Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 25: Tödlicher Takt -------------------------- »Immobilus!« Eine unsichtbare Mauer, hart wie Stein, bremste Minervas Lauf aus. Bevor sie den obersten Treppenabsatz erreicht hatte, gefror sie zu einer reglosen Statue. Bloß ihr Herz raste unaufhaltsam weiter, als könnte es sie aus purer Willenskraft die letzten Stufen überwinden lassen. Auch Detective Hammond neben ihr war mit einem Fuß in der Luft erstarrt. Im Hausflur über ihnen lauerten zwei Hexen mit gezückten Zauberstäben – und in ihrer Mitte Bellatrix Blacks Komplize aus Gringotts. Ohne Maskerade. Rodolphus Lestrange – Ohnegleichen-UTZ in Verwandlung, Abschlussjahrgang 1966 – lächelte schmallippig, die Arme verschränkt. »Oh, ihr wollt schon gehen?« Vornehme Kleider, arrogante Haltung – sowohl körperlich als auch vom Zauberstab – und seine ‚Liebste‘ Bellatrix Black ... Das Erkennen eines weiteren Schülers traf Minerva wie ein Klatscher in die Magengrube. »Bedauerlich ...« Lestrange schnalzte mit der Zunge. »Und äußerst unhöflich. Es würde meiner Frau gar nicht gefallen, wenn ihr euch davonstehlt.« In einer Geste gespielter Betrübnis wippte der Zauberstab in seiner Hand auf und ab, als er seufzend die Schultern hob. Seine Begleiterinnen hingegen hielten ihre Stäbe unverwandt auf die Gruppe gerichtet. Die Fingerknöchel der Hexe zu Minervas Linken traten weiß hervor, so fest umklammerte sie das Holz. Jemand im Hintergrund wimmerte leise. Minervas Gedanken rasten. So schnell, dass nicht einmal ihr Herzschlag mithielt. Sie hatte ihren Zauberstab noch in der Hand, die Spitze zeigte neben die Entführer. Es musste für einen rettenden Zauber reichen – einen einzigen. Oben am Treppenabsatz beschwor Lestrange Seile aus dem Nichts. »Was ... was tun Sie da?« Hammonds Stimme zitterte, auch wenn er sich bemühte, die Selbstsicherheit zu vermitteln, die er bei ihrem ersten Treffen Minerva gegenüber gezeigt hatte. »Das Haus ist umstellt! Machen Sie keine Fehler! Noch kann alles glimpflich für Sie ausgehen ...« »Nein. Ich kann euch Muggeln nicht gestatten, zu gehen. Noch dazu mit unseren Gästen.« Die ersten Seile flogen an Minervas Kopf vorbei in Richtung der Entführten. Fieberhaft ging sie ihre Möglichkeiten durch. Konnte sie Lestrange nur durch Worte vor ihren Zauberstab locken? Wie schnell würden seine Komplizinnen reagieren? Sollte sie lieber alle drei angreifen? Womit? Bevor sie auch nur einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, kam ihr jemand anderes zuvor. »Wovon reden Sie bitte?« Die Stimme des verletzten Mr. Brody einige Stufen weiter unten bebte. Vor unterdrückter Wut. Vor Angst. »Ich weiß nicht, was ein ‚Muggel‘ sein soll, aber Sie haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun!« Langsam hob Lestrange die Augenbrauen und hielt in der Beschwörung inne, dann lachte er. Leise. Samtweich. Ganz anders als Bellatrix Black. Und nicht minder bedrohlich. »Du, mein Lieber, bist ein Muggel. Das bedauernswerte Exemplar eines Menschen ohne jegliche magische Begabung. Es ist nicht deine Schuld, dass die Natur uns nicht gleich geschaffen hat, aber auch du musst erkennen, wer von uns mächtiger ist. Immerhin gehorcht dein Körper unserer Magie.« Detective Hammond und Brody barsten gleichzeitig in Muggelflüche aus und Rodolphus Lestrange schnippte mit dem Zauberstab. Ihre nächsten Widerworte versiegten in einem Gurgeln. »Ich weiß, das übersteigt euer Geistesvermögen, also nehme ich es euch nicht übel. Immerhin hat man euch Muggel nur benutzt. Nicht wahr – Professor McGonagall?