Stichflamme von Coronet (Der Aufstieg des Phönix) ================================================================================ Kapitel 11: Magie ist Macht --------------------------- Es gab Angenehmeres, als auf nüchternen Magen zu apparieren. Doch wenn die Zeit drängte, war Frühstück das Erste, das optional wurde. Mit dem Knoten, den Minerva im Bauch trug, hätte sie vermutlich ohnehin nichts heruntergebracht, nicht einmal ein trockenes Toastbrot. Zu groß war die Nervosität, die sich mit der Sorge verbündet und es sich in ihrem Inneren schmerzlich bequem gemacht hatte. Die Straßen Mayfairs waren an diesem Morgen glücklicherweise nicht allzu bevölkert. Für Touristen war es zu früh und die wenigen vorbeieilenden Leute auf dem Weg zur Arbeit hatten nur knappe Blicke für sie übrig. Mit ihrem hochgeschlossenen dunklen Kleid passte Minerva ausnahmsweise zu der Kulisse georgianischer Stadthäuser, die sich lückenlos aneinanderdrängten, eine geschlossene Front eleganter Steinfassaden mit weißen Fenstern und kleinen stuckverzierten Erkern, hin und wieder durchbrochen von einem Balkon hinter schmiedeisernem Gitter. Sie wirkte ähnlich aus der Zeit gefallen wie der Prunk vergangener Jahrhunderte, aber so mochte sie es. Was immer die Muggel in den jüngsten Jahren für modisch erachteten, sie blieb ihrem schlichten Stil treu. Nur auf ihren Umhang hatte sie bei diesem Ausflug nach London in weiser Voraussicht verzichtet. Das Stadtvolk war einiges an ausgefallenen Personen gewohnt, aber es gab Grenzen dessen, was man ihnen zumuten konnte. Minervas Füße trugen sie zielstrebig zu einem vornehmen Haus am Ende der Straße, mehr hoch denn breit. Nichts unterschied es von den anderen Gebäuden in der Reihe; nichts wies auf die Anwesenheit eines zaubernden Bewohners hin. Die Vorhänge hinter den schmalen Fenstern waren zugezogen, doch das war ohne Bedeutung. Nichtsdestotrotz warf sie einen hoffnungsvollen Blick nach oben und vielleicht schlug ihr Herz einen Ticken zu schnell, als sie unter das kleine Vordach in den Hauseingang trat. Eine knarzende alte Holztreppe brachte sie in den dritten Stock, direkt vor die Eingangstür der gesuchten Wohnung. Entschlossen klingelte Minerva – und Stille antwortete ihr. Mit angehaltenem Atem wartete sie einige Augenblicke, während ihre Hoffnungen langsam dahinschwanden. Sie wollte gerade erneut klingeln, mehr aus Verzweiflung, denn aus tatsächlicher Annahme, dass ihr noch jemand öffnen würde, da hörte sie Schritte. »Merlin sei dank!«, war das Erste, das ihr über die Lippen kam, kaum dass Elphinstone die Tür öffnete. Erleichterung durchflutete sie bei seinem offenbar unversehrten Anblick. »Minerva ...« Verwundert musterte er sie, ganz so, als würde an ihrer statt ein zweigehörntes Einhorn im Hausflur stehen. »Du ... hier?« Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, anscheinend hatte er genauso wenig Schlaf gefunden wie sie, allerdings aus anderen Gründen. Sein Gesicht mutete ebenso zerknittert an wie sein Hemd, das immer noch jenes vom gestrigen Tag war; im hellblonden Haar erkannte sie Reste des Aschenstaubs von ihrem unfreiwilligen Ausflug und ein Bartschatten lag auf seinen Wangen. Dennoch schafften seine grauen Augen es, bei ihrem Anblick förmlich aufzuleuchten, die Spuren einer viel zu langen Nacht geschmälert. »Tut mir leid, dass ich hier einfach so auftauche, aber ich musste mich vergewissern, dass du hier bist.« Verunsichert rang sie die Hände. Er schüttelte den Kopf und schien sich langsam bewusst zu werden, wo sie standen und dass sie durchaus real war. »Oh, nicht doch – Bitte, komm herein.