Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 16: Ehemals ------------------- Das entfernte Rauschen des Meeres begrüßte Minerva, als sie und Elphinstone mit einem Knall auf einem Feld am Rande von Caithness apparierten. Zufrieden nahm sie einen tiefen Atemzug der salzigen Seeluft. Sie hatte ihrer Heimat lange keinen Besuch mehr abgestattet. Der Wind war eine Wohltat, nachdem sie den ganzen Vormittag zwischen staubigen Büchern verbracht hatte. »Willkommen in Caithness«, sagte sie. Aufmerksam wanderte Elphinstones Blick neben ihr über die ländliche Gegend im Licht der schwindenden Sonnenstrahlen. In seinem feinen – und muggelgerechten – Anzug nebst dunklem Wollmantel sah er ziemlich unpassend vor der Kulisse des Ackerlands aus. Das schien ihn aber wenig zu stören, so interessiert musterte er die Felder. »Ah, ich fühle das Meer«, seufzte er, ohne Anstalten zu machen, ihr den Arm zu entziehen, nachdem er sich für das Seit-an-Seit-Apparieren bei ihr untergehakt hatte. »Mir gefällt’s. Kein bisschen wie London. Da verstehe ich doch glatt, wieso du es nie dort ausgehalten hast. Nichts geht über den guten alten schottischen Wind, vor allem wenn man Stunden am Schreibtisch verbracht hat.« Sie schmunzelte. »Na komm. Wir haben leider nicht den ganzen Tag Zeit, mein Heimatdorf zu bewundern.« Der Weg zum Haus ihrer Eltern war nicht weit. Sie lebten in einem kleinen Pfarrhaus nahe der Kirche, am Rande des Ortes. Nur wenige Leute waren zu dieser Zeit im Dorf unterwegs, was Minerva recht war, denn Elphinstone zog unweigerlich Blicke auf sich. Nicht nur aufgrund seiner vornehmen Kleidung, sondern einfach schon, weil ihn niemand hier kannte. Bestimmt würde man im Dorf darüber tratschen, dass das seltsame Mädchen der McGonagalls einen solchen Mann mitgebracht hatte. Das war etwas an ihrer Heimat, was sie überhaupt nicht vermisste. Immerhin musste sie sich mit dem daraus resultierenden Klatsch nicht arrangieren – sollten die Leute doch schwätzen, was sie wollten, wenn sie erstmal wieder in Hogwarts war. Außer in den Briefen ihrer Mutter bekam sie von den Dorfgerüchten nicht mehr viel mit. Unglücklicherweise war das Schicksal ihr jedoch an diesem Tag genauso wenig gewogen wie in der vorangegangenen Woche. Sie hatten gerade das Gemeindehaus passiert, da öffneten sich dessen Türen und gleich ein ganzes Grüppchen Dorfbewohner kam laut schwatzend heraus. Das war freilich nicht das Schlimmste daran. »Minerva?«, erschallte es hinter ihnen. Wenn es einen Zauber gegeben hätte, der den Boden sie verschlingen lassen würde – sie hätte ihn zu gerne benutzt. Stattdessen drehte sie sich mit gequältem Ausdruck zu dem Rufenden um. »Hallo Dougal.« Dougal McGregor sah so gut aus wie jeher, stellte Minerva mit einem Stich im Herzen fest. Seine dunkelbraunen Locken, die grünen Augen, das Lächeln. Groß gewachsen und durch die jahrelange Arbeit auf dem Hof seiner Familie kräftig, mit den Spuren sommerlicher Bräune am Leib. Ein zotteliger Hund trottete neben ihm her und an seiner Hand lief ein kleines Mädchen, ungefähr sechs Jahre alt. Es fiel ihr schwer, den Blick von seiner Tochter zu lösen, die ihm unheimlich ähnelte. Das letzte Mal, als sie das Kind gesehen hatte, war es noch ein Baby gewesen – die sahen alle gleich aus. »Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen«, sagte Dougal strahlend, sich offenbar nicht bewusst, wie unangenehm die Situation für sie war. Er kam vor ihr und Elphinstone zum Stehen. »Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr zurück – das sind jetzt bestimmt zwei Jahre, die wir uns nicht gesehen haben, oder?« »Oh ja, das kann sein. Es ist nur ... viel zu tun auf der Arbeit.« Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern. »Ich war wirklich lange nicht hier.« Und sie hatte immerzu einen Bogen um seinen Hof gemacht, wenn sie hier war, aber das gestand sie ihm natürlich nicht. »Solange du dich nicht von den Stadtleuten ärgern lässt – manchmal braucht man ja auch Urlaub, vor allem jemand wie du. Du hast schon immer zu viel gearbeitet.« Dougals Blick wanderte von ihr zu Elphinstone. »Überhaupt, wie unhöflich von mir! Ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt. Ist das dein Ehemann?« Erst jetzt wurde Minerva bewusst, wie selbstverständlich sie bei Elphinstone untergehakt war. Sie brachte es nicht über sich, nun den Arm zurückzuziehen, auch wenn seine Berührung mit der Erkenntnis deutlich schwerer wog. Betreten warf sie ihm einen Seitenblick zu und sah, dass er sein professionelles Ministeriumslächeln zur Schau trug. »Nein, bedauere«, sagte er zu Dougal, »ich bin bloß einer von diesen Stadtmenschen, der Minerva gerne mit einem ganzen Aktenstapel am Urlaub gehindert hat. Zumindest früher, bis sie einen besseren Vorgesetzten gefunden hat. Elphinstone Urquart.« »Oh, gleich ins Fettnäpfchen getreten.« Dougal lächelte entschuldigend und streckte seine Hand aus. »Freut mich trotzdem. Dougal McGregor, ein alter Bekannter von Minerva.« Elphinstone löste den Arm von Minervas und reichte Dougal seinerseits die Hand. »Tatsächlich habe ich den Namen schon mal gehört«, schmunzelte er. »Keine Sorge, nur Gutes. Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.« »Da bin ich aber erleichtert«, lachte Dougal. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Nun gut, ich will euch auch gar nicht aufhalten, ihr seid sicher bei Minervas Eltern eingeladen! Auf jeden Fall schön, dich mal wieder gesehen zu haben, Minerva.« Leiser fügte er hinzu: »Und ich hoffe, es ist wirklich alles in Ordnung bei dir?« Wie von alleine lächelte sie, obwohl sie lieber davongerannt wäre. »Ja klar. Bei euch hoffentlich auch?« Er sah zu seiner Tochter hinab. »Ja. Kaum zu glauben, aber bald wird Mia schon sieben. Und Victoria ist wieder schwanger. Ende November soll es so weit sein. Also ... uns geht’s gut.« »Das freut mich für euch. Richte Victoria Grüße aus, ja?« »Mach ich. Also dann. Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder!« Dougal winkte zum Abschied und spazierte mit Tochter und Hund in die entgegengesetzte Richtung. Minerva stieß einen langen Seufzer aus. Das hatte ihr wirklich noch gefehlt. Dagegen würde es ein Spazierflug sein, Elphinstone bei ihren Eltern vorzustellen, egal wie merkwürdig es sein mochte, den ehemaligen Vorgesetzten zum familiären Abendessen einzuladen. Elphinstone hatte inzwischen die Hände in den Hosentaschen versenkt und sah im Gegensatz zu ihr unverhohlen Dougal hinterher, ein kleines Grinsen im Gesicht. »Tja, ich verstehe, dass du ihn fast geheiratet hättest. Ziemlich attraktiv, muss ich sagen. Außerdem scheint er ein anständiger Kerl zu sein, so wie er sich um dein Wohlergehen sorgt.« Sie schluckte trocken. Ihr drängte sich wieder der Gedanke an Mulcibers gehässige Worte im Fahrstuhl auf. Hatte sie Dougal je aufrichtig geliebt, wenn sie ihn einfach so für eine Stelle in London verlassen hatte? Oder war die magische Welt ihre wahre Liebe? »Jetzt ist es zu spät für Reue«, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Elphinstone. »Hey, das wollte ich damit nicht ausdrücken. Ich wollte nur sagen, dass ich deinen Zwiespalt verstehe.« Versöhnlich streckte er seinen Arm in ihre Richtung. »Auch wenn ich eher ein Katzen- als ein Hundemensch bin, macht er mir einen guten Eindruck. Und er hat einen netten Hintern.« »Nicht dein Ernst.