Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 43: Ein Funke fliegt ---------------------------- Schon von weitem hörte Minerva kreischendes Geigenspiel, jeglicher Harmonie beraubt. Dann mischte sich aufgeregtes Geflüster darunter und schließlich krächzte ein Phönix. Nicht irgendein Phönix – es war wirklich Fawkes, dessen Rufe den Weg direkt in ihr Herz fanden. Das wusste sie einfach, noch bevor sie an der Seite von Mulciber in die Eingangshalle stürmte. Keine Sekunde zu früh. Rund um Voldemort hatte sich bereits ein Ring aus Gästen und Anhängern gleichermaßen gebildet, die alle beobachteten, wie er sich langsam Fawkes näherte, der auf dem Kronleuchter saß. Ein paar Stufen erhöht auf der Treppe erkannte Minerva sogar Rodolphus Lestrange, dem das Haar wirr abstand und damit die Verwirrung auf seinen Zügen unterstrich. Mit dem Ellenbogen stieß sie Mulciber in die Seite, der bei Lestranges Anblick leise aufstöhnte. »Drachenmist!«, zischte er. »Warum habe ich nicht dran gedacht, dass Ellas Fluch nach ihrem ... also dass ihr Fluch bricht, wenn sie ihn nicht mehr ...« »Egal. Hauptsache, er redet mit keinem – vor allem nicht mit Voldemort!« »Na, wie gut, dass gerade alle nur Augen für unseren Hauptdarsteller hier haben.« Mulciber linste wieder zu Fawkes hinüber, der Voldemort nicht einen Zentimeter entgegenkam. Unter den Anwesenden traute sich niemand, die Stimme zu erheben, doch alle wussten, dass der Phönix keine guten Nachrichten brachte. Der Briefumschlag in seinen Krallen war genauso rot wie sein Gefieder – oder Voldemorts zornfunkelnde Augen. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, sah eben jener in die Höhe. »Was für ein nutzloser Postbote – Eulen wissen wenigstens, dass sie einem die Post direkt überreichen müssen«, höhnte er in Fawkes’ Richtung. Ungerührt blinzelte der Phönix zurück. Sein neuerliches Krächzen erinnerte Minerva an Albus’ amüsiertes Lachen, wenn ihm wieder jemand zu Weihnachten ein Paar besonders hässlicher Wollsocken geschenkt hatte. Voldemort schien ähnlich zu denken, denn seine Augen verengten sich gefährlich. »Nun, wir können das auch anders lösen ...« Er hob Bellatrix’ Zauberstab. Ein Fluch zischte auf den Kronleuchter zu – und Scherben regneten auf die Anwesenden nieder, als eine der Glühbirnen zerplatzte. Fawkes hingegen landete auf einem anderen Arm des Leuchters, unversehrt. Der Brief in seinen Krallen rauchte und pochte dafür unheilvoll. Das Getuschel ringsum schwoll gemeinsam mit dem zunehmenden Umfang des Umschlags an. Auch Voldemort schien zu begreifen, was das Pulsieren bedeutete, denn sein nächster Fluch zielte auf das rote Papier anstelle des Phönix. Doch Fawkes wich erneut aus, ehe er in einer eleganten Spirale durch den Raum flog. »Das reicht«, rief Voldemort an seine Anhänger gewandt, »das Ministerium spielt nicht mit uns. Erledigt das Federvieh!« Auf einen Schlag wurden sicher zwanzig Zauberstäbe gezogen. Selbst Mulciber schwang äußerst halbherzig den Stab und Minerva folgte seinem Beispiel mit einem milden Schockzauber. Wirkungslos verpuffte er unter der Decke, zusammen mit unzähligen anderen. Aber der Strom an bunten Lichtern riss nicht ab. Immer wieder feuerten Voldemorts Anhänger auf Fawkes. Der Gestank verbrannter Luft trieb Minerva Tränen in die Augen – und inmitten des Chaos eine Idee in ihren Kopf. Sie wartete, bis Fawkes eine weitere Runde über ihnen beschrieb, wobei er mit knappen Flügelschlägen jedem Unheil auswich. Dann, kurz nachdem er sie passierte, schleuderte sie einen zweiten, deutlich stärkeren Schockzauber in den Raum. Nur, dass sie ein bisschen zu niedrig zielte. Ein wenig mehr in Richtung Treppe. Direkt auf Rodolphus Lestrange. Der sah den Zauber nicht kommen und als er die Augen vom Phönix unter der Decke löste, klappte er längst zusammen wie ein Schweizer Taschenmesser. Unbemerkt von den Umstehenden rutschte er seitlich über das Geländer, geradewegs hinter den Ficus daneben. Nicht einmal Mulciber bemerkte Minervas ‚Ausrutscher‘. Sein Blick klebte an Voldemort, der nach wie vor im Epizentrum der Aufregung stand und eine starre Miene zur Schau trug. Gerade hob er wieder den Zauberstab, da schoss Fawkes mitten auf ihn zu. Hoch oben in der Luft öffnete der Phönix die Krallen, der Briefumschlag fiel ... und Voldemorts Fluch riss eine Schneise in die Stichflamme, mit der Fawkes verschwand. Knall. Gut vier Meter über dem Boden explodierte der Umschlag, dass es zusätzlich zu den letzten Flüchen Funken regnete. Eine lange Rolle dunkelvioletten Pergaments breitete sich vor allen Augen aus und offenbarte das goldene Siegel der Strafverfolgungsabteilung zuoberst. »Elphinstone hat es wirklich getan«, stöhnte Mulciber leise und lachte auf, irgendwo zwischen echter Begeisterung und Verzweiflung. »Ein verdammter Haftbefehl per Heuler ...