« Sie folgte ihm in den Wohnbereich, der genauso gut eines von Pomonas Gewächshäusern hätte sein können. Ein buntes Durcheinander an magischen Pflanzen rankte fröhlich vor sich hin, in kleinen Fläschchen auf der Fensterbank, in flachen Schalen von der Decke herabhängend oder in großen Töpfen überall im Zimmer verteilt. Was nicht von Gewächsen in Beschlag genommen worden war, bot Platz für Bücher, eine Sammlung, die durchaus als kleine Bibliothek durchging. Eigenartigerweise drängte sich Minerva der Gedanke an Horace’ gestrigen Trank auf, der einen ähnlichen Duft von Natur und Pergament verströmt hatte. Unschlüssig standen sie und Elphinstone einander gegenüber, sie die Arme schützend vor der Körpermitte verschränkt, er die Hände in die Hosentaschen versenkt. Etwas in ihr drängte danach, ihn zu umarmen, doch sie blieb stattdessen vor dem kalten Kamin stehen. Trotz ihrer jahrelangen Freundschaft hatte es sich selten ergeben, dass sie ihn in seiner Londoner Wohnung besuchte. Das letzte Mal lag Jahre zurück und da hatte sie ihn nur abgeholt. Ihre Treffen beschränkten sich meist auf Hogsmeade, insbesondere ihren Stammtisch bei Madam Puddifoots. Plötzlich kam sie sich vor wie ein Eindringling in eine fremde Welt. Auf dem Kaminsims befand sich eine Handvoll Bilder in silbernen Rahmen, offenbar Familienaufnahmen. Vier Kinder, aufgereiht wie die Orgelpfeifen und allesamt in Hogwartsuniformen, standen winkend an einem Seeufer. Das Lächeln des einzigen Jungen an dritter Stelle war unbestreitbar dasselbe wie das des erwachsenen Elphinstone. Er hatte einen Arm um die Kleinste seiner Schwestern geschlungen, die im Gegensatz zu ihm das Wappen mit dem Dachs auf ihrem Umhang trug. Der Anblick erinnerte Minerva an ihre eigenen jüngeren Brüder. »Alles in Ordnung?« Besorgt musterte Elphinstone sie. »Ist irgendetwas passiert?« Ertappt löste sie den Blick von dem Bild. »Das sollte ich wohl eher dich fragen«, entgegnete sie leise. »Ich habe mir Sorgen gemacht, nach allem, was ich aus der Zeitung erfahren musste. Das Schlimmste, womit ich mich gestern noch herumgeschlagen habe, waren zwei aufmüpfige Schülerinnen.« »Es tut mir so leid, Min.« Seufzend senkte er den Blick, doch sie schüttelte rasch den Kopf. »Entschuldige dich nicht. Es ist ... Chaos. Hauptsache bei dir ist alles in Ordnung.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Das ist es doch, oder?« »Jetzt schon«, erwiderte er mit einem sanften Nicken. »Die verfluchten Ausschreitungen haben die ganze Nacht angehalten. Ich bin quasi gerade erst nach Hause gekommen.« Niedergeschlagen deutete er zum Wohnzimmertisch, der unter Bergen an Pergamentstapeln, alten Tintenfässern und roten Ministeriumsakten verschwand, worauf wiederum eine Schleiereule thronte. »Ich war gerade im Begriff, dir eine eilige Nachricht mit dem Wichtigsten zu schicken. Wenn ich nicht der Ministerin hätte behilflich sein müssen, hätte ich mich eher gemeldet. Aber so ... habe ich es überhaupt nicht geschafft, irgendetwas herauszufinden. Edwards ist spurlos verschwunden und überhaupt ist alles schrecklich schief gelaufen.« Minerva schluckte. »Das habe ich befürchtet. Deshalb habe ich auch eine Idee für einen – sagen wir Alternativplan – wie wir trotzdem an die Adresse kommen. Also genau genommen war es Horace, der mich auf die Idee gebracht hat.« »Der alte Sluggy?« Elphinstone legte die Stirn in Falten. Der Spitzname entlockte Minerva ein Schmunzeln. »Ja, genau der. Dank ihm hab ich eine Idee, wie wir ohne Edwards’ Hilfe den Code lösen können – lösen lassen besser gesagt. Ich werde mich darum kümmern. Du solltest vermutlich lieber eine Runde Schlaf nachholen. Aber ich wollte dich wenigstens informieren.« »Ach was«, winkte Elphinstone ab, »damit lasse ich dich keinesfalls alleine. Wofür gibt es einen kleinen Muntermachtrank? Wenn ich etwas von meinem alten Hauslehrer gelernt habe, dann das. Vermutlich hat er stets gewusst, dass ich das fürs Überleben im Ministerium tagtäglich brauchen werde. Er war schon immer gut darin, jedem seiner ‚Lieblingsschüler‘ ein paar nützliche Geheimnisse für den persönlichen Erfolg an die Hand zu geben.