Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 18: Verlies Nr. 232 --------------------------- Die Flammenbrunst hatte das weit offenstehende Tor von Verlies Nr. 232 vollkommen verbogen. Gierig leckten Feuerzungen am nackten Stein drumherum und warfen ihr flackerndes Licht auf die vier Gestalten darin, deren Silhouetten sich dunkel vom orangenen Glühen abhoben. Noch hatten die Flammen nicht alles restlos verschlungen, aber sie arbeiteten sich gnadenlos auf das Grüppchen vor. »Robbie!«, schrie Minerva auf. Krallen der Sorge schlugen tief in ihr Herz. Während ihre Lore an Fahrt verlor, je näher sie dem Ziel kamen, fiel ihr Blick auf den unbewegten Kobold im vorderen Sitz. Er stand noch immer unter der Kontrolle ihres Imperius, sonst hätte er wohl kaum so arglos auf das Flammenmeer geblickt. »Bitte«, richtete sie sich atemlos an ihn, »können Sie Hilfe holen? Alarm schlagen?« Er blinzelte behäbig, den Blick unverwandt auf das Feuer gerichtet. Natürlich. Sie musste es ihm befehlen. Aber die Worte blieben in ihrer Kehle stecken, als wären es Glasscherben. Es war ohnehin zu spät. Vielleicht würde ihr Bruder diesen Abend nicht überleben. Ausgerechnet in Gringotts, dem angeblich sichersten Ort in Großbritannien, gleich nach Hogwarts. Dieses Mal bildete Minerva sich nicht ein, dass Elphinstone ihre Zauberstabhand ergriff. Ganz leicht strich er über ihren Handrücken. Sie konnte nicht sagen, ob wegen des Fluches oder Robbie. Doch es war egal, denn die Entscheidung war gefallen. Sobald der Wagen weiter abbremste, schloss sie die Augen; löste die imaginären Fäden, die den Willen des Kobolds an ihren banden. Für ein, zwei Wimpernschläge saß dieser wie erstarrt in der Lore. Dann riss er die Augen weit auf. Ein Schwall an Koboldflüchen drang aus ihm hervor. Pippa drehte sich auf ihrem Platz um, die Augenbrauen missmutig zusammengezogen. Sie öffnete den Mund, wahrscheinlich um sich zu beschweren, doch Minerva kam ihr zuvor. »Bitte«, wandte sie sich erneut dem Kobold zu, »gehen Sie zurück. Schlagen Sie Alarm! Es sind Eindringlinge in Verlies Nr. 232, das sehen Sie doch auch, nicht wahr?« Er starrte sie an, als würde er am liebsten seine dünnen Finger um ihren Hals schlingen und ihr die Luft abschnüren. Was sie ihm nicht verübeln konnte, nach dem, was sie ihm angetan hatte. »Sie ...!«, krächzte er. »Meinetwegen können Sie mich später gefangen nehmen lassen, Hauptsache, Sie bringen sich in Sicherheit und sorgen dafür, dass hier eine ganze Brigade aus dem Ministerium auftaucht, hören Sie? In dem Verlies sind Leute, die nicht vor dem Einsatz schwarzer Magie zurückschrecken!« Das war das Mindeste, was sie jetzt noch tun konnte. Sie hoffte nur, dass er keine Zeit verschwenden würde. Zumindest ruckte der Kobold knapp mit dem Kopf, auch wenn dem grimmig gemurmelte Worte in seiner Sprache folgten, die sie nicht verstand. »Danke.« Bevor ihr Wagen vollständig vor dem Verlies zum Stehen kam, sprang Minerva auf den Steinboden davor, ihren Zauberstab parat. »Aguamenti!« Ein Strahl Wasser schoss durch die Luft, nur um wirkungslos zu heißem Dampf zu verpuffen, sobald er auf das Feuer traf. Trotzdem hob sie ein weiteres Mal den Stab, um eine zweite Welle in das orange Inferno zu schicken. Neuerliche Dunstschwaden erfüllten die Höhle und vernebelten vorübergehend die Sicht auf das Verliesinnere. »Das bringt nichts«, rief Pippa gedämpft hinter Minerva, »was immer da brennt, wird schwarzmagischen Ursprungs sein! All die verfluchten Gegenstände dort drin verstärken das Feuer nur.