Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 26: Flammendes Crescendo -------------------------------- Einst musste das einsame Anwesen im Schein seiner Kronleuchter erblüht sein, doch jetzt versank es im Dunkel der Nacht, das sein Bestes tat, um die marode Eleganz zu verschleiern. Trotzdem erkannte Minerva Risse im Putz, Dellen im Parkett und Rost auf den dekorativen Schwertern entlang der Wände. Wo immer die Bande der Lestranges mit ihr und Elphinstone hin appariert war – es schien schon lange niemand mehr hier zu leben oder sich auch nur zu kümmern. Die Hände mit Zauberseilen auf den Rücken gefesselt, trieben die Entführer sie vor sich her. Da es keiner für nötig gehalten hatte, ihnen die Augen zu verbinden, konnte das nur eines bedeuten – die Lestranges waren überzeugt, dass sie diesen Ort nicht lebend verlassen würden. Ein Grund mehr für Minerva, sich jedes Detail des Weges für ihre Flucht einzuprägen. Die meisten Möbel waren unter staubigen weißen Laken verborgen und die Kerzenhalter leer. Nur hin und wieder fiel Mondlicht durch die hohen Fenster in die Gänge. Minerva kannte Häuser wie dieses. In den Hügeln um Caithness gab es ein ähnliches Gemäuer, das bloß von Mäusen bewohnt wurde. Unter den Dorfkindern war es eine beliebte Mutprobe, sich bis zum Dachgiebel zu schleichen und dort den Namen in die Holzbalken zu schnitzen. Ihr eigener Name stand so weit oben wie kein anderer – Magie zum Dank. Die Erinnerung ließ kurz Wärme in Minervas Brust aufglimmen, ehe eine Zauberstabspitze in ihr Kreuz stieß und sie vorwärts stolperte. »Schneller, Miststück.« Mit dem letzten Avada Kedavra hatten sich bei Rodolphus Lestrange die Höflichkeitsformen offenbar ebenso verabschiedet wie seine Moral. Minerva straffte die Schultern und schritt hoch erhobenen Hauptes weiter. Aus dem Augenwinkel fing sie Elphinstones Blick auf, eine Mischung aus Sorge und Trotz. Sie wagte es nicht, etwas zu sagen, nicht einmal auf Gälisch, aber sie hoffte, dass er ihren ungebrochenen Kampfgeist erkannte. Vor ihnen schwang eine hölzerne Flügeltür von alleine auf und gab den Weg in einen geräumigen Salon frei. Wie im Herrenhaus von Caithness zierten Porträts die Wände. Deren Ölfarben schimmelten bereits und entstellten die Gesichter der streng dreinsehenden Menschen darauf. Samtumhänge raschelten, als sich ihre Träger in den Rahmen vorbeugten, um die Neuankömmlinge besser zu sehen. Der Rabe auf der Schulter eines Porträtierten krächzte. Durch Patina und Staub schimmerte überall im Zimmer ein doppelt geschwungenes L, die Buchstaben Rücken an Rücken. Also waren sie in einem Anwesen der Lestranges, sicher ein gutes Jahrhundert alt. Zweifelsohne ein unbedeutendes Landhaus in einem ganzen Reigen an ungenutzten Immobilien – für ein wichtiges Objekt war der Zahn der Zeit zu offensichtlich. In einem gewaltigen offenen Kamin, dessen goldenes Gitter einen Raben mit ausgebreiteten Flügeln formte, brannte ein Feuer und davor saß ein schmaler Zauberer. Er wies ein ähnlich scharf geschnittenes Gesicht unter dunklem Haar auf wie Rodolphus Lestrange. Sein Bruder, Rabastan. Nur ein Annehmbar im ZAG in Verwandlung, flüsterte Minervas lästiges Lehrerinnengewissen. »Na endlich! Was hat euch aufgehalten?« Rabastan erhob sich und zupfte seinen samtschwarzen Umhang am Revers grade. »Etwa die zwei? Und wo ist unsere liebe Emily? Will sie ihr Kind gar nicht sehen?« Die Art wie er den Namen der toten Frau in den Mund nahm und dabei die weinerliche Stimme ihres Mannes nachahmte, trieb Minerva die Wut in den Bauch. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Hinter ihr knurrte Rodolphus etwas Unverständliches. Bellatrix hingegen lachte kurz und freudlos auf. »Kleine Planänderung, Bast. Die jammernde Verräterin ist tot, aber wir haben jetzt etwas Wertvolleres. Frisches Blut.