See you at the bitter end von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 2: Slow and sad, getting sadder --------------------------------------- „Slow and sad, getting sadder“   Placebo, „The bitter end“     Mit Kummer im Herzen, den er nach außen zu verbergen verstand, hielt Fukuzawa vor Ranpos Wohnungstüre inne. Ranpo würde diese Nachricht mit absoluter Sicherheit nicht gut aufnehmen, egal, wie er sie ihm überbrachte. Er wirkte zwar oft unbekümmert und teilnahmslos, doch Fukuzawa wusste, dass, wenn es um Yosano ging, Ranpo alles andere als teilnahmslos reagieren würde. Die Ärztin bedeutete ihm viel und jeder in der Detektei – Yosano eingeschlossen – wusste dies, auch wenn der mitunter sehr kindische Meisterdetektiv es im Prinzip so selten zeigte, dass Außenstehende vermutlich wirklich eine Fähigkeit wie die „Ultra Deduktion“ benötigten, um es zu bemerken. Nein. Ranpo würde diese Nachricht nicht gut aufnehmen und genau deswegen war Fukuzawa persönlich hergekommen. Niemand außer ihm sollte und konnte Ranpo eine Nachricht wie diese überbringen. Äußerst behutsam klopfte er gegen die Tür. Es war noch mitten in der Nacht und der Überfall auf Yosano erst wenige Stunden her. Die Polizei hatte sich bei ihm gemeldet, da sie die Ärztin schnell als eine der bewaffneten Detektive identifiziert hatten. Da sich in der Wohnung nichts tat, klopfte Fukuzawa erneut und dieses Mal dauerte es nicht lange, bis Geräusche aus dem Inneren nach außen drangen. „Wer stört?“, fragte Ranpo in seiner typisch genervten Tonlage. „Ranpo“, sagte Fukuzawa ruhig und bestimmt, bevor mit einem Mal die Tür aufgerissen wurde und der Jüngere ihn geradezu erschrocken anstarrte. „Was ist passiert?!“ Natürlich kam er direkt darauf, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste, wenn der Chef mitten in der Nacht bei ihm auftauchte. „Yosano ist angegriffen worden.“ Sofort weiteten Ranpos Augen sich noch ein Stück mehr und seine Lippen begannen zu zittern. „Sie lebt, aber momentan befindet sie sich im Koma“, fügte Fukuzawa eilig hinzu, um dem Detektiv die wachsende Panik wieder etwas zu nehmen. „Sie müssen mir sofort alles sagen, was Sie darüber wissen!“ Für Außenstehende hätte dieser Ausruf wahrscheinlich unhöflich und deplatziert gewirkt, doch der Chef hörte das Flehen des Jüngeren heraus. Informationen zu verarbeiten war Ranpos Art, alles zu verarbeiten. „Ich werde dir alles auf dem Weg ins Krankenhaus erzählen.“   Fukuzawa spürte das Leid, das sich in Ranpo ausbreitete, als er Yosano – bewusstlos, leichenblass und an ein Beatmungsgerät angeschlossen – in ihrem Krankenbett erblickte. Bedächtig trat Ranpo an sie heran und griff behutsam nach ihrer Hand. „Mit was für einem Gift hat man sie vergiftet?“, fragte er, seinen Blick nicht von seiner Kollegin nehmend. „Das konnten die Ärzte bisher nicht feststellen. Genauso wenig, wie es in ihren Körper gelangt ist.“ „Der Täter muss über Yosanos Fähigkeit Bescheid gewusst haben, daher hat er sie mit Gift angegriffen.“ „Dann denkst du, es war ein gezieltes Attentat auf Yosano?“, hakte Fukuzawa nach und Ranpo nickte, ehe er ihre Hand wieder losließ und sich zum Chef umdrehte. „Ein Anschlag auf offener Straße, wo viel Publikumsverkehr herrscht“, fasste der Meisterdetektiv zusammen, „und trotzdem niemand etwas bemerkt, außer dass Yosano plötzlich zusammenklappt. Die Polizei findet somit nicht einmal einen brauchbaren Zeugen. Wer auch immer ...“, Ranpos Stimme bebte leicht und klang ungewohnt bitter, „ … dies getan hat, hat genau gewusst, wann, wie und wo er sie abpassen musste. Das heißt, er hat sie beobachtet. Aber obwohl ich an diesem Abend zuvor noch bei ihr war, ist mir nichts und niemand aufgefallen.