« Das war allerdings nicht alles. Noch während Mulciber sprach, formte sich aus den roten Papierschnipseln eine vage weibliche Gestalt, die ebenso in der Luft schwebte wie das Pergament hinter ihr. »Bei Merlin ...« Mulciber riss die Augen auf. »Das ist aber nicht ganz Ministeriumstandard«, hauchte er. Doch selbst angesichts dieses Spektakels konnte Minerva den Blick kaum von dem hochoffiziellen Briefpapier abwenden, auf dem sich zwischen allerlei Standardfloskeln die nüchtern formulierten Vorwürfe gegen Voldemort und seine Bewegung ausbreiteten. In Elphinstones Handschrift, die sie aus so vielen Briefen kannte. Der Hoffnungsfunken in ihrer Brust erwärmte sich bei dem Anblick unweigerlich. Mulciber beugte sich zu ihr und wies mit dem Zauberstab auf die Papiergestalt, deren Züge langsam deutlicher wurden. »So was habe ich noch nie gesehen. Ist das irgendein wilder Trick, den Elphinstone von dir hat?« »Schön wär’s.« Minerva schüttelte den Kopf. »Ich kenne auch nur die normalen Knall- und Schreieffekte der Ministeriumsheuler ... Aber so wie das da aussieht, war dieser Auftritt nicht alleine Elphinstones Idee.« Die Gestalt erreichte inzwischen knapp zweieinhalb Meter Größe und ihre Locken aus Papierkringeln streiften fast den Kronleuchter. Das runde Gesicht der Papierhexe wurde von harten, leblosen Augen aus den Überresten des Wachssiegels dominiert, aber selbst in dieser Form erkannte man, dass ihr Vorbild von müden Falten und schweren Tränensäcken gezeichnet war. Nur durch ihre schiere Größe überlagerte die Gestalt Voldemorts Aura der Macht – zumindest ein Stück weit. Immerhin musste er genau wie alle anderen den Kopf in den Nacken legen, um zu dem menschgewordenen Heuler hinaufzuschauen. Mit einem Papierrascheln öffnete das Abbild von Zaubereiministerin Eugenia Jenkins den Mund. »Dies ist eine offizielle Verkündung im Namen des britischen Zaubereiministeriums«, dröhnte es in Jenkins’ magisch verstärkter Stimme durch die Eingangshalle. »Sie werden hiermit informiert, dass Ihre vorliegende Versammlung gemäß dem Eilbeschluss 1970/203.Z2, ausgestellt vom Zaubergamot am heutigen 11. September, als verbotene Vereinigung gemäß der Verordnung 29 zur magischen Staatssicherheit gilt.« Getuschel breitete sich im Saal aus. Manche Gäste sahen unsicher drein oder wichen ein paar Schritte zurück, als könnten die Schatten sie vor den Konsequenzen ihrer Entscheidungen schützen, wieder andere jedoch schüttelten nur den Kopf. »Unmöglich«, rief eine Frau vor Minerva, »wir haben doch nur über die Wahrheit geredet – wofür halten die im Ministerium sich?« »Ich weiß nicht ... aber man hat uns doch gesagt, dass es hier sicher wäre«, entgegnete ihre Begleiterin nervös. »Angeblich nur ein Vortrag ... Mit dem Ministerium will ich nichts zu tun haben!« Voldemort selber sog die Unruhe aufmerksam ein. Sein Blick galt längst nicht mehr der Papiergestalt Eugenia Jenkins, sondern denen, die nicht zu seiner festen Anhängerschaft gehörten. »Ich bitte Sie«, verkündete er ruhig, »lassen wir Mrs Jenkins wenigstens aussprechen, bevor wir unserem Unmut Ausdruck verleihen. Immerhin können wir uns geehrt fühlen, dass sie nur für uns den Aufwand dieses überaus ... kreativen Auftritts auf sich genommen hat.« Vereinzelte Lacher erklangen, erstarben aber eben so schnell wieder, als die Papiergestalt weitersprach. Während zuvor die Fensterscheiben unter Jenkins’ Stimme erzittert waren, schwand dieser Eindruck nun allerdings. »Trotz dieser Verkündung wünsche ich Ihnen einen guten Abend, meine Damen und Herren«, sagte sie und es wurde deutlich, dass diese Worte nicht Teil des offiziellen Protokolls waren. »Ich wende mich heute zwar in meiner Funktion als Zaubereiministerin an Sie, aber auch als gewöhnliche Hexe – oder wie einige von Ihnen es ausdrücken würden: Halbblut.« Minerva tauschte einen besorgten Blick mit Mulciber. Ohne sich abzusprechen, traten sie langsam von dem Ring um Voldemort zurück. »Mir liegt nicht nur als Ministerin viel an einem guten Auskommen zwischen uns allen, unabhängig des Status«, fuhr Eugenia Jenkins’ Avatar in völliger Ignoranz des Murrens am Boden fort. »Gerade weil wir so eine kleine Gesellschaft sind, müssen wir zusammenhalten. Doch leider wurde ich darüber informiert, dass Sie heute Abend einer Veranstaltung beiwohnen, die nicht bloß dem Zweck dient, Ihrem Unmut im Rahmen des Gesetzes Ausdruck zu verleihen.