« Die Absätze der Aurorin klapperten über den rauen Stein, als sie zu ihr aufholte. In ihrem knappen Ausgehoutfit wirkte sie vor dem brennenden Verlies völlig fehl am Platz. Aber ihr Griff an Minervas Arm war fest, ebenso wie ihre Stimme. »Zauberstab runter! Wir müssen sehen, ob wir das Feuer irgendwie ersticken oder eingrenzen können. Und bei Merlins karierten Unterhosen, lenk keine Aufmerksamkeit auf uns! Wenn die Eindringlinge wollen, können sie problemlos Flüche durch das Feuer schicken.« Blut rauschte Minerva in den Ohren, lauter als das Prasseln der Flammen. Das Atmen fiel so nah am Verlies schwer, denn jeder Luftzug war erfüllt von Rauch. Ihre Gedanken rasten, drängten sie, sich geradewegs durch das Feuer zu stürzen, um Robbie zu retten. Das Stimmchen der Vernunft war gefährlich leise geworden, aber noch hielt es sie an Pippas Seite. »Was schlägst du vor?« »Jedenfalls kein Wasser. Vielleicht –« »Nun, es sieht nicht aus, als sollte das unsere größte Sorge sein«, wandte Elphinstone mit scharfer Stimme ein. Minerva hatte nicht einmal gehört, wie er an sie herangetreten war. Er wies auf die Eindringlinge in schwarzen Umhängen, die mit einem simplen Schlenker des Zauberstabs die Flammen vor sich teilten. Widerwillig ließ das Feuer sie passieren, niedergedrückt von einer unsichtbaren Macht. Die Gestalten durchquerten das Verlies, als würde es nicht gerade von einer Feuersbrunst verschlungen. Alle, bis auf eine Person. Das wildtanzende Flammenlicht reichte, um zu erkennen, dass sie Robbie auf Knien hinter sich zurückließen, gefesselt von magischen Seilen. Jegliche Vernunft war fortgeblasen. Minerva rannte los, Elphinstone und Pippa folgten dicht auf ihren Fersen. Noch im Laufen formulierte sie den Zauber, der die Fesseln durchtrennte. Robbie riss überrascht den Kopf hoch, als sich die Schnüre um seinen Oberkörper lösten und er sie auf der anderen Seite der Flammenwand erspähte. Augenblicklich sprang er auf, seinen Entführern hinterher. Doch er blieb natürlich nicht der Einzige, der ihr Auftauchen bemerkte. Dunkle Kapuzen und Tücher mit Augenschlitzen verhüllten die Gesichter der Eindringlinge, die nun aus dem Feuer traten, aber Minerva war sicher, dass sie diesen Personen bereits im Ministerium begegnet war. Eine Befürchtung, die sich bestätigte, sobald die schmale Gestalt an der Spitze der Gruppe ihre Stimme erhob. »Ach wie rührend, ein Rettungskommittee«, spöttelte die kalte Frauenstimme. Sie durchschnitt die Luft, als hätte sie einen Verstärkungszauber gewirkt. »Schade, dass wir bereits haben, was wir wollten. Jetzt bleibt uns kaum Zeit für ein richtiges Spielchen. Nun ja, extra für euch nehme ich mir trotzdem einen kleinen Moment.« Ohne sich umzudrehen, richtete sie ihren Zauberstab auf den Verlieseingang. Augenblicklich schlugen die Flammen wieder in die Höhe und drängten Robbie zurück. »Nein!«, keuchte Minerva. Sie wagte einen Schritt vorwärts, aber ein fester Griff am Handgelenk hielt sie auf. Elphinstone. »Nicht. Wir müssen mit Bedacht vorgehen, wenn wir ihn retten wollen. Das können wir nur gemeinsam.« Pippa verlagerte ihren Stand. »Wir schalten sie aus, einen nach dem anderen«, bestimmte sie, ihren durchdringenden Blick auf Minerva gerichtet. »Schon gut.