« Sie warf ihm einen strengen Blick zu, hakte sich aber wieder unter. »Ach komm, erzähl mir nicht, das wäre dir nicht aufgefallen. Innere Werte schön und gut, aber man kann sich nebenbei an der netten Verpackung dieser erfreuen. Wenn die Muggel keine Umhänge tragen, muss man das ja bemerken.« »Ich meinte eher die Katzensache. Aber erzähl mir gerne noch mehr davon, warum du meinem ehemaligen Verlobten auf das wohlgeformte Gesäß starrst.« Elphinstone lachte und ließ sich von ihr in Richtung Elternhaus ziehen. In Minervas Kopf wiederholte sich derweil unablässig die kurze Begegnung mit Dougal, wie eine gesprungene Platte.   Die Familienkatze war die Erste, die sie begrüßte, kaum, dass die Tür einen Spalt breit auf war. Maunzend schlich sie um ihre Füße und rieb ihren Kopf an Minervas Bein. »Eine Verwandte von dir?«, fragte Elphinstone, der sich gebückt hatte, um die Katze hinter den Ohren zu kraulen. Damit erntete er ein Schnauben von Minerva – und ein Lachen von ihrem Vater, der im Türrahmen lehnte, eindeutig die ältere Ausgabe seines jüngsten Sohnes Robbie, allerdings mit grauem Haar. »Eine gewisse Ähnlichkeit zu meiner Tochter lässt sich nicht bestreiten. Trotzdem glaube ich, dass das eine gewöhnliche Hauskatze ist. Wenn man einmal davon absieht, dass sie mich schon über dreißig Jahre lang als ihren persönlichen Dosenöffner betrachtet und damit erstaunlich lange lebt. Aber was ist schon normal in diesem Haushalt.« »Tja, kommt auf die Definition von normal an, würde ich sagen.« Elphinstone lächelte höflich, während die Katze ihn aufmerksamkeitsheischend anstupste, um noch mehr Streicheleinheiten zu kassieren. »Als Zauberer dürfen Sie mich da wohl nicht fragen.« Robert McGonagall schmunzelte. »Wohl wahr.« »Hallo Dad.« Minerva umarmte ihn zur Begrüßung, ehe er Elphinstone ins Visier nehmen konnte. »Schön dich zu sehen. Das ist übrigens –« »Dein ehemaliger Vorgesetzter.« Ihr Vater musterte sie mit einem wissenden Lächeln und doch nicht ohne Ernst hinter seiner runden Brille. »Robbie hat eine Eule geschickt und so etwas erwähnt.« Minerva kniff die Augen zusammen. Wenn er ihren Eltern irgendeinen falschen Eindruck vermittelt hatte, würde sie ihren Bruder eigenhändig in eine Teekanne verwandeln. Ihr Vater verstand als Pastor wenig Spaß in dieser Hinsicht. »Apropos, dein Bruder verspätet sich, wir sollen schon einmal ohne ihn anfangen. Er entschuldigt sich, aber er meinte, er habe dir versprochen, etwas zu regeln, also werden wir warten müssen.« »Oh, na schön, dann ...« Sie überließ es Elphinstone, sich förmlich vorzustellen, immerhin hatte er darin Übung. Im Wohnzimmer saß bereits ihr anderer Bruder Malcolm am Esstisch, der mit demselben schwarzen Haar wie seine Geschwister gesegnet war. Er hatte sich über irgendwelche Arbeitsunterlagen gebeugt und ihre Ankunft ging im allgemeinen Trubel vollkommen unter. Isobel McGonagall, eine große Hexe mit dunklen Locken, die von grauen Strähnen durchzogen wurden, herrschte ihren Sohn gerade an, endlich den Platz zu räumen und seine Töchter, dreijährige Zwillinge, jagten einander auf Spielzeugbesen um den Wohnzimmertisch. Robert kam hinter Elphinstone herein. »Willkommen bei den McGonagalls, beachten Sie das Chaos einfach nicht. Vollkommen normal hier.« Das entlockte Elphinstone ein kurzes Lachen. »Ich muss gestehen, ich habe es mir anders vorgestellt. Nun, die Wahrheit gefällt mir besser.« »Passen Sie nur auf, wenn Sie das erste Mal eine der Kleinen mit dem Besen umfliegt, dann ändern Sie Ihre Meinung noch.« Etwas empört sah ihr Vater Minerva an. »Ehrlich, diese Besen zum Geburtstag hätten nicht sein müssen. Die beiden fliegen ungefähr genauso lebensmüde wie du.