« Ein kleines Seufzen Eugenia Jenkins’ ging im Rascheln der Papierschnipsel unter, als ihre magische Gestalt die Schultern straffte. »Sie wissen es vielleicht noch nicht, doch der Mann und seine Anhänger, zu denen Sie in diesem Moment aufsehen, haben bereits zahlreiche Verbrechen gegen die magische Ordnung begangen. Und sie planen noch ein Weiteres, viel Größeres – mit Ihnen als Werkzeug.« Der Kreis um Voldemort geriet in Bewegung, als einige Gäste nach ihren Zauberstäben tasteten – nur um sich daran zu erinnern, dass sie diese abgegeben hatten. Mit einem schmalen Lächeln verbarg Voldemort Bellatrix’ Stab in seiner Robe. »Dem Gamot liegen Beweise vor, dass die Vereinigung um Lord Voldemort plant, am 31. Oktober zur Feier der Wintersonnenwende, bei der viele von Ihnen zu Gast sein werden, in das Zaubereiministerium einzudringen – und dabei die aktuelle Regierung im Rahmen eines Staatsstreichs zu entmachten. Alle von mir berufenen Abteilungsleiter sollen an diesem Tag mit mir sterben.« Mulciber sog an Minervas Seite zischend die Luft ein und murmelte etwas, das nach »Oh Ella, du hast es wirklich getan« klang, aber das Raunen der Menge übertünchte seine Worte. Derweil sah Minerva, wie der Zorn erste Risse in Voldemorts Maske aufbrach. Das Zucken seiner Mundwinkel war dieses Mal kein Versuch, ein wohlwollendes Lächeln heraufzubeschwören. Eugenia Jenkins war allerdings noch nicht fertig. »Ich appelliere an Sie – wählen Sie den Pfad des Rechts. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam eine Lösung für Ihre Unzufriedenheit finden können. Ohne eine Eskalation. Lösen Sie diese Versammlung umgehend auf. Ein Zuwiderhandeln verstößt gegen den Eilbeschluss des Zaubergamots und wird mit strafrechtlichen Konsequenzen geahndet. Eine umfangreiche Liste Ihrer Namen liegt uns vor und falls nötig, werden Auroren in der kommenden Stunde Ihre Wohnsitze aufsuchen.« Die letzten Worte gingen nahtlos in Voldemorts kaltem Lachen auf. Wie zuvor auf der Bühne breitete er wieder seine Arme aus und wandte sich an sein Publikum, das zwischen Schock und Unmut schwankte. »So viel Aufwand seitens des Ministerium, nur um Sie einzuschüchtern«, rief er. »Finden Sie das rechtmäßig? Sich bedrohen zu lassen, weil Sie mir zuhören? Selbst wenn ich nicht dem – ungerechten! – Recht dieses Ministeriums folge, macht das Sie nicht zu Mitschuldigen. Nein, sehen wir es als das, was es ist – Jenkins’ Versuch, Ihre Meinung mit Furcht zu unterdrücken! Wollen Sie sich wirklich ihrer Vorstellung von Recht beugen?« Aber es war noch nicht vorbei. Parallel zu Voldemorts Gegenrede veränderten die Papierschnipsel hinter ihm ihre Form. Die ungefähren Züge Jenkins’ wichen denen einer Person, die Minerva selbst in diesem roten Zerrbild sofort wiedererkannte. »Im Folgenden erlässt die Abteilung für magische Strafverfolgung, vertreten durch Elphinstone Urquart, dringenden Haftbefehl wegen Mordes und schwerer Fluchschädigung in mehreren Fällen gegen diese Anwesenden: Thorfinn Rowle, Bellatrix und Rodolphus Lestrange, sowie T–« Grünes Licht traf mit einem Knall auf die Papiergestalt und abrupt brach Elphinstones Stimme. Minerva starrte auf die Überreste des Heulers, die angesengt von Voldemorts Fluch zu Boden segelten. Das violette Pergament mit der schriftlichen Fassung des Haftbefehls hatte ebenfalls ein Loch, genau dort, wo der Name Tom Riddle gestanden haben musste, aber es schwebte noch in der Luft. »Lesen Sie sich gerne die Anschuldigungen gegen mich und einige meiner geschätzten Gäste durch«, verkündete Voldemort. »Und dann denken Sie darüber nach, ob der Kampf zur Rettung unserer magischen Gesellschaft wirklich derart kriminell ist – oder ob gewisse Opfer nicht gebracht werden müssen, um uns vor Schlimmerem zu schützen. Denn in einem stimme ich Mrs Jenkins zu: Wir müssen zusammenhalten.« Ein Zittern arbeitete sich durch Minervas Glieder, als ein paar Ascheflöckchen von dem Heuler auf ihrem Umhang landeten. Sie bemerkte erst, dass Mulciber ihre Zauberstabhand umfasst hielt, nachdem er sie sacht daran zurückzog. »Das ist nur Papier«, flüsterte er, auch wenn ihr das längst klar war. Es fühlte sich bloß nicht so an. »Das ist alles andere als ‚nur‘ Papier – schau dich um!« Gleich mehrere Leute applaudierten Voldemort und schnell schlossen sich ihnen weitere Gäste an. »Das ist nicht länger unser Ministerium«, schrie jemand und zustimmend stießen andere die Fäuste in die Luft. »Gut gemeint ...