Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 39: Schein oder Sein ---------------------------- »Bellatrix’ Zusammenschluss mit ihm können wir nicht zulassen«, hauchte Minerva. »Wir können einfach nicht.« Doch niemand hörte sie, dafür sorgte das aufgeregte Getuschel der Menge, als alle Gäste in Richtung Ausgang strömten. Und die Geräuschkulisse schwoll immer weiter an, wie das Rascheln einer Finsternisschote kurz vor der Explosion. Sie verschlang die Worte einfach, die Minerva wieder und wieder vor sich her murmelte, den gesamten Weg vom Salon bis hinab in die Empfangshalle des fremden Anwesens. Dort waren inzwischen die Vorhänge an den Fenstern zugezogen worden und nur der Deckenleuchter erhellte noch die Halle. Im elektrischen Lichtschein glänzten die von Hauselfen getragenen Silbertabletts, auf denen Canapés angerichtet waren. Allein der Anblick drehte Minerva den Magen um. Sie hatte die Bilder aus Voldemorts Manifest nicht vergessen – und würde es vermutlich nie. Als wäre das nicht genug, flirrten auch noch Lichter am Rande ihres Sichtfelds entlang und verhöhnten sie damit, immer dann weiterzufliegen, wenn sie den Kopf bewegte. Für einen Moment fürchtete sie, eine weitere Nachricht von Albus könnte sich in einer spontanen Flamme manifestieren, aber dieses Mal waren die tanzenden Flecken wohl ihrer Anspannung geschuldet. Womöglich auch dem schwindenden Effekt des Vielsafttranks. Bald bräuchte sie wieder einen Schluck. Vorerst hielt sie den Kopf jedoch oben und verschaffte sich einen Überblick. Neben dem Kamin hatten sich gleich mehrere von Voldemorts Männern mit gezückten Zauberstäben postiert, die den ersten Abreisewilligen ihre Sachen aushändigten, bevor sie diese eigenhändig bis an die Flohpulverflammen heranführten und ihr Verschwinden überwachten. Viele waren es allerdings nicht, die auf den zweiten Part der Veranstaltung verzichten wollten. Die meisten Gäste fanden sich in Grüppchen zusammen und diskutierten angeregt, teils gar hitzig. Die Trennung von wohlhabenden Reinblütern und Mittelstand, die noch vor zwei Stunden bestanden hatte, war passé. Jetzt mischten sich Umhänge sowie Meinungen aller Art bunt durcheinander. Über dem ganzen Spektakel lag der Klang verzauberter Instrumente, deren sanftes Spiel in harschem Kontrast zu Minervas Stimmung stand. »Wir müssen etwas unternehmen«, flüsterte sie an ihre Begleiter gewandt. Mulciber, der dicht hinter ihr ging, schnalzte leise mit der Zunge. »Was hast du vor? Deinen Hals riskieren?« Er drängte sich an den Umstehenden vorbei und trat ihr in den Weg. »Hör zu, du kannst Lestrange nicht hier konfrontieren, wo sie auch noch Rückhalt hat. Das wäre äußerst unklug.« »Das ist mir auch klar, Alston. Aber du verstehst nicht – etwas muss ich tun. Müssen wir tun.« Minerva sah sich zu Elphinstone um. Er stand direkt hinter ihr, den Blick misstrauisch auf die übrigen Gäste gerichtet. Eine steile Falte zeichnete seine Stirn. »Wir sind die Einzigen, die Schlimmeres verhindern können«, pflichtete er Minerva im Flüsterton bei. »Dieser Fluch – ach was, das ganze Gedankengut! – darf sich nicht verbreiten.« »Und ich dachte, du bist hauptsächlich hier, um Elladora zu helfen«, gab Mulciber kalt zurück. »Hast du sie etwa schon vergessen?« Elphinstone presste die Lippen zusammen, seine Augenbrauen ein wütender Strich. »Du ... Glaubst du wirklich, ich würde meine eigene Schwester vergessen?« Er schluckte die Wut in seiner Stimme angestrengt hinunter. »Sie ist nicht hier! Oder siehst du sie etwa? Was soll ich deiner Meinung nach also sonst tun? Wenn wir diese Leute aufhalten, wird sie das immerhin auch schützen!« »Oh Merlin ...« Mulciber rollte mit den Augen und drängte sie ein paar Schritte weiter an den Rand, weg von der Menge und ihren Ohren. »Schön, was ist euer Plan? Auf die Bühne springen und Lestrange festnehmen? Ihr erinnert euch hoffentlich, dass wir auf eigene Faust hier sind, nicht als Ermittler des Ministeriums!« »Schon klar.« Darum bemüht, ihre verlorene Körpergröße auszugleichen, streckte Minerva die Beine durch und funkelte Mulciber mit verschränkten Armen an. Da war wieder einer der tanzenden Goldfunken vor ihren Augen und sie widerstand nur mit Mühe dem Drang, danach zu schlagen. »Was wäre denn deine Lösung, Alston?« »Der englische Gentleman – Abwarten und Tee trinken. Auf den Moment warten, in dem die Gegenseite einen Fehler begeht und diesen ausnutzen.« »Nein.« Minerva schüttelte den Kopf. Mulciber, die umherschwirrenden Lichter und das Gelächter der Menschen im Hintergrund nagten allesamt an ihren Nerven. »Ich sitze nicht da und sehe zu, wie Bellatrix den Leuten ihren Fluch als Lösung verkauft. Ich gebe zu, wir sollten nichts überstürzen, aber mit dem, was wir jetzt wissen, können wir nicht weiter zusehen. Das wäre verantwortungslos.« »Denkst du, irgendwer würde zulassen, dass Lestrange vor all diesen Leuten jemanden auf der Bühne ...« Seufzend fuhr Mulciber sich mit dem Finger über die Kehle. »Denn das wäre Irrsinn und das wissen diese Leute auch. Voldemort mag wenige Grenzen kennen, aber er weiß, wann es sich lohnt, diese einzuhalten.« Elphinstone schnaubte leise. »Ich hab schon wieder ganz vergessen, dass ihr dicke Kumpel wart. Wahrscheinlich willst du gar nichts gegen ihn unternehmen, hm? So wie damals, nach der Sache in Northumberland oder bei dem Mord an Hepzibah Smith ...« Mulcibers Augen verengten sich. »Und ich hatte schon angenommen, du wärst für meine Hilfe ausnahmsweise mal dankbar. Gut, weißt du was – wenn ihr euch unbedingt umbringen wollt, dann nur zu. Aber ohne mich.