« »Man muss den Nachwuchs frühzeitig fördern«, sagte Minerva achselzuckend. »Und Malcolm denkt ja nur an Bücher. Typisch Ravenclaw.« Sie wandte sich ihrem Bruder zu, der von ihrer Ankunft immer noch keine Notiz genommen hatte. Schmunzelnd lehnte sie sich über den Tisch und schnappte ihm ein Pergament unter den Fingern weg. Das Blatt war kreuz und quer mit Zeichnungen einer neuen Produktreihe an faltbaren Kesseln übersät. »Spannend«, sagte sie nicht ganz ohne Ironie. »Die Tropfrate ist wichtig«, grummelte Malcolm anstelle einer Begrüßung. Selbst während des Aufräumens las er weiter, die Stirn gerunzelt. »Wirklich, Malcolm, du arbeitest zu viel.« »Das sagt die Richtige. Du wohnst auf deiner Arbeit!« Er sah gespielt anklagend von seinen Unterlagen auf. »Und du würdest gerne auf deiner Arbeit wohnen, wenn ich mir deine Überstunden so ansehe. Ein Wunder, dass Lizzie dir heute die Zwillinge überlassen hat, wo du mit der Nase nur in den Pergamenten steckst.« Malcolm gab sich nicht geschlagen. Er musterte Elphinstone und entgegnete schließlich trocken: »Du hast deinen Vorgesetzten mitgebracht zum Abendessen. Wenn du könntest, wärst du mit deiner Arbeit verheiratet, aber näher ran kommst du wohl nicht mehr – auß-« »Ich sehe Albus Dumbledore nirgends, du etwa?« Für einen Moment fürchtete Minerva, Elphinstone würde ein vorwitziger Kommentar entfliehen, aber dann bemerkte er ihren warnenden Blick und beschied sich auf ein verlegenes Hüsteln. Wenn ihr Vater von den zehn Heiratsanträgen wüsste, könnte sie gleich rausgehen und ihm helfen, sein Grab auszuheben. Robert McGonagall betrachtete seine zankenden Kinder mit verschränkten Armen. Er seufzte leise. »Malcolm, benimm dich, sonst verscheuchst du noch unseren Gast, ihren ehemaligen Vorgesetzten.« »Keine Sorge, ich habe drei Schwestern«, sagte Elphinstone leichthin. »Damit kenne ich mich bestens aus.« Endlich wurde auch Minervas Mutter auf den Besuch aufmerksam. Strahlend schloss sie ihre Tochter in die Arme und zum dritten Mal an diesem Abend kam Elphinstone zu dem Vergnügen, sich vorzustellen. Isobel McGonagall hatte allerdings keine Zeit, lange Worte zu wechseln, denn in der Küche kochte irgendein Topf über und fluchend entschwand sie wieder. Das Abendessen geriet schließlich zu einer lauten Angelegenheit, obwohl Robbie noch gar nicht aufgetaucht war. Dafür bekamen sich Malcolms Zwillinge in die Haare, weil sie beide jeweils versuchten, ihre Bohnen bei der anderen auf den Teller zu schmuggeln. Elphinstone schlug sich dennoch tapfer und schaffte es, Minervas Vater in eine angeregte Unterhaltung über magische Pflanzenzucht zu verwickeln, während Isobel den neusten Dorfklatsch an ihre Kinder verteilte. Irgendwann beim Nachtisch hatte sich die Konversation endgültig verselbstständigt und Minerva Zeit, über einer Schale Himbeerkompott ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Nachdenklich betrachtete sie Elphinstone auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches, der angeregt von den Gefahren im Umgang mit Teufelsschlingen erzählte. Er war überhaupt nicht wie Dougal, sinnierte sie. Die beiden nebeneinander gesehen zu haben, wollte ihr nicht aus dem Kopf. Nicht nur, dass einer Zauberer und der andere Muggel war, auch sonst hatten sie nichts gemein. Weder ihre Berufe, noch ihre Interessen waren ansatzweise vergleichbar. Ja selbst im Äußeren unterschieden sie sich grundlegend. Was nicht bedeutete, dass Elphinstone nicht ebenfalls gut aussah, auch im Vergleich zu Dougal. Es begründete sich nur in anderen Dingen. Da war das Lächeln, das mit diesem kleinen Funkeln in seinem Blick anfing, ehe es sich über sein ganzes Gesicht erstreckte, in feinen