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Do it ... or not!

von

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Prolog

Mathematik war nicht direkt eins ihrer Lieblingsfächer, aber sie mochte es. Sie verstand die Rechnungen und wusste, wie sie an die Sache herangehen musste. Anders als andere eben. An sich war es ungewöhnlich für eine heranwachsende Frau – zumindest wenn es der Norm entsprach. Es hieß ja überall, dass Mädchen in Mathematik und sämtlichen naturwissenschaftlichen Fächern schlecht seien. Sie sollen sich doch lieber mit der Kunst, Musik und dem Kochen beschäftigen. Das wäre sowieso irgendwann ihre Aufgabe. So wie das die Aufgabe von sämtlichen Frauen auf dieser Welt war. Manche Lehrer waren im vergangenen Jahrhundert hängen geblieben. Ihr Vater hingegen war wohl der Schuldige an ihrem Verständnis der naturwissenschaftlichen Fächer. Dieser hatte auf gute Noten in diesen Fächern bestanden, sonst sei es eine Schande. Natürlich ... er war Mathematik-Professor. Da konnte man schon mit der Begabung seiner Tochter angeben. Wäre blöd für ihn, müsste er erklären, dass das eigene Kind in den Fächern schlecht war, die er unterrichtete. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Er hängte sich immer daran auf, wenn sie nicht die volle Punktzahl in einer Prüfung hatte. Aber sie lernte auch fleißig und gab ihr Bestes. Das und dass sie dem typischen Mauerblümchen entsprach und schüchtern war, waren der Grund, weshalb sie Zeit dafür hatte und keine Freunde fand. Ein Teufelskreis. Aber damit konnte sie leben, schließlich war sie Maya Lucinda Reeds. Sie wollte in ihrem Leben etwas erreichen und sich doch irgendwie einen Namen machen. Auch wenn sie noch nicht wusste auf welche Weise.
 

Ihre trübsinnigen Gedanken versuchte sie möglichst klein zu halten. Aber selbst Maya fühlte sich einsam. Kein Wunder. Sie war es. Vor allem wenn sie die anderen Mädchen sah, wie sie gemeinsam zu mittagaßen. Sich unterhielten und lachten. Wie die Jungs miteinander umgingen. Oder gar die, die sich mit Mädchen unterhielten. Sie küssten. Und mehr mit ihnen taten. Maya lebte aktuell jedoch für die guten Leistungen. Andere Familien wollten genau das auch für ihre Kinder. Doch wären alle Kinder so, dann wäre jeder ziemlich einsam. Nicht nur sie.

Daher gab es auch Augenblicke, in denen sie sich wieder jemanden wünschte, der für sie da war. Unauffällig sah sie auf ihr Handy. Die junge Frau stand an ihrem Spind und musterte ihr Hintergrundbild. Dieses war bereits wieder zwei Jahre her. Sie waren zu Weihnachten nach Paris geflogen, um mit der befreundeten Familie Brown zu feiern. Das Bild zeigte sie mit ihrem besten Freund Simon. Sie lachten beide. Trugen denselben Pullover und hatten Spaß. Es war ein Geschenk ihrer Eltern gewesen. Etwas, das nur ihnen beiden gehört. Es war ein schöner Abend gewesen. Nur bei ihm konnte sie so offen sein. Lachen. Herumalbern. Einfach anders als hier. Nicht dieses Mauerblümchen. Seufzend packte sie es zurück und nahm sich ihr Geschichtsbuch heraus. Der Unterricht rief und damit schloss sie ihr Fach.
 

Das allerdings zu schwungvoll, sodass es ihr nicht auffiel, wie ihr Skizzenbuch herausfiel und auf dem Boden liegen blieb. Ein Skizzenbuch, in dem einige Menschen dieser Schule zu sehen waren. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Hier war sie ganz Frau – sie tobte sich künstlerisch aus. Zeichnete das, was sie sah. Übungen an Gesichtern, Mimiken und Proportionen. Nicht nur während des Mittagessens. Ein Vorteil als Mauerblümchen war der, dass sie meist unbemerkt blieb. So gab es einige Zeichnungen von Schülern in prekären Situationen. Sei es nun in der Bibliothek gewesen, als sie eigentlich gelernt hatte oder auf der Toilette, die sie zum Frischmachen aufgesucht hatte. Weshalb sie nicht einfach gegangen war, konnte sich Maya nicht erklären. Als Außenseiterin hatte sie das bislang noch nicht erlebt und fand es faszinierend. Sie sah darin nicht den Akt der Vereinigung an sich, sie sah zwei Körper, die miteinander verschmolzen. Das wollte sie festhalten. Das Zusammenspiel zweier Menschen. Egal ob Mann oder Frau. Sie wollte es möglichst echt und natürlich wiedergeben.

Es war aber auch nicht verwunderlich, dass sie dabei rote Wangen bekam. Und es war auch peinlich. Schlimmer wäre es gewesen, hätte man sie dabei gesehen. Schließlich war sie dadurch ein Voyeur. Bislang ging es aber gut und sie bereute es nicht. Was die Zeichnungen anbelangte, hütete sie wie einen Schatz – blöd nur, dass sie es nicht bemerkte. An sich sollte es niemand sehen. Denn das wohl wichtigste Bild war das einer Schülerin und ihrem Chemielehrer. Maya hatte noch etwas im Vorbereitungsraum aufgeräumt, diesen konnte sie aber nur durch den Unterrichtssaal verlassen. Ihr Lehrer schien Vergessen oder nicht bemerkt zu haben, dass sie noch dort war. Aber die Tür war leicht geöffnet gewesen und das Stöhnen von ihr, hatte sie innehalten lassen. Wie ihr Körper auf dem Pult lag, hatte Maya dazu gebracht, ihr Skizzenbuch herauszuziehen. Und seine Berührungen hatten sie den Stift über das Papier ziehen lassen. Diese Zeichnung würde sie wohl als Freak brandmarken und den Lehrer in eine heikle Lage bringen. Letzteres würde sie wohl noch eher verkraften. Selbst die Tierbilder darin würden das nicht abschwächen können.
 

Aber jetzt war sie schon auf dem Weg zur nächsten Unterrichtsstunde ...

Erwischt

Geschichte war super öde. So ihre Meinung. Maya wurde damit nicht warm. Schön und gut, dass es wichtig war, zu wissen, was damals geschehen war. Aber das hieß nicht, dass es für sie interessant war. Gerade wünschte sich die Schwarzhaarige doch irgendwie die Mathestunde zurück. Seufzend lag ihr Kopf auf ihrer Handfläche, während sie zwar mitschrieb, das aber eher gelangweilt. Trotzdem musste sie sich alles notieren. Ihren Lehrer hatte sie die letzten Jahre beobachtet, er hatte immer kleine Anzeichen, wenn wohl ein unangekündigter Test ansteht. Zuhause musste sie sich die Sachen auf jeden Fall nochmal anschauen. Sonst blickte sie da überhaupt nicht durch. Erneut entkam ihrem Mund ein Seufzen. Dabei hatte die Schule gerade erst angefangen, aber es war ihr Abschlussjahr und da war die Zeit eben begrenzt. Als es endlich zum Ende der Stunde klingelte, legte sie erleichtert ihren Stift zurück in das Federmäppchen. Während die anderen Schüler bereits das Zimmer verließen, war wieder einmal sie es, die in aller Gemütlichkeit zusammenpackte. Sie hatte es nicht so eilig in die Pause zu kommen.

Als sie alle Dinge in ihrer Tasche verstaut hatte, stockte sie. Ihre Augen weiteten sich und sie sah nochmal ihre Bücher an. „Verdammt ...“, fluchte sie, „... wo ist es?“ Ihr wurde etwas anders. Hatte sie es im Spind gelassen? Aber da ließ sie es doch sonst nie. Welcher Ort blieb jedoch noch übrig. Maya schloss ihre Umhängetasche und schulterte sie, während sie sich erhob. Sie musste es finden, schließlich wäre es verdammt übel, wenn es jemand zu Gesicht bekam. Allerdings kam sie gar nicht weit. Der Weg hinaus wurde versperrt, von keinem Geringeren als Jamie Valmont. Dieser hatte seine Augen ganz klar auf sie gelegt. Auf sie!
 

Das Mauerblümchen in Person zuckte zurück und erwiderte den Blick mit weit aufgerissenen Augen. Noch nie hatte jemand sie so angesehen, wie er es im Moment tat. Intensiv. Seine Augen funkelten. Dabei wandte er den Blick nicht ab, während es Maya immer weiter einschüchterte. Ihr Mund öffnete sich leicht und war trocken. Ihr Herz schlug schneller, während sie noch einen Schritt zurück machte. Was wollte er denn von ihr?

„Das ist deins, oder?“, fragte er, während sich ein Mundwinkel hob. Mayas Augen weiteten sich weiter, als sie ihr Skizzenbuch in seinen Händen entdeckte. Da rutschte ihr das Herz in die Hose. Schwer schluckend überlegte sie sich, was sie sagen sollte. Aber sie musste es zugeben, schließlich wollte sie das Buch zurückhaben. Dagegen sprach, dass er möglicherweise hineingeschaut hatte. „J-ja ...“, stotterte sie leise, „d-danke ...“, sie lächelte sachte und eher unglücklich. Da streckte sie ihre Hand danach aus, sie wollte es ihm aus der Hand nehmen. Allerdings zog Jamie seine Hand zurück und etwas höher, sodass sie nicht an es hinkam, ohne näher zu kommen. Derweil begann er zu grinsen. „Nicht so schnell“, sprach er amüsiert. Wieder zuckte sie zurück und musterte ihn verschreckt. „Ich hätte gerne etwas von dir ... schließlich ... nette Zeichnungen“, lachte er leise und schlug es mit einer Hand auf. Der jungen Frau lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Was ist es dir wert, dass ich den Mund halte?“, fragte er, während er den Blick wieder auf sie legte. Aus diesem sprach die pure Arroganz. Er hatte sich komplett verändert. Während er sie zuvor noch amüsiert angesehen hatte, sah er nun auf sie herab. Sie zog ihre Hände zurück, „w-was m-meinst du?“ Es war ja klar, dass jemand wie er nicht einfach ohne Grund mit ihr sprach. Dass es allerdings um ihr Skizzenbuch ging, gefiel ihr gar nicht. Zumindest der Umstand, dass es sich in seinen Händen befand.
 

„Oh ... ich weiß nicht ...“, lachte Jamie und strich durch seine schwarzen Haare. Zum größten Teil waren die schulterlangen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, doch es wirkte, als seien sie gewollt unordentlich. Das sollte wohl den Look des Bad Boys unterstreichen, den Ruf hatte er zumindest. Die Mädchen standen darauf, wie sollte es also anders sein, dadurch war er ebenso ein Playboy. Gerade sah sich Maya eben diesem jungen Mann hilflos gegenüber. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe. Da trat er einen Schritt auf sie zu und nahm das Skizzenbuch hinter seinen Rücken, um es mit beiden Händen festzuhalten. Maya folgte der Bewegung seiner Hände und zuckte zurück, als er sich zu ihr hinunterbeugte und sein Gesicht dicht vor ihrem war. Als sie sich diesen tiefblauen Augen gegenüber, die sie eindringlich ansahen. Schwer schluckte sie, während es der jungen Frau kalt den Rücken hinunterlief, ihr aber gleichzeitig viel zu heiß war. Hinzu kamen noch ihre Wangen, die sich langsam röteten. Sein Blick war zu intensiv. Jamie schien jeden Zentimeter ihres Gesichtes haargenau unter die Lupe nehmen zu wollen. Kein Wunder, dass ihr das vollkommen unangenehm war.

