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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Scherbenspiel

Die Stille war unerträglich. Oder war es eher die Ungewissheit?

Minerva hätte die Wände hochgehen können. Da saß sie nun, in diesem dunklen Raum eines fremden Anwesens, alleine, ohne ihren eigenen Zauberstab, nur mit Rowles bewaffnet – und schlimmer noch: Ohne Antworten.

Eine Viertelstunde war vergangen, seit Elladora sie in das kleine Badezimmer gebracht hatte, das sich unter dem Dachgiebel befand. Obwohl ... vermutlich war es inzwischen eher eine halbe Stunde. Immerhin hatte Minerva es nicht nur geschafft, ihr gerissenen Kleider mittels Magie zu flicken, sondern diese auch so verzaubert, dass sie nicht mehr ganz so entsetzlich kurz und eng waren. Was lange genug gedauert hatte, angesichts ihres mangelnden Talents für Haushaltszauber.

Wo blieb Elladora? Ihre letzten Worte zu Minerva waren bloß gewesen, dass dieser Raum das sicherste Versteck sei. Dann hatte sie sich davongemacht, um den Vielsafttrank aus der Eingangshalle zu holen.

Mittlerweile war Minerva mehr als nur ein bisschen nervös. Was hielt Elladora auf?

Sie musste sich dringend zurückverwandeln, sonst wäre sie für den Rest von Voldemorts Veranstaltung hier gefangen, wenn nicht länger. Und sie würde es sicher nicht Mulciber alleine überlassen, diesem Irrsinn ein Ende zu setzen.

Gäbe es doch nur eine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zu schicken ... Frustriert schlug sie die Tür des Badezimmerschrankes zu, den sie nach etwas Hilfreichem durchsucht hatte. Außer Haarbürsten, braunen Medizinfläschchen und stapelweise Handtüchern befand sich allerdings nichts darin.

Mit einem Seufzen drehte sie den kalten Wasserhahn zum nunmehr dritten Mal auf und sah zu, wie das Wasser über ihre Handgelenke rann. Wenigstens für den Moment half es gegen die Schwellung, die Rodolphus Lestranges Fesseln verursacht hatten. Ihre Gedanken allerdings ließen sich auch von dem gleichmäßigen Rauschen nicht beruhigen.

In einer unablässigen Schlaufe stiegen die Ereignisse der letzten Tage vor ihrem geistigen Auge auf. Rubeus Hagrid, der ihr von dem verschwundenen Jonathan Alditch erzählte. Die Finsternisschote, die Elphinstone im Kinderzimmer des Jungen fand. Der Protest im Ministerium. Der erste Kampf gegen Bellatrix Lestrange und ihre Anhänger, gefolgt von ihrer Flucht durch das Flohportal. Die kurzzeitige Furcht, Elphinstone könne sie verraten haben. Robbies Entführung, die im brennenden Verlies Nr. 232 gipfelte. Die Stürmung des Hauses in Leeds. Elphinstones und ihre eigene Entführung. Die Folter. Der Fluch. Schmerzen. Angst.

Und schließlich Elphinstone, der mit dem Portschlüssel ins Ungewisse verschwand.

Salzige Tropfen landeten im Waschbecken. Wie kleine Perlen rollten sie über die angelaufene Keramik, bis sie von dem Wasserstrahl erfasst wurden und in einem Strudel durch den Abfluss entschwanden.

Minerva rieb sich die Augen. Ihre Hände waren durch das eisige Wasser so kalt geworden, dass sie die Berührung kaum wahrnahm. Es kam ihr vor, als würde eine Fremde ihre Tränen fortspülen. Dabei waren es ihre steifen Finger, die den Wasserhahn abstellten, und ihr Mund, der den Zauberspruch formte, der alle Spuren ihrer Anwesenheit tilgte. Aber es war nur ein kleiner Teil von ihr, der diese Bewegungen kontrollierte. Wie eine Rüstung umhüllte der Kern aus Stolz, Überzeugung und Hoffnung sie.

Von ganz alleine schuf sich eine Fassade, die alles andere überdeckte. Minerva sah dieser neuen Version von ihr durch den Badezimmerspiegel entgegen und entdeckte auf ihren Zügen nichts von dem, was sie wirklich empfand. Nur in dem dunklen Braun ihrer Augen lauerte ein Hinweis darauf, auf diesen verletzlichen Teil, der sich nach Elphinstones Hand in ihrer sehnte. Doch sonst kündete alles an ihr von Entschlossenheit.

Diese andere Minerva im Spiegel blickte mit vorgerecktem Kinn zurück, die Schultern gestrafft, und sagte ihr, dass sie funktionieren würde, weil sie gottverdammt noch einmal funktionieren musste. Und wie durch ein Wunder gelang es ihr tatsächlich, die Gedanken an Elphinstone hintanzustellen.

In diesem Augenblick blieb leider nur Mulciber, der ihr helfen konnte. Sie brauchte einen Weg, auf dem sie ihn schnell und gefahrlos erreichte. Jetzt wäre so eine Phönixfeder furchtbar praktisch, doch natürlich hatte sie nichts dergleichen zur Hand. Geschweige denn eine andere Kontaktmöglichkeit, egal zu wem. Oder ...?

Siedend heiß fiel es ihr ein. Das hier war ein Muggelhaushalt!

Sie umklammerte Rowles Zauberstab in ihrer Tasche. Auf dem Weg hatte sie doch sogar ein Telefon gesehen! Damit konnte sie zwar nicht Mulciber erreichen, aber ihre Eltern. Oder einen ihrer Brüder. Irgendwer würde schon abheben und dann könnten sie vielleicht, irgendwie, Hilfe von außerhalb organisieren. Alles war besser, als hier herumzusitzen.

