleinen Bruder machen, also würde er dem vorbeugen, indem er sich die Sonntage freihielt. Mit einem Ruck löste sich Seto endgültig von dem Anblick. Es war Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Er fuhr mit dem Fahrstuhl runter in die Tiefgarage, wo Kei auf ihn wartete und ließ sich nach Hause fahren, während er versuchte, sich auf seine Termine am Montag zu konzentrieren und was er dafür alles am Wochenende noch vorbereiten musste, doch immer wieder wanderten seine Gedanken zu Joey und seinem Gefühlsausbruch. Zwar hatte er seit dem Strandausflug dieses Gefühl gehabt, aber dass das der Realität entsprach, hatte er dennoch nicht erwartet. Hatte sich der Straßenköter, mit dem er sich jahrelang nur gestritten hatte, wirklich so sehr in ihn verliebt? Nur weil er nach außen hin so tat, als wären sie ein Paar und somit nett zu ihm? Er hatte im Gespräch mit Yugi doch selbst gesagt, dass sie viel zu unterschiedlich waren … Oder war es wegen des Sex? Bedeutete das für den Blonden auch direkt Gefühle und eine Beziehung? Warum hatte er das nicht schon viel früher geklärt? Seufzend knetete Seto mit einer Hand seinen verspannten Nacken. Er hatte keine Zeit für diese Gefühlsduselei. Die neue DuelDisk und das neue Brettspiel standen in den Startlöchern. Immerhin sollte beides im November herausgebracht werden, um das Weihnachtsgeschäft auf der Zielgeraden nochmal kräftig anzukurbeln. Für irgendwelche Gefühle war da keine Zeit und da Wheeler jetzt weg war, konnte er sich dem wieder voll und ganz widmen, ohne abgelenkt zu werden. Also verbot er sich jeden weiteren Gedanken an den Köter und würde morgen früh wieder frisch ans Werk gehen. Die Arbeit würde ihn schon genug ablenken, dessen war er sich sicher. Kei fuhr direkt in die Tiefgarage und parkte den Wagen in der Nähe der Tür. Kurz wünschte der Brünette dem Fahrer eine gute Nacht und marschierte dann zielstrebig in sein Schlafzimmer, da Mokuba bestimmt bereits schlief. Außerdem hatte er, ehrlich gesagt, gerade nicht den Kopf, noch mit ihm zu sprechen. In Ruhe duschte er sich noch, in der Hoffnung, die Gedanken an Wheeler wegspülen zu können, jedoch musste er einsehen, dass das nicht so einfach klappte. Schnell zog er sich nach der Dusche eine frische Boxershort an, dann legte er sich auf das Bett und bekam sofort eine Gänsehaut. In den Bettsachen war noch Joeys Geruch von letzter Nacht und noch ehe er sich darüber großartig Gedanken machen konnte, war er bereits eingeschlafen. Der nächste Morgen verlief bis zum Frühstück ruhig. Seto war aufgestanden, hatte sich fertig gemacht, in Joeys Arbeitszimmer – die Unterlagen und der Laptop waren noch dort – die Emails gecheckt und war dann nach unten gegangen, um sein Frühstück – also eine Tasse Kaffee – zu sich zu nehmen, als Mokuba in die Küche gelaufen kam. „Morgen Seto! Schläft Joey noch?“, fragte er gut gelaunt und bedankte sich bei Hina für das Frühstück, welches sie ihm hinstellte. „Nein, er ist nicht mehr hier“, erwiderte Seto sachlich und trank einen weiteren Schluck seines Kaffees. Sein kleiner Bruder schaute ihn mit großen Kulleraugen an und er seufzte innerlich. Warum mochte Mokuba den Kindergarten und Joey insbesondere nur so gern? „Wie? Nicht mehr hier?“, echote Moki verwirrt und der CEO schaute den Knirps aufmerksam an. „Wir haben uns gestern Abend gestritten und er ist in seiner neuen Wohnung, nehme ich an. Nächste Woche wird er die Trennung verkünden und endlich geht wieder alles seinen geregelten Gang.“ „Was?“ Mokuba wurde ganz blass und sah ihn geschockt an. Hina konnte gerade noch verhindern, dass die Tasse, mit dem heißen Kakao darin, den Boden küsste und er nickte ihr dankbar zu. „Master Kaiba?“, fragte Roland, nachdem er auf einmal im Türrahmen aufgetaucht war. „Ja? Was gibt es, Roland?“ „Ich packe dann die Sachen von Joey zusammen und bringe Sie zu ihm. Er bat mich gestern Abend noch darum.“ Seto nickte schweigend und sein Assistent ging zielstrebig zu Joeys Zimmer, als Mokuba fassungslos zwischen der Tür und ihm hin und her schaute und schließlich hinter Roland herrannte. Kaiba schlug die Zeitung auf und studierte die Nachrichten, als er im Klatschteil ein Foto von Joey und sich küssend von gestern Abend sah. Obwohl Joey da schon wusste, dass er nichts für ihn empfand, wirkte er dennoch glücklich auf dem Foto. Aber warum? Weil sie sich trotzdem so nah waren? Weil er ihn geküsst hatte? Er verstand es einfach nicht, aber er musste zugeben, dass er ihn gern geküsst und mit ihm geschlafen hatte. Doch das war jetzt vorbei und wahrscheinlich war es auch besser so. Jetzt konnte er sich endlich wieder vollkommen auf die Arbeit konzentrieren. Da er heute Morgen keinen Hunger und seinen Kaffee bereits ausgetrunken hatte, marschierte er in Richtung des Arbeitsraums. Er wollte damit beginnen, die Unterlagen wieder in sein Büro zu bringen, damit er ab spätestens morgen wieder in seinem üblichen Raum arbeiten konnte, als er ein Schluchzen aus Joeys ehemaligem Zimmer hörte. Seufzend trat er ein und fand Mokuba weinend auf dem Boden vor, während Roland versuchte, ihn etwas unbeholfen zu trösten. Auch sein Assistent sah komisch bedrückt aus. Was hatten die denn alle? Wheeler war doch nicht tot. Sie konnten sich, wann immer sie Zeit hatten, mit ihm treffen, wenn er das denn wollte. Er schritt zu seinem Bruder und kniete sich neben ihn, um ihn in den Arm zu nehmen, doch zum ersten Mal in seinem Leben blockte Mokuba ihn ab. „Du hast alles kaputt gemacht!“, rief er wütend und stand auf. Sein Gesicht war vom Weinen ganz aufgequollen und Seto überlegte, wann der Kurze das letzte Mal so geweint hatte. Das musste noch bei Gozaburo gewesen sein … Roland zog sich in Richtung Tür zurück, doch Moki verlangte, dass er blieb. Seto blieb aus einem Impuls heraus kniend sitzen – normalerweise würde er vor seinem Assistenten so nicht sitzen bleiben – und musterte seinen kleinen Bruder. „Hätte ich ihn anlügen sollen, Mokuba? Ihm weiter Gefühle vorspielen, wo nunmal keine sind?“ Seine Stimme war schneidend, denn er hatte dem Schwarzhaarigen immer beigebracht, nicht zu lügen und er selbst lebte nach diesem Credo, sowohl was sein Privatleben als auch sein Geschäftsleben anging. „Aber es war doch gut so, wie es war! Seit Joey da war, hast du nicht mehr so viel gearbeitet und du hast viel entspannter gewirkt! Ich dachte, dass wir … dass wir … eine Familie werden würden … Wie auf dem Foto hier!“ Mokuba hielt ihm mit beiden Händen ein ausgeschnittenes Zeitungsfoto hin, auf dem sie alle Drei zu sehen waren. Es war ebenfalls von gestern Abend und der Kurze stand vor Joey und ihm. Sie hatten beide eine Hand auf Mokubas Schulter gelegt und einen Arm um den anderen. Es wirkte wirklich wie ein glückliches Familienfoto und Seto schnürte es die Kehle zu. „Deswegen wolltest du unbedingt Joey als meinen Stellvertreter …“ „Ja! Ihr habt euch immer so viel gestritten und irgendwann wirkte es mehr danach, dass ihr euch nur die Aufmerksamkeit des anderen sichern wolltet. Daher habe ich mir das mit der Verfügung überlegt und dass ihr ein Paar seid, damit ihr gezwungen wart, euch besser kennenzulernen. Ich war mir so sicher, dass Joey es schaffen würde … Dass er dich glücklich machen könnte! Und du mehr Freizeit hast und wir Sachen zu dritt unternehmen könnten! So wie der Ausflug zum Meer! Dass er dich wieder zum Lachen bringen könnte. Und dich in der Firma unterstützt, damit du nicht mehr die alleinige Belastung hast!“ Mokuba hielt inne, zitterte, und Seto wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Der erste Impuls war, ihn zu maßregeln, weil er gelogen hatte und zwar mit der Geschichte, dass sie ein Paar waren, einfach alle angelogen hatte. Doch er verkniff sich jeglichen Kommentar dazu und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Mokuba … Hör mir bitte zu … Ich verstehe, dass du dir das wünschst. Aber wenn Joeys Gefühle für mich so stark sind, meine aber nicht, muss ich ihm das sagen. Es wäre doch viel schrecklicher für ihn, wenn ich noch weiter etwas vorspielen würde, was gar nicht da ist.“ „Aber Seto … Fühlst du denn wirklich gar nichts für ihn?“, fragte Mokuba fast schon verzweifelt und Seto seufzte. „Ich weiß es nicht, kleiner Bruder … Die letzten Wochen ist so viel passiert, dass ich das alles erst einordnen muss. Und jetzt bringt ihm seine Sachen, okay?“ Mokuba nickte nur und Seto stand wieder auf. Er hätte ihn gern kurz umarmt, doch der Schwarzhaarige wollte das offenbar nicht, also verließ er das Zimmer wieder und atmete tief durch. Wie hatte sich sein Leben in den paar Wochen so sehr verändern können? Er marschierte weiter den Gang entlang, missmutig und schlecht gelaunt, als er durch das bodentiefe Fenster sah und den Pool entdeckte. Es fühlte sich an wie gestern, als Joey mit seinen Freunden da unten geplanscht hatte und der Blondschopf absolut glücklich ausgesehen hatte. Seto erinnerte sich daran, wie er sich gefragt hatte, ob er auch jemals so bei ihm lachen konnte. Und ja, das hatte er gekonnt. Verdammt, warum erinnerte ihn jetzt alles in seiner eigenen Villa an diesen Straßenköter? Und warum verschwendete er noch weitere Gedanken an ihn? Es gab weitaus Wichtigeres zu tun. Fokussiert begann er damit, die Akten von Joeys Büro in seins zu tragen. Natürlich hätte er das auch dem Personal überlassen können, doch es fühlte sich gut an, das selber zu erledigen, sich anzustrengen und den Kopf etwas abschalten zu können, während er alles hin und her trug und an seinen Platz verstaute. Kapitel 54: Mokubas Geständnis ------------------------------ Samstag, 15.10. Er fühlte sich elendig, als er am nächsten Vormittag die Augen öffnete. Joey hatte fast die halbe Nacht lang noch geweint, ehe er sich so weit beruhigt hatte, dass er Yami erzählen konnte, was passiert war. Zwischenzeitlich war auch Yugi da gewesen, um ihn zu trösten und er war dankbar dafür, dass die Zwei bei ihm waren. Sie hatten ihm Tee gemacht und ihm zugehört, ihm über den Rücken gestreichelt, wenn er wieder geweint hatte und ihm Mut zugesprochen. Irgendwann war er vor Erschöpfung auf der Matratze eingeschlafen und nun stand er wie ein Stück Scheiße im Badezimmer vor seinem Spiegel und betrachtete sich. Er war zutiefst geschockt. Seine Augen gerötet vom Weinen, allein der Versuch zu lächeln, tat ihm körperlich weh und die Augenringe würde er nicht einmal mit Mais Make-Up kaschieren können. Wenn er gedacht hatte, dass er nach einer Prügelattacke seines Vaters scheiße ausgesehen hatte, dann wurde er nun eines Besseren belehrt. So beschissen hatte er noch nie in einem Spiegel ausgesehen. Er hörte ein leises Klappern aus der Küche. Offenbar war Yugi dabei, Frühstück zu machen, denn Yami konnte das nicht. Das mit dem Herd und dem Ofen hatte er noch nicht so ganz verstanden, von daher übernahm das immer der Knirps. Lustigerweise war das einzige, was Yami in der modernen Welt ohne Probleme beherrschte, das Auto fahren. Er war da sozusagen ein Naturtalent. Vorsichtig zog er den Frack aus, der durch das Schlafen ganz geknittert war und legte ihn vorsichtig auf die Heizung. Einen Moment lang überlegte er, ihn zu verbrennen, doch dafür war er zu schade und besser fühlen würde er sich dadurch leider auch nicht. Also verwarf er den Plan wieder und duschte sich in Ruhe und eine ganze Weile. Zwar musste er die Wasserrechnung zahlen, doch das nahm er in diesem Fall in Kauf. Andernfalls würde er heute wahrscheinlich gar nicht mehr zu einem Mensch werden. Eine halbe Stunde später stand er neben dem Stachelkopf in der Küche und bereitete Kaffee zu. „Konntest du etwas schlafen?“, fragte Yugi besorgt und Joey nickte. „Ja, nicht sonderlich gut, aber ich habe etwas geschlafen. Du hoffentlich auch …“ „Ja, mach dir um mich keinen Kopf. Wichtig ist, dass wir dich wieder auf die Beine kriegen.“ Joey zwang sich zu einem leichten Lächeln und trank einen Schluck Kaffee, der annähernd so gut geworden war wie der von Hina. Vielleicht sollte er sie mal anrufen und nach dem genauen Rezept fragen, denn ihr Kaffee war der mit Abstand weltbeste. „Danke euch. Das wird etwas dauern, aber dann wird das schon wieder … Ich habe ja viele, tolle Freunde“, sagte Joey, doch die Worte klangen so hohl in seinen eigenen Ohren. Natürlich hatte er großartige Freunde und er wusste, dass sie ihm helfen würden, wo sie nur konnten, doch er war noch nicht überzeugt, dass es wirklich wieder gut werden würde … Es klingelte an der Tür und Joey ging in den Flur, um aufzumachen. Es konnte nur Roland sein, der ihm wie verabredet seine Sachen aus der Villa brachte. Er betätigte den Summer und öffnete die Wohnungstür. Da er im ersten Stock wohnte, dauerte es nicht lang, bis er Roland sehen konnte, doch er war nicht der einzige, denn Mokuba rannte an diesem vorbei und direkt in seine Arme. Er sprang ihn förmlich an und Joey fing den kleinen Kaiba ohne Probleme auf. „Hey Mokuba, was machst du denn hier?“, fragte er überrascht, dabei sollte er sich gar nicht wundern. Er verstand sich sehr gut mit dem Kurzen und das beruhte schon lange auf Gegenseitigkeit. Siedend heiß fiel ihm auf, dass er ihm noch gar keine Nachricht geschickt hatte. Mist, das war uncool. „Joey, es tut mir so leid! Wenn ich gewusst hätte, dass das so endet … Ich versteh Seto einfach nicht!“, schluchzte der Kleine und krallte sich förmlich an ihm fest. Der Blondschopf verstand nicht ganz, worauf der Knirps hinauswollte, doch zunächst ließ er Roland leicht lächelnd mit zwei großen Sporttaschen eintreten und schloss dann die Tür. „Aufgrund des Umzugs und der Arbeit bin ich noch nicht dazu gekommen, auszupacken, also ihr könnt euch einfach aufs Sofa setzen“, erklärte Joey und während Yami Roland begrüßte und dieser dem Stachelkopf ins Wohnzimmer folgte, strich Joey Mokuba beruhigend über den Rücken. „Ganz ruhig, Moki … Das wird schon alles wieder … Es braucht nur Zeit.“ Er ging ebenfalls ins Wohnzimmer, wo auch noch die Matratze lag, auf der Yugi geschlafen hatte und setzte sich mit Mokuba auf diese, da das kleine Sofa bereits besetzt war. Yami holte noch Kaffee für Roland und sich selbst und machte Mokuba einen leckeren Kakao. Joey fragte sich, ob seine Freunde auch für ihn einkaufen gewesen waren, denn einige Sachen hatte er vorher nicht besessen, wenn er jetzt so darüber nachdachte. Wie zum Beispiel die Kaffeemaschine. Und Kakao hatte er auch Ewigkeiten nicht mehr gekauft. „Nein, wird es eben nicht! Ich … Ich … Es tut mir so leid, Joey! Dass ich dir das alles zugemutet habe! Du hast dir so viel Mühe gegeben und uns so großartig geholfen! Das können wir nie wieder gutmachen, aber er … “ Joey biss sich auf die Unterlippe, bevor er wieder weinte. Er hatte noch gar nicht so viel wieder trinken können, wie er in den letzten Stunden ausgeweint hatte … „Schon gut. Belassen wir es dabei, okay?“ „Nein, ich … Ich muss es dir auch sagen …“ Mokuba atmete tief durch, schaute ihm in die Augen und erklärte mit leicht zittriger Stimme: „Es gibt einen bestimmten Grund, warum ich wollte, dass du Setos Vertretung übernimmst. Du hast dich nie wie fast alle anderen von meinem Bruder einschüchtern lassen und irgendwann hatte ich den Eindruck, dass ihr euch nur angiftet, damit ihr die Aufmerksamkeit des anderen bekommt. Ich weiß nicht, wie ich es sonst sagen soll … Es schien, als müsste man euch nur in einen Raum sperren und ihr würdet merken, dass da mehr ist. Und deshalb … Deshalb wollte ich, dass du sein Stellvertreter wirst und habe mir diese Geschichte mit der Beziehung als Begründung ausgedacht. So wart ihr gezwungen, miteinander Zeit zu verbringen und ich war der festen Überzeugung, dass du Seto … dass du ihn knacken könntest. Dass ihr gemeinsam die Firma leiten würdet und wir eine Familie werden würden! Dass wir was zusammen an den Wochenenden unternehmen und Seto wieder mehr lacht … So wie früher … Bevor wir bei Gozaburo waren … Und jetzt ist alles kaputt … Es tut mir so leid, Joey. Ich wollte nicht, dass du so leidest! Das wollte ich nie!