„Ach, ich weiß ...“, lachte er und legte seinen Kopf leicht schief. Mayas Stirn kräuselte sich. „Wie wäre es mit einem Kaffee nach der Schule?“, schlug er irgendwann vor. „E-ein Kaffee?“, ihre Antwort war schriller als gewollt. Wer würde jedoch erwarten, dass ein Typ wie er, mit einem Mädchen wie sie, einen Kaffee trinken möchte. Doch ihr Blick fiel auf seine Arme, die hinter seinem Rücken ihr Buch hielten. Sie brauchte es zurück!

„Du willst es doch wieder haben“, grinste er weiterhin wissend. Zögerlich nickte sie, nachdem sie schwer geschluckt hatte. „Na dann ...“, Jamie richtete sich auf und strich sich erneut die Haare aus dem Gesicht, er merkte, dass sie mit sich haderte, „überleg es dir bis zum Schulschluss“, der Ältere wandte sich mit einem verschmitzten Lächeln ab und sah über die Schulter kurz zurück. Derweil blieb Maya etwas verdattert im Raum stehen. Schöne Scheiße ...

Eine Auslöse

Seufzend lehnte Maya an der Schulmauer. Sie wartete direkt am Eingang neben dem eisernen Tor. Zwei Schulstunden hatte sie Zeit gehabt, sich das alles gut zu überlegen, aber was blieb ihr anderes übrig? Sie brauchte das Buch zurück. Dafür musste sie wohl ins kalte Wasser springen. Derweil gingen lachend die anderen Schüler an ihr vorbei und genossen es, den Nachmittag vermutlich mit shoppen und teurem Essen verbringen zu können. Heute beneidete die Schwarzhaarige diese. Auch sie würde das lieber machen als das, was sie jetzt wohl gleich machen würde. Seufzend senkte sie den Kopf. Weitere Haarsträhnen rutschten von ihrer Schulter und verbargen ihr Gesicht noch etwas mehr.
 

„Du scheinst dich entschieden zu haben“, der amüsierte Unterton in seiner Stimme jagte ihr erneut kalt über den Rücken. Seine Stimme hatte etwas Dunkles. Etwas, was ihr nicht gefiel ... oder sie mochte nicht, dass es ihr gefiel ... also irgendwie – nein, sie mochte es nicht! Trotzdem tat er das und ihr wurde anders. Langsam hob sie den Kopf. Mit einer Hand hielt er den Gurt seiner Tasche auf seiner Schulter, die andere verschwand in der Hosentasche seiner schwarzen Schuluniform. Seine Augen waren starr auf sie gerichtet, während sie diesen Blick unsicher erwiderte. Sie wollte gerade die Augen niederschlagen, als sie ein Tuscheln hinter ihm hörte. Daher sah sie an ihm vorbei und entdeckte seine eigentliche Clique. Diese Blicke töteten. Maya versuchte, sich an die Namen zu erinnern. Sara, meinte sie, sie hatte Musik mit ihr. Die junge Frau verschränkte die Arme vor der Brust. Es war kein Geheimnis, dass Sara auf den Schwarzhaarigen stand. Nur war er immer wieder mit verschiedenen Mädchen zusammen. Mit Sicherheit war auch sie eine Scharte in seinem Bettpfosten. Vermutlich war das jedes zweite Mädchen in dieser Schule. Nur sie würde das nicht sein.
 

„Ein Kaffee ...“, murmelte sie nach einer gefühlten Ewigkeit. Mehr war das hier nicht. Sie tat das lediglich, um ihr Skizzenbuch zurückzubekommen. „Ja“, er hob den Kopf etwas an, „dann lass uns gehen“, er zeigte ihr ein verschmitztes Lächeln. Zögerlich nickte Maya und löste sich von der stützenden Mauer, damit sie ihm folgen konnte. Innerlich zog sich alles in ihr zusammen, während sie sich schutzlos den Blicken ausgesetzt fühlte. Ihr konnte es letztlich nicht schnell genug gehen, das Schulgelände zu verlassen, wobei sie auch da dieses Gefühl verfolgte. Es ließ eben einfach nicht locker. Trotzdem fiel ihr dort das Atmen schon leichter. Ihre Hände verkrampften sich trotz allem um den Gurt ihrer Tasche und sie hielt den Kopf gesenkt. Sie konnte ihn nicht ansehen, das wäre zu viel und das wollte sie nicht zulassen. Jeder Blick in die Augen eines anderen Menschen war schon zu viel. Sie wollte nur dieses ... ja was war das eigentlich? ... Sie wollte es beenden und dann mit ihrem Skizzenbuch verschwinden. Nicht mehr.

Als ihr der Geruch von Zigaretten in die Nase zog, hob sie dann doch den Kopf und sah zu dem jungen Mann neben sich auf. Dieser erwiderte den Blick, während er an der Zigarette in seinem Mund zog. Langsam nahm er sie heraus und stieß den Rauch von ihr weg aus. „Stört es dich?“, wollte er freundlich wissen. Kurz überlegte Maya, schüttelte dann aber den Kopf. Solange sie am Ende ihr Buch zurückbekam, würde sie wohl alles machen. Ihr Blick huschte unauffällig zur Seite. Sie beäugte ihn etwas, während Jamie weiter rauchte. Naja ... fast alles ...
 

Vor einem kleinen schnuckeligen Café blieb er letztlich stehen und drückte den Glimmstängel aus. Etwas überrascht musterte Maya erst das Gebäude und dann das Café durch das Schaufenster. Hier war sie schon so oft vorbeigekommen und wäre am liebsten hineingegangen, doch allein war sowas immer etwas merkwürdig. „Kommst du?“, fragte Jamie nach einer kurzen Weile, da er bereits an der Tür auf sie wartete. Die Schwarzhaarige schreckte kurz zusammen, trat dann aber zu ihm und ließ sich von ihm die Tür öffnen. Ein Zucken ließ ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht erahnen, da war es jedoch schon wieder verschwunden und sie sah sich um. „Lass uns hier vorn sitzen.“ Es klang wie ein Vorschlag, doch an sich ließ er kein Widerwort zu, so wirkte es auf sie. Daher folgte Maya dem Älteren zu einem Tisch direkt am Fenster. Wieder fühlte sie sich von allen beobachtet. Doch sie ließ sich erst einmal nieder und stellte die Tasche neben sich. Sie senkte den Blick, nur um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
 

„Was willst du haben?“ Nun musste sie wohl oder übel doch den Kopf heben. Ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht, während er den Kopf auf seiner Handfläche abstützte. Sie legte ihren leicht schief, da fiel ihr auf, dass es ein Selbstbedienungscafé war. Von der Theke sah sie zurück zu ihm, „soll ich die Sachen holen?“, stellte sie die Gegenfrage und griff bereits nach ihrer Tasche. Doch Jamie hob seine freie Hand, „ich sagte, wir trinken zusammen einen Kaffee, ich hab mit keiner Silbe gesagt, dass du zahlen musst“, hielt er sie auf. Mayas Mund öffnete sich, da sie schon etwas erwidern wollte. Sie war natürlich davon ausgegangen, schließlich verlangte sie etwas zurück, was ihr gehörte, was er jedoch nicht so leicht rausrücken wollte. Sie hätte sich darauf eingelassen und hätte ihm diesen Kaffee auch gezahlt. Sie waren alle nicht arm. Schließlich gingen sie auf eine Privatschule, die der High Society vorenthalten war. Zumindest denjenigen, die sich die Schulgebühren leisten konnten. Rein theoretisch hätte sich auch zum Lehrer gehen können, doch dann wäre rausgekommen, was für Zeichnungen sich in diesem Buch befanden. Zumal ihr Chemielehrer eindeutig als solcher zu identifizieren wäre. Es war nicht in Mayas Sinne einen Lehrer anzuklagen, da es ihr einvernehmlich erschienen war. Es ging sie nichts an, was andere trieben. So hielt sie den Mund, auch wenn es höchst verwerflich war. Ihre Handlungen mussten nicht unbedingt Sinn ergeben, sie wollte nur nicht für Ärger sorgen.

Brav schloss sich ihr Mund wieder und sie setzte sich ordentlich auf den Stuhl, faltete ihre Hände auf ihrem Schoß und sah ihn an. Er wartete selbstverständlich noch auf eine Antwort, schien jedoch geduldig zu sein. Maya überlegte und entschied sich letztlich für einen Milchkaffee. Jamie erhob sich und ging ohne ein weiteres Wort zur Theke. Diesen Augenblick nutzte sie, um zu sehen, wo er seine Tasche hingestellt hatte. Ein kleiner Teil in ihrem Kopf wollte sich das Buch schnappen und von hier verschwinden. Ein anderer pochte auf ihren Anstand und ließ sie weiterhin sitzen und warten. Es war immerhin nur ein Kaffee nichts weiter und sobald sie diesen getrunken hatten, bekam sie es wieder und gingen ihrer Wege.
 

Seufzend senkte sie den Kopf und hob ihn erst wieder, als Jamie mit einem Tablett zurückkam. Neben zwei Kaffee befanden sich noch zwei Teller darauf. Unwillkürlich wanderte eine Augenbraue nach oben. „Es ist Mittag, ich für meinen Teil habe Hunger ... du nicht?“, war es seine Erklärung, während er sich setzte. Natürlich war ihm ihr Blick nicht entgangen. Ein Sandwich und ein Kuchen. „Was davon möchtest du?“, ließ er ihr die Wahl. Von ihm sah sie zu den Tellern. „D-den Kuchen ...“, stotterte sie. „Stotterst du immer, wenn es nicht gerade im Unterricht ist?“, wollte Jamie direkt wissen, während er sich den Teller mit dem Sandwich nahm. Ihre Wangen färbten sich direkt rot, während sie den Blick abwandte, „nein ... aber ... ich bin unsicher ...“, erklärte sie. „Das wäre mir nie aufgefallen“, lachte ihr Gegenüber.