« Zum ersten Mal sah Lestrange Minerva in die Augen. Sie gönnte dem einstigen Slytherinschüler nicht ein einziges, wütendes Wort. Kaum zu glauben, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch seine Zauberstabhaltung korrigiert hatte! Mit zusammengekniffenen Lippen legte Minerva sämtliche Abscheu in ihren Blick. Egal, was Lestrange sagte – oder zu wissen glaubte – sie würde alles geben, das Leben dieser Muggel zu retten. Notfalls auch das Ihre. »Ach kommen Sie«, spottete Lestrange in die Stille hinein und trat ein paar Schritte näher. Nicht in ihre Schusslinie. »Das war doch Ihr Plan.« Zur Antwort knirschte Minerva nur mit den Zähnen. Aus dem Augenwinkel folgte sie ihrer Zauberstabspitze zu deren Ziel. Ein Fenster neben der Haustür. Davor geblümte Vorhänge, bodenlang. »Die Muggel die Drecksarbeit erledigen lassen – damit kennen wir uns offensichtlich beide aus«, resümierte Lestrange weiter. »Den Nutzen für manche Aufgaben kann man den niederen Wesen nicht absprechen, das hat Ihr kleiner Angriff gezeigt. Auch wenn sie die lästige Angewohnheit haben, schlechte Entscheidung zu treffen, so wie unser lieber Theo ...« Vielleicht ein Brandzauber, überlegte Minerva ... Nein. Es brauchte mehr, damit drei schwarze Magier die Kontrolle verloren. Die blauen Kornblumen auf dem Vorhangstoff schienen vor ihren Augen zu tanzen. »Nun, Professor, Ihr Schweigen ist auch ein Statement ...« Kornblumenblau. Minerva schluckte. So blau wie die Aura von Elphinstone ... der keine Schlangen mochte. Einen Augenblick später regte sich der Vorhang. Ein Kräuseln durchlief die helle Baumwolle. Unbemerkt von den drei Entführern schlängelten sich die Stoffbahnen hinter ihnen in die Luft, bäumten sich auf wie hungrige Raubtiere. Die Hexe zur Linken bemerkte als Erste den Schatten und stieß noch ein Keuchen aus, dann schossen die stofflichen Ungetüme auf sie herab. Lestrange hob den Zauberstabarm, der sofort umschlungen wurde. Die Stoffschlangen zwangen seine Stabspitze fort von Minerva, gen Decke. Funkenstiebend brannte Lestrange ein Loch in den belebten Vorhang, doch das hielt Minervas Zauber nicht auf. Binnen Sekunden schnürten die Schlangen Lestrange an seine Komplizinnen und umwickelte sie allesamt von Kopf bis Fuß. Der Erstarrungszauber brach. Hammond stürzte überrascht vorneüber, doch Minerva gelang es, sich abzufangen und ihren Zauberstab auf Rodolphus Lestrange zu richten. Er war entwaffnet, bevor er einen weiteren Fluch loslassen konnte. Ebenso seine zwei Begleiterinnen. Wütend und zugleich machtlos strampelten die Gefangenen gegen den Stoff an. Einer Teufelsschlinge gleich zog sich der Vorhang fester und erstickte ihre Schreie in der geblümten Baumwolle. Kurzerhand schickte Minerva alle drei Entführer in traumlosen Schlaf, ehe sie ihre Zauberstäbe aufsammelte. In der plötzlichen Stille hallte das Weinen und Rufen aus dem Wohnzimmer nach. Elphinstone! Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, trat Minerva einen Schritt auf die angelehnte Tür dorthin zu, dann noch einen ... Hinter ihr räusperte sich jemand. Als Minerva einen Blick zu ihren vergessenen Begleitern warf, starrten diese sie allesamt aus weit aufgerissenen Augen an. Die Polizisten erfüllt von Furcht, die Entführungsopfer voller Hoffnung. »Agentin ... Miss? McGregor ... McGonagall?« Detective Hammond rieb sich die Kehle. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. »Diese Leute ... sind Sie ...« »Tot? Nein. Bewusstlos.« Die leisen Worte kratzten in Minervas Hals. »Ich bin keine Mörderin.« »Das ist ...« »Verrückt? Unglaublich?« Hilflos hob Minerva die Schultern. Nach all den Jahren, die sie muggelgeborene Kinder über ihre magischen Begabungen aufgeklärt hatte, versagten ihr die Worte. »Ich habe keine Zeit für Erklärungen. Ich kann nur sagen ... das ist wirklich Magie.