«, murmelte Mulciber – »... ist immer noch schlecht gemacht«, beendete Minerva seinen Satz. »Der Heuler hat uns vielleicht Zeit gekauft, aber ich fürchte, die werden wir teuer bezahlen müssen.« Wie um ihre Worte zu bestätigen, hob Voldemort erneut die Arme und befahl der Menge Ruhe. »Meine werten Damen und Herren, ich verstehe Ihre Aufregung nur zu gut, ebenso wie Ihre Sorgen. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass Sie hier in Sicherheit sind. Dafür übernehme ich persönlich die Verantwortung. Wenn Sie sich mir anschließen, stehen Sie und Ihre Familien unter unserem Schutz.« Er wies auf einige seiner Anhänger neben sich. »Und von ein wenig Funken werden Sie sich doch nicht einschüchtern lassen?« Auf einen Wink mit dem Zauberstab ging die Pergamentrolle hinter ihm in Flammen auf. Dann schritt Voldemort durch die Menge, die sich bereitwillig teilte, und erklomm die Treppe. »Jenkins und ihre Marionetten sind Narren. Aber nicht mehr lange. Wir sind mehr. Wäre es denn wirklich falsch, wenn wir uns von diesem Ministerium befreien?« Die Menge tobte. Wieder reckten sich Fäuste empor und Menschen, die eben noch zurückgewichen waren, drängten sich in einem Halbkreis vor der Treppe. Schlimmer konnte es bei einem Konzert von Celestina Warbeck auch nicht zugehen, nur gab es da wenigstens fröhliche Musik. Während alle gebannt zu Voldemort aufsahen, zog Mulciber Minerva in die entgegengesetzte Richtung, zum Kamin. Davor wartete niemand mehr und bevor sie auch nur zu einem halb empörten, halb besorgten »Wohin willst du?« ansetzen konnte, hatte Mulciber bereits ein Flohfeuer entzündet. »Wir müssen weg. Das hier bringt nichts mehr, sieh es ein.« »Schon ...« Minerva warf einen Blick zurück. Keiner beachtete sie. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Rodolphus Lestrange entdecken würde, jetzt wo sich alle um die Treppe drängten. Sie seufzte. »Aber bist du dir si-« »So sicher, wie ich noch nie war. Hier können wir nichts mehr aufhalten. Aber woanders.« Mulciber hielt ihre rechte Hand weiterhin eisern umklammert und zog derart auffordern daran, dass sie keinen anderen Weg sah, sondern ihm in den Kamin folgte. Sie bekam nicht einmal mit, welche Adresse er ausrief, so schnell riss es sie fort. Doch die Rufe, die den Sturz von Eugenia Jenkins forderten, verfolgten sie noch lange danach. Bis der Kaminstaub sich wieder legte.   Überrascht blinzelte Minerva. Sie hatte mit dem Ministerium gerechnet, nicht mit einem ... Wohnzimmer. »Wo sind wir?«, fragte sie mit belegter Stimme. »In Brighton«, erwiderte Mulciber. »Genauer gesagt in meiner Wohnung.« »Deine – Warum?« »Sicher ist sicher. Wollt’s vermeiden, durch den Sprung ins Ministerium irgendeinen Alarm auszulösen. Außerdem ... gibt es hier etwas, das wir brauchen werden.« Mit diesen Worten gab Mulciber endlich ihre Hand frei, doch er bewegte sich nicht, als hätte er plötzlich jede Energie verloren. Unschlüssig blieb Minerva neben ihm stehen, obwohl die Überreste des Flohpulvers auf ihrer Haut juckten und ihr Herz sie anschrie, etwas zu tun; nicht herumzustehen ... Dennoch musterte sie einen Moment lang sprachlos den Ausschnitt von Mulcibers Zuhause, der sich ihr im Schein einer von Zauberhand entzündeten Stehlampe offenbarte. Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hätte, wenn ihr das Ziel bekannt gewesen wäre. Ein großer, leerer Raum, kalt und unwohnlich? Voller Familieninsignien, die für längst vergangene Zeiten standen? Schwarzmagische Artefakte oder Waffen wie im Lestrange-Anwesen an den Wänden? Was immer es gewesen wäre – es hätte jedenfalls nicht die Gestalt dieses kleinen, geradezu chaotischen Wohnzimmers angenommen, das voller deckenhoher Bücherregale und mit einem erschreckend großen Sammelsurium an Farben ausgestattet war. Anstatt gähnender Leere winkten von überall Hinweise, dass Alston Mulciber keinesfalls so ein aalglatter Typ war, wie er nach außen vorgab. Da er selber sich nicht regte, unternahm Minerva den ersten Versuch, der Enge im Kamin zu entkommen. Dieses Exemplar war viel zu schmal für zwei Erwachsene und inzwischen brannte das verkohlte Flohpulver wie der Cruciatus auf ihrer Haut, ganz zu schweigen von der Unruhe in ihrem Inneren. Ungelenk stolperte sie über das Kamingitter und als wäre das nicht genug, stieß sie sich im gleichen Augenblick den Kopf am Kaminsims. »Autsch –« »Vorsichtig!