Verwundert griff sie nach der Tasse. Aktuell wirkte er gar nicht so arrogant, wie er sich in der Schule die ganze Zeit gab. Das verwirrte sie etwas. Aktuell erschien er ihr fast schon ... nett. Das war verdammt gruselig! Mit Blick nach oben, tatsächlich von unten herauf, trank sie den ersten Schluck. Er erwiderte den Blick, als er von seinem Sandwich abgebissen hatte. Es wirkte fast so, als läge ihm etwas auf der Zunge. Doch er hielt den Mund, bis er geschluckt hatte. „Du bist nicht oft unter Menschen, oder?“ „Nicht wirklich ...“ „Merkt man ... du sprichst von dir selbst als unsicher und in der Schule sitzt du immer allein ... und das in dem Alter ... wieso?“ „Keine Ahnung ... eben deshalb“, zuckte Maya mit den Schultern. Es gab keine Erklärung dafür. So war sie schon immer gewesen, wobei, das stimmte nicht ganz. Das war erst so, seit ihr bester Freund weggezogen war. Deswegen durfte sie jetzt aber nicht Trübsal blasen, das würde nur lästige Fragen hervorrufen. Ihre Aussage brachte ihn schon dazu, sie mit einem nachdenklichen Blick zu mustern. „Und dir ist nie eingefallen, jemanden zu fragen, ob er mit dir essen möchte oder etwas unternehmen?“ „Keine Zeit für sowas ...“ „Klar ... du verbringst sie lieber mit zeichnen“, wieder hob sich sein Mundwinkel verschmitzt, „und was für Zeichnungen ...“

Lasst die Spiele beginnen

Mit aufeinandergepressten Lippen erwiderte sie seinen Blick. Also war er nur hier, um sich über sie lustig zu machen? Mit Sicherheit wusste er, dass sie in diesen Momenten anwesend war. Und sie nicht aus ihrer Vorstellung heraus zeichnete und sie lediglich mit den Köpfen bekannter Personen versah. Schließlich sollte man solche Posen, das Zusammenspiel zweier Körper, in irgendeiner Weise einmal erlebt haben. Vielleicht ging er auch davon aus, dass es Momente ihres Lebens waren. Dass sie sich nur nicht traute, der weiblichen Person – und nicht alles darin war weiblich in diesem Part – ihren Kopf zu geben. Wie ihr Körper unter der Uniform aussah, konnte er nicht wissen ... nicht so genau, wie sie es zeichnete. Je länger sie sich in ihre Gedanken verstrickte, desto länger sah er sie mit diesem intensiven Blick an. Als würde er es sich vorstellen. Als würde er sie in einer dieser Szenen im Kopf haben. Wie sie sich auf dem Lehrerpult räkelte, während sich ein Mann tief in ihr versenkte. Oder auf der Toilette, während sie den Schwanz eines Mitschülers in den Mund nahm. Manche Details hatte sie selbstverständlich aus dem Internet. Die Szene auf der Mädchentoilette hatte sie nur durch die geschlossene Kabine erlebt. Das war also wirklich aus ihrer Fantasie heraus entstanden. Seufzend wandte sie endlich den Blick ab, doch sie spürte ihre glühenden Wangen. Na super – da verriet sie sich eindeutig selbst ... Schöne Scheiße ...
 

„Nach dem Kaffee kann ich es wiederhaben ...?“, murmelte sie leise, ohne irgendwie auch nur in der kleinsten Weise auf seine Worte einzugehen. Sie wollte nicht mehr. Nur noch hier weg und im Erdboden versinken. Oder bildete sie sich zu viel darauf ein? Überinterpretierte sie diese Situation? Möglicherweise, aber was sollte Maya tun? Sie konnte das nicht einschätzen. Lag sie richtig? Machte er sich über sie lustig? Oder wartete er nur auf den richtigen Moment, ihr das unter die Nase reiben zu können? „Ja ... natürlich ... ein Deal ist ein Deal ...“, erklärte Jamie gelassen. Er wirkte wirklich nicht so arrogant. Oder er gab sich gerade äußerst viel Mühe, nicht so zu wirken. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn und brachten sie nicht unbedingt weiter. Das konnte doch nur schlimmer werden. Wieso musste ihr das auch passieren? Bislang hatte es niemand gemerkt und nun war es ausgerechnet er ... Jamie Valmont höchstpersönlich. Leicht nickte sie und griff wieder nach ihrer Kaffeetasse. Diesen glühenden und durchdringenden Blick versuchte sie zu vermeiden. Ihm in die Augen zu sehen konnte nicht gut gehen. Dadurch verstärkte sich ihre Unsicherheit nur noch mehr. Ihrem Gegenüber schien das sichtlich Freude zu bereiten. Nichts entging ihm.
 

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Er konnte es zugeben: Er amüsierte sich. Die Kleine vor ihm machte jedem Teenie-Star in diesen Schulromanzen Konkurrenz. Sie entsprach dem Klischee. Zumindest fast. Er saß noch niemandem gegenüber, der so gut zeichnen konnte. Dieses Mädchen war jemand, den er bislang nie beachtet hatte, zumindest nicht bewusst. Vermutlich ging das vielen so. Sie war so unauffällig und wurde nur wahrgenommen, wenn sie sich in den Schulstunden mit einbrachte. Und dort hatten ihre Beiträge durchaus Qualität. Er wusste, wovon er sprach, denn erst heute war ihm wirklich aufgefallen, wie viele Kurse sie zusammen hatten. Klar waren diese immer noch an einer Hand abzuzählen, aber sie stellte die richtigen Fragen. Im Unterricht hielt sich Jamie mit seinen Aussagen tatsächlich etwas zurück, aber das einfach nur, weil er nicht den Ruf eines Strebers wollte. Den Ruf, den er hatte, musste er aufrecht erhalten. Es reichte schon, wenn er in den Arbeiten glänzte.
 

Doch zurück zu diesem etwas ungewöhnlichen Treffen hier. Es war ... aufschlussreich. Sie stockte sehr oft und schien sich in ihren Gedanken zu verlieren. Etwas, was er so nicht kannte. Er kannte überhaupt kein Mädchen wie sie. Jamie war es gewohnt, dass die Mädchen hinter ihm her waren. Dass sie sich ihm regelrecht an den Hals warfen. Und er? Er nutzte es aus. Selbstverständlich. Innerlich grinste er und fragte sich auch unbewusst, wie sie sich unter diesen Berührungen – die sie gezeichnet hatte – räkelte. Es machte den jungen Mann neugierig. Leider hatte er nur heute keine Zeit mehr, das herauszufinden, aber mit Sicherheit würde sich diese Gelegenheit noch ergeben. Langsam sollte er wohl wirklich nach Hause. Sein Vater hatte ihn heute morgen vorgewarnt, dass er noch etwas mit ihm zu besprechen hätte und das zögerte er schon unnötig heraus. Das Vibrieren seines Handys war ihm nicht verborgen geblieben. Es zerrte an seinem Bein, aber der junge Mann besaß die göttliche Gabe, sich solche Dinge nicht anmerken zu lassen.
 

„Es war nett“, erklärte Jamie daher irgendwann, „leider muss ich langsam los ...“ Das Sandwich hatte er gegessen und er trank gerade den letzten Schluck seines Kaffees. Der Schwarzhaarige griff nach seiner Tasche und zog ihr Skizzenbuch heraus. „Schöne Zeichnungen“, ließ er sie noch einmal wissen, als er es ihr überreichte. Maya riss es ihm regelrecht aus der Hand und drückte es an ihre Brust. Süß ... Er war schon drauf und dran sich zu erheben, da stoppte er nochmal und musterte sie. „Kann ich deine Handynummer haben?“, fragte er direkt. Wieder riss sie ihre Augen auf und starrte ihn verdutzt an. „Ähm ...“, kam lediglich als Antwort. Das brachte ihn glatt dazu, wieder zu grinsen und ihm kam eine Idee, „du kannst dir ja überlegen, was du dafür haben möchtest“, bot er ihr an. Die (vermutlich) Jüngere legte ihren Kopf schief, dann schien sie zu verstehen. Wieder zuckte sie zusammen und ihre Augen weiteten sich auf ein neues. Sie presste ihre Lippen aufeinander und schien zu überlegen, was sie erwidern sollte.

Wie leicht er es doch hatte, Mädchen zum Schweigen zu bekommen. Wie leicht es doch war, sie zum erröten zu bringen. Sein Grinsen vertiefte sich. Sollte sie darauf einsteigen, würde das ein großer Spaß werden. „Ich könnte mir dir vor allen anderen zu Mittag essen ...“, schlug er vor. Die Röte wurde stärker. Natürlich, ihr wäre es peinlich. Alle anderen würde er irritieren und sie wäre ein gefundenes Fressen für all die jungen Frauen an ihrer Schule. Sie hatten sie heute schon mit ihren Blicken erdolcht, das war ihm nicht verborgen geblieben. „Du kannst sie mir auch erst einmal geben und mir dann schreiben ...“, winkte er ab. Woher der Drang kam, dass er sie wollte, konnte er nicht sagen, aber Jamie wollte schon immer das, was nicht so leicht zu bekommen war. Außer er wollte sich ablenken, dann war es ihm recht, wenn es leicht und schnell ging. „Wie wäre es ein Bild von mir beim Sport ...“, gab er ihr trotzdem Hilfestellung, wieder diese Röte. Dabei mochte er seinen Körper. Er war stolz darauf und genierte sich nicht, diesen zu zeigen. Jedes Mädchen würde sich ihm zu Füßen legen, so etwas zu bekommen. „Oder ... ein Date ...“ Es war ihm nicht zuwider, mit ihr ein zweites Treffen zu vereinbaren. Da gab es deutlich schlechtere Kandidatinnen. „Oder ...“ „Deine Aufzeichnungen von Englisch ...“, murmelte Maya zu seiner Überraschung. Nun war er es, der verdutzt die Augen weitete. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Was sie beide unterschied, war der Umstand, dass er sich schneller wieder fing. Er zuckte mit den Schultern, die würde er mit Sicherheit zurückbekommen, zudem war das nichts ... Dafür bekam er ihre Handynummer. „Gut ...“, erneut griff er in seine Tasche und zog die Aufzeichnungen heraus. Vorsichtig griff die Schwarzhaarige danach und musterte sie. Dann atmete sie tief durch und riss ein Stück von ihrem Skizzenbuch heraus. Gerade wollte er etwas sagen, da schrieb sie eine Zahlenfolge auf den Zettel. Interessiert beobachtete er, wie sie schrieb und betrachtete dann den Stift mit der kleinen Musiknote als Anhänger. Schon kurz darauf hielt er den Zettel in Händen. Er hätte ihr auch direkt sein Smartphone gereicht, nun hielt er ein Stück Papier, auf dem lediglich Zahlen standen, kein Name ... nichts. Aber er wusste ja, von wem er war. „Dankeschön“, grinste er und erhob sich. Maya blieb sitzen, das störte ihn jedoch nicht weiter, „wir sehen uns ...“, winkte er und verschwand aus dem Café. Das wird ein Spaß ...

