Underworld III von Tomanto (In Teufelsküche) ================================================================================ Kapitel 1: Alte Freunde ----------------------- ~ Luzifers Sicht ~ Ich muss mich verhört haben. Das muss ich einfach! Schnell rappele ich mich auf und setze mich gut einen Meter von Hans weg. Das kann er doch nicht ernst meinen! »Was ist?«, fragt er und setzt sich ebenfalls auf. »H-Heißt das du willst Sex?«, frage ich nervös und bete zu mir, dass er das meint und gerade einfach nur dummes Zeug geredet hat. »Nein, Luzifer. Es heißt, dass ich dich liebe«. Er.. Er muss da etwas falsch verstehen. Er begehrt mich, das tun die meisten. Er verehrt mich, das sollte er auch. Aber.. fürchtet er mich nicht auch? Das tun alle. »Mein Liebster?«. Ich bin nicht lieb. Und schon gar nicht seiner. Er ist mein, er gehört mir, nicht andersherum, was.. Was versteht er daran nicht? »Liebst du mich denn auch?«, fragt er hoffnungsvoll und will meine Hand nehmen. Ich habe einen Fehler begangen. Ich war zu nachgiebig mit ihm. Und jetzt hat er.. ernsthafte Gefühle für mich entwickelt?? Oh Mann, diese Verantwortung ist mir zu hoch. »Ich- Ich muss weg!«, sage ich und teleportiere mich fort. Irgendwo hin, wo ich schreien kann. Und genau das tue ich auch, als ich in einer beliebigen Welt auftauche und auf einem grünen Hügel über einem weiten Abgrund zusammenbreche. »Mein Wirtskörper.. «, wimmere ich mit zittriger Stimme, »Hans er.. Er hat sich.. i-in mich...?«. Mir wird schwindlig. »Oh Mann... «, stöhne ich, als ich zu mir komme. Der Untergrund, auf dem ich liege, fühlt sich seltsam an. Und die Luft hier ist so frisch und rein. Wo bin ich hier eigentlich? Als ich mich aufrichte und mich umsehe fällt es mir wieder ein. Ich bin auf einem großen Hügel. Und nicht nur irgendeiner. Da hinten erkenne ich die Tore des... »Olymp?«. Wieso ausgerechnet hier? Und das auch noch außerhalb der Mauern. Etwas ist anders an dieser Stelle. Etwas, das mich mit diesem Ort verbindet. »Stimmt«, murmele ich, »Hier habe ich Hans das erste Mal geküsst«. Heh, wenn ich so daran zurückdenke, kommt es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. Er hätte sein Gesicht sehen sollen! So verdutzt und verschämt, es war schon witzig. Kann es sein, dass ich mich deswegen hier hin teleportiert habe? »Kann es sein... dass ich seit diesem Moment... etwas für Hans empfinde? Vielleicht... geht er mir deswegen nicht mehr aus dem Kopf und ich kann es nicht ertragen, wenn er nicht da ist... ist das "Liebe"?«. Über diesen Gedanken muss ich laut losprusten. »Pffft! Jetzt bilde ich mir schon Sachen ein!«. Aber dieser Gedanke allein macht mich misstrauisch. Vielleicht sollte ich lieber auf Nummer sicher gehen. Unauffällig teleportiere ich mich an den Toren des Olymps vorbei, um mich nicht anmelden zu müssen. Es muss ja nicht gleich jeder erfahren, dass ich hier bin. Oder wofür. Ich tauche vor dem Eingang eines prunkvollen aber gemütlichen Saals wieder auf, der mit einladenden Sitz- und Liegeflächen übersät und mit abgerundeten Marmortischen und Büsten auf hohen Sockeln dekoriert ist. Schlingpflanzen in Hängetöpfen zieren die oberen Ebenen des Raumes und überall duftet es nach Trauben und Wein. Ich ziehe die Vorhänge bestehend aus Perlenfäden beiseite, die als Tür-Ersatz fungieren sollen, und trete ein. Da sehe