Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 23: Muggelmagie ----------------------- Der nächste Observationstag brachte noch mehr Regen mit sich. Dicke Tropfen – von der Sorte, die einem zielstrebig im Nacken landete, und sich anfühlte wie die unheilvolle Berührung eines Dementors – fielen seit dem frühen Morgen vom Himmel. Liebend gerne hätte Minerva dagegen Magie eingesetzt, doch zur Tarnung (heute jünger und mit blonden Haaren) blieb ihr nur, sich ebenfalls unter einem Regenschirm zusammenzukauern. Das war zumindest besser als der Vormittag, den sie in Animagusgestalt verbracht hatte, bis man ihr Fell einem Wischmopp gleich hätte auswringen können. Dennoch zogen sich die Stunden so zäh wie des Honigtopfs beste Siruplollis. Ihre Hoffnungen, dass Mulciber bald mit einer Abordnung Auroren kommen würde, schwanden mit dem Tageslicht dahin. Im Morgengrauen hatte er ihnen über das Flohnetzwerk berichtet, dass sich Reinblüter an der Westminsterbrücke mitten in London sammelten und das Ende ihrer angeblichen Unterdrückung gewaltsam einforderten. Mulcibers Beteuerungen zur Folge würden die vereinten Ministeriumskräfte zunächst den Aufstand unter Kontrolle bringen, ehe sie in Leeds eingriffen. Doch von der versprochenen Eule mit dem Befehl zur Ergreifung der Entführer fehlte seither jegliche Spur am grauen Himmel. Wenigstens trug Minerva den fertigen Schutztrank gegen den Melionwurzbann bei sich. Jede Minute, die sie jetzt noch untätig verbrachten, empfand sie grob fahrlässig. Von dem Wunsch getrieben, endlich zuzuschlagen, drehte sie die ungewohnt langen Locken um ihren Zeigefinger und tastete immer wieder nach dem Zauberstab an ihrem Unterarm. Elphinstone hatte seine Unruhe weit besser unter Kontrolle. Vermutlich trug die Euphorie über die Muggelerfindungen, die er bewundern durfte, dazu bei. Minerva ertappte ihn, wie seine Schritte immer kleiner wurden, bis er schließlich vor der Auslage des heute geöffneten Elektronikgeschäfts zum Stehen kam. Ein einzelner Fernseher, dem Preisschild zufolge das neuste Farbmodell für 300£, thronte dort auf einem Podest und zeigte das Nachmittagsprogramm. Diese Geräte waren Minerva zwar nicht unbekannt, aber da ihre Eltern erst zur Übertragung der royalen Hochzeit von Prinzessin Margaret eines der Dinger angeschafft hatten, wusste sie nicht, was es sonst zu sehen gab. Neugierig musterte sie neben Elphinstone die Szene. Gestalten in grünen, schuppenbesetzten Anzügen rannten durch die Gegend und lieferten sich ein Duell mit einem älteren Mann, der mit einem Metallstab herumwedelte, nicht unähnlich einem Zauberstab. Doch die Echsenwesen waren nichts gegen die vermeintliche Notrufzelle, in die der Herr flüchtete. Anstatt in ein karges Inneres stolperte er in einen riesigen Raum, der voller blinkender Flächen und Hebel war. Wenig später flog das blaue Holzhäuschen vor Sternennebel durch die Tiefen des Universums. »Muggel im Weltall, Merlin bewahre uns«, murmelte Elphinstone. »Die Menschheit schafft es ja nicht einmal auf dieser Erde, sich nicht zu bekriegen.« Minerva lachte auf. »Ich glaube, du willst gar nicht wissen, was die Muggel schon alles angestellt haben.« Aber selbst sie beschlich ein eigenartiges Gefühl bei der Vorstellung. Die Sterne waren ihr stets so unerreichbar erschienen, ein Mysterium, in dem – eventuell – ihr Schicksal geschrieben stand. Zumindest wenn man den Zentauren glaubte. Doch es gab nichts, was die Muggel zurückhielt, den letzten Schleier des Unerklärlichen zu lüften. »Sag mir nicht, dass es schon fliegende Notrufzellen gibt!«, rief Elphinstone ein wenig zu laut und sah sie aus großen Augen an. Schnell schüttelte sie den Kopf. »Das nicht, aber riesige, fliegende ... Metallkonstrukte, die sie bis zum Mond bringen.« »Ja klar – und ich fliege auf meinem Sauberwisch sechs da hoch und hole mir ein paar Mondfrösche, gleich nachher.« Minerva schenkte ihm einen durchdringenden Blick, von der Sorte, die sie sonst für Kinder aufhob, denen mal wieder unkontrollierte Funken aus dem Zauberstab hervorschossen. »Du hältst mich doch zum Troll, oder?« Der Blick von Elphinstone wanderte gen Himmel, an dem außer Regenwolken nichts zu erkennen war. »Ich meine ... der Mond?« Fast schon mitleidig schüttelte Minerva erneut den Kopf. »Bereits letztes Jahr sind die Muggel auf dem Mond gelandet. Und da es Amerikaner waren, haben sie ihre Flagge dortgelassen. Wenn du nachher Mondfrösche sammelst, siehst du sie bestimmt.« Hätte ihr Vater ihr nicht einen Ausschnitt aus der Muggelpost geschickt, wäre sie vermutlich genauso verblüfft. Nach allem, was in seinem Brief gestanden hatte, glaubten es selbst einige der Nachbarn nicht. »Plötzlich habe ich den Drang, öfter in eine Muggelzeitung zu schauen«, brummte Elphinstone, begleitet von leisem Lachen. »Mich beschleicht das Gefühl, dass es nichts gibt, was die Muggel aufhält ...