« »Wir hatten ja noch gar keine Gelegenheit, über einen Plan zu reden«, gab Elphinstone gepresst zurück. »Es sagt niemand, dass wir alleine die Bühne stürmen sollten. Nur, dass wir etwas tun müssen. Wie zum Beispiel das Ministerium zu involvieren. Eine Abordnung Auroren hätte ganz andere Chancen als wir alleine.« »Nein.« Die Hände erhoben, schüttelte Mulciber den Kopf. »Das ist nichtmal ein halber Plan. Glaubst du nicht, dass hier Vorkehrungen für das Auftauchen des Ministeriums getroffen wurden?« »Aber niemand rechnet damit, dass wir die Flohadresse haben«, hielt Minerva dagegen. »Wir sind ihnen gegenüber im Vorteil!« »Es tut mir leid, aber das ist naiv gedacht. Zumal der Kamin hier überwacht wird, wie du vielleicht bemerkt hast.« Mulciber gestikulierte in Richtung der Zauberer vor der Wandöffnung. »Wie du willst. Dann genieß doch die Häppchen.« Mit einem Schnauben schob Minerva sich an Mulciber vorbei und stolperte beinahe über einen Hauself, der ein Tablett mit eben solchen Canapés trug. Das arme Geschöpf duckte sich hastig weg, als es ihre vor Wut zu geballten Fäuste sah. Doch ausnahmsweise war es ihr nur recht, dass man ihr aus dem Weg wich. Alle, bis auf einer. Elphinstone holte mit seinen dank dem Vielsafttrank deutlich längeren Beinen mühelos zu ihr auf und legte eine Hand an ihren Rücken. »Wir sollten keine Zeit verschwenden«, flüsterte er ihr auf Gälisch zu. »Wenn wir sofort ins Ministerium reisen, dürfte es noch reichen.« Sie nickte. »Ja. Lass uns gehen.« Doch bis zu den Zauberern vor dem Kamin kamen sie nicht mehr. Auf klappernden Absätzen trat ihnen Rita Kimmkorn in den Weg, ihre giftgrüne Schreibfeder wie einen Dolch vor sich gestreckt. Die Juniorenreporterin des Tagespropheten strahlte mit den Glühbirnen des Deckenleuchters um die Wette. Sie presste ein überquellendes Notizbuch an ihre Brust und den geröteten Wangen nach war sie in Hochstimmung. Wahrscheinlich hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie eine solche Geschichte ausfindig gemacht. Minerva wollte gar nicht wissen, welcher Artikel sich just in diesem Moment unter ihrem Lockenhaar zusammenbraute. »Oh, wollen Sie etwa schon gehen?«, rief Kimmkorn Elphinstone und ihr scharf entgegen. »Ich hoffe doch, Sie haben Ihren Interviewtermin mit mir nicht vergessen!« »Bedauere, Sie müssen uns verwechseln«, brummte Elphinstone, während er Minerva an der Reporterin vorbeigeleitete – oder es zumindest versuchte. Kimmkorn spiegelte seine Schritte mit Leichtigkeit. »Ich denke nicht, dass ich hier einem Irrtum aufsitze.« Sie sah streng drein, bevor sie einen kirschroten Mundwinkel hob und näher herantrat, sodass ihre Federspitze Elphinstone in die Brust stach. Mit gesenkter Stimme setzte sie hinzu: »Ich erinnere mich noch gut an sie, Mr Urquart.« Elphinstone stockte, seine Hand an Minervas Rücken verkrampft. Trotzdem gab er sein Schauspiel nicht auf, sondern schüttelte augenrollend den Kopf. »Dann muss ich mein Gedächtnis verloren haben, denn ich erinnere mich nicht an einen Ur-irgendwas. Ich bin, ähem ... Gregor McDougal - und jetzt würden meine Begleiterin und ich gerne abreisen.« Elphinstone machte Anstalten, Kimmkorn mit dem Ellenbogen beiseitezuschieben, doch die Reporterin hielt überraschend fest dagegen. Ihre Lippen hinter der Feder verborgen, rückte sie näher an ihn heran. »Elladora schickt mich«, wisperte sie, so leise, dass Minerva es fast nicht hörte. »Sie braucht Ihre Hilfe. Sofort.« »W-was ...?« Elphinstone senkte den Arm. »Woher –« »Ich hatte vor kurzem ein sehr erhellendes Gespräch mit Mrs Rosier«, erklärte Kimmkorn hastig, »aber jetzt ist nicht die Zeit, um weitere Fragen zu beantworten. Es eilt.« Deutlich lauter und fröhlicher fuhr sie fort: »Bitte, folgen Sie mir doch, damit wir ein ruhiges Plätzchen für unser Interview finden!« Minervas Blick traf Elphinstones. Sie sah die Gefühle in seinen Augen miteinanderringen. Furcht und Entschlossenheit, Wut und Vorsicht. Er sah hinüber zum Kamin, ihren Zauberstäben, die dort auf sie warteten, und dann zu Kimmkorn, die ungeduldig ihre Feder schwenkte. Stumm nickte Minerva. Ihre Hand glitt in Elphinstones und sie ging den ersten Schritt in Richtung Kimmkorn, die sich einer Tür zur Seite zuwandte. »Min«, hob Elphinstone an, doch sie schüttelte den Kopf, in Gedanken bei Robbie, den sie schließlich auch nicht in Gringotts zurückgelassen hatten. »Deine Schwester ist wichtiger. Lass uns sehen, was wir für sie tun können. Danach können wir immer noch einen Weg finden, Bellatrix Lestrange aufzuhalten. Notfalls improvisieren wir eben doch, wie Mulciber es gesagt hat.« »Ohne Zauberstab?«, versuchte Elphinstone es wieder. »Noch kannst wenigstens du gehen und Hilfe holen –« »Nein.« Minerva versteifte sich. »Nein, nein, nein, Elphinstone. Ich lasse dich nicht alleine damit! Außerdem haben wir schon ganz andere Dinge ohne Magie geschafft. Und Elladora wird sich das gut überlegt haben, wenn sie dieses Biest zu uns schickt.« Sie warf einen Blick zu Kimmkorn, die ungeduldig winkte. Elphinstone sah sie ebenfalls an, dann Minerva und schließlich wieder weg. Er atmete tief ein, doch seine Haltung verriet seine Entscheidung lange, bevor es seine Worte taten. »Minerva ... danke. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich –« »Schon in Ordnung.« Ein schmales Lächeln zog an ihren Lippen. »Du hast bereits dasselbe für mich getan.« In seinen Augen flackerte etwas auf, doch dann beschleunigte er stumm seinen Gang und jetzt war Minerva diejenige, die sich anstrengen musste, um Schritt zu halten.   