« Es verlangte Minerva einiges ab, die Augen von ihrem Bruder zu wenden, nach dem die Flammen langten. Aber sie hatten ja recht. »Liebster«, wandte die Hexe vor ihnen sich an den größeren ihrer Begleiter, wobei der Sarkasmus nur so aus ihrer Stimme tropfte, »haben wir noch genug Zeit für ein kleines ... Tänzchen?« Der schmale Zauberer zog doch tatsächlich eine goldene Taschenuhr hervor. Minerva zögerte angesichts der Ablenkung nicht. Angestachelt von ihrer Wut vollführte sie eine peitschende Geste in Richtung der Hexe. Im hohen Bogen flog der Zauberstab ihrer Gegnerin aus der Hand. Klappernd verschwand er in der Dunkelheit. Der kleinere ihrer Gefolgsleute richtete selber den Stab auf Minerva, aber Pippa und Elphinstone schossen jeder einen Schockzauber auf ihn. Fluchend brachte der Zauberer sich mit mehr Glück denn Verstand aus der Gefahrenzone. Derjenige mit der Taschenuhr zielte indes viel zu hoch mit seinem Fluch, den Blick immer noch auf das Ziffernblatt gerichtet. »Wir haben genau drei Minuten und fünfundzwanzig Sekunden, Liebste. Genug Zeit für uns.« Aus dem Kosenamen sprach auch bei ihm nur Sarkasmus, so giftig wie er ihn aussprach. Erst als ein Grollen über ihnen erklang, begriff Minerva, dass er nie beabsichtigt hatte, sie zu treffen. Eine Reihe Stalaktiten löste sich knirschend von der fernen Decke. Spitz und tödlich wie Lanzen rasten sie herab. Elphinstone beschwor mit einem hastigen »Protego totalum!« einen bläulich schimmernden Schutzkreis um sie herum, an dem die Geschosse abprallten. Ein weiterer Fluch aus Richtung der Gegner brachte die Barriere zum Vibrieren wie eine alte Kirchenglocke. Das amüsierte und doch bedrohliche Zungenschnalzen der Anführerin hallte von allen Seiten wieder. Ungerührt nahm sie dem zweiten Mann ihren Zauberstab ab, den dieser zwischenzeitlich mit einem »Accio« zu sich gerufen hatte. In der anderen Hand hielt sie etwas, das auf die Distanz wie ein alter Schlüssel aussah. Sie winkte damit, als bereite ihr all dies unfassbares Vergnügen. »Man sieht sich immer zwei Mal – das hätten wir dann wohl abgehakt. Bald heißt es endgültig Abschied nehmen, meine Lieben. Ein drittes Mal wird es nicht geben, dafür sorge ich. Oh, bevor ich es vergesse –«, sie warf Robbie einen Handkuss über die Flammen zu, »vielen Dank für deine großartige Hilfe, Robert. Es wird sicher jemand dafür sorgen, dass dein bedauerliches Opfer nicht vergessen wird.« Nicht zum ersten Mal in dieser Woche nahm eine wahnwitzige wie verzweifelte Idee Gestalt in Minervas Kopf an. Sie warf zunächst Pippa, dann Elphinstone einen knappen Blick zu und reckte kaum merklich das Kinn in Richtung der Hexe, ehe sie mit dem Zauberstab auf die Gesteinsbrocken rund um den Schutzschild und schließlich zu Robbie wies. Ein kleines Lächeln umspielte Pippas Mundwinkel, als sie unmerklich nickte. Auch Elphinstone neigte zustimmend den Kopf. »Nein.« Minerva schob sich vor ihre Begleiter, bis wenige Fingerbreit an die Grenze der Schutzbarriere. Der magische Schild ließ ihre Haarspitzen wie elektrisiert in der Luft tanzen. »Das hier endet jetzt!« »Oho ...« Ihr Gegenüber klang hauptsächlich gelangweilt. »Ja, das hoffe ich doch!