« Dem konnte Minerva nur zustimmen. Hexen oder Zauberer hatten es jedenfalls nicht zu einem Gerät gebracht, das Farbbilder im ganzen Land übertrug; geschweige denn auf den Mond. Sie liebte die magische Welt und wollte diese niemals missen, aber die meisten Annahmen der Reinblüter ihre Überlegenheit betreffend waren schlicht falsch. Wenn es für sie etwas zu fürchten gab, dann den unberechenbaren menschlichen Forschungsdrang. Wer wusste schon, wozu ihre Technik die Muggel in ein paar Jahren befähigen würde.   Da es nicht danach aussah, als würde der Regen bald nachlassen, entschieden Minerva und Elphinstone sich, Unterschlupf in dem Café zu suchen, das schräg gegenüber von ihrem Observationsobjekt lag. Voll des schauspielerischen Übermutes redete Elphinstone davon, dass es an der Zeit für ihr wöchentliches Teedate sei. Insgeheim fragte Minerva sich, ob das die Ehe mit ihm wäre. Ein beschauliches Leben, in dem solche Unternehmungen dazugehörten. Gemeinsam alt werden und sich an der Schönheit des Alltags erfreuen. Immer wieder dieses Lächeln sehen ... Sie schüttelte die Vorstellung zusammen mit den Regentropfen ab und betrat das Café. Die Scheiben des kleinen Ladens waren beschlagen vom Regen und der Wärme, die sich im Inneren staute. Aus einem Radio hinter dem Tresen dudelte eine beschwingte Melodie, die ganz anders war als die vor Liebestränken tropfenden Gesänge von Celestina Warbeck. Allein deshalb gefiel es Minerva besser. Nur wenige Muggel waren in dem Laden und so ergatterten sie einen Tisch am Fenster, der ihnen einen verschwommenen Ausblick auf ihr Observationsobjekt gab. Von der gelangweilten Kellnerin bekamen sie eine Kanne Schwarztee nebst Milch und eine Etagere mit Scones gebracht. In dieser Hinsicht waren Zauberer und Muggel einander gleich – auch wenn Minerva Ingwerkekse bevorzugte. Auf ihrem Tisch lag ein ganzer Stoß tagesaktueller Muggelzeitungen aus, von denen sie dankbar eine zur Tarnung aufnahm. Bereits die ersten Worte des Daily Mirrors verliehen ihren Gedanken Ausdruck – ‚Was zur Hölle geht vor sich?‘. Nicht nur die Zaubererwelt wurde von Krisen geplagt. Offenbar war ein Passagierflugzeug von zwei mit Granaten bewaffneten Muggeln entführt worden. Man hatte am Londoner Flughafen notlanden müssen, wobei einer der Entführer im Kugelhagel der hinzugezogenen Polizei verstarb. Seine Begleiterin hingegen hatte der inländische Geheimdienst MI5 festgenommen. Minerva verstand wenig von den politischen Verwicklungen, die zu dieser Tat geführt hatten. Dennoch hinterließ der Artikel einen schalen Nachgeschmack. Ganz ohne tödliche Flüche fanden die Muggel stets neue Möglichkeiten, einander zu gefährden. Auch in dieser Hinsicht unterschieden sie sich kaum von der magischen Gemeinschaft. Deprimiert blätterte sie ein paar Seiten weiter, aber die Neuigkeiten dort waren nicht besser. In Nordirland gärte der Hass genauso wie am anderen Ende der Welt. Wahrlich ein Montag der Extraklasse. »Irgendwas Interessantes?«, fragte Elphinstone unbekümmert. Wortlos schob Minerva ihm das Blatt zu. Mit unverhohlener Neugier überflog er Bilder und Artikel, doch schlussendlich blieb sein Blick an der Anzeige für einen Schnellkochtopf hängen, die er studierte, als sei es eine Abhandlung über seltene Pflanzen des Mittelmeerraumes. Die schlechten Nachrichten standen allerdings nicht bloß in der Zeitung. Im Radio wurde Elvis Presleys ‚The Wonder of You‘ von einem Ansager unterbrochen. Minerva rührte seufzend Milch in ihren Tee, als das Wort Westminster fiel. Alarmiert horchte sie auf. Der Sprecher erzählte, dass die Brücke unweit des Muggelparlaments seit dem frühen Vormittag aufgrund eines schweren Unfalls gesperrt sei und die Bevölkerung das Gebiet weiträumig meiden solle. Dahin war ihre Hoffnung, dass Mulciber mitsamt Auroren auftauchen würde. Nicht, solange reinblütige Aufständische alle zum Troll hielten. Entmutigt versuchte Minerva, durch den Regen etwas vom Haus der Entführer auszumachen, doch in der einbrechenden Dunkelheit war es nicht mehr als ein Schemen. Auch die Geheimnisaufspürsonde regte sich nicht. Trotzdem musterte sie die vorbeiziehenden Passanten intensiv, in der Hoffnung, eine verräterische Bewegung oder einen ungewöhnlichen Umhang zu erspähen. Mitten in ihre Betrachtung versunken, ließ ein Räuspern Minerva zusammenschrecken. Sie erwartete, dass Elphinstone etwas sagen wollte, stellte dann allerdings fest, dass einer der Gäste an ihren Tisch getreten war. Ein schmaler Herr mit Halbglatze in einem Tweedjackett, auf dem Regentropfen glänzten. Verwundert zog sie die Augenbrauen hoch, als er sich auf einen freien Stuhl setzte und ihr durch seinen Schnurrbart ein grimmiges Lächeln schenkte. Unter dem Tisch rutschte ihr der Zauberstab in die Hand. Sie richtete ihn auf den ungebetenen Gast, doch ein stummer Aufspürzauber blieb wirkungslos. Er schien nur ein Muggel zu sein – oder ein geschickter Zauberer. Indes stupste Elphinstone das Taschenspickoskop neben seiner Teetasse an. Unverändertes Blassrot. Den Stab behielt Minerva dennoch in der Hand. »Entschuldigen Sie, aber – kennen wir uns?