Fältchen seine grauen Augen umgab und bei dem der linke Mundwinkel etwas höher wanderte als der rechte. Oder die Andeutungen seiner früheren Sommersprossen und die Art, wie ihm sein blondes Haar in die Stirn fiel. Und seine Stimme, die so sanft und zeitgleich so bestimmt war, nur um dann plötzlich diesen glucksenden Unterton zu bekommen, wenn er einen Witz erzählte. Manchmal machte sie das wahnsinnig, aber meist lockte er damit ihr eigenes Lächeln hervor. Wie groß oder durchtrainiert jemand daherkam, das alles interessierte sie wenig. Es war so schon schwer genug, einen Mann zu finden, der sie überragte, wo sie dank ihrem Vater reichlich hochgewachsen war. Doch selbst wenn es rein auf die Körperlichkeiten ankommen würde, so gelangte sie zu dem Schluss, dass Elphinstone in Hemd und Anzugweste durchaus einen attraktiven Anblick bot. Insbesondere wenn er so wie jetzt den obersten Kragenknopf gelöst und die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Peinlich berührt schob Minerva ihr Glas Elfenwein von sich. Merlin, was war nur los mit ihr? Würde sie ihm bald womöglich noch auf den – zum Glück von einem Umhang bedeckten – Hintern starren? Ausgerechnet hier ergründete sie, was ihr an Männern gefiel! Wann immer sie an die Begegnung mit Dougal dachte (also die ganze Zeit), kam sie nicht umhin, diesen unpassenden Vergleich zu ziehen. Wenigstens schien Elphinstone ihre eingehende Betrachtung nicht aufzufallen, denn er redete weiter ausgelassen mit ihrem Vater über die Unterschiede zwischen gewöhnlichen und fangzähnigen Geranien. Sie konnte nicht verhindern, dass ein letzter Gedanke zu seiner Attraktivität durch ihren Kopf schoss – er war ein verflucht cleverer Zauberer. Mit ihm war es einfach, stundenlang über alle möglichen magischen (und nichtmagischen) Dinge zu reden. Sie hörte ihm gerne zu oder versank in einer theoretischen Unterhaltung. Sehr gerne. Selbst wenn es um Kräuterkunde ging. Vorsichtig warf sie einen letzten Blick über den Tisch zu Elphinstone und schämte sich dann gleich wieder dafür, so von ihm zu denken. Er war ein guter Freund, womöglich der Beste, und sie hatten eine Mission, da spielte alles andere keine Rolle. Wenn sie nur nicht genau wüsste, wie er zu ihr stand ... Malcolm an ihrer Seite stupste sie leicht in die Rippen. »Du starrst dem Armen gleich noch ein Loch mitten durch«, murmelte er so leise, dass nur sie ihn hörte. »Glaubst du, es ist eine gute Idee, dass ihr beide Detektiv spielt?« Sie seufzte. »Wann hat Robbie dir das denn erzählt?« Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. »Er macht sich Sorgen, dass dir etwas passieren könnte, weißt du. Und ich bin geneigt, ihm recht zu geben.« »Lass das mal meine Sorge sein. Und wehe, du sagst etwas zu Mum oder Dad. Das ist eine Sache, die sie nichts angeht.« Er rollte mit den Augen und nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. »Würde ich nie tun. Lass uns das nur nicht bereuen.« »Überhaupt, wo steckt Robbie eigentlich? Hätte er nicht längst da sein sollen?« »Er war noch nicht fertig mit seinen Berechnungen«, meinte Malcolm und sah zur Uhr hinüber. »Das war allerdings schon vor einer ganzen Weile.« Zum zweiten Mal an diesem Tag schlich sich der ungebetene Gedanke an Mulciber ein. Er war der Einzige außer ihr und Elphinstone, der von Robbies Verwicklung wusste. Minerva schüttelte den Kopf. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er so weit gehen würde, sich da einzumischen. Nicht, nachdem er ihr die Erinnerung gegeben hatte, egal was sie enthielt. »Na, hoffentlich kommt er bald«, murmelte sie nur. Um sie herum begann die Runde langsam, sich aufzulösen. Die Zwillinge wurden quengelig und verlangten nach Malcolms Aufmerksamkeit, während ihre Mutter sich daran machte, abzudecken. Pflichtschuldig eilte Minerva ihr zur Hilfe. »Danke Schatz.