“ „Ich weiß, Mokuba … Ich weiß“, murmelte Joey, zog den Kleinen ganz eng an sich und sie weinten beide, auch wenn der Blondschopf es nicht mehr so tat wie letzte Nacht. Dafür hatte er noch nicht wieder genug getrunken. Er spürte förmlich, wie der Schwarzhaarige sich an ihn krallte und sein T-Shirt nass weinte, doch es spielte keine Rolle. Irgendwo tief in seinem Inneren hatte er so etwas schon vermutet und es passte einfach zu Mokuba, sich so einen Plan auszudenken, deswegen war er ihm auch nicht böse. Er konnte ja nichts dafür, dass Kaiba nichts für ihn empfand. Genau genommen konnte nicht einmal Seto etwas dafür. Er konnte seine Gefühle ja auch nicht ein- und ausknipsen. Es sollte halt nicht sein. Er musste das nur noch irgendwie akzeptieren und einen neuen Weg finden. Einen, der nicht den von Kaiba kreuzte. Ob er in einer anderen Stadt noch mal neu anfangen sollte? Yami und Roland standen auf einmal auf und setzten sich zu ihnen auf die Matratze, um sie besser trösten zu können. Auf dem Weg hatte Yami noch Taschentücher gegriffen, die Mokuba und Joey dankend annahmen. Im Nachhinein wusste er nicht mehr, wie lange sie da so gesessen hatten, doch mittlerweile war es Mittagszeit, wie er mit einem Blick auf seine Uhr, die an der Wand hing, feststellte. Mokuba war so erschöpft, dass er zwischen Joey und Roland liegend eingeschlafen war, und der Blonde deckte den Kurzen mit einer Decke zu. „Ich danke dir, dass du mir die Sachen gebracht hast, Roland“, sagte er mit gedämpfter Stimme, um den Kleinen nicht zu wecken. „Selbstverständlich. Ich habe im Kofferraum noch die maßgeschneiderten Anzüge, weil da ja sonst niemand reinpasst, aber ich war nicht sicher, ob du die haben willst …“ „Jetzt nicht. Es wäre auch nett, wenn du den Frack noch mitnehmen könntest, aber bitte bewahre sie irgendwo auf, ja? Falls ich sie wider Erwarten doch noch brauchen sollte …“ Wieso konnte er die Hoffnung noch nicht begraben? Selbst wenn er noch einmal einen Anzug brauchen sollte, würde er niemals einen von denen nehmen. Sie würden zu viele Erinnerungen wachrufen. Roland nickte und so saßen sie da zu dritt auf der Matratze und hingen alle schweigend noch etwas ihren Gedanken nach. Die Ruhe wurde allerdings jäh durchbrochen, als nach ein paar Minuten Rolands Handy klingelte und der Assistent nahm ab und stand auf, um in einen Nebenraum zu gehen. Joey seufzte leise und spürte, wie Yami den Kopf drehte. „Woran denkst du?“ „Wie lange ich mich für die Schule krankschreiben lasse …“, murmelte Joey. Er konnte Kaiba die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen, nicht unter die Augen treten. Das war ein Ding der Unmöglichkeit. „Nimm dir diese Woche frei. Ich werde alles mitschreiben und wir gehen den Unterricht dann gemeinsam durch. Das wird kein Problem sein.“ „Danke Kumpel, das werde ich tun.“ Sein Blick wanderte zu dem schlafenden Mokuba, der friedlich dalag und leicht sabberte. Joey lächelte. Er hatte genau den gleichen Wunsch wie er gehabt. Mit Seto gemeinsam die Firma leiten, nicht weil er auf eine Führungsposition aus war, sondern weil das Arbeiten mit ihm überraschend angenehm gewesen war und während sich Seto um Entwicklung, Verkauf, Buchhaltung und die Rechtsabteilung gekümmert hätte, hätte er sich um Marketing, Service, die Grafikabteilung und Personal gekümmert. Sie hätten das garantiert souverän gemeistert und sie hätten mehr Freizeit gehabt, die sie zu zweit oder mit Mokuba hätten verbringen können. Doch der Traum war wie eine Seifenblase geplatzt und er musste seine Seelenscherben alle wieder zusammensammeln, ehe er sich daran machen konnte, nach neuen Dingen Ausschau halten zu können. Hoffentlich kam Mokuba schneller darüber hinweg. Der Kleine liebte seinen Bruder abgöttisch und das sollte sich nicht ändern, nur weil sie nicht zueinander fanden. Das würde beiden nicht guttun. Roland kam wieder zurück ins Wohnzimmer und murmelte: „Entschuldigt, aber ich muss wieder los. Ich lasse Mokuba noch hier, ja? Er kann ja Thomas anrufen, wenn er zurück nach Hause möchte.“ „Ja, ist gut. Ich gebe dir noch kurz den Frack“, erwiderte Joey und stand vorsichtig auf. Er holte die Kleidung und Roland nahm sie an sich, um sie in den Koffer zu den anderen Anzügen zu legen. Es fiel ihm schwer, den Blick davon zu lösen, denn die Klamotten waren das letzte, was ihn noch mit Kaiba verband. Nahm Roland die mit raus, gab es in dieser Wohnung nichts mehr, was mit dem CEO zu tun hatte. Das war einerseits das beste, was ihm passieren konnte, doch andererseits blutete sein Herz bei dem Gedanken. Es war dann klar, dass es nichts mehr zwischen ihnen gab. „Also dann, Joey. Wenn etwas sein sollte, dann kannst du dich gern melden. Ich wünsche dir die Kraft, noch stärker wieder zurückzukommen. Du bist ein wundervoller Mensch, der sein Glück garantiert noch finden wird.“ „Danke Roland. Ich ruf dich an, dann treffen wir uns mal auf einen Kaffee“, versprach Joey leicht lächelnd und der Assistent verließ die Wohnung samt Frack über dem Arm. Der Blondschopf atmete zitternd ein und aus, dann schloss er die Tür hinter ihm und schritt zurück, wo Yami neben Mokuba anscheinend ebenfalls eingeschlafen war. Joey schmunzelte kurz, deckte seinen Kumpel ebenfalls zu und setzte sich aufs Sofa. Was sollte er jetzt tun? Emails durchgehen oder Projekte durcharbeiten, war nicht mehr drin. Den Fernseher wollte er nicht anmachen, um die anderen nicht zu wecken und auch sonst fiel ihm nichts Gescheites ein. Schließlich begann er leise, ein paar Kisten auszuräumen, die zum Schafzimmer gehörten und räumte den Kleiderschrank ein. Das wichtigste war, dass er etwas tat. Ruhe würde ihn nur durchdrehen lassen. Kapitel 55: Ehrliche Meinung ---------------------------- Samstag, 15.10. Es war Samstagabend und Seto saß mit Yuna in seinem Arbeitszimmer, um noch Bewerbungen durchzugehen. Die Zwei hatten es sich angewöhnt, das gemeinsam an Wochenenden zu erledigen, da sie unter der Woche einfach keine Zeit dafür fanden. Mehrere Stellen in der Buchhaltung, im Marketing, Service und Personal waren unbesetzt, doch passende Mitarbeiter zu finden, war nicht einfach. Beide hatten gewisse Ansprüche, schließlich sollten die zukünftigen Mitarbeiter zum Unternehmen passen und es voranbringen. In seiner Zeit als CEO hatte Kaiba sich zwar abgewöhnt, auf Schulnoten zu schauen, doch Beurteilungen von Praktika oder anderen Stellen waren wichtig, ebenso das beigefügte Foto. Allein an dem Bild konnte er zu 90% sagen, ob jemand passte oder nicht. Und das lag nicht daran, ob der Mensch darauf hässlich war, sondern viel mehr die Mimik, ob die Person gepflegt aussah, welche Haltung auf dem Foto angenommen worden war, welche Kleidung der Mensch dafür ausgewählt hatte. Passte diese auch zur Stelle? Nicht jeder in seiner Firma musste im Anzug erscheinen, doch wenn sich jemand als Verkäufer vorstellte und auf dem Foto trug er ein T-Shirt konnte derjenige vielleicht in der Grafikabteilung arbeiten, aber eben nicht als Verkäufer. Mittlerweile waren sie drei Stunden dabei, die Bewerbungen zu sortieren und sie hatten es beinahe geschafft, als ein Hausmädchen noch Kaffee und Kekse servierte. Kaiba dankte ihr mit einem Nicken und trank einen Schluck. Yuna, die ihm gegenübersaß, tat es ihm gleich und lehnte sich etwas in dem Stuhl zurück. „Ich denke, da sind ein paar gute Kandidaten dabei“, sagte sie und schaute auf den Stapel, den sie einladen würden. Das waren gute zwei Dutzend – eine durchaus gute Ausbeute. „Ich denke auch. Hatte sich der Betriebsrat während meiner Abwesenheit eigentlich das neue Einarbeitungsprogramm angeschaut?“ „Ja. Ich habe das zusammen mit Joey vorgestellt und sie haben dem sofort zugestimmt. Bereits bei diesen Kandidaten hier können wir es anwenden, wenn sie eingestellt werden“, antwortete sie und Seto nickte zufrieden. Auch er lehnte sich zurück, nachdem er einen Keks gegriffen hatte und musterte Yuna. Sie arbeitete bereits seit vielen Jahren für die Firma – ungefähr 15, wenn er sich nicht irrte – und hatte unter Gozaburo eine steile Karriere in der Personalabteilung hingelegt. Sie hatte einen sehr guten Riecher, was Menschen anging und er mochte die Professionalität, mit der sie an die Sachen heranging. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die er befördert hatte, fing sie nicht an, sich übermäßig aufzuregen oder unter den Männern drunter wegzuducken. Sie wusste, was sie konnte und wo sie sich zurückhalten musste, und das schätzte er an ihr. „Was hältst du eigentlich von Joey Wheeler?“, fragte er betont desinteressiert, denn in all den Wochen hatten sie kaum miteinander zu tun gehabt, da sich Joey um die Personalbelange gekümmert hatte, damit er sich ungestört um Verkauf und Entwicklung hatte kümmern können. Da sie sich auf der Zielgeraden für mehrere Produkte befanden, war er froh gewesen, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Yuna schaute ihn einen Moment lang an, schien abzuwägen, was sie sagen konnte und was nicht und Seto gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie sich frei äußern dürfte. „Ich halte ihn für deine perfekte Ergänzung. Er ist nahbarer als du, ist nah an den Mitarbeitern dran gewesen. Mokuba hat mir erzählt, dass er bei seinem ersten Rundgang, um sich vorzustellen, jedem Mitarbeiter angeboten hat, zu ihm zu gehen, falls sie Probleme haben und wie ich hörte, haben das auch drei oder vier in Anspruch genommen und waren mit den Gesprächen sehr zufrieden. Außerdem ist er ein sehr fairer Boss. An seinem ersten Tag in der Firma bin ich zu ihm gegangen, weil Herr Nakamura aus dem Marketing fristlos gekündigt werden sollte.“ „Warum?“ „Er hatte 9000 Yen aus der Abteilungskasse gestohlen. Die Kameras hatten es aufgezeichnet und der Sicherheitsdienst hatte mich darüber informiert. Da du über so etwas immer informiert werden wolltest, habe ich das mit Joey genauso gehalten, auch wenn ich ihn zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte. Nun, jedenfalls hatte ich Mokuba und ihm davon berichtet und er bestand darauf, erst mit Herrn Nakamura zu sprechen, bevor ich ihm kündige und er hatte ein Vier Augen Gespräch mit ihm. Danach bat er Roland, die Informationen zu überprüfen. Am Ende stellte sich heraus, dass sich die Frau von Herrn Nakamura getrennt hatte, weil sie eine Affäre hatte, doch nun musste er für die drei Kinder Unterhalt zahlen und zusammen mit der riesigen Wohnung, die Herr Nakamura mit seiner Familie bewohnt hatte, konnte er sich nicht einmal mehr Essen und Trinken leisten und von dem gestohlenen Geld hatte er sich Lebensmittel gekauft. Joey bestrafte ihn mit Wegfall des Weihnachtsgeldes und des Urlaubsgeldes nächstes Jahr. Außerdem bat er mich, ihm bei der Wohnungssuche zu helfen, weshalb ich unseren Makler angesprochen habe. Mittlerweile konnte eine Wohnung gefunden werden, die er in zwei Monaten beziehen kann. Einen Nachmieter für die alte Wohnung haben wir auch und insofern ist der Fall gut ausgegangen und Herr Nakamura für immer dankbar, dass er nicht gefeuert wurde. Auch die restliche Belegschaft hat das sehr positiv aufgenommen.“ Das hatte Wheeler getan? Einen Dieb weiterhin in seinem Unternehmen arbeiten lassen? Er wusste noch nicht, was er davon halten sollte. „Gibt es noch weitere Punkte, warum du ihn für meine „perfekte“ Ergänzung hältst?“, bohrte Seto nach und musste an das Firmenjubiläum denken, als Herr Nakamura in der Tat sehr dankbar auf Joey zugegangen war und sie sich kurz unterhalten hatten. Generell war die Stimmung in der Firma besser geworden, das war ihm nicht entgangen. „Ja. Besonders die Grafikabteilung schätzt ihn sehr, da er bei der Korrektur der Bilder nicht nur die Kritikpunkte aufführte, sondern auch die Dinge, die ihm besonders gut gefielen. Sie waren daraufhin viel motivierter, was auch anhand des Stundenkontos nachvollzogen werden kann. Um die Änderungen rechtzeitig fertig zu bekommen und eine Verzögerung zu verhindern, haben alle Überstunden gemacht. In Meetings hört Joey meist erst zu, bevor er eine kurze Zusammenfassung von pro und kontra macht und das Gespräch dann effektiv auf die strittigen Punkt bringt. Einige empfinden es als anstrengend, dass er so lange manche Dinge ausdiskutiert, aber Joey möchte sichergehen, dass jede Alternative ordentlich durchleuchtet wurde, bevor er sein Einverständnis für einen Weg gibt. Außerdem weiß er sich genau wie du gegen die anderen durchzusetzen, wenn er es für richtig erachtet, wägt Kritik aber ab und lehnt sie nicht direkt ab. Er ist sehr umsichtig und während ich dich in der Entwicklung, Buchhaltung und Verkauf sehe, sehe ich ihn im Service, Marketing und Personal. Ihr könntet gemeinsam sehr viel erreichen.“ Während er noch weiter Kekse aß, lauschte er ihr aufmerksam und fragte sich, wann ihm jemand aus der Firma so ehrlich gesagt hatte, dass er kein guter Chef für die Mitarbeiter war, denn das hatte er zwischen den Zeilen deutlich verstanden. Jedoch war er nicht wütend auf sie, denn ihm war bewusst, dass er seine Firma mit ähnlich harter Hand wie Gozaburo führte. Nicht ganz so extrem, aber ob es ihm gefiel oder nicht, war er ein Kind seiner Erziehung. Da konnte er sich noch so sehr gegen sträuben, aber es war einfach eine Tatsache. Trotzdem war es erfrischend, mal wieder eine ehrliche Meinung zu hören und keine freundlich verpackte, wo er nicht richtig einschätzen konnte, was Wahrheit war und was in die Kategorie in-den-Arsch-kriechen gehörte. „Ich danke dir für deine ehrliche Einschätzung. Allerdings ist dieses Kapitel abgeschlossen. Joey ist raus und wird auch nicht mehr zurückkommen“, informierte er sie und sie nickte langsam. „Ja, das habe ich mir schon bei der Verabschiedung gestern Abend gedacht. Darf ich fragen, was passiert ist?“ „Wir haben uns gestritten“, entgegnete er knapp und trank den restlichen Kaffee aus. Selbst wenn er es irgendwo wollte, konnte er nicht offen reden. Etwas in ihm sperrte sich, mit ihr über den Abend zu reden oder darüber, dass Mokuba sich das erste Mal nicht von ihm umarmen ließ. Es frustrierte ihn, aber er konnte einfach nicht seine Gefühle ausdrücken. Es war, als wäre die Tür abgeschlossen und er fand den Schlüssel nicht, um sie aufzuschließen. Yuna schien das zu verstehen, denn sie beugte sich vor und griff nach einer weiteren Bewerbung. Sie wusste, dass das Thema abgeschlossen war, denn sie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit und dafür war Seto ihr dankbar, auch wenn er es nicht aussprach. Zwei Stunden später hatte sich Seto allein ins Wohnzimmer gesetzt und schaute sich die Nachrichten an. Neben allerlei Politik, die überall vor die Hunde zu gehen schien, gab es auch einen Bericht über die Firmenfeier und wieder einmal stellte Kaiba fest, was für ein hervorragender Schauspieler Joey war. Obwohl er wahrscheinlich den Tränen nah war, gab er den verliebten und glücklichen Freund vor, der dem Schicksal dankte, dass es ihm wieder gut ging und in die Kameras strahlte. Noch immer spukten ihm die Worte von Mokuba und Yuna durch den Kopf. Der Blondschopf hatte sein Leben in den paar Wochen komplett umgedreht, ohne dass er etwas hätte daran verhindern können. Wobei … Eigentlich war es Mokuba gewesen, mit dieser Verkupplungslüge, die alles ins Rollen gebracht hatte. Und der Brünette war sich ja bewusst, dass er sich in Joeys Nähe wohl gefühlt hatte. Dass es angenehm gewesen war, dass da noch jemand an seiner Seite stand und er sich mit dem ganzen Kram nicht allein beschäftigen musste, doch kaum gestand er sich das ein, tauchte sofort Gozaburo vor seinem inneren Auge auf und alles zog sich in ihm zusammen. „Du bist schwach, Seto!“, sagte die Stimme einfach nur und Seto senkte den Kopf und legte eine Hand in den Nacken. Er war nicht schwach! Seit fast zwei Jahren führte er die Kaiba Corporation, hatte sie in kürzester Zeit umgebaut und erfolgreich gemacht. Und es war sein alleiniger Verdienst. Weil er wusste, wie man eine Firma zu leiten hatte. Weil er streng, aber gerecht war. Weil er Verhandlungen zu seinen Gunsten führen konnte. Weil er fleißig war und alles hintenanstellte. Selbst Mokuba musste zurückstecken. Weil er wollte, dass die Firma lief. Weil sie seinen kleinen Bruder und ihn absichern sollte. Weil er die Macht brauchte, um sich Gozaburo überlegen zu fühlen. Weil er ihm beweisen wollte, dass er besser war. Trocken lachte Kaiba auf und exte das Scotch Glas. War er so zerstört, dass er jetzt schon besser sein wollte als ein Toter? Wie erbärmlich war er eigentlich? Warum konnte er sich nicht von Gozaburo lösen? Was sollte das denn? Der Sack war tot und das war das Beste, was ihm passieren konnte. Also warum war er so fixiert darauf? Er konnte ihm eh nicht mehr sagen, dass er längst gewonnen hatte! Frustriert und wütend auf sich selbst stand Kaiba ruckartig auf, griff das Glas und schmetterte es gegen die nächste Wand, wo es zerschellte und die Scherben verteilt auf dem Boden landeten. Keuchend stand er da und starrte sie an. Ein paar reflektierten das Licht der Deckenlampe, andere lagen dunkel da, als würde das Licht sie nicht erhellen können. „Ja, die erste Liebe ist immer etwas Besonderes. Davon bin ich überzeugt“, riss Joey ihn aus seinen Gedanken und ihr Gegenüber nickte eifrig. „Ja, junger Freund, so sehe ich das auch. Sie musste damals mit ihren Eltern umziehen, weil ihr Vater ein Jobangebot im Ausland erhalten hatte. Gott, ich war am Boden zerstört und für Monate nicht mehr zu gebrauchen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz wäre in 1.000 Scherben zersprungen und es würde nie wieder zusammenwachsen. Fast hätte ich meinen Schulabschluss deswegen in den Sand gesetzt. Es war wirklich schrecklich. Aber es ging weiter und ich fand während meiner Uni Zeit meine Ehefrau.