ich auch schon meinen alten Freund. Die Blätterkrone in seinem dunkelbraunen Haar sieht kein bisschen verwelkt aus, allerdings könnte sein Bart mal wieder gestutzt werden; sein dicklicher Körper ist in eine lilane Toga gehüllt und lungert auf einer dieser edlen, roten, samtigen Liegen herum. Unter seiner Toga trägt er diesmal ein dunkles Bandshirt, in dem er immer wie der identische Zwilling von Jack Black aussieht (Hans hat mir gezeigt, wer das ist). Er stellt gerade seinen goldenen Kelch ab, aus dem er zuvor getrunken hatte, und entdeckt mich. »Das gibt's ja nicht! Welch eine Überraschung!«, ruft er und öffnet seine stemmigen Arme für eine große Bärenumarmung, noch bevor er aufsteht und mir entgegen kommt. »Hey Big D, lange nicht mehr geseH-«. Er drückt mich ganz fest, wie er es gerne tut. Normalerweise mag ich es mit ihm zu kuscheln, aber auch nur wenn er mir die Chance gibt Luft zu holen. Ich klopfe ihm kräftig auf den Rücken, um zu signalisieren, dass er mich loslassen soll. Das tut er glücklicherweise auch, zeigt aber keinen Anschwung von Reue als ich wieder zu mir komme. »Na, du siehst heute aber grummlig aus, Lucy!«. »Nenn mich nicht so«, erinnere ich ihn. »Wie denn? Lucy?«, wiederholt er und lacht. Er hat ein ansteckendes Lachen, und es fällt mir schwer ernst zu bleiben. Ach, wenn ich es mir recht überlege, wozu ernst sein? Ich konnte mir lange keine Späße mehr erlauben, ohne dass alles schief ging. Diese Gelegenheit sollte ich mir nicht entgehen lassen. »Wenn du darauf bestehst, kann ich dich wohl wieder "Double D" nennen«, sage ich und weise mit seinem verhassten Spitznamen auf die Größe seiner Brust hin, die durch sein Übergewicht nicht so stramm ist, wie die der meisten anderen Götter. Aber das ist nicht schlimm, nein, es ist perfekt sogar. Wer Dionysos nicht so mag wie er ist, der hat keine Vorstellung davon wie es ist, ihn wirklich gern zu haben. Er räuspert sich. »Hast deinen Humor wohl doch nicht verloren, Luzifer«, ändert er schnell seine Meinung, »Tritt ein, mach es dir gemütlich! Welchen Wein möchtest du kosten? Ich habe gerade einen neuen reinbekommen«. »Du willst mich doch nur abfüllen, D«, winke ich ab und setze mich auf die Liege gegenüber, »Auch wenn ich einen Drink gebrauchen könnte«. Mir schwirren so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. »Komm schon, nur ein paar Schlückchen! Wir haben lange nicht mehr zusammen getrunken, mein Freund!«, ruft er und drückt mir einen Kelch in die Hand, den er aus dem Nichts erschaffen zu haben scheint. »Jetzt übertreibst du aber. Das letzte mal als wir gefeiert haben, war doch vor.. ähm.. «. »An deinem Junggesellenabschied!«. »Stimmt! Ja, genau.. Oh Mann, ich habe keine Erinnerung an diesen Abend«. »Wie schade«, seufzt Dionysos und schenkt mir einen Schluck süßen Rotwein ein, »Dabei haben wir uns doch so köstlich amüsiert. Wir haben sogar rumgemacht, der alten Zeiten willen, weißt du noch?«. »Richtig... «, murmele ich und versuche mich daran zu erinnern, was geschah, nachdem er meine Hörner als Lenker benutzt hatte. War Hans auch dabei? Ich bezweile es. Größter Filmriss aller Zeiten. Nachdenklich schwenke ich die Flüssigkeit in meinem Kelch. »Das mit uns ist lange her. Manchmal vermisse ich es«. »Wow, wirklich?