Eine Begegnung verändert alles von Charly89 (Daryl und Matt) ================================================================================ Kapitel 7: Hässliche Gedanken ----------------------------- Daryl Oft sind unvernünftige Gründe, die helfen, besser als vernünftige Gründe, die nicht helfen. Matthias Claudius   Da steht sie. Einfach so. Doch ich freue mich nicht. Ich bin im ersten Moment einfach nur verwirrt, weil sie hier aufgetaucht ist; und vor allem wie. Einfach mit Vollgas auf mein Grundstück zu brettern ist alles andere als subtil … Doch dann bin ich zu tiefst beunruhigt. Mias Augen sind rot und panisch, ihre Wangen nass von Tränen und ihr Oberteil ist mit roten Flecken übersät. Sie wirkt überfordert, ängstlich und besorgt. Kein Ton kommt über ihre Lippen, sie starrt Matt und mich einfach nur an und atmet heftig, als hätte sie einen Marathon hinter sich. Und wir starren einfach nur zurück; stehen da wie zwei Idioten und sind irgendwie auch überfordert mit der Situation. „Ich brauche Hilfe“, flüstert sie heiser nach einigen Sekunden und bemüht sich um Beherrschung. Sie macht dennoch den Eindruck, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Zeitgleich laufen mein Bruder und ich los. Es ist völlig egal, was da noch zu klären ist. Völlig egal, dass sie hier einfach so aufgetaucht ist ohne eine richtige Erklärung zu liefern. Wir waren zu lange auf den Straßen unterwegs, zu lange in krumme Dinger verwickelt, als dass wir uns wirklich wundern über Augenblicke wie diese. Es ist wie früher; unsere Gehirne schalten einfach um und wir tuen was getan werden muss. Mia braucht Hilfe und nur das zählt gerade. „Ich … Ich …“, stammelt sie und schlägt die Hände über den Kopf. „Es hört nicht auf zu bluten“, schluchzt sie schließlich und bricht in Tränen aus. „Ich weiß nicht weiter.“ Sie wirkt verloren, klein und zerbrechlich. Die junge Frau, die hier gerade vor uns steht, hat im Augenblick nichts mit der kleinen Raubkatze, oder der neckischen, wortgewandten Fotografin gemein. Da ist nichts Leichtes, nichts Sanftes an ihr. Nur Angst und Überforderung. Matt geht vorsichtig auf sie zu, als hätte er ein verängstigtes kleines Tier vor sich. Er umfasst vorsichtig ihren Arm und dreht sie zu sich. Sein Blick fängt ihren ein und ich sehe genau, wie Mia langsam etwas runterfährt. Ich bewundere meinen Bruder mal wieder für die Ruhe die er ausstrahlt, obwohl es in ihm anders aussehen dürfte. Seine Fähigkeit, seinem Gegenüber Sicherheit zu vermitteln, ohne dafür etwas zu tun, kenne ich. Ich war oft genug das Gegenüber, dass beruhigt oder zur Vernunft gebracht werden musste. Das jetzt von außen zu beobachten hat etwas eigenartiges. „Wo blutest du?“, fragt er sanft und streicht langsam mit den Daumen über ihre Oberarme. Mia sieht ihn verwirrt an. Sie runzelt die Stirn und scheint nicht zu verstehen was er meint. Sie überlegt kurz, dann fällt bei ihr scheinbar der Groschen und ihre Miene hellt sich ein wenig auf. „Nicht ich.“ Sie dreht sich zu ihrem Wagen um und deutet darauf. „Er.