Happy Holidays von Tiaiel (Eine Puppyshipping-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 2: A Christmas Carol ---------------------------- „Hohoho!“, schallte es durch die Gänge des Flughafens und brachte viele Kinderaugen zum Leuchten. Überall erstrahlten bunte, helle Lichter, Glöckchen klangen an jeder Ecke und verkündeten den Beginn der schönsten Zeit im Jahr: Weihnachten! In nur wenigen Tagen würden die Menschen endlich ihre lang erwarteten Geschenke auspacken können, gemütlich mit ihren Liebsten eine Weihnachtsgans essen und die besinnlichen Feiertage zusammen genießen. So, wie es jedes Jahr die Tradition hier in Amerika verlangte. Ein Tradition, die Seto Kaiba, seines Zeichens Workaholic, so nicht nachvollziehen konnte. Auch Mokuba war immer begeistert von der Weihnachtszeit. Vor Wochen hatte dieser ihn quasi angebettelt, wenigstens über die Feiertage nach Hause zu kommen. Wobei „Feiertage“ wohl nicht das richtige Wort dafür war. Denn in Japan hatten lediglich die Schüler und Studenten aufgrund des bevorstehenden Jahreswechsels zwei Wochen Ferien.    Alle anderen konnten sich auf dem Weg zur Arbeit wenigstens an den mit bunten Lichtern geschmückten Bäumen und Geschäften erfreuen. Außerdem war es eher ein Fest für Paare, die sich an diesen Tagen zu Dates verabredeten, ähnlich dem Valentinstag, jedoch bei Weitem nicht so gefühlsträchtig wie hier. Daher war er schon fast dankbar, dass er dieses bunte Weihnachtsfiasko bald hinter sich lassen und wieder nach Japan fliegen konnte.    Sein Privatjet stand bereits abflugbereit auf der Rollbahn und erwartete ihn. Es würden ihm mehrere Stunden Flug über Nacht bevorstehen und auch wenn er sicher schneller gewesen wäre, wenn er selbst am Steuer gesessen hätte, so überließ er es diesmal doch seinem Piloten. Die Sache mit dem Jetlag spielte dabei ebenfalls eine nicht unwesentliche Rolle, denn der Start des Fluges war am Nachmittag des 23. Dezember angesetzt, damit er ca. 14 Stunden später zum Heiligabend in Domino City ankommen würde. Bei seiner Familie. Bei Mokuba. Und dann... dann gab es da noch jemand anderen. Ein Anflug von Sehnsucht bewegte sein Gemüt und rief eine kleine, aber unvergessene Erinnerung an eine Person hervor, die er vor einem Jahr in Domino zurückgelassen hatte.   Es war ein Tag im Dezember und sie waren zusammen in der Stadt unterwegs. Sie, das waren Seto Kaiba, sein jüngerer Bruder Mokuba und seit einiger Zeit auch Katsuya Jonouchi. Letzterer war seit knapp einem Jahr öfter in Begleitung des Firmenchefs anzutreffen und natürlich stieß das gerade in seinem Freundeskreis auf Verwunderung oder wie in Hondas Fall auf pures Entsetzen. Doch wie hieß es so schön: Was kostete die Welt? Sollten Sie ihm das zum Vorwurf machen? Sicher nicht. Und nach der Schulzeit spielte es ohnehin kaum noch eine Rolle, da jeder seinen eigenen Weg ging.    Auch für den Brünetten änderten sich einige Dinge. Der Alltag, den er nun, nachdem die Schule beendet war, gänzlich mit Arbeit verbracht hätte, teilte er, wann immer es die Zeit zuließ, mit den beiden Menschen, die ihm am wichtigsten waren. Ein für ihn schmaler Grat, denn die Kaiba Corporation fraß nicht gerade wenig seiner kostbaren Zeit. Das klassische Prinzip und zugleich der größte Nachteil an der Selbstständigkeit. Doch das Paar arrangierte sich so gut es ging. Immerhin hatte auch Jonouchi sein Pläne, die er verwirklichen wollte. Sehr zur Freude von Mokuba, wie sich zeitnah herausstellte.    Dieser Tag barg jedoch eine besondere Erinnerung für den Firmenchef. Der Vormittag verging wie so oft arbeitsam für die drei. Mokuba war in der Schule, Kaiba in der Firma und Jonouchi in der Konditorei, wo er im Sommer seine Ausbildung angefangen hatte. Am späten Nachmittag entführte der Jüngste die beiden anderen zu einer direkt für die Wintertage angelegte Eislaufbahn in der Nähe des Einkaufszentrums. So konnte man natürlich auch potentielle Kunden anlocken, die vielleicht noch ein paar weihnachtliche Besorgungen zu erledigen hatten.   Das passende Paar Schlittschuhe konnte direkt neben der Bahn ausgeliehen werden, was der Firmenchef sofort in Angriff nahm. Am Eingang zur Eisfläche war ein großer Torbogen aufgestellt, der mit allerlei Tannengrün verziert war und in dessen Mitte in luftiger Höhe ein Mistelzweig hing. Nur wenige begingen jedoch die Tradition, sich darunter einen Kuss zu schenken. Entweder, weil sie es schlicht und ergreifend nicht wussten oder weil sie sich in der Öffentlichkeit genierten. Mokuba, der um dessen Bedeutung wusste, fiel die vielsagende Dekoration gleich ins Auge.    „Katsuyaaaa, schau mal da oben“, deutete er auf den mit einer roten Schleife verzierten Zweig und sah den Blonden verheißungsvoll an. Dem Fingerzeig folgend bemerkte nun auch Jonouchi diese nicht unbedeutende Kleinigkeit. Direkt darauf spürte er Mokubas Ellenbogen in seiner Seite, während dieser ihn mit einem verschmitzten Lächeln bedachte. Dieser kleine Spitzbub war auch um nichts verlegen und eben diese Tatsache rief auf den Wangen des Blonden eine deutliche Verlegenheit hervor.  „Hör schon auf“, winkte er ab und fragte sich, was in den Köpfen der Jugend heutzutage nur vorging. Dennoch wäre es irgendwie schön gewesen, sich einen romantischen Kuss darunter zu schenken, so wie alle anderen Paare es eben auch taten. Eigentlich das Normalste der Welt. „Außerdem“, begann er den Satz etwas niedergeschlagen, „bezweifle ich, dass dein Bruder große Lust auf ein Outing in aller Öffentlichkeit hätte.“   Der bedeutungsschwangere Tonfall in Katsuyas Stimme fiel auch dem Schwarzhaarigen auf. Doch noch bevor er sich weitere Gedanken dazu machen konnte, wurde er von seinem Bruder aus selbigen herausgerissen. „Hey, ihr beiden! Was macht ihr da?“, wollte er aufgrund der seltsamen Stimmung zwischen ihnen wissen. Vielleicht war genau das die Chance für Mokuba, die vertrackte Situation zu kitten.   „Seto, weißt du, dort ob…“, begann der Schwarzhaarige den Satz euphorisch, wurde jedoch sogleich unterbrochen. „Nichts! Wir machen rein gar nichts!“, schnitt Jonouchi ihm regelrecht das Wort ab und lenkte die Aufmerksamkeit um.  „Los, lasst uns eine Runde fahren! Die Sonne ist bereits untergegangen und bald ist es Zeit zum Abendessen“, fügte er hinzu, als er seinem Liebsten die Schlittschuhe aus der Hand nahm. Er zog sich in Windeseile die Schuhe um und verschwand eiligst auf die Eisfläche.    Etwas ungläubig schaute der Brünette zu seinem Bruder hinüber, der nur mit den Schultern zuckte. Offenbar sollte diese Mistelzweiggeschichte ein Geheimnis bleiben. Nagut, wenn er es so wollte. Kurz darauf gesellten sich die beiden Geschwister ebenfalls auf die Schlittschuhbahn. Da die Dunkelheit bereits hereinbrach, schalteten sich die ringsherum angebrachten Lichterketten mit ihren großen Glühbirnen ein und verliehen dem Platz eine gemütliche Atmosphäre.    