“ Die Bitterkeit verstärkte sich, was Fukuzawa sogleich mit fester Stimme unterband. „Es ist nicht deine Schuld.“ Ein kurzes Schweigen legte sich über sie. „Ich muss mir den Tatort ansehen.“ Die Bitterkeit wich Entschlossenheit. „Ich werde herausfinden, wer ihr dies angetan hat.“ Beruhigt, dass Ranpo unbeirrt bliebt und nicht an der Nachricht zerbrochen war, nickte Fukuzawa. „Ich werde Kenji herschicken, um auf Yosano aufzupassen, falls der Täter bemerkt, dass sie den Angriff überlebt hat. Du und die anderen werdet den Tatort untersuchen. Haruno, Naomi und ich werden Yosanos alte Fälle überprüfen.“   „Nicht zu fassen, dass Yosano hier einfach angegriffen wurde.“ Atsushi blickte bekümmert von dem Bürgersteig, an dem Yosano gefunden worden war, in die Menschenmengen, die sich in diesen Morgenstunden um sie herum bewegten. „Ist es denn möglich, jemandem unauffällig Gift zu verabreichen?“ Er zuckte zusammen, als Kyoka ihn plötzlich mit einem Finger in den Arm stach. „Theoretisch kann man jemandem schnell Gift injizieren, aber bei Yosano wurde keine Einstichstelle am Körper gefunden“, erklärte sie dazu, ohne eine Miene zu verziehen. Manchmal war es schon noch seltsam, das junge Mädchen so ungerührt von Attentaten sprechen zu hören, aber weitestgehend hatte Atsushi sich bereits daran gewöhnt. So seltsam das auch wiederum klang. „Wir sollten anfangen, Passanten zu fragen, ob sie gestern Abend hier waren“, fügte Kyoka pragmatisch hinzu und beide jungen Detektive begaben sich umgehend an die Arbeit, Zeugen zu suchen. Tanizaki und Kunikida waren in dem näheren Umfeld bereits dabei, während Ranpo und Dazai getrennt voneinander die Umgebung begutachteten. Ersterer blieb während der langen Grünphase der Ampel auf der Straße stehen und blickte von dort zum Tatort zurück. Ein Angriff auf Yosano. Aus dem scheinbaren Nichts. Bisher hatte sich niemand aus dem Büro gemeldet, ob es einen möglichen Zusammenhang zu einem abgeschlossenen Fall gab; ob es hier um persönliche Rache ging. War es wirklich ein Angriff auf Yosano gewesen? Ja, natürlich und zugleich – nein, natürlich nicht. Die Menschenmassen lichteten sich auf der Straßenkreuzung, als die Grünphase der Ampel sich dem Ende zuneigte und Ranpo verstand, was hinter dem Anschlag auf Yosano steckte. Ein plötzlicher, stechender, brennender und höllischer Schmerz in seinem Oberkörper lenkte mit einem Mal die volle Aufmerksamkeit des Meisterdetektivs auf sich. Ranpo sah an sich hinunter und bemerkte das Blut, das rasch aus der Wunde an seiner Brust austrat. Ein Schuss. Jemand hatte hinterrücks auf ihn geschossen. Und getroffen. Ein Scharfschütze mit einem Schalldämpfer wahrscheinlich. Von dem Hochhaus, das sich hinter ihm befand? Dann hatte er wirklich Recht mit seiner Theorie, doch …. Sämtliche Luft entwich aus seinen Lungen, als er vornüber fiel. Er hörte, wie Atsushi verzweifelt seinen Namen schrie. Jemand fing ihn auf, bevor er auf dem Boden aufprallte. Kunikida. Kunikida hatte ihn aufgefangen. Ranpo versuchte, etwas zu sagen, ihnen mitzuteilen, was er herausgefunden hatte, doch kein Wort kam über seine Lippen. Blut sammelte sich in seinem Mund, als alles vor seinen Augen verschwamm und die Schmerzen beinahe unerträglich wurden. Angeschossen zu werden war definitiv nichts für ihn. Auf diese Erfahrung hätte er sehr gerne verzichten können. Er hörte, wie Kunikida Tanizaki zubrüllte, einen Rettungswagen zu verständigen. Aber seine Kollegen klangen immer weiter und weiter entfernt. Schwach und in großer Ferne konnte er wahrnehmen, wie Dazai Atsushi und Kyoka zurief, ihm zu folgen. Kunikida