Rita Kimmkorn führte sie geradewegs fort von der Empfangshalle, als wäre das hier ihr Anwesen. Ihre schmalen Absätze klapperten lautstark über die Fliesen, sodass Minerva befürchtete, sie könnte damit Voldemorts Anhänger auf den Plan rufen. Doch es stellte sich ihnen niemand in den Weg. Die Flure schienen ausgestorben, obwohl auch hier alles ordentlich und gepflegt war. Auf kleinen Beistelltischen standen Vasen voller Herbstblumen – nichtmagische Gewächse, wie Elphinstone Minerva auf ihre Frage hin bestätigte. Das passte zu dem Fehlen jeglicher, sich bewegender Gemälde. Auf den wenigen Landschaftsbildern waren selbst die Vögel im Flug erstarrt. Von all dem nahm Kimmkorn keine Notiz. Sie wandte nicht einmal den Kopf nach dem altmodischen Wählscheibentelefon um, das in einer Nische an der Wand hing. Minerva allerdings konnte ob dieser skurrilen Kombination aus Reinblutelite und Muggelhaushalt nicht länger an sich halten. »Wo sind wir hier überhaupt?«, zischte sie Kimmkorn zu. »Das ist doch ein Anwesen von Muggeln, oder nicht?« Sie bekam keine Antwort. »Miss Kimmkorn?« »Elladora wird Ihnen alle Ihre Fragen beantworten.« »Geht es ihr denn wenigstens gut?«, mischte Elphinstone sich ein. »Warum ist sie nicht selber gekommen? Und wie haben Sie meine Schwester überhaupt getroffen?« Kimmkorn ging schneller. »Das ist eine längere Geschichte. Aber wir sind gleich da, dann wird sich alles aufklären.« Elphinstone warf Minerva einen besorgten Blick zu, den sie nur erwidern konnte. Trotzdem folgten sie Kimmkorn eine gewundene Treppe hinauf in den ersten Stock und von dort aus zu einer Tür am Ende des Flures. Dreimal klopfte Kimmkorn gegen das Holz, ehe sie eintrat. Dahinter lag ein Schlafzimmer, das in Dunkelheit versank. Minerva erkannte nur die Schemen eines großen Himmelbetts. Für mehr reichte der schmale Streifen Mondlichts, der unter den Vorhängen durchschien, nicht aus. »Ella?«, fragte Elphinstone leise. »Ich bin’s –« Er zuckte zusammen. Urplötzlich flammte ein Licht in der Finsternis auf, kaum mehr als Kerzenschein. Doch es enthüllte nicht Elladora. Der Blondschopf, der zu dem entzündeten Zauberstab gehörte, war Rowles. Sein Zauber traf Elphinstone, bevor Minerva auch nur den Mund geöffnet hatte. Wie ein gefällter Baum stürzte Elphinstone zu Boden – und sie folgte ihm sogleich. Sie sah nicht mal, aus welcher Richtung der Lichtblitz kam, der ihr galt. Von einer auf die andere Sekunde war bloß kratziger Teppich unter ihrer Wange. »Ich habe doch gesagt, dass die Kleine uns nützen wird«, hörte sie einen Mann – nicht Rowle – sagen. Einen Moment begriff Minerva nicht, aber dann schnaubte der Sprechende und seine ganze Stimme veränderte sich. »Pathetisch. Bella hatte recht, sie lassen sich mit ihrer Hoffnung viel zu leicht ködern.« Rodolphus Lestrange. Eine Eisenfaust schloss sich um Minervas Herz. Sie versuchte, etwas zu erkennen, doch vom Boden aus sah sie nur Elphinstones Hosenbeine. Ihre Glieder indes verweigerten ihr jeden Dienst. Nicht einmal den Kopf konnte sie bewegen. Die Ganzkörperklammer war perfekt. »Na, dann wollen wir mal«, sagte Rowle. Er unterdrückte ein Glucksen, während es offenbar seine Schritte waren, die näherkamen. »Du da, geh aus dem Weg! Setz dich hin und stör nicht!« Rita Kimmkorn sprach kein Wort, doch Minerva ging davon aus, dass es sich bei der Angesprochenen um sie handelte. Bei allen Animositäten, so hatte sie die Reporterin wirklich nicht eingeschätzt. Was mochte sie nur zu diesem Verrat bewegt haben? »Lumos Solem.« Auf einen Schlag flutete gleißendes Licht das Zimmer und nahm Minerva auch noch die letzte Sicht. Wie gerne hätte sie die Lider zugekniffen – doch die Ganzkörperklammer ließ sie nicht einmal das bewerkstelligen. Mit tränenden Augen lag sie am Boden und versuchte, alleine anhand der Geräusche zu erkennen, was die beiden Männer taten. Kleider raschelten. Jemand bückte sich. Dann wurde etwas Großes, Schweres über den Teppich gezogen. »Tsss, hat er sich etwa einen Muggel ausgesucht für seine Verwandlung? Wie überaus passend für einen Blutsverräter.« Rodolphus Lestrange murmelte einen Zauberspruch. Einen ziemlich langen und komplizierten. Minerva schnappte nur Fetzen auf. Denudo ... Secretum ... Reverti ... Facies – das war eindeutig eine Verwandlungsformel. »Auch keine Verbesserung«, kicherte Rowle. »Schade eigentlich, dass man Bellas Andenken so gar nicht sieht. Sie hätte ihn im Gesicht treffen sollen.« Eine erzwungene Rückverwandlung. »Aber hey – er hat wirklich keine Fluchmale. Bella hatte recht, die Veränderung des Mischungsverhältnisses hat den Fluch erheblich verbessert.« »Hm.« Rodolphus klang weniger enthusiastisch als sein Kumpan. Ohne überflüssige Worte zu verlieren, kam er auf Minerva zu. Wieder murmelte er den Zauberspruch. Denselben, den Voldemort bei Bellatrix verwendet haben musste, allerdings ungesagt. Mit einem einzigen Handschlenker. Nur ein weiteres Indiz dafür, dass Voldemort gefährlicher war als beide Lestranges zusammen. Dasselbe grässliche Gefühl wie bei Einnahme des Vielsafttranks überkam Minerva. Von innen fraßen sich Flammen durch ihren Körper, die Haare zogen sich kribbelnd in ihre Kopfhaut zurück und Riesenhände zerrten jeden Zentimeter von ihr in die Länge. Ein Reißen ertönte – der Rock ihres Kostüms platzte entlang der Naht auf. An ihren Wangen hingegen quollen Minerva die Schulterpolster des Blazers entgegen, die ihrer neuen alten Größe nicht gewachsen waren. »Unglaublich, wie hartnäckig eine einzige Lehrerin sein kann«, fluchte Rodolphus, der sie auf den Rücken drehte. Endlich sah Minerva wieder etwas, doch was es war, gefiel ihr nicht im Mindesten. Rowle grinste ihr neben Rodolphus entgegen, seinen Zauberstab zwischen den schmalen Fingern drehend. So liebevoll, wie er das dunkle Holz ansah, und dann wieder sie, war klar, wohin seine Gedanken wanderten. Ihre Kehle mochte Minerva nicht länger gehorchen, doch in ihren Augen loderten Flammen, als sie den Blick ihres ehemaligen Schülers suchte. »Oh werte Professor McGonagall, es tut mir so leid, wenn Ihnen mein Cruciatus kein guter Lehrer war«, säuselte Rowle. »Aber Sie legen ja immer so viel Wert auf zweite Chancen, da werden Sie mir die sicherlich gewähren, nicht wahr?