« Elphinstone stolperte unter einem Stoß ihres Zauberstabs auf die Knie. Geringschätzig ließ Rabastan den Blick erst über ihn, dann zu Minerva gleiten. »Eine Lehrerin und ...?« »Urquart«, grollte Rodolphus leise. »Aus dem Ministerium.« Er versetzte Minerva einen Stoß, der sie neben Elphinstone auf den Boden beförderte. Rabastan pfiff durch die Zähne. »Nett. Reines Blut also. Mit Tradition noch dazu.« »Ich sag ja, dass er wertvoller ist.« Bellatrix beugte sich zu Elphinstone und hob sein Kinn mit dem Zeigefinger an. »Ein wahres Prachtexemplar, Generationen von Zauberern und Hexen in der Familie – und trotzdem ein offener Blutsverräter. Keine Verschwendung also.« Elphinstone spannte die Schultern an. Er entzog sich Bellatrix‘ Griff so weit es ihm möglich war. Die Geste entlockte Bellatrix ein Zucken der Mundwinkel. Sie streckte sich wieder und klopfte ihre Hände ab, als hätte sie etwas Dreckiges berührt. »Was die reizende Professor McGonagall angeht – nun, das ist Thorfinns Belohnung für die Arbeit an den Tränken und Bannen.« Mit klappernden Absätzen spazierte Bellatrix an Minerva vorbei. Den regennassen Umhang warf sie im Vorbeigehen zu einem der Sofas, bevor sie auf die Lehne eines Ledersessels sank und das Bild betrachtete, welches Minerva und Elphinstone ihr boten. »Glaub mir Bast, das war es wert, die anderen aufzugeben. Diese beiden werden mehr Unterhaltung zu bieten wissen als die Muggel.« »Also sind sie alle weg, ja? Etwas Besseres habt ihr nicht hinbekommen?« Minerva keuchte, als Rodolphus sie im Vorbeigehen gegen die Seite trat. »Das nächste Mal«, zischte er an seinen Bruder gewandt, »kannst du gerne gehen und dich von einem verfluchten, trollarschigen Muggel anschießen lassen!« Rabastan senkte die Arme, trat einen kleinen Schritt in Richtung Rodolphus und schien es sich schlussendlich anders zu überlegen. Er bemühte sich um Haltung, doch mit den geweiteten Augen in seinem bleichen Gesicht sah er zum ersten Mal aus wie der gerade volljährige Junge, der er war. Indes trampelte Rodolphus zu seiner Frau – ein Gedanke, der Minerva nach wie vor unendlich falsch erschien – und riss sich den Umhang vom Leib. Sein einst weißes Hemd darunter war von dunklem Blut verklebt, das aus seiner Schulterwunde sickerte. In seinem Gesicht zeichneten sich überdies immer noch die Spuren des verwandelten Vorhangs in Form roter Striemen ab. Ein zufriedenes Schnauben konnte Minerva sich bei diesem Anblick nicht verkneifen. Das geschah ihm recht. Für alles, was er den Winters angetan hatte, hätte er sogar Schlimmeres verdient. »Oh, wir finden das also witzig ...« Mit zusammengekniffenen Lippen musterte Rodolphus sie und drehte Elphinstones Zauberstab durch die Finger. »Mal sehen, wie lange noch.« »Die Befriedigung können Sie mir nicht nehmen, Mr. Lestrange, egal mit welchen Flüchen Sie mich quälen. Und wenn ich das Gefühl mit ins Grab nehme.« Bei diesen Worten löste Bellatrix die Augen von Minerva und warf ihrem Mann einen scharfen Blick zu. »Lass es dir eine Lehre sein, dich nicht noch einmal derart überwältigen zu lassen.« Ihr Zauberstab beschrieb einen harten Stoß erdwärts. Fast erwartete Minerva, Rodolphus würde auf die Knie stürzen – stattdessen stöhnte Elphinstone neben ihr auf. Ein Keuchen entwich ihr, als sie sah, wie er sich vornüber krümmte. »Phin ...« Ihre Worte waren bloß ein Flüstern, aber alles in ihr schrie. Sie wollte ihn in den Armen halten, Bellatrix den eigenen Zauberstab in ihr schwarzes Herz rammen ... Elphinstone verkrampfte sich und sog scharf den Atem ein. »Nicht«, hauchte er an Minerva gewandt. Sie sah nur seinen Rücken und die dahinter zusammengebunden Hände, aber seine Stimme reichte, damit sie die Vorstellung erfüllte, wie er sie andernfalls anschauen würde, ein beschwichtigendes Lächeln auf dem Gesicht. Ihre Finger zuckten voller Verlangen, ihn zu berühren. Ein Meter lag zwischen ihnen – ein unüberwindbarer Meter, solange sie gefesselt war. Blut benetzte ihre Zunge, als sie zu fest auf die Unterlippe biss. Rodolphus lachte auf und Rabastan fiel mit ein. »Dacht ich’s mir doch.