«, zischte Mulciber hinter ihr. Erst begriff Minerva nicht, weshalb er so ungehalten klang – immerhin war es ihr Kopf, der jetzt schmerzte –, doch da drehte sie sich um und entdeckte die Bilder. Hiergegen erschien Elphinstones Kaminsims geradezu unpersönlich. Große und kleine Rahmen drängten sich auf dem Überstand aneinander, manche oval, andere eckig ... Es war ein richtiges Gewimmel an lächelnden, winkenden, sogar tanzenden Personen. Fluchend kletterte Mulciber hinter ihr ins Freie, nur um sogleich einen besorgten Blick auf die Bilderrahmen zu werfen. Aber so doll, dass einer herunterfiel, hatte Minerva sich den Kopf nicht gestoßen und sobald Mulciber ihre erhobene Augenbraue bemerkte, wandte er sich rasch ab. Dafür betrachtete sie die Schwarz-Weiß-Fotografien nun umso genauer, die Unruhe zumindest für den Augenblick von Neugier verdrängt. Die meisten Bilder waren schon ganz verblichen an den Rändern und es brauchte einen Moment, bis Minerva begriff, dass es Gideon Rosier war, dessen jugendliches Abbild ihr gleich vom ersten Foto entgegenlachte. Er stand neben Mulciber, einen Arm über seine Schultern gelegt und beide stützen sich auf ihre Rennbesen. Und das war nicht alles – es gab Aufnahmen in Schuluniform, bei der Verleihung des UTZ ... Oft waren noch andere Jungen dabei, aber Rosier war eine stete Konstante in diesen Bildern, über sämtliche Jahre hinweg. Das war es allerdings nicht, woran Minervas Aufmerksamkeit sich schlussendlich fing, denn ein viel größerer Teil der Fotografien zeigte eine zierliche Frau mit hüftlangen Haaren, herzförmigen Gesicht und dezenten Sommersprossen um die Nase. Auf den wenigsten Bildern mit ihr war Mulciber selber zu sehen, doch wann immer er da war, stand sie neben ihm, oftmals eine Hand in seiner. »Das ist Maybell, oder?«, fragte Minerva leise. Bei dieser Erwähnung zuckte Mulciber zusammen. »Natürlich ist sie das«, murmelte er unwirsch. Selbstverständlich war es für Minerva allerdings nicht, schließlich hatte sie Mulcibers Frau nie kennengelernt, obwohl sie erst zwei Jahre nach ihrem Fortgang aus dem Ministerium gestorben war. Zu keinem Silvesterball oder Empfang hatte Maybell ihren Mann begleitet und der einzige persönliche Gegenstand auf Mulcibers Schreibtisch war stets seine Kaffeetasse – schwarz – gewesen. Aber hier war Maybell Mulciber gleich zigfach vertreten – in ihrem spitzenbesetzten Hochzeitskleid, am Ufer eines Sees sitzend, mit einem Säugling in den Armen. Und alle Bilder hatten eines gemeinsam: Sie strahlte wie der glücklichste Mensch auf Erden. Noch etwas, das Minerva nicht erwartet hatte, auch wenn sie sich für diesen Gedanken umgehend schelten wollte. Natürlich waren nicht alle Frauen in reinblütigen Kreisen so streng wie Druella oder Elladora. Das waren nur wieder ihre Vorurteile, die Mulciber keine liebevolle Beziehung zutrauten. Dabei war offensichtlich, dass Maybell ihren Mann angehimmelt hatte. Genauso wie er sie. Minerva hatte Mulciber nie richtig strahlen sehen, doch auf dem Bild mit Maybell und ihrem gemeinsamen Sohn sah er wirklich, wirklich glücklich aus. Er hatte den rechten Arm um die Schultern seiner Frau gelegt, während der Zeigefinger seiner anderen Hand fest von dem Säugling umklammert wurde. Beide strahlten Maybell und Mulciber ihr Kind an, die Köpfe eng aneinandergelehnt und völlig in den Moment versunken. Nur hin und wieder drückte Vergangenheits-Mulciber Maybell einen Kuss auf die Wange. Eigentlich eine normale Szene, ein Bild wie es wahrscheinlich auch von ihren Eltern existierte, doch Minerva wurde das Gefühl nicht los, dass sie mit dem Tritt aus dem Kamin eine Grenze überschritten hatte. Sie sollte nicht hier sein; diese Wahrheiten von Mulciber, dem frischgebackenen Mörder, nicht sehen. Trotzdem konnte sie sich eine Frage angesichts der Situation nicht verkneifen. »Wo ist dein Sohn? Ist er –« »Aiden wohnt nicht hier. Du musst dir also keine Gedanken machen, wir sind alleine. Es sei denn, du glaubst, ich würde ... dir deshalb irgendwas antun.« Fast hätte Minerva Mulcibers schlechte Angewohnheit des Gedankenlesens vergessen. Aber nur fast. »Alston ... ich meinte doch nicht –« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Es tut mir leid. Ich – du hast mich hergebracht. Das ist ...« »Merkwürdig. Ich weiß. Hatte auch nicht vor, heute eine Wohnungsbesichtigung zu machen.« Minerva riss sich von den Bildern los und sah Mulciber an, der sich auf die Kante eines geblümten Sessels fallen ließ, den Kopf in die Hände gestützt. »Hör zu –« »Ich weiß«, seufzte er. »Wir müssen weiter, die Welt retten ...« »Das wollte ich nicht sagen. Selbst wenn es stimmt.