« »Schluss mit den Spielereien!« Rodolphus stieß ihm einen Ellenbogen in die Seite und Rowle verschwand aus Minervas Blickfeld. »Ich muss mich darauf verlassen können, dass die beiden noch leben, wenn ich mit Rosier zurückkehre, klar? Ich will, dass du sie einfach nur bewachst, hast du das verstanden? Du kannst sie später noch benutzen, wie immer es dir beliebt.« Rowle gab ein theatralisches Seufzen von sich. »Hast du mich verstanden, Thorfinn?« Der Blick aus Rodolphus’ Augen war eisig. »Rosier grillt uns beide, wenn er sie nicht höchstpersönlich verhören kann. Dann können wir uns das hier alles abschminken. Und bei Merlin, ich werde es nicht ausbaden, wenn du Bellas ganze Arbeit ruinierst!« »Schon klar, schon klar. Ich wollte doch nur die Angst in ihren Augen sehen.« Wieder lachte Rowle leise. »Dann kann ich dich hier alleine lassen?« »Klar. Ich werde unseren beiden Hübschen kein Haar krümmen.« »Gut.« Rodolphus sah wieder zu Minerva hinab. Auf seinem jungen Gesicht war keine Regung zu erkennen, nicht einmal Freude. Er presste die Lippen fester aufeinander und wirkte offenbar einen Zauber, denn Minerva fühlte, wie etwas Kühles über ihre Hand- und Fußgelenke strich. Fesseln? Der Verdacht bestätigte sich, nachdem Rodolphus sie bis zu dem Pfosten des Himmelbetts zog, wo er den Klammerfluch gegen einen Silencio-Zauber tauschte, bevor er sie mit dem Oberkörper an das Holz lehnte. Die silbernen Seile, die er hinaufbeschworen hatte, schnürten Minerva an den Bettpfosten, sodass sie im Endeffekt wieder genauso bewegungsunfähig war wie zuvor – nur dass sie nun ihre ebenfalls gefesselten Beine und einen Teil des Zimmers sah. Und Elphinstone! Rowle hatte ihn spiegelbildlich zu ihr an den gegenüberliegenden Pfosten gelehnt. Als der Junge ihren Blick bemerkte, zwinkerte er. Mit einer lässigen Geste schlug er Elphinstones Umhang ein Stück zurück. Darunter sah Minerva einen feucht glänzenden Fleck, der sein Hemd dunkler färbte. »Ups«, meinte Rowle feixend, »da hat sich wohl beim Sturz eine Wunde wieder geöffnet. Was für eine Schande, dass ihr nicht wusstet, mit welchem Gift Bella ihren Dolch behandelt. Sonst müsste er jetzt nicht so leiden.« Oh, die Flammen in Minerva loderten immer höher. »Aber keine Sorge, Professor, er wird daran schon nicht sterben. Was Rosier hingegen mit ihm anstellt, nun – dafür möchte ich nicht garantieren.« Zauberseile schlangen sich auch um Elphinstones Oberkörper und schnürten die Wunde ein. Ihm kam kein Laut über die Lippen, doch Minerva sah genau, wie der letzte Rest Farbe aus seinem Gesicht wich. Rodolphus beobachtete die Szene mit gerunzelter Stirn. Schließlich schnalzte er leise, woraufhin Rowle augenrollend von Elphinstone zurücktrat. Einem Schlenker von Rodolphus’ Zauberstab folgend lockerten sich die Seile etwas – doch nicht viel. »Ein bisschen Blut dürfte Rosier gefallen.« Mit diesen Worten schlüpfte Rodolphus zur Tür hinaus und ließ sie alleine mit Rowle. Und natürlich Rita Kimmkorn, die Minerva beinahe vergessen hatte. Die junge Reporterin saß kerzengerade in einem Sessel neben der Tür, die Hände auf den Knien und sah zum Baldachin des Himmelbettes. Das grelle Licht der Zaubersphäre unter der Decke glänzte in ihren Augen, denen ein seltsam ... leerer Ausdruck inne war. Sie schien überhaupt nicht zu registrieren, was um sie her passiert war. Rowle widmete Kimmkorn ebenso wenig Aufmerksamkeit wie sie ihm. Sein Zauberstab zuckte nur einmal in Richtung des Fensters und schon stand sie auf, um sich davor zu stellen. Demütig senkte sie den Kopf, während Rowle Platz in dem Sessel nahm. Trotzdem – oder gerade deswegen? – konnte Minerva nicht aufhören, Kimmkorn anzustarren. Die herabhängenden Arme, die schlaffen Mundwinkel ... so hatte sie die Hexe nicht kennengelernt. »Oh, machen Sie sich jetzt auch noch Sorgen um die da?« Rowle lachte leise auf. »Da würde ich keine Bedenken haben. Das kleine Vögelchen wird schon belohnt werden für ihre so bereitwilligen, wenn auch unfreiwilligen Dienste.« Grinsend beschrieb er einen Kreis mit dem Zauberstab und prompt drehte Rita Kimmkorn sich auf der Stelle, als wäre sie die Tänzerin in einer Spieluhr. »Hach ja ...« Mit schiefgelegtem Kopf musterte Rowle das Schauspiel. »Jetzt können Sie nicht mehr sagen, dass ich unfähig bin. Der Imperius ist schließlich die hohe Kunst dunkler Magie. Kann nicht jeder einen anderen Geist unterwerfen.« Eine ungebetene Erinnerung stieg in Minerva herauf und sie drückte ihre Lippen fester aufeinander. Wenn Rowle nur wüsste, was sie in Gringotts getan hatte ... Der Junge nahm jedoch keine Notiz von ihrem missbilligenden Blick. Er lehnte sich nur weiter in seinem Sessel zurück und befreite Rita Kimmkorn aus ihrem erzwungenen Tanz. »Aber wissen Sie, Professor – auf Dauer wird es doch ziemlich langweilig, die Leute nur zu kontrollieren. Es fehlt einfach der ... Biss an der Sache. Der Kampf, der Widerstand –« Ein ähnlich wildes Flackern wie bei Voldemort, nur viel unbeherrschter, drängte in Rowles Augen hinauf. Er leckte sich die Lippen. »Anders als bei Ihnen. Sie brennen förmlich vor Stolz. Das zu brechen ist es, was wirklich Spaß macht.