« Auch auf Bellatrix‘ Gesicht zeichnete sich Befriedigung ab. »Zu süß. Der Anblick entschädigt doch ein wenig für alles, was wir heute ertragen mussten.« Mit diesen Worten stand sie auf und trat zu ihrem Mann, die Augen auf seine Schusswunde gerichtet. Sie schob die Ärmel ihrer hochgeschlossenen schwarzen Bluse zu den Ellenbogen hoch, als wäre sie eine Heilerin, obwohl sie mehr wirkte wie eine Schlachterin. Der Anblick erinnerte Minerva an Elladoras finsteres Mal. Zu Bellatrix hätte es gepasst – ironisch, dass ihre bleiche Haut unberührt war. Nachdem sie leichtfertig getötet hatte, sogar ihren Verbündeten, war es blanker Hohn, wie sie die Kugel aus Rodolphus‘ Schulter zauberte und innerhalb weniger Handgriffe nur noch sein Hemd von der Verletzung zeugte, die Detective Hammonds Leben rächen sollte. Seufzend sank Rodolphus in den Ledersessel und Bellatrix nahm wieder ihren Platz auf der Lehne ein. Dieses Mal ruhte eine Hand auf dem Knie ihres Mannes. »Nun, dieser kleine Moment reicht allerdings noch lange nicht, denkst du nicht auch – Liebster?« Die beiden tauschten einen Blick, der zwar nicht von Liebe, aber einer verqueren Zuneigung sprach. Ein Blick, der es Minerva kalt den Rücken herablaufen ließ. Einer von ihnen war bereits gefährlich, doch gemeinsam ... Scheinbar nachdenklich streckte Rodolphus sich und betastete seine Schulter. »Hmm ... mir fällt da noch eine schöne Bestrafung ein.« Er drückte Bellatrix Elphinstones Zauberstab in die Hand und zog dafür Minervas aus der Tasche seines Umhangs. »Liebste, warum sollte es Bluts- und Magieverrätern erlaubt sein, noch einen Zauberstab zu besitzen? Sollen sie doch leben wie die Muggel, die sie so lieben!« Bellatrix strich andächtig über den blutbeschmierten Zauberstab in ihren Händen. »Oh, da stimme ich dir vollkommen zu. Ein Zauberstab sollte ein Privileg sein, das nicht jedem zuteilwird. Ich denke ohnehin nicht, dass unsere Gäste sie noch einmal benötigen werden.« Minerva starrte beide an. Ihre Fingernägel gruben sich immer tiefer in ihre Handflächen. Sie würden doch nicht ...? An ihrer Seite hob Elphinstone wieder den Kopf. »Was gewinnt ihr damit?« Seine Stimme klang gepresst. »Glaubt ihr, ihr werdet ewig damit davonkommen, Leute zu foltern – zu töten, wie es euch passt? Glaubt ihr, mit unseren Zauberstäben könnt ihr auch unseren Widerstand brechen? Glaubt ihr, wir werden die letzten sein, die euch zur Rechenschaft ziehen wollen?« »Nenn mir einen Grund, weshalb mich das hier und jetzt aufhalten sollte.« Rodolphus hob die Augenbrauen und tauschte einen Blick mit seinen Mitverschwörern. »Richtig, es gibt keinen. Du bist alleine hier, an einem Ort, den dein Ministerium nicht einmal kennt. Hier schreiben wir die Gesetze.« Er packte Minervas Zauberstab zwischen beiden Händen, hielt ihn hoch – und brach ihn mit roher Gewalt entzwei. Das trockene Splittern von Holz war nicht bloß ein harsches Knacken, das dumpf in Minervas Innerstem widerhallte. Da war mehr, als würde ein Teil ihrer Seele es dem Stab gleichtun und bersten. Etwas, von dem sie bisher nicht gemerkt hatte, dass es ihr innewohnte, entglitt ihrem Gefühl und die Leere schmerzte umso stärker. Sie hatte nicht erwartet, dass es so wehtun würde, ihren Zauberstab zu verlieren. Erstarrt sah sie auf die Bruchstücke, die Rodolphus achtlos zu Boden warf, die Drachenherzfaser zerrissen, genau wie ihr eigenes Herz. Entfernt registrierte sie, dass Elphinstone sich nach ihr umsah. Wut erfüllte sie, ein hässlich