«, fragte sie über ihre Tasse hinweg. »Nun, noch kennen wir uns nicht«, erklärte der Unbekannte. Er sprach nur mit leiser Stimme, sodass Minerva sich anstrengen musste, ihn trotz des Radios zu verstehen. »Sie werden es mir nachsehen müssen, aber ich mag es nicht, wenn man sich in meine Ermittlungen einmischt. Meine Leute haben gesehen, wie Sie um unser Observationsobjekt herumgeschlichen sind. Also, welche Institution schickt Sie hierher?« »Ah ... was?« Elphinstone starrte den Mann an, als hätte der ihm eröffnet, einen Spaziergang im Weltall zu planen. »Ich fürchte, ich verstehe nicht.« Einer Eingebung folgend griff Minerva sich eine Papierserviette und schwang im Schutz der Tischplatte erneut den Zauberstab. Verdeckt von ihrer Hand verwandelte sich das dünne Papier in einen Ausweis, mitsamt Fotografie und Stempel. Ein weiterer Zauberstabschlenker und die Täuschung war vollkommen. Sie würde kein Risiko eingehen. Derweil schnaubte der Fremde in Richtung Elphinstone gewandt. »Netter Versuch, aber mich können Sie nicht täuschen.« Er streckte seine Hand über den Tisch. »Hammond, Detective Superintendent und leitender Ermittler der Kriminalpolizei.« »Ähm«, entkam es Elphinstone und er erwiderte den Gruß, ohne sich selber vorzustellen. Was hätte er auch sagen sollen – Zauberer? Minerva reichte dem Detective ihrerseits die Hand, um ihn aus der unangenehmen Situation zu befreien. »Agentin McGregor und das ist mein Partner ...« »Ah, Agent Hastings?«, sprang Elphinstone zögerlich ein. »Ja, genau ...« Kurz hielt Minerva inne, ehe ihr einfiel, woher sie den Namen kannte. Der Ravenclaw aus Albus’ Erinnerung. »Mr Hammond, der MI5 schickt uns.« Unaufgefordert schob sie die verzauberte Serviette über den Tisch. Der Mann öffnete den Mund, schloss ihn wieder, griff sich an den Schnurrbart und nickte schließlich. »Natürlich«, erwiderte er mit verklärter Stimme. Zum Glück hatte Minerva die volle Aufmerksamkeit des vom Illusionszauber betroffenen Detective, denn so entging ihm, wie Elphinstones Augenbrauen in die Höhe wanderten. Noch mehr Glück war, dass sie eben erst den Zeitungsartikel über den Vorfall am Flughafen gelesen hatte. »Also sind Sie hier, um den Fall zu übernehmen, ja?«, seufzte der Ermittler. »Nun, Mr Hammond, wir haben Grund zu der Annahme, dass diese Angelegenheit gefährlich ist.« »Wollen Sie mir etwa Unfähigkeit unterstellen?« »Nein, nein – wir sind nur besorgt um Ihre Sicherheit.« Der Mann hob die buschigen Augenbrauen. »Hören Sie, ich ermittle in dieser Sache seit geraumer Zeit. Meine Leute haben alles im Blick, Tag und Nacht. Und gestern tauchen Sie plötzlich auf. Ich meine – man muss es Ihnen lassen, schöne Verkleidungen. Beeindruckend. Aber Ihr Interesse an Haus Nr. 42 ist doch etwas auffällig. Ganz zu schweigen davon, dass Sie in allen möglichen Läden hier einkaufen waren. Was denken Sie, was wir hier tun? Däumchen drehen? In jedem Geschäft sitzen meine Leute. Winken Sie ruhig mal Carol, der Kellnerin.« Perplex senkte Minerva den Zauberstab unter dem Tisch und räusperte sich. »Wir hatten keine Ahnung –« Der buschige Schnurrbart zuckte, als der Detective in Gelächter ausbrach. »Man könnte meinen, der MI5 wäre besser informiert. Ich sage Ihnen etwas, Agentin McGregor: Wir haben den Parlamentssekretär Theo Winters lange überwacht, um mit seiner Hilfe diese Erpressungsaffäre unter Politikern aufzudecken. Bis Mr Winters vor zwei Tagen seinen kryptischen Hilferuf auf einem Einkaufszettel in der Auslage des Gemüsehandels hinterlassen hat. Auf dem wir zudem unbekannte Fingerabdrücke gefunden haben, die eine Verbindung zu einem Vermisstenfall aus Südengland aufzeigen. Seither haben wir uns akribisch darauf vorbereitet, Mr Winters und seine schwangere Frau aus der Hand dieser Verbrecher zu befreien. Egal, was der MI5 sagt – heute Nacht erfolgt der Zugriff. Das sind wir der Familie schuldig.« Minerva klappte der Mund auf. Ihre Mischung aus Erfindungsgeist und Unwissenheit ließ diese Menschen geradewegs ihrem Verderben entgegenarbeiten. Weshalb hatte sie die Muggelpolizei nur derart unterschätzt? Sie hätte es besser wissen sollen! »Also – warum glauben Sie, sich einmischen zu müssen?