« Die Frau strich beinahe zärtlich über ihren Zauberstab. Minerva richtete ihre ganze Konzentration darauf, sämtliche Bruchstücke der Stalaktiten um sie herum – mit Ausnahme des größten vor ihr – in einen Schwebezauber einzubeziehen. Ein tiefer Atemzug füllte ihre Lungen. Vor dem inneren Auge errichtete sie bereits ein Gebilde aus Steinbrocken. Wenig elegant, aber zweckmäßig. Den Zauberstab hinter ihrem Rücken verborgen, schickte sie die groben Trümmer auf ihre Reise. Die Steine flogen in die Höhe und im selben Moment brach Elphinstone mit einer Handbewegung den Schutzkreis. Pippa und er hatten schnell begriffen. Zwei Schockzauber rasten auf die Anführerin zu, die sie bloß in letzter Sekunde mit einer schneidenden Bewegung konterte. Minerva duckte sich rasch hinter den großen Gesteinsbrocken vor ihr. Doch die Anhänger ihrer Gegnerin waren ebenfalls flink. Es war Elphinstones erneutem Protego zu verdanken, dass ihre Flüche in die Dunkelheit abgelenkt wurden. Wie schon im Ministerium, kannten ihre Gegenspieler keine Grenzen. Ein erster Todesfluch sirrte nur haarscharf an Pippa vorbei durch die Luft, rasch gefolgt von weiteren. »Ich würde mich sehr gerne noch länger mit euch vergnügen«, lachte die Anführerin eine Spur zu gut gelaunt, derweil ihr Zauberstab durch die Luft peitschte, »aber wir müssen wirklich gehen! Seht es mir nach, wenn ich das hier kurz und schmerzlos mache, ja?« Weitere Gegenflüche brachten sie zum Schweigen und lenkten die Eindringlinge von den schwebenden Gesteinsbrocken, die über ihre Köpfe zogen, ab. Die Zähne fest zusammengepresst, löste Minerva den Blick vom Kampf und konzentrierte sich darauf, die Trümmer eine wackelige Brücke in das Verlies Nr. 232 formen zu lassen. Flammen leckten am unteren Teil der Konstruktion, aber sie hielt. Vorerst. Während Flüche um sie her durch die Luft schossen, erklomm Robbie seine behelfsmäßige Fluchtmöglichkeit. Funken verkohlten den Saum seines Umhanges, als er sich immer höher kämpfte, über die Flammenbarrikade hinaus. Auf allen vieren hangelte er sich von Stein zu Stein, den Blick ängstlich auf das Feuer zu seinen Füßen gerichtet. Da passierte es – ein erster Gesteinsbrocken wackelte unter seinem Tritt. Erstarrt verharrte er, bis er sich erneut langsam vorwärts tastete, jeden weiteren Schritt mit Bedacht wählend. Kalter Schweiß trat Minerva auf die Stirn. Ihr Kopf schien vor Anstrengung in denselben Flammen zu stehen wie das Verlies vor ihr. Nur noch ein bisschen, spornte sie sich an. Die Brücke musste halten, bis Robbie sicher auf der anderen Seite war, selbst wenn es sie all ihre Kraft kostete. Trotzdem krachten hinter ihm weitere Brocken ins Inferno. Endlich löste er den Blick von der Gefahr und kroch schneller vorwärts. Von einem bröckelnden Stück zum Nächsten überwand er den höchsten Punkt. Auf der anderen Seite schlitterte er mehr herab, als dass er kletterte. Es war ein Rennen gegen die Zeit, doch er gewann. Den letzten Meter sprang Robbie, die Augen fest geschlossen. Hinter ihm fielen die Reste der Brücke polternd ins Flammenmeer. Aber anstatt innezuhalten, rannte er unbewaffnet auf die drei Eindringlinge zu, die sich weiterhin mit Elphinstone und Pippa duellierten. Plötzlich schien Robbies Mut keine Grenzen zu kennen, als wären die Entführer weniger gefährlich im Vergleich zu dem Feuer. Aus ihrer Deckung heraus beobachtete Minerva fassungslos, wie er dem größeren Kerl – dem ‚Liebsten‘ – im Hintergrund todesmutig einen Ellenbogen zwischen die Schultern rammte. Sie traf den Zauberer, der unter dem Schlag einknickte, rasch mit