Den fremden Zauberstab erhoben, schlich Minerva hinaus auf den Flur. Kein Geräusch außer ihres eigenen Atems drang zu ihr vor. Das war schon einmal ein gutes Zeichen. Auf Zehenspitzen traute sie sich weiter vor.

Die Treppe nach unten war nicht fern und tatsächlich erreichte sie diese ohne Zwischenfall. Erleichtert und doch mit pochendem Herzen kauerte sie sich hinter das Geländer, um einen Blick in den Stock darunter zu werfen.

Im Mondschein von draußen erspähte sie den Flur, den Rita Kimmkorn Elphinstone und sie vorhin erst entlanggeführt hatte. Er lag vollkommen verlassen da. Wenn das so blieb, musste sie nur zwei Treppen ins Erdgeschoss überwinden, wo das Telefon an der Wand hing.

Kurzentschlossen steckte sie den Zauberstab weg und verwandelte sich in ihre Animagusform. Die leisen Pfoten waren ein Risiko, falls sie jemandem auf zwei Beinen begegnete – aber eines, das es wert war.

Immer entlang des Geländers eilte sie die Treppe hinab. Sie traute sich nicht, innezuhalten, nicht einmal dann, als sie entfernte Geräusche hörte, die mit jeder Stufe lauter wurden. Was ihren menschlichen Ohren verborgen geblieben war, fand erst durch das feine Katzengehör den Weg zu ihr. Energische Gespräche, Gelächter, Schritte ... Aber das nahm sie als gutes Zeichen, dann dauerte die Pause wenigstens noch an.

Vielleicht könnte sie es im Anschluss an ihr Telefonat doch wagen, sich mit gewöhnlichen Zaubern zu verwandeln und selber in die Empfangshalle zurückschleichen. Wie viele Topfpflanzen konnten schon für das Versteck des Vielsafttranks in Frage kommen? Oder sie fand gleich Mulciber, dann wäre die Suche hinfällig.

Ja, eigentlich war das keine schlechte Idee, beschloss sie, nachdem sie endlich das Erdgeschoss erreicht hatte. Beschwingt von dieser Aussicht schlich sie weiter an der Wand entlang, bis sie die Nische erkannte, in der das Telefon hing. Auf allen vieren zusammengekauert verwandelte sie sich zurück.

Wie ihr ein erster Blick zeigte, war das Wandtelefon recht alt, mit einem verschnörkelten Metallhörer – vermutlich aus den späten 40ern oder noch früher. Ein ähnliches Teil hing im Hinterzimmer der Kirche, der ihr Vater vorstand. Als Kind hatte sie das Ding immer fasziniert, vor allem sein durchdringendes Klingeln. Zumindest bis es aus Altersschwäche kaputtgegangen war. Sie hoffte inständig, dass das Gerät vor ihr nicht das gleiche Schicksal ereilt hatte.

Dass sie überhaupt ein Telefon benutzt hatte, war lange her, doch Minerva erinnerte sich einigermaßen an die Bedienweise. Sie klemmte sich den Hörer zwischen Kopf und Schulter, während sie überlegte, welches die richtige Rufnummer war. Der Vorteil von Eulenpost war, dass man sich so etwas nicht merken musste.

Nach einiger Überlegung legte sie den Zeigefinger auf die erste Ziffer und drehte die Wählscheibe bis zum Anschlag. Es klickte und mit einem Surren glitt die Scheibe zurück in ihre Ausgangsposition. So verkehrt schien ihre Technik also nicht zu sein. Zuversichtlicher wählte Minerva erneut. Noch einige Male ertönte das Klicken, dann lauschte sie gespannt.

Stille.

Sie presste den Hörer fester ans Ohr. Doch das änderte überhaupt nichts. So hörte sie höchstens ihr eigenes Blut – und in der Ferne das Gelächter von Voldemorts Gästen.

Womöglich hatte sie es doch nicht richtig gemacht? Sie drückte den Telefonhörer zurück auf die Gabel, zählte rückwärts bis zehn und hob erneut ab. Wieder war nichts zu hören, also wählte sie. Klick, surr, klick, surr, klick, surr ...

Stille.

Mit zusammengepressten Lippen unterdrückte sie einen Fluch. Dann würde sie eben Robbies Anschluss ausprobieren. Regelrecht routiniert wiederholte sie den Vorgang mit neuen Ziffern. Doch auch diesmal ohne Erfolg. Wenig besser sah es mit Malcolms Rufnummer aus.

Der Apparat klirrte leise, als Minerva den Hörer erneut aufhängte. Eine Hand zur Faust geballt, musste sie dem Drang widerstehen, dem Teil einen Schlag zu verpassen. Nie zuvor hatte die Muggeltechnik sie im Stich gelassen, warum ausgerechnet jetzt?

»Komm schon«, murmelte sie. »Bitte ...«

Dieses Mal versuchte sie, die Wählscheibe in die entgegengesetzte Richtung zu drehen. Aber auch das funktionierte nicht. Sie zog an den Kabeln und hoffte, irgendwie zu erkennen, ob eines von ihnen einen Wackelkontakt hatte oder nicht vernünftig steckte. Aufgeben kam nicht in Frage, doch ein kleiner Teil von ihr wusste bereits, dass sie hier mit ihrem Wissen am Ende war.

Trotzdem drückte sie den Hörer erneut ans Ohr und lauschte dem Rauschen ihres Blutes in der Stille. Nur, dass da keine Stille mehr war. Etwas raschelte. Nicht am anderen Ende der Leitung, sondern hinter ihr.

»Umdrehen.«

Der Telefonhörer schien in Minervas Hand festgefroren. Sie klammerte sich daran fest, als könnte er sie jetzt noch retten. Warum nur hatte sie Rowles Zauberstab weggesteckt? Ihr Blick zuckte zu dem Ende des Stabs, das aus ihrem lädierten Rock ragte.