tätschelte mit mehr und mehr Nachdruck Ranpos Wangen und sagte immer und immer wieder etwas zu ihm. Wahrscheinlich, dass er bei Bewusstsein bleiben sollte. Ja, was glaubte der denn, was er hier versuchte? Wollte Kunikida seine Intelligenz beleidigen? Darauf, dass er jetzt auf keinen Fall ohnmächtig werden durfte, war er jawohl längst selbst gekommen. So etwas Nerviges, dachte Ranpo, während seine Augen gegen seinen Willen langsam zufielen. Er hatte ihnen nicht einmal seine Schlussfolgerung mitgeteilt. Und nun? Musste er diesen Fall jetzt tatsächlich abgeben? Würden sie das ohne ihn überhaupt schaffen? Ohne ihn lief der Laden doch nicht und ihre Gegner schienen stark und gut vorbereitet zu sein. Wie es aussah, überlegte er, bevor er das Bewusstsein verlor, mussten sie nun einmal ohne ihn auskommen. Hoffentlich ging das gut.   Zum zweiten Mal an diesem Tag fand sich Fukuzawa im Krankenhaus wieder. Sobald Ranpo aus dem OP kam, hatte eine der Krankenschwestern ihm versprochen, würde ihn jemand über den Zustand des Angeschossenen in Kenntnis setzen. Solange warteten er, Kunikida, Tanizaki, Kenji und eine bleischwere, betretende Stille an Seite der nach wie vor bewusstlosen Yosano. Die Tür ging auf und alle Blicke schnellten zum Eingang. „Gibt es schon etwas Neues von Ranpo?“ Atsushi trat, gefolgt von Kyoka und Dazai, ein. „Nein.“ Fukuzawa atmete lang und schwer aus. „Bisher nicht. Habt ihr etwas herausfinden können?“ Atsushi senkte betrübt seinen Kopf. „Wir sind zwar direkt in die Richtung gelaufen, aus der Dazai den Schuss vermutete, doch … wir konnten niemand Verdächtigen mehr finden.“ „Der Täter hat sich die Panik, die nach dem Schuss entstanden war, zu Nutzen gemacht und ist so wahrscheinlich unauffällig in der Menschenmenge untergetaucht“, fügte Kyoka hinzu. „Verstehe.“ Fukuzawa hoffte instinktiv, dass sie die Enttäuschung in seiner Stimme nicht falsch verstanden. Außerdem war er der Letzte, der die Hoffnung verlieren durfte. Er war schließlich für sie alle verantwortlich. „Chef“, warf Dazai ernst ein, „wir können jetzt wohl gesichert davon ausgehen, dass es sich hier um ein taktisches Vorgehen gegen die Detektei handelt.“ Die anderen Detektive blickten perplex zu ihrem Kollegen auf. „Ein taktisches Vorgehen?“, hakte Tanizaki nach. „Was soll das heißen?“ „Wer auch immer uns ans Leder will, hat sich gut darauf vorbereitet und versucht, uns gezielt auszulöschen“, antwortete Dazai. „Wie kommst du darauf?“, fragte Atsushi. „Einfach. Was wäre, wenn nicht Yosano zuerst angegriffen worden wäre, sondern Ranpo?“ „Yosano hätte ihn mit ihrer Fähigkeit geheil- ah!“ Bei Atsushi fiel der Groschen. „Genau. Und Ranpo war als Nächstes an der Reihe, weil er sonst den Fall rasch gelöst hätte.“ „Du meinst“, schlussfolgerte Kunikida nach diesen Worten seines Kollegen und sah dabei mehr als unzufrieden aus, „dass es sich um einen Anschlag auf die ganze Detektei handelt?“ „So ist es.“ Dazai legte nachdenklich eine Hand an sein Kinn. „Die Frage ist somit nicht, ob es noch weitere Angriffe geben wird, sondern auf wen von uns sie es als nächstes abgesehen haben.“ „Aber wer hat es denn überhaupt auf uns abgesehen?“ Kenji blickte fragend in die Runde. „Und wieso?“ „Die Hafen-Mafia vielleicht?“, mutmaßte Atsushi. „Das halte ich für unwahrscheinlich“, entgegnete Fukuzawa. „Es gibt momentan keinen Grund für sie, unser Abkommen zu brechen.“ „Außerdem wäre das nicht Moris Art“, führte Dazai aus. „Die Hafen-Mafia schickt doch mit größter Vorliebe die Schwarze Echse vor.“ Kunikida ächzte missmutig. „Die Detektei hat mehr als genug weitere Feinde. Da tappen wir also im Dunkeln.