heißes Gefühl, das verlangte, Rodolphus, Bellatrix – ihnen allen – das gehässige Grinsen vom Gesicht zu wischen. Wut, der sie nicht nachgeben konnte. Sie war gefesselt – wehrlos, eine Erkenntnis, die fast so schwer wog wie der Verlust. Es war nicht nur ein Werkzeug, das der Junge sorglos zerbrochen hatte, der Stab war ein Teil von ihr gewesen – die Essenz all ihres magischen Könnens, die ihr seit Jahren so selbstverständlich erschienen war. Bellatrix lachte laut auf, schrecklicher noch als das hämische Keckern eines Erklings. Ihre schmalen Finger wanden sich um Elphinstones Zauberstab und mit demselben scheußlichen Knacken zerbrach auch er. Elphinstone löste den Blick nicht von Minerva, doch in seinen Augen erkannte sie, dass er ihr Gefühl teilte. Das Grau seiner Iriden war auf einen Schlag viel dunkler, wie der Regenhimmel über Leeds. Ein seliges Lächeln erhellte Bellatrix‘ Gesicht, während die Bruchstücke zu Boden fielen. »Jetzt dürft ihr am eigenen Leib die Macht der Magie erfahren.« Auf ein Winken von ihr rissen die Zauberer im Hintergrund Minerva und Elphinstone auf die Beine. Rabastan trat vor und versenkte die Hände in den Taschen ihrer Umhänge. Er nahm ihnen alles ab, was sie noch bei sich trugen, von vereinzelten Shillingen über Elphinstones nutzlose Dienstmarke bis hin zu dem Vestigiator, den Minerva vollkommen vergessen hatte. Sogar den einsamen Zitronenbonbon fischte er mit den letzten Staubflusen hervor. Sämtlichen Plunder ließ er mit einem Evanesco verschwinden, ebenso wie ihre Muggelschutzwesten, doch die Ministeriumsmarke und den Vestigiator gab er an Bellatrix weiter. Beides landete in ihrer Rocktasche und mit einem zufriedenen Lächeln wies sie die übrigen Zauberer an, Elphinstone und Minerva fortzubringen. »Macht es ihnen bequem, ich werde mich zuerst unserem frisch geborenen Halbblut annehmen. Aber keine Sorge, Urquart – wir sehen uns bald genug wieder.« Das Letzte, was Minerva sah, bevor sich doch eine Stoffbinde vor ihren Augen materialisierte, war Elphinstones stilles Bedauern. Erneut bohrte sich die Spitze eines Zauberstabs in ihren Rücken und sie wurde zurück in den Gang geschleift. Mit harschen Stichen der Stabspitzen lenkten ihre Entführer sie vor sich her. Links herum, rechts herum, immer wieder. Minerva versuchte, sich den Weg zu merken, doch ihre Gedanken glitten stets fort; zu Elphinstone, zu Robbie, zu Detective Hammond. Einzig das Zählen ihrer Schritte half, den rasenden Strom in ihrem Kopf zurückzudrängen. 256, 257, 258 – ihr Fuß verlor den Halt und sie trat ins Nichts. Die Schulter voran rammte sie eine Wand. Fast wäre sie ins Ungewisse vornübergestürzt, doch in letzter Sekunde gelang es ihr, sich auf den Hintern fallen zu lassen. Irgendwer lachte dreckig und packte sie grob am Kragen, damit sie wieder auf beiden Füßen stand. »Los, runter mit euch!« Eine Treppe also. Mit jeder Stufe tiefer wurde es zusehends kühler, ehe sie unten angelangten und begleitet von einem rostigen Quietschen eine Tür geöffnet wurde. Feuchte, muffige Luft schlug Minerva entgegen, als wäre der Keller ewig nicht mehr betreten worden. So uneben, wie sich der Boden anfühlte, stellte sie sich einen alten Gewölbekeller vor. Bei jedem Schritt entlockten ihre Absätze dem Stein ein harsches, widerhallendes Geräusch. Der Raum musste groß sein, gewaltig im Vergleich zum Keller der Winters. Das Unangenehmste war jedoch die Kälte. Ein Schauer lief Minerva über den Rücken. Als nähme sie mitten im Winter ein Bad im schwarzen See. Es fehlten bloß Wind und Schneefall, um den eisigen Wintertag zu vervollständigen. Nur zweimal im Leben war ihr so kalt gewesen. Nach einem unfreiwilligen Zusammenstoß mit Sir Nicholas – und bei ihrem einzigen, berufsbedingten Besuch in Askaban vor vielen Jahren. Ihr Atem stockte. Wohin