»Muss ich erst bis drei zählen?«

Sie kannte diese Stimme. Und etwas sagte ihr, dass sie Gideon Rosier besser nicht verärgerte. Die Hände weiterhin am Hörer, drehte sie sich langsam um.

Rosiers Zauberstab zeigte geradewegs auf ihre Brust und ein spöttisches Grinsen zierte das Gesicht seines Besitzers. »Sehr schön. Sieh mal einer an, da begegnen wir uns also doch. Wie ... interessant.«

In diesem Moment hätte Rowles Zauberstab genauso gut meilenweit weg sein können. Es machte keinen Unterschied, denn Minerva würde es nie schaffen, ihn rechtzeitig zu ziehen und Rosier zu überwältigen. Das bewies ihr Gegenüber spätestens dann, als er mit seinem Stab schnippte und ihr der Telefonhörer aus der Hand flog. Scheppernd schlug er an die Wand, wo er in seine Einzelteile zerplatzte.

»Das funktioniert eh nicht mehr, seit wir hier sind«, sagte Rosier mit einem Achselzucken. »Die Technik hat eben keine Chance gegen Magie. Wen wollten Sie damit überhaupt anrufen? Doch nicht etwa die Muggelpolizei?« Er lachte selbstgefällig auf.

Minerva schürzte die Lippen. Sie fühlte geradezu, wie sich ihre Fassade verhärtete, bis sie mehr einer Panzerung glich. »Fragen Sie doch mal die Lestranges danach, wie fähig die nichtmagischen Polizisten so waren, die in ihr Versteck eingedrungen sind«, spie sie ihrem Gegenüber entgegen. »Dann überdenken Sie Ihren Hochmut vielleicht noch.«

Rosier ob die Augenbrauen. »Sicher doch. Ich meine, gehört zu haben, dass einer dieser tapferen Helden dabei getötet wurde? Wirklich überaus fähig.« Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Nun, aber für diese fruchtlose Unterhaltung sind wir nicht hier.«

»Richtig. Wenn Sie mich also vorbei lassen würden ...« Minerva nickte in Richtung der nahegelegenen Empfangshalle. »Ich würde den zweiten Teil wirklich ungern verpassen.«

»Oh ... Aber natürlich nicht. Wir wissen schließlich beide, dass Sie keine gewöhnliche Besucherin sind.«

Erneut schnippte Rosier mit dem Zauberstab und der von Rowle flog direkt aus Minervas Rocktasche in seine Hand. Mäßig interessiert drehte er den Stab hin und her, bevor er ihn in seinem Umhang verschwinden ließ. Dann trat er näher an die Nische heran.

Instinktiv wich Minerva zurück - doch schon drückte sich der Telefonapparat in ihren Rücken. Rosier indes kam weiter auf sie zu, bis seine breiten Schultern die Wandnische völlig verdeckten. Die Spitze seines Zauberstabs bohrte sich unter ihr Schlüsselbein.

»Wo ist Elphinstone, hm?«

Minerva konnte das Zucken ihrer Mundwinkel nicht verhindern. Immerhin hatte sie die Gewissheit, dass Elphinstone weit, weit weg war.

»So ... ist er etwa entwischt?« Rosier kniff die Augen zusammen. »Sonst wären Sie jetzt kaum so mutig, was? Blöd nur, dass das für ihn alles schlimmer machen wird ... er hätte Sie nicht zurücklassen dürfen.«

Der Zauberstab stach tiefer in Minervas Brust, doch sie presste die Lippen nur fester aufeinander. Aus ihrem Mund würde Rosier weder Bettelei noch Verrat hören.

»Ach komm, sind Sie nicht enttäuscht, dass er ohne Sie abgehauen ist? Lassen Sie mich raten – meine nutzlose Frau hat ihn dazu gebracht?« Mit einem kleinen Seufzen betrachtete Rosier sie. Schließlich schüttelte er den Kopf, als sie weiterhin schwieg. »Elladora hatte noch nie Rückgrat. Da wundert es mich nicht, dass sie Sie einfach im Stich lässt. Wahrscheinlich hat sie Ihnen noch große Versprechungen gemacht ... aber leider ist die Wahrheit, dass sie sich nur für sich selbst interessiert. Glauben Sie mir, das weiß niemand besser als ich.«

Minerva schluckte. Inzwischen war Rosier ihr so nahe, dass sie sein Aftershave riechen konnte, genauso wie die Schärfe von Feuerwhisky gepaart mit Zigarrenrauch. Ein Brennen kroch ihre Kehle empor und erinnerte sie ausgerechnet an ihre Übelkeit beim Anblick der Bilder in Voldemorts Manifest.

Sie ballte die Fäuste. Nicht aufgeben, schrie der stolze Teil in ihr. Denk an dein Versprechen! Und tatsächlich erkannte sie einen letzten Ausweg, ganz ohne Magie oder Zauberstab. Es brauchte nur Mut ... und Kraft.

Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass Rosier noch etwas näher kam. Dann packte sie sein Revers und riss ihn vorwärts. Gleichzeitig stieß sie ihr Knie empor, so fest sie konnte – geradewegs in seine Körpermitte.

Rosiers Jaulen hallte von den Wänden wieder. Brüllend krümmte er sich zusammen, sodass sie mit dem Ellenbogen nach seinem Kopf ausholen konnte –

Schmerz.

Da war nur Schmerz, der durch ihre Lunge schnitt wie ein Messer durch Butter. Schon war sie diejenige, die sich krümmte. Aus dem Nichts hörte sie Elphinstone ihren Namen schreien, Rowles höhnisches Gelächter von den Wänden eines Kerkers widerhallen ...

Eine Hand packte ihre Haare und zog ihren Kopf zurück. Aus dem Augenwinkel erkannte Minerva Rosiers Zauberstab, der sich in ihren Hals drückte. Doch spüren tat sie nichts außer dem schwarzen Fluchfeuer, das durch ihr Inneres raste.