«, fuhr der Detective ungerührt fort. Er beugte sich vor, wobei sein Jackett den Blick auf die Schusswaffe in ihrem Schulterholster freigab. »Hat der Geheimdienst Ihnen ein paar nette technische Spielereien gegeben, dank derer Sie sich überlegen fühlen?« Ein Blick zu Elphinstone zeigte Minerva, dass er ebenso entsetzt dreinsah wie bei ihrer Enthüllung der Mondlandung. Er starrte auf die Pistole und betastete den Ärmel, in dem sein Zauberstab steckte. Die Hand um ihren Stab geballt, fasste Minerva einen Entschluss, der hoffentlich alle Beteiligten schützen würde – auch wenn das Wie nicht jedem gefallen dürfte. »Mr Hammond, persönlich gesprochen habe ich den höchsten Respekt für Ihre Arbeit. Doch angesichts der besonderen Lage denke ich, dass eine Zusammenarbeit in aller Sinne wäre. Mein oberstes Interesse gilt der Rettung Unschuldiger. Anderweitige Differenzen haben hierbei keinen Platz.« Detective Hammond hielt einen Augenblick inne, dann kräuselte sich sein Schnurrbart unter einem Lächeln. »Weise Worte, Agentin McGregor. Ja, ich denke, eine Zusammenarbeit ließe sich arrangieren.«   Die Schaltzentrale der Polizei befand sich in einer leerstehenden Wohnung oberhalb der Ladenzeile. Bisher war Minerva der Überzeugung gewesen, dass sie die Muggelwelt kannte, doch die kleinen Monitore und anderen Gerätschaften voller Lämpchen, die Hammonds Leute aufgebaut hatten, erschienen nicht nur in Elphinstones untertellergroßen Augen wie ... Magie. Muggelmagie – der offenbar ein Duftgemisch aus heißem Plastik, Ozon und Kaffee eigen war. Ein junger Mann hatte ihnen je einen Pappbecher mit der mitternachtsschwarzen Brühe gebracht, kaum dass Hammond sie seinen Leuten vorgestellt hatte. Inzwischen standen sie zu dritt um einen Tisch in der Raummitte herum, auf dem der Detective einen Bogen Papier entrollt hatte, der mit einem Lageplan der Häuserzeile gegenüber bedruckt war. »Dank unserer Infrarotdetektoren konnten wir feststellen, dass sich neben der Familie Winters bis zu neun fremde Personen in dem Zielobjekt aufhalten«, erklärte Detective Hammond und stützte sich auf den Tisch. »Wobei öfters Personen das Haus verlassen, denn die Wärmesignaturen schwanken tagsüber. Wir verstehen allerdings nicht, wie. Gesehen haben wir nie jemanden, außer eben Mr Winters, den sie vermutlich nur haben gehen lassen, um den Anschein zu wahren – und für sie einzukaufen.« »Haben Sie auch den Keller überwacht?«, wollte Minerva wissen. Hammond runzelte die Stirn. »Keller? Davon höre ich zum ersten Mal.« »Wir haben gehört, wie sich die Nachbarinnen darüber unterhalten haben, dass die Winters vor Kurzem eine Unterkellerung in Auftrag gegeben haben«, behauptete Elphinstone unerwartet. Er zuckte mit den Schultern. »War wohl ziemlich teuer, zumindest haben sie mir einen neidischen Eindruck gemacht, weil sie die Weihnachtsdekoration weiterhin auf dem Dachboden stapeln müssen.« Minerva beeilte sich, zu nicken, als hörte sie diese Lüge nicht zum ersten Mal. »Nun, die Damen würden anders denken, wenn sie wüssten, dass Mrs Winters dort mit großer Wahrscheinlichkeit gefangen gehalten wird.« Sie stellte ihre Handtasche auf den Boden und kramte zwischen den Phiolen herum, bis sie Robbies Grundriss fand. »Auf Basis von allem, was wir wissen, haben wir diesen Plan angefertigt«, erklärte sie und breitete das Pergament neben dem bedruckten Papier aus. »Verstehe.« Hammond streichelte seinen Schnurrbart. Skeptisch fuhr sein Blick über die spitzen Tintenlinien. »Wie sicher sind diese Informationen?« »Der grobe Grundriss stimmt, davon bin ich überzeugt.« »Nun, dann dürfte das unseren Plan erheblich erleichtern.« Der Detective schnaufte und leerte seinen Kaffee in einem Zug. »Wir hatten ehrlich gesagt damit zu kämpfen, dass unsere Technik wiederkehrenden Störungen unterworfen war. Aber zuletzt haben wir es geschafft, ein Paket mit verstecktem Mikrofon zuzustellen. Trotz der Interferenzen klang durch, dass die Erpresser einen großen Erfolg zu feiern haben. In ihren Worten wollen sie sich heute Abend Mr Winters Whiskysammlung vorknöpfen. Wenn sie dem Alkohol frönen, ist das unsere Gelegenheit, das Haus zu stürmen.« Minerva warf einen Blick zu Elphinstone, der seinen Kaffeebecher so fest drückte, dass heiße Flüssigkeit über seine Finger tropfte. Er fluchte nicht einmal, sondern nickte ihr nur grimmig zu. An diese wertvolle Information wären sie ohne die Muggeltechnik nie gekommen. »Nach unserem Zeitplan soll eine Einheit das Haus Punkt 22 Uhr stürmen.« Hammond zog Robbies Plan zu sich heran. »Mal sehen ...« »Das Badezimmer«, sagte Elphinstone bestimmt und schüttelte die Kaffeetropfen von seiner Hand, bevor er auf einen Raum im vorderen Teil des Hauses tippte. »Das Zimmer ist weit weg vom Wohnzimmer, in dem sich die meisten Personen aufhalten werden. Von dort gelangt man direkt in den Flur, zur Kellertreppe.