Zum Inhalt der Seite

Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Staubige Spur

Minerva zögerte nicht lange. Vestigiator und Zauberstab wieder in der Umhangtasche verstaut, verwandelte sie sich zurück in ihre fellige Animagusgestalt und huschte zum Treppenabsatz, um nach dem Besuch Ausschau zu halten. Obwohl sie mit einem Freund rechnete, konnte man nie wissen ... Das Geräusch stammte in jedem Fall von einer apparierenden Person. Sie hatte es oft genug in ihrem Leben gehört, den kurzen Knall, wenn die Luft erschrocken vor dem Auftauchen eines Menschen zurückwich.

Im Halbdunkel des Hauses hatte sie zumindest den Vorteil auf ihrer Seite. Wer auch immer gleich hereinkommen würde, sie würde die Person zuerst sehen. Angespannt spähte sie in den Flur hinab, den Katzenkopf zwischen den Vorderpfoten auf den Boden gepresst.

Für den Bruchteil einer Sekunde bemerkte sie einen herben Geruch nach rottendem Laub, der so gar nicht zu der gepflegten Einrichtung passte, schob den Gedanken aber beiseite. Sie hörte undeutliches Gemurmel und sah, wie sich der Türknauf wie von Geisterhand bewegte.

Zunächst schob sich die Spitze eines Zauberstabs in den Flur, darauf folgte ein Arm und schließlich der Rest eines kleinen Mannes mit hellblondem Haar, der in einen marineblauen Umhang gehüllt war. Er sah sich langsam um, ehe er wortlos den Stab aufleuchten ließ.

In ihrer menschlichen Gestalt hätte Minerva gelächelt. Der Anblick erfreute sie mehr, als sie erwartet hatte. So aber schlich sie nur auf Samtpfoten einige Stufen die Treppe hinab. Ihr Geruchssinn bestätigte ohne Zweifel, wer der plötzliche Besucher war. Auch die Aura blassblauer Magie, die ihn umgab, war unverkennbar und wohl bekannt.

Ein weiterer Vorteil ihrer Animagusgestalt. Die Sinne einer Katze betrog man nicht so einfach mit Illusionszaubern oder Verwandlungstränken. Sie hatten Instinkte, von denen viele nicht einmal ahnten. Und die meiste Magie, die Menschen austrickste, hatte auf Katzen, aber auch andere Tiere, kaum Wirkung.

Der Zauberer hatte Minerva immer noch nicht bemerkt, obwohl sie ihn geradewegs aus ihren leuchtenden Augen ansah. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Muggelküche zu mustern. Das gab ihr wiederum Zeit, in Ruhe seine Erscheinung zu begutachten.

Er trug einen altmodischen, grauen Anzug mitsamt bunter Krawatte unter seinem Umhang, der vor zwanzig oder dreißig Jahren – mindestens – modern gewesen sein musste. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater so einen zu besonderen Anlässen getragen hatte. Aus Erfahrung wusste sie allerdings zu gut, dass ihr Besucher immerzu so herumlief, seit er eine Anzeige dafür in einem Muggelmagazin gesehen und Gefallen daran gefunden hatte.

Elphinstone Urquart war eben ein Zauberer aus einer Dynastie an Reinblütern und vermutlich war es ihm hoch anzurechnen, dass er keine Badehose zu dem Jackett trug, wie es schon manch anderer vollbracht hatte. Doch zum Glück sah Minervas alter Freund genauso aus wie bei ihrem letzten Treffen, bis hin zu dem gemütlichen Bauchansatz, der sich mit jedem Jahr etwas deutlicher unter seiner Anzugweste abzeichnete.

Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit maunzte sie ihn an und blitzschnell richtete Elphinstone seinen Zauberstab auf sie. Ein ungesagter Zauber glühte bereits an der Stabspitze auf, als er überrascht blinzelnd innehielt, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach.

»Oh Merlin, Minerva, willst du einen Geist aus mir machen?« Lässig wedelte er mit dem Stab und der unfertige Zauber löste sich auf.