Rosier presste sie mit dem ganzen Körper gegen die Wand. »Weißt du, ich hatte nie vor, dich entkommen zu lassen. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass du eine wirklich besondere Behandlung verdienst.«

Er drückte seinen Unterarm gegen ihre Kehle, während er den Zauberstab weiter zu ihrer Schläfe führte. Bunte Lichter explodierten vor ihren Augen und die Welt schien im selben Moment unfassbar laut wie leise. Ihr Herzschlag schrie sie an, sich zu wehren, irgendetwas zu tun – und gleichzeitig fehlte ihr die Luft, um überhaupt an Flucht zu denken, geschweige denn etwas anderes außer Blutrauschen zu hören.

Einer ihrer Halswirbel knackte laut, doch in ihrem Kopf klang selbst das dumpf. Nach Atem ringend zwang sie die Lippen auseinander – aber Rosiers Druck schwand nicht. Im Gegenteil, er presste sich näher und lachte ihr stumm entgegen. Ihre eiserne Fassade drohte, ein kaltes Grab zu werden.

»Du gehörst jetzt mir«, zischte Rosier direkt in ihr Ohr, die Speicheltröpfchen zu seinen Worten ätzende Nadeln auf ihrer Haut. »Imperio!«

Der Schrei, der eben noch Minervas Kehle emporgestiegen war, verschwand im Nichts. Was blieb, war wieder diese Stille. Allumfassende Stille.

 

All ihre Sinne verstummten. Kein Laut, kein Gedanke, kein Gefühl drang mehr zu ihr vor. Wovor hatte sie eben Angst gehabt? Es gab nichts zu befürchten. Alles war weiß und friedlich. Wie eine große Wolke ...

 

Nein! Nein!

Die watteweiche Idylle zerriss unter den Schreien aus Minervas Inneren.

Sie wollte das nicht zulassen! Sie durfte es nicht zulassen!

Es gab keine Wolken, die sie umhüllten. Sie war am Grund eines endlosen Sees, schwarzes Wasser über ihr. Es zog sie an ihren Füßen in die Tiefe, aber sie wehrte sich; die Luft in ihren Lungen wurde weniger ... sie würde sterben ... sie konnte nicht ... sie durfte nicht ... kämpfen ... sie musste ... kämpfen ...

 

Sie musste Gideon folgen. Es war wichtig, dass sie hier wegkamen und Elladora fanden. Gideon war schon aus der Nische getreten und warf ihr einen auffordernden Blick zu. Rasch zog sie ihren Umhang zurecht, der von ihren Schultern gerutscht war. Warum saß er überhaupt so schlecht?

Sie wusste es nicht mehr. Aber eine Stimme flüsterte ihr, dass es ohnehin nicht wichtig war.

 

Er hatte sie angegriffen. Der Gedanke leuchtete unvermittelt im Dunkel vor Minerva auf. Zeigte ihr den Weg an die Wasseroberfläche.

Sie war so weit unten, so tief in seinem Griff ... aber sie musste sich wehren, sie war stärker als das – sie wollte ihm nicht folgen!

Und doch bewegten ihre Füße sich im Gleichtakt mit Rosiers, während der Rest ihres Körpers es zuließen, dass er eine Hand – mit dem verborgenen Zauberstab darin – auf ihren Rücken legte.

Das Licht flackerte, verschwand. Schon glitt die Erkenntnis durch ihre Finger, verließ die Kraft sie ...

 

Gideon öffnete die Tür zur Eingangshalle für sie. Dahinter drängten sich nach wie vor die Menschen und zwischen ihnen Hauselfen mit derweil reichlich geleerten Canapé-Tabletts. Aufmerksam wie die Elfen waren, erspähte eines der Biester sie sofort, kaum dass sie ein paar Schritte in den Saal gewagt hatten. Der kleine Kriecher wieselte umgehend auf sie zu, nur um mit piepsiger Stimme zu fragen, ob Mr Rosier oder seine Lordschaft noch etwas wünschten.

Dem war nicht so, das wusste sie. Also trat sie dem Elf in den Weg und sagte ihm, dass er sich fortscheren sollte, wenn er nicht demnächst dem Dunklen Lord ‚assistieren‘ wolle.

Das Geschöpf zuckte zusammen, sodass die Häppchen auf seinem Tablett gefährlich ins Schwanken gerieten. Fast schon auf den Knien wich er vor ihr zurück – doch sie ließ es sich nicht nehmen, eines der Lachsröllchen vor dem Abgang zu bewahren. Erst dann winkte sie den unglückseligen Elf endgültig fort.

Sie hatte den ganzen Abend nichts gegessen, da konnte sie nicht widerstehen. Außerdem sahen bereits einige Gäste zu Gideon, ihr und dem Hauself hinüber. Da war es wichtig, dass sie den Eindruck wahrte.

Wenn sie nur wüsste, welchen Eindruck ... Der passende Gedanke dazu umschwirrte sie wie eine Motte das Licht, nur fassen konnte sie ihn nicht.

Sie biss in das Lachsröllchen.

 

Minervas Magen zog sich ruckartig zusammen. Auf einmal schmeckte sie Magensäure – und erinnerte sich. Die angeblich niedere Natur des Muggels, ein Blutfluch in der Öffentlichkeit und all die Opfer auf dem Weg hierher.

Sie wollte nicht essen! Sie musste fort von hier, von Rosier! Er kontrollierte sie nur, aber das war nicht sie –

Etwas Hartes bohrte sich in ihren Rücken und schob sie vorwärts. Jeder Schritt war einer barfuß auf Glasscherben. Ungehörte Schreie füllten ihren Kopf, doch ihre Lippen öffneten sich nur einen winzigen Spaltbreit und es riss das Seufzen endgültig von ihnen, als Rosier etwas murmelte.