« »Ich brauche nur einen Moment. Ich –« Stöhnend drückte Mulciber die Hände auf die Augen. »Verfluchter Drachenmist!« Obwohl Minervas Puls nach wie vor raste, da weder Kopf noch Körper begriffen hatten, dass sie nicht länger im Feindesgebiet war, trat sie zu Mulciber und legte eine Hand auf seine Schulter. Zumindest für ein paar Minuten würde sie sich zur Pause zwingen, die sie ebenso brauchte. »Alston ... rede mit mir. Bitte. Ich will nur ... verstehen. Ich verspreche auch, dass ich einfach nur zuhören werde. Ohne Unterbrechungen.« Er lachte trocken auf, aber der Laut versiegte rasch. »Was soll ich denn sagen? Die ganze Scheiße ist einfach außer Kontrolle geraten! Als wenn du mir glauben wirst, dass ich das ... diese Art Aufstand nie wollte. Nicht so.« »Oh, wenn du willst, kannst du durchaus sehr überzeugend argumentieren. Ich muss nur daran denken, wie du Elphinstone neulich erpresst hast.« »Nett von dir.« Mulciber seufzte leise, aber wenigstens hob er den Kopf wieder. »Ich weiß, was jetzt passieren wird und das ...« Sein Blick ging an Minerva vorbei, irgendwo in die Ferne. »Es macht mir Angst. Ich wusste immer, dass er das Ministerium notfalls auch gewaltsam stürzen will, aber ich dachte wirklich, dass es nie so weit kommen würde. Zumindest haben Ella und ich bis zuletzt geglaubt, dass wir es verhindern können.« »Ich muss ehrlich sagen – ich verstehe nicht, weshalb ihr beide euch Voldemort überhaupt angeschlossen habt«, erwiderte Minerva. »Hah«, schnaubte Mulciber, »du bist vielleicht zu moralisch, um an der gegebenen Ordnung zu zweifeln, aber ich glaube halt daran, dass man die Menschen manchmal zu ihrem Glück führen muss. Und du musst zugeben, dass das Ministerium eine Katastrophe ist. Das muss sich ändern.« Minerva zog die Augenbrauen zusammen. »Aber nicht so. Der Tod unschuldiger Menschen, magisch wie Muggel, ist definitiv die größere Katastrophe. Denk dran, was Elladora heute geopfert hat. Du hast dank ihr eine zweite Wahl. Nutz sie für das Richtige. Ich sehe doch, dass es in dir steckt.« Ihr Blick glitt zurück zu dem Bild der glücklichen kleinen Familie Mulciber. Eine harte Linie grub sich um Mulcibers Mundwinkel ein. »Ich habe nie behauptet, dass ich in dieser Hinsicht nicht deiner Meinung wäre. Und zum Glück weiß ich genau, wie Voldemorts Vorgehen aussehen wird.« »Dann hilf mir – uns allen –, seinen Aufstieg zu verhindern.« »Aufstieg? Der liegt längst hinter uns. Das hier ist das große Finale, Minerva.« Erneut versenkte Mulciber das Gesicht in den Händen und steif ließ Minerva sich auf einer Kante des Wohnzimmertisches vor ihm nieder. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte – aber letztlich hatte sie ihm ja versprochen zu schweigen. Also sah sie auf ihre Hände hinab und wartete. »Gideon hatte recht«, stieß Mulciber schließlich hervor, ohne den Kopf zu heben. Seine Stimme wurde durch die Handflächen gedämpft. »Ich bin auch nicht besser als er. Weißt du, warum es mir so verdammt leichtfiel, das Flohportal für die Lestrange-Bande zu aktivieren?« Minerva schüttelte den Kopf, obwohl er das nicht sehen konnte. »Weil ich schon lange vorher dasselbe gemacht habe wie sie. Ich habe ihm schon vor Jahren heimlich Zugang zu gewissen nicht-öffentlichen Kaminen im Ministerium verschafft. Was meinst du, warum Abteilungsleiter Edwards so eine lahme Schnecke ist? Ich hab es einmal zu gut mit den Gedächtniszaubern gemeint. Und es war mir egal. Ist es im Prinzip immer noch. Hauptsache, ich habe Voldemort einen Weg eröffnet, das Ministerium zu stürmen – zumindest theoretisch. Das habe ich mir immer gesagt. Es ist alles nur theoretisch, nur für den Fall ... Aber heute, heute wird er es wahr machen. Bevor das Ministerium sich vorbereiten kann. Er hat die Leute ohnehin dort, wo er sie braucht.« Mulciber atmete tief aus, ehe er die Hände sinken ließ. Einen Moment lang saßen sie beide einfach nur da und lauschten in die Stille der Wohnung hinein. Eine Uhr tickte leise, ein Holzscheit im Kamin knackte und ein Fenster klapperte unter einer Windböe. Gerade war Minerva kurz davor, ihr versprochenes Schweigen wieder zu brechen, da sprach Mulciber doch weiter. »Ich habe den Plan hier. Für die Infiltration des Ministeriums. Wer von wo reinkommt, welche Sicherheitsmaßnahmen wie ausgeschaltet werden und wie wir ... mit möglichst wenig Aufwand die wichtigsten Stellen unter unsere Kontrolle bringen. Feinsäuberlich aufgeschrieben, bis hin zum Tod der Ministerin. Der Rest ... die Menschen sind ohnehin nur Ablenkung.