Überraschende Neuigkeiten

Ein Schnauben war zu vernehmen, als Jamie die Tür zu ihrem Apartment öffnete. „Da bist du ja endlich“, äußerte sich sein Vater auch direkt mit Worten, „ich dachte, wir essen gemeinsam zu Mittag ...“ „Woher soll ich denn wissen, dass du hier bist“, zuckte er mit den Schultern. „Ich hatte doch gesagt, dass ich mit dir reden möchte“, brummte der Ältere. Da sah sich Jamie im Gang um, ehe er den Raum am Ende des Flurs betrat, in dem sein Vater wartete. „Was ist hier los? Was sind das für Kisten?“, der Schüler wurde vorsichtiger. „Genau darüber wollte ich mit dir sprechen ...“, sein Vater fuhr sich durch die Haare. Etwas, was er nur tat, wenn er gestresst war. „Ach ja?“

„Ist er denn nun da?“, erklang eine weibliche Stimme. Diese brachte den jungen Mann dazu, sich zur Seite zu wenden und zu der Treppe zu sehen, die in das obere Stockwerk führte. Sofort hob sich eine Augenbraue, als er die brünette Frau entdeckte. „Du bist sicherlich Jamie“, lächelte sie freundlich und kam näher. „Dad ... wer ist das? Eins deiner Betthäschen, dass nicht schnell genug gegangen ist oder ist sie zum Überbrücken der Zeit hier?“ „Jamie!“, entfuhr es dem Mann vor ihm und die kleine Ader trat hervor, bevor er wütend wurde. „Ach ... lass gut sein“, winkte die Frau ab und trat zu ihm, „ich weiß doch von deinen Bettgeschichten ... Als ob das nun so schlimm wäre, wir sind immerhin keine 20 mehr.“ Sie legte ihre Hände an seine Schulter und lehnte sich an ihn, während er den Arm um sie legte. Die Augenbraue hob sich weiter. Sein Vater schien sich auf diese Worte auch wieder zu beruhigen. „Du hast recht, jetzt haben wir ja die Zeit ...“, lächelte er und zog die Frau enger an sich. „Also ... wer ist sie dann?“, verlangte Jamie zu erfahren, „... die neue Putzfrau ist sie vermutlich nicht ...“ „Nein ...“, knurrte sein Vater, „sie ist deine neue Stiefmutter ...“ Die Stirn des Schülers kräuselte sich, „kommt davor nicht erst der Status einer Freundin?“ „Das war Grace lange genug“, der Ältere nahm die Hand der Frau und küsste sie, an einem der Finger blitzte ein Ring auf. Schockiert öffnete sich der Mund des jungen Mannes. Da erklang ein weiteres Lachen, „so hab ich auch geschaut ...“ Wieder sah er zur Seite. Verwundert musterte er das Mädchen in seinem Alter, er kannte sie. Sie besuchten einige Kurse zusammen. „Lara ... deine Stiefschwester ...“ Langsam nickte er und wusste nicht, was er sagen sollte. Auch sie schien nicht eingeweiht gewesen zu sein. „Du wirst dich schon daran gewöhnen ...“, lächelte sein Vater. „Ich werde auch nicht versuchen deine Mutter zu ersetzen“, lächelte die Frau. „Das wird auch nie passieren“, brummte er und wandte sich ab.
 

Hinter sich schloss Jamie die Tür zu seinem Zimmer. Einen Augenblick lehnte er sich daran und sah über die Schulter zu der geschlossenen Türe. Seufzend schüttelte er den Kopf. Sein Vater war schon immer für Überraschungen gut. Aber das sprengte es doch etwas. Allerdings wollte er sich nicht darüber aufregen. Sein Vater mischte sich auch nicht bei ihm ein. Für Außenstehende war das äußerst befremdlich. Lieber so als anders ... Der Schwarzhaarige stellte seine Tasche ab und sah hinein. Er zog sein Geschichtsbuch heraus und öffnete es. Eine Zeichnung kam zum Vorschein und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er hatte ihr das Buch zurückgegeben ... naja ... fast. Eine Seite hatte er herausgerissen. Das war vermutlich die unschuldigste Zeichnung von allen. Ein Hund. Sie hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sie farbig war. Braune Augen waren zu sehen. Das Maul leicht geöffnet mit einer süßen rosa Zunge. Sein Fell war weiß, ein Strich zog sich über seine Stirn an den Hinterkopf. Die Augen waren eingerahmt von dunklen und hellem braun. Mit der anderen Hand griff er nach dem Zettel mit der Handynummer. Mit beidem und seinem Smartphone ließ er sich auf seinem Bett nieder.
 

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Eine Weile war Maya noch in dem Café gesessen. Sie wollte noch den Kuchen essen und auch den Kaffee trinken. Dabei war es ihr die gesamte Zeit unwohl. Sie war schließlich noch nie hier gewesen, weil sie nicht alleine hier sitzen wollte.

Auf dem gesamten Heimweg hatte sie ihr Skizzenbuch eng an ihre Brust gepresst. Schließlich wollte die junge Frau das Buch nicht noch einmal verlieren oder irgendwo liegen lassen. Als sie die Türe zu ihrem Zuhause öffnete, war es still. Zumindest bis ein Hund seinen Kopf in den Flur steckte. Ein Bellen erschall und er kam zu ihr gerannt. Dieses Tier schaffte es immer wieder, dass es ihr besser ging. Als die Tür ins Schloss fiel, sprang er sie an und sie stolperte, sodass sie direkt am Boden saß. Das Tier streckte sich und schleckte über ihre Wange, während es sich an sie drückte. „Hallo Großer“, lachte die Schwarzhaarige und strich ihm über den Kopf. An sich war er gut erzogen, er hörte direkt auf Befehle und folgte diesen. Er war auch nur bei ihr so stürmisch, sie hatte sich immerhin auch um seine Erziehung gekümmert. Er war ihr treuer Freund, seit ihr bester Freund weggezogen war. Nun gut, sie hatte ihn erst zu Weihnachten im kommenden Jahr bekommen. Aber seither ... ja, seither. Seither war Louie ihr engster Freund. „Lass uns gleich rausgehen, danach muss ich Hausaufgaben machen und lernen“, sie kraulte ihm eins seiner Schlappohren. „Ich geh mich nur fix umziehen“, lächelte sie und erhob sich.
 

Ihre Sachen stellte sie erst ab, ehe sie mit Louie hinaus ging und eine Runde durch den Central Park drehte. Ihre Strecke, die sie immer liefen. Daher konnte sie auch abschätzen, wie lange sie draußen waren. Im Anschluss setzte sie sich in ihrem Zimmer an den Schreibtisch und zog ihre Unterlagen heraus. Derweil machte es sich Louie in seinem Körbchen in ihrem Zimmer bequem. Doch bevor sie sich die Sachen der Schule ansah, griff sie nach ihrem Skizzenbuch. Ein leichtes Lächeln war auf ihren Lippen zu erkennen – die Erleichterung, dass sie es zurück hatte. Sie schlug es auf und blätterte hindurch. Bereits nach kurzer Zeit stockte sie. Fast im selben Moment vibrierte ihr Smartphone aufgrund einer einkommenden Nachricht.
 

Vermisst du etwas?
 

Mayas Augen verengten sich augenblicklich. Auch wenn er keinen Namen unter seine Nachricht schrieb, sie wusste, wer es war. Und er wusste, dass sie es wusste. Mal davon abgesehen, dass ihr die Nummer unbekannt war und sie sie nur einer Person gegeben hatte. Tatsächlich überkam sie Wut. Was er sich genommen hatte, war ihr Porträt von Louie. Das gefiel ihr nicht. Tief atmete sie durch. Sie sollte ihre Fassung nicht verlieren. Also musste sie ruhig bleiben.
 

Wieso hast du das getan?

Ich weiß nicht. Das Bild hat mir gefallen.

Es ist schön und das Einzige, welches farbig ist.
 

Diese Antwort überraschte sie. Tatsächlich hätte Maya mehr damit gerechnet, dass er sich eins der lusterfüllten Bilder nahm. Wobei sie niemals angenommen hatte, dass jemand auch nur auf die Idee käme, eine Seite herauszureißen. Es verletzte sie. Und ...
 

Ich will es zurück!!

Kein Problem ... du kannst es zurück haben ... Allerdings ...
 

Schwer schluckte sie. Ein perfekter Cliffhanger. Natürlich bemerkte sie, dass so schnell keine Antwort kommen würde. Aber sie war sich unsicher, ob sie wissen wollte, was er als Gegenleistung verlangte. Aber anders würde sie wohl nicht an das Bild kommen. Andererseits ... es war spannend und sie wollte wissen, was er verlangte. Ihr wurde warm, während sie daran dachte.
 

Was willst du?
 

Sie konnte sich das Grinsen auf der anderen Seite vorstellen. Dieses eine amüsierte Grinsen. Innerlich war sie voller Erwartungen. Sie wollte es wissen und war aufgeregt. Aber wieso eigentlich genau?
 

Ich möchte ihn kennenlernen ... oder sie?
 

Ein Treffen im Park

Mit gesenktem Kopf saß Maya auf einer Bank im Park. Sie überlegte, ob das für sie wirklich in Ordnung ging. Louie war jemand in ihrem Leben, der ihr äußerst wichtig war. Denn er war immer da. Bislang hatte sie ihn nirgendwo mit hingenommen. Natürlich, schließlich hatte sie keine Freunde, denen sie ihm zeigen konnte. Außer Simon ... Er wusste selbstverständlich von dem Hund. Als sie an ihren besten Freund dachte, seufzte sie bedrückt. Als würde es ihr Hund spüren, erhob er sich und setzte sich vor sie. Bis dato war er neben der Bank gesetzt, doch er besaß die unglaubliche Gabe, ihre Stimmung richtig zu deuten. Allein dieser Umstand brachte sie schon zum Lächeln. Sie hob die Hand und kraulte ihn hinter dem Ohr. Ja, er war immer da, wenn sie ihn brauchte und es ihr schlecht ging oder sie nicht gut schlief. Und eben weil er eine solch wichtige Bedeutung für sie hatte, war sie auch äußerst vorsichtig.
 

Sie rang mit sich, ob sie das wirklich wollte. Daher tat Maya etwas, was sie normalerweise nie tat: Sie kaute auf ihren Nägeln. Eine schreckliche Angewohnheit. Doch letztlich antwortete Maya ... Nach dem Abendessen müsste sie sowieso noch einmal mit Louie rausgehen. Er konnte immer noch sagen, ihm wäre der Weg zu weit. Aber das verneinte er.
 

Daher saß Maya nun auch hier auf der Bank und war erneut kurz davor, auf ihrem Daumennagel zu kauen. Aus diesem Grund vergrub sie ihn in ihrer Hand und drückte zu, damit sie gar nicht erst auf den Gedanken kam. „Jetzt lernst du auch jemand neuen kennen“, murmelte sie nachdenklich, während sie ihn weiter hinter dem Ohr kraulte. Ein merkwürdiges Gefühl, sich mit jemandem zu treffen. Noch dazu die gleiche Person zweimal an einem Tag. Und dann auch noch Jamie Valmont. Was sollte man dazu noch sagen. Sie kam mit diesem Gedanken nur bedingt zurecht. Wäre ihr vielleicht Lisa lieber gewesen? Eine Streberin wie sie im Buche stand und man sie sich vorstellte: immer mit einem Stapel Bücher auf dem Arm, einer Brille und zwei Zöpfen. Ihre Schuluniform trug sie komplett regelkonform und zeigte kaum nackte Haut. Das lag aber an ihren Eltern, diese waren höchst christlich. Sollte es ein männlicher Mitschüler sein, hätte sie vermutlich mit einem der Nerds gerechnet. Aber letztlich war dem nicht so.
 