einem Expelliarmus. Grinsend fing ihr Bruder dessen Zauberstab auf. Er bohrte die Spitze an den Hals des maskierten Mannes, die andere Hand schob er in seine Umhangtasche und zog offenbar das gestohlene Artefakt hervor. Auf die Entfernung erkannte Minerva nur, wie es silbern aufblitzte. Jetzt schien auch die Anführerin begriffen zu haben, dass der Plan langsam ihrer Kontrolle entglitt. Mit einem grimmigen Aufschrei jagte sie Robbie den Avada Kedavra hinterher. Es war Elphinstones Gegenfluch, der den grünen Lichtstrahl noch in der Luft ablenkte. Der Augenblick reichte, damit Robbie geduckt in ihre Richtung flüchten konnte. Ein zweiter Fluch verfolgte ihn, traf aber nur auf Stein, der mit einem Knall in kleine Kiesel zerbarst. Ihr Bruder rannte weiter auf sie zu, das Artefakt fest an seine Brust gedrückt. Gemeinsam mit Pippa und Elphinstone schoss Minerva Fluch um Fluch auf die Entführer hinter ihm ab. Deren Anführerin knurrte etwas in Richtung ihres kleineren Komplizen, während sie die Ablenkungszauber im Alleingang konterte. Augenblicklich setzte der Kerl Robbie nach. Er holte ihn schnell ein, den Zauberstab im Rennen auf seinen Rücken gerichtet. Robbie warf einen raschen Schockzauber über die Schulter, verfehlte allerdings bei Weitem. Minerva dagegen konnte nicht länger auf den Zauberer zielen, ohne Gefahr zu laufen, dabei ihren Bruder zu erwischen. »Hol es!«, brüllte die Anführerin im Hintergrund wie eine wütende Drachenmutter. »Hol es zurück! Wir haben nur noch eine Minute!« Ein Fluch seines Verfolgers ließ Robbie mit dem Gesicht voran zu Boden stürzen. In dem Augenblick, da Minerva wieder auf den Mann zielte, zerbarst etwas mit lautem Krachen im Verlies und verschlang nicht nur die nächsten Rufe ihrer Gegner. Binnen Sekunden schien die Luft in der Kammer restlos in Flammen aufzugehen. Ein gewaltiger Feuerball schoss aus dem Inneren des Verlieses hervor, direkt auf sie zu. »Runter!«, rief Minerva. Gerade rechtzeitig warfen Elphinstone und Pippa sich zu Boden. Sengende Hitze rollte über ihre Köpfe hinweg, eine unerbittliche Welle aus Feuer. Die verbrannte Luft in ihren Lungen brachte Minervas Augen zum Tränen. Hustend presste sie sich in den Schutz des Steinbrockens vor ihr. Auch Elphinstone und Pippa robbten sich dorthin vor. Robbies Verfolger hatte sich ebenfalls auf den Boden gerettet. Er hielt jetzt dessen Fußgelenk umklammert, den Zauberstab auf seine Brust gerichtet. Der gestohlene Stab von Robbie hingegen lag einige Meter entfernt auf dem Stein. Verzweifelt trat Robbie nach dem Entführer, in dem Versuch, dorthin zu kriechen. Es knirschte unter seinem Fuß und er holte erneut aus. Aber nicht einmal ein gebrochener Zauberstab hielt den Mann auf. Er warf das gesplitterte Holz fort, zog sich hoch und schloss seine bloßen Finger um Robbies Kehle. Mit der anderen Hand riss er an dem Artefakt. Im Hintergrund warteten die Anführerin und ihr hagerer Komplize, beide den Schlüssel – oder was immer es war – fest umschlungen. Die Hexe hielt den Zauberstab noch bereit, hatte aber aufgehört, mit wahllosen Flüchen um sich zu werfen. Stattdessen nutzte sie die Gelegenheit, den entwendeten Stab ihres Begleiters zu ihm fliegen zu lassen. »Das ist doch nicht ... ein Portschlüssel?« Elphinstone stieß eine Reihe gälischer Verwünschungen aus. »Sie werden uns entkommen!