« Er richtete sich auf und straffte die Schultern. Schon verschwand die kurzzeitige Verletzlichkeit wieder hinter seiner Fassade, als er Minervas zusammengepresste Lippen mit einem Zucken der Mundwinkel bedachte. »Ordnung muss sein«, ergänzte er. »Na, das erleichtert mich aber, dass Voldemort trotz allem ein Bürokrat ist.« Minerva rieb sich die Schläfen. »Also wirklich – das könnte unsere Rettung sein.« Ein Kribbeln breitete sich in ihren Fußsohlen aus und sie konnte sich nicht zurückhalten, sie musste aufstehen. Ungeduldig trat sie von einem Fuß auf den anderen, während Mulciber erneut zu den Bildern von Maybell sah. Minerva war kurz davor, eine weitere, neugierige Frage zu stellen, da stand Mulciber auf. »Dann wollen wir mal«, sagte er leise. Er geleitete sie durch einen engen Flur, dessen Wände ebenfalls voller Bilder waren. Die ganze Wohnung schien nicht sonderlich groß zu sein – Minerva zählte zwar fünf Zimmer, von denen allerdings keines wirklich geräumig sein konnte, sofern nicht versteckte Vergrößerungszauber im Spiel waren. Die Tür, die Mulciber schließlich mit einer Geste seines Zauberstabs öffnete, führte in ein Arbeitszimmer. Eine altmodische Nähmaschine stand direkt vor dem Fenster und es gab einen Schrank, hinter dessen halbgeöffneten Türen ganze Stoffbahnen hervorquollen. Von einem Schreibtisch, mit dem Minerva viel eher gerechnet hatte, fehlte allerdings jede Spur. Stattdessen lagen winzig kleine Mützen, Strampler und Söckchen ordentlich gefaltet auf der Ablage, neben einem Korb mit Strickgarn und Nadeln. Trotz aller Überraschungen ging Minerva nicht davon aus, dass Mulciber in seiner Freizeit Babybekleidung strickte, zumal sein Sohn diesem Alter längst entwachsen war. »Eigentlich war das hier Mays Nähzimmer«, erklärte Mulciber da auch schon. »Ich habe es nie ... Seit sie tot ist, habe ich die Sachen nicht angerührt. Aber lieber bewahre ich Wichtiges hier auf, anstatt im Wohnzimmer. Hier würde keiner danach suchen.« Die harten Linien um seinen Mund gruben sich wieder in seine Haut und er wandte sich ab, um mit dem Zauberstab einige Banne zu lösen, die er offenbar über die Schubladen einer Kommode gelegt hatte. Verlegen sah Minerva weg, doch egal wohin sie schaute, drängten sich ihr neue Fragen auf. Was beispielsweise hatte es mit den drei winzigen Phiolen auf sich, die umrahmt von Kerzen auf einem Regalbrett standen, eine jede davon erfüllt von einem pulsierenden, hellen Licht? Etwas Derartiges hatte sie noch nie gesehen. Minerva schlang die Arme um ihren Oberkörper. Die Ungewissheit fraß sie auf, sie musste einfach fragen. »Alston«, hob sie vorsichtig an, »du musst nicht antworten, aber ... weshalb ist Maybell gestorben? Hat es ... etwas mit Voldemort zu tun?« Ein kleiner Knall ertönte und Minerva drehte sich gerade noch rechtzeitig um, damit sie sah, wie ein Rauchwölkchen aus Mulcibers Zauberstab puffte. Er schüttelte es fort, als wäre nichts passiert, doch die Falten auf seinem Gesicht gruben sich tiefer. »Schon gut, vergiss –« »Ja.« Mulciber sah stur geradeaus, während er die vorangegangene Rune zur Lösung des Zauberbannes erneut in die Luft zeichnete. »May würde vielleicht noch leben, wenn sie mich nie kennengelernt hätte – und ich ihm nicht vertraut hätte. Dann wäre sie nie als ... Forschungsobjekt geendet.« Ein Schatten senkte sich über seine Augen. »Auch wenn er das nie so genannt hätte.« »W-was hat er getan?« »Er? Ich habe es getan. Er hat mir nur gesagt, was ich tun muss. Wie.« Mit geschlossenen Lidern zeichnete Mulciber die nächste Rune, aber seine bebende Stimme verriet bereits genug. »Ich habe Blutmagie auf May angewandt. Ich wollte ihr damit helfen. Uns. Es sollte nur zu unserem Besten sein.« »Aber ... warum?«, kam es Minerva kaum hörbar über die Lippen. »Diese Art Magie ist nicht umsonst verboten!« »Wir ... Drei Mal wurde May schwanger. Und drei Mal ... haben wir unser Kind verloren.« Mulciber wedelte mit dem Zauberstab in Richtung der drei leuchtenden Phiolen und ein paar tiefrote Funken fielen auf den Teppich. »Das ist alles, was uns von ihnen geblieben ist. Ein Teil ihrer Magie, konserviert als immerwährendes Licht. Sternenglanz nennen die Heiler es. Ein sehr netter Weg zu sagen, dass es sich nicht lohnt, einen Grabstein zu kaufen, weil keines dieser Kinder je seinen ersten Atemzug tun durfte.