“ Ich warte nicht auf eine weitere Erklärung und laufe sofort los, um das Auto herum. Ich öffne die Beifahrertür und der Anblick ist alles andere als angenehm. Da sitzt ein bewusstloser junger Mann, etwa mein Alter. Vermutenderweise ein Russe oder Osteuropäer. Er sieht schlimm aus. Aufgeplatzte Lippe, geschwollene linke Gesichtshälfte. Ihm steht Schweiß auf der Stirn und sein Atem geht schwer. Sein Hemd ist aufgeknöpft und sein Oberkörper entblößt. Hämatome sind deutlich sichtbar und ein Verband an der linken Schulter der durchgeblutet ist. Mia und Matt sind inzwischen hinter mir. Ich höre meinen Bruder fluchen, als er den Beifahrer sieht und ich kann ihn verstehen. Keine Ahnung warum oder was hierzu geführt hat, aber der Kerl sieht nicht gut aus. Da hat jemand ordentlich Frust an ihm abgelassen. Ich spüre, wie meine Bedenken wieder hochkommen, was Mia und ihr Kontakt in die Szene angeht. Ich öffne den Mund und will Matt sagen, dass er verschwinden soll. Das ist inzwischen schon fast ein Reflex, so sehr hat sich dieser Umstand in mein Verhalten eingefressen. Mein Bruder ist meine oberste Priorität, immer. Doch ich komme nicht dazu. Besser so, denn es wäre wahrscheinlich, nein sogar sicher, eh vergebene Liebesmüh gewesen. „Es hört nicht auf zu bluten“, wiederholt die kleine Raubkatze wie in Trance, während ihr Blick sich nicht von ihrem Begleiter abwendet. „Warum hast du ihn nicht ins Krankenhaus gebracht?“, fragt mein Bruder mit einem merkwürdigen Unterton, der zwischen Frust und Unverständnis schwankt. Ja, er ist manchmal etwas schwer von Begriff. Die Antwort liegt doch klar auf der Hand, bzw sitz deutlich auf dem Beifahrersitz. Der junge Mann wurde brutal zusammengeschlagen, und ich habe auch eine starke Vermutung, was unter dem Verband ist und nicht aufhört zu bluten. Deswegen hat sie ihn nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern ist hier. Sie ist hier bei mir und das löst etwas in mir aus … „Wie soll ich dem Krankenhaus seinen Zustand erklären?!“, brüllt Mia völlig aufgelöst und starrt Matt entsetzt und auch ein wenig wütend an. „Von dem Durchschuss in der Schulter ganz zu schweigen!“ Ah, sie hat meinen Verdacht bestätigt. Ich drehe mich um und sehe sie an; meinen Bruder, der betreten zu Boden sieht ignoriere ich erst einmal. „Sicher, dass es ein Durschuss ist?“, hake ich neutral nach. „Ja.“ Sie nickt abwesend. „Ich habe ihn verbunden und die Kugel ist definitiv auf der anderen Seite raus. Aber es hört einfach nicht auf zu bluten.“ Ihre Stimme hat wieder etwas an Kraft gewonnen und ihr Gesicht an Farbe. Der erste Schreck scheint verflogen; was aber nichts heißen muss. „Bring ihn ins Haus“, weise ich Matt an, der bemüht ist Mias Blick auszuweichen. „Ich rufe den Doc an, damit er herkommt“, erkläre ich der kleinen Raubkatze und sehe ihr dabei bewusst tief in die Augen ums sicherzustellen, dass sie mir zu hört. Mein Bruder protestiert nicht. Er nickt und macht sich daran den Unbekannten vorsichtig aus dem Auto zu bugsieren. Der Situation kommt zugute, dass Fremde offensichtlich bewusstlos ist, allerdings ist das gesundheitlich nicht das beste Zeichen. Ich fasse Mia am Handgelenk und ziehe sie mit mir, damit Matt Platz hat. Schnell suche ich den Doc aus meinen Kontakten und rufe ihn an, während ich mit ihr einige Schritte vom Wagen weggehe. Die kleine Raubkatze wehrt sich nicht, lässt sich einfach von mir führen. Schlechtes Zeichen. Ich spüre deutlich wie sie zittert. Je mehr Ruhe jetzt in ihren Körper kommt, umso mehr wird sich der sinkende Adrenalinspiegel bemerkbar