Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht von MariLuna ================================================================================ Kapitel 15: Vergangenheit – 1. Januarwoche - 06. Januar – Nur Dummköpfe spielen mit scharfen Messern und glauben, sie schneiden sich nicht ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Das erste, was ihn begrüßt, als er wieder zu sich kommt, sind Kopfschmerzen. Furchtbare, hämmernde Kopfschmerzen. Dann bemerkt er, wie pelzig sich seine Zunge anfühlt und schmeckt etwas, was ihm vage bekannt vorkommt. Leise aufstöhnend drängt er eine Welle der Übelkeit zurück. Das kennt er irgend woher, nicht wahr? Es dauert eine Weile, bis es ihm wieder einfällt. Das hat der Zahnarzt seiner Familie immer benutzt. Chloroform. Aber warum... er hatte doch gar keinen Arzttermin? Das Letzte, woran er sich erinnern kann, ist, dass er aus dem Urlaub zurückkam – hm, ja, an die beiden Schnecken, die er in der Winterresidenz seiner Familie vernascht hat, kann er sich sehr gut erinnern. Sie waren weit abgelegen und ganz allein und niemand hörte ihre Schreie. Ja, das war ein Urlaub nach seinem Geschmack. Und auf dem Weg hierher war noch diese kleine Anhalterin, bestimmt noch minderjährig, aber das hat auch seinen Reiz... Er warf sie irgendwo in den Wäldern vor Edo aus dem Wagen. Er parkte sein Auto in seiner privaten Tiefgarage und dann... uh. Oh, ja, da war jemand. Aber an das Gesicht kann er sich nicht erinnern, nur an dieses glänzende, blonde Haar. Mühsam öffnet er die Augen und stellt folgendes fest: erstens, seine Hände sind hinter seinem Rücken gefesselt und wie es sich anfühlt, wurde er mit seinen eigenen Plüsch-Handschellen bewegungsunfähig gemacht - die, die er vorzugsweise bei seinen Sexabenteuern nutzt, weil sie fest und sicher sind, aber keine verräterischen Abdrücke an den Handgelenken hinterlassen und zweitens, er kniet auf den Fliesen seiner Küche. Und drittens – die Spitze seines eigenen, am Griff mit Jade besetzten, Wakazashis zielt auf seine Bauchregion. Er blinzelt ein paar Mal, durch die Kopfschmerzen fällt es ihm schwer, das alles irgendwie zu begreifen. In Ermangelung anderer Alternativen lässt er seinen Blick an der scharfen Klinge entlangwandern. Er sieht eine Hand, ein schmales Handgelenk mit einem Silberkettchen und einen eleganten Unterarm, der in einem scharlachrotem Kimonoärmel verschwindet. Er blinzelt noch einmal und allmählich kann sein Gehirn mit den Bildern, die ihm seine schmerzenden Augen melden, etwas anfangen. Vor ihm sitzt eine blonde Frau in einem schwarzem Kimono mit scharlachroten Ärmeln und unbarmherzigen, hellbraunen Augen in einem eher langweiligen Gesicht. Irgendwie kommt sie ihm vage bekannt vor. „Was soll das?“ verlangt er zu wissen. Es soll herrisch klingen, aber sein Körper kämpft noch mit den Nachwirkungen der Betäubung, daher wirkt es eher wie ein rauhes Flüstern. „Laß mich frei. Du weißt wohl nicht, wer ich bin? Ich bin Okubo Yoshio. Meine Familie ist reich und mächtig. Wenn du mich nicht freilässt, werden sie dich jagen und an die Amanto verfüttern. Du bist jung und fruchtbar, du wirst eine gute Sexsklavin abgeben.