« Vor Minervas geistigem Auge tat sich ein Plan auf. »Ja. Noch besser, wenn wir uns aufteilen«, bekräftigte sie mit einem Blick zu Elphinstone. »Durch die Gartentür gelangt man ins Wohnzimmer, ebenso wie durch die Küche. So können zwei Gruppen die Erpresser beschäftigen, sofern es nötig ist, während eine dritte Einheit die Gefangenen im Keller befreit. Egal, was hinten passiert – sie können durch die Haustür in Sicherheit gebracht werden.« Detective Hammond nickte langsam. »Einverstanden. Wir riegeln die Straße weitgehend ab, dann können uns Scharfschützen von hier aus Deckung geben. Ich gehe davon aus, dass Sie beide mitkommen werden?« »Sicher und wenn es sich einrichten lässt auch Kollegen von uns«, erwiderte Minerva, das Foemicus-Band an ihrem Handgelenk reibend. »Dann werde ich meine Leute in Kenntnis setzen. Einsatzbesprechung um 20 Uhr, hier.« »Oh, eine Bitte noch, Mr Hammond – dürften Agent Hastings und ich uns wohl Ihre Aufnahmen aus dem Haus der Winters anhören?« Der Detective zuckte mit den Schultern. »Ich sag’s offen heraus – das Zeug ist größtenteils unbrauchbar. Ständiges Rauschen und wenn man etwas versteht, benutzen die Erpresser offensichtlich Codes, die fantasievoller sind als der Kram, den Tolkien geschrieben hat. Ehrlich, ich wüsste nicht, was es bringt. Aber wenn Sie wollen ...« »Unbedingt.« Da Detective Hammond seine Leute für den Einsatz vorbereitete, brachte einer seiner Männer Minerva und Elphinstone in ein Nebenzimmer. Er legte ihnen einen Stapel Tonbänder hin, ehe er wortlos entschwand und sie mit einem Abspielgerät voller mysteriöser Knöpfe alleine ließ. Eine Weile starrte Elphinstone die Apparatur an, als erwarte er, dass sie zubiss, dann zückte er den Zauberstab und imperturbierte die Tür. Seufzend wandte er sich Minerva zu. »Was tun wir hier?« »Das Richtige?« Minerva drückte wahllos Knöpfe an dem Gerät. »Jedes Fitzelchen Information über unsere Gegner ist Koboldgold wert. Und wir müssen diese Menschen davor bewahren, einen Fehler zu machen, der sie ihr Leben kosten wird.« »Damit meinst du, dass wir ihnen Schlaftrank in den grässlichen Kaffee mischen und diesen Plan ohne sie in die Tat umsetzen, richtig?« »Phin ...« Ihre Finger trommelten auf das Plastik, während Minerva ihn ansah. »Du siehst selber, welche Möglichkeiten sie haben. Vielleicht kann uns ihre Technik mehr helfen, als wir denken. Damit wird Blacks Bande nicht rechnen.« »Schon ... aber wie ist das überhaupt möglich?« Elphinstone deutete auf den Stapel Tonbänder. »Wie kann das die Schutzzauber durchdringen, an denen wir uns fast die Zähne ausbeißen?« »Es gibt Orte, an denen Technik grundsätzlich nicht funktioniert, wie Hogwarts oder die Winkelgasse. Ich nehme an, dort ist die magische Konzentration zu groß. Richtig erforscht wurde das nie. Aber ein einzelner magischer Haushalt dürfte etwas anderes sein.« Minerva drückte einen weiteren Knopf und lautes Quietschen erklang. Hastig hämmerte sie auf die Taste, um es zum Schweigen zu bringen. »Meine Eltern haben genug elektrische Geräte, die einwandfrei funktionieren. Das Rauschen, von dem Detective Hammond gesprochen hat, ist vermutlich auf die Schutzzauber zurückzuführen. Doch solche technischen Möglichkeiten wurden bei der Kreation dieser Banne schlicht nicht mitbedacht. Wenn du so willst, ist es der Zauber von Muggeltechnik, dass sie trotzdem funktioniert.« Endlich fand sie den richtigen Knopf und setzte eine Aufnahme in Gang, die den Raum mit Bellatrix Blacks Erklinglache erfüllte. Detective Hammond hatte recht – die Tonspur war ähnlich in Mitleid gezogen wie Caius’ vernebelte Erinnerung. Abgehackte Wortfetzen ließen nur erahnen, was Black und ihre Gefolgsleute den Gefangenen antaten. Doch die paar verständlichen Worte reichten. Blutsverräter, Reinheit, Schlammblüter. Unwillkürlich schüttelte Minerva sich und stoppte das Band. Warum hatte sie im Verwandlungsunterricht nie bemerkt, wie grausam das Mädchen war? Elphinstone ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. »Ich weiß, dass die Lage unser Eingreifen erfordert. Aber können wir diese Polizisten guten Gewissens da mithineinziehen? Wir haben keine Ahnung, was uns in dem Haus erwartet.« Sein Blick streifte ihre verwandelten Locken und er strich eine davon über ihre Schulter. »Ich will nicht, dass du dir am Ende Vorwürfe machst, Min.« Die Geste löste ein Prickeln auf Minervas Kopfhaut aus, bei dessen unpassender Intensität sie fast wünschte, ihr Haar hochgesteckt zu haben. »Wir brauchen Unterstützung. Neun mögliche Entführer – selbst mit Mulcibers und Pippas Hilfe sind das zu viele für uns. Auf das Ministerium brauchen wir nicht warten, solange sie mit den Ausschreitungen in London beschäftigt sind.