« Unter ihrem eisernen Griff knirschte das fremde Zauberstabholz. »Bitte ... ich muss weiter! Mein Freund, ihre Kollegen ... brauchen Hilfe.« Sieben Paar Augen starrten ihr entgegen, als wäre sie ein Troll im Ballettrock. Schließlich war es ausgerechnet Brody, der sich flüsternd zu Wort meldete. »Sie haben mir da unten das Leben gerettet – und jetzt schon wieder. Für’s Erste reicht mir das. Sie müssen nicht alleine gehen.« Er versuchte ein Lächeln. »Seien Sie nicht närrisch –« »Nein. Er hat recht.« Hammond nickte. »Vielleicht bin ich der Verrückte, aber ... ich gehe an seiner Stelle mit Ihnen. Wir lassen niemanden zurück.« Er warf Brody, der nach Luft schnappte, einen warnenden Blick zu. »Ich muss Miss, ähm, McGonagall, beipflichten. Seien Sie nicht leichtsinnig, Brody. Sie sind bereits verletzt. Begleiten Sie die Opfer in Sicherheit. Das ist ein Befehl.« »Detective, keiner von Ihnen muss –« »Keine Widerworte, Agentin! Ich meine ... Professorin? Wie dem auch sei, das ist meine Entscheidung. In vollem Bewusstsein der Gefahr. Ich werde genauso wenig wie Sie meine Kollegen hier zurücklassen!« Überwältigt von diesem unverdienten Vertrauen, nickte Minerva Hammond zu. Anstatt weiter im Flüsterton zu diskutieren, richtete sie den Zauberstab auf die Haustür, um den Weg für die restlichen Polizisten freizumachen. Nichts rührte sich. Verschlossen. Auf magische Art. Genau wie das Fenster daneben. Mehrmals klopfte sie mit der Stabspitze auf den Türknauf. Alohomora. Ein Schmelzzauber am Türschloss. Geheimnisöffner. Alle ergebnislos. »Nehmen Sie den Weg durch das Badezimmerfenster. Rasch!« Das ließen die Alditchs sich nicht zweimal sagen. Den Polizisten voraus drängten sie durch die Tür, auf die Minerva wies. Theo Winters folgte ihnen dicht auf, doch bevor er im Bad verschwand, trat er noch einmal an Minerva heran und schlang die Arme um sie. Er drückte mit erstaunlich viel Kraft zu, den Kopf gegen ihre Schulter gedrückt. Erstarrt registrierte Minerva, wie seine Tränen ihren Umhang tränkten. Sie tätschelte dem Mann zwei, drei Mal den Rücken. »Danke«, brachte er heiser hervor, ehe das Schluchzen die Oberhand gewann. Brody musste ihn sanft, aber bestimmt am Arm packen, damit er den anderen in das Bad folgte. Minerva reichte dem Polizisten ihre restlichen Phiolen Heiltrank. »Falls noch jemand verletzt wird. Das heilten die meisten oberflächlichen Verletzungen im Handumdrehen.« Einen Augenblick starrte Brody sie mit großen Augen an, dann umschloss er die Einwegphiolen in seiner Faust und nickte. »Viel Glück Ihnen.« Detective Hammond wechselte ebenfalls ein paar letzte Worte mit seinen Männern, dann schloss er zu Minerva auf. »Ich bleibe hinter Ihnen, versuche, nicht getroffen zu werden und schieße wenn nötig. In Ordnung?« Mit zugeschnürter Kehle nickte Minerva erneut. Sie wartete, bis sämtliche Muggel im Bad verschwunden waren, dann schlich sie die letzten Schritte zur Wohnzimmertür hinüber. Ihr Zauberstab bebte. Zum Glück sprach sie nur im Flüsterton, denn andernfalls hätte ihre Stimme die Nervosität dahinter verraten. »Sind Sie sicher, Detective?« Hammond sah auf die Pistole hinab, die in seinen Händen ebenso zitterte. »Nein.« Sein Schnurrbart kräuselte sich über einem schwachen Lächeln. »Aber bereit.« »Gut.