„Bist du eingeschlafen?“ Die Stimme ließ die Schwarzhaarige zusammenfahren und erschrocken aufsehen. Als sei sie ein Reh und würde in das Scheinwerferlicht eines Autos sehen. Das rief wieder dieses verschmitzte Lächeln auf sein Gesicht, was wiederum Maya stocken ließ. Irgendwie ... es gefiel ihr. Aber sie musste sich zusammenreißen. Hier ging es lediglich darum, dass sie etwas zurückhaben wollte – wie schon vorher an diesem Tag. Daher nahm ihr Gesicht auch wieder ernstere Gesichtszüge an. Jamie lachte kurz, „jetzt schau doch nicht so ...“, überheblich musterte er sie. Ja, damit hatte sie mehr gerechnet, mit diesem Blick von oben herab. „Ich mochte die Zeichnung und konnte nicht wiederstehen“, dabei fiel sein Blick auf den Hund, der ihn misstrauisch beäugte. „Trotzdem gibt dir das nicht das Recht, einfach eine Seite herauszureißen“, knurrte sie tatsächlich. Das ließ nicht nur ihn überrascht aufsehen, auch Louie meldete sich mit einem fragenden Ton. „Stimmt ... aber vielleicht wollte ich das, damit ich einen Grund habe, dich wiederzusehen ... oder weil ich es mochte ...“, er hob eine Hand und fuhr sich mit dem Finger über die Lippe. Langsam ... Und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Maya schluckte bei dem Anblick schwer. „Es ist ein Spiel für dich ...“, stellte sie fest. „Mh ... könnte man vermutlich sagen ... und es macht Spaß ...“, da ging er in die Knie und war nun mit Louie auf Augenhöhe, „also ... wer ist das?“ Von ihm sah die junge Frau zu dem Hund, „Louie ...“ „Also ein er ..“, er hob dem Tier die Hand entgegen und ließ diese beschnuppern, „deine Zeichnung ist genauso süß wie das Model“, grinste er. Erneut ein fragender Ton des Hundes. „So wie ich dich einschätze, dein engster Freund“, Jamie hob den Blick und schien die Antwort in ihren Augen zu lesen, „sollen wir etwas spazieren?“, er drückte sich hoch und trat zurück.

Ihre Antwort war, dass sie aufstand. „Wenn nicht, bekommen ich die Zeichnung wohl nicht zurück“, erwiderte sie. Ein Zucken seiner Schultern, während er bereits in eine Richtung vorging. Zunächst folgte sie ihm mit etwas Abstand, während Louie frei herumlief. Diese Situation war ungewohnt, denn er war viel freundlicher, als sie gedacht hätte. Zumindest aktuell. Vielleicht hatte das auch einen Hintergedanken ...? Oder bildete sie sich zu viel ein? „Wieso bist du so ... freundlich?“, wollte sie schließlich wissen. Natürlich blieb er für seine Antwort stehen und wandte sich um, sah dabei aber zunächst nur über seine Schulter. Doch in seinen Augen lag wieder dieses glitzern und ein herausforderndes Grinsen lag auf seinen Lippen. In einigem Abstand blieb auch Maya stehen. Die Verunsicherung durch seinen Blick versuchte, sie zu unterdrücken. Trotzdem erkannte er es. Daher wandte sich Jamie um und trat näher. Viel zu nah. Dicht vor ihr blieb er mit seinem Gesicht, „ich weiß nicht“, raunte er und ließ ihr Herz stocken, ehe es aufgeregt schlug, „vielleicht möchte ich dich näher kennenlernen“, sprach er ruhig und leise, „vielleicht möchte ich ... dieses Spiel spielen.“ Der junge Mann kam ihr weiterhin näher, indem er seine Hand hob und eine ihrer Haarsträhnen ergriff. Ihr Mund öffnete sich leicht und war trocken. Sie wusste nichts zu erwidern. „Es macht Spaß und das würde ich gerne weiterführen ...“, er ließ die Haarsträhne durch seine Finger gleiten und fuhr mit seiner Hand zu ihrem Kinn, um es weiter anzuheben. Dabei kam er ihr nun auch mit dem Gesicht näher. Viel zu sehr in seinen Augen gefangen, schaffte es Maya nicht, sich zu rühren oder zurückzutreten. So nah war ihr noch nie jemand gekommen. Daher machte sich leichte Panik in ihr breit. „Oder siehst du das anders?“, fragte Jamie, als er kurz vor ihren Lippen stoppte. Sein Atem strich dabei ihr Gesicht und immer wieder hielt sie dabei die Luft an. „Lass es uns weiterspielen ... Gib mir eine Aufgabe ... eine richtige ...“, verlangte er.
 

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Ihr Blick und ihre Haltung waren schon wirklich niedlich. Er sah seine Wirkung auf sie. Maya war wirklich ein kleines graues Mäuschen. Und er war die Schlange, die sie in Versuchung führte. Oh ja, er wollte sie in Versuchung führen. Er wollte mit ihr spielen. Es interessierte Jamie, wie weit sie gehen würde – wie weit er sie bringen konnte. Daher hoffte er auch, sie würde darauf einsteigen, sollte das nicht der Fall sein, würde er sie schon dazu bringen. Sein Blick lag weiterhin eindringlich auf ihr. Er spürte die Wärme, die von ihr ausging. Diese Hitze. Das hatte auch Auswirkungen auf ihn. Normal würde er es sich einfach nehmen und würde sie hier und jetzt dazu bringen, ihm gänzlich zu verfallen. Aber er hielt sich zurück, da er sie zu seinem Spielzeug machen wollte. „Sag ... was soll ich machen?“, hauchte er und bewegte seinen Kopf minimal. Zufrieden sah er, wie sie wieder erstarrte. Da veränderte sich etwas in ihrem Blick, was in ihm Neugierde auslöste, da er ihre Antwort hören wollte. Ihr Blick senkte sich und schien auf etwas zu fallen. Die Kette, die er um den Hals trug. „Gib mir die Kette“, ihre Stimme klang heiser. Es kostete sie Überwindung, das zu sagen. Zufrieden lächelte er und löste sich von ihr, um sich die Kette abzunehmen. Maya streckte ihm die Hand entgegen. Jedoch beachtete er sie nicht weiter, sondern kam ihr wieder näher. Selbstverständlich unabsichtlich strich er an ihrem Hals entlang und schloss das Schmuckstück in ihrem Nacken. Schon wieder diese Hitze und ihre Rehaugen. Um noch eins oben drauf zu setzen, kam er ihr erneut näher, „ich hoffe du passt gut darauf auf und gibst mir eine Aufgabe“, er raunte es erneut gegen ihre Lippen, „du kannst mir ja eine Nachricht schreiben, sobald du es weißt ...“ Jamie löste sich und war zufrieden mit seiner Wirkung. Erneut musterte er sie zufrieden, „ich werde dann nach Hause gehen ... ich wünsche dir einen schönen Abend ...“

Eine Aufgabe

Gedankenverloren lag Maya in ihrem Bett und spielte mit den Fingern an dem Anhänger der Kette. Noch immer hing sie um ihren Hals und an sich versuchte sie, zu schlafen. Trotzdem grübelte sie über seine Worte und eine Aufgabe. Alles in ihr kribbelte, während sie daran dachte. Dabei konnte sich Maya das selbst nicht erklären. Es war einfach merkwürdig. Aber ... dieses Spiel gab ihr ein Gefühl, etwas zu haben. Aktuell besaß sie seine Kette und konnte sich eine Aufgabe überlegen, dabei fiel ihr auf ... er hatte ihr das Bild nicht zurückgegeben. Sie riss ihre Augen auf und ließ die Kette los, um nach ihrem Handy zu greifen.
 

Du hast das Bild vergessen.

Oh nein ... du hast es vergessen, das ist ein gewaltiger Unterschied!


 

Seine Aussage brachte Maya dazu, eine Augenbraue zu heben. Er hätte es ihr doch geben müssen, wieso spricht er nun von ... Sie plusterte ihre Wangen auf und überlegte, was sie antworten sollte, als sie merkte, dass er wieder tippte.
 

Ich bringe es dir morgen mit.

Das ist das Mindeste.

Hast du mir nur deshalb geschrieben?

Weshalb sonst?

Ich dachte, vielleicht hättest du eine Aufgabe für mich ...

Schließlich möchte ich doch meine Kette zurück.

Und wenn mir keine einfallen sollte?

Dann brauche ich vielleicht etwas zum Austausch der Geisel ...


 

Nachdenklich betrachtete die Schwarzhaarige den Chat. Innerlich verlockte es sie, zu erfahren, was er unternehmen würde. Andererseits wollte sie es nicht herausfinden – so sehr es sie auch reizte und ein Kribbeln in ihr verursachte. Dieses Gefühl rührte hauptsächlich von der Nähe von vorhin her. Ihre Finger legten sich auf ihre Lippen. Sie hatte seinen Atem gespürt und sein holziger Duft, genau zuordnen konnte sie ihn jedoch nicht. Ihre Finger umgriffen schon kurz darauf wieder den Anhänger der Kette. Ihr Blick hob sich und sie entdeckte seine Unterlagen auf ihrem Schreibtisch. Sie waren äußerst ausführlich und hilfreich, was sie nicht gedacht hatte. Da hob sie erneut ihre Hände und tippte eine Nachricht.
 

Keine Geisel ...

Ich möchte, dass du morgen aktiv im Unterricht teilnimmst ...

Das ist alles?

Ja, das ist alles!

Den gesamten Tag ...


 

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Brummend betrat Jamie die Schule. Die ihm gestellte Aufgabe mochte er nicht. Unter anderem weil sie sterbenslangweilig war und keinerlei Herausforderung darstellte. Die einzige Herausforderung daran war, dass er sich vor allen anderen die Blöße gab, intelligent zu sein. Er hatte einiges auf dem Kasten, allerdings beschränkte er das auf die schriftlichen Arbeiten. Diese waren unauffälliger als ein direkter Beitrag im Unterricht. Vielleicht sollte er ihr noch einmal erklären, an was für Aufgaben er gedacht hatte. Mit diesen Gedanken begab er sich in die erste Stunde: Englisch. Den Kurs besuchten sie, wie zwei oder drei weitere, zusammen. Gewissenhaft saß Maya bereits an ihrem Platz, neben ihren üblichen Sachen, lagen auch seine Unterlagen auf ihrem Pult. Sein Mundwinkel zuckte, ehe er sich auf den Weg machte und sich an den Tisch daneben setzte.

„Guten Morgen, Gänseblümchen“, begrüßte er sie und zog seine eigenen Sachen heraus. Das Englischbuch schlug er auf und reichte ihr ihre Zeichnung, die er darin verstaut hatte, damit ihr nichts geschah. Jamie war kein Unmensch!
 

„Guten Morgen“, murmelte sie und wirkte direkt erleichtert, als sie die Zeichnung ihres Tieres wieder in Händen hielt. Etwas nebensächlich gab sie ihm seine Englischunterlagen zurück. Kurz darauf legte sie die Zeichnung in ihr Skizzenbuch und ließ es in ihrer Tasche verschwinden. Als sie sich leicht beugte, sah er leicht unter ihre Bluse und die Kette aufblitzen. Es war schier niedlich, dass sie diese noch immer trug. Aber dann kam Maya seinem Wunsch wohl nach und passte gut darauf auf. Vielleicht könnte er da auch diese dumme Bedingung erfüllen. Als der Unterricht begann, sah sie zu ihm. Ohne Scheu erwiderte Jamie den Blick und seufzte letztlich. Das wäre ein Tag voller Meldungen. Die überraschten Blicke seiner Mitschüler spürte er auf sich, denn normal tat er das nicht. Zudem war anderen nicht bewusst, dass er etwas auf dem Kasten hatte.