« Elphinstone öffnete den Mund, doch sie sprach schnell weiter. »Die Muggel haben eigene Waffen. Du siehst ja, wie effektiv manches gegen Magie ist. Hinterher kann die Patrouille sie immer noch oblivieren. Oder meinetwegen Mulciber. Aber wir müssen die Gefangenen retten, sonst könnte es bald zu spät sein. Der Junge ist elf, Phin. Elf.« Mit einem Seufzen schloss Elphinstone die Augen. »Ich sage es nicht gerne, aber wir sollten zumindest mit Mulciber reden, bevor wir irgendetwas entscheiden.« Das war wenigstens keine Ablehnung, also beschied Minerva sich darauf, ihm zuzunicken, ehe sie die Wiedergabe erneut startete. Elphinstone schwieg, doch ihre Hand ließ er nicht los. »Wie lange noch?«, verlangte Rowle in der Aufnahme zu wissen. »Ich stinke schon wie eine dieser Ratten!« »Geduld ist eine Tugend, die dir gut zu Gesicht stünde«, erwiderte eine Stimme, die Minerva dem Zauberer zuschrieb, den Bellatrix Black so süffisant als ‚Liebsten’ bezeichnet hatte. »Keine bedeutende Forschung hat über Nacht zur Blüte gefunden.« Rauschen, Knarzen – vielleicht Schritte. Das folgende Kichern gehörte eindeutig Bellatrix Black. »Und doch gelangt man nicht zu Ergebnissen, wenn man niemals begierig darauf ist, solche zu erzielen. Ich kann dich beruhigen, Thorfinn. Die kleine Blutsverräterin wird es nicht mehr aufhalten. Und wenn ich unseren Probanden selber holen muss, wir halten bald alles in den Händen. Sie ist stark genug, dass es überleben wird.« Minerva sah den Dolch aus Theos Erinnerung vor sich aufblitzen. Instinktiv drückte sie Elphinstones Hand fester, als Blacks Komplize erneut sprach. »Es wäre mir lieber, wenn es auf natürlichem Weg geschieht, Bella. Wir brauchen sie unversehrt. Der Zauber könnte einen geschwächten Körper auslaugen, bevor wir merken, ob er richtig wirkt. Ohne ihr vollmagisches Blut stünden wir wieder am Anfang.« Gleichmütig wandte Rowle ein: »Ich habe noch Blutbildungstrank, der sie stärken wird, wie schon die Muggel.« »Trotzdem warten wir noch ein wenig länger!«, zischte der andere Zauberer. »Wir dürfen es auf den letzten Schritten nicht übereilen, wenn wir Geschichte schreiben wollen.« Danach folgte nur ein Knacken, als das Band zum Ende gelangte. Keine der nachfolgenden Aufnahmen brachte mehr Erkenntnisse über den Blutfluch. Doch Minervas Entschluss stand fest. Heute Nacht würden sie einschreiten.   »Nein. Ausgeschlossen.« Knisternde Funken und glühende Holzscheite verliehen Mulcibers Gesicht, das aus dem Kamin des Brettspielladens zu Minerva aufsah, einen besonders grimmigen Ausdruck. »Also hast du eine bessere Idee, ja?« »Nein! Aber das ist ...« »Verzweifelt?«, schlug Elphinstone vor. Mit in die Hüften gestemmten Händen starrte Minerva ihn an. »Tut mir leid, aber es ist die Wahrheit.« Er hob hilflos die Schultern. »Ich meine –« »Verschone mich!«, fauchte sie und wandte sich ab. »Ich werde jedenfalls nicht zusehen. Ihr beide wisst, wozu die Muggel fähig sind. Immerhin seid ihr alt genug, um euch an ihren verfluchten zweiten Weltkrieg zu erinnern. Ihr wisst vermutlich besser als ich, dass ein Muggel mit Pistole genauso effektiv ist wie ein Zauberer mit dem Todesfluch.« »Du willst also ein paar Lämmer zur Schlachtbank führen?«, resümierte Mulciber aus dem Feuer. »Ich werde Leben retten!« »Und Muggel opfern, um ein paar Schlammblüter zu retten.« Minerva ballte die Fäuste. »Wie kannst du nur – du widerwärtiger, wurmbefallener, wichtigtuerischer ...! Wenn man gar nichts tut, hat man schon verloren. Nur weil die Auroren das Muggelparlament schützen müssen, werde ich nicht aufgeben. Es ist ja nicht so, als wüssten die Polizisten nicht, dass ihr Einsatz gefährlich ist. Merlin, es ist auch für mich gefährlich. Aber das hält mich nicht auf!« Elphinstone legte eine Hand auf ihre Schulter. Wütend wischte Minerva diese fort und trat einen demonstrativen Schritt zur Seite. Er seufzte leise. »Es ist deine Entscheidung, Alston. Ich werde hingehen, wo Minerva ist«, erklärte Elphinstone geduldig. »Denn egal wie verzweifelt der Plan ist – es ist ein Plan. Jeder zusätzliche Zauberstab hilft.« Mulciber bewies einmal mehr, dass Augenrollen seine Paradedisziplin war. »Ihr beide werdet noch mein Tod sein«, murmelte er. Mit einem Ploppen verschwand sein Kopf und die orangenen Flammen schlugen in grelles Grün um. Keine Sekunde später erhob sich Mulciber in voller Größe vor Minerva und Elphinstone, die Arme vor der Brust verschränkt. »Wehe, ich bereue das.« Sein Augenlid zuckte, als Minerva ihm den Zauberstab unters Kinn bohrte. »Eine falsche Bewegung und du bist eine Nacktschnecke«, zischte sie. »Also halt besser still, während ich dich verwandle. So kannst du nicht rumlaufen.