« Minerva drückte den Rücken durch und sammelte all ihren Löwenmut. Einem Schwung ihres Zauberstabs folgend, glitt die Tür auf. Dahinter wartete Chaos. Regale waren umgestürzt, Scherben bedeckten neben losen Buchseiten den Boden, aus Sesseln und Sofa platzte der Schaumstoff. Für einen Schlag setzte Minervas Herz aus. Sie sah dunkelrote Spritzer, einen herrenlosen Zauberstab ... Wo war Elphinstone? Mit einem heißen Knoten im Bauch hob sie den Blick vom Boden. Inmitten der Zerstörung umringten sechs Personen in Zaubererumhängen den Kaminvorleger. Blut tränkte den Stoff zu ihren Füßen, ebenso wie die Lumpen darauf – Detective Hammond würgte leise. Erst da begriff Minerva. Das war kein Haufen Stofffetzen, sondern eine Frau, die dort lag und ihren Unterleib umklammerte. Es sah aus, als hätte ein wildes Tier sie zerfleischt. Minerva wurde kalt. Das war Mrs. Winters. Von ihr kam das Schluchzen. Dahinter knieten in einer Reihe fünf Polizisten, die Arme auf den Rücken gebunden. Elphinstones und Mulcibers Begleiter. Die beiden Zauberer waren nicht zu sehen, genauso wenig wie Jonathan Alditch. Dafür hatte sich Rowle vor den gefesselten Muggeln aufgebaut, den Zauberstab hoch erhoben. »Avada Ke-« »Stupor!« Minervas Fluch traf ihn mitten in den Rücken. Noch bevor sein Körper auf den Boden schlug, setzte sie nach. »Diffindo!« Die Seile fielen von den Polizisten ab. »Rod-« Bellatrix Black – oder inzwischen Lestrange – fuhr zu Minerva herum, genauso wie sämtliche Paar Augen im Raum. »Dieser Idiot!« Ohne Umschweife riss Bellatrix den Zauberstab empor und stieß ihn messergleich vor. Zusammen mit Hammond warf Minerva sich zur Seite. Der Türrahmen über ihnen machte mit seinem lauten Zischen einem Teekessel ernsthafte Konkurrenz. In dicken Tropfen schmolz das Holz, sodass sich ein faustgroßes Loch bildete. Was immer das für ein Fluch war – Minerva wollte die Flüssigkeit um keinen Preis berühren. Den Detective am Handgelenk gepackt, sprang sie vorwärts. Von allen Seiten jagten schwarze Zauber auf sie zu. Hässliche Dinger, die einen schmerzhaften Tod versprachen. Wie eine Peitsche schwang Minerva den Zauberstab vor sich her, in einem verqueren Takt mit den Schüssen aus Hammonds Pistole. Angriff, Verteidigung. Angriff, Verteidigung ... Weder für die Folgen ihrer Zauber noch die der Pistolenschüsse hatte sie Augen. Minerva suchte einzig Elphinstone. Jedes Aufblitzen blonden Haares ließ sie voller Hoffnung innehalten, nur damit die anschließende Enttäuschung sie umso härter traf. Gemeinsam kämpften sie und Detective Hammond sich vor, Fluch um Gegenfluch. Minerva achtete nur auf Lichter, das Zischen des herannahenden Todes, harsche Zauberstabbewegungen. Personen, Möbel, der Raum; einfach alles verschwamm zu bunten Schlieren. Sie reagierte bloß noch. Bis ihr Fuß hängen blieb. An einem Körper. In dessen Brust ein blutiges Loch klaffte. Leere graue Augen, die durch sie sahen. Braunes Haar. Immerhin nicht Elphinstone, flüsterte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Zum Glück nur einer der Entführer – ein harter Stoß traf sie in die Seite. Mit einem Aufschrei stolperte Minerva hinter einen umgestürzten Sessel. Papier riss unter ihren Händen, Glas knirschte, stechender Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen. Wo sie eben gestanden hatte, leckten violette Fluchflammen an dem toten Zauberer. Binnen Sekunden blieb nichts als ein Häufchen Asche zurück. Dankbar nickte Minerva Hammond zu, der neben ihr kniete. Die Erleichterung über seine Rettung dämpfte ihren Schmerz, doch sie bemerkte, wie sich zu den Blutflecken Fremder frische Tropfen gesellten. Tief in ihrer Handfläche steckte eine Glasscherbe. Während Hammond seinen befreiten Männern etwas zurief, biss sie die Zähne zusammen und zog den Splitter aus der Wunde. Ein rascher Heilzauber stoppte wenigstens die Blutung. Der Schnitt brannte, doch Minerva packte den Zauberstab fester und feuerte aus der Deckung hervor weiter auf die Gestalten in dunklen Umhängen. Mit dieser Position kam ein neuer Blickwinkel. Endlich erkannte sie Elphinstone – zu den Füßen der Entführer. Reglos. Zauberstablos. Die Augen geschlossen. Ein grüner Lichtblitz löste Minerva aus ihrer Starre. Sie duckte sich in den Schutz des Sessels zurück, den Zauberstab unverwandt auf Elphinstones Körper gerichtet. »Rennervate!