« Er lächelte schief. »Nun, jetzt ist es definitiv zu spät, diese Berufswahl zu bedauern.« Schon lief er in die Küche, wo er geräuschvoll zwischen lauter Glasfläschchen kramte. Die kurze Unterbrechung kam Minerva gelegen, war sie doch unsicher, was sie andernfalls hätte erwidern sollen. Immerhin war ihr gut – sehr gut – bewusst, dass man mit der regelmäßigen Einnahme solcher Tränke vorsichtig sein musste, um keine Herzprobleme zu riskieren. Und der Gedanke, dass Elphinstone dieser Gefahr ausgesetzt sein könnte, stach sie unerwartet fest. Als er schließlich zurückkehrte und ihr eine kleine Phiole voll dunkelblauer Flüssigkeit reichte, nahm sie diese dennoch dankbar entgegen. Im Gegensatz zu ihren eigenen, lausigen Trankbraukünsten, traute sie den seinen deutlich mehr und nach der durchwachten Nacht konnte sie einen Weckruf gebrauchen. In Maßen schadete es ja nicht. »Sieh es so«, seufzte sie, »ohne deinen Einsatz wäre das Ministerium ein gutes Stück weit weniger gewissenhaft. Anders als manche deiner Kollegen bist du der Gerechtigkeit wenigstens ehrlich verschrieben.« Sie stürzte den Trank in einem Schluck hinab, der sie schüttelte. »Und ohne das Ministerium wären wir einander vielleicht nie begegnet. Das wäre doch irgendwo bedauerlich. Du musst zugeben, es war nicht die schlimmste Zeit, als ich dich regelmäßig vor Mulcibers unmotivierten Schriftsätzen bewahrt habe.« Elphinstone brachte den Trank mit deutlich mehr Routine hinunter. »Oh, wer weiß, vielleicht wäre ich ohne das Ministerium ein Kollege von dir geworden? Der überaus charmante Professor für Kräuterkunde aus Slytherin und die scharfsinnige Verwandlungsprofessorin sowie Hauslehrerin von Gryffindor, das hätte Potential für eine geradezu verbotene Geschichte.« Sie täuschte ein Husten vor, doch die leichte Röte in ihren Wangen konnte sie nicht verbergen. »Das klingt wie die Handlung eines sehr billigen Romans.« »Hey, das hast du jetzt gesagt!« Er ließ ein leises Glucksen hören. »Dabei bin ich ein Mann mit Werten! Ich würde selbstverständlich erst um deine Hand anhalten, so ... Wie viel steht es noch gleich?« »Zehn Mal«, sagte sie mit hochgezogener Augenbraue. »Danke. Also so zehn Mal würde ich fragen. Vielleicht ja auch elf –« »Überleg dir das besser gut. Das Jahr ist noch nicht um.« Gespielt nachdenklich legte Elphinstone eine Hand ans Kinn. »Gibt es irgendwo ein ungeschriebenes Gesetz, dass ich die Frage nur einmal im Jahr stellen darf?« »Ich kann auch dafür sorgen, dass es ein geschriebenes Gesetz wird.« Sie sahen einander schmunzelnd an und schließlich brachen sie beide in Lachen aus. Es war albern, aber in diesem Moment erleichterte es Minerva, dass sie immer noch so unbeschwert darüber scherzen konnten. In all dem Chaos befreite es ihr Gewissen, dass sie einen wahren Freund in ihm hatte. Trotz zehn Mal »Nein« aus ihrem Mund. Gähnend streckte Elphinstone sich. »Na gut, Min, dann erzähl mir mal von deinem Vorhaben, wie wir ohne Edwards an die Adresse kommen. Ich hoffe, wir brechen nur eine Handvoll Gesetze, andernfalls kann ich mir bald doch Gedanken um eine Alternativkarriere machen.«   Die Winkelgasse war deutlich belebter als das gediegene Mayfair. Entlang der bunten Einkaufsstraße drängten sich Hexen und Zauberer in Grüppchen zusammen und wann immer Gesprächsfetzen zu Minerva hinüber wehten, erkannte sie vor allem ein Thema – die Ausschreitungen des gestrigen Tages. Sie sah zu Elphinstone an ihrer Seite, der zum Glück nicht in offizieller Ministeriumsrolle unterwegs war, sondern in privater Kleidung, inzwischen deutlich weniger verstaubt und zerknittert. Er schien ebenfalls beunruhigt, doch für sie zeigte er ein aufmunterndes Lächeln. Voll, wie die Gasse