« Er rollte zwar erneut mit den Augen, doch sie spürte, wie sein Adamsapfel unter ihrem Zauberstab hüpfte. Ungerührt drehte sie den Stab und Mulcibers dunkles Haar wurde heller, bis es orangerot schimmerte. Um das Bild abzurunden, verpasste sie ihm Locken. Mit der Frisur nebst Sommersprossen hätte er zur Weasley-Familie gehören können. Minerva war sicher, dass er es hassen würde. Und tatsächlich – sobald Mulciber ihr Verwandlungswerk in der Spiegelung auf der Schaufensterscheibe bemerkte, griff er sich stöhnend an die neue Haarpracht. Ein letztes Schnippen ihres Zauberstabs verpasste ihm ein Paar Segelohren, die seine Eitelkeit zusätzlich quälen würden, ehe sie allen voran aus dem Laden stolzierte. Zurück in der Muggelzentrale war es ein leichtes, den widerlichen Kaffee in einem unbeobachteten Moment mit dem Melionwurztrank zu versetzen. Vermutlich hob das den Geschmack der Plörre noch, denn die Polizisten kippten sie herunter, als sei es leckeres Goldlackwasser. Damit sich die Tränke nicht gegenseitig beeinflussten, träufelte Minerva den Resistenztrank kurzerhand auf die Gebäckteilchen, die zu ihrer Einsatzbesprechung gereicht wurden. Es reichte gerade so, um alle Muggel zu schützen. Elphinstone, Mulciber und sie würden sich alleine auf ihren Zauberstab verlassen müssen. Aber im Ministerium oder Gringotts war es schließlich genauso gewesen – kein doppelter Boden, keine Tränke, nur ihre Fähigkeiten. Zu ihrer Überraschung reichte Detective Hammond ihnen im Anschluss zur Besprechung allerdings schusssichere Westen sowie Funkgeräte. Mulciber murmelte etwas davon, lieber zu sterben, anstatt in so einem Aufzug gesehen zu werden, doch Minerva erkannte darin ihre Chance. Während um sie letzte Vorbereitungen getroffen wurden, zog sie beide Zauberer mit sich ins Nebenzimmer. In aller Kürze erläuterte sie ihnen, dass die Westen mit einem modifizierten Schildzauber eventuell nicht nur vor Kugeln, sondern auch Flüchen schützen könnten. Die Zeit bis zum Einsatz blieb knapp bemessen, aber letztlich war es nichts anderes, als bis zum Abgabeschluss über einem Aufsatz für Verwandlung heute zu sitzen. Minerva steckte ihre Haarpracht hoch und schnappte sich einen Bogen Schreibmaschinenpapier, den sie zu dritt mit Verwandlungsmatrizen füllten. Gleichwohl Mulciber ein grausiger Zaubertheoretiker war, stellte er doch seine List darin unter Beweis, ihren provisorischen Zauber über die Einheiten zu verteilen, bevor sie Position bezogen. Ob es funktionierte, würde sich zeigen. Sie mussten die am besten geschützte – und einzige – Einsatztruppe aus magischen und nichtmagischen Menschen sein. Doch nicht einmal diese Gewissheit verhinderte, dass Minervas Hände furchtbar schwitzten, als sie den verbliebenen Trank einnahm, der ihre zaubersensitive Aura verbergen würde. Auf dem Weg hinüber zur Haus Nr. 42 fasste Elphinstone sie sanft am Ellenbogen. Er brauchte nichts sagen, die Sorge in seinem Blick reichte. Am liebsten hätte Minerva ihn an Ort und Stelle in die Arme geschlossen und nicht wieder losgelassen. Stattdessen versuchte sie ein zuversichtliches Lächeln. »Agent Mulciber nach hinten. Agent Hastings, dort rüber bitte, Sie gehen mit durch die Küche. Und Agentin McGregor, Sie kommen mit mir«, durchbrach Detective Hammond den Moment. Seine Männer bezogen bereits im Garten des Nachbarhauses Stellung. Mulciber drehte sich mit verräterisch zuckenden Mundwinkeln um. Er wartete, bis Hammond voranging, dann murmelte er: »Ihr wollt mich doch verarschen. Das sind eure Decknamen? Die Nachnamen eurer Ex-Verlobten? Merlin, ist das traurig ...« Elphinstones Griff an Minervas Arm versteifte sich. »Alston, es tut mir wirklich leid, dass du seit dem Tod deiner Ehefrau so einsam bist, aber das heißt nicht, dass wir deinen Frust ertragen müssen«, gab er frostig zurück. »Es ist acht Jahre her. Ernstgemeinter Rat – such dir Hilfe.« Zum ersten Mal erlebte Minerva, dass Alston Mulciber keine Erwiderung auf den Lippen lag. Knirschend presste er die Kiefer aufeinander und verschwand in Richtung Garten. Sie war ebenso sprachlos, aber aus anderem Grund. Von Elphinstones früherer Verlobung hörte sie zum ersten Mal. »Das war fies, nicht wahr?« Ein Seufzen entkam Elphinstone. »Merlin ... es tut mir jetzt schon leid. Das hätte ich nicht sagen sollen.« Sie antwortete mit Achselzucken. »... er hat es wohl provoziert, schätze ich ... du weißt ja, wie er ist ...« Bevor sie noch über ihre Worte stolperte, wandte sie sich ab, um Hammond zu folgen. »Es tut mir leid –« »Wie gesagt, Mulciber überlebt das schon.« »Das meine ich nicht.« Zögerlich griff Elphinstone nach ihrem Unterarm. Er hielt sie nicht wirklich fest, doch die Berührung reichte, damit sie nicht weiterging, sondern sich noch einmal umdrehte. »Ich wollte nur sagen, dass ... Was immer Mulciber hier gerade impliziert hat, er liegt falsch. Der Name war einfach nur der Erste, der mir in der Situation eingefallen ist. Immerhin hast du mir quasi die Muggelpistole auf die Brust gesetzt!