“ „Ranpo sagte bereits, dass der Täter uns beobachtet haben muss“, erklärte Fukuzawa. „Ist irgendeinem von euch in letzter Zeit etwas aufgefallen? Irgendeine Kleinigkeit, die darauf hinweisen könnte, dass jemand Informationen über uns zu sammeln versucht hat? Etwas, das so unauffällig geschehen ist, dass keiner von uns es bemerken konnte?“ Alle Anwesenden gingen für einen Moment in sich, um über die Worte des Chefs nachzudenken, doch alle kamen zu dem gleichen Ergebnis: Es war niemandem etwas aufgefallen. Nur Atsushi wurde mit einem Mal sehr blass und wirkte stark in Gedanken versunken. Hatten sie etwa mit den Angriffen zu tun? Nein, das konnte nicht sein…. Oder doch? „Atsushi“, wandte sich Dazai an ihn, als er das nachdenkliche Gesicht des Jüngeren bemerkte, „ist dir etwas eingefallen?“ Die versammelten Detektive sahen angespannt zu dem silberhaarigen Jungen. „Ich … ich weiß nicht“, antwortete er verunsichert. „Jede Kleinigkeit kann uns im Moment helfen“, bestärkte Fukuzawa ihn. „Am Abend … an dem Yosano angegriffen wurde“, begann Atsushi daraufhin zu erzählen, „haben mich zwei Iren in der Nähe des Büros abgefangen und mich nach der Detektei gefragt.“ Ein aufgeschrecktes Raunen ging durch den Raum. „Und das sagst du uns erst jetzt?!“, wetterte Kunikida los, doch Dazai unterband das Grollen seines Partners sofort. „Was haben sie dich gefragt?“ „Ei-eigentlich nicht viel. Sie wollten wissen, wie es ist für die Detektei zu arbeiten, ob ich mich gut mit meinen Kollegen verstehen würde und ob keiner von ihnen rücksichtslos vorgehen würde.“ „Und das war alles, was sie wissen wollten?“ Wie die anderen war Kunikida von dieser Antwort äußerst irritiert. „Das sind keine Informationen, die man für ein Attentat verwenden kann“, warf Kyoka ein. „Trotzdem“, sagte Dazai an Atsushi gerichtet, „hattest du das Gefühl, dass du uns das jetzt sagen solltest, nicht wahr?“ Der Junge nickte zögerlich. „Ja. Ich weiß auch nicht warum, aber … als ich mit den beiden Männern sprach, hatte ich das Gefühl, dass sie eigentlich etwas Anderes hatten fragen wollen, es aber nicht getan haben.“ „Hatte die Detektei denn je schon mal mit Leuten aus Irland zu tun?“, fragte Kenji nach und Fukuzawa verneinte seine Frage sogleich mit einem angedeuteten Kopfschütteln. „Ist einer von euch schon mal in Irland gewesen?“, wollte Tanizaki wissen und erneut gab es eine einheitliche Absage. „Vielleicht sollten wir die alten Akten nach allgemeinen Verbindungen zu Europa durchgehen“, schlug Kunikida vor. „Atsushi und Kyoka“, sagte der Chef nach kurzer Überlegung und mit entschlossenem Tonfall, „ihr geht sofort ins Büro und helft Haruno und Naomi beim Durchsehen der Akten. Kunikida und Dazai, Tanizaki und Kenji, ihr kehrt zu der Straßenkreuzung zurück, an der Yosano und Ranpo angegriffen worden sind. Es muss irgendwo ein Hinweis zu finden sein. Ich bleibe bei den beiden anderen im Krankenhaus. Ab sofort unternimmt keiner von euch mehr etwas alleine. Ihr bleibt unter allen Umständen zu zweit zusammen. Habt ihr das verstanden?“ Unisono schallte ein „Verstanden“ durch den Raum, ehe alle Detektive sich hastig aufmachten und ihren Chef mit der wieder eingekehrten bleischweren Stille im Zimmer zurückließen. Sie mussten diesen Fall schnell lösen, dachte Fukuzawa und versuchte, die Verbitterung über sein bisheriges Versagen in seinem Inneren zurückzudrängen. Es durften nicht noch mehr seiner Leute zu Schaden kommen. Unter keinen Umständen durfte dies geschehen. Denn nichts war wertvoller als das Leben seiner Leute und sie und diese Stadt zu beschützen, war etwas dem Fukuzawa sein Leben verschrieben hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)