Sie verstand nicht, denn Wasser füllte ihre Ohren. Aber es zählte nicht, alles war egal, alles verloren ... es war besser, wenn sie sich fallen ließ.

 

Was starrte diese blonde Schnepfe nur so?

Sie hob das Kinn höher und wandte demonstrativ den Kopf ab. Am besten, sie sah überhaupt niemanden unter den Gästen an. Nicht, dass jemand – so wie diese unsägliche Reporterin zum Beispiel – es wagen würde, Gideon und sie aufzuhalten. Sie hatten es schließlich eilig. Noch konnten sie verhindern, dass Elladora alles ruinierte.

Aber das ging nicht hier zwischen den Leuten, denen es galt, sie und ihre ganze Bewegung als Opfer des Ministeriums zu verkaufen. Immerhin waren gerade die reichen Reinblüter wichtig, sollten sie doch dem Dunklen Lord und seinen Anhängern mindestens finanzielle Unterstützung bieten. Unbedachte Aktionen, wie zu offene Gewalt ihrerseits, würden nur Leute vertreiben. Nein, um das Problem namens Elladora zu lösen, mussten sie zunächst dorthin, wo der Dunkle Lord und seine Anhänger residierten. In die Räume hinter der Bibliothek, wo Lord Voldemort seine Rede gehalten hatte.

Zielstrebig folgte sie Gideon zu der Treppe ins Obergeschoss. Doch plötzlich drängte sich ihr jemand in den Weg. Irgendein vernarbter Kerl, der aussah wie die Karikatur eines Bösewichts. Erst dachte sie an ein Versehen – bis der Mann einen Arm nach ihr ausstreckte und ihr irgendwas entgegen zischte ...

Im letzten Moment wich sie, flink wie ein Schnatz, zur Seite aus. Doch ihr linker Absatz mochte die Bewegung nicht. Er knickte unter ihr weg und beinahe landete sie in der Topfpflanze, die genau neben dem Aufgang stand. Nur mit Glück fing Gideon sie gerade so ab.

Ihr lag schon ein garstiger Fluch für den Fremden auf den Lippen, da streiften ihre Fingerspitzen die Blätter des Grünzeugs neben ihr. Aus weiter Ferne hörte sie eine Stimme ...

 

Ficus Benjamina Exotica. Die Birkenfeige.

Was bedeutete das?

Es drängte Minerva, nicht an der Pflanze vorbeizugehen. Das hier war eine Chance – doch ihre Füße bewegten sich zu schnell. Inzwischen waren sie den fremden Antrieb gewohnt und reagierten auf jeden kleinen Schwenker von Rosiers Zauberstab. Was immer er dachte, ihr Körper folgte.

Aber Minerva war noch da und kämpfte, obwohl sie nicht mehr wusste, was mit der Pflanze war. Oder woher sie ihren botanischen Namen kannte. Oder weshalb ihr das Narbengesicht so interessiert hinterher sah.

 

Endlich durchquerten sie die Bibliothek. Langsam verebbte der brennende Drang in ihr, so schnell wie möglich zu laufen. Sie näherten sich der Sicherheit, dem Ziel von Gideons und ihrem Vorhaben. Bald würde alles sich fügen.

Gideon trat vor ihr in die Räume, die der Dunkle Lord für seine zentralen Anhänger vereinnahmt hatte. Sie folgte ihm dicht auf den Fersen. Hinter der Tür begrüßte sie ein gemütliches, von Zaubersphären beschienenes Zimmer. Mehrere Männer lungerten auf Polstersesseln herum, in leise Gespräche oder Partien von Zauberschach vertieft. Doch bei ihrem Anblick hoben sie alle die Köpfe.

»Na, Gid?« Ein Kerl mit wettergegerbtem Gesicht hob sein Whiskyglas in ihrer beider Richtung. Er grinste so breit, dass die Kronen auf seinen Zähnen zu sehen waren. »Hast du dir etwa eine Bewunderin da unten eingefangen?«

Neugierige Blicke von allen Seiten untersuchten sie von Scheitel bis Sohle. Ein paar Augenbrauen wanderten in die Höhe, jemand kicherte leise und wieder ein anderer legte die Stirn in Falten.

»Ach Everard«, gab Gideon in Begleitung eines kleinen Seufzens von sich, »du denkst hoffentlich nicht wirklich, ich hätte mich auf so etwas eingelassen. Noch dazu heute. Nein, das ist ein ganz besonderer Ehrengast.«

Anstatt ihre Anwesenheit weiter zu erklären, wandte er sich erwartungsvoll zu ihr, eine Augenbraue gehoben. Mit der Zauberstabhand beschrieb er eine auffordernde Geste – dabei war das gar nicht nötig. Sie wusste, was er von ihr erwartete.

»Minerva McGonagall«, stellte sie sich gleichmütig vor, »Professorin für Verwandlung an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei.«

»Und ...?«, soufflierte Gideon.

»Ich werde tun, was immer Gideon verlangt. Alles für den Triumph des Dunklen Lords.« Einem spontanen Impuls folgend, knickste sie, um den Anwesenden die Ernsthaftigkeit ihrer Worte zu unterstreichen.

Der Kerl namens Everard schmunzelte und prostete ihr mit seinem Whisky zu. »Dann wohl willkommen, Kleine.« Sein Blick wanderte zurück zu Gideon. »Nun, du kannst dein Spielzeug nennen, wie du willst, aber wir wissen trotzdem alle, dass du eigentlich nur Ella wahnsinnig machen willst, Gid. Treib es nicht zu weit mit der da. Du weißt, dass er keine Geduld dafür hat. Sonst nimmt er die Sache selber in die Hand und das wirst du wohl kaum wollen.«

»Danke für deine Besorgnis, aber ich habe das schon im Griff. Er wird zufrieden sein, da bin ich mir sicher.« Gideon trommelte ungeduldig mit dem Zauberstab gegen seinen Oberschenkel. »Und jetzt muss ich weiter.«

»Dann mal viel Spaß.« Everard grinste und zeigte eine reichlich suggestive Geste, als Gideon sie in Richtung Ausgang drängte. Hinter ihm pfiffen die anderen Männer.