« »Ah, Phin ...« Beschwichtigend legte Minerva ihrerseits eine Hand auf seinen Arm. »Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich bin doch ebenso hoffnungslos.« »Trotzdem. Ich weiß auch nicht, warum ich dir nie erzählt habe, dass ich mal fast geheiratet hätte.« »Ist ja nicht so, als wenn ich irgendwie ein Anrecht auf diese Information hätte, so als deine ehemalige Auszubildende.« »Nein, aber als Frau, der ich zehn Anträge gemacht habe. Ich will auch nur sagen ... das war vorher. Lange vorher. Die Beziehung mit Archie ist aus und vorbei, seit über 15 Jahren.« Ein schwerer Seufzer entwischte ihm. »Wir waren seit der Schulzeit ein Paar, unsere ganze Ausbildung über. Aber als du in meine Abteilung kamst, war es längst vorbei. Deshalb habe ich nie von ihm erzählt. Und abgesehen davon ... gehören meine Gefühle nicht mehr ihm.« »Und selbst wenn doch, es geht mich nichts an. Immerhin bin ich die Frau, die zehnmal ‚Nein‘ gesagt hat.« Dieses Gespräch war zu intim, zur falschen Zeit. Am liebsten hätte Minerva Mulciber nachträglich noch in eine Nacktschnecke verwandelt. Elphinstone redete allerdings weiter, als wäre ein Stein ins Rollen gekommen, der nun ungebremst einen Hang hinab jagte. »Trotzdem, du verdienst die Wahrheit. Weil ich es so will. Vielleicht ist es sogar gut, wenn du es jetzt erfährst, bevor wir losziehen und weiß Merlin was passiert.« Selbst im fahlen Mondlicht erkannte Minerva, dass seine Ohren pink leuchteten, als er sich auf die Unterlippe biss. »Die Wahrheit ist, dass Archie mich nur ein paar Tage vor der Hochzeit verlassen hat. Wir hatten alles bereit – die Papiere, unsere Anzüge, die Ringe ... und dann war er plötzlich weg. Merlin, ich dachte bis zuletzt, dass er nur angespannt wäre, weil er als Muggelgeborener mit dem Hass einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die zwei Männer im Gegensatz zur Zauberwelt nicht heiraten, geschweige denn einander lieben lässt. So wie seine Eltern, die nie akzeptiert haben, dass ihr Sohn nicht nur zaubern kann, sondern auch schwul ist. Dabei ... lag es einfach an mir. Daran, dass ich nach all der Zeit nicht mehr seine Gefühle wert war.« Betreten presste Minerva ihre Lippen aufeinander. Diesen stillen Schmerz in Elphinstones Augen ertrug sie nicht. Zu sehr erinnerte er an ihre Schuld gegenüber Dougal. »Manchmal ... frage ich mich, ob wir zu lange gewartet haben«, fuhr Elphinstone fort. Sein Blick huschte zu den Muggelpolizisten, die schon Stellung bezogen hatten, dann zurück zu ihr. »Ob wir uns ehrlicher um die Beziehung bemüht hätten, wenn wir bereits verheiratet gewesen wären.« Sie drückte seine Hand. »Oh Phin ...« »Schon gut. Ich weiß, dass es nutzlos ist, darüber nachzudenken. Es ist nur – was ich damit sagen will: Es tut mir leid, dass ich dich quasi dazu gezwungen habe, zehn Mal ‚Nein‘ zu mir zu sagen. Ich sollte mir wohl eingestehen, dass ich mich hinter dieser erwartbaren Ablehnung nur vor meiner Beziehungsangst verstecke.« Minerva sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Aber du hast früher andere gedated, als wir noch zusammengearbeitet haben –« »Und ich bin wieder verlassen worden.« Heiserkeit schlich in Elphinstones Stimme. »Jedes Mal. Meist hat es nicht mal ein halbes Jahr gehalten. Aber egal. Ich weiß jedenfalls, dass keine so stolze Frau wie du den erstbesten Heiratsantrag annimmt, den ihr irgendein Idiot macht. So fangen die wenigsten guten Beziehungen an. Und es tut mir ehrlich leid, dass ich versucht habe, rückwärts zu zaubern.« Ihr typisches, amüsiertes wie empörtes Schnauben blieb Minerva auf halbem Wege stecken, doch ihre Mundwinkel zuckten verräterisch. »Nun, du warst nicht der erstbeste Idiot, eher der zweitbeste«, sagte sie schließlich. Mit niedergeschlagenen Lidern brummte Elphinstone einigermaßen belustigt auf. »Dougal McGregor, hm?« »Ja. Und wie es mit ihm geendet ist ... Es ist wohl gut für dich, dass ich nie ‚Ja‘ gesagt habe.« Sie spürte Elphinstones Daumen über ihren Handrücken kreisen. »Nun ... Die Dinge sind, wie sie sind – und das ist in Ordnung. Vielleicht sogar besser so. Ich bin dir nicht böse. So wie du Archie nicht länger liebst, liebe ich Dougal schließlich auch nicht mehr. Deckname hin oder her.« Die Erkenntnis war ausgesprochen, bevor Minerva ihrer Bedeutung gewahr wurde. Aber es stimmte. Bei ihrer letzten Begegnung hatte Dougal McGregor zum ersten Mal kein Schnatzjagdgefühl mehr in ihr erweckt. Sie gab dem Drang nach und schlang die Arme fest um Elphinstone. Nur für einen Moment wollte sie noch in seiner Wärme baden. »Lass uns den Entführern gehörig in den Allerwertesten treten, ja?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)