“ Ob Joeys Herz nach seiner Abfuhr wieder zusammenwachsen würde? Und was war mit ihm selbst? Fühlte sich so der Herzschmerz an? Ihm war nicht klar, wie er die Zeichen seines Körpers deuten sollte, doch ihm war schon bewusst, dass er sich nicht gut fühlte. Dass seine letzte Nacht wahrscheinlich nur gut gewesen war, weil da noch immer der leichte Geruch des Hündchens gewesen war. Doch er würde darüber hinwegkommen. Die Arbeit würde ihm dabei helfen und in ein paar Wochen war alles wie immer. Darauf musste er sich konzentrieren. Das würde auch Joey helfen, da war er sich sicher. Würde sich sein Hündchen dann nach jemand anderem umschauen? Hatte Seto verloren? Und … wollte er überhaupt gewinnen? Kapitel 56: Erinnerung ---------------------- Sonntag, 16.10. Halbwegs zufrieden schaute sich Joey um. Immerhin das Wohnzimmer hatte er soweit fertig eingerichtet. Es war Sonntag und um die Nachbarn nicht direkt zu nerven, hatte er Kopfhörer in den Ohren und ließ die ersten beiden Alben von Linkin Park rauf und runter spielen, während er beim Aufräumen war. Die Texte passten teilweise zu 100% zu seiner Situation und da er selbst es noch nicht schaffte, seinen Frust und seine Wut herauszuschreien, überließ er das Chester und Mike. Die konnten eh viel besser singen als er. So schnell wollte er seine Nachbarn auch noch nicht vergraulen, weil er selbst sang. Das würden sie noch früh genug ertragen müssen. Leicht grinsend dachte er an seine eine Nachbarin im alten Haus, die ihr Wohnzimmer neben seinem Zimmer hatte und sich regelmäßig darüber beschwerte, dass er zu laut singen würde. Sie hatte ihn auch so nicht ausstehen können und das war vollkommen in Ordnung für ihn, denn er hatte sie auch nie leiden können. Mit neuem Elan öffnete Joey den nächsten Karton und stutzte. Da drin war die Kiste, die mit den Sachen seines Vaters gefüllt war … Er starrte sie einige Sekunden an, dann holte er sie vorsichtig heraus und stellte sie auf dem Tisch ab. Der Blondschopf setzte sich auf das Sofa und starrte sie eine Weile lang an. „Du elendiger Nichtsnutz!“, lallte sein alter Herr, als er die Wohnung betrat und Joey wäre am liebsten sofort wieder weggerannt. Da hatte er sich einmal aus seinem Zimmer getraut, weil er aus der Küche was zu Essen holte und der Sack kam zurück – von wo auch immer. Sein Vater war vollkommen betrunken und schwankte in seine Richtung, verfehlte allerdings im ersten Anlauf die Tür und knallte gegen den Rahmen. Langsam trat der Blonde rückwärts in Richtung seines Zimmers. Bisher hatte er sich immer retten können, wenn sein Vater betrunken gewesen war und hatte ihn nur zwei Mal geschlagen, als er einen cholerischen Anfall gehabt hatte. Doch nun schien er besoffen und cholerisch zu sein. Das war schon eine andere Nummer. Andererseits würde Joey doch nicht vor seinem eigenen Vater davonlaufen. Das kam nicht in Frage. Der sollte sich gefälligst wieder ausnüchtern und dann endlich einen Entzug starten, verdammt! So in Gedanken hatte er nicht mitbekommen, dass sein Herr mittlerweile den Flur erreicht hatte und noch ehe er reagieren konnte, hatte sein Vater ihn am Kragen gepackt und zog ihn in sein Zimmer. „Hey, lass das! Hör auf!“, brüllte Joey panisch, als er stolperte und in den Raum geworfen wurde. Noch bevor er mit dem gesamten Körper auf dem Boden aufgeschlagen war, stand sein Erzeuger schon über ihm und brüllte: „Du nichtsnutziger Sohn! Deinetwegen ist meine Frau abgehauen! Wegen dir hat sie meine Prinzessin mitgenommen! Dafür wirst du büßen! Es ist alles deine schuld! Weil ich nicht hart genug zu dir war, doch das wird sich jetzt ändern!“ Joey zuckte zusammen, als er daran zurückdachte. Das war das erste Mal, dass sein Vater ihn krankenhausreif geprügelt hatte. Er war zwölf Jahre alt gewesen und die nächsten Jahre hatte er das immer wieder getan, wenn er sich nicht unter Kontrolle gehabt hatte und er sich nicht rechtzeitig hatte in Sicherheit bringen können. Mit der Zeit hatte der körperliche Schmerz nachgelassen, doch der psychische wurde einfach nicht besser. Es gab so vieles, was er seinem Vater noch gern gesagt hätte, doch er war fort, hatte sich davongestohlen und war nun außerhalb seiner Reichweite. Ihm war bewusst, dass er so eine Frohnatur war, weil er sonst an seinem Vater zerbrochen wäre. Er war zu seinem Gegenteil geworden, um das zu überleben, klammerte sich innerlich an seine Freunde, als er diese endlich gefunden hatte. Beschützte sie mit seinem Leben, weil er ihnen so viel mehr verdankte, als sie selbst wussten. In den letzten zwei Jahren hatten sie ihm unbewusst geholfen, die Hölle zu Hause zu überstehen, hatten ihn stark gemacht und er hatte seinen Vater angelacht, wenn dieser wieder auf eingeprügelt hatte. Hatte ihn ausgelacht, um nicht mehr weinen zu müssen. Er hatte all das geschafft, aber die Narben würden Zeit seines Lebens bleiben. Die unausgesprochenen Worte würden nie gesagt werden, weil sie die Person nicht mehr erreichen konnten. Und das frustrierte Joey, denn er wusste, dass er nie dem Thema „Vater“ endgültig abschließen konnte. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, würde er nie mit Seto zusammenkommen, weil er sich in die Sache so verrannt hatte, dass er sich verliebt hatte. Weil dieser ihn als erster Mensch überhaupt liebevoll behandelt hatte. Ihn in den Arm genommen, mit ihm gescherzt, ihn begehrt hatte. Nach all der Scheiße, die er bisher in seinem Leben erlebt hatte, war er süchtig nach dieser Liebe geworden und er rang nach Atem, wenn er daran dachte, dass das alles vorbei war. Dass er es von ihm nie wieder bekommen würde … Tränen sammelten sich in seinen Augen und er fragte sich allmählich, wie oft er deswegen noch weinen würde. Er zog seine Beine an den Körper, umschlang sie mit seinen Armen und ließ den Tränen freien Lauf. Irgendwann würden die Tränen ihn gereinigt haben und dann konnte er wieder nach vorn schauen, sich wieder auf etwas Neues konzentrieren. Was auch immer das sein würde … Aus den Kopfhörern dröhnte noch immer Linkin Park und Joey fühlte all den Schmerz, die Hoffnungslosigkeit, aber auch diesen kleinen Funken Kampfeswille, der aber noch von all den anderen Emotionen überlagert wurde, doch er war da und er würde ihn füttern. I am a little bit of loneliness, a little bit of disregard Handful of complaints but I can't help the fact That everyone can see these scars I am what I want you to want, what I want you to feel But it's like no matter what I do I can't convince you to just believe this is real So, I let go watchin' you, turn your back Like you always do, face away and pretend that I'm not But I'll be here 'cause you are all that I've got I can't feel the way I did before, don't turn your back on me I won't be ignored, time won't heal this damage anymore Don't turn your back on me, I won't be ignored I am a little bit insecure, a little unconfident 'Cause you don't understand, I do what I can But sometimes I don't make sense I am what you never want to say but I've never Had a doubt, it's like no matter what I do I can't convince you for once just to hear me out So, I let go watchin' you, turn your back Like you always do, face away and pretend that I'm not But I'll be here 'cause you are all that I've got I can't feel the way I did before, don't turn your back on me I won't be ignored, time won't heal this damage anymore Don't turn your back on me, I won't be ignored No, hear me out now, you're gonna listen to me Like it or not, right now, hear me out now You're gonna listen to me like it or not, right now I can't feel the way I did before Don't turn your back on me, I won't be ignored I can't feel the way I did before, don't turn your back on me I won't be ignored, time won't heal this damage anymore Don't turn your back on me, I won't be ignored I can't feel, I won't be ignored, time won't heal Don't turn your back on me, I won't be ignored Ob der Kampf wirklich schon verloren war? Ob er noch kämpfen sollte? Würde es etwas bringen? Oder war alles vorbei? Er hatte keine Antworten auf diese Fragen und noch immer war da diese Box auf dem Tisch, die er nicht geöffnet hatte. Und vielleicht auch nie wieder öffnen würde. Trotzdem würde er sie behalten, um im Notfall Zugriff auf sie zu haben. Nun aber war nicht der richtige Zeitpunkt dafür und kurioserweise musste er daran denken, dass er gar keine Box für Seto hatte. Roland hatte die letzte materielle Erinnerung mitgenommen. Der Rest war nur in seinem Kopf und den musste er ruhig halten. Würde er alles zulassen, was da in seinen Gedanken herumschwebte, würde er wahrscheinlich nie wieder die Wohnung verlassen, sondern nur noch heulen und rumliegen. Nein, das war auch keine Option, also verdrängte er all die schönen Momente und stand ruckartig auf. Er musste sich ablenken, etwas tun und so griff er die Kiste seines Vaters und verstaute sie ganz tief in seinem Kleiderschrank, wo er sie nicht mal eben zufällig sehen konnte. Erschrocken erstarrte der Blondschopf, als plötzlich der Song unterbrochen wurde und ein bekannter Handyklingelton ertönte. Mithilfe des Headsets nahm er den Anruf entgegnete und begrüßte: „Hey Tristan, was gibt es?“ „“Hey! Das wollte ich dich fragen. Eigentlich wollte ich mich schon gestern gemeldet haben, aber Yugi meinte, dass wäre kein guter Zeitpunkt gewesen.“ „Ja stimmt. Gestern war etwas chaotisch“, stimmte er murmelnd zu und dachte daran, dass Moki und der Igelkopf bis zum Abend geblieben waren, ehe Yami den Kaiba Spross nach Hause gefahren hatte. Danach hatte er stumm auf dem Bett gelegen, an die Decke gestarrt und gehofft, dass die Zeit einfach nur vergehen möge. Doch wie es in solchen Situationen immer so war, waren seine Gedanken ewig abgedriftet und es hatte Stunden gedauert, ehe er eingeschlafen war. „Was war denn los? Ich habe nur in der Zeitschrift meiner Mama ein Foto gesehen, dass du nach dem Jubiläum in Yugis Auto gestiegen bist. Ist das mit Kaiba jetzt vorbei?“ Er schluckte. Scheiße, das tat so weh zu hören. „J-ja, das ist es“, krächzte er und schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. Er konnte doch jetzt nicht ewig und drei Tage rumheulen. Das war doch echt nicht cool. „Soll ich vorbeikommen?“ „Das ist super nett von dir, aber ich brauche noch etwas Ruhe. Verdammt, Tristan, ich habe mich wirklich in diesen Eisschrank verliebt. Wenn wir allein waren, oder nur mit Mokuba zusammen, hat er sich so anders benommen. Und das Arbeiten mit ihm war echt super. Ich habe mich … gewertschätzt gefühlt. Als jemand, der es zu was bringen kann. B-begehrt gefühlt … Nach allem, was bisher in meinem Leben passiert war, war es fast wie im Traum. Und naja, das war es dann wohl auch nur. Doch ich kann den noch nicht loslassen, deswegen werde ich die Woche auch nicht in die Schule kommen. Yugi ist so nett und schreibt alles für mich mit, damit ich das nachholen kann. Es tut mir leid, aber du kannst gerade nichts für mich tun. Ich muss das alles sacken lassen und dann wird sich das auch wieder beruhigen. Sollte ich doch etwas brauchen, melde ich mich, ja?“ „Ja klar, mach das! Jederzeit, das weißt du!“ Gedankenverloren nickte er und einen Moment lang herrschte Schweigen in der Leitung. Es war ein kleines Schnauben Tristans, das dafür sorgte, dass er seine Stimme wiederfand: „Eins noch. Versprich mir bitte, Kaiba nicht dumm anzumachen morgen, okay?“ „Aber ich hätte allen Grund dazu, wenn er dich wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hat!“ „Nein. Nein, so einfach ist es nicht. Wir haben es beide nicht hinbekommen, rechtzeitig miteinander zu reden, um unser Verhältnis zu klären. Er hat sich an Mokubas Plan gehalten und das ist in Ordnung so. Er verbirgt vieles vor der Welt, was ihn geprägt hat. Denk nur an Noah und was da alles ans Licht gekommen ist. Er verarbeitet es nur anders als wir und das ist sein gutes Recht. Außerdem hatte er nie die Chance, ein normales Leben wie wir zu führen. Wir alle können unsere Gefühle nicht beeinflussen und es wäre unfair, ihm das zum Vorwurf zu machen. Du verliebst dich doch auch nicht auf Knopfdruck, nur weil jemand anderes auf dich abfährt.“ „Ja, das mag schon sein“, brummte Tristan und fügte schnell hinzu: „Aber trotzdem ist das doch scheiße von ihm, dass er das alles nicht klargestellt hat! Das ist doch arschig!“ „Ich hätte das Gespräch auch suchen können, aber habe es nicht getan. Also bitte, Tristan, versprich es mir.“ Er wollte nicht, dass Kaiba unnötig von seinen Freunden angemacht wurde. In den letzten Wochen hatte er verstanden, dass auch der CEO ein Kind seiner Vergangenheit war – wie sie alle – und dass er ebenfalls eine sehr schwere Zeit hinter sich hatte. Da mussten die anderen nicht auch noch nachtreten. „In Ordnung, ich verspreche es. Aber wenn der einen blöden Kommentar macht!“ „Dann hältst du trotzdem die Fresse.“ „Jajaja, na gut! Mensch Joey, du hast dich echt verändert!“ Das hatte er wohl, konnte er nicht abstreiten und wollte er auch gar nicht, denn er fand, dass er sich gut entwickelt hatte. Sehr gut sogar. Und das würde er sich nicht kaputtreden lassen. „Ja zum Glück! Und jetzt möchte ich mir noch was zu essen machen, also wir hören uns die Tage, ja?“ „Klar, bis dann.“ Bis dann und danke für deinen Anruf.“ „Jederzeit.“ Der Blondschopf legte auf und ließ sich fertig auf sein Sofa fallen. Er konnte Tristan verstehen. An seiner Stelle wäre er auch wütend auf Kaiba und würde ihm am liebsten den Hals umdrehen, doch er kannte Seto nun einmal auch nicht so gut wie er. Und gerade wünschte er sich, er hätte ihn auch nie so gut kennengelernt. Dann würde er hier nicht wie ein Häufchen Elend rumsitzen. Kapitel 57: Ein seltsamer Tag ----------------------------- Montag, 17.10. Seto war nicht verwundert, als er Montagmorgen schräg vor sich einen leeren Platz vorfand und der Lehrer ihnen mitteilte, dass Joey sich krankgemeldet hatte. Nach allem, was passiert war, war das der logische Schluss gewesen. Dennoch war es nach drei Wochen mit Joey an seiner Seite ein komisches Gefühl, nun allein dort zu sein. Nicht, dass ihn das großartig kümmerte, denn er würde die meiste Zeit eh arbeiten, doch tief in seinem Inneren beschäftigte es ihn schon, auch wenn er das nicht zugeben wollte. Genauso wie die Tatsache, dass Mokuba Samstagabend erst spät nach Hause gekommen war, ihn nur kurz gegrüßt hatte und dann in seinem Zimmer verschwunden war. Gestern war es nicht viel anders gewesen. Der Kleine ging ihm richtig aus dem Weg und das war bisher noch nie vorgekommen. Und Yunas Einschätzung war ja auch eindeutig ausgefallen. Was hatte Joey nur mit ihnen angestellt? Auch Roland und Yuuto hatten gestern bei einem kurzen Treffen distanziert gewirkt und selbst Hina schien traurig, dass der Blonde nicht mehr in der Villa wohnte. Als wäre er Schuld daran! Er konnte doch keine Gefühle herzaubern, wo gar keine waren! Sind da denn wirklich keine?, fragte eine innere Stimme und Seto schaute leise schnaubend aus dem Fenster. Seit Joeys Gefühlsausbruch sah er sich mit dieser Frage konfrontiert und er hatte gestern sogar eine Pro und Kontra Liste aufgestellt, aber ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Dennoch konnte er nicht abstreiten, dass er sehr schnell einschlief, wenn er Joeys Geruch abends noch roch und sich seine Muskeln deutlich entspannten. Und überhaupt ging er ihm gar nicht mehr aus dem Kopf, aber war das schon Liebe? Er hatte vorher nie solche Gefühle entwickelt und es fiel ihm sehr schwer, sie richtig einzuordnen. Sein Umfeld hatte sich ja offenbar schon eine Meinung gebildet und ihn als Arschloch abgestempelt, dass Joey gar nicht verdient hatte. Selbst Mokuba schien das so zu sehen! Eine Sache hatte er allerdings noch zu tun, denn egal, was zwischen ihnen war, Joey hatte offiziell für die Firma gearbeitet, also stand ihm auch ein Gehalt für den Zeitraum zu und das würde Kaiba ihm heute überweisen lassen. Denn überraschenderweise hatte Yuna ihm Samstag noch mitgeteilt, dass er noch keine Abrechnung erhalten hatte. Es wäre genug, damit Joey die Schulden seines Vaters bei diesem ominösen Fremden begleichen konnte und danach noch einiges übrigblieb. Da er ja als Geschäftsführer gearbeitet hatte, war es kein Problem, die Summe zu rechtfertigen und selbst damit war er als Geschäftsführer schon eher im unteren Drittel, so viel, wie sich einige selber überwiesen. Damit war seine Schuld gegenüber dem Blonden beglichen und in den nächsten Wochen würden sich alle hoffentlich wieder beruhigen. Es klingelte zur Pause und Kaiba packte seine Sachen zusammen und ging nach draußen, als er hinter sich bekannte Schritte wahrnahm. Er marschierte dennoch weiter in eine ruhige Ecke des Ganges, wo er sich jede Pause aufhielt. Vor einer Fensterfront waren zwei Tische mit ein paar Stühlen darum verteilt. Meist konnte er hier noch etwas erledigen, ohne dass die halbe Schule ihn nervte. Vor ihm hielt Yugi an, der manchmal so einen erwachsenen Eindruck machte. Als hätte er zwei Persönlichkeiten. Es war ganz merkwürdig, doch er wischte die Gedanken beiseite. „Was willst du?