« Minerva hob ihr Kinn ein Stück höher, die Hände hinter dem Rücken zu Fäusten geballt. Egal wie sehr Rowle sie verhöhnte – nachgeben wäre schlimmer, als ihm den Kampf zu bieten, den er wollte. Sie beobachtete den Jungen dabei, wie er in seine Tasche langte und etwas Kleines, Goldenes hervorzog. Lässig drehte er das Ding zwischen den Fingerspitzen, warf es hoch; fing es wieder. Und von vorne. »Ich muss gestehen, Ihre Widerworte fehlen mir jetzt schon. Aber nicht mehr lange ...« Seufzend lehnte Rowle den Kopf gegen die Sessellehne. Ein ums andere Mal fing er seine kleine Goldkugel aus der Luft, die Augen fest auf ihre Flugbahn gerichtet. Mit den Fingerspitzen tastete Minerva nach den Seilen um ihre Handgelenke. Stück für Stück schob sie einen Finger unter das dicke Tau. Vielleicht konnte sie ihre Fesseln irgendwie lockern. Sie brauchte nur etwas, das ihr half, eine Idee gab ... Möglichst unauffällig nahm sie das Zimmer in Augenschein. Neben dem Bett gab es eine Kommode, einen kleinen Beistelltisch und einen zweiten Sessel. Außerdem einen großen Kleiderschrank, vor dem nun Rita Kimmkorn stand. Der Boden war mit dickem Teppich bedeckt, die Bettlaken ordentlich gemacht. Nichts davon lieferte Minerva eine Idee, wie sie sich befreien könnte. Egal, ob Rowle anwesend war oder nicht. Vorsichtig lugte sie zu Elphinstone hinüber. Der hatte den Kopf gegen den Bettpfosten gelehnt, die Lider halb geschlossen. Wenigstens hatte sich der Blutfleck auf seinem Hemd nicht vergrößert. Als er ihren Blick bemerkte, hob er einen Mundwinkel zum typischen Grinsen. Selbst ohne Worte wusste Minerva, was er ihr sagen wollte, und sie erwiderte die Geste; ganz automatisch. Sie musste einfach daran glauben, dass auch dieses Mal alles gut werden würde. Klong. Rowle stöhnte leise auf. Minerva fuhr herum und sah, dass ihm sein Spielzeug heruntergefallen war. Die Kugel rollte geradewegs an ihr vorbei unter das Bett. Sie bemerkte nur noch, wie das Gold im Dunkel verschwand. »Verdammtes Mistding«, fluchte Rowle leise. Sein Blick glitt zu Rita Kimmkorn, dann zurück zu der Stelle, wo die Kugel verschwunden war. Einen Moment lang schien er versucht. Minerva sah, wie seine Finger zum Zauberstab zuckten – doch schlussendlich erhob er sich selber und kam herüber. »Wir wollen ja nicht, dass es jemand kaputt macht oder benutzt«, zischelte er leise und in hoher, verstellter Stimme. »Dabei hat sie nur Schiss, weil sie nicht versteht, wie das Scheißteil funktioniert und warum es sich nicht herbeizaubern lässt.« Mit einem Ächzen, das kaum zu einem gerade volljährigen Jungen passte, kniete Rowle sich vor das Bett und tastete nach seinem Spielzeug. Was er schließlich hervorzog, ließ Minerva zusammenzucken. Das war nicht irgendeine Kugel. Es war Albus’ Vestigiator. Den Bellatrix ihr im Lestrange-Anwesen abgenommen hatte. Rowle registrierte ihre Bewegung aus dem Augenwinkel. Sofort war das Grinsen zurück auf seinem Gesicht. »Erkennen Sie wieder, was?« Er hielt ihr den Vestigiator direkt vor die Nase. »Ist schon praktisch das Teil, wenn man erstmal weiß, wie es funktioniert. Also echt, vielen Dank, dass ihr uns etwas gegeben habt, das uns eure Anwesenheit trotz Verwandlung verraten hat! Unser kleines Vögelchen musste der Leuchtspur nur folgen – und tadaaa!« Klatschend schlug Rowle seine Hände um den Vestigiator zusammen, sodass Minerva erneut zusammenzuckte. Ein Anblick, der den Jungen noch lauter lachen ließ. Doch ehe Minerva sich überhaupt von dem Schock erholt hatte, schrak sie bereits ein drittes Mal zurück. Etwas Hölzernes knallte gegen die Wand, laut wie ein Donnerschlag. Die Zimmertür, begriff Minerva, sie stand offen ... Ein greller Blitz schoss hindurch. Zauber oder Fluch – irgendwas traf Rowle in den Rücken, bevor seine Hand den Zauberstab erreicht hatte. Mit einem leisen Gurgeln sackte er vor Minervas Füßen zusammen. Im gleichen Atemzug verlosch seine Zaubersphäre. Rita Kimmkorn stieß einen spitzen Schrei aus und schon galt ein zweiter Zauber ihr. So schnell, dass Minerva nur hörte, wie ihr Körper auf den Boden traf. Im Türrahmen stand eine schmale Gestalt, den Zauberstab vor sich gestreckt. Erneut brach helles Licht aus ihrer Stabspitze hervor. Doch diesmal sammelte es sich bloß in einer Kugel unter der Decke. Und im Schein der Zaubersphäre erkannte Minerva ... Elladora. Ihr hellblaues Satinkleid in Kombination mit den offenen, blonden Haaren sah geradezu engelhaft aus, doch in Elladoras Gesicht war blanker Zorn geschrieben. Die Spitze ihres Stabs zielte in sämtliche Zimmerecken, während ihr Blick folgte. Erst, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sonst da war, schloss Elladora die Tür und eilte an Elphinstones Seite. »Finite Incantatem!«, fauchte sie. Die Seile waren nicht vollständig von Elphinstone abgefallen, da zog sie ihn bereits in die Arme. »Oh Elph! Bei Merlin, es tut mir so leid! Geht es dir gut? Haben sie dir etwas getan? Ich schwöre dir, ich bringe sie alle eigenhändig um –« »Ella, Ella ... alles gut, du erdrückst mich ja noch!« Elphinstone keuchte leise auf und schob seine Schwester auf Armlänge von sich, ein Strahlen im Gesicht. Ihr Blick hingegen fiel auf sein feuchtes Hemd. »Umbringen werde ich sie –« »Sag das nicht.« Elphinstone schüttelte matt den Kopf und umarmte sie seinerseits. »Bitte, Ella. Es wird alles wieder gut.« Ein Schluchzen verließ Elladoras Kehle, doch ihre Wangen blieben trocken. »Deine Zuversicht will ich haben ... Du hast ja keine Ahnung, wie schlimm es steht!« Sie umfasste Elphinstones Hände und drückte sie fest. »Dennoch, ich muss dich um etwas bitten –« »Ah, Ella?