“ Sie lächelt nur und drückt die Schwertspitze etwas nachhaltiger gegen seinen Bauch. Er spürt den Schmerz und starrt unwillkürlich wieder nach unten. Und jetzt fällt es ihm auf: er trägt einen weißen Kimono. Das Oberteil ist nicht gegürtet und entblößt sein mühsam antrainiertes Sixpack. Das ist … er schluckt einmal schwer … die traditionelle Seppuku-Kleidung. Sie räuspert sich einmal, womit sie wieder seine volle Aufmerksamkeit hat, hält mit ihrer freien Hand ein Stück Papier hoch und beginnt dann zu lesen: „Ich, Oboro Yoshio, gestehe hiermit die Morde an meinen Kameraden und Mittätern Tanaka, Nakamura, Suzuki, Fujiwara und Murata. Ich tat dies, weil ich ihre schrecklichen Verbrechen nicht mehr ertragen konnte. Wir sechs gehören zu einer Gruppe, deren Ziel es ist, Frauen zu quälen und gemeinsam zu vergewaltigen und das alles zu filmen. Diese Videos teilen wir dann mit Gleichgesinnten und wir versuchen stets, uns in unseren Grausamkeiten zu übertrumpfen. Wir sind reich und von Adel und niemand wird es je wagen, uns anzuzeigen oder zu verurteilen. Aber ich halte das nicht mehr aus, mein Gewissen lässt mir keine Ruhe mehr. Deshalb tötete ich sie und mich. Mögen die armen Frauen, denen wir soviel Leid angetan, durch unseren Tod wenigstens etwas Frieden finden.“ Bedächtig legt sie das Blatt neben sich. „Klingt überzeugend, was meinst du?“ Er starrt sie entgeistert an. „Was soll das? Was … mach mich los, du Hure!“ Rot und heiß wallt die Wut in ihm empor, spült jegliches Unwohlsein und sogar seine Kopfschmerzen davon, während er sich hoch zu stemmen versucht. Wütend zerrt er an seinen Fesseln. Wenn er nur die Hände frei hätte, dann würde er ihr schon zeigen, was es heißt, sich mit einem Oboro anzulegen! Ein plötzlicher, brennender Schmerz lässt ihn mitten in der Bewegung erstarren. Wieder starrt er nach unten und japst unwillkürlich auf. Sie hat das Kurzschwert nicht weggezogen, als er sich bewegte und nun hat die Klinge eine tiefe, blutende Furche in seiner Bauchdecke hinterlassen. „Ups“, meint sie leichthin, „wie ungeschickt von dir. Das wird aussehen, als hättest du gezögert. Sitz still oder willst du deiner reichen, mächtigen Familie wirklich auch noch diese Schande bereiten?“ „Du... was willst du?“ Seine Gedanken rasen. Er will nicht sterben. „Geld? Ich habe viel davon. Du kannst alles haben. Du kannst es haben. Du kannst alles haben. Laß mich nur frei.“ Sie verzieht keine Miene und starrt ihn nur an und da ist etwas in ihren Augen, das ihm eine Riesenangst einjagt. Er kann nicht glauben, dass ihm das passiert. Warum ausgerechnet er? „Es war doch nicht meine Idee! Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn alle Druck auf dich ausüben, wenn du mitmachen musst, weil du sonst ausgestoßen wirst? Ich habe doch nichts Unrechtes getan.“ Nichts in ihrer Miene oder ihrem Blick ändert sich und seine beginnende Panik schlägt plötzlich wieder in Rage um. „Sie wollten es alle so! Die Mädchen, sie betteln doch darum! Sie sind selbst schuld, diese Huren! Warum lächeln sie uns an, wenn sie es nicht auch wollen? Es macht ihnen doch Spaß! Sie spielen die Unnahbaren und in Wirklichkeit sind sie verdorbene Huren. Betteln nach unseren Schwänzen, können gar nicht genug davon kriegen-“ Er stockt mitten im Satz und zieht erschrocken die Luft ein. Und kurz darauf wird daraus ein schmerzerfülltes Winseln. „Ich kann mich nicht daran erinnern, darum gebettelt zu haben“, meint sie völlig ruhig, drückt die Klinge tiefer in seinen Bauch und zieht sie dann mit einem kräftigen Ruck nach oben. Mit entsetzt weitaufgerissenen Augen starrt er sie an. Ihm dämmert nur sehr, sehr langsam, was sie eben getan hat. Dumpf beobachtet er, wie sie sich elegant erhebt und hinter ihn tritt. Sie macht irgend etwas mit seinen Händen, aber sein Verstand, noch immer durch das Chloroform auf Sparflamme und jetzt durch den Schock gänzlich gelähmt, registriert kaum, wie sie die Handschellen löst. Langsam, wie