“ „Dich fragen, was passiert ist“, antwortete Yugi und setzte sich auf einen zweiten Stuhl. Irritiert schaute Seto auf und musterte ihn einen Moment. Soweit er das mitbekommen hatte, hatte er doch Joey von der Firmenfeier abgeholt, also warum fragte er danach? „Ich denke, Wheeler wird dir alles berichtet haben, oder?“ „Ja, das hat er. Nach vielen Stunden des Weinens konnte er halbwegs zusammenstammeln, was aus seiner Sicht passiert ist, aber ich möchte deine Version auch hören. Denn irgendwo zwischen euren Versionen wird die Wahrheit liegen …“ Er wusste nicht genau, was ihn dazu veranlasste, mit Yugi darüber zu sprechen – vielleicht weil er der erste war, der überhaupt nach seiner Version fragte –, doch er ließ sich darauf ein und antwortete ihm: „Mokuba hatte diese Schnapsidee, mich mit Wheeler zu verkuppeln, indem er sich diesen ganzen Plan mit dem Stellvertreter ausdachte und dass wir ein Paar seien, damit wir gezwungen waren, Zeit miteinander zu verbringen. Ich bin Joey sehr dankbar, dass er sich so gut um meinen kleinen Bruder gekümmert hat, während ich bewusstlos war und ich bin positiv überrascht, was für einen guten Geschäftssinn er scheinbar hat. Dennoch war es Schauspielerei, wenn wir in der Öffentlichkeit aufgetreten sind, zumindest dachte ich das, bis er mir auf der Firmenfeier alles beichtete. Er hatte sich in mein Büro zurückgezogen und hat mir dort alles gestanden. Dass er sich in den vergangenen Wochen in mich verliebt hat und dass ich ein Arschloch sei, weil ich mit ihm geschlafen habe, obwohl ich nichts für ihn empfinde. Nach der Feier hast du ihn abgeholt und das war’s. Ende der Geschichte.“ „Und? Stimmt es?“, hakte Yugi nach, doch Seto wusste nicht, worauf der Stachelkopf hinauswollte. „Was?“ „Dass du mit Menschen schläfst, für die du sonst nichts empfindest“, konkretisierte der Kleine und Seto wusste wirklich nicht, warum er das Gespräch nicht spätestens an diesem Punkt abgebrochen hatte. Es war ihm wirklich ein Rätsel. „Ich hatte damit nie ein Problem. Warum auch? Wann soll ich denn neben Schule, Firma und Mokuba noch Zeit für eine Beziehung finden? Das ist unmöglich, denn leider hat auch mein Tag nur 24 Stunden und Mokuba kommt schon zu kurz.“ „Ja, das kann ich mir gut vorstellen“, murmelte Yugi und schaute ihm in die Augen, als er fortfuhr, „Hör zu. Ich bin dir nicht böse wegen dieser Geschichte. Es ist beschissen gelaufen und Joey hat es definitiv nicht verdient, so unglücklich zu sein, aber ich bin froh, dass du wenigstens an dem Punkt abgebrochen hast, bevor du ihm, im vollen Bewusstsein seiner Gefühle, weiter etwas vorgespielt hättest. Er wird lange brauchen, bis er damit wieder halbwegs klarkommt und ich bitte dich, auf die üblichen Zickereien in Zukunft zu verzichten.“ „Natürlich. Das hatte ich vor … Aber … er wird damit klarkommen?“ „Ich hoffe es … Du musst wissen, Joey ist ein Gefühlsmensch und wenn er sich auf etwas einlässt, dann tut er das zu 100%. Du hast es beim Battle City Turnier selbst gesehen. Er hätte sich für Mai geopfert und er hatte sich im Duell gegen Marik für alle geopfert, wie wir seit Mokuba wissen. Und wenn er jetzt das erste Mal so richtig verliebt ist, wird er auch das zu 100% sein. Und dann so verletzt zu werden – auch wenn du deine Gefühle nicht ändern kannst – wird ihn extrem aus der Bahn schmeißen und bis er alle Teile seines zersprungenen Herzens wieder zusammengesammelt und zusammengesetzt hat, dürfte eine lange Zeit vergehen … Aber Joey ist ein unglaublich starker Mensch und er wird das schaffen.“ Seto schwieg und nickte nur, ehe er den Blick auf seinen Monitor richtete. Er hatte genug gehört und Yugi schien das einzusehen, denn er verabschiedete sich und verschwand aus seinem Blickfeld. Genervt strich sich der Brünette mit einer Hand über das Gesicht und seufzte, als er allein war. Er war dankbar, dass wenigstens einer zu verstehen schien, dass er seine Gefühle nicht bewusst ändern konnte, aber andererseits schien es, als würden seine Gefühle mit aller Macht versuchen, die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Doch er war nunmal kein Gefühlsmensch wie Joey. Das hatte Gozaburo bravourös zu verhindern gewusst. Denn Gefühle bedeuteten Schwäche und er war nicht schwach, verdammt! „Oh doch, Seto. Du bist unfassbar schwach geworden.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch und spürte den Schmerz in seiner Hand, der ihn von seinen Gedanken ablenkte und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Die Stimme verstummte zum Glück sofort. Hier auszurasten, brachte ihn auch nicht weiter. Nein, er konnte sich zu Hause weiter damit befassen. Jetzt musste er zum nächsten Unterricht und danach in die Firma. Das hatte Priorität. Dieser ganze Tag war seltsam, wie Seto schnell festgestellt hatte. Joey war nicht beim Frühstück gewesen, nicht in der Schule, nicht in der Limousine auf dem Weg zur Firma und auch nicht in seinem Büro. Es war ein komisches, unangenehmes Gefühl es bei Tage zu betreten, in dem Wissen, was hier vor drei Nächten passiert war. Seto bemerkte sofort ein paar kleine Flecken auf seinem Schreibtisch. Joeys getrocknete Tränen und darunter noch ein kleiner Blutfleck, weil er sich so stark auf die Unterlippe gebissen hatte. Einen Moment lang hypnotisierte er geradezu die Flecken und strich über sie, ehe es an der Tür klopfte und er heftig zusammenzuckte. Schnell setzte er sich auf seinen Stuhl, holte seinen Laptop heraus und ließ die Person eintreten. Es war Yukiko, mit einem Kaffee in der einen Hand und Unterlagen, die für ihn abgegeben worden waren, in der anderen. Sie stellte die Tasse – wahrscheinlich unbewusst – auf den Flecken ab und legte die Dokumente wie immer daneben. „Danke.“ „Mr. Kaiba?“ „Ja, was gibt es, Yukiko?“ „Stimmt es, dass Mr. Wheeler nicht mehr hier arbeitet?“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte sie, wie sie selbstbewusst, aber dennoch zurückhaltend in ihrem Kostüm vor dem Schreibtisch stand und ihn abwartend anschaute. Sie ließ sich von seinem Blick nicht einschüchtern, sondern straffte sogar noch leicht die Schultern. „Ja, das ist korrekt. Ich bin wieder gesund und übernehme ab jetzt wieder alle Geschäfte. Wieso?“ „Darf ich ehrlich sein?“ „Ich bitte darum“, entgegnete Kaiba, obwohl er keine Lust hatte, eine weitere Lobeshymne auf den Köter zu hören, doch er kannte Yukiko schon lange und sie war eine hervorragende Mitarbeiterin, also würde er es über sich ergehen lassen. „Auch wenn es für mich mehr Arbeit war, war das Arbeiten mit ihnen gemeinsam ein sehr angenehmes. Sie ergänzen sich sehr gut. Und sie schienen deutlich entspannter zu sein als vor dem Unfall, was schön zu beobachten war. Die meisten Kollegen – inklusive mir – sind davon ausgegangen, dass Mr. Wheeler auch nach Ihrer Genesung weiterhin in der Firma an Ihrer Seite arbeiten würde.“ Die meisten Kollegen also? Es wunderte ihn nicht. Er hatte sich bereits selbst davon überzeugen können, wie einfach Joey andere von sich überzeugen konnte und er wusste auch, dass er sich in der kurzen Zeit sehr beliebt gemacht hatte, weil er anders an die Dinge heranging als er selbst. Yuna hatte ihm dies am Wochenende ja auch bestätigt. „Ich fürchte, dazu wird es nicht kommen … Tut mir leid … Bevor ich das vergesse. Veranlassen Sie bitte um 16 Uhr ein Meeting mit Yuuto und Herrn Miyamoto in meinem Büro“, erwiderte er schlicht und damit war das Thema abgeschlossen. „Natürlich, Mr. Kaiba“, sagte sie höflich und Seto war froh, dass er wenigstens von ihr keinen weiteren bösen Kommentar bekam. Seine Nerven waren in den letzten Tagen arg strapaziert worden und er wusste nicht, wie lange er noch so ruhig bleiben konnte. Pünktlich um 16 Uhr waren Yuuto und Mr. Miyamoto in seinem Büro und Kaiba klärte das, was er schon den ganzen Tag hatte tun wollen. „Yuuto, Joey hat doch einen Arbeitsvertrag unterschrieben, oder?“ „Ja, hat er.“ „Den brauche ich jetzt.“ Sein Anwalt schien sich so etwas gedacht zu haben, denn er holte ihn aus einer Mappe hervor und legte ihn vor ihm auf den Tisch. Schnell überflog er ihn, blätterte und stutzte, als er den durchgestrichenen Paragraphen sah, der die Bezahlung regelte. „Was hat das hier zu bedeuten?“, hakte er nach und Yuuto lehnte sich in seinem Platz zurück, als er erläuterte: „Joey hat darauf bestanden, dass ich den Paragraphen streiche. Er wollte kein Geld dafür, dass er Mokuba half. Ich habe nachgefragt, aber er hat immer betont, dass er kein Geld für Hilfe annehmen würde. „Ich tue das für Mokuba, nicht für das Geld“, war seine Ansage. Von daher hat er für seine Zeit hier keinen einzigen Yen bekommen.“ Der Blondschopf erstaunte ihn wirklich immer wieder. Da hatte er sich wochenlang den Arsch aufgerissen, um zu lernen, wie man eine Firma dieser Größe leiten konnte, hatte Überstunden ohne Ende geschoben, seine Freunde kaum gesehen und das alles auch noch für nichts? Nur weil Mokuba ihn darum gebeten hatte? War er ein Engel oder einfach nur blöd? „Deswegen gab es noch keine Überweisung“, murmelte er leise und fuhr dann lauter weiter fort: „Gut, wenn kein Gehalt, dann machen Sie zwei Sonderzahlungen. Einmal über 20 Mio. Yen als Bonuszahlung und einmal über 350.000$ als Prämie für den Geschäftsabschluss mit Takahashi Industries.“ Herr Miyamoto notierte sich alles und schaute ihn irritiert an. „Die zweite Zahlung in Dollar? Ist das korrekt?“ „Ja, das stimmt so. Ich werde Ihnen gleich noch eine Email mit genauen Instruktionen zukommen lassen. Dann bearbeiten Sie diesen Vorgang noch heute. Sie können dann gehen, meine Herren“, sagte Seto und reichte Yuuto den Vertrag zurück. Während Herr Miyamoto pflichtbewusst das Büro verließ, um seiner Aufgabe nachzukommen, blieb Yuuto einfach sitzen und musterte ihn. Seine Autirtät hatte wirklich gelitten in letzter Zeit, stellte er schnaubend fest. „Was ist? Ich bin in den letzten Tagen wirklich genug damit genervt worden …“ „Zurecht. Was bezweckst du mit den Zahlungen? Du weißt, dass Joey das Geld sofort zurück überweisen wird. Sonst hätte er das gleich angenommen. Willst du ihn noch weiter demütigen?“ „Nein, im Gegenteil. Und da du diesen Teil der Geschichte nicht kennst – und ich dich auch nicht einweihen werde – sei so gut und lass mich bitte noch in Ruhe weiterarbeiten. Wie du selbst weiß, gibt es mehr als genug Arbeit, die noch erledigt werden muss“, sagte Seto bemüht höflich und der Anwalt stand Kopf schüttelnd auf. Er murmelte leise etwas, was Seto aber nicht verstand – was wahrscheinlich auch besser so war – und atmete durch, doch er hatte sich zu früh gefreut. Yuuto war in der Tür stehen geblieben. „Ach übrigens. Der LKW Fahrer wird morgen wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Außerdem noch sein Chef, weil dieser die Ruhezeiten der Angestellten manipuliert hat. Die fünf Arschlöcher, die Joey verprügelt haben, sind derzeit in Untersuchungshaft und die Ermittlungen wegen des Todes von Joeys Vater sind wieder eingestellt worden, da deine Beweise und der Bericht des Gerichtsmediziners eindeutig belegen, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist.“ „Sehr gut“, erwiderte Seto knapp und wartete, bis Yuuto sein Büro verlassen hatte. Beruhigt lehnte er sich zurück. Der Fahrer und sein Vorgesetzter würden ihre gerechte Strafe erhalten und Joey das Geld, das ihm zustand. Jetzt konnte der Blonde wenigstens die Schulden abbezahlen und konnte sich darauf konzentrieren, wieder auf die Beine zu kommen, ohne dass er weiter Geldsorgen hatte. Außerdem würden ihn zukünftig alle in Ruhe lassen, wenn die Fünf erst einmal saftig verurteilt waren, und die Polizei sollte ihm auch keine dummen Fragen mehr stellen. Wenigstens das hatte er richtig gemacht. Kapitel 58: Nimm die Hilfe an! ------------------------------ Dienstag, 18.10. Wutentbrannt marschierte Joey durch das Foyer der Kaiba Corporation und stampfte zum Aufzug. Die anderen grüßten ihn freundlich und schienen froh, dass er da war, doch das konnte er nicht von sich behaupten. Er hatte nie wieder hierherkommen wollen, doch dieser Geldsack hatte es geschafft, sein selbst auferlegtes Verbot vergessen zu lassen und sich sofort auf den Weg zu machen. Eigentlich hatte er nur kurz seinen Kontostand prüfen wollen, damit er wusste, was er sich an Essen leisten konnte, als er beinahe in Ohnmacht gekippt war, als er seinen Kontoauszug gesehen hatte. Ihm war sofort klar, woher das Geld kam, also druckte er schnell einen Beleg aus und hatte noch am Schalter den Auftrag gegeben, das Geld zurück überweisen zu lassen, doch die Dame am Schalter hatte ihm nur mitgeteilt, dass das nicht möglich sei. Also hatte er sich sofort auf den Weg hierher gemacht, um das zu klären. Jetzt stand er im privaten Aufzug von Kaiba, den die Empfangsdame für ihn gerufen hatte, damit er niemand anderen sehen musste und war kurz davor, einfach alles zusammenzuschreien. Vielleicht ging es ihm dann ja etwas besser. Drei Tage hatte er es geschafft, den reichen Pinkel nicht sehen zu müssen – nicht mal in der Zeitung oder im Fernsehen – und er wollte gerade anfangen, seine Wunden zu lecken, als das jetzt kam! Er stampfte den Gang zu Setos Büro entlang und nahm nur am Rande wahr, dass Yukiko ihn begrüßte. „Entschuldige, aber ich bin echt sauer! Wir reden ein anderes Mal, ja?“, sagte er knapp und riss die Bürotür auf, ohne anzuklopfen oder sich anderweitig bemerkbar zu machen. Seto saß an seinem Schreibtisch und rieb sich gerade den Nacken, wie er es immer tat, wenn er sich mit einem Problem konfrontiert sah und hielt in der Bewegung inne, als er hereingestürmt kam. Langsam wandte er den Kopf zu ihm und klappte den Laptop zu. „Was soll die Scheiße, verdammt!? Machst du das eigentlich extra???“, wollte Joey wutschnaubend wissen, trat die Tür laut scheppernd zu und klatschte ihm seinen Kontoauszug auf den Tisch. Er blieb stehen, stützte seine Hände auf dem Tisch ab und musterte ihn – fixierte ihn geradezu. Sein Gesicht wirkte hagerer als zuletzt, er hatte leichte Ringe unter den Augen, was für einen schlechten Schlaf sprach und irgendwie machte er auf ihn auch nicht einen so selbstbewussten Eindruck wie sonst. Seine meerblauen Augen sahen anders aus, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte und er konnte nichts mehr in ihnen lesen. Er hatte sich abgeschottet. Vor ihm. Und diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag und seine Wut verpuffte wie eine Seifenblase. Er hätte nicht hierherkommen sollen. Es wäre besser gewesen, wenn er Yuuto oder Roland um Hilfe gebeten hätte. Er und seine Impulsivität. Die brachte ihn jedes Mal auf’s Neue wieder in Schwierigkeiten. Unbewusst ballte er seine Hände zu Fäusten, während sie noch immer auf dem Tisch ruhten. Sein Stolz verbot es ihm dennoch, die Augen abzuwenden und er zählte innerlich einfach von eins an, um sich abzulenken. Seto musterte ihn weiterhin und brach den Blickkontakt auch nicht ab, als er ihm ruhig antwortete: „Du hast hervorragende Arbeit geleistet und dafür steht dir eine Entlohnung zu.“ „Ich habe das aus dem Vertrag streichen lassen! Mokuba hat mich um die Hilfe gebeten und für Hilfe nehme ich keine Gegenleistung an und schon gar kein Geld! Und dein Geld will ich erst recht nicht!“ „Und die Firma wird dir nichts schuldig bleiben. Außerdem kannst du damit die Schulden abbezahlen.“ „Schulden?