« Elphinstone sah zu Minerva herüber, die nach wie vor stocksteif an den Pfosten gefesselt war. »Könntest du erst ...?« »Oh, ja ... Verzeih.« Ohne Minerva überhaupt anzusehen, wirkte Elladora den Finite-Zauber erneut. Erleichtert sackte Minerva nach vorne, als die magischen Seile auch von ihr abfielen. In Windeseile entriss sie Rowle Vestigiator und Zauberstab. Keine Sekunde später war er derjenige, der gefesselt dalag. »Hör zu, Elph«, flehte Elladora indes, »uns bleibt nicht viel Zeit. Ich habe den jungen Lestrange auf dem Weg hierher erwischt und in eine Besenkammer gesperrt, aber früher oder später wird Gideon misstrauisch werden. Bitte, du musst mir zuhören!« »Ella ...« Elphinstone sah besorgt zwischen ihr und Minerva hin und her. »Was ist hier los? Wieso bist du hier? Was ist mir dir passiert –« »Dasselbe könnte ich dich fragen!« Mit einem gequälten Laut grub Elladora ihre Finger in Elphinstones Schultern. »Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es war, heute hierherzukommen? Woher weißt du überhaupt hiervon?« »Winkelgasse«, stammelte Elphinstone, »wir waren in der Winkelgasse ...« »Oh verflucht.« Elladora seufzte tief. »Nun, ich kann es nicht mehr ändern. Vermutlich ist es Schicksal, dass ihr hier seid. Ich habe etwas, wovon das Ministerium dringend erfahren muss.« Sie griff in ihren Ausschnitt und zog ein winziges Glasröhrchen hervor, in dem blaue Fäden durcheinanderwirbelten. Elphinstone formte bereits Widerworte, doch Elladora drückte ihm die Erinnerungsphiole in die Handfläche und schloss seine Finger darüber. »Ich will das niemandem außer dir anvertrauen, Elph. Am besten, die Ministerin sieht es mit eigenen Augen. Überzeug sie. Du kannst das.« Besorgt sah Elphinstone zu ihr auf. »Was zeigt die Erinnerung darin?« »Ich kann es nicht sagen. Bitte, Elph, vertrau mir!« »Natürlich tue ich das!« Ein schiefes Lächeln strich über Elphinstones Gesicht. »Du bist schließlich meine Schwester!« »Aber ich habe Fehler gemacht. Und jetzt sind wir alle in großer Gefahr. Oh Elph, es tut mir so leid ...« Elladora senkte den Kopf und Minerva sah, wie ihre Schultern bebten. Dann holte sie tief Luft, ehe sie wieder voller Entschlossenheit aufsah. Ihre Augen glänzten wie blanker Stahl, als sie Minerva anschaute. »Ich kann nur einen von euch hier rausbringen. Ich habe einen Einwegportschlüssel geschaffen, nachdem ich von Gideon gehört habe, dass Elph hier ist, aber der hält natürlich nur eine Person aus. Ich wusste nicht, dass ihr zu zweit seid, und jetzt ist die Zeit zu knapp, um etwas am Plan zu ändern.« »Dann reise ich durch den Kamin zurück«, bot Minerva an. »Ich kann mich per Zauber verwandeln, das müsste reichen –« »Nein. Unten löschen sie die Erinnerungen aller, die abreisen. Ganz abgesehen davon wird aufgzeichnet, wohin die Leute reisen. Wenn du ins Ministerium reist, war alles umsonst.« Ausgerechnet jetzt sah Minerva einen triumphierenden Mulciber vor sich ... Mulciber! Wo war er? Mit ihm gemeinsam konnte sie vielleicht doch noch etwas bewirken. »Dann brauche ich den Vielsafttrank, den unser Bekannter versteckt hat. Irgendwo in einer Pflanze, ein ...« »Ficus Benjamina Exotica«, ergänzte Elphinstone leise. »Eine Birkenfeige. Da hat Mulciber die Phiole versteckt.« Elladora zog die Augenbrauen zusammen. »Alston ist auch hier ...?« »Wir waren zu dritt, aber wir haben uns getrennt ... lange Geschichte.« Einen Moment sah Elladora geradewegs durch Minerva hindurch, dann besann sie sich mit einem Kopfschütteln wieder. »Gut, ich werde versuchen, den Vielsafttrank zu finden, während Elph ins Ministerium reist. Vielleicht kann ich ja dann glauben, dass alles wieder gut wird.« Sie griff in eine Falte ihres Kleids und zog Elphinstones Zauberstab hervor. »Hier. Entschuldige, ich habe leider nur einen Zauberstab geholt. Ist das überhaupt deiner? Ich habe versucht ihn aufzurufen, aber es kam nur dieser hier ...« »Das ist der Richtige. Die Lestranges haben meinen alten zerbrochen.« »Oh ...« Elladora schluckte. »Gut, dann ... sprich mit niemandem außer der Ministerin, klar? Anderen ist nicht zu trauen.« »Ella ...« Immer noch verwirrt sah Elphinstone sie mit offenem Mund an. »Bitte, Elph«, flehte Elladora wieder. »Ich kann es einfach nicht erklären. Ich kann nicht, verstehst du? Es ist eine wichtige Erinnerung und sie muss das Ministerium rechtzeitig erreichen, mehr kann ich nicht sagen. Ich darf hier nicht weg, sonst fällt das ganze Kartenhaus in sich zusammen.« Langsam nickte Elphinstone, auch wenn er kein Stück beruhigt aussah. Schließlich glitt sein Blick weiter zu Minerva. »Min –« »Sag jetzt bloß nichts«, wiegelte diese ab. »Ich komme schon klar. Immerhin habe ich den hier.« Sie wedelte mit Rowles Zauberstab. Wenig überzeugt sah Elphinstone darauf. Doch er bohrte nicht weiter nach. Stattdessen fragte er: »Und was ist mit der reizenden Miss Kimmkorn?« Elladora warf einen finsteren Blick auf die reglose Reporterin. »Ich werde sie und den Jungen hier sichern, genau wie Lestrange –« »Das meinte ich nicht. Sie ist schließlich keine von denen.« Elphinstone drückte Elladoras Zauberstabhand sanft. »Ella, diese Leute haben sie auch nur benutzt – der Imperiusfluch, du verstehst?« »Mh. Nun, woher sollte ich das wissen, bei allem, was die miese Kröte verzapft hat? Zumal sie Informationen hatte, die ich niemandem je freiwillig erzählt hätte ...« »Shhh, Ella, ich weiß. Sie hat eine Menge Mist geschrieben. Aber vielleicht kann sie diesmal etwas für uns tun. Denn auch wenn sie eine miese Reporterin ist, ist sie immer noch eine Reporterin. Vertrau du auch mir, ja?« »Schön.