brachten diese Leute sie nur? Würden sie und Elphinstone hier je herausfinden? Je weiter sie gingen, desto unwahrscheinlicher erschien es ihr. Das Haus war verwinkelt, voller Anwender schwarzer Magie und sie zauberstablos. Magielos. Schon wieder führte man sie durch eine Tür. Die Kälte ließ nach, ein wenig zumindest. Etwas knarzte und dann stieß der Zauberer hinter Minerva seine Stabspitze grob zwischen ihre Schulterblätter, sodass sie vorwärts stolperte, bevor sie auf nackten Stein fiel. Im Stillen schossen ihr hunderte Verwünschungen durch den Kopf, während sie sich mit den gefesselten Händen mühsam in eine sitzende Position hochdrückte. Vor diesen Menschen würde sie nicht im Staub kriechen. »Einen schönen Aufenthalt wünsche ich. Rowle wird es euch sicherlich bald angenehm machen.« Wieder schallendes Gelächter. Ein unerwarteter Ruck durchlief die Seile um Minervas Handgelenke und schon lösten die Schnüre sich in Wohlgefallen auf. Gleichzeitig verschwand die Augenbinde, doch es blieb düster. Minerva erkannte gerade so eine Reihe metallener Streben vor sich. Dahinter entflohen dunkle Schatten durch eine schwere Tür, die klickend hinter ihnen ins Schloss fiel und noch mehr Helligkeit schluckte. Das einzige Licht in ihrem neuen Gefängnis kam von einer schwebenden Sphäre außerhalb der Gitterstäbe, die mattgelb glomm. Klopfenden Herzens sah Minerva sich in der Zelle um. Da war Elphinstone – nicht weit von ihr kniete er auf dem Boden. »Phin!« Er riss den Kopf hoch. Keine Sekunde später umfingen seine Arme sie. Das Gesicht in ihrem Haar vergraben, drückte er sie auf dem Stein kauernd eng an sich. Seine Hände strichen über ihre Schultern, ihren Rücken, ihren Nacken. Immer fester zog er sie an sich – oder sie ihn. Minerva konnte es nicht sagen und es spielte ohnehin keine Rolle. Sie presste die Stirn in seine Halsbeuge, versenkte die Finger im weichen Wollstoff seines Umhangs, sog seine Gegenwart in sich auf wie die Luft in ihre Lungen. Für einen Augenblick verharrten sie in drückender Stille, die sie nur mit ihrem zittrigen Atem füllten. Erinnerungen eines viel zu langen Tages stürzten in Minervas Kopf durcheinander. Kämpfe, Angst, Schmerzen – Tod. Sie schluchzte trocken auf. Selbst jetzt erschien es ihr noch surreal, dass Mrs. Winters und Detective Hammond beide tot waren. »Minerva«, flüsterte Elphinstone schließlich, »oh Minerva ...« Das Beben seiner Schultern übertrug sich auf sie. Sie hörte, wie er um die Worte rang und verlor. Nur ein schweres Seufzen drang über seine Lippen. Er zog sich ein Stück zurück, weit genug, um sie anzusehen. Aber seine Hände blieben bei ihr. Sanft streichelte er ihre Wange. Erneut holte er tief Luft und nahm einen zweiten Anlauf, etwas zu sagen. »Warum? Warum bist du nicht geflohen? Du hattest es doch fast geschafft. Ich wollte, dass wenigstens du entkommst!« Energisch schüttelte sie den Kopf, die Lippen fest aufeinandergepresst. »Ich konnte dich nicht zurücklassen, Phin. Niemals.« »Du hättest es trotzdem tun sollen.« »Hättest du mich zurückgelassen?« Er sah fort von ihr, durch die Gitterstäbe auf den magischen Lichtball. Bildete sie sich das ein oder schimmerten Tränen in seinen Augenwinkeln? »Nein«, sagte er nach einer Pause. »Niemals.« »Siehst du?« Minerva strich über seine Wange wie er zuvor bei ihr und er wandte den Kopf zurück. »Genauso konnte ich dich nicht zurücklassen. Ich hätte es mir nie verziehen, dich aufzugeben.« Er stöhnte auf, die Stirn in Falten gelegt. »Aber weshalb? Min, jetzt bist du mit mir gefangen –« »Liegt das nicht auf der Hand?« In der zittrigen Imitation eines Lächelns hob sie die Mundwinkel, während sie sich vorlehnte und ihre Stirn an seine lehnte. Trotz des schwachen Lichts hätte sie die verblassten Spuren seiner Sommersprossen zählen können. »Phin, ich –« Es krachte. Die Tür flog auf und stieß gegen den Stein. Getroffen wie von dem Knall einer Explosion zuckte Minerva zurück. Elphinstones Wärme entschwand ihr viel zu schnell und Kälte fraß sich in ihre Brust vor. »Oh, störe ich?