“, hakte Joey nach und atmete ein paar Mal tief durch. Er konnte unmöglich davon wissen. Oder hatte er etwa hinter ihm her spionieren lassen? Das wäre die absolute Krönung! Noch nicht ausrasten, Joey. Erst zuhören. Danach kannst du immer noch zuschlagen, versuchte er sich innerlich zu beruhigen. „Ja. Erinnerst du dich, als du den einen Morgen dein Privathandy aus Versehen bei mir liegen gelassen hattest?“ Joey nickte langsam. Sein Puls beschleunigte sich und ihm war schlecht. Das konnte doch nicht sein. Das durfte einfach nicht sein. „In dem Moment hat jemand für dich angerufen und ich bin rangegangen, um zu sehen, ob ich dir von diesem Jemand etwas ausrichten soll. Ich habe keine Ahnung, wer das war, aber er sagte mir gut gelaunt, dass er anrief, um dich daran zu erinnern, dass die nächste Rate bald fällig sei. Im Laufe des Gesprächs hat er mir mitgeteilt, dass dein Vater sich bei ihm insgesamt 350.000$ geliehen hat und du das jetzt abbezahlen musst. Deswegen habe ich den Betrag auf dein Konto überweisen lassen. Damit du mit dem Kapitel abschließen kannst.“ „Ist das dein Ernst? Du hast das die ganze Zeit gewusst und mir nichts gesagt?“ Joey zitterte vor Wut. Warum hatte er ihn nicht darauf angesprochen? Was sollte das denn alles? „Was hätte ich denn sagen sollen? Du wärst mir damals genauso an die Gurgel gesprungen, wie du es jetzt vorhast.“ „Ich brauch dein Geld nicht, du Wichser!“, brüllte Joey plötzlich und schlug mit beiden Fäusten auf die Tischplatte. Die harte Tischplatte ließ ihn innehalten, er keuchte schwer und konnte sich durch die Konzentration auf den Schmerz wieder etwas beruhigen. Auf einmal stand Seto ruckartig auf und stützte seine Hände ebenfalls auf den Tisch. Ihre Gesichter waren nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt und Joey versuchte doch noch etwas in diesen eisblauen Augen zu erkennen, doch sie offenbarten ihm nichts. Da war nur Eis. Und in dem Augenblick glaubte Joey, sein Herz hörte endgültig auf zu schlagen. Es gab nichts mehr, wofür er kämpfen konnte. Selbst jetzt, wo sie beide wütend waren, glitzerte in diesem Blau nichts anderes als Kälte. Kaiba hatte mit ihm abgeschlossen und er musste das auch. Alles andere war sinnlos. „Nimm es an, verdammt! Mit diesen Typen scheint ja wohl nicht zu spaßen zu sein! Und ich habe die Hilfe wenigstens angenommen, als man mich dazu gezwungen hat! Du schaffst es ja nicht einmal dann, dir helfen zu lassen! Du hast Mokuba, der Firma und mir so viel in den letzten Wochen geholfen, dass ich dir eigentlich das dreifache hätte zahlen müssen, aber da ich weiß, dass du dich so dagegen sträubst, habe ich mich schon auf das Minimum beschränkt und jetzt sieh zu, dass du die Überweisung machst! Oder ich werde es tun!“ „Du wirst gar nichts tun, verdammt!“, brüllte Joey wieder, schlug mit beiden Fäusten ein zweites Mal auf den Tisch und drehte sich abrupt um. Neben all der Wut, die durch seine Adern waberte, war da noch ein anderes Gefühl, mindestens genauso stark: Verlangen. Er wollte Seto ihn küssen, sich von ihm gegen die Glasfassade pressen lassen und ihn am ganzen Körper spüren. Aber dazu würde es nicht kommen. Kaiba würde ihn sicherlich brüsk von sich stoßen und ihn verachten, wie er seine Gefühle nicht unter Kontrolle halten konnte, nachdem doch alles geklärt war. Es wäre sein größter Fehler gewesen, also stampfte er ohne ein Weiteres Wort nach draußen zu Yukiko, die ihn besorgt ansah. Er lehnte sich an die geschlossene Tür und atmete tief durch. Er spürte das leichte Zittern seines Körpers, die aufkommenden Tränen, weil der Kampf beendet war, noch bevor er ihn starten konnte und hoffte, dass sein Herz noch weiterschlug. Warum schaffte es Kaiba nur jedes Mal, ihn so aus der Fassung zu bringen? Es war zum Verrücktwerden. Aber … vielleicht hatte er recht. Er hatte wirklich viel geleistet und er könnte deutlich besser schlafen, wenn die Schulden abbezahlt wären, zumal es das Geld der Firma war und nicht Kaibas. Es würde also niemanden jucken, wenn er es behielt. Dann war das doch in Ordnung, oder? Er umarmte sich selbst und zitterte noch immer leicht. Aber warum? Vor Wut? Vor Verzweiflung? Vor Verlangen? Weil das kurze Geschrei eben Erinnerungen an seinen Vater geweckt hatte? Er hasste es, wenn andere Menschen brüllten, weil er dann immer sofort seinen alten Herrn vor Augen hatte. Das würde wahrscheinlich nie ganz verschwinden, aber noch war es schrecklich für ihn. Mit der Zeit würde es hoffentlich besser erträglich werden. „ … -ey? Hey Joey!“ Yukiko stand plötzlich besorgt vor ihm und wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum. Überrascht keuchte er auf und starrte sie erschrocken an. „Yukiko!“ „Ja genau, die bin ich. … Was ist los? Kann ich dir helfen? Komm erst einmal mit … Lass uns in die Küche gehen, da kannst du etwas trinken …“, sagte sie beruhigend und schob ihn sanft zu einer offenen Tür, doch Joey schüttelte den Kopf. „Danke Yukiko, aber ich muss weiter. Ich habe noch etwas vor … Ich melde mich die Tage bei dir, ja? Tut mir leid.“ Er versuchte sich an einem leichten Lächeln und verließ schnellstmöglich wieder die Kaiba Corporation. Er ertrug es zurzeit nicht, länger als nötig in dieser Firma zu sein. Auf dem Weg nach Hause beschloss er, Kaibas Geld anzunehmen. Es war ja das von der Firma und nicht sein Privatgeld, also war das schon okay. Und vielleicht hatte er ja auch recht … Er tat sich schwer damit, von anderen Hilfe anzunehmen und auch wenn er seine Freunde hatten, die ihn immer unterstützten, war er in gewissen Dingen doch ein Einzelkämpfer. Das lag an seiner zerrütteten Kindheit, das wusste Joey, doch er kam da auch nicht gegen an. Dass seine Mutter ihn als Kind bei seinem Vater gelassen hatte, während sie Serenity mitgenommen hatte, würde er ihr niemals verzeihen. Erst recht nicht mit der Begründung, dass er doch sowieso wie sein Vater werden würde. Das hatte unglaublich viel Vertrauen gekostet und die Prügelattacken seines besoffenen Vaters hatten es nicht besser gemacht. Deswegen würde er seinen Freunden trotzdem jederzeit sein Leben anvertrauen, aber es gab Dinge, die regelte er allein und was das anging, war er Kaiba sehr ähnlich, wie ihm gerade auffiel. Auch er hatte Dinge, die er allein regelte und wo er sich nicht reinreden ließ. Schnell ging er noch in den Conbini um die Ecke, weil er noch kochen wollte und versuchte die Blicke und das Getuschel der anderen zu ignorieren. Hoffentlich würde er bald wieder in der Anonymität verschwinden können, denn das hier war so unangenehm – als wäre er ein Tier im Zoo, dass alle begaffen konnten. Wie hatte er sich früher nur immer wünschen können, reich und berühmnt zu werden? Dass er so gern im Fernsehen aufgetreten und auf protzigen Veranstaltungen aufgetaucht wäre? Im Nachhinein kam ihm das so lächerlich vor und er konnte es nicht erwarten, wenn wieder Gras über die Sache gewachsen war und fremde Leute ihn nicht mehr weiter wahrnahmen. Dann hätte er endlich sein Leben zurück. Seufzend schloss er die Tür zu seiner Wohnung auf und räumte seine Einkäufe in die Küche. Er kochte sich ein paar Nudeln mit Tomatensauce und setzte sich vor seinen Fernseher, doch es lief nichts Spannendes, also schaltete er ihn nach ein paar Minuten wieder ab. Wie schon die letzten Tage langweilte er sich, doch das Treffen vorhin hatte ihm gezeigt, dass er noch nicht bereit war, in die Schule zu gehen. Das riss viel zu viele Wunden auf und er wollte sich die Blöße nicht vor den anderen Schülern geben. Die hatten ihn schon gneug Nerven gekostet, da musste er ihnen nicht noch mehr Munition geben. Die Zeit nach der Veröffentlichung der Trennung würde sicherlich noch schlimm genug werden. Da wollte er wenigstens ein paar der anderen Wunden bereits geleckt haben. Also nahm er sich sein Handy und seine Kopfhörer und hörte wieder Linkin Park. Die Musik wühlte ihn unglaublich auf und im selben Moment beruhigte sie ihn wie sonst nichts derzeit. Dabei räumte er weiter seine Wohnung ein, womit er fast fertig war und bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging. Es war weit nach 22 Uhr, als er die Kopfhörer wieder rausnahm und sich in sein Bett legte, dass er gestern noch aufgebaut hatte und versuchte einzuschlafen. Doch wie schon die letzten Tage holten ihn die Küsse und Nächte mit Kaiba ein, wie er ihn verführt und begehrt hatte und mit geschlossenen Augen glaubte Joey, die Berührungen noch einmal zu spüren. Die Fingerkuppen, die geradezu federleicht über seinen Bauch strichen und seine Muskeln nachfuhren, die Lippen an seinem Hals, die ihn liebkosten und das Feuer in den meeresblauen Augen, dass er nur an ihn dachte und an nichts anderes. Doch plötzlich war da wieder die Realität. Wie eine kalte Dusche prasselte sie über ihn herein und der Blondschopf krallte eine Hand in das Laken neben sich. Da war niemand. Er war allein und es war ein so bitteres Gefühl, weil er wusste, dass all das Vergangenheit war. Dass es einfach nicht mehr zurückkommen würde. Und es machte ihn rasend, dass es so war. Vor Wut schrie er in sein Kopfkissen, um die Nachbarn nicht zu ärgern, doch es half einfach nichts. Es wurde einfach nicht besser. Der Schmerz blieb und je mehr er sich dagegen wehrte, desto schlimmer wurde. Wie ein Stachel, der sich immer tiefer grub. Den er noch nicht bereit war, zu greifen und herauszuziehen. Er konnte es nicht. Kapitel 59: Zurechtweisung des kleinen Bruders ---------------------------------------------- Dienstag, 18.10. Kaiba hatte sich nach dem Treffen mit Joey regelrecht in die Arbeit gestürzt. Das lag nicht daran, dass der Blonde sich so schwer damit tat, Hilfe anzunehmen, sondern daran, dass er Joey in dem Augenblick am liebsten geküsst hätte. Erst danach war ihm bewusst geworden, dass das der Moment gewesen war, wo er vielleicht noch ein bisschen hätte geradebiegen können, doch er hatte sie verstreichen lassen. Dafür war er zu wütend auf den Blonden gewesen, dass er lieber allein litt, als das Geld anzunehmen, um wenigstens eine Last loszuwerden. Und er konnte ihm noch nicht einmal böse sein, denn er jammerte nicht rum, wie grausam das Leben war. Im Gegenteil. Er stellte sich diesen Situationen allein, kämpfte immer weiter und schaffte es immer irgendwie, einen Ausweg zu finden und weiterzugehen. So wie er. Es war ihm abends bei einer Diskussion mit Mokuba klar geworden, dass sie in diesem Punkt gleich tickten. „Mokuba, wir müssen reden“, sagte Seto ruhig, als sie beim Abendessen saßen. Es war Sonntagabend und diese Zeit gehörte grundsätzlich ihnen beiden. Doch der Kleine hatte sein Essen schnell heruntergestürzt und war schon wieder auf dem Weg in sein Zimmer. „Und worüber?“, wollte er wissen und Seto drehte sich zu ihm. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen, okay?“ „Ja okay …“ Seto legte das Besteck beiseite und folgte Mokuba, der sich in eine Ecke des Sofas setzte und die Beine anzog. Alles an ihm schrie nach Abwehrhaltung und Seto seufzte innerlich. Er wollte nicht, dass sie gedanklich so weit weg waren. Mokuba war sein Rettungsanker – schon immer gewesen – und er wollte nicht, dass es dem Kurzen so schlecht ging. Sein Glück war auch sein eigenes Glück. „Moki, ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kannst doch nicht von mir verlangen, auf Knopfdruck Gefühle für Joey zu entwickeln.“ „Nein, das tu ich auch nicht. Ich dachte nur … Ich dachte, dass da schon welche wären“, murmelte der Kurze, hielt inne und fuhr nach kurzer Pause fort, „Ich bin mir sogar sicher, dass da welche sind! Aber du kannst das nicht einsehen, oder? Du wirktest viel befreiter und entspannter, als Joey hier war. Du hast sogar mal wieder gelacht nach all den Jahren. Das kann man nicht schauspielern, Seto.“ „Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, kleiner Bruder, aber … Gozaburo hatte seine Erziehungsmethoden, wie du weißt und er hat mich jahrelang gelehrt, dass Gefühle nur im Weg sind. Wenn ich ein erfolgreicher Geschäftsmann werden wollte, musste ich sie tief in mir einschließen. Die Jahre, die ich dort war, waren sehr prägend für mich und dass ich nicht durchgedreht bin, lag einzig und allein an dir. So eine Erziehung hinterlässt seine Spuren … Ich kann nicht wie Joey einfach über meine Gefühle sprechen. Ich höre dann immer wieder Gozaburos Stimme in meinem Kopf.“ Es war das erste Mal, dass er das aussprach und es fühlte sich so seltsam an. Doch sein kleiner Bruder war der einzige, dem er sich anvertrauen konnte, denn er war ebenfalls dort gewesen und könnte das noch am ehesten nachvollziehen. „Aber du versuchst doch nicht mal, Hilfe anzunehmen!“, erwiderte der Kleine entschieden, doch der Brünette widersprach: „Das ist nicht wahr, Mokuba. Und das weißt du auch. Wenn ich sie verweigert hätte, hätte ich Joey schon viel früher rausgeschmissen.“ „Hast du denn mit ihm gesprochen? Über Gozaburo? Ihm gesagt, was du mir eben gesagt hast? Joey schien doch selbst Probleme mit seinem Vater zu haben, also hätte er dir sicherlich zugehört!“ Seto seufzte leise. Sein kleiner Bruder verstand einfach nicht, dass er nur bei ihm so offen reden konnte, weil sie beide bei Gozaburo gewesen waren. Joey würde das volle Ausmaß nicht verstehen können und das nahm er ihm nicht einmal übel. Außerdem hatte dieser seine eigenen Probleme, da musste er ihn nicht auch noch mit seinen Dingen belästigen. Nein, das war seine Privatangelegenheit. „Du liebst Joey. Aber du bist so auf Gozaburo fixiert und darauf, ihn zu übertrumpfen, dass du dich selbst und die anderen Leute außerhalb ignorierst! Dabei ist Gozaburo tot! Er ist egal! Seto, du musst mit ihm reden. Er wird dich verstehen. Und er wird dir helfen können, weil er selber Probleme mit seinem Vater hat. Stoß ihn nicht weg, Seto. Ich bitte dich. Er liebt dich.“ „Gib mir Zeit, kleiner Bruder. Ich kann meine Erziehung nicht in ein paar Tagen vergessen oder ignorieren. Und ich weiß nicht, was ich für ihn empfinde. Das ist nicht so einfach.“ „Doch, das ist es. Rede dich nicht immer raus, wenn es um Gefühle geht, Seto! Ich habe das immer akzeptiert, aber jetzt, wo du so glücklich ausgesehen hast, lasse ich nicht zu, dass du wieder zumachst“, verkündete der Kleine und sprang vom Sofa. Er wuselte zur Tür und drehte sich noch einmal um. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sagte er: „Ich hab dich lieb, großer Bruder. Und ich will, dass du glücklich wirst.“ „Ich hab dich auch lieb, kleiner Bruder. Schlaf schön.“ Mokuba verließ das Wohnzimmer, schloss leise die Tür und ließ ihn allein zurück. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf auf die Rückenlehne und schloss die Augen. Sofort sah er Joey vor seinem inneren Auge, wie er ihn anlächelte und fühlte, wie die anderen Gedanken davon trieben, wie sich seine angespannten Muskeln lösten und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Aber war das schon Liebe? Er hatte so etwas noch nie zuvor gefühlt und war sich nicht sicher, ob das, was da in ihm war, wirklich schon groß genug war, um es als dieses große Wort zu bezeichnen. Irgendwie kam es ihm dafür zu lapidar vor, was in seinem Inneren vorging. Nein, Moki irrte sich. Er hatte mittlerweile Respekt für ihn, begehrte seinen Körper, weil er so einzigartig war und fühlte sich wohl bei ihm, aber mehr war da nicht. Und jetzt? Er hatte den Punkt verpasst, um Joey zurückzugewinnen. Er hatte ihn nicht wahrgenommen und jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihm war bei dem Gespräch mit seinem kleinen Bruder klar geworden, dass er schon etwas für ihn empfand, auch wenn ihm noch nicht klar war, was genau. Dass er deswegen unentwegt an ihn dachte. Dass er deswegen nachts besser schlafen konnte, wenn er ihn noch leicht roch. Aber er war in diesen Gefühlsdingen nicht so bewandert – man konnte wohl sagen, er war unsicher – und jetzt hatte er den einen verstoßen, den er wollte. Mit dem er nicht nur schlafen wollte, sondern Zeit verbringen. Den einen, der ihn vielleicht wirklich verstehen konnte. Das Klingeln des Geschäftshandys riss ihn aus seinen Emails und reflexartig griff er es vom Tisch, schaute aber nicht auf das Display. Er nahm ab und begrüßte den Anrufer, während er auf ein paar Graphen aus der Verkaufsabteilung schaute. „Hier Seto Kaiba. CEO der Kaiba Corporation.“ „Guten Abend Herr Kaiba. Hier ist Wagner, der Europachef. Ich melde mich wegen des letzten Gesprächs mit ihrer Vertretung Herrn Wheeler. Wir hatten über Markenbotschafter und Influencer gesprochen, die uns helfen, unsere Produkte zu bewerben. Hat er Ihnen davon berichtet?“ „Ja, hat er. Konnten Sie welche finden?