 

Erst krümmte Minerva den kleinen Finger, dann den Ringfinger. Zitternd gelang es ihr, auch den Mittelfinger an ihre Handfläche zu drücken. Doch mit jedem weiteren Glied, das ihre Faust formte, schlug ihr Herz schneller. Es hämmerte gegen ihre Rippen, bis schwarze Flecken vor ihren Augen tanzten und die Spannung in ihrer Hand wieder nachließ.

Dabei war es doch so einfach. Sie musste nur auf die Stimme hören, die ihr den Weg wies. Auf ihre eigene Stimme, die sie drängte, Rosier zu helfen. Nichts war wichtiger als das ...

Die Wolken der Verheißungen waren schwarz und dicht, aber sie langten nach ihr. Rosiers Wille war schlicht zu mächtig. Egal wie sehr sie die Kommentare, das Gelächter der Männer verabscheute – immer wieder zog sein Imperius sie unter Wasser.

Es war so bequem, nicht darüber nachzudenken, was nun geschehen würde. Wenn sie nachgab, hatte nichts Bedeutung. Und dann ließ der Schmerz nach. Wurde der Grund vom See weniger schwarz. Vielleicht trugen sie doch schneeweiße Wolken in die Sicherheit ...

 

»Sehr witzig«, brummte Gideon an Everard gewandt, begleitet von einem Augenrollen. Trotzdem hielt er einen Moment inne. »Ach ja, falls er nach mir schickt – nutzt das Mal, um mich zu rufen, ja? Ich will sonst nicht gestört werden. Ihr denkt euch ja eh schon euren Teil.«

»Klare Sache«, erwiderte Everard. »Aber sag mal, du willst schon dabei sein, wenn er sich mit Druellas Göre beschäftigt, nicht? Ich mein, das verspricht echt lustig zu werden. Ich wette ja, sie hat das alles nur erfunden, weil sie sauer ist, dass ihre Mami sie am liebsten Daheim einsperren würde. Also will sie sich ein bisschen interessant machen.«

Gideon legte den Kopf schief. »Dir ist klar, dass du von meiner Nichte redest?«

Everard schnitt eine Grimasse und nahm hastig einen Schluck Whisky. »Nichts für ungut, Gid, aber die Kleine ist schon echt ...« Er tippte sich gegen die Stirn.

»Das werden wir ja noch sehen.« Ein Lächeln zog an Gideons Lippen. »Ich wette jedenfalls, dass es keine fünf Minuten braucht, bis sie ihn überzeugt hat. Immerhin habe ich in ihre Ausbildung investiert. Also ja, natürlich werde ich da sein. Bis dahin bin ich sicher mit allem anderen fertig.« Mit diesen Worten winkte er noch einmal in den Raum, bevor er sich wieder in Bewegung setzte.

Sie beeilte sich, ihm zu folgen. Dieses Mal folgten ihnen keine anzüglichen Kommentare.

Von dem kleinen Zwischenzimmer gelangten sie in einen Gang, von dem zu beiden Seiten je drei Türen abgingen. Zuversichtlich öffnete sie die letzte zu ihrer Linken. Sie wusste einfach, dass es die Richtige war.

Das Zimmer dahinter war weitgehend leer, nur ein Flügel in der Mitte unterstrich den Luxus der Platzverschwendung. Beleuchtet wurde das Ganze von dem Mond, der voll über dem Meer hintern den Fenstern stand. Eine schöne Aussicht, aber sie nahm sich keine Zeit, diese zu bewundern. Sie hatte nur Augen für die zwei Gestalten vor der Fensterfront.

Elladora lehnte an einem Fensterrahmen, ihre Hände vor dem Bauch ineinandergeschlungen. Ihr gegenüber befand sich Druella und beide diskutierten leise, doch hitzig miteinander.

Sollte sie das nicht freuen? Eine Stimme in ihr sagte, dass dem so sei. Die Feindin war in Gideons Falle, das musste ihr gefallen. Aber sie konnte nicht. Das hier war falsch, dieses Gefühl erstickte sie geradezu.

Falsch, falsch –

Das Wolkenrauschen in ihren Ohren nahm zu. Einzelne Fetzen der Unterhaltung zwischen den Freundinnen drangen zu ihr vor – irgendetwas von „Familienehre“ und der „letzten Chance zur Umkehr“. Doch sobald ihre Absätze die ersten Laute auf dem Fliesenboden machten, verstummte das Gespräch. Die Frauen drehten sich überrascht um.

 

Minervas Fingernägel gruben sich in ihre Handfläche. Auf einmal war da Schmerz, der sie zusammenzucken ließ. Willkommener Schmerz.

Sie war fast zurück an der Oberfläche. Es fehlte nicht mehr viel ... Ein ums andere Mal kämpfte sie sich nach oben, bevor eine Welle sie wieder herunterdrückte. Doch der Geschmack von Freiheit lag in der Luft. Geräusche, Gerüche, Gefühle – alles drängte zurück in ihre Wahrnehmung. Und die Erinnerung, die Gedanken an das, was wirklich war.

Immer fester drückte Minerva die Fingernägel in ihre Haut. Sie durfte jetzt nicht wieder die Kontrolle verlieren, aber sich genauso wenig verraten.

In ihrem inneren Kampf gefangen, stand sie erstarrt da und verfolgte, wie Druella – den Zauberstab in der Hand – lächelnd Rosier und ihr entgegenkam. Elladora hingegen bewegte sich kein Stück. Nicht einmal nach ihrem Stab tastete sie.