war, musste Minerva das ein oder andere Mal dem Drang widerstehen, fluchend jemanden beiseitezuschieben. Wie viele der Flanierenden mochten wohl gar bei den Demonstrationen dabei gewesen sein und sich nun wieder unbescholten geben? Sie traute der plappernden Menge kaum. So schnell es die geschäftige Gegend erlaubte, drängte sie sich gefolgt von Elphinstone auf ihr Ziel zu, den schneeweißen Bau von Gringotts. Dort würden sie Robbie treffen und hoffentlich bald schon die Adresse von Jonathan Alditchs Entführern in den Händen halten, davon war sie überzeugt. Bereits von weitem zeichnete sich jedoch ab, dass der Platz vor der Bank mit Menschen übersät war und schlussendlich verdichtete sich das Gedränge nur Meter davor zu einem Knoten, der ein Durchkommen unmöglich werden ließ. Laute, aber unverständliche Stimmen drangen über die Köpfe der Menge zu ihnen vor. Minerva war schon bereit, wieder ihren Zauberstab zu ziehen und ein paar abgemilderte Schockzauber zu verteilen, doch Elphinstone gelang es weitaus einfacher, sich einen Weg zu bahnen. Mit der angestammten Autorität eines Ministeriumsbeamten, die ihm auch ohne marineblaue Robe innewohnte, und einigen sehr klaren Worten drängte er sich durch die Ansammlung, sodass sie ihm nur folgen brauchte. Wenigstens hier wog seine Position noch etwas. Auf dem Vorplatz der Bank eröffnete sich ihnen allerdings ein Schauspiel, das eine unangenehme Überraschung barg. Die weißen Marmorstufen wurden von einer Gruppe in Beschlag genommen, die allesamt in vornehme Roben gekleidet waren und einen hochmütigen Gesichtsausdruck zur Schau trugen. Minerva erkannte Druella Black, Mutter ihres neusten Sorgenkindes Narzissa, unter den Anwesenden, einen Stapel Flugblätter in den bleichen Händen. Doch die Aufmerksamkeit gehörte nicht ihr, sondern einem hochgewachsenen Zauberer mit breiten Schultern und aschblondem Haar, der offenbar im Begriff war, eine Rede zu halten – zumindest versuchte er es. Unterhalb von ihm, auf dem Kopfsteinpflaster, hatte sich eine Hexe in ministeriumsblauer Robe aufgebaut, die Hände energisch in die Hüften gestemmt. Nicht irgendeine Hexe, wie Minerva feststellte, sondern eine alte Bekannte. »Pippa?«, entkam es ihr leise und sie tauschte einen überraschten Blick mit Elphinstone, der sie ebenfalls erkannt hatte. Margarete – Spitzname Pippa – Jansson, Aurorin zweiten Grades, stand vor dem Treppenaufgang und schimpfte wie der Unflätigste aller Gartengnome auf den Redner ein. Bei dieser Wortwahl gab es kein Vertun – es handelte sich bei der zierlichen rotblonden Hexe um ihre ehemalige Arbeitskollegin. Deren Ausdruck hatte schon immer ... Kreativität bewiesen. Neben all dem Gefluche verstand Minerva etwas von »keine Genehmigung« und »Befragung«. Ernst nahm Pippas Gegenüber sie freilich nicht. Er rollte nur mit den Augen, ehe er sich zu einer Erwiderung herabließ. »Werte Aurorin, beschäftigen Sie sich lieber mit den wirklichen Problemen unserer magischen Gesellschaft«, höhnte er für alle Umstehenden deutlich hörbar. »Magie ist Macht und Sie verschwenden die Ihre im Augenblick auf Lächerlichkeiten.« Der Tonfall gefiel Minerva überhaupt nicht. Es erinnerte viel zu sehr an die Stimmung bei der gestrigen Ausschreitung. Elphinstone schien ähnlich zu denken, denn er schob den Umhang vor seinem Zauberstab zurück. »Mr Rosier, ich wiederhole mich nur ungerne«, entgegnete Pippa derweil gleichermaßen kühl, »aber es würde uns allen einiges ersparen, wenn Sie mir jetzt freiwillig folgen würden. Das ist Ihre letzte Warnung! Ansonsten sehe ich mich gezwungen, Sie wegen Widerstand gegen eine ministerielle Anordnung festzunehmen.« Beiläufig schwenkte sie den Zauberstab in ihrer linken Hand. »Glauben Sie nicht, dass ich zimperlich mit Ihrem aufgeblasenen Trollarsch sein werde!« »Reizend.