Sie unterdrückte ein Kichern und senkte sich auf ihre Hinterläufe. In einer fließenden Bewegung schoss sie wieder in die Höhe, dass ihr dunkelgrüner Umhang und der schottenkarierte Schal aufwehten. Zurück in ihrer eigenen Haut erlaubte sie sich ein zufriedenes Schmunzeln. »Ach, es kommt drauf an, wo du als Geist spuken würdest, Elphinstone. Den unmöglichen Bürokraten im Ministerium kannst du gerne bis in alle Ewigkeit das Leben schwer machen. Die hätten einen nervigen Hausgeist wirklich verdient. Manchmal überlege ich, ob wir Peeves nicht irgendwie dorthin locken können. Zumindest ausleihen könnten wir ihn doch mal ...«

Der unsägliche Poltergeist hatte ihr in knapp zehn Jahren Lehre in Hogwarts mehr als einmal Kopfschmerzen eingebrockt. Ihn ausnahmsweise im Ministerium wüten zu sehen, würde ihr insgeheim große Freude bereiten. Nicht, dass sie das jemals ihren Schülerinnen und Schülern gegenüber zugeben würde.

Ihre schnippische Antwort brachte Elphinstone noch mehr zum Lachen. In seinen hellen Augen funkelte der Schalk und ließ ihn beinahe jungenhaft wirken, obwohl er ein gestandener Zauberer war. »Ich fürchte, Peeves wird Hogwarts selbst dann heimsuchen, wenn wir alle längst in den Staub der Erde zurückgekehrt sind. Aber genug davon. Was machst du hier? Ich dachte, ich sollte für dich etwas herausfinden, nicht mit dir.« Sein Blick wurde wieder ernst.

»Als ich dir geschrieben habe, war das mein Vorhaben, aber da hatte ich die Rechnung ohne Albus gemacht. Er scheint geahnt zu haben, dass ich lieber Kröten pökeln würde, als untätig in der Schule zu sitzen, also hat er mich freigestellt. Falls du es nicht rechtzeitig schaffst – oder Hilfe brauchst.«

»Nun, wenn ausgerechnet du mich um einen Gefallen bittest, dann komme ich so schnell herbeigeflogen wie ein Hippogreif, um dir zur Seite zu stehen«, verkündete Elphinstone salbungsvoll, aber nicht ohne Zwinkern. »Immerhin hat es zehn Jahre gebraucht, bis du überhaupt meinen Beistand gesucht hast.« Er lachte leise. »Du warst schon immer die Fähigere von uns beiden. Deine Unterstützung schlage ich gewiss nicht aus. Wir wissen ja beide, wie gut du mir das Leben retten kannst.«

Unwirsch wedelte Minerva mit der Hand. Lob lag ihr immer noch nicht, vor allem nicht seines. »Schon gut. Ich habe mir deinen Gefallen nur für eine wirklich wichtige Gelegenheit aufgehoben. Leichtfertig wollte ich dich nicht behelligen.«

Tief im Inneren war ihr allerdings ebenso bewusst, dass sie diese Verbindung mit ihm, gleich wie klein, gemocht hatte. Einerseits war sie froh, dass sie nach Hogwarts zurückgegangen war, andererseits fürchtete sie, dass ohne diese letzte ‚Schuld‘ künftig etwas ... fehlen könnte, das sie verband. Denn eines war gewiss: Ihre Treffen fanden vor lauter Arbeit und anderen Verpflichtungen selten genug statt.

Auch wenn er es nie zugeben würde, hatte es Elphinstone getroffen, wie überstürzt sie das Ministerium und seine Abteilung verlassen hatte. Angesichts dessen war sie sehr dankbar, dass ihre Freundschaft mindestens in Briefen überdauerte. Noch mehr freute es sie nur, ihn so spontan wiederzusehen. Da war diese Sache es gleich doppelt wert, ihren Stolz bei der Einlösung seiner Schuld zu überwinden.