Viele rückten aufgrund dieser romantischen Stimmung ein Stück näher zusammen und fuhren gemeinsam über die Eisfläche. Gern hätte sich auch der Blonde näher an den anderen geschmiegt, aber sie waren hier nicht allein und sein Liebster definitiv kein Unbekannter. Also vermied er jeden überflüssigen Körperkontakt, was nicht unbemerkt blieb. „Was ist los?“, wollte Seto wissen und bewegte den Blonden dazu anzuhalten. „Nichts“, war die knappe Antwort darauf, ohne das er dabei Blickkontakt aufnahm. „Für nichts, scheint es dich aber sehr zu beschäftigen.“ Doch Jonouchi reagierte auf die Feststellung nur mit einem Schulterzucken. Ein Moment der Stille folgte zwischen dem Paar, das nach außen hin keines zu sein schien. Kurz darauf setzte sich der Blonde mit den Worten „Ich fahre eine kurze Runde. Bin gleich zurück.“ in Bewegung und fuhr davon. Ja, er benahm sich heute mehr als seltsam. Was ging da schon wieder in seinem kleinen Köpfchen vor sich?    Plötzlich erregten die Stimmen von zwei Schülerinnen, die nur wenige Meter entfernt standen, Kaibas Aufmerksamkeit. Gekicher und verlegene Blicke wurden unter den beiden ausgetauscht, während sie jemanden am Eingang der Eislaufbahn beobachteten. „Hast du das gerade gesehen?“ „Ja, die haben sich wirklich geküsst!“ „Hach, das ist sooo romantisch, aber irgendwie auch ziemlich peinlich.“ „Ach komm, jeder möchte doch einmal im Leben von seinem Schwarm unter einem Mistelzweig geküsst werden. Immerhin steht Weihnachten vor der Tür!“ „Du hast ja recht. Ich gebs zu, ich bin vielleicht etwas neidisch“, sagte eine kichernd zur anderen, bevor sich beide wieder auf ihren Schlittschuhen in Bewegung setzten.   ‘Ein Mistelzweig also’, besah sich der junge Firmenchef die Weihnachtsdekoration über dem Eingang der Bahn. Auch er wusste um die Tradition dahinter. Es war eines dieser Dinge, die Pärchen normalerweise machten, ohne weiter darüber nachzudenken. War das etwa der Grund, warum sich sein Liebster so seltsam distanziert verhielt? Wollte er diese einfachen Dinge genauso wie alle anderen erleben? Deswegen wortlos auf Abstand zu gehen, passte definitiv zu Katsuya und gehörte zu den Dingen, die ihre ohnehin schon komplizierte Beziehung gern noch einen Tick komplexer gestaltete. Wie konnte der Firmenchef dieses Problem jetzt auf einem subtilen Weg aus der Welt schaffen? Doch vielleicht war eine subtile Herangehensweise diesmal gar nicht des Rätsels Lösung.   Auf der Suche nach dem Blonden ließ er seinen Blick über die glitzernde Eisfläche schweifen und erspähte ihn einige Meter entfernt bei Mokuba. „Showtime“, sagte er bestätigend zu sich selbst und begab sich zu den beiden hinüber. Noch bevor er angekommen war, bemerkte er, dass offenbar erneut etwas bei ihnen im Gange war, von dem er wohl nichts erfahren sollte. Schnell winkte Jonouchi ab und tat, als wäre mal wieder nichts gewesen. Aber so hatten sie nicht gewettet. Mit einem außergewöhnlich freundlichen Grinsen im Gesicht sah er die beiden Geheimniskrämer an und wies sie auf die bereits fortgeschrittene Zeit hin. Zu freundlich für Jonouchis Geschmack und auch Mokuba wusste sofort, dass da noch Etwas auf sie zukommen würde. Doch ob es ihnen auch zusagen würde, stand auf einem anderen Blatt.    „Die Schlittschuhbahn ist voll geworden", sagte Seto beiläufig, während er sich flüchtig umsah. „Wir sollten an einem anderen Tag wiederkommen." Ganz unrecht hatte er damit nicht, tatsächlich hatte sich gerade eine Gruppe Jugendlicher auf das Eisfeld verirrt. Außerdem begann passend dazu Mokubas Bauch zu knurren und bestätigte damit, dass der Moment des Aufbruchs gekommen war.    „Komm", nahm er bestimmt die Hand des Blonden und zog ihn mit sich über das Eis Richtung Ausgang. Etwas ungläubig schaute dieser den Älteren an und senkte dann den Blick auf die verschränkten Hände. Händchenhalten. Auch so eine Sache, die für Pärchen das normalste der Welt war. Für Jonouchi jedoch war es das erste Mal, dass der Brünette dies in der Öffentlichkeit vor so vielen Fremden zur Schau stellte. Eilig sah er sich um, ob jemand Notiz davon nahm. Doch die Welt drehte sich einfach weiter, ohne die Aufmerksamkeit der Menschen um sie herum auf sie zu lenken.    Es waren nur noch wenige Meter bis zum Ausgang. Gerade mal ein Katzensprung. Einerseits wollte er diese Hand, die ihn führte, am liebsten nie wieder loslassen, sie bei jedem Mal, wenn sie das Haus verließen oder sich irgendwo trafen, wieder in seine legen und es allen Menschen zeigen. Doch andererseits war das ein Wunsch, den er still in seinem Herzen trug, denn bisher hatte Seto leider keinerlei Anstalten gemacht, es öffentlich zu zeigen. Also ging Jonouchi einfach davon aus, dass er es schlicht und ergreifend nicht wollte.    Endlich am Torbogen angekommen, atmete er erleichtert auf und war im selben Moment betrübt, dass er die Hand des anderen nun unweigerlich wieder loslassen musste. Doch statt sich voneinander zu lösen, zog der Brünette ihn fest an sich heran und deutete mit einem Fingerzeig nach oben, dorthin, wo noch immer der Mistelzweig hing direkt über ihnen. Sofort blickte der Blonde ihn verwirrt an und seine Gedanken überschlugen sich beinahe. Sollte wirklich das passieren, was er sich so sehr gewünscht hatte?    Kaiba wiederum erfreute sich an dem verwunderten Gesichtsausdruck des anderen und konnte in dessen Augen ablesen, dass er sich nichts sehnlicher als diesen einen magischen Kuss von ihm wünschte. Genau jetzt. Genau hier. Und den sollte er auch bekommen. Unter den Augen aller Anwesenden beugte sich der Firmenchef ein Stück nach unten und berührte sanft die Lippen seines Liebsten. Die Menschen um sie herum waren ihm dabei völlig egal. Für ihn zählte nur der Augenblick.    Jonouchi spürte die Blicke der umstehenden Leute, hörte das Raunen, das durch die Reihen ging und das Kichern einiger Zuschauer. Die beiden Schulmädchen legten verlegen ihre Hände auf die Augen und lugten mit einem zarten Rotschimmer auf den Wangen durch ihre Finger hindurch. So etwas bekam man wahrlich nicht alle Tage zu sehen. Sogar Mokuba war kurz erstaunt, über das ungewöhnliche Bild, das sich ihm bot. Jedoch nur, weil es so plötzlich kam und wie ein Magnet direkt alle Blicke auf sich zog. Immerhin kannte er es ja bereits von zu Hause, wenn der Blonde zu Besuch war oder über Nacht blieb. Beim ersten Mal hätte er beinahe das ganze Teeservice zerdeppert, als er sie bzw. sie ihn im Wohnzimmer überraschten.  Da sich sein Nii-sama jedoch schon immer einen Dreck um die Meinung anderer scherte, stellte es für Mokuba ebenfalls kein Problem dar. Deswegen wollte er Jonouchi auch ermutigen, Seto gegenüber einfach seinen banalen Wunsch zu äußern, ohne Angst vor dessen Zurückweisung haben zu müssen, wie gerade wieder einmal eindrucksvoll bewiesen wurde.    