“ Er erinnerte sich daran, dass Joey das bei ihm angesprochen hatte und auch in eine seiner Zusammenfassungen geschrieben hatte. Ordentlich, wie der Blondschopf hier gewesen war, hatte er für jeden Arbeitstag eine Zusammenfassung seiner Gespräche und Entscheidungen geschrieben, sauber sortiert nach Themen und Prioritäten, sodass er auch jetzt noch jeden Schritt nachvollziehen konnte. Während seinem Europachef zuhörte, der ihm ein paar Namen und Konditionen erläuterte, öffnete er das betreffende Dokument und las alles noch einmal schnell nach. „Was halten Sie von den Leuten?“ „Der eine Name sagt mir nichts, aber ich werde mal ein wenig nachforschen. Die anderen Drei sind in Ordnung, aber bevor Verträge unterschrieben werden, möchte ich Sie gern persönlich kennenlernen. Da ich Ende des Monats sowieso zu Ihnen fliege, laden Sie die Vier bitte zu Gesprächen ein. Ich möchte mich gern davon überzeugen, dass sie wirklich zu uns passen.“ „Selbstverständlich.“ Er hörte, wie im Hintergrund etwas getippt wurde und Seto lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick fiel auf Joeys Personalmappe und noch ehe er sich zurückhalten konnte, fragte er: „Wie sieht es in Europa mit dem Personal aus? Gibt es Knappheiten? Gemeinsam mit ein paar anderen arbeite ich gerade ein neues Konzept aus, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden und das wird später natürlich auch auf das Europa HQ zukommen. Daher bräuchte ich eine Liste mit Punkten, die in Europa besonders sind, um sie berücksichtigen zu können.“ „Die kriegen Sie innerhalb der nächsten 2 Wochen. Und ich denke, eine Reform des Personalwesens ist sinnvoll, da unsere Strukturen – um ehrlich zu sein – etwas veraltet sind. Daher begrüße ich den Schritt sehr und werde Sie da bestmöglich unterstützen. Gibt es schon erste Ideen, wenn ich fragen darf?“ Kaiba verkniff sich, ihm zu sagen, dass er alles fragen dürfte, aber keine Antwort erwarten sollte. Kurz schloss er die Augen, rieb sich über das Gesicht und hatte sofort das Hündchen vor Augen. Sein freches, herausforderndes Grinsen strahlte ihm entgegen und dann noch seine Worte: „Kaiba, sei kein Idiot. Lass mich dir beweisen, dass das die Firma weiterbringen wird. Darum geht es doch schließlich.“ Er hatte recht. Es ging um das Unternehmen, also sollte er jetzt kidisch antworten, sondern grobe Eckpunkte vorstellen. In so einem informellen Rahmen war das eine gute Möglichkeit, damit sich Herr Wagner bis zum Meeting Ende des Monats schon einmal ein paar Gedanken machen konnte. „Ja, die gibt es. Joey hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt und ein Konzept vorgelegt, dass ich derzeit noch durcharbeite. Unter anderem geht es darum, eine Gleitzeit einzuführen, bzw. im Kundendienst ein Schichtsystem. Die Mitarbeiter sollen freier darüber entscheiden können, wie mit ihren Überstunden umgegangen wird – natürlich in enger Absprache mit dem Abteilungsleiter. Desweiteren werden wir in Zukunft sämtliche Arbeitsprozesse verschriftlichen, damit sie für jeden einsehbar sind und Dokumentationen für die verschiedenen Programme erstellen. Zuguterletzt spiele ich mit dem Gedanken, ob es sinnvoll ist, den Abteilungen ein Budget für firmenfinanzierte Ausflüge zu gewähren. Da muss ich aber noch die Zahlen anschauen. Sie können sich ja noch Gedanken machen, welche Knackpunkte Sie für Europa sehen.“ „Natürlich, das mach ich. Aber das klingt sehr vielversprechend. Da hat Herr Wheeler ganze Arbeit geleistet.“ „Ja, das hat er. Also ich muss weitermachen. Wir sehen uns dann in zwei Wochen.“ „Natürlich, einen schönen Abend noch.“ Kaiba erwiderte den Gruß und legte dann seufzend auf. „Da hat er wohl ganze Arbeit geleistet, ja …“, wiederholte er murmelnd und starrte einen Moment lang in Nichts. Ein Blick auf die Uhr im Laptop verriet ihm, dass er schon lange hätte zu Hause sein sollen. Also packte er seine Sachen zusammen, schaltete den Laptop aus und verließ das Büro. Er fuhr in seinem privaten Fahrstuhl bis in die Tiefgarage, stellte mit einem kurzen Blick fest, dass sie bis auf sein Auto komplett leer war und stieg in seinen Wagen. Langsam rollte er über das Firmengelände und ordnete sich in den Verkehr ein. Zwar war bereits kurz nach 23 Uhr, doch es war überraschend voll für diese Uhrzeit. Nur schleppend kam er vorwärts und genervt seufzte er auf, als eine Ampel vor ihm auf rot sprang. Also wartete er darauf, dass grün wurde, als es plötzlich blitzte und irritiert schaute er sich um. Auf dem Fußgängerweg stand ein älterer Mann mit einer Kamera und grinste ihn kurz an, als er gut gelaunt davon schlenderte. Na toll, wieder ein Paparazzo. Damit war ihm eine Meldung in der Klatschpresse mal wieder sicher. Es war so anstrengend. Und so nervig. Kaum, dass es endlich grün wurde, beschleunigte Seto und fuhr davon. Mittlerweile konnte er wieder ganz gut allein im Wagen sitzen und dachte nicht sofort an den Unfall, aber ein flaues Gefühl im Wagen war nach wie vor da. Das würde auch noch eine Zeit so bleiben, hatte ihm der Hausarzt erklärt und Kaiba schnaubte. Immerhin kümmerte sich Yuuto mit der Rechtsabteilung darum, dass der Typ und sein unverantwortlicher Vorgesetzter bekamen, was sie verdient hatten. Zuhause angekommen, schaute er kurz bei seinem kleinen Bruder rein, der bereits schlief und gab ihm noch ein kurzes Küsschen auf die Stirn. Moki brabbelte irgendetwas sabbernd und schmunzelnd ließ er ihn in Ruhe weiterschlafen. In seinem Zimmer duschte Seto kurz und legte sich dann direkt ins Bett. Es war Mitternacht und morgen musste er wieder fit sein. Auch wenn sein Körper nach noch mehr Ruhe verlangte, würde er ihm diesen Gefallen nicht tun können. Da Joey nicht mehr da war, musste er es allein schaffen. Und das würde er auch. Vor dem Unfall war das schließlich auch nie ein Problem gewesen. Kapitel 60: Kaffeetrinken mit Yuuto ----------------------------------- Mittwoch, 19.10. „Hallo Joey, schön dich zu sehen“, grüßte Yuuto lächelnd und trat an den Tisch heran, an dem er bereits saß. Der Blonde bemühte sich, das Lächeln zu erwidern, doch die morgendliche Klatschpresse, die ihm beim Einkaufen aufgelauert hatte, hatte seine Laue ziemlich verhagelt. Nur weil Kaiba letzten Abend allein von der Firma nach Hause gefahren war, waren die gleich ausgerastet und zu seiner Wohnung, um zu warten, bis er diese verließ. Nichts ahnend war er nach draußen getreten und hatte jeglichen Kommentar verweigert, als sie ihn belagert hatten. Es waren um die zwei Dutzend dieser windigen Typen gewesen und es hatte nicht viel gefehlt und er hätte eine große Prügelei ausgelöst. Es war einfach widerwärtig, wie die jedes Detail wissen wollten und einem ungefragt auf die Pelle rückten. Es war ihm klar geworden, warum Prominente immer Sonnenbrillen trugen, wenn sie in zivil das Haus verließen. Dann blendeten die Blitze nicht ganz so sehr und man sah nicht nur Sternchen, so wie es ihm passiert war. Nach ein paar Minuten hatte er sie zwar abwimmeln können, aber genervt war er noch immer. „Hi Yuuto, ich freu mich auch.“ „Ehrlich gesagt siehst du nicht wirklich danach aus …“, fing Yuuto mit ienem kleinen Lächeln an, doch Joey schüttelte den Kopf. „Heute Morgen haben mich ein paar Reporter und Fotografen belagert, als ich einkaufen wollte. Das hat mich genervt, hat nichts mit dir zu tun. Ich finde es nur noch immer unfassbar, wie sehr die einen als Objekt ansehen. Wie geht es dir?“ „Ach ja, weil Seto gestern allein nach Hause gefahren ist. Hab ich heute Morgen auch kurz gesehen“, murmelte Yuuto seufzend und Joey nickte. „Mir geht es soweit ganz gut. Wie sieht es bei dir aus?“ Besorgt, aber auch einen Funken neugierig schauten ihn die wachen Augen des Anwalts an und er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als eine junge Frau an ihren Tisch herantrat. Sie trug die typische Kleidung des Ladens und hatte einen Notizblock und einen Kugelschreiber bereit. „Darf ich Ihnen etwas bringen?“, fragte die Bedienung freundlich und musterte die beiden Männer kurz, als sie große Augen bekam und hinzufügte: „Sind Sie etwa Joey Wheeler? Der Duellant und Partner von Seto Kaiba?“ „Ja, der bin ich … Könnten Sie uns bitte zwei Milchkaffees bringen? Möchtest du noch etwas Essen?“, hakte er nach und Yuuto bestellte sich noch ein kleines Sandwich dazu, während sich Joey für ein Stück Kuchen entschied. Nach dem Vormittag war Nervennahrung genau das richtige für ihn und ab morgen wollte er wieder mit dem Sport durchstarten, da konnte er sich das auch erlauben. Die Bedienung wuselte sofort wieder davon, traute sich anscheinend nicht, ihn noch weiter zu nerven und der Blondschopf seufzte. Er wollte gar nicht so pampig sein, aber wenn gefühlt jeder zweite Mensch auf der Welt ihn ansprechen wollte, ging das irgendwann sogar ihm auf den Geist. „Na, berühmt zu sein ist doch nicht so cool, oder?“ „Nein, nicht wirklich … Wenn ich daran denke, dass ich das früher unbedingt werden wollte, wünschte ich, ich hätte jetzt mein Privatleben wieder ganz für mich“, brummte Joey und schaute sich etwas um. Es war ein kleines Bistro, dass aber auch wie ein Cafe Kuchen und Torten anbot und er war nur ein paar Mal vorher hier gewesen, dass es recht nobel war, doch ihm gefiel der Laden. Es war alles im klassischen westlichen Stil eingerichtet und es gab kleine Sitzecken, sodass man ein wenig seine Ruhe hatte. Die Farben des gesamten Ladens – weiß und verschiedene Blautöne – erinnerten ihn an den weißen Drachen mit eiskaltem Blick. Vielleicht hatte er es unbewusst deswegen ausgesucht. Er hatte sich in die hinterste Ecke zurückgezogen, da man sie nicht vom Eingang aus sehen konnte. So konnten sie hoffentlich etwas in Ruhe plaudern, auch wenn die Angestellte ihn erkannt hatte und er glaubte, dass andere Gäste tuschelten. Du meine Güte, wurde er langsam etwa paranoid? Die Gespräche hatten bestimmt nichts mit ihm zu tun, sondern drehten sich um die alltäglichen Probleme, die diese Leute hatten. Er musste sich entspannen. „Naja, mir geht es jedenfalls relativ gut … Solange ich sein Gesicht nirgendwo sehen muss … Dann ist alles sofort wieder da“, murmelte Joey leise seufzend und schaute zu Yuuto rüber, der verstehend nickte. „Ja, das glaube ich dir. Ich war geschockt, als das so eskaliert ist. Mir ist einfach schleierhaft, wie er –“ Yuuto wollte sich in rage reden und Joey konnte sich in etwa vorstellen, worauf er hinauswollte. Dass er doch einen ganz anderen Eindruck auf ihn gemacht hätte und davon ausgegangen war, dass auch von seiner Seite aus etwas gewesen wäre, doch er wollte – nein, er konnte – das jetzt nicht hören, weshalb er ihn sanft unterbrach: „Schon gut. Wenn er keine Gefühle für mich hat, ist es besser, wenn es jetzt endet als später … Ich kann ihn schließlich schlecht dazu zwingen. Es tut halt nur weh, weil ich etwas anderes gehofft hatte … In ein paar Wochen geht es mir wieder gut. Dann mache ich meinen Abschluss und starte neu durch.“ Er nickte der Bedienung zu, die ihnen die Getränke und das Essen servierte und wandte sich seinem Gesprächspartner zu. Im Augenwinkel bemerkte er, dass sie noch kurz unschlüssig stehenblieb, sich dann aber einen Ruck gab und verschwand. „Das hört sich gut an. Weißt du denn schon, was du machen möchtest?“ „Ja. Ich habe ein Angebot von Duke bekommen, bei ihm einzusteigen und nach den Erfahrungen, die ich sammeln konnte, könnte ich mir sehr gut vorstellen, das anzunehmen. Aber genaueres wollen wir erst später besprechen. Jetzt ist es dafür noch zu früh.“ „Ah, du meinst Duke Devlin, oder? Der mit den Dungeon Dice Monsters?“ Joey nickte und trank noch einen Schluck seines Kaffees. „Ja genau den. Er geht in die gleiche Klasse und hat uns beim Battle City Turnier begleitet und geholfen“, antwortete der Blondschopf murmelnd und starrte kurz durch die Tasse in seiner Hand ins Nichts. Das Battle City Turnier. Er konnte Serenity gut verstehen, dass sie noch Alpträume hatte. Es grenzte einem Wunder, dass es ihm nicht ebenso ging. Die Duelle waren krass gewesen – in jeder Hinsicht. Das Spiel der Schatten gegen Marik hatte ihm so abverlangt, aber er würde es jederzeit wieder tun. Er hatte Mais Seele weggesperrt und das hatte er nicht ungestraft gelassen. Noch immer ärgerte er sich maßlos darüber, dass er bewusstlos geworden war, ehe er ihn hatte besiegen können. Es war in seiner Macht gewesen und er war umgefallen. Vielleicht hatte Kaiba recht, dass er ihn für schwach hielt. „Woran denkst du gerade?“, erkundigte sich die ruhige, sanfte Stimme des Anwalts und er antwortete sofort: „Ich glaube, Kaiba hat recht, dass ich schwach bin. Ein Idiot und Trottel.“ „Wie kommst du darauf?“ Die Überraschung in Yuutos Stimme war deutlich herauszuhören. Um sich irgendwo festhalten zu können, umklammerte er mit beiden Händen seine Kaffeetasse und entgegnete: „Ich hätte damals gegen Marik nur noch ein Monster spielen müssen, stattdessen bin ich einfach bewusstlos geworden. Und gegen meinen Vater habe ich mich auch nie erfolgreich wehren können. Ruhe habe ich nur, weil er sich zu Tode gesoffen hat. Das ist doch erbärmlich.“ Nein, schlimmer noch: Es war ihm unendlich peinlich, wie schwach er war. Wie hatte er sich nur einbilden können, ein cooler Typ zu sein? „Joey, hör mir zu.“ Leicht nickte er, hatte aber keine Kraft, den Kopf zu heben. „Ich habe das Duell damals nicht gesehen, aber nach dem Turnier haben mir Mokuba und Seto davon berichtet. Der Kleine war damals ganz außer sich gewesen, weil du dieses Duell fast gewonnen hättest und er hat dich richtig dafür bewundert. Minutenlang schwärmte er davon, wie du dem Typen die Stirn geboten hättest und ich grinste vor mich hin, als sich Seto nachdenklich zu Wort gemeldet hatte. Er sagte: Zugegeben hat der Köter Durchhaltevermögen bewiesen. Wir schauten ihn irritiert an, weil Respektsbekundungen bei ihm nunmal Seltenheitswert haben und Mokuba erwiderte nur grinsend, dass er dich nun doch als Duellanten respektierte oder wie sollte er das verstehen. Und Kaiba erklärte, dass es an ein Wunder grenzte, dass du nach dem Angriff des Ras tatsächlich noch kurz auf den Beinen gestanden hättest. Du bist nicht schwach gewesen, Joey. Das warst du nie. Sich gegen die Familie durchzusetzen, ist nie leicht. Es ist eine schwere Zeit für dich, aber du wirst sie schaffen und noch stärker zurückkehren.“ „Danke Yuuto, nett von dir. Wahrscheinlich lassen mich meine Nerven wirklich gerade einfach nur im Stich, aber seit dem Streit fühle ich mich so … so allein. Dabei weiß ich, dass ich viele, tolle Freunde habe, aber irgendwie … Ach, ich weiß auch nicht.“ Yuuto nickte leicht und schwieg etwas, wofür der Blondschopf dankbar war. Er brauchte einen Moment, um sich durch sein Gedankenchaos zu kämpfen. Nicht nur, dass er sich beschwissen fühlte, nein, jetzt war da auch noch ein kleines Leuchten in seinem Inneren. Kaiba hatte damals schon Respekt für ihn entwickelt? Weil er dem Ra kurzzeitig widerstanden hatte? Das konnte er kaum glauben, aber der Anwalt hatte ihn noch nie angelogen und weil es hier nicht um irgendwelche Gefühle ging, glaubte er ihm. Und es ließ ihn irgendwie schweben und andererseits im Strudel der Gefühle untergehen. Scheiße, das konnte doch alles so nicht weitergehen! Er musste sich zusammenreißen! „Ach ja, bevor ich es vergesse. Diesen Umschlag hat mir noch die Grafikabteilung gegeben. Ich soll ihn dir geben.“ Yuuto holte einen A4 Umschlag aus seiner Aktentasche und legte ihn vor ihm auf den Tisch. Interessiert musterte er ihn, aber draußen stand nur: Für Joey. Um sich von seinen Gedanken abzulenken, nahm er ihn und lugte hinein. Anscheinend waren mehrere Blätter hineingelegt worden und neugierig holte er sie heraus. Nach einem kurzen, prüfenden Blick waren es Ausdrucke des Grafikabteilung. Offenbar waren es die letzten Bilder für das Spiel, die noch einmal korrigiert werden sollten. Er schob sie bis auf den Brief zurück in den Umschlag, um diesen kurz zu lesen: „Hallo Joey, wir hoffen sehr, dass es dir bald wieder gutgehen wird. Yuuto war so freundlich, uns zu erklären, was passiert ist, was hoffentlich ok ist! Zugegebenermaßen haben wir ihn ziemlich belagert, bis er kleinbei gegeben hat. Aber mach dir keine Sorgen, wir werden alle dicht halten. Hoffentlich kommst du schnell wieder auf die Beine. Verdient hast du es und wir würden uns freuen, wenn wir dich bei Gelegenheit mal treffen könnten. Das Arbeiten mit dir war immer cool und es hat großen Spaß gemacht! Im Umschlag sind noch die letzten Konzeptbilder, die von dir noch nicht geprüft wurden. Wenn es für dich in Ordnung ist, würden wir uns sehr freuen, wenn du sie dir mal anschauen könntest. Sollte es zu viele Wunden aufreißen oder du nichts mehr mit der Kaiba Corporation zu tun haben wollen, gib den Umschlag einfach Yuuto wieder mit. Wir verstehen das! Also bis hoffentlich bald und alles, alles Gute, die Grafikabteilung“ Gerührt las Joey den Brief ein zweites Mal. Er fühlte sich geehrt, dass sie ihm extra den Brief geschrieben hatten und auch wenn er Kaiba nicht sehen wollte, hieß das ja nicht, dass er den Leuten nicht helfen konnte. Immerhin konnte er die Grafiken zu Hause einscannen und Kommentare dazu schreiben. Wenn es ihnen weiterhalf, wollte er es gern tun. Außerdem waren dann im neuen Spiel alle Grafiken von ihm korrigiert worden. Das machte ihn schon etwas stolz. Also legte er den Brief wieder vorsichtig in den Umschlag zurück und packte ihn ein. „Grüß sie ganz lieb von mir und richte Ihnen bitte aus, dass wir uns wiedersehen werden.