« Missgelaunt schnippte Elladora mit dem Stab. Aus Rita Kimmkorns Richtung kam ein leises Stöhnen, dann setzte die junge Hexe sich abrupt auf. Ihre auftoupierten Locken standen wirr vom Kopf ab und die knallroten Lippen formten ein großes O. Auf allen vieren krabbelte sie rückwärts. »Ich wollte nicht ... Ich –« »Halten Sie die Luft an.« Elphinstone stand auf und ging zu ihr hinüber, seine Stimme mit einem Mal viel fester als eben. Kimmkorn starrte ängstlich zu ihm hoch. »Ihnen ist klar, was mit Ihnen passiert ist, oder?« Ein paar Mal öffnete Kimmkorn den Mund, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann nickte sie schlicht. »Imperius.« »Richtig.« Die Hände in die Hüften gestemmt, schlug Elphinstone einen etwas freundlicheren Ton an. »Ich werfe Ihnen das nicht vor, Miss Kimmkorn. Auch wenn ich wahrscheinlich einigen Grund hätte, Sie nicht leiden zu können.« Endlich schloss Kimmkorn den Mund. Sie tastete nach ihrem Block und der Feder und presste sie fest an ihre Brust. »Ich habe nur berichtet, was die Öffentlichkeit interessiert! Sie haben ein Anrecht, alles zu erfahren –« »Lügen«, zischte Minerva. »Lügen haben Sie berichtet!« Elphinstone hob eine Hand in ihre Richtung. »Nun, Miss Kimmkorn, wie auch immer Sie Ihre Art der Berichterstattung schimpfen wollen, wir sind uns bestimmt einig, dass Sie über die heutigen Vorgänge besser die Wahrheit berichten sollten. Sonst könnte ich mal überlegen, welche Geschichten es so über Sie zu erzählen gibt. Immerhin haben Sie da ... ein kleines Geheimnis.« Langsam ging er vor Kimmkorn in die Hocke. Diese drückte ihre Notizen enger an die Brust. Ihr Rouge auf den bleichen Wangen schien inzwischen doppelt so grell. »Niemand muss Ihr Geheimnis erfahren, Miss Kimmkorn«, fuhr Elphinstone ungerührt fort. »Solange Sie über diese Veranstaltung hier die Wahrheit und nichts als die Wahrheit berichten. Das können Sie doch, nicht?« Er deutete auf den Block in ihren verkrampften Händen. »Wenn Sie eine vernünftige Reporterin sind, dann haben Sie Ihre Schreibutensilien ja sicher mit einem Gemineo-Zauber belegt, der ihren Zustand auf ein zweites Pergament in Ihrer Redaktion spiegelt. Richtig?« Hastig nickte Kimmkorn. »Wunderbar. Dann schreiben Sie da alles drauf, so wie es passiert. Keine Vermutungen, Theorien oder sonstige Einwürfe Ihrerseits. Sie schreiben einfach nur die Wahrheit. Sodass jeder erfährt, was heute geschehen ist, inklusive dem Geschehen in genau diesem Zimmer, und allem, was womöglich noch geschehen wird. Sie werden sich wie eine Zecke an diese Leute haften und denen all ihre dreckigen Geheimnisse entlocken, verstanden? Sie werden die ungeschönte Wahrheit über Lord Voldemort und seine Leute schreiben. Denn das ist es, was die Öffentlichkeit wirklich erfahren muss. Nicht, dass anderen dasselbe passiert wie Ihnen.« Inzwischen schneeweiß im Gesicht, nickte Kimmkorn erneut. »Etwas anderes hatte ich nie vor, auch wenn man mich eingeladen hat. Aber ich bin nicht käuflich!« »Natürlich nicht. Und Sie wollen sich natürlich genauso wenig von diesen Leuten für ihre Propaganda benutzen lassen. Vor allem nach dem, was man Ihnen angetan hat.« Elphinstone lächelte ihr zu und klang von einer auf die andere Sekunde wieder ganz wie sonst. »Dann sollten Sie sich lieber beeilen, Miss Kimmkorn. Nicht, dass man Sie noch vermisst unten. Bestimmt haben Sie noch ein paar Interviews zu führen?« Mit zitternden Fingern strich Kimmkorn durch ihre Haare. In ihren Augen lauerte weiterhin die Furcht, doch als sie aufstand, kam Minerva nicht umhin, ihre gekonnte Fassade zu bewundern. »Natürlich, Mr Urquart«, sagte Kimmkorn, nun wieder in ihrem üblichen Singsang. Schon zierte ein breites Lächeln ihre roten Lippen. »Und ich werde sehr gerne auch noch ein Interview mit Ihnen und Mrs Rosier auf die Liste setzen, wenn ich hier fertig bin.« Fast konnte man meinen, es wäre eine Drohung. Doch Rita Kimmkorn zwinkerte bloß und verschwand zur Tür hinaus. Es gelang Minerva nur ein paar Sekunden, die Frage, die in ihr brannte, zurückzuhalten. »Woher weißt du von ihrem Geheimnis, Phin? Weißt du etwa, wie sie uns in deinem Büro belauschen konnte?« »Oh, nein«, gestand Elphinstone sofort. »Das weiß ich leider nicht.« Seine Schultern sackten nach unten. Er rieb sich die Stirn und Minerva sah genau, dass auch seine Finger zitterten. Trotzdem lächelte er wieder, als er ihren Blick auffing. »Ich habe wirklich keine Ahnung, was Rita Kimmkorns Geheimnis ist. Aber eins haben mich die Jahre als Strafverfolger gelehrt – Leute wie sie haben immer ein Geheimnis. Der Rest ist einfach nur ... ein Bluff.« Ungläubig schnaubte Minerva. Selbst Elladora hob überrascht eine Augenbraue. »Du bist unfassbar!«, fluchte Minerva schließlich. Das veranlasste Elladora zu einem trockenen Lacher. »Eine einzige Lüge ist ein kleiner Preis für die Wahrheit.« »Aber – verdammt, ich habe das gerade wirklich geglaubt!«, stieß Minerva dennoch hervor. Elphinstone hob entschuldigend die Schultern. »Das ist gut, dann tut Rita Kimmkorn das erst recht. Und was immer es ist, sie wird nicht wollen, dass jemand ihr Geheimnis erfährt. Vielleicht erreicht so mit ihrer Hilfe die Wahrheit über die Machenschaften Voldemorts und seiner Anhänger möglichst viele Menschen da draußen. Selbst wenn wir ... scheitern.« Minerva ballte die Hände zusammen. »Denk nicht einmal daran, Phin!« Er legte seinen Kopf schief. Für einen Moment sahen sie einander bloß an; ein stummer Austausch. Elphinstones Augen schimmerten hell und doch so warm im Licht der Zaubersphäre, dass Minerva sich direkt an den Loch Ness zurückversetzt fühlte. Unweigerlich schlug ihr Herz schneller. Sie hatte Angst vor dem, was jetzt kommen würde. Wollte es nicht aussprechen – »Es wird Zeit.