«. »Ja, doch, ich gebe es zu«, murmele ich und nippe an dem Wein, der zwar nicht so stark wirkt wie das Zeug, das ich lagere, aber trotzdem einzigartig und aufmunternd schmeckt. »Du siehst nicht so aus, als wärst du hergekommen, weil du mich vermisst«, sagt er und stellt seinen Kelch auf dem Marmortisch ab, »Diesen Blick kenne ich. Was liegt dir auf der Seele?«. Ich unterdrücke ein amüsiertes Schnauben. Dionysos kann man wirklich nichts vormachen. »Jemand... empfindet etwas für mich, was ich nicht erwidere«. »Typisch«, lacht er. »Das war doch noch nie ein Problem für dich«. »Ich weiß, und das ist noch immer so«, sage ich und schaue in das tiefe Rot des Weins, »Und doch... geht mir diese Person nicht mehr aus dem Kopf«. »Geht es um Helena? Mein Freund, bei Eheproblemen solltest du dich an Hera wenden«. »Mit Helena läuft es blendend. Es ist nur... Mir liegt eine Menge an diesem Jemand und wenn er nicht da ist, dann fühle ich mich so... unausgeglichen. Als ob irgend etwas fehlt. Aber nicht auf "diese" Weise, sondern eher...«. Ich überlege einige Sekunden und erschlaffe dann auf der Liege. »Ach, ich weiß auch nicht. Ich bin so durcheinander«. Ich nehme einen großzügigen Schluck, um meine Verbitterung hinunterzuspülen. Mein alter Freund macht ein nachdenkliches Geräusch und kratzt sich am weichen Vollbart. »Versuchen wir das anders«, beschließt er und nimmt mir den Kelch aus der Hand, »Schließ die Augen«. »Was wird das, D?«. »Ein bisschen therapeutisches Fachwissen — mein Spezialgebiet«, meint er und schiebt die imaginären Ärmel hoch. »Ich habe eine Therapeutin, ein Phönix namens Sandra. Aber sie ist gerade ausgebucht«. »Wie gut, dass du mich hast«, meint er, schlägt die Hände zusammen und reibt sie aneinander, »Ok, dann fangen wir mal an«. Mit einem Hauch seiner Götterkraft lässt er den Wein in mir wirken und verzerrt den Raum in eine trance-ähnliche Traumvorstellung. Alles sieht aus wie durch eine rosarote Brille, blühende Gärten, Springbrunnen plätschern sanft und entferntes Vogelzwitschern ist zu hören. Es duftet nach reifen Trauben, Pfirsichen und frischer Luft. »Lass mich nur nicht zu lange halluzinieren, ich habe Termine«, mahne ich ihn. Dionysos neigt nämlich zu Übertreibungen chaotischem Ausmaßes, und ich habe keine Lust die nächsten 100 Jahre herumzutaumeln, Beatles Lieder zu trällern und in Löwenblut zu baden. Er lacht gerissen und bringt mich wieder zum schmunzeln. »Dabei bist du doch so lustig, wenn du betrunken bist!«. »Hans ist lustiger«. »Was?«. »Was?«, sage ich schnell und hätte mir gern den Mund zugenäht. Es ist nicht so, dass niemand von ihm wissen darf (Aphrodite kennt ihn ja bereits), nur möchte ich nicht, dass D hinter mein Pronomen-Spiel kommt und mich wegen dieses Schlamassels aufzieht. »Zurück zum Protokoll, D«. »Richtig, richtig«, meint er und räuspert sich, »Wohlan! Entspann dich einfach, lausche der Natur und schließ die Augen. Lass all deine Sorgen vom Wind weggetragen werden«. Ein Luftzug strömt an meinem Gesicht vorbei und streicht mir übers Haar. »Den Wind, den es gar nicht gibt?«. »Hier und jetzt gibt es ihn, Luzifer. Aber wenn du es unbedingt so haben willst.. Konzentrieren wir uns auf das, was echt ist«. »Mhm«. »Wenn du an "diese Person" denkst, die dir nicht mehr aus dem Kopf geht, was kommt dir in den Sinn?