»Wie dem auch sei, zwei Zauberkundige sind besser als einer«, befand sie.

Elphinstone lächelte ihr wohlwollend zu. »Richtig, zwei von unserer Sorte sind unaufhaltsam. Vor allem wenn eine davon zu den talentiertesten Hexen gehört, die je ihren Fuß in das Ministerium gesetzt hat.«

Minerva sah die unverhohlene Bewunderung in seinen Augen, doch sie überging die Bemerkung mit einem unangenehm berührten Hüsteln. Sie war sich ihrer Talente bewusst, hielt aber nichts davon, darüber zu reden. »Sollen wir? Ich würde ungern Zeit verlieren.«

»Natürlich.« Elphinstone straffte seine Schultern und wie durch einen gelungenen Verwandlungszauber wurde aus dem charmanten Mann ein professioneller Ministeriumszauberer voll Ernsthaftigkeit. Wenn es um seine Arbeit ging, kannte er keine Späße. »Hattest du schon Zeit, dich weiter umzusehen?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe in meiner Animagusgestalt eine erste Witterungsprobe durchgeführt, aber nichts –«, unvermittelt hielt sie inne. Eigentlich hatte sie sagen wollen, dass sie nichts gefunden hatte, doch das stimmte nicht. Der modrige Geruch am oberen Treppenabsatz stieg ihr wie eine schwache Erinnerung in die Nase.

Erwartungsvoll sah Elphinstone sie an.

»Oben, im ersten Stock, kurz bevor du hereinkamst, roch es ... nach sterbendem Wald. Es muss nichts heißen, aber –«

»Es passt nicht«, vervollständigte er ihren Satz. »Nicht in diesem ordentlichen Muggelhaushalt. Nach dir.« Er wies die Treppe empor und ließ die Spitze seines Zauberstabs aufleuchten, um das dunkle Treppenhaus zu erhellen.

Dieses Mal verwandelte Minerva sich nicht in eine Katze. Stattdessen richtete sie ihren Zauberstab auf den Boden und versuchte es zunächst mit einem schlichten Aufspürzauber, den sie auf die Quelle des unbekannten Geruchs fokussierte.

Nichts regte sich. In ihrer menschlichen Gestalt war der Odor allerdings deutlich weniger präsent und vermutlich mehrere Tage alt. Die Spuren waren wahrscheinlich schon zu schwach.

Elphinstone war am Absatz der Treppe stehen geblieben und verzog nachdenklich das Gesicht. »Ich nehme überhaupt nichts wahr«, murmelte er. »Weder einen Geruch noch Magie.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen. Jemand hat hier aufgeräumt. Zu gut.«

»Wir könnten es mit einem Verstärkungszauber probieren«, schlug Elphinstone vor. »Vielleicht bekommen wir so eine Ahnung davon, ob wir es nicht doch nur mit einem Haustier zu tun haben.« Er richtete den Stab in die grobe Richtung des unsichtbaren Flecks am Boden und murmelte einige Worte.

Ursprünglich handelte es sich bei dem Spruch um einen schlichten Haushaltszauber, der angenehme Gerüche verstärken und für ein behagliches Haus sorgen sollte. Aber wenn der Zauber gut genug war, um Stinkbomben besonders penetrant stinken zu lassen, konnte man ihn auch für die Spurensuche einsetzen.

Sogleich stieg eine geisterhafte Wolke aus dem staubigen Teppich empor, die Minerva in der Nase kitzelte. Beide mussten sie niesen. Unter dem Staub verbarg sich aber noch ein anderer Geruch. Da war wieder der Hauch des Waldbodens im Spätherbst, wenn feuchtes Laub die Erde bedeckte und der kalte Winter nach ihm langte. Nur war die Verwesung, das Sterben allen Lebens, präsenter als der erdige Geruch. Es erweckte den Eindruck eines toten Waldes, mitten in dem ordentlichen Muggelhaus.

Mit gerümpften Nasen sahen Minerva und Elphinstone einander an.