« Ihre Mutter nahm ihr das Geschirr ab. Doch als Minerva sich wieder umdrehen wollte, schlang sie überraschend die Finger um ihr Handgelenk. Mit einem Ausdruck mütterlicher Besorgnis im Gesicht lehnte Isobel an der Küchentheke und deutete neben sich. »Schätzchen ... nur einen Moment, ja?« Beunruhigt musterte Minerva ihre Mutter. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter ins Wohnzimmer, doch dort unterhielt Elphinstone bloß die Zwillinge – und gewissermaßen ihren Vater – mit kleinen Seifenblasentieren aus dem Zauberstab, während Malcolm schon wieder in seine Unterlagen versunken war. »Was ist los?« Ihre Mutter seufzte erneut und deutete mit einem Kopfnicken auf Elphinstone, der lachte, als es einem ihrer Enkelkinder gelang, ein Seifenblaseneinhorn zu fangen. »Schatz, ich wollte das Thema vor deinem Vater nicht anschneiden, aber ...« Isobel zog eine Ausgabe des Tagespropheten unter der Obstschale hervor. »Hast du den Artikel über das Ministerium heute gelesen?« »Ich hab die Zeitung nicht einmal aufgeschlagen«, gab Minerva zu. »In letzter Zeit war es immer dasselbe, nur wenig von Substanz.« »Nun, das hier sollte dich interessieren. Angesichts der Tatsache, dass du ihn zum Abendessen mitgebracht hast.« Jetzt zog Minerva eine Augenbraue in die Höhe. »Was soll das heißen?« Der Ausdruck ihrer Mutter gewann an Sanftheit. »Schatz, versteh mich nicht falsch – ich habe ihn heute Abend kennengelernt und er ist ein wirklich höflicher, gebildeter Zauberer. Ich meine – sieh nur, die Zwillinge lieben ihn. Er wirkt kein bisschen wie einer von diesen Typen, die zu viel von sich halten, weil sie das nötige Geld und die richtige Familiengeschichte haben. Nur ...« Sie schob Minerva die Zeitung zu. »Wenn das nicht wäre.« Mit versteinerter Miene faltete Minerva den Tagespropheten auseinander. Nach den letzten Tagen hatte sie wenig Lust, Elphinstone erneut wegen irgendetwas misstrauen zu sollen, was jemand anderes ihr erzählte. Lange brauchte sie das Unheil nicht suchen. Die Juniorreporterin hatte es aus dem unrühmlichen Mittelteil irgendwo zwischen Besenpflege und Anzeigen für gebrauchte Kessel hinausgeschafft – direkt auf die Titelseite. »Diese miese kleine Kröte!« »Minerva!« Ihre Mutter stemmte die Hände in die Hüfte. »Oh nein, damit habe ich recht! Das ist ein einziger großer Haufen Drachenmist, dieser ganze Artikel!« »Was soll das heißen?« Wutschnaubend schaute Minerva zu ihrer Mutter, die ob ihres plötzlichen Zorns die Augen weit aufgerissen hatte. »Davon stimmt gar nichts«, stellte sie bestimmt klar. »Außer vielleicht die Schlagzeile, wenn auch in einem anderen Sinn. So viel weiß ich.« ‚Intrigen im Ministerium‘ titelte der Artikel ohne Verlegenheit. Die schnöden Fakten der gestrigen Haftprüfungen waren kaum eine Randnotiz in dem fantasievollen Lügengebilde, das die Reporterin sich aus der Feder gesogen hatte. Ansonsten war da von einer Verschwörung die Rede, von Verbrechen, die Elphinstone angeblich erfand, und vom charmanten Ministeriumszauberer Alston Mulciber – an dieser Stelle lachte Minerva beinahe laut auf – der versprach, die Ausschreitungen im Ministerium anständig aufzuklären. »Mum, glaub mir, das hier«, sie stach anklagend mit dem Zeigefinger auf den Artikel, »ist eine bodenlose Frechheit. Ich war zufällig gestern, ähm, beruflich im Ministerium und ich war bei der Verhandlung. Diese miese Kröte von Reporterin kam nicht einmal in Elphinstones Nähe!