« Minervas Schrei übertönte das Gebrüll der Gegner, ihre wütenden Flüche und magielosen Verwünschungen. Unter dem Rauschen ihres Blutes blieb sogar das Schluchzen von Mrs. Winters still in Minervas Ohren. Sie hatte nur Augen für Elphinstone. Seine Lider flatterten, die Finger zuckten. Ihr Herz vergaß den nächsten Schlag, als er den Kopf hob und sich umsah. Bevor er angegriffen wurde, schleuderte Minerva einen Explosionszauber in den Kamin. Der Feuerball schmolz dessen Schutzgitter und in einer gewaltigen grünen Flamme verbrannten die Flohpulverreste dahinter. Asche und Staub hüllten das Wohnzimmer in ihren Schleier. Bellatrix hustete und fluchte wie ein tollwütiger Jarvey, dann riss irgendjemandes Zauber ein Loch in die dichte Wolke. Elphinstone lag nicht mehr auf dem Teppich. Erleichterung loderte in Minervas Brust auf wie die grüne Stichflamme im Kamin. Er hockte ein paar Schritte weiter hinter einem zerbrochenen Teetisch – »Phin!« Minerva schleuderte einen Fluch auf die nächste Hexe neben ihm. Sein Blick fuhr zu ihr herum. Selbst durch die Staubwolke sah sie seine Augen aufleuchten. »Minerva!« Auf allen vieren kam er in ihre Richtung, da bohrte sich aus dem Nichts ein Zauberstab an seine Schläfe. Er gefror mitten in der Bewegung. »Es reicht!«, brüllte Bellatrix. Ihren Absatz drückte sie in Elphinstones Handrücken. »Legt alle die Waffen ab und kommt brav hierher oder ich töte euren Freund auf der Stelle!« So schnell, wie der Kampfeslärm aufgekommen war, erstarb er auch. Nur das Schluchzen von Mrs. Winters blieb. Bellatrix packte Elphinstones Haare und bog seinen Kopf nach hinten. Er keuchte auf, als sich ihre Zauberstabspitze in seine Kehle grub. Den Blick hielt er allerdings unverwandt auf Minerva gerichtet. Seine Lippen formten lautlose Worte, doch Minerva verstand nicht – bis auf das kaum wahrnehmbare Kopfschütteln. Er murmelte irgendetwas Gälisches, von ... ergeben? Ihre Hand am Zauberstab verkrampfte sich. Das durfte es nicht gewesen sein! Sie musste einen Weg finden, wie bei Rodolphus Lestrange. Eine List, ein geschickt platzierter Zauber ... Detective Hammond senkte seine Pistole. »Uns bleibt wohl keine andere Wahl.« »Hör auf den Muggel, McGonagall!«, höhnte Bellatrix. »Sonst wirst du sehen, welche Alternativen mir für den Todesfluch einfallen. Ich könnte dem lieben ‚Phin‘ zum Beispiel die Gehirnwindungen rösten –« Klirr! Ein greller Blitz erhellte die Umgebung, der Boden bebte. Bellatrix riss die Augen auf, ihr Zauberstab zuckte fort von Elphinstone – und ein Regen aus Glasscherben explodierte in den Raum. Minerva entwich ein Aufschrei. In einem Anfall von Ritterlichkeit warf sich Hammond über sie und schirmte sie von den Splittern ab. »Das würde ich lassen!«, drang es durch den Scherbenregen. »Ich bin besonders nachtragend, wenn man Freunde von mir verletzt und ich mag diese Leute leider erstaunlich gerne.« Minerva kannte diese Stimme. Samtschwer und aalglatt. Mulciber! »Du ...!«, fauchte Bellatrix, offenbar genauso überrascht. Sie machte einen Schritt in seine Richtung und gab damit Elphinstones Hand wieder frei. »Genau, ich. Schätze, deine ‚Wachen‘ haben da etwas übersehen, als sie den Muggelpolizisten im Garten eine Falle gestellt haben.