Letztlich atmete Jamie erleichtert auf, als die Stunde endete. Als er jedoch aufsah, entdeckte er das Lächeln auf Mayas Lippen ... Schadenfreude, das erkannte er, denn der Tag war noch nicht zu Ende. Dabei hatten sie heute nur noch eine weitere Stunde zusammen, jetzt waren erst einmal ein paar, in der sie unterschiedliche Kurse besuchten. Ehe er sie ansprechen konnte, erhob sich die Schwarzhaarige und er sah sich von seinen Freunden umzingelt. Wie nicht anders zu erwarten, stellten sie ihn zur Rede.
 

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Die Antworten, die Jamie gab, waren hilfreich. Ebenso waren seine Unterlagen vom Vortag äußerst ausführlich. An sich sah man ihm das gar nicht an. Das dachten viele, denn auch der jungen Frau waren die vielen Blicke aufgefallen, die mit einem Schlag überraschend auf ihm lagen. Er gab sich eben anders, als er war, aber das war in Ordnung und seine Sache. Ihre Hand hob sich, wie schon öfter an diesem Tag, und legte sich an die Kette, die unter ihrer Bluse lag. Das Spiel war auch seine Sache, oder? Aber sie machte mit und Maya musste gestehen, irgendwo gefiel es ihr.

Mit diesen Gedanken bestritt die Schwarzhaarige diesen Tag. Bis auch die letzte Stunde, die sie wieder gemeinsam verbrachten, dem Ende zuging. Dieses Mal hatte er sich vor sie gesetzt und war ein paar Mal an die Tafel gegangen. Um sich hatte Maya die Mädchen seufzen hören, als er sich bewegte. Sie selbst konzentrierte sich recht gut auf den Unterricht. Lediglich sein spöttisches Lächeln ließ sie während des Unterrichts aufsehen. Und das zog die Blicke der Mädchen auch auf sich. Unauffällig blickte sich die Schwarzhaarige um, vergrub sich dann aber wieder in ihrer Mitschriften. Der Gong ließ Maya erleichtert aufatmen. Wie immer in aller Ruhe packte sie ihre Sachen zusammen, achtete aber darauf, auch nun wieder das Klassenzimmer als Letzte zu verlassen. Nachdenklich schritt sie den Gang hinunter, der sich bereits deutlich gelehrt hatte. Wie könnte sie ihm die Kette zurückgeben? Er war nun mit Sicherheit schon weg. Ihr Mund verzog sich leicht, während sie ihre Bücher enger an ihre Brust drückte. Da fiel ihr wieder ein, dass sie ihm eine Nachricht schicken könne.
 

Ein letztes Mal für diesen Tag öffnete die Schwarzhaarige ihren Spind, um ihre Bücher herauszunehmen. Eine Veränderung der Umgebung sorgte dafür, dass Maya zusammenzuckte. Unwillkürlich hielt sie die Luft an, als sie einen Atem an ihrem Nacken spürte und eine Hand links von sich, die sie daran hinderte, wegzugehen. Auf ihrer anderen Seite war noch immer ihre offene Spindtüre. Der Oberschülerin wurde wärmer, während sie darauf wartete, was nun passieren würde. Ihr war klar, dass es nur einer sein konnte, der hinter ihr stand. Noch immer lag ihre Hand an ihrem letzten Buch, doch sie konnte sich nicht weiter rühren.

„Die Aufgabe war langweilig ...“, erklärte sich Jamie schließlich. Ein Zucken hob ihren Mundwinkel an und weckte sie aus ihrer Trance. Sie packte das Buch kräftiger und holte es aus dem Fach, ehe sie dieses schloss. „Es war meine Entscheidung, oder nicht?“, wollte sie wissen. Noch etwas unsicher sah sie auf. „Schon ... trotzdem habe ich mit einer Herausforderung gerechnet ... Gib mir eine neue.“ Die Dunkelhaarige legte den Kopf leicht schief, „aber das war doch eine Aufgabe.“ „Aber keine richtige“, er hob die Hände und ließ keine Widerworte zu. Nachdenklich musterte sie den jungen Mann vor sich, „dann hilf mir beim lernen“, murmelte sie daher. Etwas Besseres fiel Maya aktuell nicht ein, das musste sie gestehen.

Nur lernen ...?!

Grübelnd beobachtete Jamie seine Gegenüber. Sie hatten sich in die Bibliothek zurückgezogen und saßen dort an einem von vielen Tischen. Seine Stirn war leicht gekräuselt, während er sie nicht aus den Augen ließ und dabei auf seinen Kuli biss. In seinen Augen war sie die typische Streberin. Ein Mädchen, das nicht wusste, was sie mit sich anfangen sollte. Seine Gedanken schweiften etwas ab. An sich wusste sie etwas mit sich anzufangen. Sie zeichnete. Und er musste gestehen, dass das ziemlich gut war und sehr detailliert. Erneut legte sich sein Blick auf sie und sein Mundwinkel zuckte erneut. Er kam nicht umhin sich sie vorzustellen. Bei all den Überlegungen ruhte sein Kinn auf seiner Handfläche und sie schrieb in aller Seelenruhe an ihren Hausaufgaben.

„Wieso beobachtest du mich?“, fragte sie und sah ihn von unten herauf an. Ob sie überhaupt eine Ahnung hatte, welche Wirkung ein solcher Blick bei Männern hatte? Ihre Augen waren tiefblau und so unschuldig und schüchtern. Eine Augenbraue hob sich bei Jamie an. Nein, sie hatte keinerlei Vorstellung. „Hallo?“, fragte sie erneut. „Nichts ... aber ist es nicht so, dass du die Leute auch so beobachtest, wenn du sie zeichnest?“, wollte er wissen. Ein siegreiches Lächeln zog auf seine Lippen, als er die leichte Röte auf ihren Wangen bemerkte. Da plusterte sie diese auf und senkte den Blick wieder, dabei zog sie gleichzeitig ihr Geschichtsbuch näher heran. Sein Lächeln wurde immer mehr zu einem Grinsen, dabei schob er sein Bein weiter in ihre Richtung und berührte das Ihre. Rein zufällig. Das Zucken, dass durch ihren Körper ging und ihr Blick, der schockiert nach oben ging, war zuckersüß. Jamie musste an sich halten, nicht noch weiter zu grinsen. Sie war wirklich einfach aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es war fast schon zu einfach. Allerdings sah ein kleiner Teil in ihm als Herausforderung: Wie weit konnte er gehen?
 

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Innerlich stockte Maya, leider zeigten sich ihre Gefühle auch nach außen hin. Schnell biss sie sich auf die Innenseite ihrer Wange, um nicht auch noch irgendwelche Töne von sich zu geben, die wie ein verletztes Tier klingen würden. So sah sie nur mit großen Augen zu dem anderen auf und zog ihre Beine noch weiter unter ihren Stuhl zurück, damit er sie nicht weiter berühren konnte. Danach versuchte sie auch weiterzulernen. Es gestaltete sich schwerer als gedacht. Irgendwie spürte sie sein Bein immer noch an ihrem. Und je mehr sie daran dachte, desto schlimmer wurde die innere Unruhe. Maya musste sich zur Konzentration zwingen. Irgendwie klappte das nicht mehr von selbst.

„Du wirkst etwas aufgekratzt ...“, erklang Jamies Stimme leise. Doch seine Worte waren stichelnd, das hörte sie ganz genau. „G-Gar nicht ... ich brauche noch ein Buch“, erwiderte sie eilig und erhob sich. Ohne groß darauf zu achten, verschwand sie in einem der Gänge. Als sie sich weit genug entfernte und sicher fühlte, atmete sie erleichtert auf. Noch immer kribbelte ihr Bein, wogegen sie nichts unternehmen konnte. Aber allzu lange konnte sie nicht fort bleiben. Zudem musste sie sich nun auf die Suche nach einem Buch machen, welches sie als Vorwand verwenden konnte. Aktuell waren ihre Unterlagen aus Biologie vor ihr gelegen, das war zumindest ein Fach, bei dem die richtige Literatur plausibel war. Jetzt musste sie nur zusehen, in welchem Gang sie sich befand.

Ihr Blick glitt über die Buchrücken. Sie hob ihre Hand und fuhr einige davon entlang. Auch wenn das hier ganz und gar nicht die richtige Abteilung war. Hier standen die Physikbücher, doch auch zu diesem Fach pflegte sie eine gute Beziehung. In den Naturwissenschaften fühlte sie sich wohl. Aus diesem Grund zuckte vermutlich auch ihr Mundwinkel. Trotzdem ging sie weiter und bog in den Gang mit den Büchern über Flora und Fauna ab. Die Bücher waren erst nach Themengebiete sortiert und anschließend nach Alphabet, ausgehend vom Autorennamen. Da die Biologie ein Fach war, in dem sie sich auskannte, wusste sie, welche Lektüre äußerst hilfreich war. Das einzige Problem: Das Buch war viel zu weit oben. Aber es war ein Problem, dass sie Zeit kostete. Zeit, die sie weiterhin wegbleiben konnte. Wenn es ihr jedoch so ging, wieso hatte sie sich dann auf dieses Spiel eingelassen? Ihr war die Nähe des anderen sowohl unangenehm, wie auch angenehm. Trotzdem glich es einer Folter sich selbst gegenüber, wenn sie sich diesem Spiel stellte. Aktuell waren ihre Aufgaben wenig fordernd. Sie waren ... ein Witz. Als würden sie Wahrheit oder Pflicht spielen und sie wollte nur, dass er irgendetwas aus der Küche holte, während er von ihr verlangte, sich mit jemand wildfremden zu unterhalten.
 

Eilig schüttelte Maya den Kopf und sah wieder mit klarem Blick zu dem Buch. Während sie versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, streckte sie sich. Allerdings konnte sie gerade so den Buchrücken berühren, kam aber nicht hoch genug, sodass sie es aus dem Regal ziehen konnte. In diesen Momenten wünschte sie sich, dass sie doch etwas größer wäre. Es dauerte allerdings gar nicht lange, da war sie nicht mehr allein. Innerlich stockte sie, einzig ihre Hand am Regal zuckte leicht. Bevor sie etwas sagen konnte, spürte sie eine ungewohnte Wärme hinter sich. Eine Hand tauchte in ihrem Blickfeld auf und griff nach dem Buch. Maya versteifte sich, als sich eine Hand auch noch an ihren Oberarm der anderen Seite legte. „Du brauchst das ... oder?“ Wieder dieser Unterton in seiner Stimme. Natürlich klang sie samtig und tief, aber da war dieses gewisse Etwas. Die Dunkelhaarige konnte es nicht benennen, aber es war da. Und genau das war es, was wieder Hitze in ihr aufsteigen ließ, gleichzeitig glitt ein kalter Schauer über ihren Rücken und die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Das war doch nicht mehr normal.

Der Blick der jungen Frau verschleierte sich leicht. Weder sie rührte sich, noch er machte Anstalten, sich von ihr zu lösen. Stattdessen machte er es nur noch schlimmer, als er seine Wange an ihren Kopf legte. Ihre Augen weiteten sich und sämtliche Gedanken waren aus ihrem Kopf verschwunden. Das war doch wirklich nicht mehr normal. Oder wie sollte man das hier bitte erklären? Das war nicht mehr möglich. Zumindest in ihren Augen.
 

„Jetzt bin wieder ich dran, oder?“, ließ er sie wissen. Seine Stimme nahm dabei einen schier rauchigeren Klang an. Erneut diese Gänsehaut und ein Kloß, der sich in ihrem Hals absetzte. Das war wirklich nicht mehr normal! Ihre Finger legten sich an das Regal und klammerten sich daran fest.

Eine Berührung

Keiner der beiden bewegte sich, doch Maya war sich sicher, dass er seinen Daumen an ihrem Oberarm kreisen ließ. Aber irgendwie war alles wie in Watte gepackt und sie nahm alles nur recht verschwommen wahr. Nach einiger Zeit merkte sie, dass sie schon länger durch den Mund atmete, so schluckte sie und fand ihre Stimme etwas krächzend wieder. „Und ... was willst du ...?“, ihre Stimme war leise. Irgendwie wagte sie es nicht, lauter zu sprechen, zumal sie nicht wusste, wer sie beobachtete oder zuhörte. Alles in der Bücherei war still, aber das hieß nichts. Genau dann gab es Ohren, die besonders aufmerksam waren.

Sie spürte, wie er seinen Kopf bewegte und er ihn senkte. Seine Lippen waren dicht an ihrem Ohr, sie spürte seinen warmen Atem. Tief atmete sie durch und versuchte ruhig zu bleiben. Sie musste sich zusammenreißen und schloss die Augen. Dabei vernahm sie das unregelmäßige Klopfen ihres Herzens. Eine solche Nähe war ihr neu. Sie verstand es nicht und konnte damit nicht wirklich umgehen.
 

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„Mir würde einiges einfallen“, raunte er in ihr Ohr, wohlwissend, welche Wirkung auch das auf sie hatte. Er spürte es. Konnte die Spannung in ihrem Körper spüren. Jamie war das nichts Neues. Er war ziemlich forsch, was diese Dinge betraf und er würde auch nicht widersprechen, dass ihm das nicht gefiel. Immerhin tat er nichts, was sein Gegenüber nicht auch wollte. Wobei ... wie war es bei diesem Spiel?

Erneut grinste der junge Mann und griff sich das Buch. Er zog es aus dem Regal und nahm seine Hand von ihr. „Als erstes würde ich sagen, dass du dich umdrehst“, erklärte er und löste sich leicht von ihr, sodass sie geradeso genug Platz hatte. Aufmerksam beobachtete er sie, ob sie der Anweisung nachging. Zögerlich tat sie, wie ihr aufgetragen. Das Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich, als er den beschämten Blick und die roten Wangen erkannte. Sie schaffte es nicht einmal, ihren Kopf zu heben. Die Hand mit dem Buch ließ er auf seinen Rücken wandern und betrachtete dabei die junge Frau weiter. Ihre Finger krallten sich in ihren Rock, das war irgendwie niedlich, passte aber nicht zu ihrem Alter. Das ließ ihn doch etwas irritiert blinzeln. Allerdings war es schon zu spät und er hob seine Finger, um sie an ihr Gesicht zu legen. Sanft strich Jamie über die Wange der Jüngeren bis zu ihrem Kinn. Mit leichtem Druck machte er deutlich, dass sie es heben sollte. Sein Mundwinkel zuckte, als sie ihn endlich ansah, doch noch immer war da diese Verlegenheit in ihrem Blick. Langsam beugte er sich wieder zu ihr, damit sie auf einer Augenhöhe waren. Maya wirkte auf ihn wie ein Reh, welches in sein Verderben sah. In dieser Position sah er sich eigentlich nicht, aber es gefiel ihm. Das brachte ihn dazu, dass er wieder über ihre Wange strich. Seine Finger wanderten unter ihrem Ohr hindurch zu ihrem Hals und schließlich in ihren Nacken.
 

„Ein Kuss ... und ich gebe dir das Buch ...“
 

Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Jamie war über sich selbst erstaunt, wie wenig Kraft darin lag, doch es war nichts daran zu ändern. Denn je länger er in ihre dunklen Augen sah, die so viel Wärme ausstrahlten, desto mehr versank er darin. Das, was ihn eigentlich davon abhielt, zu viel in diese Gesten zu stecken, vergaß er. Stattdessen war er gebannt von ihren Augen. Sie sah ihn einfach an und rührte sich nicht. Nein, das stimmte nicht ... ihre Finger lösten sich aus ihrem Rock und sie schluckte. Jamie kannte sie nicht, doch irgendwie hat er sie in den vergangenen Tagen soweit kennengelernt, dass er sagen konnte, dass sie dem nicht widersprach. Eine stille Zustimmung. Oder irrte er sich?

Zur Sicherheit kam er ihr nur zögerlich näher. Sein Blick ging zu ihren leicht geöffneten Lippen, deren Farbe so anziehend war, wie ihre Form. Er verspürte den ungewöhnlichen Drang, sie zu schmecken und auf seinen eigenen zu spüren. Jamie hob den Blick wieder zu ihren Augen. Er sah darin etwas, was er nicht deuten konnte, aber sie rührte sich nicht. Machte nichts, was ihn davon abhielt, weiterzugehen.
 

Alles um die zwei war ruhig. Der junge Mann war wie gebannt, konnte nicht wegsehen. Neben seinem eigenen Herzschlag konnte er ihren spüren. Ihre Wangen röteten sich weiter und sie erwiderte diesen Blick mit dieser Unschuld darin und einer unausgesprochenen Frage. Das war nicht normal. Noch nie zuvor hatte er das bei einem bevorstehenden Kuss gespürt. Wobei er meist auch nicht so lange auf sich warten ließ. Das ging nicht immer von ihm aus, oft warfen sich die Frauen auch einfach ihm um den Hals.

Diese aktuelle Situation unterschied sich also vollkommen von allen anderen. Erst recht, als seine Lippen auf ihre trafen. Ein ihm bisher unbekanntes Gefühl, dass er nie bei einem Kuss verspürt hatte, ging ihm durch Mark und Bein. Ein seichtes Prickeln und ein beschleunigter Herzschlag. Wer hätte ahnen können, dass dieses Spiel sich in diese Richtung entwickelte. Wobei Jamie das allerdings gehofft hatte. Erst als Maya jedoch seine Berührung – wenn auch wirklich zaghaft – erwiderte und ihre Augen schloss, tat er es ihr gleich. In dieser Berührung lag keine Forderung, daher bewegte er sie gefühlvoll und bemerkte den Geschmack von Himbeeren. Nie haben Himbeeren so gut geschmeckt. Nie hatte etwas so süchtig gemacht, dass er es nicht mehr loslassen wollte. Trotzdem löste er sich von ihr. Seine Augen richteten sich wieder auf sie, während kein großer Abstand zwischen ihnen lag. Noch immer war da dieses Prickeln, welches er verspürte. Jamie wollte es wieder. Ihre Lippen sollten sich wieder an seinen befinden ... ganz dicht. Wieder ... und wieder.

Diese Gedanken erschreckten den Schwarzhaarigen und trotzdem fuhr sein Daumen über ihre Unterlippe. Dabei konnte er den Blick nicht abwenden. So wie sie auch. Sie hielt ihn gefangen. Auch das war erschreckend. Seine Atmung beschleunigte sich und suchend sah er sich um. Er löste sich. „Ich sollte los“, kam es schneller aus seinem Mund, als er dachte. Diese Situation machte Jamie Angst. So drückte er ihr ohne ein weiteres Wort das Buch in die Hand und wandte sich von ihr ab. Ohne zurückzusehen ging er zu seinem Platz, nahm sich seine Sachen und verschwand aus der Bibliothek.

Geschwisterliche Sorge

Seit über einer Stunde lag er auf seinem Bett und starrte die Decke an. Eine Hand hatte er hinter seinem Kopf und die andere ruhte auf seiner Brust. Wie konnte er erklären, was er hier tat? An sich musste er nichts erklären, schließlich fragte ihn niemand. Aber er wollte es für sich selbst erklären. Immerhin hatte er sie auch einfach so stehen lassen. Wie konnte Jamie damit umgehen?
 

„Du siehst aus, als hättest du eben einen geblasen bekommen ...“, erklang eine in seinen Ohren noch fremdwirkende Stimme. Mit dem nächsten Blinzeln sah Jamie daher auch an sich herab und erkannte seine neue Stiefschwester im Türrahmen. Diese zeigte ihm ein anzügliches Lächeln, der besonderen Art. Der Schwarzhaarige zog eine Augenbraue hoch und setzte sich auf. Ein Bein zog er an und legte seinen Arm auf dem Knie ab. „Das siehst du in dieser Position?“, fragte er. Lara ließ ein kurzes Lachen verlauten. Sie trat in den Raum und schloss hinter sich die Türe. Ihre Hand ruhte auf der Türklinke, während sie wieder zu ihm sah. „Ja ... vielleicht ...“, ihre Lippen waren nach wie vor zu einem Lächeln geformt, „dieser ... verträumte Blick an die Decke. Der zufriedene Gesichtsausdruck“, sie ließ ihre Hand kreisen, als sie dann doch näher kam, „als wärst du einer Teenie-Romanze entsprungen.“ Erneut lachte sie amüsiert auf. Dabei verdüsterte sich sein Gesicht weiter. „Süß ...“, ließ Lara erneut verlauten.

„Was willst du?“, knurrte Jamie schließlich. Er mochte es nicht besonders, wenn Personen uneingeladen sein Zimmer betraten. Sie schien das aber von nichts abzuhalten. „Mum meinte, wir sollen uns besser kennenlernen“, sie setzte sich ungefragt auf sein Bett, „dein Vater unterstützte diesen Vorschlag ... also bin ich hier“, wieder dieses zuckersüße Lächeln. „Können wir das nicht wann anders machen?“, fragte er. „Ach ... wenn ich schon mal hier bin ...“, sie rutschte auf dem Bett etwas nach oben und kam ihm näher. Dabei rührte sich Jamie keinen Zentimeter, er beobachtete sie lediglich. Doch ihm fiel auf, dass da nicht diese Spannung war, wie sie zuvor bei Maya gewesen war. Dieser Moment war einzigartig. Und genau aus diesem Grund hatte er sie allein in der Bibliothek zurückgelassen. Es war zu viel für ihn gewesen. „Was ...?“, sein Blick wurde gelangweilter. „Wir ... könnten uns kennelernen“, ließ sie ihn verschwörerisch wissen und war nun dicht vor seinem Gesicht, „unsere Eltern vögeln miteinander ... da können wir das auch“, sprach sie, ohne rot zu werden.