«. Es gibt so einiges, das mir spontan einfallen würde. Seine Zurückhaltung, die Scham, die er spürt, wenn ich mit ihm spiele. Das Siegel, meine Weltherrschaftspläne. Sein langer Aufenthalt im Krankenhaus. Seine Verbundenheit mit Mary, die ihn für mich beschäftigt aber mir auch Konkurrenz zu machen versucht, was ich durchaus interessant finde. Es weckt meinen Kampfgeist, meinen Durst nach mehr. Apropos mehr. Wie könnte ich, wenn ich an Hans denken muss, dabei auslassen wie gern ich ihn sehe? Und höre. Und schmecke ~ Mmmh, ich sollte mich vor D nicht so weit hineinsteigern. Nur gut, dass er mir nicht in den Verstand sehen kann. »Also? Woran denkst du?«. »Hehehe.. Es, ähm, ist schwer zu erklären«, murmele ich und merke wie der Raum anfängt sich zu drehen, wenn ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen, oder eher, meine Gedanken zu zügeln. Dionysos gestikuliert mit einer Hand, als ob er meine Worte aus der Luft schnappen will. »Versuche es mit einem Wort zu beschreiben«. Ich drehe mich auf der Liege zu ihm und schaue ihn mit glasigen Augen und einem breiten Grinsen an. »Doktorspiele ~ «. Wieso mir gerade dieses Wort in den Sinn kam, weiß ich nicht. Obwohl.. Ja, ich erinnere mich. Damit habe ich Hans aufgezogen, als ich ihn im Krankenhaus besuchte. Dionysos grinst peinlich berührt. »Ist das dein Ernst?«. »Du bist sexy~«, plappere ich und mustere D's volle, starke Oberschenkel, die zwischen den Falten seiner Toga herausstechen. »Bist du öfter hier, mein Adonis?«. »Der Wein zwingt dich, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, Luzifer«, erzählt er mir freundlicherweise und lacht. Ich lache mit. Oh Mann, ich fühle mich mit jeder vergehenden Minute betrunkener. »Was ähhh... Was sagte ich nochmal zum Thema "abfüllen"?«, erinnere ich ihn an meine Bedingungen. »Du Schlingel hast es wieder getan. Mach das weg, bevor ich zu lallen anfange«. »Spielverderber«, sagt er und schnippt einmal mit den Fingern. Der Raum dreht sich nicht mehr und meine Klarheit kommt zurück. Aber auch meine Sorgen. Vielleicht ist an D's Herangehensweise doch etwas dran. Ich sollte Dinge positiver sehen. Ich atme einmal tief durch. »Danke, dass du dich diesmal hast aufhalten lassen«. »Keine Ursache«, sagt er schlicht und schweigt. Dann schmunzelt er mich an. »Findest du mich wirklich sexy?«. Ich verschlucke mich fast an der Luft. »Das war der Wein, er-«. »Mmmmhmmmm«, macht er in einem sarkastischen Tonfall. Verdammt! Dionysos kann man wirklich absolut nichts vormachen! »Ja, ja. Ich gebe es ja zu!«, grummele ich und hebe verteidigend die Hände, »Aber tu nicht so, als wäre das etwas Neues«. »Nö, aber es ist schön es auch gesagt zu bekommen. Könntest du öfter tun!«. »Typisch«, sage ich augenrollend. »Betrunkene sagen meist die Wahrheit. Aber dass du mich so angräbst.. Das kenne ich: Du bist sexuell frustriert«. »Pffft, was??«, frage ich empört und lache, »Wie kommst du denn darauf? Ich kann jeden haben, den ich will, wann ich will!«. »Kannst du das wirklich?«, hakt er nach und nippt vorwurfsvoll an seinem Drink. Oh, er ist gut.. Ich seufze. »Na schön. Ganz ehrlich, D. Es gibt da jemanden, auf den ich schon eine ganze Weile gewartet habe. Ich habe mich sozusagen für ihn aufgespart, ein Jahr lang«. Dionysos formt ein tonloses "Wow", als könnte er nicht glauben, was ich da von mir gebe. Natürlich habe ich nicht ganz darauf verzichtet, schließlich hätten Helena und ich jetzt keinen Nachkommen, aber es war mehr so wie Snacks zwischendrin, bis man endlich zum langersehnten Hauptgang kommt. »Als er dann endlich wieder da war«, fahre ich fort, »Habe ich mich natürlich überstürzt auf ihn gefreut. Das war taktlos, also bin ich es lieber langsam angegangen. Habe seinen Komfort priorisiert, ihn wieder ans Schloss gewöhnt. Tja, und heute Abend, da... hatte ich eine Art romantischen Abend geplant«. »Mhmm?