« Um die Ecke des Sessels herum sah Minerva, wie ihr so verhasster Ex-Kollege über die Scherben der zerstörten Terrassentür auf Bellatrix zuhielt. Und hinter ihm – folgten Pippa und Robbie! Aber sein Foemicus-Band ... Mulciber hatte es doch als Erster gelöst! Minerva war wirklich überzeugt gewesen, dass sie ihn erwischt hatten. Dabei hatte er bloß Bellatrix getäuscht? Mit offenem Mund starrte sie die drei an. Pippa trug noch ihren Aurorenumhang, genauso wie an Robbies Brust das Wappen von Gringotts glänzte. Ihr Bruder fing Minervas Blick auf. Er wies mit einem Kopfnicken in Richtung Flur, aber Minerva schüttelte entschieden den Kopf. Sie würde nicht fliehen, jetzt noch viel weniger. Stattdessen heftete sie die Augen auf Elphinstone und hob den Zauberstab, bereit, ihn gegen jegliche Angriffe zu verteidigen. Quälend langsam schob er sich zu ihr vor. Bellatrix wandte sich mit einem kalten Lächeln an Mulciber. »Oh, ich hab dir viel eher zu danken. Dafür, dass du mir all deine Verbündeten auf dem Silbertablett servierst – ganz umsonst!« Ihre dunkelroten Lippen entblößten die Zähne dahinter. »Avada Kedavra!« Zum ersten Mal senkte sich vollkommene Stille über den Raum. Minerva hörte nur, wie Detective Hammond neben ihr angestrengt atmete. Ihr gegenüber kauerte Elphinstone, bleich im Gesicht und doch unversehrt. Dafür war das stete Wimmern von Mrs. Winters erstorben. Mulcibers Gegenfluch verlosch nutzlos in der Luft zwischen ihm und Bellatrix. »Nein ...«, hauchte Minerva, da schoss bereits ein weiterer Lichtblitz von Bellatrix auf Mulciber zu. Der blinzelte nicht einmal. In einer schneidenden Geste wehrte er den Fluch ab. »Wie langweilig, dass der Todesfluch dein einziges Druckmittel bleibt. Damit jagst du mir keine Angst ein, auch wenn ich den Papierkram hasse.« »Oh, hättest du lieber die sanfte Methode?« Bellatrix tippte den Zauberstab an ihr Kinn. »Man sagt mir nach, dass ich ein Händchen für den Cruciatus habe. Ich wollte schon immer wissen, wie lange es dauert, bis das Objekt stirbt.« Elphinstone nutzte die Ablenkung und robbte endgültig zu Minerva hinter den Sessel. »Min –« »Wo ist dein Zauberstab?« »Sie hat ihn. Hat damit erst mein Foemicus-Band aufgelöst und mich dann geschockt.« Flüche rasten an ihnen vorbei, als Bellatrix‘ Leute sich ihrem Befehl folgend auf Mulciber stürzten. Eine Menge hässlicher Verwünschungen lagen Minerva auf der Zunge, doch sie schwanden, sobald Elphinstone ihre Hand ergriff. Wenigstens er lebte, an diesen Gedanken klammerte sie sich. Mit einem Griff in die Umhangtasche zog sie Lestranges Zauberstab hervor und reichte ihn Elphinstone. »Danke«, murmelte er. »Schon wieder hast du etwas gut bei mir.« Sie musste dem Drang widerstehen, ihn in die Arme zu ziehen. Nicht jetzt, nicht hier. »Hoff lieber, dass ich den Gefallen nie einlöse.« Er strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. »Ich würde es wieder tun. Zusammen sind wir schließlich stärker.« Und tatsächlich – mit der Unterstützung von Mulciber, Pippa und Robbie wendete sich das Blatt erneut. Die Entführer schlugen hart zurück, aber es gelang allen voran Mulciber, sie von den eingeschüchterten Polizisten zurückzudrängen. Mit einer Hand hielt er Bellatrix in Schach, mit der zweiten schob er den Arm eines verletzten Mannes über seine Schulter. Robbie und Pippa hatten sich neben ihm aufgebaut und schleuderten mit Schockzaubern um sich. Von der anderen Seite nahmen Minerva und Elphinstone Bellatrix ebenfalls ins Visier. In letzter Sekunde beschwor diese einen Schutzkreis und wehrte ihre Zauber ab. Ein Knurren drang zwischen ihren perfekt geschminkten Lippen hervor, als sie herumwirbelte und Elphinstone an Minervas Seite erspähte. »In Ordnung, vorwärts!«, kommandierte Mulciber und drückte einem anderen Muggelpolizisten den Arm seines Kollegen auf die Schultern. »Raus hier, in den Flur!