Der Kuss währte nur ein oder zwei flüchtige Sekunden. Für den Blonden jedoch war es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und er hätte diesen Moment am liebsten niemals unterbrochen. Allerdings sprachen gleich mehrere Argumente dagegen. Zum einen standen sie mitten im Eingang zur Eislaufbahn, zum anderen musste er Angst haben, morgen mit einem Handyschnappschuss in der Wochenendzeitung zu erscheinen.  Mokuba, der gerade bei den beiden angekommen war, klopfte seinem Bruder anerkennend mit den Worten „Wieder einmal ein großer Auftritt, Seto“ auf die Schulter und schritt an ihnen vorbei. Im Augenwinkel konnte er noch erkennen, dass Jonouchi direkt noch verlegener wurde. Unter den wachsamen Augen ihres Publikums folgten sie ihm, gaben die Schlittschuhe zurück und gingen schließlich gemeinsam nach Hause.   Interessant, dass Seto gerade jetzt an ihn und dieses Ereignis denken musste. Ihr erstes gemeinsames Weihnachten. Eine süße Erinnerung die sogleich einen bitteren Beigeschmack brachte. Denn inzwischen waren sie getrennt und hatten sich ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen. Sein Blick schweifte nach draußen in das Dunkel dieser sternenlosen Nacht. Ob er noch immer in dem kleinen Café in der Innenstadt arbeitete? Die Gedanken an den Blonden begleiteten ihn auf dem Weg in seinen Privatjet und mit der untergehenden Sonne startete sein Flug zurück in die Heimat.   Staring at the sky and wondering where you are We could be a world or two apart A storm is coming in to cover up the stars You're waiting and you're watching from a far   In Domino hatte die Sonne bereits ihren Zenit erreicht und obwohl gerade Mittagszeit herrschte, waren die Cafés jetzt schon hoffnungslos von Kundschaft überlaufen, vorrangig bestehend aus Schülern und Studenten, die ihre Weihnachtstorten abholten oder dort ihre Zweisamkeit genossen. In einer dieser zauberhaft dekorierten Lokalitäten stand Jonouchi hinter der prall gefüllten Kuchentheke, als ein seltener Gast durch die Tür trat. „Katsuya“, lächelte dieser ihn freundlich an und bekam ein ebenso herzliches „Hallo Mokuba“ zurück. „Lang nicht gesehen“, fügte er noch eine der üblichen Phrasen hinzu und hatte damit nicht ganz unrecht. Bewusst hatten sie sich jetzt bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Immerhin gab es durch die weggebrochene Beziehung zum älteren Kaiba keine wirkliche Verbindung mehr. Das letzte nicht erfüllende Telefonat war im Herbst gewesen, als der Herr Firmenchef seine Heimreise abgesagt hatte. Kein schöner Grund für einen Anruf. Doch der Schwarzhaarige hielt Jonouchi immer auf dem Laufenden, soweit es die Aktivitäten seines Bruders betraf und da war ein Besuch in der Heimat keine Ausnahme.   „Das stimmt auffallend. Ich muss auch gestehen, dass ich heute mit einer ganz großen Bitte an dich hergekommen bin“, ließ er mit einem bettelnden Blick verlauten und deutete mit seinen Händen ein kurzes Gebet an. „Da bin ich ja mal gespannt. Wie kann ich dir helfen?“, fragte der Blonde neugierig nach. „Jaaaaa, weißt du, ich habe es irgendwie verpasst, rechtzeitig eine Weihnachtstorte zu besorgen und stecke daher jetzt etwas im Schlamassel. Ich bräuchte sie ganz, ganz dringend heute Abend.” „Und da kommt der Tortenbäcker deines Vertrauens ins Spiel. Sehe ich das richtig?“ „Nunja, Ich hatte tatsächlich gehofft, dass ein bisschen Vitamin B da vielleicht hilfreich sein könnte“, sah er den anderen mit einem verlegenen Blick an. Dieser nahm an, dass er die Leckerei sicher für die Dame seines Herzens orderte. Immerhin war auch Mokuba längst in der Pubertät und somit durchaus am anderen Geschlecht interessiert.    „Ich verstehe. Du hast Glück, ich habe tatsächlich noch zwei herrenlose Torten im Kühlhaus stehen und wäre bereit, dir eine davon abzutreten“, amüsierte sich Jonouchi über die doch sehr flehende Bitte des Jüngeren. „Was für ein Zufall“, grinste dieser und die Freude war deutlich in seinem Gesicht abzulesen. „Und wo wir gerade bei Zufällen sind, hätte ich da gleich noch einen winzig kleinen Wunsch“, begann er erneut kleinlaut zu sprechen. „Ich kann sie leider nicht gleich mitnehmen, weil ich noch ein paar Wege zu erledigen habe. Wäre es möglich, dass du sie mir eventuell nachher vorbei bringen könntest? Du hast doch gegen 20 Uhr heut Schluss, oder? Ich würde dir den Chauffeur natürlich spendieren!“, bot ihm Mokuba für diese Gefälligkeit an.    Kurz überlegte Jonouchi, ob diese Idee wirklich so gut war. Doch was hatte er zu verlieren? Kaiba war nach wie vor in Übersee und er würde folglich nicht auf ihn treffen. Oder war  genau das die leise Hoffnung und der Grund, weshalb er es nicht direkt ausschlug? Weil er ihn nach diesem endlos langen Jahr doch wiedersehen wollte, um eine unerfüllte Sehnsucht zu stillen? Ganz sicher war er sich nicht. Allerdings würde er ein Taxi nach Hause nach dem heutigen Tag, an dem das Café wohl bald aus allen Nähten platzen würde, äußerst begrüßen. Also sagte er zu. „Wunderbar, danke“, sagte der Kleinere und seine Augen begannen zu leuchten. Auch wenn schon viel Zeit vergangen war, so änderten sich wohl manche Dinge und auch manche Menschen nie. Noch immer hatte Mokuba diese unbeschwerte Fröhlichkeit inne, die einen direkt mit ansteckte.    Zufrieden strahlte er den Älteren an und ließ dabei ganz beiläufig noch eine nicht unwesentliche Tatsache verlauten: „Ich bin mir sicher, Seto wird sich sehr über deine Torte freuen.“ „Ja, das wird er wohl“, stimmte Jonouchi gedankenverloren zu.  ‘Moment! Hab ich das richtig verstanden? Hatte er mir da gerade durch die Blume zu verstehen gegeben, dass Seto nach hause kommt?’ „Mokuba, was hast du da gerade…“, wollte er ihn direkt fragen, kam jedoch nicht sehr weit, denn der Jüngere unterbrach ihn einfach frech, als hätte er ihn nicht gehört, und lief dann Richtung Ausgang.   „Also, wir sehen uns dann heute Abend“, rief er ihm mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen zu, welches bei genauerem Hinsehen jedoch deutlich mehr vermuten ließ. So freundlich wie er sein konnte, so durchtrieben war er im Umkehrschluss. Ganz die Fußstapfen seines großen Bruders, in die er da zweifelsohne trat. Jetzt hatte Jonouchi unüberlegt zugesagt und war ihm in die Falle getappt. Oh ja, manche Dinge ändern sich wahrlich nie. Schachmatt.    „Hatschi!“, schallte es indessen durch den Flieger, in dem der Firmenchef auf seinem Heimflug saß. Anscheinend hatte gerade jemand ganz intensiv an ihn gedacht, wie es so schön hieß. Einige Stunden war er bereits unterwegs und wie es aussah, würde er pünktlich in Domino ankommen. Also zückte er sein Telefon und wählte die Nummer seines jüngeren Bruders. Es dauerte nicht lang und der Anruf wurde mit einem überschwänglichen „Hallo Seto!“ angenommen. „Du rufst nochmal an? Sag mir jetzt aber bitte nicht, dass du dich verspäten wirst!