« Das Einzige, was sie nicht verstand, war, wie Rita Kimmkorn von der Sache mit Elladora und dem illegalen Grünzeug erfahren hatte. Es war vollkommen falsch wiedergegeben, aus dem Zusammenhang gerissen, aber sie erkannte Fakten wieder, die nur sie gestern mit Elphinstone besprochen hatte. »Guck, hier werde ich sogar indirekt im Artikel erwähnt, als ‚Vertraute des Vorsitzenden der dritten Strafkammer, die seine Machenschaften offenbar unterstützt und im Verlauf der Haftprüfungen eine feindliche Haltung gegen Reinblüter zeigte‘. Ha, dass ich nicht lache! Nur weil ich gesagt habe, dass ich nichts von den Forderungen dieser Demonstranten halte!« »Die meint dich?« Die Augen ihrer Mutter wurden noch größer. »Minerva, was ... Du arbeitest doch nicht mehr dort!« »Nein, aber ich bin mit Elphinstone befreundet. Er hat mir einen Gefallen getan, ich habe ihm einen Gefallen getan. Das reicht offensichtlich für dieses Schmierblatt, um einen Haufen Lügen abzudrucken. Wenigstens hat diese Reporterin nicht meinen Namen rausgefunden. Sonst hätten die ersten Eltern sicherlich längst böse Eulen geschickt.« Ihre Mutter legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Schatz ... was ist denn los? Erst verhält Robbie sich so merkwürdig und jetzt auch noch du. Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?« »Ach, mach dir keine Sorgen, Mum. Ich bin wahrscheinlich nur ... überarbeitet.« Minerva bemühte sich, ihre Anspannung zu verdrängen, indem sie flach die Hände auf die Küchentheke drückte. Der Artikel war ein Fiasko, seine Folgen kaum abzusehen. »Es gab einiges Chaos in der Schule in letzter Zeit, und ...« Sie sah erneut zu Elphinstone, der mit einem Strahlen die Zwillinge bespaßte. Bunt schillernde Seifenblasen in Form diverser Tierwesen jagten einander um den Esstisch, gefolgt von den Mädchen auf ihren Spielzeugbesen. Er sah so richtig aus, wie er da zwischen ihrer Familie saß, als wäre er schon immer ein Teil davon, nicht einfach nur ihr ehemaliger Vorgesetzter, den sie unpassenderweise eingeladen hatte. »Oh Minerva«, sagte ihre Mutter leise und drückte ihre Schulter. »Du magst ihn wirklich, hm?« »Ich vertraue ihm, Mum. Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass er anständig ist? Dass er nicht, wie die Zeitung behauptet, ‚alles daran setzt, Unschuldige vor Gericht zu bringen, indem er ihnen Verbrechen gegen Muggel anhängt, um die Reinblutbewegung zu diskreditieren‘? Merlin, das ist so absurd.« Isobel seufzte leise. »Natürlich glaube ich dir, Schatz. Du hast schließlich das Gespür dafür von deinem Vater geerbt. Aber worin auch immer ihr da offensichtlich verwickelt seid – bitte sei vorsichtig.« Minerva nickte und ließ es zu, dass ihre Mutter sie in die Arme zog. »Ich hab dich lieb, Schatz.« »Ich dich auch Mum.« In Minervas Gedanken braute sich ein Sturm zusammen. Robbie war nicht gekommen und nun sah alles danach aus, dass Elphinstone nicht nur ihr ehemaliger Vorgesetzter war, sondern bald auch ein ehemaliger Ministeriumsangestellter, zumindest bis diese Anschuldigungen geklärt waren. Die Ministerin würde nicht zusehen können, wenn solche Gerüchte die Runde machten. Ganz zu schweigen davon, dass Elladora Rosier nun gewarnt war. Minerva verfluchte sich, dass sie Elphinstone da mit hineingezogen hatte. Andererseits wäre es vielleicht auch ohne ihre Einmischung so weit gekommen, nur auf anderem Wege. Wer wusste schon, was die Sterne vorsahen. Als sie mit einem Gesichtsausdruck wie nach der Niederlage gegen Slytherin im Quidditch zurück ins Wohnzimmer ging, sah Elphinstone besorgt zu ihr auf. Obwohl die Zwillinge ihn drängten, weitere Seifenblasentiere herbeizuzaubern, senkte er den Zauberstab und trat zu ihr. »Hey, alles in Ordnung?