« Er schleuderte einen Brandzauber mitten zwischen die Entführer. Violette Flammen flackerten auf und entzündeten die verstreuten Buchseiten in einem weiten Kreis um sie herum. Rauch erfüllte die Luft. Entgegen aller Abneigung für Alston Mulciber musste Minerva ihm recht geben – es war Zeit, den Rückzug vor ihren eignen Stolz zu stellen. Sie zog an Elphinstones Hand und zerrte ihn mit sich zur Tür, an der anderen Seite Hammond. »Die Tür«, keuchte der Detective, »sie ist doch verzaubert –« Mulciber schloss zu ihnen auf. Er riss im Laufen den Zauberstab hoch. »Aus dem Weg!« Hammond presste sich flach gegen die Tapete. »Bombarda Maxima!« Es schleuderte die Haustür – und ein gutes Stück der Wand – fort. Auf der Rasenfläche hinter dem Loch erkannte Minerva die flüchtenden Gefangenen und Polizisten, die von der Druckwelle ins Gras geschleudert wurden. Sie wartete, bis Robbie und Pippa mit den übrigen Muggeln in ihrer Mitte durchgelaufen waren, ehe sie folgte, Zauber über ihre Schulter zurückwerfend. Direkt hinter ihnen rang Bellatrix Mulcibers Fluchflammen nieder, ihr Gesicht rot vor Wut. Minerva drückte Elphinstones Hand, fest entschlossen, ihn nicht wieder loszulassen. Sie rannten. Aus dem Augenwinkel sah sie noch die weggesprengten Reste ihres verzauberten Vorhangs und die drei bewusstlosen Entführer darunter, dann traf sie die Kälte der Nacht und sie waren draußen. Nur wenige Schritte. Die Grundstücksgrenze war zum Greifen nahe. Dahinter konnten sie in Sicherheit apparieren – Ein Schrei gellte durch die Dunkelheit. »Emily!« Schon von Weitem erkannte Minerva Theo Winters, der sich den Polizisten entriss, die ihm vom Boden aufhalfen. Sie waren direkt vorm Gartentor, doch der Mann rannte in die falsche Richtung. Geradewegs auf sie zu. »Wo ist Emily?« Er schoss an ihnen allen vorbei auf das Haus zu. »Em!« »Mr. Winters! Nicht –« Hammond stöhnte auf. Elphinstone schleuderte Theo Winters einen Stolperzauber hinterher, doch der löste bloß die Schnürsenkel seines linken Schuhs. Getrieben von der Liebe zu seiner Frau tat Theo Winters das Einzige, was ihm als unbewaffneter Muggel blieb – er warf sich vor die gezückten Zauberstäbe ihrer Verfolger. Arme ausgebreitet, die Brust hervorgestreckt. »Gebt mir Emily zurück!« Schneller als Minerva oder Elphinstone reagieren konnten, hatte Detective Hammond sich umgedreht und sprintete ihm hinterher. Neben Bellatrix trat indes der wiedererweckte Rodolphus Lestrange auf den Rasen, Elphinstones Zauberstab in der Hand. Er fletschte die Zähne, plötzlich gar nicht mehr so vornehm. »Ich bringe dich gerne zu deiner Frau!« »Nein!« Hammond stieß Theo Winters grob zu Boden – und sich in das grüne Licht. Keine magische Schutzweste der Welt konnte den Todesfluch aufhalten. Detective Superintendent Hammond war bereits tot, als sich Brodys Kugel in den Arm seines Mörders versenkte. Weitere Flüche prallten gegen Minervas hastig hochgerissenen Schutzschild vor den beiden Männern. Nur eine Sekunde zu spät. Eine winzige Sekunde zu spät. Fassungslos starrte sie auf den reglosen Polizisten im Gras. Dann schrie sie. »Stehen Sie auf, Winters! Laufen Sie, verfluchte Drachenscheiße! Worauf warten Sie?« Schweren Herzens ließ sie Elphinstones Hand los und rannte zu dem Muggel. Sie packte seinen Arm, warf ihn über ihre Schultern und zerrte daran. »Machen Sie schon!« Der Mann lag halb begraben unter Hammonds leblosem Körper und starrte sie einfach nur an. Von hinten kam Robbie angelaufen, im Feuerschutz von Elphinstone. Minervas Bruder stupste Winters mit seinem Zauberstab an. Schlagartig schien dessen Arm nichts mehr zu wiegen. Robbie nahm ihn Minerva ab, warf seine Gliedmaßen über die Schulter wie einen Kartoffelsack und sprang auf. »Komm«, rief er an Minerva gewandt, »schnell!