»Das ist ... ungewöhnlich«, sagte Elphinstone schließlich. »Und ich habe keine Ahnung, was es zu bedeuten hat.«

Auch wenn sie es nicht zugab, ging es Minerva genauso. »Wir sollten sehen, ob wir die Spur noch anderswo im Haus finden.«

Nach einem Schwenk ihres Zauberstabs stieben goldene Funken auf und tanzten geschwind durch den Flur davon. Sie folgten dem Ortungszauber, der sie durch den Korridor in das Zimmer des jungen Jonathan führte.

Die Lichtpartikel hüpften auf und ab, wie Staubkörner im Sonnenlicht. Was immer die Spur hinterlassen hatte, es musste sich lange in diesem Raum aufgehalten haben, denn sie verteilten sich überall hin.

Als Minerva vorhin in Menschengestalt das Zimmer betreten hatte, war ihr der ungewöhnliche Geruch genauso wenig aufgefallen, wie jetzt Elphinstone. Mit neugewecktem Interesse blickte sie sich ein zweites Mal in dem Kinderzimmer um.

Auch Elphinstone sah sich um. Aufmerksam ließ er die Augen über die regungslosen Bilder an der Wand hinter dem Schreibtisch gleiten, die allesamt Muggel in ihren stromlinienförmigen Rennautos zeigten. Dann fiel sein Blick auf den ordentlichen Stapel an brandneuen Zauberbüchern. Beiläufig schlug er das Erste auf. Minerva hörte ihn etwas brummen, ehe er sich mit einem knittrigen Lesezeichen in den Fingern zu ihr umdrehte.

»Das Buch hat ganz schön was mitgemacht. Die Seiten sind eingerissen und der Einband hat einen ordentlichen Kratzer auf der Rückseite. Ziemlich merkwürdig, wo doch sonst alles so ordentlich ist. Ein bisschen zu ordentlich, findest du nicht?«

Überrascht sah Minerva ihn an. »Zu ordentlich?« Sie wusste ja, dass viele Zauberer eine eigenartige Vorstellung von Ordnung hatten, aber sie hatte Elphinstone in dieser Hinsicht nicht ganz so hoffnungslos wie manche seiner Kollegen eingeschätzt.

Er grinste leicht. »Vielleicht nicht für dich, aber für einen Elfjährigen? Nicht viele Kinder reihen ihre Sachen so pedantisch auf.« Er wedelte mit dem ramponierten Lesezeichen. »Vor allem nicht, wenn die Sachen aussehen, als wäre eine Herde Zentauren darüber galoppiert. Ich habe das Gefühl, hier war ein Aufräumzauber am Werk. Hastig ausgeführt und nur auf den ersten Blick überzeugend.«

Ein neues Empfinden glitt durch Minerva, als sie noch einmal zu den Spielzeugdinos auf der Fensterbank sah. Tatsächlich, einem von ihnen fehlte ein Bein, das sie auf dem Boden neben der Tür wiederentdeckte. Auf den Autopostern waren vereinzelt dunkelblaue Flecken, dafür war in dem neuen Tintenfass nur mehr die Hälfte an Tinte.

»Vermutlich hast du recht«, sagte sie in die Stille hinein. »Ich wusste doch, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht.« Ihre Finger glitten zu dem Vestigiator in ihrer Umhangtasche. Es war an der Zeit für seinen Einsatz. »Wollen wir hoffen, dass Albus’ Erfindung uns helfen kann.« Sie hielt den goldenen Ball in der flachen Hand vor sich.

Neugierig beäugte Elphinstone den ungewöhnlichen Gegenstand, bevor er ein anerkennendes Pfeifen ausstieß. »Das ist von Albus Dumbledore? Was tut es?«

»Oh, er wäre nicht Albus Dumbledore, wenn ich wüsste, wie er genau funktioniert. Aber er soll Spuren magischer Präsenz aufdecken. Egal wie klein ...« Mit der freien Hand hob sie den Zauberstab und vollführte eine rasche Drehbewegung. »Appare Vestigium!«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück