Crescent von Tiaiel (Deep Red) ================================================================================ Kapitel 1: Memento Mori ----------------------- Es war schon erstaunlich, dass Jonouchi einen so lukrativen Job ergattern konnte und das gleich nachdem die Bar namens Crescent eröffnet hatte. Gut, es war etwas heikel, da es sich dabei um eine Nachtlokal handelte, in der er eigentlich nicht arbeiten durfte. Immerhin war er noch nicht volljährig und obendrein noch Schüler. Sollte er hier erwischt werden, gäbe es einen ganzen Haufen Ärger, nicht zuletzt mit seinem Vater, und den konnte er sicher nicht gebrauchen. Bisher konnte er seine neue Samstagabendbeschäftigung auch gut vor seinen Freunden verbergen, indem er einen Aushilfsjob beim Pizzadienst vorschob. Blieb nur zu hoffen, dass seine Freunde niemals Pizza essen gehen würden in dem Laden am anderen Ende der Stadt, den er ihnen genannt hatte. Natürlich fiel dann der beste freie Abend der Woche weg, aber das war es ihm wert.    Alle Angestellten im Crescent trugen kunstvolle Masken mit unterschiedlichen Mustern sowie die Namen von berühmten Barkeepern auf Ihren Namensschildern, was sie tatsächlich ein wenig geheimnisvoll erscheinen ließen. Die einzige Ausnahme war der Blonde, der den Namen Zack erhielt, benannt nach einem Cocktailshaker. Der Chef, Trader Vic genannt, hatte durchaus Humor. Ungeachtet dessen sprachen sie sich untereinander zumeist mit Spitznamen an, die aus ihrem Pseudonym rührten. Generell eine für Jonouchi sehr praktische Tatsache, denn so musste er sich wenigstens keine Gedanken darüber machen, dass ihn jemand anhand seines Namens oder Aussehens sofort erkennen konnte.    Die meiste Zeit bediente er die Gäste und zwischendurch brachte ihm sein Kollege Dante hinter der Theke ein paar einfache Drinks bei. Allerding hatte er davon bis dato aus bereits genannten Gründen keinen probiert. Mit Ausnahme des Virgin Sunrise, den er letzte Woche gemixt hatte, und der, wie der Name es schon sagte, alkoholfrei war und ihm von seinem Lehrmeister mit einem kleinen Schmunzeln untergeschoben wurde. Auch in seiner Freizeit beschäftigte er sich zumindest theoretisch mit dem Mixen von Getränken. So war es nicht verwunderlich, dass er bald die gängigsten Drinks herstellen und hinter der Theke aushelfen konnte, sollte es denn von Nöten sein.    Wie er diesen Wahnsinnsjob ergattert hatte? Er war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und brachte das ein oder andere Können mit, welches dem Barbesitzer kurz nach der Eröffnung erheblich aus der Misere geholfen hatte. Außerdem leistete er gute Arbeit und lernte schnell. Deswegen sah dieser auch großzügig darüber hinweg, dass der Blonde bei seinem Alter ein klein wenig geflunkert hatte. Im Schutz der Maskerade war dabei auch nicht zu erkennen, dass es sich bei ihm um einen Schüler, geschweige denn Jonouchi handelte. Und tatsächlich zeigte sich nur wenige Wochen später der Vorteil dieser besonderen Berufsbekleidung. Denn als hätte Fortuna es von Anfang an so geplant, trat natürlich ausgerechnet Seto Kaiba, mit dem er tagtäglich im Clinch lag, durch die Tür. Offenbar war er zu einem Geschäftstermin verabredet, denn er bewegte sich zielstrebig zu einem der Tische, an dem ein älterer Mann und eine junge Frau, die hoffentlich dessen Tochter war, saßen.    Aus Angst, doch unter der Maske von ihm erkannt zu werden, bat er seine Kollegin Ada diesen Tisch zu übernehmen, während er wiederum versuchte, die Nähe des Brünetten so gut es ging zu meiden. Dennoch wanderte sein Blick immer öfter zu dem Jungunternehmer und er hoffte inständig, dass er nicht allzu lang hier verweilen würde. Zu seiner Freude leerte sich nach gut einer Stunde die Lounge weitestgehend, da die Musiker, eine bekannte Band, die Ihre Wurzeln hier in der Gegend hatte, ihren Auftritt vor wenigen Minuten beendet hatten. Auch Kaiba und sein Geschäftstermin standen endlich auf und begaben sich zum Ausgang. Die junge Schönheit hatte bereits den ganzen Abend mit dem Brünetten geliebäugelt. Bahnte sich da vielleicht etwas an? Innerlich knurrte der Blonde, als ihm der Gedanke durch den Kopf ging. Zugegeben, sie war wirklich sehr hübsch und entlockte dem sonst so mürrischen Firmenchef tatsächlich das ein oder andere Lächeln, auch wenn es eher aufgesetzt wirkte.    Ja, der Blonde interessierte sich wohl schon eine Weile auf eine etwas andere Art für den ewigen Rivalen, der ihn nur allzu gern piesackte. Ihm fielen derlei Dinge, wie ein gekünsteltes Lächeln, im Gegensatz zu anderen eben auf. Jedoch konnte er sich auch nicht erinnern, wann er den Brünetten jemals ehrlich hatte lachen sehen. Vermutlich war das, wenn überhaupt, nur Mokuba vorbehalten. Als er sie nicht mehr im Blick hatte und nur noch die Gespräche der Angestellten im Saal zu hören waren, kam der junge Aushilfs-Barkeeper hinter der Theke hervor, öffnete die Schleife seiner Schürze und legte sie auf einem der Stühle ab. Sein Ziel war das Piano, denn er hatte nach Absprache mit der Obrigkeit die Erlaubnis, nach Ladenschluss darauf spielen zu dürfen. Er setzte sich auf die Klavierbank, fuhr mit den Fingern federleicht über die Tasten und spielte dabei einige Zufällige Töne aus seinem gedanklich ausgewählten Stück. Der Klang erfüllte den menschenleeren Raum, bis er schließlich darin verstummte, ebenso wie die Gespräche seiner Kollegen. Jonouchi straffte seinen Körper, während er noch einmal tief durchatmete, einen Augenblick inne hielt und schließlich sein Klavierspiel begann.    Ohne einen weiteren Gedanken an den Ort und die Zeit zu verschwenden, schlug er die Tasten wie in Trance an und verlor sich sogleich in der Melodie. Es war überwältigend, endlich wieder Klavier spielen zu können. Jeden Samstag genoss er dieses Privileg, das ihm dieser Job unverhofft eingebracht hatte. Seine Finger glitten über die Tasten und er spielte, als wenn es kein Morgen geben würde. In diesem Moment existierte für ihn nur noch seine eigene wunderbare Welt, in der die Zeit ihre eigene Geschwindigkeit besaß und er sie nach Belieben ändern konnte. Diesmal schien sie jedoch spürbar still zu stehen und in Ihrem Stillstand beherbergte sie eine unendlich wirkende Traurigkeit, die jeden noch so kleinen Hoffnungsschimmer, der sich  darin auftat, letztendlich doch restlos verschlang.   Seine Barkollegen an der Theke unterbrachen ihr geschäftiges Treiben für diesen Moment und lauschten der Elegie seines Herzens, dass sich so verzweifelt nach Etwas sehnte, das bislang unerfüllt geblieben war. Auch wenn das Klavierstück heute besonders schwermütig klang, genossen sie allesamt dieses außergewöhnliche Ritual an den Samstagabenden, am meisten tat es jedoch Jonouchi selbst. Denn das Klavier gab ihm ein einzigartiges Gefühl von Freiheit. Mit ihm konnte er alle Sorgen, Freuden und Gefühle ausdrücken, die im normalen Leben keinen Platz fanden und schlicht nicht in Worte gefasst werden konnten. Vielleicht würde irgendwann auch der unnahbare Firmenchef ihn einmal so spielen hören. Und vielleicht, aber nur vielleicht würde er die Botschaft hinter seinem Spiel erkennen.    Und tatsächlich schien ihn die Schicksalsgöttin zu erhören. Denn genau eine Woche später staunte der Blonde nicht schlecht, als Kaiba das Lokal zum wiederholten Mal betrat und das zu allem Überfluss auch noch erstaunlich früh. Doch Jonouchi war noch nicht bereit für diese Konfrontation. Zu groß war die Angst, erwischt zu werden und sein geliebtes Klavierspiel jeden Samstagabend aufgeben zu müssen. Denn das hätte die Enttarnung durch seinen heimlichen Lieblingsfirmenchef unweigerlich zur Folge gehabt. Also verschwand er unauffällig hinter der Theke und seufzte hörbar. Natürlich fiel das sonderbare Verhalten direkt auf. "Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirst doch nicht etwa zu tief ins Glas geschaut haben“, witzelte Dante über den Jüngeren, wohlwissend, dass dem nicht so war. "Wenn es nur so wäre“, schmunzelte der Blonde gequält zurück. "Ich mache kurz Pause, okay?“ "Ist in Ordnung“, nickte der Meister-Barkeeper ab und Jonouchi verschwand nach hinten.    Von dort aus begab er sich nach oben auf den ersten Rang, der nur für besondere Gäste geöffnet wurde und am heutigen Abend geschlossen war. Verstohlen schaute er nach unten zur Theke, an die sich der Brünette soeben gesetzt hatte und einen Drink bestellte. Es war eindeutig ein Gin Fizz, den Dante kurz darauf über die Theke schob, und Jonouchi war stolz auf sich, dass er das sofort erkannt hatte. Allerdings interessierte ihn der Cocktail nur zweitrangig, denn hier gab es eindeutig wichtigere Dinge zu klären. Zum Beispiel hätte er nicht gedacht, dass Kaiba ein relativ süßes Getränk bestellen würde. In seiner Vorstellung sah er den Brünetten stets mit einem Bourbon on the rocks oder etwas Ähnlichem cool an der Bar sitzen. Er hing förmlich an den Lippen des Älteren und hätte nur zu gern mit dem Getränk in dessen Hand den Platz getauscht.    In dem Augenblick realisierte er, dass er doch gerade tatsächlich ins, wie nannte man es noch gleich, “schwärmen“ geraten war. Es war unerhört, was seine Gedanken ihm da gerade wieder versuchten einzureden. Immerhin könnte er genauso gut jetzt da unten sein und ihm höchstpersönlich sein Wunschgetränk servieren. Oder eben auch nicht. Er musste unbedingt zeitnahe etwas unternehmen, denn er konnte seinen Job nicht nur allein durch Kaibas Anwesenheit gefährden. Mal ganz abgesehen davon, dass sein Interesse an ihm sich nicht nur im Duel Monsters-Bereich oder während ihrer Streitereien abspielte. Und letztendlich musste er sich ihm irgendwann stellen oder alternativ bald kündigen und Letzteres kam für ihn definitiv nicht in Frage.    Seine Augen folgten dem Blick des CEO, der offensichtlich auf den hinteren Teil des Raumes fiel. Genau dort, wo das Klavier stand. Interessierte sich der Herr Firmenchef etwa für Musik? Wieder hatte Jonouchi vermeintlich etwas Neues erfahren. Etwas über den Seto Kaiba, der sonst so stoisch und unnahbar war. Sicher musste man in gewissen Kreisen auch in klassischer Musik bewandert sein. Doch das schien diesmal nicht die Intention dahinter zu sein. Sein Blick schweifte durch den Raum bis er sich, nach scheinbar erfolgloser Suche, an seinen Kollegen und Barkeeper Dante hinter der Theke wandte. Kaibas Blick und dem darauffolgenden Kopfschütteln nach zu urteilen, erhielt er von diesem jedoch nicht die gewünschte Antwort, sodass er kurz darauf seinen Drink bezahlte und die Bar schließlich wieder verließ. Der Blonde atmete erleichtert auf und gesellte sich wenige Momente später wieder nach unten, um die vorgeschobene Pause zu beenden und mit seiner Arbeit fortfahren.   "Sag mal, kann es sein, dass du was mit Seto Kaiba zu schaffen hast?“,  flüsterte Dante ungehört der anderen Kollegen, als Jonouchi von seiner ungeplanten Flucht zurückkehrte. Er war der einzige Angestellte, der wusste, dass der blonde Chaot eigentlich noch zu jung für diesen Job war. Nicht zuletzt wegen der nicht geringen Menge Alkohol, die hier allabendlich über die Theke ging. Und irgendwie wollte er das Schäfchen wohl auch vor den bösen Wölfen, die ab und an auch hier mal zu Gast waren, beschützen. "Kann man so sagen. Wir sind Klassenkameraden“, seufzte der Gefragte leise zurück, “Und er hätte mich mit absoluter Sicherheit sofort erkannt. Schon allein meine Haarfarbe fällt hier auf. Ada mit ihren roten Haaren sticht natürlich noch wesentlich mehr raus.“ "Verstehe. Nun, ich hätte da eine bessere Idee als dich zu verstecken. Besorg dir doch ein paar farbige Kontaktlinsen. Zusammen mit der Maske, wird dich nicht einmal deine Freundin wiedererkennen”, schmunzelte der Meister-Barkeeper und sinnierte kurz, während er seinen Schützling musterte. “Ein Bart kommt wohl eher nicht in Frage“, sprach er seine Gedanken laut aus und die Anspielung auf sein Alter ließ den Blonden mürrisch aufbegehren. Aber es war eine Überlegung wert und er würde sich direkt am Montag darum kümmern, auch wenn er stark bezweifelte, dass Kaiba wusste, welche Farbe seinen Augen besaßen, während Jonouchi selbst bei jedem Zusammentreffen beinahe in den blauen Meeren des anderen versank.    Der weitere Abend verlief ereignislos, wie all die anderen Wochen zuvor auch. Und am Ende des Tages, diesmal spät in der Nacht, verließen schließlich auch die letzten Gäste das Lokal und Jonouchi durfte, wie sonst auch, die wunderbaren Töne des Klaviers noch einmal aufleben lassen. Diesmal spielte er eines der Lieder, welches sie bereits am frühen Abend gehört hatten. Doch es klang beinahe völlig anders, wenn er es spielte. Und wie sonst auch, lauschten die Angestellten sowie der Barbesitzer, der heute mehrfach hinter der Bar anzutreffen war, dem beruhigenden Klang seines Aushilfspianisten. Dieses Stück mochte der Blonde ganz besonders, da es ihn an seine unbeschwerte Kindheit erinnerte. Auch Dante bemerkte die besondere Hingabe im Spiel und sprach ihn direkt darauf an, nachdem der letzte warme Ton des Instruments verstummte.   "Du kanntest dieses Lied, hab ich Recht?“  "Ja, ich habe es früher oft zusammen mit meiner kleinen Schwester gespielt. Besser gesagt: ich habe gespielt, während sie dazu gesungen hat.“ "Verstehe. Deswegen hatte es diesen warmherzigen Klang. Ich freue mich schon darauf, wenn du mal wieder für unsere Gäste spielst“, lächelte der Weißhaarige wohlwollend.  "Das wird wohl vorerst nicht nochmal passieren. Damals war es auch nur Zufall. Immerhin bin ich ja kein Meister meines Fachs so wie du hinter der Theke“, witzelte der Blonde und sah verlegen zu seinem Kollegen. Dann schafften Sie im Lokal noch Ordnung und dieser unverhofft nervenaufreibende Tag ging auch für Jonouchi endlich zu Ende.    To Be Continued… Kapitel 2: Sekunden in Moll --------------------------- Der darauffolgende Montag begann bei dem Blonden wie immer mit einem nervigen Weckerklingeln, das er am liebsten ignoriert hätte. In der Nacht war er kaum zur Ruhe gekommen. Zu viele Gedanken drängten sich ihm seit diesem Samstagabend auf. Natürlich war ihm klar, das er irgendwann auf jemanden treffen musste, der ihn kannte, und es war auch nicht abwegig, dass dieser Jemand Kaiba sein konnte. Dennoch beschäftigte es ihn doch wesentlich mehr, als er anfangs gedacht hatte. Zumal er dem Firmenchef auch am heutigen Tag wieder in der Schule begegnen würde. Doch es half nichts. Schließlich herrschte noch immer Schulpflicht, auch wenn ihm gerade eher nach einer Mütze Schlaf zumute wäre. Er quälte sich mühevoll aus dem kuschlig warmen Bett und machte sich schließlich fertig. Ein Gähnen folgte dem nächsten und seine Gedanken schweiften bereits wieder zu ganz anderen Themen als dem langweiligen Unterrichtsstoff ab. Nicht zuletzt zu einem gewissen Brünetten, für den er nun schon eine ganze Weile im Stillen schwärmte. Und jetzt hatte er ausgerechnet ihn an zwei aufeinander folgenden Wochenenden außerhalb der Schule an seinem heimlichen Arbeitsplatz angetroffen. Auch wenn ihm das aktuell mehr Angst als Freude bereitete, konnte er ein kleines Grinsen dennoch nicht unterdrücken. Jedoch vermied er aus eben genanntem Grund am heutigen Montag jedwede Interaktion mit dem Brünetten und verbrachte die Zeit in der Schule ungewohnt still, während er stets darauf bedacht war, ihm weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Nach Unterrichtsende begab er sich dann, wie fest vorgenommen, auf die Suche nach geeigneten, farbigen Kontaktlinsen. Und tatsächlich wurde er bei einem Optiker in der Innenstadt fündig. Die Wahl der Farbe war auch nicht sonderlich schwierig. Blau sah so europäisch aus und traf nicht so ganz seinen Geschmack. Braune Augen hatte er ja bereits. Das hätte somit keinen Sinn gehabt. Blieb also nur noch Grün übrig, insofern er nicht eine ganz abgefahrene Farbe haben wollte. Nein, unnötigerweise noch mehr auffallen, war definitiv nicht sein Ziel. Dass es bei einem Optiker nicht die günstigsten Produkte zu kaufen gab, wusste er natürlich, aber bevor er Gefahr lief, am Samstagabend mit im Dunkeln leuchtenden, neongrünen Augen aufzutauchen, war diese Ausgabe wohl nötig. Sein heimlicher Nebenjob ließ dieses kleine Extra ausnahmsweise zu. Zufrieden mit seiner Ausbeute hoffte er, dass Kaiba im Falle eines erneuten Zusammentreffens den Schwindel nicht bemerkte. Dass er sein vorlautes Mundwerk dafür ein wenig zurückschrauben musste, damit er im Zweifel nicht genauso auf dessen gern auch abschätzige Aussagen reagierte wie in der Schule, musste er sich dabei mehrfach in Erinnerung rufen. Zugegeben, diese kleinen Sticheleien des anderen sowie die ständigen Wortgefechte waren gern mal die Höhepunkte seines Tages. Denn es war schier unmöglich, Seto Kaiba auf eine andere Weise nahezukommen, sofern man nicht einer seiner Geschäftspartner oder dessen geliebte Tochter war, die um den stoischen Firmenchef herum schwänzeln und ihm schöne Augen machen konnte. Genau so, wie Jonouchi es am letzten Wochenende hatte beobachten können. Für seinesgleichen war in solch einer Welt eben kein Platz. Schwärmerische Gedanken, so schwor sich der Blonde, würde er mit ins Grab nehmen, da er dahingehend keinerlei Chancen für sich sah. Also genoss er weiterhin heimlich die Aufmerksamkeit, die so nur ihm allein zuteil wurde. Doch zu seiner Verwunderung verlief die Woche relativ still. Bis zum Mittwoch geriet er nicht wirklich in Konfrontation mit dem Brünetten, dafür an besagtem Tag umso deutlicher, als Kaiba ihn frech anremeplte und ihn als Schuldigen hinstellte. Ein kurzer Schlagabtausch folgte, den der Firmenchef jedoch direkt wieder unterbrach. Seltsam. Er schien gedanklich irgendwie nicht bei der Sache zu sein. Offenbar gab es da etwas, das ihn mehr beschäftigte. Vielleicht die Kaiba Corp. oder Mokuba? Nein, bei beiden wäre er längst nicht mehr in der Schule und würde sinnlos darüber grübeln. Ärgerlicherweise interessierte es den Blonden brennend, was es wohl sonst sein könnte, und nur zu gern hätte er es in Erfahrung bringen wollen. Doch da er nicht wusste, wie genau er das anstellen sollte, verwarf er diesen Gedanken schnell wieder und beschloss, sich auf etwas Erfreulicheres zu konzentrieren, das nach Schulschluss auf ihn wartete. Heute würde ihn seine Schwester besuchen kommen, wenn auch nur über den Nachmittag hinweg. Sie hatten sich vor der Schule verabredet und Jonouchi nutzte die Zeit bis dahin, um sich mit seinem liebsten Hobby zu beschäftigen. Was er jedoch nicht wissen konnte war, dass Shizuka bereits früher am vereinbarten Treffpunkt ankam und beschloss, ihren Bruder zu überraschen. Sie wusste nur zu genau, wo sie ihn um diese Zeit finden würde. Als sie über den Schulhof lief, begegnete sie noch einem Schüler, der telefonierend Richtung Schultor ging. An der Haupteingangstür angekommen, hörte sie, wie im oberen Stockwerk eine Melodie erklang und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie öffnete die Tür, folgte den verheißungsvollen Tönen und stand wenige Sekunden später im Musikraum, in dem ihr Bruderherz am Klavier ein Lied aus alten Tagen spielte. Empfangen wurde sie mit einem warmen Lächeln und gab dieses nur allzu gern zurück. Die ruhigen und harmonischen Töne fluteten den Raum und tauchten ihn mit der langsam untergehenden Sonne in ein warmes Orange. Shizuka stellte sich neben Katsuya an das Klavier und begann wie früher mit ihrem Gesang in das Spiel einzustimmen. Beide schlossen ihre Augen und gaben sich der wunderbaren Melodie hin. Für einen flüchtigen Moment blendeten sie die ganze Welt um sich herum einfach aus und während seine Schwester völlig in das Klavierspiel eintauchte, spürte der Blonde, wie die Sehnsucht nach dem Vertrauten immer weiter wich. Die Musik verband sie beide auf eine ganz besondere Weise. All die unausgesprochenen Worte kamen zum Vorschein, ohne dass jemand ein Urteil darüber fällen konnte oder durfte. Es war das reine Gefühl, welches sich auf die Musik übertrug und tiefer ging, als je ein gesprochenes Wort es gekonnt hätte. Wie lang war es her, dass sie auf diese magische Weise zusammen gekommen waren? Eine kleine Ewigkeit wie es schien. Doch das Lied neigte sich bereits dem Ende zu und der Gesang Shizukas ebenso. Still lauschte sie wie früher den letzten harmonischen Tönen, bis diese letztendlich ebenfalls komplett verstummten. "Schön, dass du da bist, Shizuka“, freute sich der Blonde über den unverhofft frühen Besuch seiner jüngeren Schwester. "Ich wusste, dass du die Zeit nutzen würdest, in der die Musik AG keine Clubaktivitäten hat. Immerhin sagst du es mir ja oft genug, dass das die einzige Gelegenheit zum Spielen ist. Neben der Sache in der Bar versteht sich. Deswegen habe ich mich heute extra beeilt, um dir noch Gesellschaft leisten zu können“, schmunzelte sie ihn fröhlich an. Unter der Trennung der Eltern hatten beide sehr gelitten. Der eine mehr, der andere vielleicht sogar noch viel mehr als geglaubt. Inzwischen sahen sie sich wenigstens regelmäßig und diesmal bot sich diese einmalige Chance, die Shizuka nicht verstreichen lassen wollte. "Ist lang her, dass wir so zusammen gesessen haben. In der Nähe hat übrigens ein neues Café eröffnet. Was hältst du davon, gemütlich einen Kaffee trinken zu gehen?“, schlug der Blonde seiner Schwester vor. Diese nickte, hakte sich bei ihrem älteren Bruder ein und schlenderte mit ihm gemeinsam Arm in Arm aus dem Musikraum. Im Treppenhaus begegneten sie noch Kaiba, der es sehr eilig zu haben schien. So eilig, dass er Jonouchi beinahe in seiner Hast umgerissen hätte. Natürlich konnte dieser sich einen frechen Kommentar ob dieses Überfalls nicht verkneifen. Allein schon deshalb, weil er seine Schwester noch im Arm hatte. Als Antwort erhielt er selbstverständlich keine Entschuldigung, sondern ein “Mach einen Termin, wenn du dich beschweren willst”, mit dem er einfach abgespeist und stehen gelassen wurde, während der Brünette die Treppe hinauf hechtete. Eigentlich hätte er liebend gerne etwas erwidert, aber diese Ansprache wirkte tatsächlich eher halbherzig und unterstrich nur das seltsame Bild, das Kaiba die letzten Tage abgab, sodass er es auf sich ruhen ließ. "Nii-chan…? “, fragte daraufhin die leise Stimme neben ihm und sah ihn mit großen, fragenden Augen an. "Schon gut. Das ist der Typ, von dem ich dir neulich erzählt habe, der immer Streit mit mir anfängt. Ich wollte dir jetzt nur kein schlechtes Vorbild sein“, antwortete er auf die noch nicht gestellte Frage. "Ah. Ich verstehe“, gab die jüngere Schwester zurück, während sich ein Grinsen in ihr Gesicht schlich. Natürlich erzählte ihr großer Bruder auch oft von den Streitereien und wie wuschig der andere ihn damit machte. Doch Shizuka kannte ihren Bruder schon lange und manchmal vielleicht sogar besser, als es dem Blonden lieb war. Auch wenn er erzählte, wie sehr es ihn nerven würde und das er sich ja unbedingt Kaibas Respekt verdienen musste, schwang da immer so ein gewisser Unterton mit. Es war nur so ein Gefühl, das ihr sagte, dass da noch mehr dahinter steckte, als ihr Bruderherz preisgab. Vielleicht war es ihm anfangs auch noch gar nicht selbst bewusst. Aber mit der Zeit merkte er wohl, dass da etwas war, was er nicht ganz einzuordnen wusste oder schlicht nicht konnte. "Ich verstehe gar nicht, was daran so lustig ist, Schwesterherz“, gab der Ältere nur mürrisch zurück und freute sich innerlich über den unverhofften Körperkontakt mit seinem heimlichen Schwarm. To Be Continued… Kapitel 3: 17歳 (17 Jahre Alt) ----------------------------- Danach zogen einige Wochen ins Land, in denen sich Kaiba regelmäßig im Crescent einfand. Jonouchi versuchte wiederum, ihm bei jedem Besuch gekonnt aus dem Weg zu gehen, was ihm auch relativ gut gelang. Dennoch konnte er sich natürlich nicht ewig aus der Affäre schleichen bzw. sich vor ihm verstecken und so kam schließlich der Tag, an dem beide erstmals direkt aufeinandertrafen.    "Verzeihung“, entschuldigte sich der Blonde, der soeben durch eine ungünstige Verkettung von Ereignissen von Kaiba aufgefangen wurde. Denn als er sich beim Abräumen der leeren Cocktailgläser in seiner Bewegung umgedreht hatte, hatte er nicht bemerkt, dass der Firmenchef aus dem Nichts heraus plötzlich hinter ihm stand und der Blonde ihm damit unausweichlich in die Arme laufen würde. Sofort zuckte er merklich zusammen, als er sich aus der unfreiwilligen Umarmung wand und sah, wer ihn da gerade in seinen Armen hielt. Bis eben war der CEO definitiv noch nicht zugegen gewesen. Offenbar eine veraltete Information, die sein Gedächtnis da wiedergab und ihn sogleich einen zarten Rotton ins Gesicht zauberte, der glücklicherweise von der Maske verdeckt wurde. Verlegen schaute er zu dem Älteren auf, während ihm allerlei Gedanken durch den Kopf schossen.    Heute würde sich also zeigen, ob er ihn erfolgreich hinters Licht führen konnte oder ob seine Samstagabende hier ein jähes Ende finden würden. Doch Fortuna meinte es offenbar gut mit ihm, denn Kaiba schien ihn tatsächlich nicht zu erkennen, was wohl größtenteils der Maske zu verdanken war, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. Kurz darauf stahl er sich mit einer kleinen Flunkerei aus der unverhofften Begegnung und flüchtete sich nach diesem ersten Schreck etwas ungelenk und stolpernd über die eigenen Füße ein paar Tische weiter, um eine neue Bestellung aufzunehmen.    Die Anwesenheit des Anderen machte ihn zusehends nervös, jetzt wo sie final aufeinandertrafen. Hier waren sie nicht in der Schule und Kaiba (er)kannte ihn nicht. Es war, als wollte ihm das Schicksal eine zweite Chance geben und die wollte er auf jeden Fall für sich nutzen. Außerdem wirkte der Brünette am heutigen Abend irgendwie anders. Er duftete regelrecht wunderbar und sah noch dazu so unverschämt gut aus. Nicht, dass er das nicht immer täte, aber heute gefiel er ihm ganz besonders in seinem eleganten, dunklen Outfit. Und dann waren da natürlich noch diese einzigartig blauen Augen, die ihn sonst immer nur mit Nichtachtung und Eiseskälte straften.    Es beschäftigte den Blonden schon ein wenig, für wen sich Kaiba wohl so chic gemacht hatte. Sicher gab es wieder ein Geschäftsessen mit einem wichtigen Kunden oder war es gar ein Date? Sein letzter Gedanke wollte ihm dabei so gar nicht gefallen. Aber auch bei Kaiba war es nicht auszuschließen, dass seine reservierte und unterkühlte Art eine potentielle Heiratskandidatin anlocken könnte, die ihm den Kopf verdrehen würde. Immerhin hatte es bei ihm ja auch irgendwie gefunkt, trotz der eisigen Kälte. Mit diesem Hirngespinst im Hinterkopf atmete Jonouchi noch einmal tief durch. Danach wandte er sich wieder dem Zurückgelassenen zu und geleitete ihn zu einem noch freien Platz ganz in der Nähe seines geliebten Pianos, denn scheinbar mochte der Firmenchef diese Art von Musik ebenfalls. Mit einer Entschuldigung auf den Lippen verabschiedete er sich für einen kurzen Moment und ging Richtung Theke.    „Nanu, da sieht aber jemand glücklich aus“, grinste ihn Dante verschmitzt von der Seite an. „Unsinn. Er ist ein Gast wie jeder andere auch. Ich bin nur froh, dass er mich nicht erkannt hat“, entgegnete der Blonde daraufhin. „Ist das so? Dann hatte es wohl keine tiefere Bedeutung, als er sich vor ein paar Wochen nach dir erkundigt hatte.“  „Ist nicht dein Ernst!“, wurde der Blonde daraufhin neugierig. „Er fragte nach ”dem Blonden, der letzte Woche hier gearbeitet hatte“, um es wortwörtlich wiederzugeben. Da fällt mir nur einer ein“, amüsierte sich der Barkeeper und die Augen von Jonouchi bekamen ein gewisses Leuchten. Kaiba interessierte sich also für ihn. Besser konnte es gar nicht laufen und die Freude in seinem Gesicht war kaum zu verbergen. Er schnappte sich ein Cocktail-Glas sowie die passenden Zutaten und tat, weswegen er an die Bar gekommen war: er mixte einen Gin Fizz. Zufrieden mit seinem Werk, platzierte er den Cocktail auf seinem Tablett und begab sich wieder zurück zu dem Brünetten, um ihm sein eigens für ihn gemachtes Getränk zu servieren.   Neugierig über das Urteil seines Gastes funkelte er ihn erwartungsvoll an. Was wäre, wenn es ihm nicht schmecken würde. Immerhin kam es nur selten vor, dass er für einen Gast ein Getränk zubereitete, da er ja lediglich als Kellner und nicht als Barkeeper angestellt war. In seinem Alter wäre das wohl auch definitiv nicht angebracht. Aber ganz auf ihn verzichten konnte bzw. wollte der gute Trader Vic eben auch nicht. Wie in Zeitlupe spielte sich die Szene vor ihm ab, als der Brünette nach dem Getränk griff und einen Schluck davon probierte. Daraufhin bedankte er sich für den unverhofft spendierten Cocktail mit einem vielsagenden Lächeln im Gesicht und Jonouchis Herz machte einen kurzen Satz. So unnahbar, wie der Firmenchef sich sonst immer gab, umso überraschender war dieses unglaubliche Lächeln, das er von ihm wahrlich noch nie gesehen hatte. Und es galt ausschließlich ihm.    ‚Katsuya, verdammt nochmal. Jetzt sammel dich wieder und sag gefälligst irgendwas darauf‘, musste er sich selbst ermahnen, um nicht sofort in ein dümmliches Grinsen zu verfallen. „Es war mir eine Freude“, gab er schließlich mit einem herzerwärmenden Schmunzeln zurück. Doch schon direkt darauf wurde er von einem anderen Gast einige Tische weiter heran gerufen, um eine weitere Bestellung entgegenzunehmen. Beflügelt von diesem Hochgefühl, konnte er die stumme Freude kaum mehr aus dem Gesicht kriegen.    Verstohlen schaute der Blonde immer mal wieder zu dem Brünetten hinüber, wobei sich ihre Blicke für einen flüchtigen Moment trafen. Seine dunklen, blauen Augen ruhten auf dem unscheinbar wirkenden Aushilfskellner und ein deutliches Kribbeln durchzog Jonouchis Körper, da er wohl tatsächlich das Interesse von Kaiba geweckt hatte. Er oder zumindest Zack hatte seine alleinige Aufmerksamkeit. Nicht wie sonst beim Zanken in der Schule oder wenn sie sich unverhofft irgendwo begegneten und in altbekannte Muster verfielen. Das hier war eine ganz andere Geschichte. Und die las sich wesentlich angenehmer als die bereits bekannte. Wenn es doch immer so sein könnte. Doch das war wohl nicht möglich, dessen war er sich durchaus bewusst, zumindest nicht als Katsuya Jonouchi. Denn hier gab es einzig und allein Zack.   Viel Zeit genossen sie zum Leidwesen des Blonden jedoch nicht zusammen. Eine Bestellung hier, ein Kundenwunsch dort, bis Kaiba ihn erneut heran winkte, um ebenfalls ein weiteres Getränk zu ordern. Prompt erfüllte er ihm natürlich den Wunsch, jedoch nicht ohne es mal wieder so richtig schön zu vergeigen. Auch wenn dabei an anderer Stelle etwas nachgeholfen wurde. Ein Gast hatte ihn unabsichtlich angerempelt, sodass das Chaos schließlich seinen Lauf nahm. Dem Blonden blieb dabei beinahe das Herz stehen, als er sein persönliches Desaster, dass er gerade wieder angerichtet hatte, bemerkte. Hatte er doch gerade den eigens für Kaiba zubereiteten Cocktail über ebendiesen gegossen. Aus den Haaren des CEO tropfte die klebrig süße Flüssigkeit zu allem Überfluss natürlich auf das elegante Hemd und die unverschämt gut sitzende Hose. Diese waren zwar schwarz und natürlich konnte man darauf keine dunklen Flecken erkennen, aber das machte es für den unfreiwilligen Übeltäter nicht besser. Zudem war das Getränk durch die Eiswürfel ziemlich kalt, sodass sich unter dem schwarzen Hemd die ein oder andere Kleinigkeit abzeichnete, die den Blonden direkt äußerst verlegen zu Boden schauen ließ.   „Das… tut mir unendlich leid. Das war wirklich keine Absicht“, begann er hektisch sich zu entschuldigen und versuchte im Eifer des Gefechts verzweifelt, die Spuren seines Malheurs weitestgehend zu beseitigen, während sein Blick erneut zu dieser einen, eben bemerkten Tatsache auf Kaibas Brust glitt. Doch der Moment währte nicht lange, denn der Brünette stand unvermittelt auf und begab sich, ohne ein Wort zu sagen, in den hinteren Bereich, in dem sich die Gästetoiletten befanden. Jonouchi blieb noch einen Moment wie erstarrt an dessen zugewiesenen Tisch stehen, bis er sich schließlich fing und resigniert zurück zur Theke ging. Eben noch der Freude auf eine eventuelle zweite Chance erlegen, platzte der Traum im Bruchteil einer Sekunde wie eine Seifenblase und brachte ihn wieder zurück an den Anfang.   „Was... ?“, begann Dante seinen Satz, als er den niedergeschlagenen Gesichtsausdruck beim Blonden bemerkte. „Frag lieber nicht“, winkte dieser sogleich ab. „Schlimmer kann es wohl nicht mehr werden“, betitelte er seinen persönlichen Weltuntergang. Immerhin waren sie hier nicht Klassenkameraden, sondern Gast und Angestellter. Und da Kaiba kein Wort dazu gesagt hatte, wusste der Blonde nun auch nicht, wie schwerwiegend sein Vergehen war. Minutenlang zermarterte er sich den Kopf über Wenns und Abers, kam jedoch zu keiner Lösung. „Ich würde sagen, er nimmt es dir nicht ganz so übel, wie du vielleicht denkst", bemerkte Dante beinahe beiläufig und deutete auf den Tisch, an dem der CEO bereits wieder Platz genommen hatte. Seiner Geste zufolge wollte er erneut denselben Drink bestellen und sah dabei provokativ zu Jonouchi hinüber, dessen Verwunderung deutlich erkennbar war.    Also machte dieser sich daran, einen weiteren Cocktail zuzubereiten. Allerdings fühlten sich seine Beine so schwer wie Blei an, als er erneut auf den Brünetten zuging, vor dessen Tisch stehen blieb und kurz inne hielt, als dieser zu sprechen begann: „Der Cocktail ist zwar äußerst köstlich, dennoch würde ich ihn das nächste Mal in einem Glas bevorzugen.“ Überrascht blinzelte ihn der Blonde bei diesen Worten an und musste unverhofft schmunzeln. Das kam definitiv unerwartet, nachdem Kaiba ihn kurz zuvor einfach wortlos stehen gelassen hatte. Offenbar war sein Fauxpas einfach so verziehen, ohne dass er sich darüber hätte Gedanken machen müssen. Nicht, dass er sich über diese glückliche Wendung beschweren wollte. Auf gar keinen Fall! Auch die nachfolgende Frage des Älteren zeigte ihm seinen Irrglauben auf und bestätigte ihm das Interesse des Firmenchefs.    „Sag, machst du das schon länger? Ich meine das Getränkemixen, nicht das Gästebegießen.“ Wieder musste der Blonde schmunzeln. Diese Art von Humor kannte er zwar von dem Firmenchef, allerdings war es diesmal nicht abwertend oder böswillig gemeint. Man könnte beinahe meinen, dass ein kleiner, verheißungsvoller Unterton mitschwang. Ging das etwa in die Richtung eines Flirts oder bildete er sich das in seinen Wunschträumen nur wieder ein? Die Freude darüber, dass er wieder eine Seite an dem Anderen entdeckt hatte, die er bislang noch nicht kannte, behielt er dabei für sich.  Es war wahrlich kaum zu glauben.  Ein Gespräch kam zustande.  Ohne gemeine Worte. Ohne Streit.    Und ein Thema erregte dabei seine besondere Aufmerksamkeit. In den wenigen Sätzen, die sie beide miteinander wechselten, erwähnte der Brünette einen für Jonouchi ungewöhnlich klingenden Wunsch nach einem Klavierstück, das, wie er es sagte, außergewöhnlich war. Damit fühlte er sich beinahe direkt angesprochen. Klar, er war kein Meister seines Faches, aber er legte all seine Gefühle in sein Spiel und hoffte, dass diese darin mitschwangen. Schade nur, dass der Brünette ihn nicht hatte spielen hören können, denn das tat er nur, nachdem alle Gäste gegangen waren. Vielleicht würde es ihm ja sogar gefallen? Doch jetzt musste er sich wieder seiner Arbeit widmen, denn ein paar Tische weiter wurde er bereits von einem Gast heran gewunken. Er entschuldigte sich und ging weiter seiner Arbeit nach.    Viel mehr Kontakt als die ein oder andere Bestellung kam zwischen den beiden an diesem Abend nicht mehr zustande, was Jonouchi etwas ärgerte, denn irgendwie stimmte die Chemie ausnahmsweise mal zwischen ihnen beiden. Natürlich war dem Blonden klar, dass es nur daran lag, dass Kaiba ihn nicht erkannt hatte. So konnte er ihm näher kommen, neue Seiten an ihm kennenlernen, Vorlieben entdecken. Auf der einen Seite erhellte es sein Herz. Die unschöne Kehrseite war jedoch die Tatsache, dass er das alles nicht Katsuya Jonouchi preisgab, sondern Zack. Warum es so war, wusste der Blonde nicht. Sonst ließ der kalte und unnahbare Firmenchef niemanden an sich heran, was wohl eine Art Selbstschutz für ihn war.   Etwas schwermütig brachte Jonouchi den Abend zu Ende und sah, wie letztendlich auch Kaiba die Bar als einer der Letzten verließ. Kurz atmete er erleichtert auf, denn zu einem Date war der Firmenchef definitiv heute Abend nicht hierher gekommen. Allerdings würde der Blonde gern einmal ein Stück für ihn spielen, wie der Brünette es sich gewünscht hatte. Doch die Chance dazu, hatte er wohl soeben verpasst. Nichtsdestotrotz freute er sich auf diesen wunderbaren Moment, an dem er sich wieder in seiner eigenen Welt frei bewegen konnte. Und heute Abend sollte es kein trauriges oder melancholisches Lied sein.    Er entschied sich für ein belebtes Stück und begann, mit freundlichen Tönen den Klang des Pianos in der Bar widerhallen zu lassen. Die Melodie versetzte die wenigen Zuhörer an einen warmen Frühlingstag, an dem die Kirschbäume in wunderbarer Blüte standen. Voller Hingabe und auf der Suche nach dem einen Unbekannten schlug er mit geschlossenen Augen die Tasten an, tauchte alles um ihn herum in einen rosafarbenen Blütenregen, der vom Wind fortgetragen wurde und hoffentlich sein Ziel... nein, ihn erreichen würde.  Vielleicht.  Irgendwann auf seinem weiten Weg.     To Be Continued…  Kapitel 4: To Zanarkand ----------------------- Die darauffolgende Woche begann und der Blonde konnte bereits am Montag kaum mehr ihr Ende erwarten. Beinahe würde er die Stunden zählen, bis er das Crescent wieder betreten konnte. Denn nebst der Tatsache, dass er dort mit seinem heimlichen Schwarm mühelos in Kontakt treten konnte, wurde für den kommenden Samstag ein VIP-Abend angekündigt und ein besonderer Gast zum Auftritt geladen. Und diesen verehrte der Blonde besonders, gerade für dessen atemberaubendes Klavierspiel. Diese überschwängliche Freude hielt noch bis zum Mittwoch an und fiel natürlich auch seinen Freunden überdeutlich auf, die daraufhin versuchten, was auch immer es war, aus Jonouchi herauszukitzeln.    „Irgendwas ist doch bei dir schon wieder im Busch“, zog Honda ihn auf und stieß ihn an der Schulter an, als sie gerade über den Flur der Schule liefen. „Ich weiß gar nicht, was du hast. Alles ist wie immer“, winkte der Blonde eiligst ab. Doch das nahm er ihm natürlich nicht ab, denn dafür kannten sie sich einfach schon viel zu lange. „Das sieht ein Blinder mit ‘nem Krückstock, dass du schon wieder irgendwas ausheckst. Oder verheimlichst du etwa was vor uns? Na los, jetzt spuck‘s schon aus“, drängelte sein ehemaliger Raufkumpane ihn weiter und Jonouchi hatte Mühe, ihn wieder von dem Thema abzubringen. Der Rest der Truppe war natürlich nicht minder an einer wahrheitsgemäßen Antwort interessiert. Ein (un)glücklicher Zufall sollte ihm allerdings unerwartet beim Themenwechsel behilflich sein. Durch das Herumgeschubse und Gedrängel von Honda stolperte er unbeabsichtigt in jemanden hinein und riss ihn mit sich zu Boden. Unverhofft kam ja bekanntlich oft, denn der unter ihm Liegende war wiederum einer der beiden Gründe für seine freudige Tagträumerei. Als er das realisierte, funkelte ihn der Unterlegene bereits erbost an und zischte ihm ein scharfes „Geh sofort von mir runter“ entgegen. In die Realität zurückgekehrt, sprang der Angesprochene auch augenblicklich  auf.    Vorbei war der Moment, in dem er die nicht traute Zweisamkeit genießen konnte. Was legte Kaiba doch heute wieder für einen unfreundlichen Ton auf. Ein wenig trübsinnig über den immer gleichen Verlauf ihres Aufeinandertreffens, sammelte sich der Blonde kurz, legte sein übliches Du-kannst-mir-den-Buckel-runterrutschen-Gesicht auf und pfefferte eine freche Antwort zurück: “Als wenn das meine Schuld wäre. Seit Tagen rennst du mich schon um und entschuldigst dich noch nicht mal dafür“, plusterte er sich vor dem Älteren auf und trat dabei ein Stück näher an ihn heran, während dieser die Nase rümpfte und einen abschätzigen Blick auf den Blonden warf. Untypischerweise verzichtete der Firmenchef jedoch auf einen weiteren Kommentar. Eigentlich mochte Jonouchi diese kleinen Streitereien zwischen ihnen beiden. Doch jetzt, wo er erfahren hatte, wie viel angenehmer eine normale, wenn auch bisher nur kurze Unterhaltung mit dem Älteren sein konnte, konnte er für diese Art der Aufmerksamkeit plötzlich keine wirkliche Freude mehr empfinden. Es war eher das Gegenteil der Fall. Also reagierte er entsprechend seinem Gefühl mit einem für Kaiba unhörbaren „Ach, was solls“, brach das aufgekommene Streitgespräch abrupt ab und wandte sich, während er für einen Bruchteil einer Sekunde sein sorgsam aufgesetztes Pokerface fallen ließ, wieder lächelnd seinen Freunden zu.    Diese Reaktion war mehr als untypisch für den impulsiven Hitzkopf und spätestens jetzt waren sich alle Anwesenden sicher, dass hier etwas ganz gewaltig nicht stimmte. Das Jonouchi von Null auf Hundert hochschnellen konnte, war längst bekannt, aber das eben Gesehene war tatsächlich so noch nie vorgekommen. Er gab bei Kaiba einfach so klein bei ohne wirkliche Gegenwehr und ließ ihn diesen Schlagabtausch somit kampflos gewinnen. Den Firmenchef selbst schien dies weniger zu interessieren, da er bereits wieder seines Weges ging, ohne ihm in irgendeiner Form weitere Aufmerksamkeit beizumessen.   Den Rest des Tages legte der Blonde eine fröhliche Miene auf und scherzte scheinbar ausgelassen mit seinen Freunden, so wie er es auch sonst immer tat. Doch das ungute Gefühl, dass der Zwist zwischen ihm und dem Brünetten ausgelöst hatte, ließ sich damit nicht abschütteln. Heute war er passenderweise im Klassendienst eingeteilt, also konnte er seine Freunde, ohne sich eine aus den Haaren herbeigezogene Ausrede einfallen lassen zu müssen, einfach vertrösten und direkt danach seinem liebsten Hobby nachgehen, um die unliebsamen Gedanken zu vertreiben. Nachdem die Arbeit erledigt war, begab er sich sogleich auf den Weg in die obere Etage, in der sein geliebtes Klavier bereits auf ihn wartete. Bedächtig ließ er seine Hand über das dunkle Fichtenholz gleiten und nahm wie jeden Mittwoch auf der Pianobank Platz.   Gedankenverloren starrte er auf seine Hände, die reglos direkt über den weißen Klaviertasten schwebten und zögerte einen Moment ehe er sie sanft darauf ablegte. Seine Augen schlossen sich beinahe automatisch, als er seinen Kopf senkte und einen tiefen Atemzug nahm. Dabei versuchte er, diese unschöne Begegnung mit Kaiba am Morgen so weit es ging zu verdrängen. Dass es ihn nicht fröhlich stimmte, war leider nicht zu ändern. Dafür waren sie wohl einfach zu festgefahren in ihren Gewohnheiten. Was jedoch ebenso stet blieb wie die ewigen Zankereien, war seine unausgesprochene Liebe für das Piano und dessen wunderbaren Klang. Also verbannte er die negativen Gedanken, öffnete seine Augen, die auf einmal einen gewissen Glanz innehatten, und begann sein traumhaftes Spiel.    Liebliche Töne erklangen in diesem publikumslosen Raum und erfüllten die Leere mit einem Klang so wunderbar hell und klar, dass er wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser funkelte und von dort aus in die Welt zurückgeworfen wurden. Unvergessene Erinnerungen an längst vergangene Tage kehrten wieder zurück. Jene Tage, die von lachenden Gesichtern und überschwänglicher Freunde geprägt waren. Besonders das fröhliche Kichern seiner kleinen Schwester hallte noch genau wie damals in seinen Ohren wieder. Dabei war es bereits viele Jahre her, dass sie beide Kinder gewesen waren und sie wie eine richtige Familie mit ihren Eltern zusammengelebt hatten. In dieser sorglosen Zeit hatte Jonouchi auf Geheiß seiner Eltern das Klavierspielen erlernt und war dafür zweimal in der Woche zu einem Privatlehrer gegangen. Oft hatte Shizuka ihn damals dorthin begleitet und saß still und leise im Raum, um der Musik ihres Bruders zu lauschen. Es war, als hätte ein unsichtbarer Zauber in den Noten gelegen, die er nur für sie zu spielen schien. Sie hatten sie immer wieder aufs Neue in eine schöne Traumwelt entführt, hatten sie Abenteuer erleben lassen oder ihr Trost gespendet, wenn die Eltern wieder einen Streit ausgefochten hatten.    Und bald darauf war dieser so flüchtig wirkende Moment der heilen Welt plötzlich einfach so vorbei gewesen und die einst so harmonisch wirkende Familie nur wenige Monate später entzweit. Nicht zuletzt waren die Geschwister durch die Meinungsverschiedenheiten der Eltern, ohne dass sie bei der Entscheidung einbezogen worden waren, voneinander getrennt worden. Shizuka war von ihrer Mutter mitgenommen worden, während Jonouchi bei seinem Vater geblieben war. Dieser hatte sich daraufhin seiner Alkoholsucht hingegeben, sodass sie bald in einen finanziellen Engpass geraten waren, der noch bis heute anhielt. Geld war mit einem Mal rar gewesen und private Klavierlehrer waren nunmal äußerst kostspielig. So hatte Jonouchi gezwungenermaßen alles aufgeben müssen, was er damals so sehr geliebt hatte. Das Piano, das sie besessen hatten, war verkauft worden und seine Schwester hatte er in den letzten Jahren meist nur sporadisch und zu allem Überfluss auch nur sehr kurz gesehen, da seine Mutter den Umgang für nicht angemessen gehalten hatte.    Doch inzwischen waren sie keine kleinen Kinder mehr und konnten allein entscheiden, welchen Umgang sie pflegten. An der Leidenschaft zur Musik, die sie stets miteinander verband und sie immer wieder zusammen führte, änderte sich über die Jahre hinweg jedenfalls nichts. Seine Freunde wussten wiederum nichts von Jonouchis verborgenem Talent am Klavier, denn es war etwas, was er nur mit seiner Schwester, die ihm nach wie vor wichtiger als jeder andere Mensch auf dieser Welt war, teilte. Zudem bestand kein Grund, es seinen Freunden zu erzählen, die ihn lediglich als impulsiven Irrwisch kannten. Und auch wenn Fortuna für ihn nur eine unerwiderte Liebe bereithielt, war er dankbar für all die Menschen um ihn herum und die wunderbaren Melodien im Herzen jedes einzelnen von ihnen.    Eigentlich gab es gar keinen vernünftigen Grund, Trübsal zu blasen. Andererseits, wann waren Gefühle schon vernünftig? Das Leben war schlicht zu kurz und viel zu schön, um es sich unnötig schwer zu machen. Und diese Wahrheit ließ er in seinem einzigartigen Spiel nur für sich ganz allein und ungehört aller deutlich im Raum erklingen. Jeder Ton trug seine eigene unvergessliche Erinnerung aus einer längst vergangenen Zeit, die ihn dennoch außerordentlich geprägt hatte und schließlich zu dem Menschen gemacht hatte, der er heute war. Auch wenn er selbst, wenn er ganz ehrlich sein sollte, momentan viel lieber ein ganz normaler Kellner in einer beschaulichen Pianobar sein hätte wollen.   To Be Continued… Kapitel 5: Lit -------------- Wie immer, wenn man sich auf etwas freute und es schmerzlich herbeisehnte, zogen sich die Tage unendlich in die Länge. In dieser Zeit begleiteten Jonouchi allerlei Gedanken, die er sich über den Firmenchef und die ungünstige Situation machte, in die er sich unfreiwillig hineinmanövriert hatte. Jedoch erhellte sich seine Stimmung mit dem herannahenden Wochenende zunehmend mehr und verdrängte die unliebsamen Ereignisse in den Hintergrund. Denn heute war endlich der langersehnte VIP Abend, an dem Kaiba das Crescent wohl definitiv nicht besuchen würde. Immerhin war er bis dato kein VIP-Mitglied, sodass der Türsteher, ein resoluter, großgewachsener Kerl mit grimmigem Blick, ihm den Einlass genau wie allen anderen, die diesen Status nicht innehatten, verweigern würde. Zudem erwarteten sie heute einen bekannten Musiker, der sich unter anderem auch einen Namen als Produzent gemacht hatte und in der Vergangenheit in einer berühmten Rockband Schlagzeug und Piano gespielt hatte.* Jonouchis Freude über diesen besonderen Besuch konnte man ihm direkt im Gesicht ablesen. Immerhin spielte der heutige Gast schon seit einer gefühlten Ewigkeit, wobei der Blonde natürlich besonders sein Klavierspiel bewunderte.    Als sich der Moment des geplanten Auftritts näherte, blieb die Klavierbank jedoch leer. Etwas verwundert, dass sie Ihren Stargast noch nicht begrüßen konnten, erkundigte sich der Blonde bei dem Mann seines Vertrauens. „Sag mal Dante, müsste unser heutiger Gastspieler nicht schon lange eingetroffen sein?“ „Da fragst du den Falschen“, entgegnete der Angesprochene nur und sah, wie der Barchef schnellen Schrittes auf sie zukam. „Das solltest du besser ihn fragen“, deutete er mit einem Kopfnicken auf die Person hinter Jonouchi. Doch noch bevor er den Mund aufmachen und seine Neugier befriedigen konnte, schnappte ihn sein Chef auch schon mit den Worten “Komm mal kurz mit“ am Arm und verschwand mit ihm nach hinten. Was war da wohl so unglaublich wichtig, fragte sich der zurückgelassene Dante und sah den beiden nach. Jonouchi wiederum machte sich auf dem kurzen Weg darüber Gedanken, was sein Chef wohl Wichtiges von ihm wollen könnte. Sein Tonfall klang so ungewohnt ernst. Hatte er einen Fehler gemacht? Hatte sich Kaiba vielleicht doch über ihn beschwert, weil er das Getränk über ihm verkippt hatte? Nein, Quatsch, das lief alles mehr als entspannt ab. Kurz ließ er sich bei dem Gedanken daran zu einem kleinen Tagtraum hinreißen. Doch das war nicht der passende Moment dafür.   Im Büro des Chefs angekommen, endete die Entführung des jungen Jonouchi und Trader Vic sah ihn abermals mit einem ernsten Blick an. „Wir haben ein Problem“, begann er den Satz und der Blonde wurde augenblicklich nervös, „und du bist die Lösung.“ Okay, das kam unerwartet. Jetzt wurde er neugierig, bei welchem Problem ausgerechnet er helfen konnte. „Unser heutiger Musiker wird sich etwas verspäten.“ Alles klar, das hatte jetzt nichts mit ihm zu tun. „Und ich möchte, dass du solange spielst, bis er eintrifft.“ Ja, gut, das hatte jetzt doch etwas mit ihm zu tun. Noch bevor er einen Einwand oder dergleichen anbringen konnte, fuhr sein Gegenüber auch schon mit seinem Monolog fort. “Außerdem ist das hier für dich angekommen.“ Er reichte ihm ein Paket, das vor ein paar Tagen zugestellt und bereits geöffnet wurde.   Ungläubig starrte er es an und wusste nicht recht, wer ihm ein Paket auf die Arbeit schicken sollte, zumal er keiner Menschenseele gesagt hatte, welcher Arbeit er unerlaubterweise an den Wochenenden nachging. Ein Blick auf den Versandaufkleber klärte wenigstens eine seiner Fragen, denn dort stand neben der Anschrift der Bar auch sein Pseudonym „Zack“. Die Absenderadresse kam ihm nicht bekannt vor. Es waren lediglich irgendwelche Kürzel darauf zu finden. Vielleicht ein Postfach? Ob man das googeln konnte? Doch dazu kam er nicht mehr, denn der Barchef unterbrach ihn in seinen Gedanken. „Da ich im ersten Moment nicht darauf geachtet habe, dass dein Name in der Empfängeradresse steht, habe ich es bereits geöffnet. Du wirst erstaunt sein, was drin ist“, lächelte der Ältere Jonouchi wissend an. „Als wäre es genau in dem Moment gekommen, an dem du es gebrauchen kannst.“   Okay, jetzt war er erst recht neugierig und öffnete eiligst das unscheinbare Paket. Zum Vorschein kam ein dunkelblauer Karton, auf dem weder ein Logo noch sonst etwas zu finden war, das Aufschluss auf den Inhalt gab. Jonouchis grübelnder Gesichtsausdruck sprach Bände und es ratterte wie ein Uhrwerk in seinem zauberhaften Köpfchen. „Öffne es ruhig“, forderte ihn sein Chef auf und besah ihn mit einem interessierten Blick. Er tat wie ihm geheißen und zum Vorschein kam ein schwarzer Stoff, auf dem ein noch verschlossener Brief lag. Etwas argwöhnisch öffnete er das Kuvert und nahm die darin enthaltene Karte heraus, auf der ein kurzer Text abgedruckt war:   „Damit du ebenso atemberaubend gekleidet bist, wie das Gewand, in das du den Klang deiner Musik hüllst.”   Der Blonde staunte nicht schlecht, als er den handschriftlich verfassten Satz las, und besah sich noch einmal den Stoff in der sorgfältig verpackten Schachtel. Er legte die Nachricht beiseite und nahm den Inhalt heraus. Es war eine komplette Abendgarderobe, wie sie üblicherweise Pianisten trugen: genauer gesagt ein Frack. Von der schwarzen Jacke, bei der selbst die Knöpfe mit Satin bezogen waren, über das weiße Hemd mit Perlmuttknöpfen bis hin zur weißen Weste und der natürlich schwarzen Hose. Wer würde ausgerechnet ihm so etwas Außergewöhnliches hierher schicken lassen? Diese Person wusste offenbar von seiner allabendlichen Leidenschaft. Doch er spielte immer erst, wenn alle Gäste die Bar verlassen hatten. Oder nicht? Wenn die Sachen ihm jetzt noch passten, würde er wahrlich den hauseigenen Besen fressen. Direkt darauf wurde er aus seinen Gedanken gerissen.   „Tja, ich habe auch nicht schlecht geschaut. Offenbar hast du einen heimlichen Verehrer“, scherzte Trader Vic mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht, während der verwirrte junge Mann vor ihm den Inhalt seines Päckchens ehrfürchtig in den Händen hielt und die Welt nicht mehr verstand. „Also, kann ich mich auf dich verlassen?“ Ein Kopfnicken bestätigte die Zustimmung des Blonden. „Dann mal los. Ich helfe dir beim Umziehen“, bot er Jonouchi an, der so ein Kleidungsstück noch nie zuvor getragen hatte.   Die VIP Gäste des heutigen Abends hatten sich bereits in der Lounge eingefunden, sodass nur noch wenige Plätze in der Bar unbesetzt waren. Der Barbesitzer erklärte die kurzfristige Verspätung des eigentlichen Musikers und bot Ihnen, um die Wartezeit zu verkürzen, ein Talent in Form des jungen Pianisten. Dieser war inzwischen sichtlich nervös, dass er gleich vor ausgewähltem Publikum spielen würde. Sicher, er liebte das Piano mehr als jeder andere, da er nur dort seinen Gefühlen und Gedanken freien Lauf lassen konnte. Jedoch war sein Spiel bei weitem nicht so routiniert und perfekt, wie die des angekündigten Künstlers und das beunruhigte ihn ein wenig. Immerhin versuchte der gute Trader Vic ihn hier quasi als gleichwertigen Ersatz zu verkaufen. Der Blonde rief sich innerlich zur Räson, als er merkte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.   „Du packst das schon“, lächelte Dante ihm Mut zusprechen an, „Das ist doch nicht dein erstes Mal.“ Und damit hatte er nicht ganz unrecht. Immerhin war das der Grund, weshalb der Barbesitzer ihn damals spontan eingestellt hatte. Jonouchi musste wiederum schmunzelnd zugeben, dass sein Kollege Dante auf ihn manchmal wie ein großer Bruder wirkte, der seine Zweifel immer wieder zerstreute und ihn damit motivierte. Also nahm er sich die wohlwollenden Worte zu Herzen, warf er alle Zweifel über Bord und tat, weswegen er jetzt hier war. Von hinten bekam er dafür noch einen kleinen Schubs in die richtige Richtung, gefolgt von einem: „Und übrigens, schickes Outfit“, zwinkerte ihm Dante grinsend zu. Einmal in Bewegung gebracht, ging er ruhigen Schrittes, sofern es ihm unter der Aufregung möglich war, die wenigen Schritte zum Klavier hinüber und setzte sich auf die Pianobank, während er die Schöße über diese nach hinten warf. Er hielt einen Augenblick lang inne, blendete das Publikum um sich herum so gut es ging aus. Nur noch einmal ganz tief durchatmen und dann begann er zu spielen.    Für seine Zuschauer war er ein Unbekannter und keiner der Anwesenden wusste, was ihn erwarten würde, sodass sie im ersten Moment wie gebannt dem wunderbaren Klang des Pianos lauschten. Kurz darauf mischte sich ein leises Flüstern der Anwesenden unter die leisen Töne. Doch das bemerkte der Blonde gar nicht mehr, denn er war längst in seinem außergewöhnlichen Spiel versunken, tauchte unversehens in seine eigene Welt ein, in der die Zeit stillzustehen schien und einzig der Klang seiner geliebten Musik widerhallte. Wie gern wollte er diese trügerische Ewigkeit für immer aufrechterhalten und diesen Stillstand vollends genießen, solange es ihm möglich war. Doch die Zeit ließ sich nicht manipulieren und die Zeiger tickten unaufhörlich weiter ohne Erbarmen. Auch wenn es ihm nur wie ein Bruchteil einer Sekunde vorkam, neigte sich diese für ihn kostbare Zeit am Piano mit jedem weiteren Ton unaufhörlich dem Ende zu.   In dem Moment erinnerte er sich an die Worte des Brünetten, dass er so gern ein außergewöhnliches Klavierspiel hören wollte. Es war schon fast schade, dass er heute nicht zugegen sein würde. Vielleicht hätte ihm sein Klavierspiel ja gefallen? Sein Blick schweifte in die Ferne durch die Menschen, die seinem ungeplanten Auftritt beiwohnten, weiter zu den hinteren Plätzen der Lounge, die zu Beginn seines Spiels noch leer waren. Inzwischen hatte auch dort jemand Platz genommen. Jemand mit brünettem Haar. Jemand in einem eleganten, weißen Anzug. Ihre Blicke trafen sich und die hinter smaragdgrünen Kontaktlinsen versteckten braunen Augen trafen auf Tiefblaue.   Wie konnte das sein? Wie hatte er ohne eine VIP-Mitgliedschaft Einlass erhalten? Normalerweise war an diesen Abenden geschlossene Gesellschaft und bisher machte Trader Vic keine Ausnahme, für niemanden. Konnte das ein Zufall sein, dass gerade Kaiba ihn überzeugen konnte? Wie lange war er wohl schon hier und wohnte seiner Darbietung bei? Eine eigenartige Euphorie erfasste den Blonden augenblicklich. Kaiba konnte ihn spielen hören, hier und jetzt. Und Jonouchi wollte spielen, nicht für all die fremden Menschen im Saal, sondern für ihn. Nur für ihn. Und zwar ein Lied, das seinem Wunsch von etwas Außergewöhnlichem nachkommen würde. Also setzte er das Stück, das sich bereits dem Ende zuneigte, fort und legte all das, was er dem Brünetten so sehnlichst vermitteln wollte, in die Saiten des Klaviers.   Schlagartig wandelte sich das anfangs ruhige und nachdenkliche Spiel, es wirkte dynamischer und voller Leidenschaft. Es war, als würden längst vergessene Erinnerungen Stück für Stück wiederkehren, sich aufdrängen, um das bereits bekannte Morgen umzuschreiben und etwas vollkommen Neues zu schaffen. Völlig egal, wie hoch der zu zahlenden Preis sein würde. Es glich einem stummen Schrei nach Veränderung, jedoch mit der traurigen Gewissheit, dass es vergebens war. In den letzten Tönen bemerkte Jonouchi Trader Vic, der ihm signalisierte, dass der Hauptakteur jetzt eingetroffen und gleich bereit für seinen Auftritt war. ‘Gut, also noch ein allerletztes Lied’, mahnte er sich selbst und nickte dem Barbesitzer bestätigend zu.   Er begann, die ersten ruhigen Töne zu spielen. Ein sehnsüchtiges Gefühl, das er mit dem harmonischen Klang seiner Musik transportierte, kam auf und war überall im Raum zu spüren. Es war, als wäre es der Beginn von Etwas, das noch unausgesprochen im Verborgenen lag. Still und leise bahnte es sich seinen Weg durch die leeren Gänge auf der Suche nach dem bislang Unerfüllten und berührte dabei zaghaft jeden einzelnen seiner Zuhörer. Ein Raunen ging durch die Plätze in der Lounge und an der Bar, als der blonde Pianist mit einem Mal die Tasten deutlich und losgelöst von allen Zweifeln anschlug. Die Musik nahm sein Publikum gefangen, entführte sie an einen unbekannten Ort und ließ sie seine ungeahnte Sehnsucht spüren.    Sein Blick fiel wieder auf die Person im hinteren Teil der Lounge, die ihm interessiert seine ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Dessen wunderbar blauen Augen fixierten ihn, begleiteten sein Spiel und entfachten ein Feuer in dem Blonden, das sich sogleich auf sein Stück übertrug. In diese wenigen Töne legte er eine verborgene Botschaft, die nur für den jungen Firmenchef bestimmt war. Sein Spiel wurde eindringlicher, lauter und es war beinahe so, als würde er die unausgesprochenen Worte, die ihm schon so lang die Luft zum Atmen raubten, laut in die Welt hinaus schreien in der verzweifelten Hoffnung, dass sie ihn endlich erreichen und von der Last seiner Gefühle befreien würden.    Danach war sein ungeplanter Auftritt vorbei und er verschwand nach einem deutlichen Applaus in den hinteren Teil der Bar, der nur für das Servicepersonal zugänglich war. Auf seinem Weg erhielt er noch ein überraschendes Lob des eigentlichen Künstlers, der ihm ein enormes Potential attestierte. Doch all das war für ihn gerade nebensächlich. Seine Gedanken kreisten noch immer um das eben Erlebte und das Hochgefühl ließ auch jetzt, wo sein Auftritt beendet war, noch nicht nach. Es war der perfekte Moment und vielleicht der Beginn von etwas völlig Neuem.     To Be Continued…     *Hier habe ich tatsächlich an Yoshiki Hayashi (X Japan) gedacht   Kapitel 6: Glassy Sky --------------------- Nach dem Auftritt konnte Jonouchi die Euphorie an diesem Abend noch lange und überdeutlich spüren. So aufgewühlt konnte er dem Firmenchef definitiv nicht  gegenübertreten. Es schien, als würde seine sonst so wirkungsvolle Maske des einfachen Barangestellten nicht richtig sitzen zu wollen. Daher bat er Trader Vic darum, lediglich die Gäste auf der Empore für den Rest des Abends bedienen zu dürfen, sodass er dem Brünetten aus dem Weg gehen konnte. Der Barbesitzer schmunzelte daraufhin nur verschmitzt und kam dem Wunsch seines Angestellten nach. Dieser begab sich daraufhin wieder in den hinteren Bereich der Bar, der nur dem Personal vorbehalten war, und wechselte seine Kleidung in das bekannte Kellneroutfit. Das edle Kleidungsstück faltete er sorgsam wieder zusammen und hielt einen Moment inne, während er den dunklen Stoff betrachtete.   “Damit du ebenso atemberaubend gekleidet bist, wie das Gewand, in das du den Klang deiner Musik hüllst.” Die Worte von der beigelegten Karte hallten in seinem Kopf wieder und brachten ihn zum Nachdenken. Wer könnte solch ein Paket ausgerechnet an ihn übersandt haben und aus welchem Grund? Niemand außer den Angestellten des Crescent wusste, dass er Klavier spielte. Nicht einmal seinen Freunden hatte er es gesagt. Lediglich einige Gäste konnten ihn kurz nach der Eröffnung ein einziges Mal spielen hören, denn nach Ladenschluss war einzig die Belegschaft in der Bar anwesend. Sollte Trader Vic recht behalten und er hatte einen heimlichen Verehrer? Doch wer sollte das sein? Bislang hatte sich ihm gegenüber kein Gast sonderlich auffällig verhalten.    Die einzige Alternative, die ihm in den Sinn kam, wäre jemand aus seiner Schule. Immerhin spielte er auch dort an den Mittwochnachmittagen vermeintlich für sich allein. Wenn er also einen unbekannten Zuhörer hatte, gab dieser sich dort nicht zu erkennen und je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass die Verbindung zu beiden Orten Seto Kaiba hieß. Doch der würde ihm sicher keinen vermutlich sauteuren Anzug, noch dazu einen Frack, der sich perfekt für ausladende Konzertabende am Piano eignete, einfach so aus heiterem Himmel schenken. Vielmehr würde er sein Wissen gegen ihn einsetzen und ihn einfach auffliegen lassen. Immerhin kannte er den Firmenchef zu lange und zu gut, als dass er diesen Vorteil nicht gegen ihn ausspielen würde. Eher fror die Hölle bei der anhaltenden Kälte in seinen wunderbar blauen Augen zu, die ihm in ihren andauernden Streitgesprächen immer so angriffslustig entgegenleuchteten.   Er seufzte hörbar in den leeren Raum hinein und legte den Frack wieder in die dunkelblaue Verpackung, die noch immer im hinteren Büroraum verstaut war. Danach richtete er seine Kleidung und ging seiner eigentlichen Arbeit als Bedienung nach. Von der Empore aus hatte er dabei einen guten Blick auf die Personen in der Lounge und somit auch auf seinen heimlichen Schwarm, der dem Spiel des eigentlichen Hauptakteurs des heutigen Abends nur bedingt Aufmerksamkeit schenkte. Vielmehr schien sein Blick etwas ganz bestimmtes im Raum zu suchen, was er jedoch nicht zu finden schien. Könnte es sein, dass er vielleicht sogar nach ihm suchte? Oder war das nur wieder eine seiner unterbewussten Wunschvorstellungen, der er sich gerade hingab?    „Junger Mann“, riss ihn die Stimme eines Gastes abrupt aus seinen Gedanken, sodass er sich zu selbigem umdrehte. „Ich würde gern einen Lillet Wild Berry für meine bezaubernde Begleitung ordern“, sagte die dunkelhaarige Schönheit, deren Gesicht ihm noch sehr gut in Erinnerung geblieben war, ebenso wie ihr Name: Michiko Furukawa. Letztmals war sie zusammen mit ihrem Vater zu einem Geschäftsessen ins Crescent gekommen. Es war genau der Tag, an dem Kaiba diese Bar das erste Mal betreten hatte und Jonouchis Leben damit endgültig auf den Kopf gestellt hatte. Heute erschien sie wiederum in Begleitung einer etwa gleichaltrigen Frau mit schulterlangem, erdbeerrotem Haar, die ihn freundlich und zuckersüß mit ihren großen haselnussbraunen Augen anlächelte. Der Blonde verbeugte sich leicht und antwortete bejahend: „Sehr gern“, ehe er sich wieder abwandte und ihrem Wunsch nachging.    Natürlich hatte er nicht vergessen, dass sie dem Firmenchef seines Interesses bei ihrem letzten Besuch vor einigen Wochen schöne Augen gemacht hatte, sodass die Eifersucht direkt wieder in ihm hoch kroch, als er den Aperitif-Cocktail von dem Barmann seines Vertrauens zubereiten ließ. Wenig später war er wieder auf dem oberen Rang angekommen und servierte das bestellte Getränk. Als die schwarzhaarige Schönheit sich freundlich bedankte und sich dabei so ein verheißungsvolles Grinsen in ihr Gesicht schlich, bemerkte der Blonde, dass sie auffällig vertraut die Hand ihrer jungen Begleitung hielt. Als er im Begriff war, sich zurückzuziehen, lehnte sie sich ein Stück zu ihm nach vorn und berührte sanft seine Hand, um ihn vom Gehen abzuhalten, während sie in einem ruhigen und leisen Ton zu sprechen begann.    „Es ist zu schade, dass du nur so selten auf dem Klavier spielst, Zack. Deine Lieder haben so einen wunderbar herzzerreißenden Klang. Trader Vic sollte sich wirklich schämen, dich ständig in einem Kellner Outfit zu verstecken und dich uns vorzuenthalten. Dabei wollte ich meiner liebsten Natsuki doch so gern etwas Besonderes zeigen.“ Ein neckisches Schmunzeln umspielte ihre Lippen, während sie den Blonden wissend ansah. Dieser wusste im ersten Moment nicht, wie er reagieren sollte und zog daher eilig und ein wenig verlegen seine Hand aus dem leichten Griff der Schwarzhaarigen.  „Vielen Dank für das Kompliment. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden?“, sagte er höflich und begab sich einige Tische weiter, um die Bestellung eines anderen Gastes aufzunehmen.    Diese Situation erschien ihm irgendwie seltsam. Natürlich konnte man erkennen, dass er derjenige war, der eben noch am Klavier gespielt hatte. Frisur und Maske waren noch immer die gleichen, lediglich die Kleidung hatte sich geändert. Jedoch achteten die meisten Gäste bei dem gedimmten Licht weniger darauf, wer genau sie bediente. Vor allem dann, wenn sie der Darbietung der geladenen Künstler lauschten. Viele blickten lediglich bis zum Namensschild. Doch bei ihr schien es als eine der wenigen Ausnahmen anders zu sein. Der eindringliche Tonfall und die Art, wie sie die eben gesagten Worte aussprach, suggerierten dem Blonden, dass mehr hinter den Worten steckte. Doch er konnte nicht ausmachen, was genau es war. Was er jedoch nur wenig später bemerkte, war, dass die rothaarige junge Frau wohl tatsächlich deutlich mehr als eine einfache Begleitung für Michiko Furukawa war. Er erkannte, dass er ihre offenen und anzüglichen Wesenszüge wohl damals falsch gedeutet hatte und die Eifersucht letztendlich unbegründet war. Denn der Blick, mit dem sie die Person neben sich bedachte, erschien ungeahnt liebevoll und erweckte den Eindruck von starker Zuneigung. Jedoch nicht, wie man es beispielsweise bei Geschwistern kannte, sondern eindeutig von Liebenden.    Etwas verlegen wandte sich der Blonde ab und ging weiter seiner Arbeit nach, bis die Bar schließlich schloss. Gespielt hatte er nach Ladenschluss an diesem Abend nicht mehr, da ihn die Anspannung, die ihn seit seinem Auftritt verfolgte, zusehends ermüdete. Dennoch versuchte er auf dem Heimweg, die jüngsten Geschehnisse einigermaßen zu verarbeiten, während sie allerlei neue Fragen aufwarfen. Wie um Himmels Willen war es Kaiba gelungen, in die Bar zu gelangen, zu der nur VIP-Mitglieder an diesem Abend Zutritt erhielten? Der Blonde konnte sich nicht vorstellen, dass ihm der Türsteher einfach so Einlass gewährt hatte, nur weil er eine relativ bekannte Spielefirma in der Stadt besaß. Hatte der Barbesitzer dabei etwa doch seine Finger im Spiel?  Viel wichtiger erschien ihm jedoch eine andere Frage, die er nur zu gern beantwortet bekommen hätte. Hatte der Brünette die Botschaft in seinem Spiel erkannt? Hatten ihn seine Gefühle, die er schon so lange mit sich herumtrug, erreichen können? Jonouchi erinnerte sich zurück an den Moment, als sich ihre Blicke getroffen hatten, an den Augenblick, als dessen wunderbar blaue Augen ein verheißungsvolles Funkeln angenommen hatten und das ganz allein wegen ihm. Niemals zuvor hatte er solch einen Ausdruck bei dem Firmenchef gesehen, der seinem Spiel so aufmerksam und vollumfänglich Gehör geschenkt hatte.    Sofort stieg dem Blonden eine deutliche Röte ins Gesicht, welche durch die kühle Nachtluft nicht im Geringsten gemildert werden konnte. Auch die Tatsache, dass ihm das Herz bis zum Hals zu schlagen drohte, lag nicht an dem etwas weiteren Heimweg, den er heute deutlich schneller antrat als üblich. Gedanklich driftete er immer wieder zu diesem magischen Moment zurück, sodass er, nachdem er daheim angekommen war, nur beschwerlich in den Schlaf fand. Auch am nachfolgenden Tag hing er immer wieder diesem Szenario nach, die seinen Puls kurzzeitig in die Höhe trieben, und war oftmals geistig abwesend, als er mit den Freunden am Nachmittag im Café saß, während ihm eine Sache nicht mehr aus dem Kopf ging: Was würde geschehen, wenn sie am nächsten Samstag erneut aufeinander treffen würden? Eine Frage, die ihn definitiv über die ganze Woche hinweg beschäftigen würde, nebst der Tatsache, dass er täglich in der Schule auf Kaiba treffen würde. Eigentlich wäre das ein Grund, der ihn fröhlich stimmen sollte, doch das tat es nicht. Denn der Blick, mit dem er ihn, Katsuya Jonouchi, in der Schule bedachte, war nicht der, den er sich sehnlichst wünschte.    Genau das bekam er am Montag direkt zu spüren, als er zusammen mit seinen Freunden den Klassenraum betrat und sein Blick unauffällig zu Kaiba hinüberglitt, der wie immer abweisend und unnahbar auftrat. Gerade als der Brünette sich zu ihm wandte, stieß Honda den Blonden in die Seite und riss ihn so aus seiner Ablenkung in Form des Firmenchefs. Da Yuugi vorausging, musste er notgedrungen folgen und zusammen mit ihnen direkt am Platz seines heimlichen Schwarms vorbeigehen. Dabei versuchte er, sich mit einem scherzhaften Lachen so natürlich wie möglich zu geben. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass ein unauffälliger und erlösender Seufzer seinen Mund verließ, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich an Anzus Platz ankamen.    Doch die Erleichterung währte nicht lange, denn er konnte spüren, wie ihn Kaibas Blicke regelrecht hinterrücks durchborten. Also riskierte er einen Blick zurück, nur um unvermittelt auf den durchdringenden, kalten Blick des Firmenchefs zu treffen, der ihn offensichtlich zu analysieren schien. Als hätte man ihn auf frischer Tat ertappt, unterbrach er den Blickkontakt abrupt und starrte mit deutlich geröteten Wangen zu Boden. Hatte Kaiba ihn vielleicht erkannt? Was wäre, wenn er hier und jetzt vor allen Anwesenden sein Geheimnis einfach ausplaudern würde? Die Lehrerschaft würde sofort Meldung machen und seinen Vater konnte er hier definitiv nicht gebrauchen. Im gleichen Moment rief er sich jedoch bereits selbst wieder zur Raison. Nein, das wäre unmöglich. Er machte sich nur zu viele Gedanken darum und es war sicher reiner Zufall, dass er gerade eben genau in seine Richtung geschaut hatte. Dennoch hatte Jonouchi ein kleines Fünkchen Hoffnung in sich, dass der Brünette vielleicht doch, wenn auch nur ein ganz kleines Bisschen, Interesse an ihm hätte.    In seinen Gedanken versunken, bemerkte er gar nicht, wie Yuugi ihn besorgt ansah, bis er ihn schließlich auf sein seltsames Verhalten ansprach: „Ist alles in Ordnung, Jonouchi-kun? Deine Wangen sind ganz rot.“ Diese Aussage schien wiederum ein gefundenes Fressen für Honda zu sein, der direkt ein extrem breites Grinsen aufsetzte und den Blonden aufzog: „Oho, ist da etwa jemand verliebt? Sag schon! Wer ist es? Etwa Nosaka-kun?“ Sofort wanderten die Blicke der Freunde durch den Raum zu Miho Nosaka, die auf dem Platz direkt hinter Kaiba saß. „Ehrlich?“, fragte Anzu direkt nach. „Du stehst auf Miho-chan? Hätte ich gar nicht gedacht.“ Dabei schielte sie ungesehen aller zu Yuugi hinüber, während Honda bereits anfing von seinem letzten Urlaubsflirt zu erzählen und dass er diesen Gesichtsausdruck ja sofort erkennen würde. Bakura stand nur schmunzelnd daneben, denn seltsamerweise zog er die Blicke der weiblichen Bevölkerung sehr häufig auf sich und würde mit Dates wohl weniger Probleme haben.    Natürlich dementierte Jonouchi sofort alles, was Honda ihm da unterstellte und verwuschelte aufgrund der Nervosität sein blondes Haar zusehends, als die Schulglocke ertönte. Verstohlen warf er dabei einen flüchtigen Blick zu Kaiba hinüber, während sich im gleichen Moment ein Gefühl der Ernüchterung einstellte. Er war sich sicher, dass er Zack, wenn sie im Crescent aufeinander getroffen wären, einen völlig anderen Blick geschenkt hätte. Das war eine Tatsache, die den Blonden dazu bewegte, dem Firmenchef, im Schulalltag ab sofort so gut es ging, aus dem Weg zu gehen. Auch die Freunde schienen zu bemerken, dass er die Nähe des Brünetten mied, sprachen ihn jedoch vorerst nicht auf dieses für Jonouchi recht ungewöhnliche Verhalten an. Vermutlich brauchte auch er einfach mal eine kleine Pause von den ständigen Streitereien.    Dennoch konnte der blonde Irrwisch das Zusammentreffen am nachfolgenden Tag nicht vermeiden. Vor allem deswegen nicht, da sie gemeinsam Sportunterricht hatten und in Teams spielen mussten. Glücklicherweise wurden sie in unterschiedliche Mannschaften gewählt und mussten im ersten Match auch nicht gegeneinander spielen. Jedoch entging Jonouchi nicht, dass der Brünette ihn mit seinen Blicken spürbar fixierte, während er wiederum versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, was deutlich schwieriger war, als geglaubt. Das Spiel war zudem so hitzig, sodass er nach wenigen Sätzen ein Haargummi aus seiner Tasche fischte, um sein wirres Haar damit zu bändigen. Damit schien er die Aufmerksamkeit des Firmenchefs, der ihn für einen Augenblick deutlich interessierter anstarrte, jedoch nur noch mehr auf sich gezogen zu haben. Erneut infiltrierte Kaibas Handeln die Gedanken des Blonden und lenkten ihn vom Spiel ab.    Diese Schwäche nutzte das gegnerische Team direkt aus und holte sich einen Punkt für ihre Mannschaft, was wiederum eine Rüge Hondas zur Folge hatte: „Mensch Jonouchi, pennst du oder was?“, schimpfte er mürrisch, während sich das gegnerische Team freute. Der Angesprochene verdrehte mit einem “Sorry“ auf den Lippen die Augen und wollte gerade den Ball holen gehen, als er sah, dass dieser direkt vor dem Firmenchef liegengeblieben war. Hätte er mal doch lieber den Unterricht geschwänzt, wie er es bereits den ganzen Tag vorgehabt hatte. Ärgerlicherweise hatte Yuugi das zu verhindern gewusst, sodass er diesem Zusammentreffen nicht entgehen konnte. Also beschloss er, den Ball schnellstmöglich mit seinen nicht vorhandenen katzenartigen Reflexen aus den Fängen des Firmenchefs zu befreien.    Doch als er seinen Plan in die Tat umsetzte und den Ball beinahe schon in den Händen hielt, nahm ihm Kaiba das runde, mit Luft gefüllte Kunstleder vor der Nase weg, sodass er im Affekt zu ihm aufschaute. Ein Fehler, wie sich sogleich herausstellte, denn die leuchtend blauen Augen, in denen er sich bereits so oft verloren hatte, zogen ihn in ihren Bann. Die langen und schwungvoll geformten Wimpern umspielten den überlegenden, eindringlichen Blick und nötigten ihn dazu, diese eine Frage zu stellen, die er nicht aussprechen durfte.  „Jonouchi!“, riss ihn die Stimme seines Kumpels aus seinen träumerischen Gedanken, sodass er seinem Gegenüber den Ball kurzerhand aus den Händen stahl und mit einem spürbar schneller schlagenden Herzen wieder zum Spielfeld zurückkehrte, während die Teams ihren Wettstreit derweil verbal ausfochten. Hondas Ehrgeiz schien dabei von Hanasaki geweckt worden zu sein, sodass das Spiel sich deutlich in die Länge zog, bis sie schließlich siegreich aus dem Satz gingen. Aufgrund der begrenzten Zeit konnte jedoch nur noch ein Spiel zwischen dem Verliererteam und Kaibas Mannschaft auf der Ersatzbank gespielt werden, da nur wenig später die Pausenglocke läutete und den Schultag für die Schülerschaft beendete.    Für den Blonden fühlten sich die letzten beiden Tage schon beinahe wie ein Spießrutenlauf an, woraufhin er auch am Mittwoch versuchte, dem Firmenchef noch großflächiger aus dem Weg zu gehen. Die Ironie dahinter war deutlich zu erkennen. Er mied den Brünetten, obwohl er doch viel eher seine Nähe suchen wollte. Doch dieser penetrante und analysierende Blick rief eine seltsam unangenehme Unruhe in ihm hervor, mit der er nicht umzugehen wusste. Ebenso konnte er sich niemandem anvertrauen, der ihm einen Rat hätte geben können. Denn dazu müsste er unweigerlich Dinge preisgeben, die ihn in Teufelsküche bringen würden. Sei es nun die Tatsache, dass er nachts in einer Bar in der Stadt arbeitete oder dass er bereits seit längerem ein besonderes Interesse für den Firmenchef hegte, mit dem er sich tagtäglich leidenschaftlich stritt.    Irgendwie geriet sein Alltag und alles drumherum immer mehr aus den Fugen, sodass er das Ende des Tages kaum mehr erwarten konnte. Auch wenn er heute Klassendienst hatte und nichts nerviger erschien als Aufräumarbeiten, sehnte er sich nach diesen flüchtig erscheinenden Momenten, wenn alle Schüler ihren außerschulischen Beschäftigungen oder Clubaktivitäten nachgingen und er den Musikraum für sich ganz allein nutzen konnte. Das Läuten zum Schulende klang wie eine Erlösung für ihn, sodass er seine Augen schloss und einmal tief durchatmete. Als er sie wieder öffnete und seinen Blick zur anderen Seite des Klassenzimmers schweifen ließ, sah er, dass Kaibas Platz bereits leer war und seufzte schwer. Es beschäftigte ihn enorm, dass der Brünette ihn so offenkundig und gleichzeitig stillschweigend zu beobachten schien, jedoch nicht darüber hinaus mit ihm interagierte. Kein Streit, keine abspenstigen Worte.  Während er seinen Aufräumarbeiten nachging, sinnierte er über diese seltsam erscheinenden Tatsachen, suchte nach einer Antwort auf die Frage und verstrickte sich in ein Wirrwarr aus Gedanken, die alle kein zufriedenstellendes Ergebnis fanden. Wahrscheinlich lag es auch einfach nur schlicht daran, dass der Blonde äußerst bedacht darauf war, dass sich ihre Wege so wenig wie möglich kreuzten. Oder, dass er selbst ein besonderes Augenmerk auf den Brünetten gelegt hatte nach diesen vielen Verkettungen von Ereignissen. Immerhin reagierte man instinktiv anders, wenn man bemerkte, dass man beobachtet wurde.    Diese Gedanken begleiteten ihn noch auf dem Weg zur Abstellkammer, in der er den Besen wenig sorgsam verstaute, und schließlich bis hin zum Musikraum, in dem sein geliebtes Instrument bereits auf ihn wartete. Eine frische Brise wehte in den Raum hinein, als er die Tür öffnete, und der Blonde begrüßte den angenehmen Luftzug sogleich, der ihn für den Bruchteil einer Sekunde aufatmen ließ. Die Temperaturen hatten bereits einen sommerlichen Charakter angenommen, während die Sonne den Raum hell erleuchtete. Langsam schritt Jonouchi zum Klavier, nahm auf dem breiten Klavierhocker Platz und atmete einmal tief durch, ehe er seine Hände hob und seine Finger über die Klaviatur fahren ließ.    Vereinzelt spielte er helle, leise Töne an, die ihm als Wegbereiter für die Melodie in seinem Herzen dienten und ihn gleichzeitig nachdenklich stimmten. Süße Töne hallten in dem verlassenen Raum wieder und verführten ihn dazu, für einen flüchtigen Augenblick die Augen zu schließen und dem sanften Klang zu folgen. Er erinnerte sich zurück an das letzte Wochenende, an den Abend, an dem er dieses extravagante Kleidungsstück trug, das ihm wie auf den Leib geschneidert passte, und an dem er das letzte Lied einzig und allein für den Brünetten gespielt hatte. Zu gern hätte er in Erfahrung gebracht, ob Kaiba die Botschaft hinter den Noten erkannt hatte. Doch statt sich zu vergewissern, ließ ihn die Aufregung nach diesem ungeplanten Auftritt die Flucht auf die Empore ergreifen, um den fragenden Blicken des anderen zu entkommen.    Dennoch. Diese immer häufiger werdenden Besuche Kaibas in der Bar und die damit verbundenen kurzweiligen Begegnungen zwischen ihnen, die so ungewöhnlich angenehm verliefen, ließen sein Herz höher schlagen und hinterließen eine unbekannte, innere Unruhe. Auch in der Schule schienen ihn die Blicke des Firmenchefs plötzlich ständig zu verfolgen, je mehr er versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, aus Angst, dass dieser flüchtige Moment der Zufriedenheit dann vorbei wäre. Es schien wie verhext. Immer öfter fragte sich der Blonde, ob Kaiba seine Maskerade vielleicht doch längst durchschaut hatte und fürchtete sich vor der Konsequenz, die daraus unweigerlich resultieren würde. Denn im Endeffekt galt dieses plötzliche Interesse nicht ihm selbst, sondern lediglich seiner Rolle als Zack, der nachts in einer Pianobar namens Crescent als einfacher Kellner arbeitete und dem er diese besondere Art der Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Er verhielt sich anders gegenüber Zack, freundlich und sogar ein Stück weit zuvorkommend mit einem leicht verschmitzten Lächeln auf den schmalen Lippen.    Ein Gefühl von Reue kam in Katsuya auf, als er bewusst realisierte, dass diese Verkleidung ihn nicht wie erhofft näher an den Firmenchef heranbrachte, sondern ihn im Gegenzug dazu nur noch weiter von ihm entfernte. Sobald er die Maske abnehmen und sich zu erkennen geben würde, wäre es mit einem Schlag vorbei und der Brünette erneut unerreichbar für ihn. Schlimmstenfalls würde er ihn danach auch in der Schule und in der Freizeit ganzheitlich ignorieren. Diese verfahrene Situation war an Ironie kaum mehr zu überbieten. Seine Gedanken drehten sich fortwährend im Kreis, immer um dasselbe Problem, zu dem er keine Lösung fand. Vielleicht sollte er es einfach so akzeptieren, wie bisher weitermachen und die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Schwarms in diesen wenigen Stunden an den Samstagabenden genießen. Es wäre die wohl einfachste Lösung. Denn allein Zack durfte einen kleinen Blick hinter die sonst so unnahbare Fassade des Firmenchefs werfen und diese andere, angenehme Seite kennenlernen.    Wie wunderbar war es, als sie sich fernab ihres sonst so kontroversen Lebens so unbeschwert unterhalten konnten. Ein kleiner Flirt schien mit einem Mal das Normalste der Welt zu sein und Kaiba ging ohne zu zögern einfach darauf ein.                                                                   Etwas, was er nie für möglich gehalten hätte, war plötzlich eingetreten und offenbarte dem Blonden eine Welt, in der er sich dem Firmenchef nähern konnte, ohne abspenstige Worte und den bekannten hochmütigen Blick zu erhalten. Woher dieser Wandel des anderen rührte, konnte er dabei nicht genau definieren. Sicher gab er sich anders als bei ihren Zusammentreffen in der Schule oder bei Duellen. Aber auch hier war er nur ein einfacher Kellner, kein Geschäftspartner oder eine wichtige Persönlichkeit, die es zu umschmeicheln galt. Zudem versicherte ihm Trader Vic, dass Kaiba nur an den Samstagen hier zugegen war und dabei stets die Nähe zum Klavier suchte.    Doch damit würde er ihn wohl kaum in Verbindung bringen, denn bislang hatte der Blonde nur zweimal im Crescent vor den Gästen gespielt und beim ersten Auftritt war Kaiba definitiv nicht Gast dieses Hauses gewesen. Dennoch schien eine gewisse Verbindung zwischen diesen Gegebenheiten zu bestehen und Katsuya fragte sich, ob der Brünette vielleicht tatsächlich die Botschaft hinter den Tönen erkannt hatte. Doch egal wie viele Emotionen er in seine Darbietungen auch legte, es würde nichts an der Tatsache ändern, dass er schlussendlich immer Katsuya Jonouchi blieb und somit nicht die Person war, die er im Crescent vorgab zu sein. Hin- und Hergerissen zwischen seinen Gedanken und Gefühlen schlug er kraftvoll die dunklen Töne der Klaviatur an, erhöhte das Tempo und versuchte die Bitterkeit dieser Erkenntnis hinzunehmen.   Kurz darauf wurden die Töne wieder ruhiger und das Herz wog mit einem Mal so unendlich schwer, dass es ihm die Luft zum Atmen abschnürte. Für sie beide konnte es keinen Neuanfang geben. Dessen war sich der Blonde mehr als bewusst. Doch was wäre, wenn sich trotz dieses schlechtesten Ausgangspunktes dennoch alles zu einem positiven Ende wenden würde? Wenn es auch für Kaiba keine Rolle spielen würde, dass sich hinter dem Kellner Zack der blonde Chaot aus seiner Klasse befände?    Kurz unterbrach er sein Spiel und seufzte schwer, während er für einen Moment an dieser stillen Hoffnung festhielt. Doch die Ernüchterung folgte nur einen Wimpernschlag später.   Kraftvoll schlug er erneut die Tasten des Klaviers an und versuchte, die abwegigen Hirngespinste aus seinem Kopf zu vertreiben. Denn was brachten ihm diese aussichtsreichen  Gedanken, wo er die Wahrheit doch bereits genauestens kannte? So etwas wie ein “wir“ konnte es niemals geben. Er würde für Kaiba immer nur ein drittklassiger Duellant bleiben, lediglich ein Störenfried in seinem Leben sein, egal wie sehr er ihn auch mochte oder begehrte. Ein grässliches Gefühl von Wut stieg in ihm auf. Wut über sich selbst, da er diese überaus verfahrene Situation selbst herbeigeführt hatte, die er einfach nicht zu ändern vermochte, wenngleich er es doch so sehnlichst herbeiwünschte.  Es konnte einfach nicht sein. Nicht zwischen Seto Kaiba und Katsuya Jonouchi.   Und doch blieb da dieser kleine Funken Hoffnung.     To Be Continued…   Kapitel 7: A Lonely Melody -------------------------- Der Mittwoch zog langsam vorüber und der nervige Piepton eines Weckers läutete nach einer zermürbenden Nacht den nächsten Morgen ein. Die niederschmetternden Gedanken vom Vortag stimmten den Blonden wenig fröhlich auf den Schulalltag, denn dort würde er wieder auf Kaiba treffen, der sein gedankliches Chaos allein mit seiner Anwesenheit aufrechterhielt. Zudem spürte er auch heute wieder die stechenden Blicke, die sich einige Male in seinen Rücken bohrten und nach einem unauffälligen, prüfenden Blick wie vermutet dem Firmenchef zuzuordnen waren. Normalerweise wäre es ein Grund zur Freude, dass der Brünette ihm seine Aufmerksamkeit schenkte, ohne dass sie zankend aneinander gerieten. Jedoch machte sich in Anbetracht der Umstände und der Tatsache, dass er ihn stillschweigend aus der Ferne zu beobachten schien, ein unangenehmes Gefühl im Blonden breit. Er wusste nicht, wie er dieses Verhalten deuten sollte und beschloss daher, wie bereits zu Beginn der Woche auf Abstand zu gehen. Natürlich dauerte es nicht lange, bis seine Freunde auf ihn zukamen und sich nach dieser Offensichtlichkeit erkundigten.   „Jonouchi-kun”, sprach Yuugi seinen Freund in der Pausenzeit an, während die anderen ebenfalls herantraten. „Sag mal, kann es sein, dass du dich mit Kaiba-kun gestritten hast? Also nicht so wie sonst, sondern halt so richtig. Du weißt schon…”, versuchte der König der Spiele sich verständlich auszudrücken, als Anzu direkt das Wort ergriff: „Was Yuugi damit sagen will ist, dass irgendwas mit dir nicht stimmt und wir einfach wissen wollen, ob alles in Ordnung ist.” „Leute, ist das euer Ernst? Was sollte denn mit mir nicht stimmen?“, reagierte der Angesprochene überrascht und legte das bekannte Lächeln auf. „Naja, du bist in letzter Zeit so abwesend und siehst irgendwie ein bisschen niedergeschlagen aus“, brachte Yuugi wiederum seine Bedenken an.   „Das kommt nur davon, weil ich bereits ernsthaft meine Karriere als herausragender Meister-Duellant plane“, log der Blonde daraufhin und reckte siegessicher die Nase in die Höhe, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. „Streiten verbraucht ne ganze Menge Energie. Freut euch doch, dass es mal etwas ruhiger in unserer Klasse ist! Ist doch ne tolle Sache!“ „Ja, vielleicht. Aber geht es dir auch wirklich gut?“, hakte Yuugi noch einmal mit seinem Kulleraugenblick nach, den er immer dann aufsetzte, wenn er um seine Freunde besorgt war. „Es ist alles gut, okay?“, versicherte der Blondschopf mit seinem stets unbekümmert wirkenden Lächeln, um auch die letzten Zweifel zu zerstreuen. „Apropos. Sag mal Honda, hast du schon das neue Videospiel im Game Center gesehen?“, lenkte er das Interesse der Freude auf ein anderes Thema und somit erfolgreich von der lästigen Fragerei nach Kaiba ab. Er machte sich selbst schon genug Gedanken um den Firmenchef seines Interesses und seine Freunde konnten ihm ohnehin nicht dabei helfen.    Also tat er die Sache wie immer einfach mit einem wohlwollenden Lächeln ab. Dass Yuugi noch einige Zweifel daran hegte, ob es Jonouchi, wie er selbst gesagt hatte, auch wirklich gut ginge, konnte er wiederum nicht vermeiden. Jedoch musste es der Kleinste in der Runde, wie alle anderen auch, wohl akzeptieren, wenn sein bester Freund ihm nicht den Grund seines doch eher ungewöhnlichen Verhaltens verriet. Wie sollte er ihm auch klar machen, dass er sich in Kaiba verguckt hatte und das schon vor geraumer Zeit? Nicht einmal Shizuka hatte er davon erzählt und das sollte auch bestenfalls so bleiben. Irgendwann hätte er diese Sache sicherlich überwunden, auch wenn er es sich in diesem Moment noch nicht vorstellen konnte.    Natürlich machte auch Kaiba seinerseits keinerlei Anstalten, diese plötzlich entstandene Distanz in irgendeiner Form zu verringern. Sicher war er sogar froh darüber, dass Jonouchi ihm nicht mehr ständig auf die Nerven ging. Außerdem hatte der Blonde den anderen streng genommen sogar belogen und sich als jemand anderes ausgegeben, der er nicht war. Vermutlich hatte er es verdient, dafür bestraft zu werden. Doch Fortuna urteilte wahrlich grausam über ihre Günstlinge. Mit guter Miene zum bösen Spiel beteiligte sich Katsuya wieder am Gespräch der Freunde und versuchte so, die unliebsamen Gedanken zumindest für den Moment aus seinem Kopf zu verbannen. Dass ihm dies nicht gänzlich gelang, war leider das unschöne Ergebnis der letzten Tage, an denen er den Brünetten täglich in der Schule sah und ihn offenkundig mied, so gut er es eben vermochte.    Inzwischen war es wieder Samstag geworden und die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Zu Hause hielt es Jonouchi aufgrund der anhaltenden inneren Unruhe nicht lange aus, sodass er an diesem Tag etwas früher als gewohnt zu seinem abendlichen Arbeitsplatz ging. Im besten Fall konnte er so die noch verbleibende Zeit bis zur Öffnung des Lokals nutzen, um auf dem hauseigenen Piano ein Lied zu spielen und sich für einen kurzen Moment in den Klängen der Töne zu verlieren. Allerdings half auch dieses altbewährte Mittel inzwischen nur noch bedingt, um sich von der Realität abzulenken. Als er schließlich am Crescent ankam, traf er an der Hintertür direkt auf Trader Vic, der mit seinen Besorgungen des Tages, einem Macallan Whiskey sowie einem Glenmorangie, im Arm gerade den Schlüssel ins Schloss steckte und aufsperren wollte, als er den jungen Mann bemerkte.   „Guten Abend, Jonouchi-kun. Du bist heute aber früh dran. Normalerweise beginnt deine Schicht doch erst in gut einer Stunde“, sagte er in einem leicht verwunderten Tonfall, nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte. „Ja, stimmt”, sagte der Blonde daraufhin etwas verlegen, nachdem er seinen Chef ordnungsgemäß begrüßt hatte, und betrat gemeinsam mit dem Barbesitzer das Gebäude. „Ich hatte etwas Zeit übrig und bin irgendwie automatisch gleich hierher gekommen. Außerdem hatte ich gehofft, dass ich vielleicht, also wenn niemand was dagegen hat, ein wenig Klavier spielen könnte, solang die Bar noch geschlossen ist“, sprach er seine ungeordneten Gedanken wortwörtlich aus.  „Nun, du weißt, dass wir deinem Pianospiel immer gern beiwohnen. Auch die Gäste vom letzten Wochenende waren sehr beeindruckt von deinem Können. Ich habe sogar einige Anfragen erhalten, wer denn dieser unbekannte Pianist gewesen sei und wann er wieder auftreten würde.“ Mit einem Schmunzeln im Gesicht sah er zu Katsuya, während dieser verlegen über das unerwartete Lob drein schaute.    „Übrigens, das Paket, das noch immer im Büro liegt. Hast du dir nochmal Gedanken darüber gemacht, wer dir das geschickt haben könnte?“, fragte er seinen Angestellten mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. Jonouchi hatte zwar darüber nachgedacht, kam jedoch zu keinem sinnvollen Ergebnis in dieser Sache und verneinte die Frage des Barchefs mit einem Kopfschütteln. Trader Vic hatte wiederum einen einschlägigen Verdacht, der sich zwischenzeitlich sogar bestätigt hatte. Doch offenbar wusste der Blonde noch nicht, wer sein Gönner war. Also behielt er dieses Geheimnis vorerst für sich.  „Ich habe noch ein wenig Büroarbeit zu erledigen, ehe die Bar öffnet. Sei so gut und nimm diese beiden Flaschen mit zum Tresen, bevor du dich an das Piano setzt“, sagte er und übergab Jonouchi die hochprozentigen Spirituosen, die er von seinem Einkauf mitgebracht hatte. Natürlich nahm Katsuya sie entgegen und begab sich postwendend in die Lounge, um seinem geliebten Hobby nachzugehen. Den Whiskey stellte er wie gewünscht auf der Theke ab und setzte sich sogleich ans Piano, um zu spielen.   Helle Töne erklangen im Raum, während sich die Augen des blonden Pianisten schlossen und er für diesen winzigen, flüchtigen Moment alles um sich herum vergessen wollte. Doch so sehr er es auch versuchte, es schien ein fruchtloses Unterfangen zu bleiben. Denn die negativen Gedanken, die ihn über die letzte Woche begleitet hatten, bissen sich regelrecht fest und nagten unaufhörlich an ihm. Die letzten Tage waren so schleppend langsam vergangen und doch war es wieder Samstag geworden. Bald würde er mit großer Sicherheit wieder auf diesen einen Menschen treffen, der seine Gefühlswelt immer wieder durcheinander brachte und sein innerliches Chaos nur noch mehr bestärkte. Es waren Empfindungen, die mit Leichtigkeit alles andere von einen Augenblick auf den nächsten zu verdrängen schienen. Etwas Essenzielles, das in diesem Alter nicht einmal unüblich war, gerade dann, wenn es um romantische Gefühle und die damit verbundene erste große Liebe ging.    Katsuya trug dieses Geheimnis schon so lange mit sich herum und konnte es sich nicht von der Seele reden, geschweige denn dem Brünetten gestehen. Einzig dem Piano konnte er sich anvertrauen, ohne dass er sich dafür rechtfertigen oder eine unliebsame Konsequenz fürchten musste. Immerhin schien der Firmenchef sein erklärter Rivale zu sein und keiner seiner Freunde würde ihn verstehen können. Er und Kaiba besaßen ja noch nicht einmal so etwas wie eine auch nur im entferntesten Sinne angedeutete freundschaftliche Basis miteinander, die den Blonden in irgendeiner Weise nützen würde. Doch auch das würde die Sache nicht einfacher zwischen ihnen machen. Denn sie würden sich auch mit einer etwaigen kameradschaftlichen Verbindung niemals näher kommen, als bis zu der kunstvoll verzierten Maske, mit der er sich feige tarnte und als jemand anderes ausgab. Sobald sie jedoch fiele, war die Maskerade und alles damit Verbundene ebenfalls endgültig vorbei. Wieso war das, was unerreichbar erschien, stets am schmerzlichsten zu ertragen? Immer wieder drängten sich ihm die unliebsamen Gedanken zu dieser aussichtslos wirkenden Situation mit Kaiba auf und ließen ihn keinen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation finden.    Letztendlich musste er sich der traurigen Wahrheit stellen und die bittere Pille schlucken, dass er niemals Zacks Platz, den er selbst geschaffen hatte, einnehmen könnte. Und wenn er schon keine Wahl hatte, wieso sollte er dann nicht einfach so weitermachen wie bisher? Es war vorher doch auch kein Problem gewesen, die Distanz zu wahren und sich nur im Streitgespräch anzunähern. Diese unveränderlichen Gegebenheiten hinzunehmen, wie sie eben waren, und sich einzureden, dass es sowieso keine Aussicht auf Veränderungen geben würde. Also beschloss er, dieses Geheimnis weiterhin für sich zu behalten und wieder zu den altbekannten Gewohnheiten zurückzukehren. Die missliebigen Gefühle schob er beiseite, schloss sie tief in seinen Gedanken ein und wollte die kurzen Momente an den Samstagabenden weiterhin genießen, bevor ihn die Realität bereits am darauffolgenden Montag wieder einholte und sich die insgeheim gehegten Hoffnungen erneut als unerfüllbare Traumvorstellungen entpuppten.    Er beendete sein ruhiges Spiel, welches eine bittersüße, resignierende Note innehatte und nahm einen tiefen Atemzug, bevor er sich schließlich von seinem Lieblingsplatz im Crescent erhob, um es seinen Kollegen gleichzutun und die üblichen Vorbereitungen zur Eröffnung der Bar zu treffen.   „Was höre ich da für einen ausgedehnten Seufzer von unserem Küken?“, drang die bekannte Stimme von Dante an sein Ohr, der hinter der Theke hervortrat und den jungen Mann am Klavier begrüßte. „Sagen wir einfach, es war eine anstrengende Woche“, antwortete der Angesprochene mit einem schiefen Grinsen im Gesicht und grüßte freundlich zurück. „Soso, eine anstrengende Woche also. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt auf einen klassischen Fall von Liebeskummer tippen“, sprach er seine Gedanken direkt aus und traf zu Jonouchis Verlegenheit damit vollkommen ins Schwarze. „Woher…?“, setzte der Jüngere daraufhin an und erhielt ein wissendes Grinsen als Antwort. War es denn wirklich so offensichtlich, was in ihm vorging?   „Ganz einfach. Ich war auch mal in deinem Alter und kann mich noch gut an die Dinge erinnern, die mich damals mehr als alles andere beschäftigt haben. Gerade zu Schulzeiten habe ich nicht selten ähnlich reagiert wie du gerade. Ich kann dir jedoch sagen, dass das rückblickend meist völlig überzogen war und du das in deinem späteren Leben wesentlich entspannter sehen wirst als heute“, gab er aufmunternd seine Erfahrungswerte weiter und vermutlich hatte er mit seinen Ausführungen sogar recht.  Doch soweit war der Blonde mit seinem innerlichen Martyrium noch nicht gekommen, um das auch erkennen zu können. Immerhin brach gerade im Hintergrund seine kleine, schon immer recht zerrüttete Welt auseinander, sollte seine Freizeitaktivität an den Samstagabenden zu Kaiba durchdringen inklusive der Tatsache, dass sein Tun einige Leute nebst ihm selbst in Schwierigkeiten bringen würde. Dennoch bedankte er sich für die wohlwollenden Worte bei seinem Kollegen und verschwand mit einem trübseligen Ausdruck in den Augen in die hinteren Räumlichkeiten, die nur dem Personal vorbehalten waren, um sich umzukleiden und pünktlich mit seiner Arbeit zu beginnen.    Nachdem er sein bekanntes Kellneroutfit angelegt hatte, fiel ihm wieder dieser flache Karton ins Auge, in dem sich der noch immer sorgfältig verpackte Frack befand, der ihm wie auf den Leib geschneidert war. Einige Augenblicke fixierte er die dunkle Verpackung mit seinen Blicken, als wolle er durch sie hindurchsehen, um erkennen zu können, von wem er die Kleidungsstücke erhalten hatte. Wer machte sich solche Mühe, ohne zu wissen, ob es Zack jemals tragen würde? Gab es denn gar keine Hinweise auf seinen Gönner? Vielleicht war es eine charmante junge Dame, die ihm etwas Gutes tun wollte? Seine Gedanken schweiften direkt wieder zu der dunkelhaarigen Schönheit, die er bei ihrem ersten Zusammentreffen völlig falsch eingeschätzt hatte. Wäre sie es gewesen, hätte sie sich jedoch mit Sicherheit zu erkennen gegeben.    Sogleich wanderten seine Gedanken weiter und blieben wie so oft in letzter Zeit erneut bei dem Firmenchef hängen, an den er bereits vor geraumer Zeit sein Herz verloren hatte. Wieso konnte dieser ignorante Kerl es nicht einfach finden und seine Zuneigung erwidern? Doch so etwas geschah nur in fabelhaften Märchen und schnulzigen Liebesgeschichten, in denen sie beide wohl niemals mitspielen würden. Ein Paar, das durch alle Widrigkeiten gehen musste, um zum Schluss zu erkennen, dass es die wahre Liebe war. Hollywood war wahrlich unrealistisch, was derlei Illusionsproduktionen betraf.  Katsuya rollte mit den Augen, als er bemerkte, dass er sich genau solch ein Happy End wünschte und musste sich ironischerweise kurz selbst für diese Fantasterei belächeln. Natürlich waren diese Hollywoodstreifen nur die unwirkliche Fantasie eines Autors, der sich die Wahrheit mit Hilfe der Traumfabriken ausschmücken wollte, um die verträumten Menschenmassen zu begeistern. Dessen war er sich durchaus bewusst.    Also schob er den Karton sowie seine missmutige Gedankenwelt beiseite, richtete sein Kellneroutfit und versteckte sein Gesicht zusammen mit seinen Gefühlen erneut hinter der kunstvoll verzierten Maske, um sich der bitteren Wahrheit zu entziehen. Wenig später betrat er, geschützt in seiner Verkleidung, wieder die Lounge, die in wenigen Momenten ihre Pforten für die Gäste öffnen würde. Etwas zerknirscht bemühte er sich, ein Lächeln aufzusetzen, das im ersten Moment nicht recht sitzen wollte, und sah, wie Ada die Tür des Lokals öffnete. Er selbst begab sich wieder zurück zur Theke, auf der er die von Trader Vic anvertrauten Spirituosen abgestellt hatte, während die ersten Gäste das Lokal betraten. An der Bar angekommen, traf er erneut auf seinen Kollegen und Barkeeper Dante, der die hochprozentigen Getränke bereits in Augenschein genommen hatte.    „Unser Chef hat offenbar wieder neue Errungenschaften von der gestrigen Messe mitgebracht“, gab er seine Erkenntnis an den Jüngeren weiter. „Dort oben sind noch freie Plätze. Stell sie am besten einfach neben den El Dorado Rum, den er kürzlich mitgebracht hat.“ Mit einem Fingerzeig deutete er in das verspiegelte Regal hinter ihnen und überließ Zack das Einräumen der edlen Whiskys. Dieser nahm sich eine Klapptrittleiter zu Hilfe und begann, die Flaschen sorgsam zu verstauen. Als er wieder hinabgestiegen war und sein Hilfsmittel an seinen dafür vorgesehenen Ort zurückgestellt hatte, wandte er sich zu Dante, um ihm unterstützend zur Hand zu gehen. Dieser betrachtete den Blonden für einen Moment etwas argwöhnisch und schien zu überlegen.    „Was ist?“, fragte der Jüngere irritiert. „Hab ich was im Gesicht?“ Doch die Antwort seines älteren Kollegen verwirrte ihn nur noch mehr, als dieser folgendes antwortete: „Im Gegenteil, es fehlt etwas. Ich gebe zu, dass ich mich bereits daran gewöhnt habe, sodass es mir jetzt fast ungewohnt erscheint. Du trägst heute deine Kontaktlinsen gar nicht“, sprach er seine Gedanken aus und bemerkte, wie Zack plötzlich erstarrte und ihn mit großen Augen ansah. Dantes Aussage schien ihn zu schockieren, sodass er sich im nächsten Moment mit einem „Verdammt!“ auf den Lippen umwandte und schnellstmöglich den Weg zu den Örtlichkeiten des Lokals antrat.    Natürlich war es keineswegs seine Absicht gewesen, dass er die grünen Linsen nicht eingesetzt hatte. Vielmehr beschäftigten ihn so viele Dinge gleichzeitig, nachdem er sich umgekleidet hatte, dass er sie lediglich in seiner Hosentasche verstaut hatte, sie dann jedoch aufgrund der Grübelei um das Päckchen mit dem Frack schlichtweg vergessen hatte. Unruhig fasste er in seine Seitentasche und zog das kleine Plastikgefäß, in dem er seine Kontaktlinsen aufbewahrte, hervor. Seit Kaiba diese Bar regelmäßig besuchte, trug er sie jeden Abend, um unerkannt seinem Schwarm näherkommen zu können, und ausgerechnet dann, wenn er sein Geheimnis unbedingt bewahren wollte, passierte ihm solch ein Fauxpas. Zum Glück hatte er seinen stets aufmerksamen Barkeeper des Vertrauens an seiner Seite, der ihn auf dieses Versäumnis direkt hingewiesen hatte.    Mit schnellen Handgriffen legte er seine schützende Maske ab und öffnete den ersten Behälter, um die Linse zu entnehmen. Dadurch, dass er sie bereits mehrere Wochen, inzwischen sogar Monate benutzt hatte, war er recht geübt, was das Einsetzen anbelangte, sodass er nur knapp eine Minute später sein rechtes Auge von dem bekannten Honigbraun in einen moosgrünen Ton färbte. Kurz atmete er tief ein und versuchte, seinen in die Höhe getriebenen Puls wieder etwas zu beruhigen, als er die zweite Linse aus der Flüssigkeit heraus fischte. Es war alles gut. Er hatte noch genug Zeit. Kaiba war zudem nie direkt nach Öffnung des Lokals vor Ort gewesen, dafür arbeitete er einfach zu lang an den Wochenenden und hatte vermutlich sowieso noch anderweitige Verpflichtungen mit potentiellen Kunden oder Firmen.    Der Blonde platzierte die Linse auf seinem Zeigefinger und versuchte, sie mit unruhiger Hand in sein linkes Auge einzusetzen, was jedoch wie auch auf der rechten Seite nicht auf Anhieb klappen wollte. Nach ein paar weiteren Versuchen rutschte sie ihm schlussendlich noch vom Finger und fiel auf den dunklen Fliesenboden. Sofort beugte er sich nach unten und versuchte, das verloren gegangene Objekt schnellstmöglich wiederzufinden. Durch die dunklen Fliesen war die kleine Sehhilfe jedoch nicht gleich auszumachen, sodass der Blonde sich kurzerhand auf den Boden knien musste, um besser sehen zu können. Erleichterung machte sich breit, als er die grün schimmernde Linse erspähte und im Begriff war, die Hand danach auszustrecken. Im selben Moment öffnete sich unverhofft die Tür zu den Räumlichkeiten, sodass der junge Kellner plötzlich erschrak. Er senkte seinen Kopf daraufhin noch etwas weiter nach unten, ohne genau gesehen zu haben, wer eingetreten war.    Als die Person jedoch direkt darauf zu sprechen begann, blieb Jonouchi beinahe das Herz stehen. Und als wären es noch nicht genug von Fortunas Schikanen, begab sein Gegenüber sich zu ihm nach unten in die Hocke und würde ihm direkt ins Gesicht sehen, wenn der Blonde seinen Kopf nur leicht anheben würde. Natürlich musste es der brünette Firmenchef sein, der sich gerade direkt vor ihm befand und ihm mit einem hörbaren Unterton in der Stimme seine Hilfe anbot. Im Affekt hob Katsuya schützend seine Hand und versteckte damit seine honigbraune Iris, die noch nicht von der moosgrünen Linse verdeckt wurde. Sein Puls schien in ungeahnte Höhen zu schießen und würfelten seine Gedanken wild durcheinander. Doch es konnte immer noch alles gut werden. Er musste sich nur beruhigen und einigermaßen vernünftig antworten, sodass er den anderen im besten Fall abwimmeln konnte. Seine Maske konnte ihn dieses Mal nicht schützen, ebenso wie die verloren gegangene Kontaktlinse.    Also erklärte er kurz in einer etwas abgehackten Sprechweise die tatsächliche vorherrschende Problematik der verlorenen Sehhilfe und versicherte dem Brünetten, dass er keine Unterstützung von ihm benötige. Doch der Firmenchef ließ sich gewohnheitsgemäß nicht so leicht abwimmeln und reagierte unerwartet auf Jonouchis Ablehnung: „Wie immer um keine Ausrede verlegen.“ Diese Äußerung jagte dem Blonden einen deutlichen Schauer über den Rücken und ließ ihn in seinem Tun erneut erstarren. Dennoch wollte er den mehr als offenkundigen Verdacht zerstreuen und antwortete gespielt unwissend, dass er nicht wüsste, wovon der Firmenchef sprach. Doch die nachfolgende Äußerung des Älteren ließ auch das letzte Bisschen Hoffnung in ihm restlos ersterben: „Ich denke, das weißt du sehr wohl, Bonkotsu.“    Jonouchi hob bei dieser eindeutigen Bezeichnung, die der Firmenchef ausschließlich für ihn verwendete, schlagartig den Kopf und blickte auf die ausgestreckte Hand des Brünetten direkt vor ihm, in der seine verlorengegangene, farbige Kontaktlinse lag. Kaiba hatte ihn also doch bereits vollkommen durchschaut und der Blonde wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Alles, was er so vehement versucht hatte zu verhindern, würde nun eintreten und all seine Bemühungen waren letztendlich umsonst gewesen. Jonouchi war sich sicher, dass diese Offenbarung den schlechtestmöglichen Ausgang nehmen würde. Den unumstößlichen Beweis fand Kaiba schließlich, als er in einer fließenden Bewegung die Hand des Blonden nahm und das enthüllte, was dieser so entschieden zu verstecken versuchte.    „Du bist es also tatsächlich…”, bestätigte er die aufgedeckte Lüge und brachte damit Jonouchis mühsam aufgebautes Kartenhaus langsam zum Einsturz. Dessen Blick schweifte zu den wunderbar blauen Augen des Firmenchefs, die ihn durchdringend ansahen und mit stummen Fragen zu löchern schienen. Ohne dass er auch nur einen Muskel bewegen oder einen klaren Gedanken fassen konnte, starrte er ihn unverhohlen an und versank in den dunklen Tiefen ohne Aussicht auf Rettung.   To Be Continued…   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)