« Sie folgte ihm mit einem letzten Blick zurück. Rodolphus Lestrange kniete mit blutüberströmtem Arm im Gras und erlebte dem Gesicht nach zu urteilen den schlimmsten Tag seines Lebens. Bellatrix fauchte irgendwas, ehe sie ihn einfach zurückließ und ihnen nachsetzte. Auf der anderen Seite erreichten Pippa und Mulciber die Grundstücksgrenze. In einem Knall verschwanden beide mit je zwei Muggeln an der Hand. Die restlichen Polizisten duckten sich in den Schutz der Hecke. Bunte Flüche erhellten die rutschige Rasenfläche vor Minerva. Noch sechs Meter. Noch vier Meter. Noch – Elphinstone schrie auf. Sie sah sich hektisch nach ihm um. Warum nur hatte sie ihn losgelassen? Eine dicke violette Ranke kam aus dem makellosen Gras geschossen und schlang sich um sein Bein. Er stürzte, während er mit dem fremden Zauberstab danach hieb. Doch nur ein paar Funken stieben daraus auf. Die schwarze Magie riss ihn rückwärts über den Rasen. Lange genug hatte Minervas Verstand die Entscheidungen getroffen. In diesen wenigen Sekunden blieb ihm nicht einmal Zeit, die Situation zu analysieren. Als Minerva sich umdrehte und zurückrannte, war nur ihr Herz verantwortlich. »Minerva!«, schallte ihr Robbies Schrei hinterher. Zu langsam. Sie rannte, so schnell ihre Füße sie trugen. Sie würde Elphinstone nicht verlieren, nicht heute. Niemand warf ihr Flüche entgegen. Die verbliebenen Entführer und sogar Rowle bauten sich abwartend hinter Bellatrix auf, die Elphinstone am Kragen hochriss. Nur Lestrange humpelte an ihre Seite. Blut lief seinen Ärmel hinab und tropfte von dem Zauberstab in seiner Faust – Elphinstones Zauberstab. Voller Wut verwandelte Minerva die Regentropfen in Eissplitter. Sirrend rasten die Geschosse auf die beiden Mörder hinab ... und fielen als harmloses Wasser zu Boden. Bellatrix senkte den Zauberstab und drückte ihn Elphinstone wie einen Dolch an die Kehle. Wieder schüttelte er an Minerva gewandt den Kopf. Der Regen lief ihm wie Tränen über das Gesicht. »Tu es, Thorfinn!«, befahl Bellatrix. »Dann bekommst du dein Spielobjekt.« Der Junge murmelte eine Beschwörung. Ein Knall ertönte, dann noch einer und schließlich ein dritter. Plötzlich fehlte ... etwas. Minerva konnte das Gefühl nicht greifen, doch sie war sicher – der Apparierbann war fort. Sie warf sich mit ausgestreckter Hand auf Elphinstone zu. Es brauchte nur eine Sekunde! Heißes Feuer explodierte in ihrer Mitte. Würgend krümmte Minerva sich im Gras zusammen, ihr Zauberstab fiel zu Boden. Sie war so nah dran gewesen ... und nun raubte ein Fluch in den Bauch ihr den Atem. Hinter sich hörte sie Rufe. Mulciber und Pippa waren wieder da. Ein feiner Lackschuh landete auf Minervas Schulter. Unbarmherzig presste er sie tiefer in das feuchte Gras. Schmerz durchschoss sie, als Lestrange seinen Absatz unter ihr Schulterblatt drückte. Tränen füllten ihr Sichtfeld. Trotzdem hielt sie Elphinstones Blick unverwandt fest. Was immer jetzt mit ihnen geschah – sie waren wenigstens nicht alleine. »Mulciber, vermutlich hast du recht – der Todesfluch ist doch etwas langweilig«, rief Bellatrix über sie hinweg. »Zum Glück fällt mir da ein Zweck ein, dem die beiden hier dienen können. Nicht ganz so schnell und schmerzlos, ich hoffe, das gefällt dir!« Grobe Hände packten Minervas Arme und dann verschmolz die Welt um sie zu einem Schlauch, der sie zu erdrücken drohte. Als die Enge wich, war der Regen fort. Vor ihr ragte ein schmiedeisernes Tor empor, hinter dem ein steinernes Herrenhaus thronte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)