«, macht Dionysos interessiert und streicht sich über den Bart. »So romantisch nun auch nicht, es.. Es war ein Plan ihn zu umgarnen. Ich habe ihn nach Strich und Faden verführt, du hättest ihn sehen sollen. Er war praktisch am sabbern«, erzähle ich und lache tief in mich hinein. »Was ist dann passiert?«. »Als ich ihn dann endlich in meinem Bett hatte und wir rummachen wollten, da sagte er auf einmal —... «. Ich zögere. Dionysos horcht auf. »Ja?«. Er will, dass ich es ausspreche. »... Er hat gesagt, dass er mich... liebt. So richtig, also... Auf eine allumfassende Art!«. Ein bedrückendes Schweigen zieht sich in die Länge. »Und ist das... schlimm?«. »Unter Umständen schon!«, keife ich und verschränke die Arme darüber, dass er meine Situation nicht ernst genug nimmt. »Ich bin ein Teufel, ich habe mit Liebe nichts am Hut!«. »Aber, wenn ich das mal so sagen darf, dieser "Jemand" hat dir seine Liebe bereits gestanden. Das lässt sich nicht mehr zurücknehmen«. »Ja, ich weiß«, murmele ich und meide seinen Blick, »Und... Es ist unfair ihn im Unklaren darüber zu lassen, dass ich keine Gefühle für ihn habe«. »Und doch bist du hier«, sagt Dionysos und lehnt sich zurück. Ich schaue ihn verdutzt an. Er sieht selbstsicher aus und hält Augenkontakt, während er einen weiteren Schluck nimmt. »Erwägst du etwa anzudeuten, ich hegte Gefühle für einen- «. »Menschen«, ergänzt er. Mir schnürt sich die Kehle zu. Diese Schmach wollte ich umgehen. »Wie hast du-?«. »Keine Sorge, ich verurteile dich nicht«, versichert er mir und breitet die Arme aus, »Wie könnte ich? Mindestens drei der großen Zwölf hatten menschliche Mütter, mich eingeschlossen! Und eine Menge weiterer haben Halbgötter hervorgebracht. Glaub mir, Gefallen an einem Menschen zu haben macht dich nicht schwächlich«. »Du klingst wie Leute, die sich ihre Fehler schönreden, D«, sage ich und überlege, wie zu meiner Hölle er herausgefunden hat, über wen ich spreche. »Verstehe«, sagt er und stellt seinen Kelch ab, als würde er einen Schlussstrich ziehen, »Jetzt reden wir mal Klartext. Du musst dich näher mit deinen Gefühlen auseinandersetzen. Das kannst nur du allein, und dafür brauchst du mehr Zeit. Sortiere sie aus und lerne daraus. Steh dir nicht selber im Weg, Mann«. Ich schlucke den bitteren Geschmack dieser direkten Ansage herunter und schaue Dionysos nur an. Bei dem, was er da sagt, hat er nicht ganz Unrecht. Und so wie es aussieht, gibt es für mich noch eine Menge zu lernen. Ich lächele in mich hinein. »Das sollte ich ihm dann wohl sagen, was?«. »Eine Erklärung würde ihm jedenfalls mehr gefallen als peinliches Schweigen«. »Hm. Stimmt wohl«, sage ich und erhebe mich langsam von der roten Liege, die mir heute als Therapiesessel gedient hat. »Hey, ähm.. Das mit uns-«. Er hebt stoppend die Hand. »Du musst nichts sagen. Ich weiß, dass du mir jeden Tag hinterher trauerst«. Ich rolle grinsend mit den Augen. Was würde ich nur ohne diesen Witzbold tun? »Danke«. »Kein Ding«, sagt er, »Und jetzt verschwinde hier bevor ich dich unter den Tisch trinke und dir auf dein hübsches Gesicht male«. »Ok, ich bin weg!