« Rosier zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Sehen Sie, meine Damen und Herren – das Ministerium droht uns Gewalt an, obwohl alles, was wir uns zuschulden haben kommen lassen, eine fehlende ‚Genehmigung‘ ist.« »Wenn es nur das wäre«, schnappte Pippa zurück. »Mr Rosier, es besteht der dringende Verdacht, dass Sie gestern maßgeblich an den Ausschreitungen im Ministerium beteiligt waren. Und wie sich vermutlich alle hier Anwesenden vorstellen können, hat die Aufklärung dieses Vorfalls oberste Priorität! Ob Sie hier derweil versuchen, den neuesten Haarglättungstrank zu verkaufen, oder was auch immer Sie gerade anpreisen wollen, ist mir persönlich herzlich egal.« Leises Murmeln ging durch die Zuschauermenge und die Ersten verließen den Platz mit gesenkten Köpfen. Im Gegensatz dazu drängte es Minerva geradewegs, ihren Zauberstab zu ziehen. Dank Elphinstones Wachmachertrank war jegliche Apathie wie weggeblasen und wenn überhaupt erzitterten ihre Finger vor Tatendrang. Völlig ausdruckslos trat Druella Black ein paar Schritte vor und warf ein Flugblatt in Richtung Pippa herab. Die Aurorin schenkte ihm keine Beachtung, sondern ließ es zu Boden segeln wie ein welkes Blatt. Auf die Schnelle erkannte Minerva nur die plakative Überschrift – Magie ist Macht. Rosier lächelte schmallippig. »Es gibt nichts zu verkaufen. Wenn überhaupt, dann liegt uns etwas daran, der magischen Gemeinschaft einen neuen Weg aufzuzeigen, zu ihrer wahren Größe zu finden.« Bei diesen Worten schenkte er dem Publikum einen bedeutsamen Blick. »Hören Sie sich eigentlich selber reden? Mr Rosier, ich nehme sie hiermit fe-« Schneller als irgendwer gucken konnte, glitt Rosier der Zauberstab in die Hand. Größtenteils verborgen von seinem weiten Umhangärmel, hielt er ihn locker auf Pippa unter ihm gerichtet. Einige der verbliebenen Umstehenden, denen die Bewegung nicht entgangen war, ließen ein kollektives Luftschnappen hören und wichen einen Schritt zurück. Feiglinge, dachte Minerva erzürnt. Schon lag der Zauberstab auch in ihrer Hand. Doch Elphinstone umfasste diese sanft und zog sie wieder runter. »Minerva, nicht.« Mit diesen Worten schob er sich vor sie, geradewegs in den Ring aus Zuschauern. »Gideon, ich denke das reicht.« Kaum merklich ließ Rosier den Zauberstab ein Stück sinken. Sein Blick wanderte nur langsam zu Minervas Begleiter, genauso wie der Pippas. »Ah, was für eine Überraschung, Elphinstone. Eigentlich nicht dein Aufgabengebiet hier, nicht wahr? Oder schulst du jetzt zum Auroren um?« Pippa sah Elphinstone ebenfalls verwirrt an, doch sie nutzte die Ablenkung, um ihren eigenen Zauberstab unbemerkt auf Rosier zu richten. »Ich denke nicht, dass das etwas zur Sache tut.« Elphinstone trat noch ein paar Schritte auf die Treppen zu, ehe er innehielt. Die leeren Hände hielt er betont lässig vor sich. »Immerhin ist es ein Mitglied meiner Abteilung, mit dem du hier offensichtlich eine Auseinandersetzung hast.« In diesem Moment sprach vollkommen der Leiter der dritten Kammer für Strafverfolgung am Zaubergamot aus ihm. Minerva erkannte es an der Art, wie bedacht er mit Rosier redete; ihm offen zeigte, dass er nicht bewaffnet war. Eine gewaltfreie Lösung ist stets vorzuziehen, das war oberster Grundsatz aller Ermittlungen. Es hinderte sie nicht daran, den eigenen Zauberstab fester zu packen. Dann übernahm sie eben seine Rückendeckung. Sie löste sich aus der rasch schwindenden Menge und brachte sich hinter Elphinstone in Position. Das schmallippige Grinsen breitete sich auf den Zügen Rosiers aus. Sein Blick huschte kurz zu ihr und betont lässig schob er den Zauberstab fort. »Ah, bitte entschuldige diesen bedauerlichen Umstand, Elphinstone. Aber du verstehst sicherlich, wie wichtig unsere Botschaft ist. Als alter Freund.