»Gideon?«, fragte sie mit bebender Stimme. »Was hat das zu bedeut-«

Unvermittelt weiteten Elladoras Augen sich, als sie Minerva sah. Ein paar Sekunden lang starrte sie scheinbar ins Nichts, den Mund halb geöffnet. Dann sanken ihre Schultern genauso wie die Mundwinkel herab.

Minervas Faust zitterte, so heftig drückte sie die Finger zusammen. Hoffentlich sah Elladora den Widerstand in ihren Augen. Sie musste einfach! Gemeinsam hatten sie eine Chance – wieder wurde Minerva die Luft knapp und sie schluckte krampfhaft gegen den unsichtbaren Druck auf ihrem Hals an.

Für eine gefühlte Ewigkeit starrte Elladora sie nur an, dann wechselte plötzlich ihr ganzer Ausdruck. Mit einem harten Funkeln in den Augen hielt sie auf Rosier zu. »Was bringst du die hierher?«, fauchte sie. »Ist das wieder eines von deinen kranken Spielchen?« An Druella gewandt setzte sie hinzu: »Großartige Leistung, dass du deinem Bruder auch noch hilfst! Dafür sind Freundinnen da, hm?«

»Ella, beruhige dich«, hob Druella an, doch ihre Worte versiegten angesichts von Elladoras Miene.

Diese musterte mit kalten Augen den Zauberstab, den Druella mehr schlecht denn recht in den Falten ihres Kleides verbarg und schließlich den in Rosiers Hand, der ganz offen auf sie zeigte. Dann schlang sie die Arme um ihren Oberkörper, als müsste sie ein Frösteln unterdrücken.

»Elende Verräterin«, zischte sie Druella entgegen. »Und ich dachte noch, es sei dir wenigstens ernst mit deiner Sorge um Bella.« Ihr entrang sich ein trockenes, trauriges Lachen. »Ich dachte sogar, ich könnte dir vielleicht noch helfen! Aber du hast mich nur benutzt, nicht wahr? Ihr beide habt von Anfang an geplant, mich hier festzuhalten. Das war alles nur ein Vorwand, um mich von unten wegzulocken.« Anklagend zeigte sie zwischen den Rosier-Geschwistern hin und her.

Offensichtlich schuldbewusst presste Druella ihre Lippen mit jedem Wort Elladoras weiter zusammen. Rosier jedoch legte eine Hand auf ihre Schulter, während er seine Frau mit einem breiten Lächeln bedachte.

»Gib nicht meiner Schwester die Schuld, dass man dich überhaupt an die Leine legen muss wie einen tollwütigen Crup. Das hast du allein dir zuzuschreiben. Du glaubst doch nicht, es würde unbemerkt an mir vorbeigehen, wenn du dich hinter meinem Rücken verschwörst? Nicht nur das, hinter unser aller Rücken! Ich habe deine Vergehen lange genug ertragen, aber wenn du dich jetzt noch gegen den Dunklen Lord und unsere Pläne wendest, dann ist es mit meiner Geduld vorbei!«

Erneut lachte Elladora freudlos auf. »Hörst du dir eigentlich selber zu? Was soll ich dann vorhaben, so ganz alleine? Ich bin einfach nur angepisst, dass ihr mich umherschubst, wie es euch beliebt, kannst du dir das vorstellen?«

Druella versteckte den Zauberstab hinter ihrem Rücken und wich zusehends in den Schutz ihres älteren Bruders zurück, den Blick auf ihre Schuhspitzen gerichtet.

Bei diesem Anblick schnalzte Elladora mit der Zunge, warf sich ihre Haare über die Schulter und stolzierte zum Flügel hinüber. Es klang, als würde jeder ihrer Schritte versuchen, den Fliesenboden zu durchbrechen.

Unweigerlich fragte Minerva sich, ob sie sich in dieser Frau getäuscht hatte. Elladora schien mit einem Mal wieder so selbstsicher, nun, da sie sich gegen das schwarz lackierte Holz lehnte ... wie eine Königin, die Hof hielt. Was wenn Gid-, nein – Rosier recht hatte und sie nur ihren eigenen Hintern retten wollte?

Die Zweifel waren laut, doch halt, das waren wieder seine Gedanken, die versuchten, sie unter Wasser zu ziehen. Sie musste Elladora vertrauen!

Minerva atmete tief ein, obwohl neue Glasscherben ihre Lungen erfüllten. Rosiers Pech, dass sie schon Schlimmeres in den letzten Tagen durchgestanden hatte. Sie würde ihm nicht gehorchen!

Zum Glück schien Rosier seine schwindende Kontrolle gar nicht zu bemerken. Er grinste weiterhin Elladora an, während er mit dem Kopf zu Minerva nickte. »Nun, wenn du so rein gar nichts planst oder getan hast, dann kennst du sicherlich auch nicht diese Frau, die heute unsere Versammlung infiltriert hat und kläglich daran gescheitert ist, uns zu verraten?«

»Sei nicht so einfältig, Gideon. Natürlich kenne ich sie.« Elladora hob das Kinn. »Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Lehrerin mit meinem Bruder zusammen an der Sache mit Caius dran war. Und du weißt auch, dass ich ihren Fragen in meiner Zelle nicht davonlaufen konnte. Aber ist das jetzt mein Problem, wenn sie sich hierher verirrt?«

Mit einem Achselzucken sah Rosier seine Frau an. »Kommt drauf an … Wolltest du sie etwa nicht an mir vorbei schmuggeln? Hast du etwa nicht versucht, ihr und deinem missratenen Bruder zu helfen? Dein Bruder zumindest ist nicht hier. Nicht mehr, sollte ich wohl sagen. Dabei hat der junge Rodolphus Lestrange mir bei seinem komischen kleinen Aufspürer geschworen, dass er hier wäre und er ihn zu mir bringen würde ...«

»Dann hat dich dein neuer Freund wohl belogen. Würde mich ja nicht wundern. Das sind schließlich noch Kinder, die meinen, ein Anrecht auf einen Platz in unseren Kreisen zu haben! Vermutlich haben sie eine ganze Menge Lügen erfunden, nur um heute dabei sein zu können. Was meinst du, was T- ... ich meine, er von all den Lügen halten wird, wenn ihr ihn seine Zeit daran verschwenden lasst? Vielleicht solltest du darüber lieber mal mit deiner Schwester reden.«

Elladora funkelte Druella an, die inzwischen fast bis zur Tür zurückgewichen war und ertappt ihre Schultern hochzog.