“, kam es bereits etwas nervös vom Schwarzhaarigen. Zwar fiel der angespannte Unterton auch Kaiba auf, jedoch maß er dieser Aussage keine weitere Bedeutung bei und teilte ihm stattdessen ohne Umschweife den Grund seines Anrufs mit: „Hallo Mokuba. Bisher sieht es nicht so aus. Wenn es keine Zwischenfälle gibt, werde ich wie geplant um 19:55 Uhr landen und bin spätestens um 20:30 Uhr zu Hause. Bei Isonos Rennfahrerkenntnissen sicherlich noch ein paar Minuten eher“, bewertete er die aktuelle Flugzeit und den Fahrstil seines Chauffeurs. „Ist gut. Isono wird wie immer pünktlich da sein, um dich abzuholen“, freute sich sein Bruder am anderen Ende der Leitung und Seto schien es einen Moment so, als konnte er eine deutliche Erleichterung aus dessen Worten heraushören. „Du warst lange weg. Wird Zeit, dass du dich hier mal wieder blicken lässt“, ließ er noch mit einem tadelnden Unterton in der Stimme verlauten und kurz darauf beendeten sie das Telefonat. Leider musste der Brünette zugeben, dass er den letzten Satz, so gern er es auch getan hätte, nicht verneinen konnte. In Domino gab es abgesehen von Mokuba nichts mehr, was ihn hielt, also konnte er seinen Aufenthalt in Amerika problemlos auf unbestimmte Zeit verlängern.    Sicher, er nutzte die Zeit. Immerhin schuf er einen neuen Standort seiner Kaiba Corporation in den USA und verwirklichte damit ein lange geplantes Projekt. Oder versuchte er sich damit nur von etwas... von jemandem abzulenken? Wieder glitten seine Gedanken zu dem blonden jungen Mann, den er für dieses Ziel zurückgelassen hatte und unweigerlich zur Beziehung, die er dafür geopfert hatte. Er baute sich sein eigenes Leben ohne ihn auf und fand dennoch nie den Platz, wo er eigentlich hingehörte.    Can't believe another year has come and gone  Busy chasing money, chasing dreams  Trying to build a life and find where I belong  Now I know it's harder than it seemed    You called me in the fall, I promised I'd be there  But now they're singing christmas carols in the square    Das Versprechen an Mokuba, im Herbst wieder nach Hause zu kommen, konnte er letztendlich auch nicht halten. Dennoch vergingen die Wochen schleichend und ehe er es sich versah, wurden auf dem Time Square schon wieder Weihnachtslieder gesungen.    Ganz plötzlich standen die Adventstage vor der Tür und damit das erste Weihnachten seit dem Ende der Schulzeit ohne ihn. Wehmütig erinnerte er sich an den Heiligabend im vergangenen Jahr zurück.   Damals war der Standort in Übersee schon fest in Planung und Kaiba daher oft auf Geschäftsreise. Zeit war rar und sie beide waren aufgrund der wenigen gemeinsamen Momente unzufrieden. Also nahm der Firmenchef sich einfach die Freiheit, ihn dorthin zu entführen. Als wäre es gestern gewesen, konnte er das Strahlen in den bernsteinfarbenen Augen des anderen vor sich sehen, als er ihm den Vorschlag machte. Schnell waren die Sachen gepackt und die gemeinsame Reise begann.    Als kleine Überraschung hatte er eine Brooklyn-Weihnachtstour in einer privaten Limousine gebucht. Erstes Ziel waren die Dyker Heights. Dort erstrahlten alle Häuser des Big Apple in leuchtend bunten Lichtern, ebenso wie die Augen des Blonden. Dieser liebte den übertrieben pompösen Weihnachtsschmuck und die vielen beleuchteten Figuren, die den Weg des Rundgangs säumten und die Nacht zum Tag machten.    Danach entführte er seinen Liebsten ins DUMBO, “Down Under the Manhattan Bridge Overpass“, wo er ihn in eines der exklusiven Restaurants zu einem gemütlichen Essen einlud. Mit einem Schmunzeln erinnerte er sich daran, wie der Blonde ihn für dieses übertrieben teure Essen, dessen Namen kein normaler Mensch aussprechen konnte, tadelte. Wäre es nach Katsuya gegangen, hätte auch ein Burger von McDonalds seinen Hunger gestillt. Doch der Brünette wollte etwas Besonderes mit ihm erleben. Ihm zeigen, dass Amerika nicht nur Negatives bedeutete. Und schließlich, als krönenden Abschluss, begaben sie sich ans Ufer des East River. Von dort aus konnten sie die überwältigend schöne Skyline der Brooklyn Bridge bei Nacht bewundern. Aufgrund der Kälte und der vorangeschrittenen Uhrzeit kuschelte sich der Blonde in die Arme seines Geliebten, der ihn automatisch fester an sich zog und ihm einen liebevollen Kuss schenkte.   Gedankenverloren berührte der Firmenchef seine Lippen und erinnerte sich an diese zärtliche Berührung aus der Vergangenheit. Eine wunderbare Erinnerung an ihr letztes gemeinsames Weihnachten, die flüchtig sein Herz erwärmte. Denn nur kurz danach kam die Trennung. Doch damit wollte er sich jetzt nicht auseinandersetzen. Bedingt durch die Zeitumstellung musste er sich schließlich noch etwas Ruhe gönnen. Immerhin waren es 14 Stunden Zeitunterschied, die definitiv ein Jetlag zur Folge haben würden, und das wollte er so gut es ging vermeiden, um den Heiligabend mit seinem Bruder auch genießen zu können. Also machte er es sich so gut es eben ging gemütlich und schloss die müden Augen auf das die Zeit schnell verging.   Und das tat sie schließlich auch. Jedoch wesentlich schneller, als es Jonouchi lieb war. Immer wieder fiel sein Blick auf die Uhr und die bereitgestellte Torte. Etwas gefiel dem Blonden daran nicht. Daher nutzte er diesen Moment in seiner Pause und beäugte die Weihnachtstorte genauer. Es war eine klassische Biskuittorte mit einem Überzug aus Schlagsahne und darauf garnierten Erdbeeren sowie einem Schokoladentäfelchen auf dem in geschwungenen Buchstaben “Merry Christmas“ stand. Nichts wirklich Besonderes. Und bald würde er die Torte an Mokuba aushändigen, der sie letztendlich mit seinem Bruder essen würde. Diese… seine unspektakuläre Torte. Der Gedanke ließ ihn frösteln und eine Gänsehaut breitete sich in seinem Körper aus.   ‘Ist es wahr, Seto? Kommst du wirklich wieder zurück nach Hause?’   Mokuba hatte ihm diese Tatsache einfach um die Ohren geschmettert und ließ ihn dann mit seinen konfusen Gedanken allein zurück. Eine Flut von Gefühlen und damit verbundenen Erinnerungen drängte sich ihm auf, doch nicht alle waren positiv. Amerika war der Grund, warum sie sich letztendlich doch getrennt hatten. War es nun wegen der wenigen Zeit, die sie miteinander hatten, oder wegen der Entfernung, die sie immer weiter auseinander trieb. Als es Jonouchi bewusst wurde, ließ er ihn schließlich nach Amerika gehen und blieb in Domino zurück.   When I finally talk to you I know the damage it will do Soon I'll have to tell the truth And watch the lights flicker out on you   Unter diesen vielen, längst vergangenen Erinnerungen war auch diese eine ganz Besondere aus der Zeit, als sie noch zur Schule gingen.    Es war im letzten Schuljahr, um die Weihnachtszeit herum, und die meisten waren mit ihren Zukunftsplänen für die Uni beschäftigt. Jonouchi, der natürlich noch immer eine Karriere als Meisterduellant anstrebte, beschäftigte sich seit geraumer Zeit zusätzlich mit einem ebenfalls interessanten Hobby: Backen. Und da das allein natürlich nicht ausreichend war, musste es stets mit einer originellen Deko einhergehen. Schon immer hatte er ein Händchen für kreative Dinge gehabt und bereits die ein oder andere Süßigkeit hergestellt. Da er ja seine Karrierepläne bereits bestens durchdacht hatte, waren die schulischen Leistungen dementsprechend auch nur zweitrangig.    