« Rowle schlug die Tür zu, ehe er an die Gitterstäbe vortrat. Die Zaubersphäre schwebte direkt hinter ihm und ließ sein Gesicht im Schatten verschwinden. »Tut mir wirklich leid, eure rührselige Wiedervereinigung zu unterbrechen.« Elphinstone senkte die Hände, die er immer noch in Minervas Richtung ausgestreckt hatte. Er hob das Kinn und die herabgesunkenen Schultern wieder. Fort war der verletzliche Ausdruck auf seinem Gesicht. »Was kommt jetzt?«, fragte er betont ruhig. »Ein wenig Folter, bevor ihr mich gegen meinen Willen für eure Experimente quält? Ein bisschen Spaß für dich?« Minerva sah, wie Rowle seinen Zauberstab zärtlich zwischen den Fingern drehte. »Es ist ganz einfach, Urquart. Du lernst Demut. Bewunderst die Macht der Magie. Und wenn wir fertig sind, bist du hoffentlich etwas ... bereitwilliger und ich – ja, ich hatte meinen Spaß.« Er straffte die Schulter und hob den Stab. Die Hände zu Fäusten geballt, spannte Minerva sich an, bereit, Elphinstone notfalls aus der Ziellinie zu stoßen. »Niemals«, stieß dieser zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Du kannst mir antun, was du willst, aber –« »Tsss ...« Der ehemalige Ravenclaw wandte den Blick von Elphinstone ab und drehte sich zu Minerva. In den Schatten blitzten seine Zähne auf. »Ich freue mich schon darauf, Ihnen meine wahren Fähigkeiten zu demonstrieren, Professor.« Er legte all seine Verachtung in das letzte Wort. »Vielleicht werden Sie dann ja endlich einsehen, wie falsch Sie lagen.« »Oh Rowle ... verstehen Sie doch, ich wollte Ihnen nie etw–« »Crucio!«   Minerva hatte mit vielem gerechnet. Mit Flüchen und dunkler Magie, die sie quälen sollten – aber nicht mit diesem unverzeihlichen Zauber, der ihr ganzes Leben bloß eine düstere Erzählung gewesen war und zuletzt ein unvorstellbarer Schrecken, den Robbie durchlitten hatte. Für diese Schmerzen war sie nicht gewappnet. Wo eben lediglich ihr Stolz angekratzt war, loderten nun schwarze Flammen auf. Eine Hand an die Brust gepresst, beugte sie sich vorneüber und rang nach Atem. Ihr war, als blähe sich ein Kugelfisch in ihrer Lunge auf. Etwas Warmes legte sich auf ihre Schulter und sie erkannte Elphinstone, der sich zu ihr herab beugte. Seine Augen schimmerten feucht im fernen Lichtschein. Zu seiner Beruhigung rang sie sich ein tapferes Nicken ab. »Tun Sie das nicht, Rowle«, keuchte sie, »dieser Weg wird Ihnen bald viel mehr Schmerz bringen! Sie berauben sich selber Ihrer Zukunft!« »Oh, ich bin sicher, dass in meiner Zukunft noch mehr Schmerz liegt – den ich anderen bereiten werde! Wissen Sie, ich hatte bisher noch nie Gelegenheit, den Cruciatus einmal richtig auszuprobieren. Aber jetzt ... Er gefällt mir, sehr sogar.« Auf Elphinstone gestützt, hob Minerva den Blick wieder, um ihren ehemaligen Schüler anzusehen. Die erste Woge heißen Schmerzes ebbte langsam ab, sodass sie sich beinahe an die nadelscharfe Enge in ihrem Brustkorb gewöhnte. »Was wird all dieser Schmerz an der Welt und dem angeblichen Unrecht, das Ihnen widerfahren ist, ändern?« Ihr Foltermeister schlenkerte ungeduldig mit dem Zauberstab durch die Luft und bescherte ihr damit einen gänzlich schmerzfreien Atemzug. »Professor, Sie plappern doch sonst so schlau daher. Fällt Ihnen gar nichts dazu ein? Tun Sie sich den Gefallen und schlucken Ihre Worte wieder runter. Sie werden Ihren Atem noch brauchen.« Der Druck von Elphinstones Hand an Minervas Schulter verstärkte sich. Sie sah, wie sein Kiefer sich verkrampfte und ein harter Ausdruck in seine Augen trat. »Du willst mich Demut lehren, Rowle? Dann sei kein Feigling und richte deinen Zauberstab gleich auf mich!