“ Yuuto lächelte und nickte. „Natürlich, das mache ich. Und was machst du in den nächsten Wochen? Schaffst du es zur Schule zu gehen?“ „Ja. Wenn ich erst einmal die Trennung bekannt gegeben habe und alle Bescheid wissen, werde ich nächste Woche wieder zur Schule gehen. Ich brauche einen möglichst guten Abschluss für meine Zukunft. Und nur wegen der Gefühle werde ich den nicht auf’s Spiel setzen.“ „Gut so. Ich bin mir sicher, dass du das packen wirst. Und wenn du Hilfe brauchst, weißt du ja, wie du mich erreichen kannst“, meinte Yuuto und aß den Rest seines Sandwichs. Joey machte sich über sein Stück Kuchen her und lächelte leicht dabei. Dass die Jungs und Mädels ihm einen Brief geschrieben hatten, machte ihn sehr glücklich und sobald er zu Hause war, würde er sich direkt an die Arbeit machen. Nach dem Essen hatte sich Joey noch etwas mit Yuuto über belanglose Dinge unterhalten, bevor er sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte. Es war mittlerweile später Nachmittag und da er am Morgen alles eingekauft hatte, schlenderte er ohne Umwege zu seiner Wohnung zurück. Dort angekommen setzte er sich vor seinen neuen Laptop und Drucker inkl. Scanner und Kopierfunktion und holte den Umschlag mit den Entwürfen heraus. Den ganzen Abend lang machte er sich Notizen, korrigierte kleinere Fehler und beschrieb, was ihm gefiel. Dann scannte er die Grafiken ein und schickte der Abteilung eine Email mit lieben Grüßen und dem Versprechen, dass sie sich bald wiedersehen würden. Erschöpft, aber zufrieden ließ er sich gegen Mitternacht auf das Bett fallen und es dauerte keine viertel Stunde, da war er schon eingeschlafen. Kapitel 61: Überlegungen ------------------------ Freitag, 21.10. Die Arbeit war Seto in diesen Tagen deutlich schwerer gefallen. Er hatte sich sogar dabei erwischt, wie er allein im Büro saß und Joey gebeten hatte, ihm Dokumente zu geben, obwohl er gar nicht da gewesen war. Es war alles so … einsam ohne ihn. Aber er selbst hatte dem Blondschopf klar gemacht, dass er nichts fühlte und er konnte Joey jetzt nicht wieder etwas anderes erzählen und den Kleinen in noch größeres Chaos stürzen. Er hatte am Dienstag die verletzten Augen gesehen und ihm war schlecht geworden, als er daran gedacht hatte, dass er die Schuld dafür trug. Nun aber starrte er auf seinen Monitor – er musste sich von seinen Gedanken ablenken – und traute seinen Augen nicht. „Yukiko?“, fragte er, nachdem er eine Taste auf seinem Telefon gedrückt hatte und sie antwortete augenblicklich. „Ja, Mr. Kaiba?“ „Holen Sie Mrs. Tanaka her. Ich will sie in fünf Minuten in meinem Büro sehen.“ „Natürlich.“ Um sicherzugehen, dass er das richtig gesehen hatte, überprüfte er die Email noch einmal, doch es gab keinen Zweifel. Er hatte sich nicht getäuscht. Pünktlich fünf Minuten später betrat Mrs. Tanaka, eine junge, blonde Frau in einem Kostüm das Büro. Sie erinnerte Seto immer an Mai, wenn er sie sah, auch wenn sie nicht so mit ihren Reizen spielte wie die Duellantin. Aber ansonsten waren beide selbstbewusst, beide hatten ein Faible für kurze Röcke und hatten lange, blonde Haare. „Was gibt es, Mr. Kaiba?“, fragte sie, nachdem sie auf einem Stuhl Platz genommen und die Beine überschlagen hatte. Sie lehnte sich entspannt zurück und legte die Hände auf ihren Schoß. Normalerweise waren Angestellte nervöser, wenn sie in sein Büro zitiert wurden, und es schmeckte ihm nicht, wie leicht sie diesen Besuch anscheinend nahm. „Was haben Sie hierzu zu sagen?“, verlangte er zu wissen und drehte seinen Monitor, sodass sie seinen Bildschirm sehen konnte. „Das ist die E-Mail mit den fertigen Konzeptgrafiken, die ich Ihnen weitergeleitet habe. Es sind jetzt alle komplett.“ „Das sehe ich auch. Aber Wheeler arbeitet nicht mehr für dieses Unternehmen, also warum haben Sie ihm die Entwürfe zukommen lassen?“ Seine Stimme war kalt wie Eis. Das war Verrat von Geschäftsgeheimnissen und er konnte sie auf der Stelle feuern. Warum war sie nicht nervös deswegen? Sie sah vollkommen ruhig aus, als ob sie nichts Falsches getan hätte. Hatte er in den letzten Wochen so viel Autorität eingebüßt? Das musste er dringend wieder ändern! Niemand – absolut niemand – tanzte ihm auf der Nase herum. Angestellte erst recht nicht. „Nun, ich wollte, dass alle Grafiken des Spiels denselben Stil haben. Und darum habe ich Joey die Konzepte zukommen lassen und freundlicherweise war er – trotz der Umstände – bereit, sie sich anzusehen und seine Kommentare zu hinterlassen. Meiner Meinung nach wäre es aufgefallen, wenn ein Viertel der Grafiken nicht von derselben Person kontrolliert worden wäre und das hätte die Qualität des Endproduktes beeinträchtigt. Von daher habe ich mich zu diesem Schritt entschieden. Stellt das ein Problem dar?“ „Das ist Verrat von Geschäftsgeheimnissen. Das ist Ihnen jawohl klar.“ Sie nickte und schwieg. Kaiba knurrte. Diese Frau trieb ihn in den Wahnsinn, denn sie hatte recht. Natürlich wäre es Spielern aufgefallen, wenn einige Bilder anders waren und es war der richtige Weg gewesen, um das Spiel zu perfektionieren, aber dennoch hatte sie eine Grenze überschritten. Plötzlich tauchte Joeys Bild vor ihm auf und was Yuna über ihn gesagt hatte. Was sollte das? Wollte ihm sein Unterbewusstsein etwas mitteilen? Seufzend rieb er sich kurz über das Gesicht, dann verkündete er: „Das nächste Mal will ich über so einen außergewöhnlichen Schritt informiert werden. Sonst können Sie sich einen neuen Job suchen. Verstanden?“ „Jawohl, Mr. Kaiba. Ich danke Ihnen“, erwiderte sie und stand auf, da er ihr mit einem Wink zu verstehen gab, dass das Gespräch beendet war. Ohne sie weiter zu beachten, widmete er sich seinem Monitor. Warum hat Joey das getan? Er hatte jedes Recht, Hilfe zu verweigern, nachdem ich ihn abserviert habe. Also warum hat er es nicht gemacht? Ich verstehe ihn nicht … Verwirrt machte er eine kurze Pause, ordnete seine Gedanken und verdrängte sie in die hinterste Ecke seines Kopfes. Dann bereitete er das nächste Meeting vor, denn davon hatte er noch drei Stück heute. Der Tag würde also noch lang werden. Ihm war nicht klar, was ihn dazu veranlasste, dass er heute bereits gegen 18 Uhr Feierabend machte, doch die Woche war lang und anstrengend genug gewesen, weshalb er beschloss, in die Villa zurückzufahren. „Schönes Wochenende, Yukiko. Du kannst auch Feierabend machen. Bis Montag“, verabschiedete er sich und sie nickte ihm überrascht zu. „Ihnen auch, Mr. Kaiba.“ Die Überraschung in ihrer Stimme war deutlich zu hören und er konnte das verstehen. Die Male, an denen er so früh das Büro verließ, um Feierabend zu machen, konnte er an einer Hand abzählen. Kaiba betrat einen Fahrstuhl und erst, als er plötzlich anhielt und Angestellte zu ihm stiegen, wurde ihm bewusst, dass er nicht in seinen eingestiegen war. Was war heute nur los? Sie nickten ihm überrascht zu und er erwiderte die Geste, schwieg aber, während sich die beiden Männer mit dem Rücken vor ihn stellten und sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Anscheinend hatten sie ihn bereits wieder vergessen. Seine Autorität war wahrlich im Eimer. „Dank der letzten Konzeptgrafiken können wir morgen direkt weitermachen. Damit liegen wir bestens in der Zeit, um alles ordentlich in die Wege leiten zu können.“ „Ja, das stimmt. Und die haben sich dieses Mal echt selbst übertroffen bei den Zeichnungen. Hast du dir die schon angesehen?“ „Ja, alles einzigartig, aber der Stil ist dennoch in jedem Bild wiederzuerkennen. Tetsurou hat mir erzählt, dass in der Abteilung wohl ein neuer Wind weht. Anscheinend sind wir nicht die einzigen, die die letzten Wochen genossen haben.“ Der Kollege nickte grinsend und fügte hinzu: „Das Schöne ist, dass ich glaube, dass das auch dauerhaft so gut bleiben wird. In den letzten Tagen gehe ich mit einer ganz anderen Motivation hierher.“ „Ja stimmt, ich auch. Und ich hab mich noch mehr gefreut, als ich gestern zwei Kinder mit einer Dueldisk spielen gesehen habe.“ Der Aufzug hielt an und die Türen öffneten sich. Die beiden Männer verließen die Kabine und Seto schnaubte leise, was die Zwei wohl gehört hatten, so geschockt, wie sie sich zu ihm umdrehten. „Mr. Kaiba, verzeihen Sie! Wir –“, fing der eine an, doch der Brünette wischte die Antwort weg. „Machen Sie sich darüber keien Gedanken. Schönes Wochenende.“ „I-Ihnen auch!“ Die Zwei verbeugten sich, als sich die Türen schlossen und er ohne weitere Unterbrechung weiter nach unten in die Tiefgarage fuhr. Wieder einmal war ihm klar geworden, welch großen Einfluss Joey auf diese Firma hatte und wie positiv der vor allem war. Es war ihm ansatzweise schon beim Jubiläum aufgefallen, als sich die Mitarbeiter so freundlich mit dem Blondschopf unterhalten und auch über persönliche Dinge gesprochen hatten. Durch die Flure wehte ein anderer Wind, wie der Mitarbeiter eben schon gesagt hatte und es herrschte eine gewisse Aufbruchstimmung. Ein bisschen beschlich ihn das Gefühl, dass er davon angesteckt wurde. Und die Woche ohne das Hündchen hatte ihn an seine Grenzen gebracht. Das musste er zugeben, so ungern er das auch tat. Doch der Zug war abgefahren. Wie sollte – nach allem, was passiert war – das noch geradezubiegen sein? Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass das noch möglich war, und der Gedanke frustrierte ihn. Genervt von sich selbst, dass er schon wieder über Joey nachdachte, fuhr er in Richtung der Villa. „Seto? Was machst du denn hier?“, fragte Mokuba irritiert, als er durch das Foyer schritt und sah ihn mit seinen Kulleraugen an. „Hallo Moki. Ich dachte mir, ich halte mich an deine Anweisung, mich noch etwas zu schonen“, erwiderte er schmunzelnd, weil er bemerkte, dass dem Kurzen der Mund aufklappte. Es war schon süß, wie er ihn aus dem Konzept bringen konnte. „Das ähm … Ich … Super! Ich bin stolz auf dich, Seto!“ Glücklich umarmte Mokuba ihn und schlang seine Arme um seinen Bauch. Lächelnd strich er ihm durch die Haare, freute sich innerlich darüber, dass wenigstens das Verhältnis zu seinem kleinen Bruder wieder besser zu werden schien. Noch ein Grund, der seine Woche so unendlich zäh gestaltet hatte. Zum Glück hatte er heute anscheinend eine gute Entscheidung getroffen und so das Verhältnis etwas kitten können. Er hoffte inständig, dass es nie wieder so schlimm werden würde. Es war schon schlimm genug, mit der Situationmit dem Köterchen zurechtzukommen, aber dass seine Stütze Mokuba ebenfalls weggebrochen war, hatte ihn mehr getroffen, als sich irgendjemand vorstellen konnte. Dafür war ihr Verhältnis zu innig, als dass ihn das kalt lassen würde. „Ich bringe kurz meine Tasche nach oben und dann können wir Abendessen, ja?“ „Ja, ist gut, bis gleich!“ Lächelnd sah er seinem Bruder hinterher, der in die Küche lief und schritt die Treppe hoch. Er legte den Aktenkoffer auf seinen Schreibtisch und drehte sich gerade um, als sein Firmenhandy klingelte. Es hatte ihn schon öfters genervt, doch gerade wollte er es am liebsten gegen die Wand schmeißen. Seufzend zog er es aus seiner Innentasche und schaute auf das Display. Es war Hiro, doch zum ersten Mal beschloss er, es einfach klingeln zu lassen. Um ihn konnte er sich auch noch am Montag kümmern. Aus einem Impuls heraus legte er das klingelnde Smartphone neben den Aktenkoffer und verließ den Raum wieder. In Ruhe hatten die Brüder gegessen und sich über Arbeit und Schule unterhalten, doch danach verzog sich der Kurze in sein Zimmer. Schweigend setzte sich Seto ins Wohnzimmer und ließ den Fernseher laufen, während er darauf wartete, dass Mokuba zu ihm zurückkehrte. Allerdings dauerte das eine ganze Weile und Kaiba war kurz davor gewesen, zu seinem Zimmer zu gehen, um nachzusehen, dass alles in Ordnung war. Doch nun hörte er die schnellen Schritte, die sich näherten und mit einem Lächeln drehte er den Kopf, dass er zur Tür schauen konnte, wo Moki aber stehen blieb und mit einem Grinsen verkündete: „Ich bin nochmal weg!“ „Hey, nicht so schnell, junger Mann. Wo willst du hin?“ Mokuba, der schon wieder loslaufen wollte, hielt überrascht an und drehte sich zu ihm um. „Ich will zu Joey … Die anderen machen eine Überraschungseinweihungsfeier, weil er doch in eine neue Wohnung gezogen ist! Ich bin dann morgen Mittag wieder da!“ Noch bevor er irgendwas sagen konnte, war der kleine Wirbelwind schon nach draußen verschwunden und Seto seufzte. Der kleine Blondschopf verfolgte ihn wirklich … Ob er ihm eine zweite Chance geben würde, wenn er als Partycrasher dort auftauchen würde? Nein, er konnte sich das nicht vorstellen … Also schaute er noch weiter fern, doch das Programm ließ so zu wünschen übrig, dass er nach einer Stunde den Fernseher ausschaltete. Das konnte sich doch kein normaler Mensch anschauen. Eigentlich hatte er sich extra ins Wohnzimmer gesetzt, um noch mit Mokuba zu zocken oder einen Film zu schauen, da er nicht gewusst hatte, dass der Kurze schon anderweitige Pläne gehabt hatte. Er verschloss sich ihm gegenüber noch immer und das wurmte Seto genauso wie die Tatsache, dass er den Blonden an seiner Seite wissen wollte. Und er wusste auch, dass Mokuba sich dann wieder beruhigen würde, aber wie sollte er das anstellen? Er hatte keinen Schimmer und schwer seufzend stand der Brünette auf, um sich doch noch in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Was sollte er sonst mit diesem Abend noch anfangen? Mokuba war weg und er hatte keine Muße, sich jetzt mit irgendetwas anderem zu beschäftigen. Eine Überraschungsparty … Es wäre auf jeden Fall eine Überraschung, wenn er da auftauchen würde, aber der Blondschopf würde ihn doch sofort hochkant wieder herauswerfen. Die Schmach konnte er sich auch ersparen. Aber … aber was, wenn nicht? Wenn Joey ihm doch zuhören würde. Ob er ihm auch verzeihen konnte? Verdammt, was machte er sich diese Gedanken überhaupt? Das Thema war beendet und so sollte er es auch endlich behandeln, statt sich ewig mit diesen ablenkenden Gedanken zu beschäftigen! Das war doch nicht er. Was er natürlich tun könnte, wäre Mokuba morgen Mittag einfach abzuholen. Vielleicht war dann auch schon der Rest des Kindergartens weg und sie könnten in Ruhe miteinander reden. Ja, das klang doch schon eher nach einem Plan. Kapitel 62: Moment der Wahrheit ------------------------------- Freitag, 21.10. Total perplex begrüßte Joey seine Freunde an der Tür, die ihm jeder etwas mitgebracht hatten und lächelte, als Yami, Tristan, Tea, Duke, Bakura und auch Mokuba eintraten. „Was macht ihr denn alle hier?“, fragte er überrumpelt und Tristan legte ihm einen Arm um den Nacken. „Na hör mal, wir haben mit dir deinen Umzug durchgezogen, also muss es doch jetzt noch die Einweihungsfeier geben!“ „Oh klar, da hast du natürlich recht“, stimmte Joey grinsend zu und es wurde wuselig in seinem neuen, kleinen Reich. Im großen Wohnzimmer – für seine Verhältnisse war es das! – stand neben Sofa, Tisch und Kommode auch das Bett in einer Ecke. Dafür war das eigentliche Schlafzimmer zu seiner Aufbewahrungskammer geworden, denn es hätte nur das Bett reingepasst und sonst nichts. Jetzt war da sein Kleiderschrank, Staubsauger, Bügelbrett und son Krams. Außerdem mochte er es, abends auf dem Bett zu liegen und wenn er noch Lust darauf hatte, noch fernschauen zu können. Die Gruppe machte es sich bei ihm bequem, während Mokuba und Tea noch Schüsseln organisierten, um den Knabberkram reinzufüllen und zu verteilen. Tristan reichte Bierflaschen weiter und Joey genoss es, nach dem ganzen hochwertigen Fusel ein einfaches Bierchen zischen zu können. Das hatte etwas für sich. „Und wie gefällt dir deine neue Bude?