So hatte er in der Adventszeit die Möglichkeit, sich einem neuen Experiment in seiner häuslichen Hobbybäckerei zu widmen. Diesmal wollte er für seine Freunde eine süße Kleinigkeit zum Naschen als Weihnachtsgeschenk vorbereiten. Doch Plätzchen schienen ihm dabei nicht originell genug. In Gedanken ging er die kommenden Feiertage durch und blieb schlussendlich am Valentinstag hängen. Da es dort traditionell immer um Schokolade und Pralinen ging, wollte er sich diesmal daran probieren. Aber welche? Es gab so viele Möglichkeiten.  Grübelnd legte er seinen Kopf auf den verschränkten Armen auf seinem Pult ab. Seine Haare fielen ihm wie immer wild durcheinander ins Gesicht und kitzelten ihn leicht. Der kaum merkliche Geruch von Honig stieg in seine Nase und löste einen kleinen Nieser aus. Mit leicht feuchten Augen rieb er sich die Nase und da wusste er plötzlich, was es werden würde: lecker süße Honigpralinen! Sofort zückte er sein Handy auf der Suche nach einem passenden Rezept und machte sich direkt nach der Schule auf, die benötigten Zutaten zu besorgen. Am dritten Advent probierte er sich schließlich daran und siehe da, es war ihm nach einer mittelschweren Katastrophe in seiner Küche auch geglückt.    Als Verpackung wählte er kleine blaue Schächtelchen, auf denen ein weißes Schneeflockenmuster aufgedruckt war. Der Deckel hatte ein kleines Sichtfenster, damit man den Inhalt begutachten konnte. Diesen fixierte er mit einem weihnachtlichen "Made with Love"-Aufkleber, damit keine Praline verloren gehen konnte. Da seine Freunde um die Weihnachtstage meist sehr beschäftigt waren, nahm er die kleinen Geschenke am nächsten Tag mit in die Schule, um sie ihnen zu überreichen.    Die Freunde war groß, denn sie alle liebten es, wenn Jonouchi in seiner Kekswerkstatt zu Gange war. Lediglich Anzu war aufgrund von Krankheit, irgendwas mit dem Magen, in dieser letzten Woche vor den Ferien nicht anwesend. So genau hatte der Blonde dabei wie so oft nicht zugehört. Jedoch hatte er jetzt ein Präsent übrig und überlegte, wem er diese kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen sollte.    Sein Blick schweifte durch die Klasse und blieb schließlich an Kaiba hängen. Wieso es gerade er sein musste, konnte er in diesem Augenblick nicht sagen. Es war so ein seltsam wegweisendes Gefühl, das ihn dazu verleitete, das kleine, liebevoll verpackte Schächtelchen in der Mittagspause auf dessen Tisch abzustellen. Als kleines Extra legte er eine handschriftliche Botschaft bei, auf die er die Worte „Probier mich!“ schrieb. Auf eine Unterschrift des Absenders verzichtete er dabei.    Unwillkürlich musste der Blonde, der kurz nach diesem Vorfall seinen Karrierewunsch als Duellant aufgegeben hatte und stattdessen seine Hobbybäckerei zum Beruf gemacht hatte, über diese kleine Geschichte aus vergangenen Tagen schmunzeln. Heute wusste er, dass der Brünette so gar kein Fan von Süßkram und sein damaliges Präsent somit für die Katz war.    Dennoch nahm die Geschichte ihren Lauf und der damalige Schultag neigte sich dem Ende. Als die Schulglocke die letzte Stunde beendete, trat der Brünette schließlich an Jonouchis Tisch heran und sah ihn herausfordernd an. Die Freunde sahen die unheilvollen Wolken bereits aufziehen, denn Kaibas Blick ließ wie immer kein freudiges Thema erwarten, sondern eher die üblichen Provokationen und Streitereien erahnen.  „Was hast du nun schon wieder angestellt, Jonouchi?“, wollte Honda gleich von ihm wissen. Doch der Blonde schwieg sich dahingehend aus. „Wie kann ich dir helfen, Kaiba?“, grinste er den Firmenchef wissend an und war gespannt auf dessen Antwort. Besagter zog wie so oft eine seiner Augenbrauen nach oben, fühlte sich in seinem Tun bestätigt und stieg mit einem belustigten Ton in der Stimme auf das sich anbahnende Wortgefecht ein. „Offenbar ist die Kapazität deines Spatzenhirns wirklich nicht sehr groß, wenn du das nicht weißt. “ „Oh, das trifft mich jetzt aber hart“, triefte die Antwort nur so vor Ironie. Interessant an der Sache war, dass der Blonde sich diesmal nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ wie sonst. Auch war seine Wortwahl heute mehr überlegt als impulsiv und er konterte erstaunlich gut.    Dennoch heizte sich die Luft wie so oft zwischen den beiden Streithähnen schnell auf und die Freunde wussten, dass es sich noch eine Weile hinziehen konnte, bis einer der beiden, eigentlich immer Kaiba, siegreich aus diesem Wortgefecht hervorgehen würde. „Jonouchi, wir warten dann draußen auf dich“, ließ Yuugi schließlich verlauten und die Truppe verließ kopfschüttelnd das Klassenzimmer. Nach all der Zeit waren sie die ewigen Zankereien einfach satt und ließen die beiden allein zurück.   „So, und jetzt sagst du mir, was das hier zu bedeuten hat“, stellte der Brünette Jonouchi zur Rede und ließ die kleine Pralinenpackung auf dessen Tisch fallen. „Das, mein lieber Kaiba, ist ein sogenanntes “Weihnachtsgeschenk“. Sowas wird im Allgemeinen an den Weihnachtstagen verschenkt, um anderen eine Freude zu bereiten. Außerdem ist es mit viel Liebe selbst hergestellt worden. Steht doch alles drauf. Aber offenbar hast du sowas noch nie bekommen und kannst es daher natürlich nicht wissen“, antwortete der Blonde belustigt, wohlwissend, dass Kaiba diese sarkastische Antwort nicht zufrieden stellen und auf die Palme bringen würde. Heute hatte eindeutig er die Nase vorn und das wollte er auch vollends auskosten. „So so. Es steht also alles drauf“, sinnierte der Brünette daraufhin gespielt, während er sich den Aufkleber sowie die beigelegte Nachricht besah und sich ein undefinierbares Grinsen in sein Gesicht schlich. Meist ein Zeichen dafür, dass der Blonde jetzt verbal einstecken musste. Mental darauf vorbereitet, straffte er seinen Körper und machte sich bereit, zurückzuschlagen. Doch es folgten keine Worte sondern Taten.    Aus dem Nichts heraus überwand Kaiba die kurze Distanz zwischen ihnen und zog den Jüngeren am Kragen halb über seinen Tisch, sodass er sich auf diesem abstützen musste. Jedoch nicht um ihm zu drohen oder ihm seine verbale Überlegenheit zu präsentieren, sondern um ihm frech einen Kuss zu rauben. Überrumpelt von der Aktion, wusste Jonouchi gar nicht, wie ihm geschah. Die Reizüberflutung überforderte ihn komplett, sodass er es einfach so geschehen ließ. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, veränderte jedoch alles.  „Es war mir eine süße Freude, probieren zu dürfen“, hielt der Firmenchef das kleine beigelegte Kärtchen in den Händen. Offenbar waren die Pralinen nicht das Objekt seiner Begierde. Denn wie bereits erwähnt, war er für Süßigkeiten nicht zu begeistern und nahm sich stattdessen etwas anderes zum Vernaschen. So wurde aus einer kleinen Pralinenschachtel letztendlich eine Beziehung. Aus einem dummen Zufall heraus. Andererseits: Zufälle gab es nicht. Es fiel einem zu, was fällig war! Und das waren sie wohl beide. Denn auch wenn sie heute kein Paar mehr waren, war die Zeit nach dieser Pralinenaffäre doch eine der Schönsten für ihn gewesen.    