« Minerva erstarrte, eine Hand auf ihr Brustbein gepresst. Auf einmal war ihr, als würden die Wände des kleinen Nähzimmers immer näher kommen. Sie bereute ihre Neugier, doch in Mulciber schien ein Damm gebrochen. Er sprach weiter, schneller uns schneller. »Die Heiler wussten nicht, woran es lag, dass Mays Körper die Schwangerschaften nicht lange genug ... behalten konnte. Wir haben alle Ratschläge befolgt, May hat hunderte Tränke geschluckt, aber es hat nichts genutzt. Dabei wollte sie es so sehr. Sie hat all diese Sachen gestrickt, für jedes Kind von Neuem, und jedes Mal ...« Mulcibers Stimme brach. »Es war furchtbar, sie leiden zu sehen. Lieber wollte ich kein Kind, als immer wieder dieses Gefühl zu durchleben. Und dann kam er. Frisch von einer Forschungsreise durch den Osten und hat mir von wilder Magie erzählt. Von einer Chance für jemanden wie May, über die Natur zu triumphieren und endlich Mutter zu werden.« Eine Träne rollte Mulcibers Wange hinab, aber selbst jetzt war Minerva unfähig, sich zu regen. Dabei wollte sie ihn trösten, zumindest irgendetwas tun, um diese Gefühle zu lindern. Sie wusste nur nicht wie. »Ich habe sein Angebot zunächst abgelehnt«, fuhr Mulciber mit erstickter Stimme fort. »May sollte damit nichts zu tun haben. Sie ... wusste nie die ganze Wahrheit über mich. Und das war gut so. Aber irgendwann ... bin ich schwach geworden. Es lief sogar gut; zu gut. May ist tatsächlich erneut schwanger geworden und schließlich ist Aiden zur Welt gekommen, gesund und kräftig.« Besorgt drückte Minerva die Hand fester auf ihre Brust. Das ‚Aber‘ in Mulcibers Worten stand förmlich in der Luft geschrieben. »Wir waren so glücklich. Bis die Probleme angefangen haben. Sechs Wochen nach der Geburt hat May das erste Mal Blut gehustet. Und dann ging es ihr rasant schlechter. Manche Symptome konnten die Heiler eindämmen, aber ... die Magie brachte sie langsam um, jeden Tag ein wenig mehr. Eine unvorhersehbare Komplikation, so hat er es genannt.« Alston lachte kratzig auf. »Aber er war ehrgeizig. Wollte unbedingt eine Lösung finden. Tagelang haben wir uns eingeschlossen und versucht, zu begreifen, was wir falsch gemacht haben. Vergeblich. Am Ende hat May zwei Jahre lang gekämpft und trotzdem verloren.« »Oh Gott ...« Minerva griff sich an den Hals, doch der Kloß wollte nicht weichen. »Ich hatte keine Ahnung –« »Natürlich nicht. Ich gehe schließlich nicht damit hausieren, dass ich meine Frau mit schwarzer Magie umgebracht habe. Für einen Erben. Für ein Kind, das schon von Geburt an dem Dunklen Lord verpflichtet ist. Weil er nie etwas ohne Hintergedanken tut. Was meinst du, warum ihm Lestranges Fluch so gefällt? Er würde diese Sache zu gerne noch vertiefen.« Für einen Augenblick fürchtete Minerva, Alston könne den Zauberstab gegen sich selber richten, so bitter wurde seine Stimme. Doch er stieß ihn nur an die oberste Schublade der Kommode und mit einem Klicken sprang sie auf. Heraus zog er ein ordentlich gefaltetes Pergament. »Jetzt weißt du Bescheid«, stellte er heiser fest. »Und bitte, tu mir den Gefallen – verschone mich mit deinem Mitleid. Wir haben Besseres zu tun. Das hier sind meine Unterlagen. Vom Wohnzimmerkamin haben wir direkten Anschluss in mein Büro, das dürfte uns einen Vorteil verschaffen. Von dort hast du es nicht weit, um das Aurorenbüro zu informieren.« Überfordert blinzelte Minerva. »... Aber – was ist mit dir?« »Jeder muss seine Rolle spielen. Und ich ... ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen.« Alston rieb sich den linken Unterarm. »Ich beunruhige dich nur ungern, aber ... er ruft uns zusammen.« »Doch nicht etwa ... mit dem Mal?« Er nickte. »Ich fürchte, es ist so weit.« Ähnlich ungeduldig, wie sie Andromeda Black Rowles Zauberstab entgegengestreckt hatte, hielt er ihr das Pergament entgegen. »Gehen wir.«   Der Weg ins Ministerium kam Minerva vor wie ein Fiebertraum. Nicht nur eine ganze Reihe an Kaminen wirbelte dank des Flohpulvers an ihr vorbei, sondern bereits der Weg durch Alstons Wohnung war eigenartig verschwommen. Sie sah nur noch ihr Ziel vor sich. Die Aurorenzentrale. Elphinstone. Immer wieder Elphinstone. Ihre Augen hatten keine Chance, sich an die Dunkelheit in Alstons Büro zu gewöhnen, so schnell verließen sie beide es, nachdem die direkte Kaminverbindung sie dort ausspuckte. Erst draußen auf dem Flur hielten sie wieder inne, eine Armlänge zwischen sich und in entgegengesetzte Richtungen gewandt. »Also ... viel Erfolg«, sagte Alston leise. Minerva schluckte. Dann, bevor sie es sich anders überlegen konnte, drehte sie sich noch einmal um und schlang die Arme um ihn. »Danke. Für alles. Das meine ich wirklich so. Was immer heute noch passiert – Elphinstone und ich sind deine Freunde. Vergiss das bitte nicht.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)