machen. Von der großen Sorge, die sie für den Kerl da empfindet ganz zu schweigen. Ich ignoriere sämtliche Emotionen, die der Gedanke in mir auslöst und konzentriere mich auf mein Smartphone. Während ich dem Doc sage, dass er sofort zu mir kommen muss, fällt mein Blick auf den BMW. Das Gezeter des Alten am anderen Ende der Leitung bekomme ich kaum mit. Der hübsche Wagen vor mir, hat eine Delle auf der Haube, die Frontscheibe hat einen Einschlag und ich erkenne Blut. Man muss kein Genie sein, um zu begreifen, dass Mia offensichtlich jemanden umgefahren hat. Was zum Teufel ist passiert? Worin ist sie verwickelt? Wer ist der Russe und warum ist er ihr so wichtig? Ich sehe, wie Matt mit dem Unbekannten im Haus verwindet. Der Doc sagt mir genau in diesem Augenblick, dass er in etwa 20 Minuten da ist und ich mich auf eine saftige Rechnung einstellen kann. Die Tür zu meiner Villa fällt zu und ich beende das Gespräch am Telefon. Ich stecke gerade das Smartphone weg, als passiert, was ich befürchtet hatte. Im letzten Augenblick bekomme ich die kleine Raubkatze noch zufassen bevor sie zusammensackt. Ich lege meine Arme um ihren oberen Rücken und drücke sie an mich um sie zu halten. Ihr Atem ist hektisch und sie beginnt wieder zu schluchzen. Behutsam lege ich meine Wange auf ihren Kopf und bemühe mich, so ruhig wie möglich sein, um ihr Stabilität zu vermitteln; auch wenn ich mich alles andere als stabil fühle. Das ihr der Mann so wichtig ist, kann ich einfach nicht mehr ignorieren. Es trifft mich hart und stechenden in meiner Brust. Der hässliche Gedanke, dass ich diesem Typen vielleicht lieber nicht helfen sollte kommt einen Moment hoch, doch ich schlucke ihn zusammen mit dem andern Gefühl hinunter so gut ich kann. Was ich nicht wegschieben oder ignorieren kann, ist sie. Mia. Hier. In meinen Armen. Ihre Nähe ist, trotz der Umstände unseres Wiedersehens, berauschend. Ich blende alles andere einfach aus um das hier so gut wie möglich zu genießen. Ihr Geruch und ihr warmer Körper; es fühlt sich gut an, sie hier zu haben in meinen Armen. Und etwas Anderes ist noch viel besser: sie ist zu mir gekommen. Die kleine Raubkatze hat an mich gedacht, als sie Hilfe brauchte. Dieser Umstand löst tiefe Genugtuung und auch ein Überlegenheitsempfinden in mir aus, über das ich lieber nicht im Detail nachdenken möchte. Etwas eigenartig Dunkles meldet sich und streckt seine Klauen nach ihr aus. Ich verdränge das und konzentriere mich auf sie. Sie ist an meine Halsbeuge geschmiegt und ich spüre, wie langsam Ruhe in ihren Körper einzieht. Ich streiche mit dem Daumen über ihr Schulterblatt und schließe einen Moment die Augen. Dieser Moment fühlt sich unfassbar innig und irgendwie intim an, obwohl er es nicht sollte. Mias warmer Atem streicht über mein Schlüsselbein, verteilt sich unter meinem Shirt und beschert mir Gänsehaut. „Tut mir leid, dass ich hier so aufgekreuzt bin“, flüstert sie. „Ich wusste nicht wohin ich sonst hätte gehen sollen ...“ „Schon gut. Der Doc kommt gleich und dann wird das schon wieder“, antworte ich ruhig und so überzeugend wie möglich. Dieser Augenblick wird gleich vorbei sein, und ich möchte es einfach noch genießen bevor es so weit ist. Ich drücke sie noch etwas fester an mich, konzentriere mich einzig allein auf sie. Endlich reagiert auch die kleine Raubkatze und legt ihr Arme um meine Taille und erwidert die Umarmung. Sie drückt sich an mich und atmet mehrfach tief durch. Liebend gern würde ich mit ihr hierbleiben, aber das geht nicht. „Wie sollten reingehen und du dich erstmal hinsetzen.