« Minerva schüttelte den Kopf. »Nein, Elphinstone«, zischte sie leise. Doch er hörte nicht auf sie, sondern richtete sich neben ihr auf. »Du bist schwach, Rowle, rächst dich an den Falschen. Weißt du, wer deine Berufschancen wirklich ruiniert hat? Nicht Minerva, nicht dein fehlender UTZ, sondern ich, der nicht einmal darüber nachgedacht hat, dich einzustellen, ungeachtet deiner Noten. Ich habe lieber einen Muggelgeborenen eingestellt!« Er breitete die Arme aus. »Und ich würde es jederzeit wieder tun. Glaub ja nicht, dass du jemals einen Fuß in das Ministerium setzen wirst!« In ihrer Verzweiflung zerrte Minerva an dem weiten Ärmel seines Umhangs. »Lass doch ... bitte«, flehte sie ihn an, aber er hatte sich in Rage geredet; schrie Rowle geradezu alle Gründe entgegen, warum dieser ihn hassen – foltern – sollte. Sie wusste, dass es Lügen waren. Um sie zu schützen. Dabei fürchtete sie sich mehr davor, ihn in Krämpfen daliegen zu sehen, denn selber gefoltert zu werden. Rowles Augen verengten sich mit jedem Wort weiter zu Schlitzen. »Du bist eine Schande für alle reinblütigen Familien dieses Landes«, spie er Elphinstone verächtlich entgegen. Erregt wirbelte er den Zauberstab herum. »Aber keine Sorge, dein großer Moment wird noch kommen.« Sein Blick huschte zurück zu Minerva, deren Hand weiterhin in Elphinstones Umhang gekrallt war. »Offenbar ist der Zauber noch zu lasch. Verzeihen Sie, Professor. Beim zweiten Mal gelingt es sicher besser. Sie haben ja immer erzählt, dass Übung den Meister macht.« Den Zauberstab durch die Gitter gerichtet, rief er den Fluch erneut aus. Dieses Mal waren es keine bloßen Flammen, sondern Lava, glühend heiße Lava, die von ihrem Bauch aus in Minerva explodierte. Ihre Hand rutschte kraftlos von Elphinstones Ärmel. Etwas tobte in ihrem Inneren, wollte ausbrechen, aber egal wie sehr sie sich verrenkte, der Schmerz schwoll nur weiter an. Schwarze Flecken trübten ihr Sichtfeld und erinnerten sie daran, einen qualvollen Atemzug zu nehmen. Ihre Fingernägel rissen den Umhang auf und gruben sich haltsuchend durch den Stoff ihrer Bluse in die Haut darunter, als wollten sie sich zu dem Feuer in ihrem Inneren graben; es mit roher Gewalt aus ihrer Brust reißen. Nur am Rande nahm sie wahr, dass Elphinstone wieder auf die Knie sackte, die Hände nach ihr ausgestreckt. Aber die Schmerzen waren zu stark. Sie wand sich verzweifelt wie ein Flubberwurm, der gleich im Zaubertrank landen sollte, und ihm gelang es nicht, sie schützend in die Arme zu ziehen. Auch seine leise geflüsterten Worte drangen nicht durch das Rauschen ihres eigenen Blutes. Sie versuchte, jeglichen Schmerzensschrei zu unterdrücken, um Rowle wenigstens nicht diese Befriedigung zu verschaffen. Vielleicht würde er aufhören, wenn er sah, dass er sie nicht zum Betteln bringen konnte. Aber der Junge schnippte nur erneut mit seinem Zauberstab und schon zuckten ihre Glieder wieder unkontrolliert. In unmöglichen Verrenkungen auf den harten Boden gekauert, kämpfte ihr Körper darum, den Schmerzen zu entgehen, doch es gelang einfach nicht. Wie ein schrecklich schräges Lied steigerte sich die Qual nur, schwoll zu einem grässlichen Crescendo aus hunderten Musiksägen an und war noch lange nicht am Ende. Mulciber war ein Narr. Rowles ganzes Wollen lag in diesem Fluch und Minerva hatte keine Zweifel mehr, dass er den Todesfluch genauso erfolgreich sprechen konnte. Der Junge war zu tief gefallen. Als wolle der Schmerz sie für diesen Gedanken bestrafen, drückte er mit voller Kraft ihre Lungen zusammen und ließ sie trotz aufeinandergepresster Lippen leise wimmern. Durch einen Schleier aus ungeweinten Schmerzenstränen sah sie Elphinstone neben sich hocken. Sie versuchte, sich auf seinen verschwommenen Umriss zu konzentrieren und sich daran zu erinnern, wofür sie stark bleiben musste, doch sie schaffte es nicht. Alle Luft war fort aus ihrer Brust und das Gefühl, am Schmerz zu ersticken, wuchs in ihr heran. Ein neuerliches Wimmern, das nur entfernt wie sein Name klang, entrang sich ihrer Kehle. »Minerva!