« Sowohl er als auch Pippa versuchten, die beiden mit einem Lähmfluch zu erwischen. Doch wie zuvor waren sie gut im Abwehren – zu gut. Unschlüssig schwankte Minervas Blick zwischen dem Knäuel aus Robbie und dem Eindringling, die um das Artefakt kämpften, sowie den Flüchtenden. »Impedimenta!«, rief sie schließlich, auf die beiden Zauberer gerichtet. Für einen Moment schien es, als seien die Männer in Zeitlupe versetzt. Wie durch zähen Sirup verlangsamten sich ihre Bewegungen, bis sie ganz einfroren. Der Entführer kniete über Robbie, das längliche Artefakt in der Faust. Die Hand ihres Bruders war ausgestreckt, nur Millimeter davon entfernt. »Accio«, riefen Minerva und die Hexe am anderen Ende der Höhle beinahe zeitgleich. Ein heftiges Reißen zog durch Minervas hocherhobenen Zauberstabarm. Der silberne Gegenstand ruckte in der Hand des Entführers nach links, dann nach rechts. Durch den Augenschlitz in seiner Verhüllung sah sie den verzweifelten Widerstand in seinem Blick, ihr nicht das Artefakt überlassen zu wollen. Doch unter dem Lähmzauber blieb ihm keine andere Wahl, als dem magischen Kräftemessen reglos zuzusehen. Minerva presste die Zähne so fest aufeinander, dass es knirschte. Am Rande ihres Blickfelds bekam sie mit, wie Elphinstone und Pippa weitere Flüche auf die Gegenseite abfeuerten, die jedoch von dem dünnen Zauberer mit Gegenfeuer beantwortet wurden. Neuerlich ging ein Ruck durch ihren Arm. Nicht nur geistig, auch körperlich lehnte sie sich dagegen, die freie Hand gegen den Stein gedrückt. Das Artefakt rutschte durch die Finger des Entführers in Richtung der anderen Seite. Schon hielt er es nur noch zwischen Daumen und Zeigefinger. Wütend knurrte Minerva auf; arbeitete daran, es Stück für Stück zurückzuziehen. Doch ein Lichtblitz, gefolgt von Elphinstones überraschtem Keuchen, das viel zu rasch erstarb, durchbrach ihre Konzentration. Sie wusste nicht, was ihn getroffen hatte, aber der Augenblick, als er an ihrer Seite zusammensackte, reichte, damit die gegnerische Hexe ihr die Kontrolle entriss. Mit einem Aufschrei fiel Minerva zurück, sobald der Zug an ihrem Zauberstabarm von einem auf den anderen Herzschlag verschwand. Aufgefangen von Pippa an ihrer Seite, sah sie zu, wie das Artefakt durch die Finger des gelähmten Zauberers glitt – und geradewegs auf die Entführerin zuflog. Der Mann daneben griff es mühelos aus der Luft, ohne auch nur den vermutlichen Portschlüssel loszulassen. Mit einem boshaften Kichern richtete Minervas Gegnerin den Zauberstab auf ihren weiterhin verfluchten Komplizen. »Avada Kedavra!« Der unverzeihliche Fluch hallte in der urplötzlichen Schockstille zwischen den fernen Höhlenwänden wieder, wie von einem grausigen vielstimmigen Chor ausgerufen. Für den Bruchteil eines Herzschlags meinte Minerva, Furcht in den Augen hinter der Maskerade des Mannes über Robbie zu erkennen. Dann traf der grüne Blitz ihn mitten unterhalb der Schulterblätter und das Licht in ihnen verlosch. Ein dumpfer Schlag ertönte, als die Lähmung brach und der leblose Körper auf Stein schlug. Pippa hatte ihren nächsten Zauber noch halb auf den Lippen, die rotglühende Zauberstabspitze erhoben, da ergriff ein starker Wind die beiden verbliebenen Eindringlinge; zerrte an ihren Umhängen und riss sie in einem Wirbel mit sich, an einen unbekannten Ort. Fort waren die Entführer – und mit ihnen das Artefakt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)