“ Ich muss mich dringend sortieren. Etwas mir noch nicht bergreifliches passiert mit mir; und ich habe die Ahnung, dass es nichts wirklich Gutes ist. Mia protestier nicht, nickt stadtessen reserviert und löst unseren Moment. Sie scheint generell ziemlich weit weg. Mental zwar wieder gefangen, sieht man ihr aber deutlich an, dass es in ihrem Kopf wild durcheinander geht. Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und führe sie ins Haus. Wir gehen am Pool entlang und durch die Terrassentür ins Haus, direkt ins Wohnzimmer. Matt hat den Unbekannten auf die Couch gelegt. Der Anblick sorgt dafür das der kleinen Raubkatze sofort wieder die Tränen kommen. Allerdings ohne einen Ton, sie laufen einfach stumm über ihre Wangen. Der Schmerz in ihren blauen Augen bricht mir das Herz; und auch meinem Bruder, der mich fragend und hilflos ansieht. Wir kennen Mia kaum, den Mann gleich gar nicht. Wir wissen beide nicht so recht, was wir sagen sollen. Draußen ertönt erneut Motorenlärm. Ich kenne dieses Geräusch, wie ich den Klang der Hayabusa meines Bruders kenne. Der Lincoln der Doc`s. Ich gehe raus und nehme ihn in Empfang. Die Mimik des Arztes spricht Bände. Die Falten sind tiefer und seine schmalen Augen noch etwas schmaler wie sonst. Wiesel nenne ihn einige. Und er macht seinem Namen oft alle Ehre. Trotz seiner fast 50 Jahre ist er fit; und vor allem ausgefuchst. Wenn man ihm blöd kommt, braucht man nie wieder bei ihm anrufen. Und wenn man Pech hat, verschwindet man einfach von der Bildfläche. Er knurrt mich regelrecht an, erinnert mich an die Grundlagen der Zusammenarbeit mit ihm. Ein Unbekannter bedeutet immer ein gewisses Risiko. Er könnte den falschen davon erzählen und der Doc würde seine Zulassung verlieren. Ja, der Mann ist tatsächlich Arzt; ein richtiger Mediziner. Auch in der Gangsterwelt gibt es ein Klassen System, welches sich deutlich an der medizinischen Versorgung zeigt. Pfuscher, Tierart, realer Arzt; und die Königsklasse: ein Leib-Arzt. Das wird sich am Ende im Preis niedergeschlagen, genau wie die Tatsache, dass er einen ihm Unbekannten behandeln soll. Und ja, das wird teuer werden; sehr teuer. Aber im Moment ist es erstmal egal. Wir betreten das Wohnzimmer und Mia ist immer noch an der Stelle, wo ich sie habe stehen lassen. Ihr Blick ist auf den verletzten Mann gerichtet, geht aber eigentlich ins Leere. Ich deute Matt das er mit ihr nach nebenan soll. Eigentlich würde ich lieber mit ihr gehen, aber ich kann nicht. Ich muss hier beim Doc bleiben, so will das Gesetz. Mein Bruder legt der kleinen Raubkatze den Arm um die Schulter wie ich es vorhin gemacht habe und geht mit ihr Richtung Küche. Der Anblick ärgert mich, gleichzeitig bin ich froh, dass Mia in guten Händen ist. Plötzlich kommt mir wieder meine Sorge in den Sinn, was die Verwicklung Matts in illegale Machenschaften betrifft … Die Tür geht hinter ihnen zu und ich bleibe mit dem Doc, dem unbekannten Verletzten und einem hässlichen Brennen in Magen zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)