« In einem Duett mit den Schmerzen des Cruciatus quälte Elphinstones furchtsamer Aufschrei nun auch noch ihr Herz. »Minerva ...!« Die Pein in seinen Worten war ein Spiegelbild ihrer eigenen, eine Qual so tief wie kein Fluch auslösen konnte. Sie hasste, dass er über ihr Leid seine ganz persönliche Folter erfuhr. Egal wie beherrscht er hatte sein wollen, jetzt zerriss Angst seine Stimme – und die brach sie. Durch das rasende Feuer in ihren Glieder spürte Minerva kaum, wie Elphinstone nach ihrer Hand griff, aber auf einmal waren seine warmen Finger zwischen ihren und allen Stolzes beraubt hielt sie sich daran fest wie eine Ertrinkende. »Rowle, hör auf!«, rief Elphinstone, außer sich. »Ich bitte dich – du bringst sie um! Lass es sein! Ich habe meine Lektion gelernt, hörst du? Nehmt mein Blut, tut was immer ihr wollt, aber hör auf mit diesem Irrsinn!« Dem Jungen schien der hilflose Zorn perverse Freude zu verschaffen, denn er setzte unerbittlich nach. »Crucio!« Zu den Flammen gesellte sich ätzende Säure, die Minerva von innen zerfraß. Sie krümmte sich weiter zusammen, die Stirn gegen den unnachgiebigen Boden gepresst. Es gab kein Entkommen. Egal wie fest sie die Lippen aufeinanderpresste, sobald der erste Schrei sich seinen Weg gebahnt hatte, ließ es sich nicht länger aufhalten. Mit roher Gewalt brachen die Laute sich ihren Weg, ohne im entferntesten das Leid zu lindern. Viel mehr brannten sie sich durch ihren Hals wie ein giftiger Trank, bis ihre Kehle Blasen warf. Ihre Schreie waren keine Worte, nur lose Fetzen der Qual. Der Stein unter ihr war einmal eisig gewesen. Aber in dieser neuen Welt aus Schmerzen existierte keine Kälte mehr. Nur Feuer, Feuer, Feuer. Ohne es zu wollen, bohrte sie die Fingernägel tief in Elphinstones Handrücken. Die einzige Konstante in diesem Konzert aus Pein. »Dafür wirst du bezahlen«, brüllte Elphinstone an Rowle gewandt. Seine Stimme geriet zu einem tiefen Grollen, das Minerva noch nie von ihm gehört hatte. Nicht einmal in dreizehn Jahren hatte Elphinstone derart geschrien. »Eines Tages wirst du für all deine Taten in Askaban verrotten! Wenn ich nicht dafür sorge, dass dich die Auroren vorher in winzige Stücke reißen.« Rowle entblößte seine Zähne. »So schnell überzeugt? Dabei wäre es doch wirklich langweilig, wenn ich jetzt schon aufhöre ...« Sein Wille hinter dem Zauber schien stärker zu werden und Minervas nächster Schrei übertünchte seine Worte. Nur sein höhnisches Lachen war lauter. »Dafür macht es viel zu viel Spaß! Schreit ruhig noch ein wenig lauter ihr beide. Bella soll es auch hören!« Die nächste Welle aus Schmerz begrub Minerva unter sich und Tränen, heiß wie ewiges Feuer, rollten ihr über die Wangen. Es war einfach zu viel. Elphinstone forderte, fluchte, flehte, aber die Bedeutung seiner Worte erreichte sie nicht mehr. In ihren Ohren rauschte das Blut so laut wie tausend Wasserfälle, und ihre freie Hand kratzte am Stein, in dem sinnlosen Versuch, einen Ausweg zu finden. Obwohl ihre Augen geschlossen waren, explodierten vielfarbige Lichter direkt in ihrem Kopf. Die Kraft, sich zu wehren, floss stetig aus ihr hinaus, mit jeder Träne; jedem Schrei. Irgendwann lag sie nur noch da, die Wange auf den heißen Steinboden gepresst, ihre Knie an die Brust gezogen und rang um den nächsten Atemzug. Erst da beendete Rowle den Fluch. Der Schmerz aber blieb, ein stetes Pochen wie ein zweites Herz und dann wurde es schwarz um sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)