“, wollte Duke gut gelaunt wissen, als sie es sich alle gemütlich hatten und Joey grinste glücklich. „Super gut! Endlich habe ich mein eigenes, kleines Reich, dass nur mir gehört! Besser könnte es nicht sein! Ich danke euch so sehr, dass ihr mir beim Umzug geholfen habt! Das hat vieles leichter gemacht“, dankte Joey grinsend und stieß mit allen an, wobei Mokuba natürlich ein Glas Cola bekommen hatte, da er noch viel zu jung für Alkohol war. „Und wo wir jetzt schon alle beisammen sind, gibt es auch noch etwas anderes …“ Die anderen schauten ihn leicht irritiert an und Joey war froh, dass er es bis zum Ende hinausgeschoben hatte, denn so waren jetzt seine Freunde da, um ihn in diesem Moment zu unterstützen. Und auch Mokuba war nicht allein, wenn er die Pressemitteilung mit seiner Trennung von dem Brünetten verschickte. Das war gut so, denn es wäre nicht nur für ihn ein Schnitt, sondern auch für den kleinen Kaiba. Er hatte ihm gesagt, dass er es diese Woche tun würde und er würde sich daran halten. Er hatte sein Leid lang genug verlängert, jetzt musste er endlich aufhören, daran festzuhalten und loslassen. „Was ist denn noch?“, fragte Bakura vorsichtig und Joey zuckte kurz zusammen. Mist! Immer wenn es um das Thema ging, war er so tief in Gedanken versunken, dass er nichts mehr um sich herum mitbekam! Mit weichen Knien rappelte sich der Blondschopf schweigend auf, ging zu seinem Tisch herüber und holte ein Schreiben von seinem Tisch. Gestern Abend hatte er die Mitteilung verfasst und reichte den Zettel nun an Bakura, der ihn aufmerksam studierte. „Ich habe es bereits gestern Abend geschrieben, aber jetzt werde ich es rausschicken lassen …“, murmelte er und Bakura nickte leicht. Er reichte es schweigend an Tea weiter, bis es schließlich wieder bei ihm ankam, als alle es gelesen hatten. „Wir sind für dich da, Joey“, ermutigte Yami ihn und der Blondschopf lächelte leicht, aber er wusste, dass es nicht überzeugend aussah. Sein Herz klopfte heftig vor Nervosität und obwohl er wusste, dass es ihm danach besser gehen würde, bedeutete es auch, dass alles offiziell war. Dass diese Episode seines Lebens damit abgeschlossen war. Für immer. Mokuba schaute ihn traurig an und Joey zog den Kleinen zu sich, setzte ihn auf seinen Schoß und gab ihm ein Küsschen auf die Haare. Sanft umarmte er ihn und spürte, wie der Kurze sich regelrecht an ihn kuschelte. „Wir werden doch trotzdem befreundet bleiben, Kurzer. Und wir werden ganz viel unternehmen, versprochen. Wenn auch leider nicht zu dritt …“, murmelte er leise und Tea lächelte sie aufmunternd an. „Dafür kommen wir mit. Wir werden tolle Ausflüge machen.“ Mokuba nickte leicht und Joey strich ihm weiter fürsorglich über den Rücken. Er fand es süß, dass der Kurze sich genauso sehr, wie er gewünscht hatte, dass Seto und er zusammenkamen, doch es hatte nicht sollen sein. Eines Tages würden sie beide damit klarkommen, Joey einen Neuanfang starten und Mokuba sich mit seinem Bruder aussöhnen. Die Zwei brauchten einander, das war nicht zu übersehen, und sie sollten sich nicht wegen ihm zerstreiten. Der Blondschopf schaute noch einmal zu Yami, der neben ihm saß und leicht lächelte. „Wie gesagt, ab morgen werden uns wahrscheinlich die Fotografen und Journalisten für ein paar Tage nerven. Das kann echt unangenehm werden.“ „Ja, ich weiß. Das ist okay. Mach dir darum keine Gedanken. Das kriege ich schon hin.“ Joey nickte dankbar und fuhr seinen Laptop hoch, den er sich nach seinem Besuch bei Kaiba noch gekauft hatte, da sein alter viel zu langsam geworden war. Allerdings war das gute Stück auch fünf Jahre alt gewesen. Bei dem ganzen Geld, das er noch auf dem Konto hatte, hatte er beschlossen, dass das eine lohnenswerte Anschaffung wäre. Dafür hatte er sich auch gleich einen superschnellen gekauft, mit dem er die nächsten Jahre wohl auskommen konnte. Mit einem Schluck seines kühlen Bieres öffnete er das Mailprogramm, um die Mitteilung an ein paar Pressestellen abzuschicken, die Yukiko ihm gegeben hatte, als es an der Tür klingelte. Irritiert schaute er seine Freunde an. „Habt ihr noch jemanden eingeladen?“ „Nein, es sind alle Partygäste anwesend … Vielleicht ein Nachbar?“ „Ja vielleicht …“, murmelte Joey nachdenklich und stand auf. Er stellte das Bier ab und marschierte zu seiner Wohnungstür. Durch den Türspion konnte er niemanden sehen und da es keine Gegensprechanlage gab, drückte er auf den Türsummer und öffnete die Wohnungstür. Abwartend stand er im Türrahmen und überlegte, wer ihn an einem Freitagabend noch besuchen können wollte, doch es fiel ihm einfach niemand ein. Ein Nachbar war es ja jedenfalls nicht, sonst hätte dieser ja vor seiner Wohnungstür gestanden. Als er plötzlich die braunen Haare sah, die langsam hochkamen, war sein erster Impuls, reinzugehen und die Tür zuzuschlagen, doch er blieb reglos stehen. Seine Beine bewegten sich einfach nicht und er krallte sich mit seiner Hand krampfhaft an den Türrahmen. Was wollte ER hier? Hatte er ihn nicht schon genug gequält? Er hatte das Geld doch angenommen, also war doch alles geklärt. Oder war etwas passiert, dass er Mokuba abholen musste? Er wollte schon nach dem Knirps rufen, als er bemerkte, wie zielstrebig der CEO auf ihn zuschritt. Also ging es doch um ihn? Aber warum? Was sollte er noch von ihm wollen? Oh! Dass er da nicht früher draufgekommen war! „Ich nehme an, du bist hier, weil ich die Konzeptgrafiken geprüft habe, obwohl ich nicht mehr für dich arbeite. Das habe ich –“ „Nein, deswegen bin ich nicht hier.“ Wie? War er nicht? „Und warum dann sollte ich deine Visage noch eine Sekunde länger ertragen wollen?“ Seine Stimme triefte vor Bitternis, doch er schaffte es einfach nicht, sie zu verbannen. Die Enttäuschung saß zu tief. Die Erniedrigung, dass sie die Sache aus so unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet hatten. Er war so ein Trottel gewesen. Kaiba blieb mit etwas Abstand vor ihm stehen, die eisblauen Augen musterten ihn eingehend und der Blondschopf spürte ein Kribbeln im Nacken. Aus dem Wohnzimmer hörte er ein Lachen, weil die anderen wohl schon fast vergessen hatten, dass es geklingelt hatte. Er wusste nicht, ob er das gut finden sollte oder nach ihnen rufen, damit sie bei ihm waren. „Ich bin wegen dir hier. Weil ich …“ Seufzend räusperte sich der CEO, ehe er sich anscheinend überwinden konnte, weiterzureden: „Ich habe eingesehen, dass meine Entscheidung falsch war.“ „Welche von den vielen?“, bohrte er unnachgiebig weiter, auch wenn da ein kleiner Verdacht war, aber das konnte unmöglich so sein. Das war nur sein Wunschdenken! „Verdammt, du weißt, dass mir das schwerfällt“, brummte Seto und strich sich unwirsch durch die Haare. Doch wenn er wirklich deswegen hier war, musste er sich auch beweisen, sonst wäre das alles hier nichts wert. „Welche?“ Dass er die Frage in Kurzform wiederholte, schien etwas in dem Brünetten auszulösen, denn er straffte die Schultern und schaute ihm direkt in die Augen, als er erklärte: „Dich von mir zu stoßen. Welche wohl sonst!? Firmenentscheidungen kann ich leicht revidieren, aber das hier … Ich habe die Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Das ist mir in dieser Woche klar geworden und ich kann nicht leugnen, dass ich mich in deiner Gegenwart … wohler fühle. Ich hätte jeden schallend ausgelacht, der das vor ein paar Monaten zu mir gesagt hätte, aber ich arbeite gern mit dir zusammen. Du bist immer gut vorbereitet, hast dir die nötige Fachkompetenz angeeignet und ich hatte das Gefühl, dass ich dir gewisse Dinge auch allein überlassen kann, weil du es im Sinne der Firma bearbeitest. Die Stimmung in der Zentrale ist eine andere, die Mitarbeiter sind motivierter und es … Naja, es ist angenehmer zurzeit, die Firma zu betreten. Aber du hast diesen Einfluss nicht nur auf die Mitarbeiter. Ich würde es wirklich gern leugnen, weil das allem widerspricht, was ich jahrelang gelebt habe, aber du hattest auch einen großen Einfluss auf mich. Einen positiven, wenn ich den ganzen Stimmen in meinem Umfeld glauben schenke.“ „Seto. Du redest doch sonst nie so um den heißen Brei. Sag mir, was du eigentlich sagen willst“, forderte der Blondschopf beinahe sanft und hoffte, dass man sein schlagendes Herz nicht sehen konnte, weil es so schnell und hart schlug. „Um den heißen Brei?“, echote er leicht pikiert, doch dann räusperte sich der CEO ein weiteres Mal und schaffte nun doch nicht, ihm richtig in die Augen zu sehen, als er sagte: „Es tut mir leid, Joey. Ich … Ich habe so etwas noch nie gefühlt und war davon überfordert. Gozaburo hat sämtliche Gefühl als Schwäche abgetan und sich einzugestehen, wie viel Macht diese Gefühle über mich haben, fällt mir schwer. Dennoch möchte ich … an mir arbeiten und ich wünsche mir, dass du mich auf diesem Weg begleitest.“ Joey blinzelte überrascht. Nie und nimmer hätte er gedacht, dass der Brünette wirklich den Arsch in der Hose hatte und sich bei ihm entschuldigte. Das war so unwirklich! Der große Seto Kaiba hatte seinen Stolz heruntergeschluckt und sich bei ihm entschuldigt. Das würde ihm doch kein Mensch glauben! „Du willst mich an deiner Seite?“, rutschte es ihm perplex heraus und seine eigenen Gefühle kreisten. Er war hierhergekommen, um sich zu entschuldigen. Um ihn zurückzugewinnen. Kaiba wollte ihn. Träumte er? Sollte er sich zwicken? Nein, der Traum war viel zu schön! Scheiß drauf, dann wachte er eben erst später auf. Einen Augenblick lang musterten ihn die blauen Augen, dann trat er mit drei Schritten an ihn heran, legte seine Hände auf seine Wangen und küsste ihn. In der ersten Sekunde verkrampfte sich alles in Joey und er wollte den Kuss gar nicht erwidern, weil der Drecksack es irgendwie trotz der Entschuldigung nicht einfach so verdient hatte, doch er küsste so gut, dass er sofort dahin schmelzen konnte. Mit seiner zweiten Hand krallte sich Joey an Setos Pullover, den er trug, weil er Angst hatte, dass seine Beine einfach versagten. Der Brünette schien das zu spüren, denn er schlang einen Arm um seine Taille, hielt ihn fest und Joey nahm die andere Hand vom Türrahmen und krallte sich an Setos Schulter. Der Kuss fühlte sich so gut an, all die Erinnerungen brachen wie eine Welle über ihn herein und Seto drückte ihn mit dem Rücken gegen die Wand neben der Tür, damit er ihn besser festhalten konnte. Ohne dass er es wollte, liefen ihm Tränen über die Wangen und Seto löste den Kuss, strich mit den Daumen seine Tränen weg. „Es tut mir leid, Joey … Gozaburo hat mich verlernen lassen, Gefühle zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Das ist mir alles viel zu spät bewusst geworden … Ich hoffe … Du kannst mir das irgendwann verzeihen.“ „Selbsterkenntnis ist ja der erste Schritt zur Besserung, sagt man …“, murmelte Joey leise und zog Seto an den Schultern wieder nach unten, um ihn noch einmal zu küssen. Er hatte sich entschuldigt. Er war tatsächlich zu ihm gekommen und hatte sich entschuldigt – sogar zweimal! Joey konnte es kaum fassen, doch nun rissen ihn die Glückshormone mit sich. Sie hatten noch eine Chance. Das war so viel mehr, als er sich erhofft hatte, zu träumen. Seto erwiderte den Kuss, doch er war nicht gierig und leidenschaftlich wie die letzten Male, wenn sie sich geküsst hatten, sonst geradezu sanft und zärtlich und Joey genoss diesen Kuss genauso wie all die anderen zuvor. „Ich liebe dich“, flüsterte er aus einer Laune heraus in den Kuss und Seto stockte. Sofort unterbrach er den Kuss und schaute ihn mit für seine Verhältnisse großen Augen an. „Was hast du gerade gesagt?“ „Ich liebe dich“, wiederholte Joey selbstbewusst, denn es war so. „Vermutet habe ich das schon länger, aber die Woche ohne dich war einfach die Hölle. Ich hätte alles dafür gegeben, um an den Zeitpunkt vor dem Jubiläum anzuknüpfen, wo wir gemeinsam gearbeitet haben, noch weitere Ausflüge ins Strandhaus gemacht und in einem Bett übernachtet hätten. Allein die Tatsache, mit dir in einem Raum zu sein, gibt mir eine Sicherheit und Geborgenheit, wie ich sie noch nie gefühlt habe und ich wollte das wiederhaben.“ „Ich … Ich liebe dich auch, Joey.“ Stürmisch legte er dem überraschten Brünetten noch einmal die Lippen auf seine und ließ sich von ihm führen. Es war der schönste Kuss seines Lebens. Von weiter hinten hörte er auf einmal ein Räuspern und schweren Herzens löste der Blonde die Lippen von Setos und schaute in seine Wohnung, wo sechs grinsende Gestalten im Flur standen. „Wollt ihr nicht vielleicht reinkommen?“, fragte Yami lächelnd und Joey nickte, während Seto antwortete: „Nein, also ich nicht.“ Irritiert schaute der Blondschopf ihn an, wollte schon meckern, als Seto ihm ins Ohr flüsterte: „Ich hätte die Wohnung viel lieber nur mit dir allein …“ Um das zu verdeutlichen, küsste er ihn einmal kurz am Hals – nur hauchzart –, was Joey überrascht aufkeuchen ließ. „Später fahren wir zu dir … Jetzt lass uns noch etwas mit den anderen Zeit verbringen“, schlug der Blondschopf mit einem Lächeln vor und nahm seine Hand. Seto ließ widerwillig von ihm ab und sie betraten Händchen haltend die Wohnung. „Seto! Ich bin so froh!“, rief Mokuba und sprang seinem Bruder in die Arme, sodass er die Hand wegzog, um den kleinen Wirbelwind festzuhalten und lächelte ihn an. „Danke fürs Kopf waschen, kleiner Bruder.“ „Sehr gern“, erwiderte er giggelnd und zog Joey auch noch zu sich, um beide umarmen zu können. „Das ist dann jetzt das Happy End, ja?“, fragte er hoffnungsvoll und Joey schaute erst Seto und dann Mokuba an. „Ich denke, ja. Aber stell dich drauf ein, dass wir uns ab und zu trotzdem mal heftig streiten könnten. So unterschiedlich wie wir sind“, antwortete Joey grinsend und Seto nickte sofort. „Ja, das könnte passieren …“ „Na, solange ihr euch immer wieder vertragt“, mischte sich Duke grinsend ein und Joey nickte. „Das kriegen wir schon irgendwie hin.“ So machten sie es sich in dem kleinen Wohnzimmer bequem und unterhielten sich noch eine ganze Weile über verschiedene Themen. Die Pressemitteilung hatte er mit einem Feuerzeug angezündet und interessiert beobachtet, wie sie sich in Asche verwandelte. Noch vor ein paar Minuten hätte er niemals mit so einem Happy End gerechnet. Umso glücklicher war er, dass es nun Realität war. Joey hatte seine Hand auf Setos Hand an der Hüfte gelegt und den Kopf an seine Schulter gelehnt, während sie gemeinsam Biere und Cola trunken und den Knabberkram vernichteten. Sogar der CEO ließ sich zu Smalltalk hinreißen, ohne gleich den großen Boss heraushängen zu lassen oder Yami zu einem Duell herauszufordern. Sie hatten einfach einen gemütlichen Abend und der Blondschopf konnte sein Glück einfach nicht fassen. Doch irgendwann fing Mokuba an zu gähnen und Joey beschloss, dass es an der Zeit war, wieder nach Hause zu fahren. In sein eigentliches Zuhause, dass er seit ein paar Wochen hatte. Also packte er wieder eine Sporttasche zusammen, während Tea die anderen dazu verdonnerte, aufzuräumen, was diese auch widerwillig taten. Sogar Seto half dabei, was der Blonde doch eher irritiert zur Kenntnis nahm. Wenn Tea wollte, konnte sie sich definitiv durchsetzen, wie es aussah. An der Haustür unten verabschiedete Joey seine Freunde, die alle froh waren, dass es anscheinend doch ein Happy End gab und während er sich kurz mit Tristan unterhielt, sah er im Augenwinkel, wie Yami und Seto miteinander sprachen. Irgendetwas schien da im Busch zu sein. Ob der Stachelkopf ihm wohl gut zugeredet hatte? Zuzutrauen wäre es ihm allemal … Ein paar Minuten später saßen Mokuba, Seto und er in der Limousine und Mokuba strahlte über das ganze Gesicht. „Mit dem nächsten Streit könnt ihr euch aber ein paar Monate Zeit lassen, ja?“ „Wenn dein Bruder brav ist, sollten wir das schaffen“, erwiderte Joey grinsend und streckte Seto die Zunge raus, der kurz belustigt schnaubte und meinte: „Sobald ich ihm Manieren beigebracht habe, dürfte das kein Problem darstellen.“ Mokuba schlug eine Hand vor sein Gesicht und seufzte schwer, während Joey anfing zu kichern. Es war schon etwas gemein, dass sie den Armen jetzt so hochnahmen, aber die Gelegenheit war einfach zu günstig gewesen. Er spürte Setos Hand an seinem Nacken und bekam sofort eine Gänsehaut und frech, wie der Brünette werden konnte, spürte er, wie er mit seinen Nackenhärchen spielte und er einen wohligen Schauer nach dem anderen bekam. Es war nur eine Woche gewesen, aber sie hatte sich wie ein Jahr angefühlt und er genoss diese Streicheleinheiten so sehr. Endlich konnte er nach Hause zurückkehren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)