Gedankenverloren starrte der Blonde auf die Verpackung in seinen Händen. Ein flüchtiger Blick auf die Wanduhr verriet ihm, dass es kaum mehr zwei Stunden waren bis zu seinem Feierabend. Nur noch zwei kurze Stunden. Ein tiefer Seufzer war zu hören, in dem viel des vergessen geglaubten Herzschmerzes mitschwang. Vorsichtig stellte er die Verpackung mit dem zuckersüßen Inhalt wieder zurück ins Kühlhaus und beendete seine Pause.    Die Zeit verging wie im Flug und ehe er es sich versah, schlug die Uhr achtmal zur vollen Stunde. Wie es Mokuba versprochen hatte, stand der Chauffeur überpünktlich vor der Tür und wartete auf seinen Fahrgast. Das bemerkte auch Jonouchi, der kurz nach 20 Uhr angespannt das Café verließ.  Sofort wehte ihm ein eisiger Wind entgegen und ließ ihn am ganzen Körper frösteln. Mit gemischten Gefühlen ging er langsamen Schrittes auf das parkende Fahrzeug zu. In seinem Kopf dröhnte das Geräusch im Takt seines eigenen Herzschlags, welches immer lauter zu werden schien und die Außengeräusche langsam in den Hintergrund drängte. Eine für Jonouchi unangenehme Stille breitete sich in ihm aus, als er schließlich am Auto ankam und kurz inne hielt.    Frost biting your flesh The air is ice cold It's far too quiet   Die Fahrzeuge des Kaiba Imperiums kannte er nur allzu gut, den Fahrer jedoch nicht. ‘Diesmal ist es gar nicht Isono. Vermutlich holt er gerade Seto vom Flughafen ab’, ging es ihm durch den Kopf und er fühlte sich bestätigt, dass Mokuba wohl tatsächlich ein Aufeinandertreffen der beiden plante. Doch so einfach ließen sich die Differenzen, welche sich über die wenigen gemeinsamen Jahre aufgebaut hatten, nicht überwinden. Auch merkte er in diesem Augenblick etwas, was ihn selbst kurz resignierend schmunzeln ließ: in seinen Gedanken sprach er den Firmenchef noch immer mit seinem Vornamen an. Und das, obwohl sie jetzt bereits ein Jahr lang keinen Kontakt mehr hatten und er die Erinnerungen an ihn so gut es ging in seinem Inneren verschlossen hielt. Was die meiste Zeit auch erstaunlich gut klappte. Bis zu jenem Moment, als Mokuba vor ihm stand. Nach diesem Treffen, brachen immer wieder kleine Erinnerungsfetzen hervor, ließen ihn schmunzeln, seufzen und hinterließen eine bittersüße Sehnsucht nach dem Vergangenen.    Ein seltsam fremdes Gefühl kam in ihm auf und sein Atem stockte. Konnte es wahr sein? Würde er ihn heute wirklich wiedersehen?    Nein.    Es war vorbei.  Sie waren sich einig und es gab keinen Weg zurück.  Und dennoch…   Still holding your breath Holding out hope But this night is silent   Wie aus dem Nichts kommend, riss ihn ein monotones „Guten Abend“ aus seinen Gedanken. Er sah zu der Person, die direkt neben ihm stand und die Tür des Fahrzeugs geöffnet hielt.  „Bitte, steigen Sie gern ein“, fuhr er fort und arbeitete damit wohl sein Protokoll zur Abholung der Gäste des Hauses Kaiba ab. Jonouchi hinterfragte es nicht weiter und tat, wie ihm geheißen. Gleich war es soweit. In nur wenigen Augenblicken würde er dort ankommen, wo er vor fast einem Jahr schweren Herzens fortgegangen war.    Er erinnerte sich an seine Worte, die ihm damals so schmerzlich über die Lippen kamen, ihn wie einen Stein tief ins Meer hinunter auf den dunklen kalten Grund zogen und die alles beendeten. Es war schwer, stark zu bleiben, die Tränen zurückzuhalten, die drohten die Lüge in seinen Worten aufzudecken. Wollte er doch eigentlich gar nicht gehen und die Beziehung beenden.    You're trying to stay strong You'll never say the words But you wanna cry it   Doch das änderte heute nichts mehr an den Tatsachen. Sein Blick schweifte durch die getönten Scheiben nach draußen in die im Schein der Lichterketten schimmernde Stadt und seine Gedanken blieben an einem wunderbar blau leuchtenden Augenpaar aus seiner Erinnerung hängen.   Zur gleichen Zeit stieg Kaiba am Flughafen bereits in seinen Wagen, an dessen Steuer wie immer Isono saß. Sein letzter Besuch war tatsächlich lang her und die früher so vertraut geglaubten Dinge des ehemaligen Alltags waren ihm heute regelrecht fremd geworden, obwohl die Stadt und die Menschen darin vermutlich noch immer die Gleichen geblieben waren. Nichtsahnend von dem Plan seines Bruders lehnte er sich zurück und beobachtete die ausufernde Weihnachtsdekoration, die ihn erneut an die vergangenen Weihnachtstage erinnerte.  An die kleinen Honigpralinen, die diese ungewöhnliche Beziehung entstehen ließ.  An den flüchtigen Moment, in dem er Katsuya einen Kuss unter dem Mistelzweig geschenkt hatte.  An den romantischen Ausflug nach Brooklyn, der die bernsteinfarbenen Augen zum Leuchten brachte. Und an so viele andere Augenblicke, die sie zusammen erlebt und geteilt hatten. Sicher, die Trennung erfolgte ohne viele große Worte. Doch ihn beschlich immer häufiger der Gedanke, dass es vielleicht doch ein Fehler war, ihn einfach so gehen gelassen zu haben. Denn das untrügliche Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben, ließ sich einfach nicht abschütteln, egal wie oft er es versucht hatte. Jetzt war er wieder in der Stadt, in seiner Stadt, seinem zu Hause. Und vielleicht, aber nur vielleicht, würde er ihm, wenn auch nur kurz, in der Stadt oder bei seiner Arbeit im Café begegnen.   Inzwischen kam Jonouchi am Ziel seiner kurzen Reise an, wo er bereits sehnsüchtig von Mokuba erwartet wurde. Er schloss die zermürbenden Gedanken wieder tief in seinem Herzen ein, wo er sie sicher verwahrt glaubte, und stieg mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem gesponserten, fahrbaren Untersatz aus.   „Ihre Tortenlieferung, Herr Kaiba“, grinste Jonouchi den Jüngeren belustigt an und überreichte ihm die mit blauen Schneeflocken bedruckte Schachtel. „Pünktlich, wie bestellt. Vielen Dank!“, nahm der Schwarzhaarige die Verpackung mit dem süßen Inhalt entgegen und sah ihn erwartungsvoll an. „Und, was hast du heute noch vor?“ Da war sie. Die Frage, die der Blonde bereits erwartet und die ihn die ganze Fahrt über beschäftigt hatte. Somit musste er nicht unvorbereitet in diese Schlacht ziehen.   „Nicht mehr viel. Der Tag war lang und anstrengend genug“, lächelte er ihn etwas schief an und seufzte herzhaft, um es zu unterstreichen. „Ich verstehe“, sagte sein Gegenüber etwas geknickt. „Aber falls du Lust hast, ich meine, naja, du kannst ja noch zum Essen bleiben. Ich bin mir sicher, dass Seto…“, startete er einen weiteren Versuch und wurde mitten im Satz von Jounouchi unterbrochen. „Ist wirklich nett gemeint, Mokuba, aber lass es gut sein“, wehrte er das Angebot des Jugendlichen ab und setzte sich ein bitteres Lächeln auf. „Ja, natürlich“, gab dieser sich geschlagen. „Dann lass ich dich noch nach Hause bringen und…“ „Ist schon gut. Ich wollte noch kurz zum Marktplatz gehen und dann ab nach Hause“, winkte der Blonde neuerlich ab und Mokuba akzeptierte es stillschweigend. „Dann komm gut nach Hause und vielen Dank nochmal.