»Ella, ich –«

»Ach, schweig einfach«, schnappte Elladora zurück. »Ich habe genug von all diesen Lügen und Ausflüchten!«

»Witzig, dass ausgerechnet du das sagst.« Rosier schob sich vor seine Schwester und nahm Elladora so den Blick auf sie. »Wo du doch die größte Lügnerin dieser Familie bist.«

Er trat einige Schritte auf seine Frau zu, sodass er wiederum nicht sehen konnte, wie Minerva in seinem Rücken auch die zweite Faust ballte. Elladora allerdings sah es, bevor sie die Augen fest auf ihren Mann heftete, der mit dem Zauberstab in der Hand in ihre Richtung gestikulierte.

»Weißt du, Ella, Darling, dir fehlt einfach die richtige Demut für unsere Sache. Und damit meine ich nicht einmal, dass du ihn immer noch Tom nennen willst.«

»So?« Elladora wandte den Blick nicht ab, doch ihre Hand tastete sich langsam zu der Tasche in ihrem Kleid vor. »Dann hilf mir auf die Sprünge, indem du mir erzählst, was ich alles falsch mache.«

»Ah ...« Druella hatte die Tür erreicht. »I-ich sollte gehen«, stieß sie hastig hervor. »Ich muss nach Bella sehen, nicht dass sie ...«

»Natürlich, Druella. Geh nur.« Rosiers Mundwinkel zuckten. »Ich habe schließlich ausreichend Unterstützung hier.«

Er stieß seinen Zauberstab hart gen Boden. Beinahe hätte Minerva laut gekeucht. Zurück war der eiserne Griff der Finsternis an ihren Fußgelenken. Schon schlug ihr das Wasser wieder ins Gesicht, säuselten fremde Stimmen in ihr Ohr ...

Er wollte, dass sie lächelte und vortrat. Nur das. Das war gerade so in Ordnung. Sie konnte das, ohne die Kontrolle gänzlich abzugeben ...

 

Ihre Schuhe klapperten auf dem glatten Fliesenboden, als sie neben Gideon trat, ihre Hände artig vor dem Körper gefaltet, das gewünschte Lächeln auf den zittrigen Lippen.

»Was immer du wünschst, Gideon«, hörte sie sich sagen.

 

Die wenigen Worte brannten wie billigster Feuerwhisky in Minervas Kehle. Es kostete sie alle Kraft, die Hände nicht wieder zu Fäusten zu ballen. Doch es musste ohne funktionieren. Rosier sollte glauben, dass er sie steuerte. Je länger sich dieses Versteckspiel zog, desto größer die Chance, ihn vollkommen abzuschütteln, in einem Moment der Unachtsamkeit.

»Das wirst du noch bereuen«, flüsterte Elladora indes – ob an Druella oder doch eher ihren Mann gerichtet, blieb unklar.

Druella entgegnete nichts mehr. Minerva hörte bloß die Tür hinter ihr ins Schloss fallen. Dann senkte sich Stille über den Raum.

»Und was jetzt?« Elladora drückte sich mit dem Rücken gegen den Flügel. Inzwischen hatte sie eine Hand in die Tasche geschoben und hielt wahrscheinlich den Zauberstab umklammert. Doch ihre Stimme zitterte trotzdem verräterisch.

Rosier sah auf seinen eigenen Stab hinab, als müsse er erst überlegen, wohin er mit dieser Show wollte. »Ich weiß nicht ... sagst du mir freiwillig, was du mit deinem Bruder ausgeheckt hast? Und vor allem, wo ich ihn finde?«

Mit einem Seufzen senkte Elladora die Lider. »Was, wenn nicht?«

»Willst du das wirklich herausfinden? Es muss doch nicht so sein. Sag es einfach. Ich werde es sowieso herausfinden, aber das wird seinen Preis haben. Und den wirst dann nicht du zahlen.«

Minerva riss ihren Blick von Elladoras versteinerter Miene fort. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit! Sie brauchte dringend einen Zauberstab. Der Stab von Rowle, den Rosier ihr abgenommen hatte, steckte immer noch in dessen Umhangtasche. Vielleicht könnte sie, wenn sie etwas näher herantrat, unbemerkt – und schnell! – hineinlangen, Rosier schocken ...

Als würde er diesen Gedanken ahnen, drehte Rosier sich plötzlich zu ihr und trat zwei Schritte zurück. Er betrachtete sie mit neuer Intensität, so kalt und gierig, dass Minerva sich fühlte, als stünde sie völlig entkleidet da.

In ihrem Kopf formte sich ein Bild – Sie riss die Augen auf.

Nein! Das war nicht ihr Wille!

Ihre Hände bebten. Vor Abscheu. Und unter dem Drang, dem fremden Verlangen Folge zu leisten ...

Rosier runzelte die Stirn. »Nun komm schon –«

Die Tür, die sich eben erst geschlossen hatte, flog ruckartig auf.

Wütend fuhr Rosier herum. »Was denn jetzt noch, Druella?«

Doch es war nicht seine Schwester, die mit langen Schritten den Raum betrat.

Minerva klappte der Mund auf.

Vor ihnen stand Mulciber, die Hände in den Hosentaschen, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen.



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