«, rufe ich und mache mich schnell aus dem Staub, bevor er sich es noch anders überlegt und den Wein in mir wieder magisch aufleben lässt. Ich tauche per Teleportfeuer in meinem Schlafgemach wieder auf. Ich will gerade zur Erklärung ansetzen, da bemerke ich, dass Hans bereits schläft. Ich muss wohl ziemlich lange weg gewesen sein. Irgendwie bin ich froh, dass er noch hier ist und nicht wieder auf der Erde. Wehmütig schaue ich auf ihn herab. Er sieht so weich und süß aus, wie seelenruhig er in meinem Bett schläft. »Ach Hans«, flüstere ich und streiche ihm behutsam über die Haarlinie, »Du weißt ja gar nicht, wie gefährlich es ist einen Teufel zu lieben. Und du wüsstest auch nicht, worauf du dich einlässt, wenn du in Erwägung ziehst zu wünschen von einem geliebt zu werden«. Wenn ich ihn so ansehe, denke ich an Dionysos' Worte zurück und an eine mögliche Erklärung meines Verhaltens. War ich einfach nur überfordert, oder ist an der Sache etwas Wahres dran? Ist Hans mir vielleicht doch wichtiger als ich zugeben will? Langsam beuge ich mich zu ihm hinab und schenke Hans einen unschuldigen, kleinen Kuss auf die Wange. Er lächelt im Schlaf. Das ist so niedlich. Mein süßer, zerbrechlicher, kleiner Hans... »Ich werde es nicht riskieren«, verspreche ich und setze mich auf.Auf einmal beschleicht mich das mulmige Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Die Luft um mich herum wirkt elektrisierend und knistert verheißungsvoll. »Luuuzifeeeeer«, dröhnt die wütende Stimme der Tochter des Zeus aus dem Türrahmen. Uh-Oh, nicht gut. »Shhh, Helena. Hans schläft«, flüstere ich und appelliere an ihre Gutmütigkeit gegenüber unseren menschlichen Freunden, zu denen sie bisher immer außerordentlich freundlich war. Sie hört auf zu levitieren. »Wie ich sehe weißt du nun endlich auch, was in unseren eigenen vier Wänden geschieht«. Sie klingt zwar immer noch angespannt, aber gewillt mich zu verschonen. Mürrisch senkt sie die Augenbrauen. »Kannst du mir noch etwas verraten?«. »PAPA«, ruft Dev aus und fliegt zum ersten Mal mit seinen kleinen Flügelchen. Geduldig halte ich meine Hände bereit meinen kleinen Sohn zu empfangen, als er langsam und mit viel Mühe auf mich zu flattert. Und wie ein Wunder hat er es beim ersten Versuch geschafft, und das ganz ohne Abstürze. »Du kannst ja schon richtig fliegen, Dev!«. Er schmiegt sich an mich und gräbt seine kleinen Fingerchen wie Krallen in mein Hemd. Helena fährt fort. »Ist dir eine klitzekleine Kleinigkeit aufgefallen?«. »Ähmmm...?«. »Warum ist Dev noch nicht im Bett?«, zischt sie und ihr Haar hebt sich wie bei einem eingehenden Blitzeinschlag. »Ist heute...?«. »Oh ja«. »Und es liegt an mir, ihn—?«. »Gewiss, Luzifer«, sagt Helena mit einer so kalten passiven Aggressivität, dass man meinen könnte, sie sei in ihre Position als Königin der Hölle hineingeboren worden. »Oh«, mache ich und schaue meinem Sohn in die goldenen Teufelsäuglein, »... Aber er beißt immer so grässlich«. »Würde er nicht, wenn du ihn besser erzogen hättest«, sagt sie und wendet sich ab. Dev grinst mich heimtückisch an. Oh je, das wird eine lange Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)