“ „Immer gern. Viel Spaß heut Abend.“   Kurz überlegte er, ob er dem Brünetten noch Grüße bestellen lassen sollte, hielt es dann jedoch für unangebracht und schluckte die unausgesprochenen Worte wieder herunter. Mokuba nickte nur zur Bestätigung und sie verabschiedeten sich voneinander. Nach wenigen Schritten dröhnte jedoch erneut Mokubas Stimme an sein Ohr. „Hey, Katsuya!“, rief er ihm aus der Ferne hinterher. „Frohe Weihnachten!“ „Merry Christmas!“, rief der Blonde mit einem Schmunzeln zurück. Ja, manche Dinge ändern sich wahrlich niemals. Und dann verließ er zügig das Grundstück der Kaibas.   Als er ein paar Schritte von der Toreinfahrt entfernt war, sah er einen dunklen Wagen, der ihm auf der einsamen Straße entgegen kam. Er erkannte ihn sofort und wickelte seinen Schal noch einmal mehr um seinen Hals. Vor ihm flackerte eine der Straßenlaternen und fiel kurz darauf aus. Seine Schritte wurden langsamer, sodass er sich unauffällig im Schatten der defekten Lampe bewegte. Als sie auf gleicher Höhe waren, riskierte der Blonde im Schutz der Dunkelheit einen kurzen Blick hinüber zum Fahrzeug. Im gleichen Moment flackerte das Licht der Laterne wieder auf und gab damit sein dunkles Versteck preis. Vom Schicksal ertappt, wandte er sich eiligst von der Straße ab, während das Auto an ihm vorbeifuhr. Kurz blieb er stehen und überlegte, sich noch einmal umzudrehen. Jedoch verwarf er diesen Gedanken genauso schnell wieder und setzte seinen Weg fort, während der Wagen schließlich, wie erwartet, in der Einfahrt verschwand.   Eines jedoch konnte er nicht abstellen. Wie ein Gebet rief ihm seine innere Stimme immer wieder Worte zu, die er nicht hören wollte: „Dreh um! Geh zurück! Versuch es erneut!“ Doch er ignorierte sie, schob sie beiseite und ging seines Weges.   Indes kam der Wagen vor dem Anwesen zum Stehen. Während Isono das Reisegepäck auslud und ins Haus brachte, stieg der Firmenchef aus und wandte sich um. Hatte er draußen auf dem Weg doch eben eine Person stehen sehen, die im flackernden Licht der Straßenbeleuchtung seine Aufmerksamkeit erregte. Doch es war niemand mehr zu sehen. Also tat er die Sache ab und betrat sein so lang nicht mehr gesehenes Zuhause. Direkt darauf hörte er Schritte auf sich zukommen, die Mokuba zuzuordnen waren. Ein Wiedersehen, das lange auf sich hatte warten lassen.  „Hallo Mokuba“, begann er mit einem freundlichen Ton seinen Bruder zu begrüßen. Doch statt einer überschwänglichen Begrüßung, die er erwartet hatte, schlug dieser ihm ein vorwurfsvolles „Du bist zu spät!“ entgegen.    Etwas perplex über diesen unerwarteten harschen Tonfall, glitt sein Blick auf die Uhr. Diese verriet ihm, dass es gerade mal 20:25 Uhr war. Geplante Ankunft war eigentlich erst in 5 Minuten. Isonos Fahrstil und die leeren Straßen am Heiligabend trugen ihr Übriges dazu bei. „Du meinst zu früh“, korrigierte er den Jüngeren. „Nein! Du bist wie immer zu spät!!“, schimpfte er erneut mit Nachdruck in der Stimme und hielt ihm ein kleines, weihnachtlich verziertes Schächtelchen unter die Nase, welches mit einem “Made with Love“-Aufkleber versehen war.    „Du hast ihn verpasst! Los, geh ihm hinterher!“  Die kleine hellblaue Verpackung holte süße Erinnerungen an vergangene Schultage wieder hervor. Darin waren zwei mit weißer Schokolade überzoge Pralinen verpackt. Seine Vermutung bestätigte sich. Die Person, die er für den Bruchteil einer Sekunde draußen in der klirrenden Kälte der Nacht gesehen hatte, nur flüchtig im Halbdunkeln und zudem noch von der Straße abgewandt, wohl darauf bedacht, nicht erkannt zu werden, war nicht nur ein bloßer Trug seiner Erinnerungen gewesen. Blondes Haar, ein weinroter Schal und der schwarze halblange Wollmantel, den sie zusammen bei einer Shoppingtour in der Weihnachtszeit gekauft hatten. Dazu diese kleine Süßigkeit, die sie damals zusammen gebracht hatte. Es ließ keine weiteren Zweifel mehr zu. Unter Tausenden würde er ihn, Katsuya Jonouchi, wiedererkennen. Jedoch konnte oder wollte er es in dem Moment noch nicht wahr haben. Wieso sollte er hier gewesen sein? Ihre Beziehung war lange beendet, der Kontakt abgebrochen. Oder doch nicht? Gab es da noch ein kleines Fünkchen Hoffnung? Eine zweite Chance? Dann musste er sie nutzen. „Mokuba, weißt du, wohin er gegangen ist?“ Ein Schmunzeln schlich sich in das Gesicht seines jüngeren Bruders als er bejahend antwortete: „Natürlich.“   Jonouchi war inzwischen am Marktplatz angekommen, auf dem, wie in den letzten Jahren auch, ein Chor bekannte Weihnachtslieder aus aller Welt in den verschiedensten Sprachen sang. Ringsum standen überall Familien und Paare zusammen. Sie unterhielten sich miteinander, scherzten und lachten, während die Kinder zusammen spielten und sich amüsierten. Die verliebten Pärchen kuschelten sich der Kälte wegen fester aneinander. Ja, das war die Weihnachtszeit. Ein Fest der Liebe mit hell erleuchteten Plätzen, an denen die Menschen zusammenkamen und gemeinsam eine besinnliche Zeit genießen konnten. So sehr sich der Blonde sonst auch über diese wunderbare Zeit freute, so schmerzte es ihn auch gleichzeitig. Wehmut breitete sich in seinem Herzen aus und machte es mit einem Mal so unerträglich schwer. Sein Atem ließ kleine weiße Nebelwolken in der Kälte entstehen.    „Noch ist es nicht zu spät“, drängte sich ihm erneut seine innere Stimme auf.  Doch, es war zu spät.    Er würde den Weg zurück nicht antreten und hatte die Chance einfach verstreichen lassen. Stillschweigend lauschte er dem Gesang des Chors, der gerade die Stille Nacht besang, als ihm eine eisig kalte Brise von hinten in den Nacken wehte und ihn frösteln ließ. Er zog seinen weinroten Schal etwas fester zusammen, um die beißende Kälte auszusperren. Fest eingemummelt, bemerkte er noch etwas anderes, das der Wind mit sich trug und durch sein blondes Haar wehte. Einen vertrauten Geruch, verbunden mit bittersüßen Erinnerungen und einer stillen Sehnsucht. Nahezu automatisch wandte sich Jonouchi in die Richtung, aus welcher der Hauch des Windes ihm diese Botschaft sandte. Doch was er dort sah, konnte er beinahe nicht glauben. Ein Mann, wie immer adrett gekleidet in seinem dunkelblauen Mantel, stand nur wenige Schritte von ihm entfernt, während ein schneeweißer Schal ihn vor der grässlich kalten Zugluft schützte. Eisig blaue Augen, die drohten ihn gefangen zu nehmen, leuchteten unter dem brünetten Haar hervor und ließen Jonouchi den Atem stocken.  Plötzlich war er wieder da.  Einfach so. Und im Bruchteil einer Sekunde wurden alle Bedenken, die ihn bis eben noch beherrschten, einfach ausradiert.   