«, murmelte er leise. »Du siehst aus, als hättest du den blutigen Baron beim Kettenrasseln gesehen.« Sie biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Nicht hier. Und ich mache ich mir Sorgen, weil Robbie immer noch nicht da ist. Das ist nicht seine Art. Wenn er etwas verspricht, dann hält er es auch.« Elphinstone sah zu den Zwillingen, die das letzte Seifenblaseneinhorn jagten. »Dann sollten wir gehen und nachsehen, was ihn aufhält.«   Robbie und seine Frau Anne besaßen ein kleines Haus in Edinburgh, das in einem überwiegend von Zauberern und Hexen bewohnten Viertel lag. Feiner Regen schlug Minerva entgegen, die das Gartentor aufdrückte und mit gezücktem Zauberstab auf das Haus zuhielt. Direkt hinter ihr folgte Elphinstone. Alle Fenster des alten Gebäudes vor ihnen waren dunkel und kein Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein. Natürlich konnte es sein, dass sie Robbie knapp verpasst hatten, aber nach all den Tiefschlägen der Woche fiel es Minerva schwer, daran zu glauben. Der Knoten in ihrem Bauch zog sich noch enger, als sie feststellte, dass die Haustür nur angelehnt war. Sie tauschte einen besorgten Blick mit Elphinstone. »Oh verflucht, das sieht nicht gut aus«, murmelte sie. Vorsichtig, ohne die Türschwelle zu übertreten, leuchtete sie mit dem Zauberstab durch den Türspalt. Der Flur dahinter sah unberührt aus. Immerhin keine Spuren eines Kampfes. »Für gewöhnlich wäre das ein Fall für die magische Polizeibrigade«, gab Elphinstone leise zu bedenken. »Aber ich glaube nicht, dass wir dafür Zeit haben.« »Da gebe ich dir recht.« Minerva nahm einen tiefen Atemzug. »Ich verwandle mich und gehe rein.« Elphinstone hielt ihr Handgelenk fest. »Warte.« Er richtete den Zauberstab auf den Eingang. »Homenum revelio.« Ein rotes Leuchten glomm an der Spitze des Stabs auf. Das Licht wurde intensiver, als er die Hand bewegte. »Wollen wir hoffen, dass das Robbie und seine Frau sind. Kannst du bestimmen, wo sich die Personen befinden?« »Erster Stock würde ich sagen.« »Gut, dann gehe ich hoch. Die Treppe ist gleich links im Flur.« Begeistert sah Elphinstone nicht aus, doch er löste seinen Griff. »Ich folge dir in ein paar Minuten, wenn ich nichts höre. Und wenn du um Hilfe schreist auch.« Sie nickte und schon sank ihre Gestalt auf vier Pfoten zusammen. Mit gesenktem Kopf schob sie sich durch den Türspalt ins Haus. Die feinen Spuren von Magie kribbelten unsichtbar in der Luft. Es war in jüngster Vergangenheit gezaubert worden, und zwar eine ganze Menge. Lautlos huschte sie an der Wand entlang auf die Treppe zu. Trotz ihrer geschärften Sinne war es totenstill, als befände sich außer ihr niemand im Haus. Ihre Pfoten berührten geräuschlos die mit Teppich bedeckten Treppenstufen. Im ersten Stock nahm die Präsenz von Magie zu. Minervas Schnurrhaare kribbelten unter den Einflüssen wie bei einer Begegnung mit der Steckdose (eine Erfahrung, die sie nicht wiederholen wollte). Sie musste dem Drang widerstehen, zu niesen. Hier oben stand nur eine Tür offen. Die zu Robbies Arbeitszimmer. In den grauen Schatten erkannte sie eine umgestürzte Schreibtischlampe am Boden. Pergamente lagen verstreut drumherum. Obwohl es in ihrer Animagusform überflüssig war, hielt sie den Atem an, als sie in Richtung des Raumes schlich. Da berührte ihre Pfote etwas Hartes, Rundes. Ihr sträubte sich vor Schreck das Fell. Die hastig ausgefahrenen Krallen verfehlten und der Gegenstand rollte über den Holzboden. Mit einem Klackern traf er gegen die Wand. Es war eine Kugel von Robbies magischem Abakus. Ehemaligen Abakus, denn die Bruchstücke davon verstreuten sich durch den Flur. Hier war etwas gehörig schiefgelaufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)