Jamie blinzelte unbeeindruckt, „das ist direkt ...“ „Manch einer steht darauf ...“, schmunzelte sie. „Da frage ich mich, welche Sorte Mann das wohl ist ...“ Die andere zuckte mit den Schultern, „es sind genug, dass ich meinen Spaß habe ...“ „Ich gehöre nicht dazu. Für mich klingt es nach einem verzweifelten Versuch nach Aufmerksamkeit ...“, seine Worte waren lediglich ein Schuss ins Blaue. Aber sie brachten Lara zum Lachen, sodass sie sich zurücklehnte. „Ich gehe in den Club ... Lust mitzukommen?“, wollte sie wissen, dabei erhob sie sich wieder und deutete mit dem Daumen auf die Tür, während sie ihre andere Hand in die Seite stemmte. Wieder hob Jamie eine Augenbraue, „verzichte ...“, ließ er sie wissen und zurückfallen. Dabei bemerkte er noch kurz, wie sie die Augen verdrehte, „das nächste Mal nehm ich dich mit“, drohte sie noch, bevor er die Türe hörte.
 

Seufzend schloss Jamie die Augen und legte sich den Arm über die Augen. Dabei sah er wieder die geröteten Wangen von Maya vor sich. Ihr Blick, der so viel auszudrücken schien. Irgendetwas störte ihn daran. Unwillkürlich fragte er sich, wie viele dieses Gesicht bereits gesehen haben. Wie viele ihre Lippen berührt haben. Und wie vielen sie noch weitaus mehr gezeigt hatte. Aber warum interessierte ihn das? Vielleicht weil sie ihm so unnahbar erschien, dass er hoffte, es seien nicht zu viele? Der Wunsch drängte sich auf, dass er mit diesem Spiel an die Grenzen gehen wollte. Seine Forderungen mussten weiter gehen. Dabei hoffte er auch, dass sie weitergehen würde.

Ein Wiedersehen

Irgendwie hatte sie diese Nacht über nicht geschlafen. Es war schier unmöglich. Und wenn sie die Augen geschlossen hatte, hatte Maya das Gefühl seiner Lippen auf ihren gespürt. Hinzu kam diese Nähe, die die Hitze in ihr aufsteigen ließ. Und dann noch sein Blick. Sie sah ihn direkt vor sich. Das alles sorgte dafür, dass Maya schon früh auf den Beinen war und am Frühstückstisch saß. Loui war bereits das erste Mal draußen gewesen und sie hatte Pfannkuchen zum Frühstück gezaubert. Ihr Pausenbrot war ebenfalls bereits vorbereitet. Nun stellte sie sich den überraschten Blicken ihrer Eltern. Dabei hatte sie eben noch an den vergangenen Nachmittag gedacht. Jamie hatte sie allein in der Bibliothek zurückgelassen. Vollkommen sprachlos ... Nach ihrem ersten Kuss ... Für viele wäre das erschreckend. Sie war 18 Jahre alt und hatte erst am vergangenen Nachmittag ihren ersten Kuss erfahren. Noch dazu war dieser innerhalb eines Spiels geschehen. Das war doch alles absurd. Wie hatte sie sich überhaupt auf dieses Spiel einlassen können. Immerhin war das nicht normal. Ein paar Worte wechselte sie noch mit ihren Eltern, wie auch die Tagesplanung aussah. Am Abend stand eine Feier an, auf der sie erscheinen musste. Erleichtert atmete sie auf, denn das bedeutete, dass sie den Nachmittag für all ihre Aufgaben brauchte und somit keinerlei Zeit für irgendwelche Spiele. Mit einem Kuss auf die Wangen ihrer Eltern verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zur Schule.
 

Dort angekommen kümmerte sie sich wirklich nur um sich und suchte gar nicht erst den anderen. Irgendwie wusste Maya nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Schließlich wusste sie doch, was Jamie für einer war. Das machte es schwer, sich wirklich dafür zu begeistern oder zu freuen. Der Ältere hatte in ihren Augen jede Woche eine andere an der Hand. Dabei war er sowieso schon immer von Mädchen umgeben. Das war wirklich nicht das, was sie wollte. Maya wollte keine von vielen sein. Sie wollte ... sie ... was denn eigentlich?

Die Gedanken begleiteten sie bis zu ihrem Spind, bei dem sie entschieden den Kopf schüttelte, tief durchatmete und ihre Bücher aus der Tasche räumte. Sie nahm sich ihre Sachen für Mathe heraus und schloss den Spind. Dann wandte sie sich um und blieb schon wieder wie angewurzelt stehen. Mit geweiteten Augen sah sie ihn. Jamie, wie er einen Arm um eine Blondine gelegt hatte und über irgendwas lachte. Um sie herum standen drei weitere Personen, eine davon ebenfalls ein Mädchen, die nach seiner Aufmerksamkeit lechzte. Das Püppchen an seiner Seite lehnte sich dabei an ihn und brachte ihre Brüste in Position. Einen Augenblick betrachtete die Schwarzhaarige ihn nachdenklich – ihr Zeichnergesicht, wenn man so wollte. Schnell fing sie sich wieder und ging los. Ihre Bücher drückte sie an ihre Brust, als sie an ihnen vorbei ging und die Gruppe versuchte zu ignorieren. Tief atmete sie durch, dabei fühlte sie sich trotzdem beobachtet.
 

Irgendwie brachte Maya die ersten Stunden bis zur Pause durch. Erst danach würde sie einen Kurs mit ihm gemeinsam besuchen. Jetzt saß sie erst einmal in einer Ecke der Cafeteria. Was war ihr Plan? Schwer zu sagen, irgendwie konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Immerhin stand er heute bereits wieder bei einer Handvoll Mädchen. Sie war doch nichts. Eine von vielen, er hatte sie lediglich benutzt. Ein Zeitvertreib.
 

Aber genauso wenig konnte Jamie wirklich denken. Ehe er es sich versah, verfiel er wieder seiner selbst. Lachte mit seinen Freunden, hielt ein Mädchen im Arm, als wäre es ein Tag wie jeder andere. Doch irgendwie brachte ihn das vom gestrigen Abend durcheinander. Er konnte ja nicht ahnen, dass es der Jüngeren genauso ging. Immer wieder blickte er zu ihr und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, was sie dachte, doch sie schien ihn gezielt zu ignorieren. Aus diesem Grund versuchte auch er das. Es klappte mäßig. Die Stunden vergingen, da stand er schon wieder mit seinen Freunden draußen. Er nahm sich nun jedoch wirklich vor, kurz mit ihr zu sprechen. Immerhin musste er das klar stellen. Auch wenn er noch nicht wusste, was er überhaupt klarstellen musste. Das führte jedoch dazu, dass der Schwarzhaarige Ausschau hielt. Dabei bemerkte er nicht wirklich, dass noch immer mehrere Mädchen an ihm hingen. Er schaltete sowas fast schon aus. Als er Maya schließlich erblickte, hielt diese stur auf das Tor zu, was er nicht zulassen wollte. Daher war Jamie schon dabei sich zu lösen, als eine Stimme ihn aufhorchen ließ.

„Lucy ...“, erklang ein Name. Der junge Mann fixierte die Schwarzhaarige, die auf diesen Namen stehen blieb und sich umsah. Verwirrt runzelte er die Stirn und verstand nicht, dann suchte er die Person zu der Stimme. Es war unschwer zu erkennen und irgendwas löste es in ihm aus. Mit geweiteten Augen beobachtete er die Szene. Ein blonder Junge lief auf sie zu, er erinnerte sich nicht, ihn je schon hier gesehen zu haben. Doch er grinste sie breit an und dann sah Jamie etwas, was er noch nie bei ihr gesehen hatte. Nicht in dieser Form. Sie strahlte regelrecht übers ganze Gesicht. So offen gab sie sich in der Schule nie. „Theo ...“, hörte er einen Namen und speicherte sich diesen zu dem Gesicht ein. Da lagen sie sich schon in den Armen. Jamie erstarrte und verkrampfte sich leicht. Noch hatte er sich nicht gelöst, weshalb sich seine Hand in die Schulter des Mädchens neben sich grub. Diese gab irgendwann einen Schmerzlaut von sich und holte ihn mit einem leichten Schlag zurück ins Hier und Jetzt. Sofort lockerte er seinen Griff und sah es etwas perplex an. Doch im Augenwinkel bemerkte er, wie die Schwarzhaarige diesen Theo enger drückte, als es jemand sonst einfach so machte. Zumal er sie noch nie in diesem Zustand gesehen hatte. Ein Stich in seiner Brust und sein Blick verdüsterte sich. Dieser Anblick gefiel ihm nicht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Gerne hätte ich den Chat in rechtsbündig und linksbündig aufgeteilt, aber das war mir nicht möglich ... leider :( Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sodala ... mit diesem Kapitel geh ich erstmal in die Weihnachtsferien ^^
Wie vermutlich bei vielen stehen Verwandtenbesuche auf dem Plan und davor wirds nochmal ziemlich anstrengend :)
Weiter gehts dann im nächsten Jahr ^^ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Rina2015
2021-10-06T19:07:17+00:00 06.10.2021 21:07
Dankeschön 😊 ich schaffe es leider nicht immer ein Kapitel dazulassen aber ich verfolge die FF weiterhin sehr gerne 😊😁 sie macht wirklich Spaß 😊😁
Antwort von:  phean
06.10.2021 21:10
Für was denn Danke? xD
und du schaffst es nicht, ein Kapitel dazulassen? Ich schaff es nichtmal ein Review dazulassen ;)

Spaß beiseite :) Ich freue mich, dankeschön^^
Antwort von:  Rina2015
07.10.2021 07:00
Danke dafür, dass du uns ein Kapitel geschenkt hast 😁
Von:  Rina2015
2021-09-09T04:49:44+00:00 09.09.2021 06:49
Guten Morgen, es hat Spaß gemacht das erste Kapitel zu lesen 😁 ich bin neugierig geworden und freue mich bereits auf die nächsten Kapitel😊
Antwort von:  phean
09.09.2021 07:06
Guten Morgen 😊
Oh das freut mich aber wirklich 🙂 mich traf diese Woche die Muse, sodass ich das machen wollte und keine Ahnung 🤣 bin auch gespannt, wo es hingeht 🙃 freut mich, dass es zumindest schon einer Person zu gefallen scheint 😉 wenn dem nicht so wäre, würde man das hoffentlich auch sagen 🙊
LG Phean
Antwort von:  Rina2015
09.09.2021 07:15
Haha 😁😁😁😁😁 also mir gefällt der Anfang schon einmal sehr gut 😁😊 sie hast du schon sehr schön beschrieben 😁 also ich freue mich auf das Wiedersehen mit deiner Muse😊😁
Lg
Antwort von:  phean
09.09.2021 07:44
Joa ... Es sollte ursprünglich ein RPG sein (wie ich geschrieben hatte) - Maya wäre mein Char gewesen, blöd, wenn ich sie nicht darstellen könnte 😂 bin mir bei zwei anderen unsicher, aber da frage ich einfach entsprechende Freundin 😬
Also zwei weitere sind fertig 🤔 und nach der Arbeit hab ich auf jeden Fall Bock weiterzuschreiben 😊
Freue mich gegebenenfalls wieder von dir zu hören 😊
Lg


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