Silent Night, Holy Night All is calm, All is bright   Die Stimmen des Chors schienen langsam von der Stille der Nacht verschlungen zu werden, ebenso wie Jonouchis Gedanken. Es wurde ruhig, obwohl der Gesang nicht verstummte, und alles schien plötzlich still zu stehen, während tausende von Lichtern diesen nicht enden wollenden Moment erhellten.   Are you coming home? (Silent Night) Are you coming home? (Holy Night) Are you coming home? (All is calm) Are you coming home? (All is bright) Are you coming home?   Er war tatsächlich wieder nach Hause gekommen.  Nicht zurück nach Japan oder zurück zu Mokuba.  Sondern zu ihm.    Ja, für Jonouchi gab es keinen Weg zurück. Er würde weiter nach vorn gehen. Was jedoch nicht hieß, dass der andere nicht einfach einen Schritt auf ihn zugehen konnte. Ihn abholen würde. Wo immer er auch sein mochte.    Frost biting your flesh The air is ice cold It's far too quiet (quiet)   Die beißende Kälte und den winterlichen Atem von Väterchen Frost ignorierte der Blonde einfach. Endlos lang erschien ihm dieser unerwartete Moment des Wiedersehens, ohne dass sie beide ein Wort verloren, keinen Atemzug wagten und eine leise Hoffnung in sich trugen in dieser stillen Nacht am Heiligabend.    Still holding your breath Holding out hope But this night is silent   Längst vergessene Gefühle kehrten zurück, überfielen den Blonden aus dem Nichts wie ein tobender Schneesturm und suchten sich ihren Weg. Er wollte keine Tränen mehr für das Vergangene vergießen, sie einfach für immer wegschließen und nie wieder herauf holen. Zu lang wartete er bereits auf die Worte, die für ihn alles bedeuteten, die ihm sagten, dass er nicht gehen sollte. Nicht das klassische „Ich liebe dich“, sondern einfach ein Ausdruck seiner ehrlichen Gefühle für ihn. Etwas, dass ihm zeigte, was er ihm bedeutete.   „Ich habe dich vermisst.“, sagte der Brünette schließlich ohne ein Wort der Begrüßung.    Da waren sie. Die Worte die er so sehnlichst hören wollte. Und das schon so viel früher.  Er senkte seinen Kopf. Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte er sich in Bewegung und ging direkt auf seinen Gegenüber zu. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und ließen eine unbändige Wut erahnen. Einen Schritt von dem Brünetten entfernt blieb er schließlich stehen, hob seine Hände und krallte sich in dem dunklen Stoff von dessen Mantel fest. Die Anspannung war deutlich zu spüren. Doch der Firmenchef ließ ihn gewähren. Er konnte die Wut des Anderen durchaus verstehen und akzeptierte jeden Schuldspruch, den dieser für angemessen hielt.    „Warum hat das so lange gedauert?“, begann der Blonde mit brüchiger Stimme zu sprechen und hob seinen Kopf, um in das lang ersehnte Blau seines Gegenübers einzutauchen.   You're trying to stay strong   „Warum zum Teufel hast du ein ganzes Jahr dafür gebraucht?“, wurde der Ton eindringlicher und heiße Tränen bahnten sich ihren Weg über die bereits geröteten Wangen.   You'll never say the words   „Ich… hab auf dich gewartet…“, vergrub er schließlich sein Gesicht in dem schneeweißen Schal des Anderen und vergoss bittersüße Tränen darin.   But you wanna cry it   „Ich weiß. Ich bin spät dran“, antwortete der Brünette mit beruhigender Stimme und legte seine Arme um den vor Aufregung bebenden Körper. „Kannst du mir verzeihen?“   Are you coming home?   Zu gerne hätte der Blonde darauf mit einem bissigen Vorwurf geantwortet und ihm einfach alles mit voller Wucht an den Kopf geworfen, das ihn bereits den ganzen Tag lang oder viel mehr die ganze Zeit über beschäftigt hatte. Stattdessen vergrub er jedoch stumm seinen Kopf im weichen Stoff von Setos weißen Schal und nickte kaum merklich. Er war nicht mehr in der Lage mit Worten zu antworten und hätte diese auch nicht benötigt, denn der Größere zog ihn wohlwissend noch fester in eine innige Umarmung und er wurde sogleich noch stärker an den warmen Körper des anderen gezogen. Ein langes Jahr musste vergehen, bis er den Blonden wieder so  in seine Arme schließen konnte. Seine Hand suchte sich ihren Weg in die weichen Haare, die noch genau wie früher so wunderbar nach Honig dufteten.    Ein angenehmes Gefühl breitete sich in Jonouchis Körper aus und ließ ihn langsam zur Ruhe kommen. Er genoss die sanfte Berührung, von der er dachte, sie nie wieder erfahren zu können, und lehnte sich ihr entgegen. Den Moment nutzend, beugte sich Kaiba ein Stück nach vorn und platzierte einen sanften Kuss auf der Stirn des Blonden. Ein leiser Seufzer schlich über dessen Lippen, als sich seine von Tränen getränkten Augen wieder öffneten. In den leuchtenden Bernsteinen konnte der Brünette eine Sehnsucht erkennen, die er selbst ebenfalls viel zu lange in sich trug und die ihm sagte, dass so ein einfacher Kuss nicht ausreichen würde. Erwartungsvoll sah der Blonde ihn mit diesem zuckersüßen Blick an, den der Firmenchef so sehr vermisst hatte.   „Ich war wirklich dumm, dich gehen zu lassen“, sagte er beinahe flüsternd, als er sich seinem Gegenüber näherte und sanft dessen Lippen mit den Seinen berührte. Nur flüchtig, als wäre es ein Traum, aus dem er jeden Moment erwachen würde. Doch auch das reichte Jonouchi nicht. Zu lange musste seine ausgehungerte Seele darauf warten und wollte sich mit diesem Hauch von Nichts keinesfalls zufrieden geben.    Also krallte er sich fester in den Mantel des Anderen und zog ihn mit einem Ruck an sich heran, um diesen einen sehnsüchtig herbei gewünschten Kuss auf der Stelle einzufordern, bevor dieser Moment verstreichen würde. Die kurze Überraschung über den plötzlichen Überfall war Kaiba direkt anzusehen. Dennoch gab er sofort ohne Widerstand nach, ließ sich ausräubern und von den aufkommenden Gefühlen gefangen nehmen, während im Hintergrund der Weihnachtschor weiter seine Lieder, geschmückt mit warmen Worten und hellen Tönen, sang. Und mit dem Ende dieses Weihnachtsliedes löste sich auch Jonouchi wieder von den Lippen seines so schmerzlich lang vermissten Liebsten und schaute ihn verwegen an.   „Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich mich mit dieser kleinen Kostprobe zufrieden gebe?“, sprach der Blonde mit einem frechen Grinsen, während er seinem Gegenüber einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. „Nein, natürlich nicht“, antwortete der Angesprochene als wäre es selbstverständlich und musste ebenfalls Schmunzeln. Da war er wieder, dieser freche Blondschopf mit seinem vorlauten Mundwerk, der einfach sprach, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Der ihn stets reizte, sein Leben immer wieder so wunderbar durcheinander brachte und ihn gerade wieder mit diesem einzigartig verheißungsvollen Blick ansah.    „Seto?“ „Ja?“ „Frohe Weihnachten...“   Ja.  Er war sich sicher.  Diesen frechen Kerl, der ihn immer wieder aufs neue mit seiner Art überrumpelte, würde er definitiv kein zweites Mal gehen lassen.    „Frohe Weihnachten, Katsuya“   Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)