« Erbarmungslos durchbrach Elladora die plötzliche Stille. »Du musst gehen, Elph.« Ohne große Gesten erhob sie sich und zog einen winzigen Wachsklumpen hervor, den sie mit einem Zauberstabschwung in seine Ursprungsform zurückverwandelte. Behutsam platzierte sie die Kerze auf dem Bett. »Wenn ich den Portschlüssel aktiviere, hast du 20 Sekunden bis zur Abreise. Er bringt dich direkt bis nach London, drei Straßen vom Ministerium entfernt. Danach ist er nutzlos.« »Okay.« Elphinstone stand auf und Minerva tat es ihm gleich. Unschlüssig betrachteten sie den Portschlüssel, der dort auf dem weißen Laken thronte. Bevor ihnen überhaupt ein Wort über die Lippen kam, suchten ihre Hände einander. Schon brannten Minervas Augenwinkel, als sie die sanfte Berührung von Elphinstones Fingern spürte. Wieder zeichnete er diese Kreise auf ihren Handrücken, die sich längst tief in ihr Inneres eingeprägt hatten. Eine Versicherung, dass alles gut werden würde. Aber für gewöhnlich auch eine, dass er bei ihr war. Zaghaft lächelnd umfasste Elphinstone mit der freien Hand ihre Wange. »Denk an unser Versprechen, ja?«, flüsterte er, als wären sie ganz alleine. Er drückte seine Stirn sacht an ihre. »Ich will, dass wir uns wiedersehen.« Minerva schluckte gegen den aufsteigenden Knoten im Hals an. »Gleiches gilt für dich. Ich habe dich schließlich vor kurzem erst gerettet, das soll nicht umsonst gewesen sein.« Elphinstones schiefes Lächeln blitzte wieder auf und wie schon in der Nacht zuvor sog sie den Anblick in sich auf. Sie füllte ihr Herz mit der Erinnerung an einfach jede kleine Sommersprosse in seinem Gesicht. Für all die schlechten Zeiten, die ihnen jetzt vielleicht bevorstanden. Er erwiderte diesen Blick mindestens ebenso intensiv, bis er seine Lider senkte und sie fast schon zu vorsichtig küsste. Jedenfalls kam es Minerva so vor, als wäre die Berührung nur der Hauch eines Schnatzflügelschlags. Doch es war ihr egal, dass Elladora neben ihnen stand oder wie ungünstig dieser Moment war. Energisch zog sie Elphinstone näher heran, damit mehr blieb als ein flüchtiger Eindruck. Er schmeckte entfernt nach dem Goldlackwasser, das sie getrunken hatten und das scharf in ihrer Kehle brannte, doch sie wollte sich trotzdem kaum lösen. Und nur der Vernunft zuliebe tat sie es letztlich. Hinter feuchten Wimpern hervor sah Elphinstone sie für eine kleine Unendlichkeit an. »Ich liebe dich«, hauchte er schließlich auf ihre Lippen. »Und bei den Gründern, ich möchte dir das noch viel öfter sagen können. Also sei bitte vorsichtig, ja?« Der Knoten in Minervas Hals wuchs auf Quaffelgröße an. Gerade so brachte sie ein tapferes Nicken zustande. »Natürlich. Immerhin ...« Sie schluckte. »Immerhin will ich es auch noch öfter hören.« Von allen weiteren Worten verlassen, riss sie ihn ungeachtet des Blutflecks auf seinem Hemd in die Arme und drückte ihn, so fest sie konnte. Vergrub ihr Gesicht ein letztes Mal an seiner Schulter. Atmete den Duft aus Pflanzen, Wolle und Geborgenheit ein. Als wäre seine Liebe etwas, das sie auf diesem Weg festhalten konnte. Ihn jetzt alleine gehen zu lassen, tat unendlich stärker weh, hatte sie doch inzwischen viel mehr zu verlieren. »Tha mo chridhe leat«, flüsterte sie mit rauer Stimme in den winzigen Spalt zwischen ihren Körpern, in dem die Welt nur ihnen beiden gehörte. Erst dann trat sie drei Schritte zurück, auch wenn es eine Meile zu sein schien. Stück für Stück glitt ihre Hand aus Elphinstones. Schon lagen nur noch ihre Fingerspitzen aufeinander, streckten sich in letzter Verzweiflung, und plötzlich war da nur mehr kalte Luft. Genau wie Minerva nahm Elphinstone einen tiefen Atemzug. Er sah auf ihre immer noch ausgestreckten Finger, bevor er rückwärts zum Bett ging und sich vor den Portschlüssel stellte. »Es kann losgehen«, murmelte er an Elladora gewandt, als wäre gerade rein gar nichts geschehen. Doch den Schein konnte nicht einmal Elladora wahren. Ein eigenartiger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, begleitet von einem feuchten Schimmer ihrer Augen, die sie überall hin richtete, nur nicht zu Minerva. Ein paar Sekunden lang rang Elladora stumm die Hände vor ihrem Bauch, dann stürzte sie vorwärts und schlang die Arme um Elphinstone. »Oh Elph ...« Sie schluchzte leise auf. »Es tut mir so leid, dass ich dich da mit hineinziehe. Ich hab dich doch so lieb. Und Ma, Pa, Wynn, Eily – sag ihnen das, ja? Sag ihnen, dass es mir leidtut und ich sie lieb habe.« »Du sagst ihnen das selber! Wir bekommen das alles wieder hin –« Elphinstone packte Elladora fest an beiden Schultern und sah ihr in die Augen. »Es wird alles gut, Ella. Ich hab dich doch auch lieb. Und mit meiner Hilfe wirst du wieder nach Hause kommen, ja?« Mit einem schwachen Seufzen zog Elladora seine Hände von sich. »Ich hoffe wirklich, dass du diesen Optimismus nie verlierst.« Sie drückte einen Kuss auf Elphinstones Stirn. »Ich habe dich so lieb, kleiner Bruder.« Bevor er etwas erwidern konnte, schwang sie den Zauberstab. Die Kerze schien von innen heraus zu glühen und ein kaum wahrnehmbares Summen erfüllte den Raum. »Ella ...« »Du musst gehen. Jetzt.« Unglücklich sah Elphinstone seine Schwester an, doch schließlich legte er seine Hand auf das Wachs. Nacheinander sah er Elladora und Minerva ein letztes Mal an. »Dann ... bis später.« Aus den tiefsten Reserven ihrer Zuversicht fand ein Lächeln den Weg auf Minervas Lippen. »Bis später«, flüsterte sie, als der Portschlüssel Elphinstone in einem Wirbel davontrug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)