« Eine weitere unangenehme Überraschung. Minerva wusste, dass die Reinblüter allesamt eine eingeschworene Gemeinschaft waren, in der jeder jeden kannte, aber sie vergaß ebenso gerne, dass auch Elphinstone in diese Kreise hineingeboren worden war; mit vielen dieser Menschen die Schule besucht hatte. Der schob die Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern. »Was für eine Botschaft?«, fragte er Rosier und beäugte das zu Boden gefallene Flugblatt. »Magie ist Macht? Nein, ich fürchte, ich verstehe nicht. Ich verstehe aber wohl, dass Miss Jansson Order hat, dich für eine Befragung ins Ministerium zu bringen. Ich frage mich nur, wieso du nicht einfach mitgehst, wenn du doch davon überzeugt bist, dass du dir nichts zuschulden hast kommen lassen?« Rund um Minerva zerstreuten sich die letzten Umstehenden. Offenbar wollte niemand etwas von einer Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Ministerium wissen. Nicht nach gestern. Das schien auch Rosier zu begreifen und sobald er sein Publikum schwinden sah, schritt er gemessen die Marmorstufen hinab. Pippa ignorierte er dabei gänzlich, sondern hielt stattdessen direkt auf Elphinstone zu. Geschwind überbrückte Minerva die restliche Distanz zwischen ihnen und stellte sich hinter ihren Freund. Den Zauberstab wandte sie nicht von Rosier ab. Dieser beachtete sie jedoch kaum, als er sich zu Elphinstone herunter neigte, der einen ganzen Kopf kleiner war. »Natürlich werde ich Miss Janssons freundlicher Anweisung nachkommen. Keine Sorge. Nur ein nett gemeinter Rat, so von Schwager zu Schwager – du solltest bedenken, was du in deiner Position zu verantworten hast. Denk daran, wo du stehst, Elphinstone.« Das Lächeln auf seinen Lippen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass in seinem Blick die Kälte von unzähligen Wintern lag. »Das sollte wohl nicht deine Sorge sein, Gideon. Denk lieber an Elladora und deinen Sohn.« Einen Augenblick schien Rosier eine Erwiderung ausspucken zu wollen, doch da näherte sich von hinten Pippa. Mit einem übertrieben falschen Lächeln auf den rotgeschminkten Lippen strahlte sie den Mann an. »Wunderbar, wieso nicht gleich so?«, fragte sie, der bissige Vorwurf unüberhörbar. »Danke, Elphinstone. Dabei hatte ich mich schon darauf gefreut, ihm ein paar Manieren beizubringen.« Sie zwinkerte. »Übertreib es nicht, Margarete.« »Würde ich niemals.« Sie grinste in Minervas Richtung. »Hey, lange nicht gesehen! Wenn’s euch nichts ausmacht, bringe ich den hier«, sie deutete auf Gideon Rosier, »erstmal zu Mulciber, damit er ihn befragen kann, aber wir sollten uns späterdringend unterhalten, ja? Ich hab da ... was Interessantes gehört. Kommt einfach im Tropfenden Kessel rum, okay?« Noch einmal zwinkerte sie, dann packte sie den Festgenommenen deutlich kräftiger am Oberarm, als man ihrer zierlichen Statur zutrauen könnte und mit einem Ploppen verschwanden die beiden. Oben auf den Stufen zu Gringotts hatten Druella Black und ihre Begleiter indes das Geschehen reglos verfolgt. Ein schmales Lächeln lag auf den Lippen der Hexe und Minerva brauchte einen Moment, bis sie den Grund für die Freude ihrer einstigen Schulkameradin erkannte. Die Flugblätter mit den hässlichen Worten »Magie ist Macht« schwebten in der Luft über dem Platz, getragen von einem stummen Zauber Druellas. In einem Wirbel disapparierten sie und Rosiers Gefolgsleute. Keine Sekunde nachdem der Schwebezauber so gebrochen wurde, ergriff der Wind die Pergamente und trieb sie hinaus auf die Winkelgasse. Minerva zögerte nicht. Während die Blätter wie Laub im Herbststurm durch die Luft tanzten, hob sie den Zauberstab. Einem einzigen Gedanken folgend wurden aus unzähligen schwarz bedruckten Flugblättern bunte Schmetterlinge, die hastig flatternd über die Dächer ins London der Muggel entschwanden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)