in Zeitlupe, kippt er zur Seite, während seine nun befreiten Hände instinktiv das Wakazashi in seinem Bauch umklammern. Das Letzte, was er sieht, bevor seine Welt in ewiger Dunkelheit versinkt, ist dieses kleine, zufriedene Lächeln in diesem Gesicht, das ihm immer noch vage bekannt vorkommt. Kommandant Sasaki tobt. Innerlich. So gerne er jetzt jemanden anschreien würde, er kann es nicht, denn Matsudaira steht neben ihm und der Polizeichef hat ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass es seine eigene Schuld ist, wenn er jetzt noch einen Offizier verloren hat, weil er sich weigerte, mit der Shinsengumi vollumfänglich zu kooperieren. Sie hatten nach Oboro gefragt, doch Sasaki hatte darauf bestanden, ihn selbst zu verhören und ihnen verboten, sich bis dahin einzumischen. Morgen. Morgen wollte er damit beginnen. Er wollte Oboro nicht sofort nach seinem Urlaub damit belästigen. Missmutig verschränkt Sasaki die Arme vor der Brust und sieht der Handvoll Männer von der Shinsengumi dabei zu, wie diese den Tatort untersuchen. Sie gehen dabei sehr professionell vor, doch Sasaki würde sich lieber die Zunge abbeißen, als das zuzugeben. „Tja, nun...“, meint Kondō gerade bedächtig und gibt die Klarsichthülle mit dem Aufdruck „Beweismittel“, in der der Abschiedsbrief steckt, wieder zurück an Yamazaki und der reicht es dann an den Polizeichef weiter. „...damit wäre der Fall wohl abgeschlossen.“ „Gut“, nickt Matsudaira, betrachtet versonnen das Stück Papier und pafft dabei an seinem Zigarillo. Sasaki zieht eine verkniffene Miene und gibt ein leises Brummen von sich. Es gefällt ihm nicht, wie sich die Dinge entwickelt haben. Missmutig lässt er seine Blicke über die Leiche wandern, die in ihrer eigenen Küche in einer riesigen Blutlache liegt. Kurz ziehen sich seine Augenbrauen zusammen, als er genauer darüber nachdenkt. Oboro und Seppuku? Das passt nicht. Aber, innerlich aufseufzend starrt er auf den Abschiedsbrief in Matsudairas Händen, auf diese Art bleibt der Mimawarigumi viel Schande erspart. Diese Sache mit den Videos ist schon Katastrophe genug und ihn schaudert vor dem Gedanken, was Matsudairas hastig zusammengestellte Sonderkommission noch alles dazu herausfinden wird, aber … mit Oboros Tod und Geständnis ist zumindest der Teil, der die Mimawarigumi betrifft, abgeschlossen. Und da es ihnen bisher sogar gelungen ist, die Medien aus dieser Sache herauszuhalten, gibt es eine gute Chance, dass der Ruf der Mimawarigumi nur innerhalb der eigenen Reihen ein klein wenig angekratzt wird. Nach einem Monat wird Gras über die ganze Sache gewachsen sein. Ohne ein Wort des Grußes wendet er sich von der Szene ab und geht denselben Weg zurück, den er gekommen ist: durch den prunkvollen Gang und die protzige Eingangshalle hinaus und die marmorne Treppe hinunter auf den Parkplatz, wo nicht nur Matsudairas dunkler Dienstwagen, ein Funkwagen der Shinsengumi und einer von der Mimawarigumi stehen, sondern wo auch Nobume auf ihn wartet. Vielsagend hält sie ihm die Wagentür auf und nimmt dann selbst hinter dem Steuer Platz. Sie sagt nichts, bis sie den Motor gestartet hat, doch als sie den Wagen aus der Privateinfahrt auf die Straße gelenkt hat, kann sie sich nicht mehr zurückhalten. „Sasaki-san... dass du ihn selber verhören wolltest, leuchtet mir ein, aber warum hast du mir nicht befohlen, Oboros Überwachung bis dahin zu übernehmen?“ Er wußte schon immer, dass sie zu klug für ihr eigenes Wohl ist. „Zweifelst du etwa an meinen Entscheidungen?“ verlangt er daher scharf zu wissen. „Das käme mir nie in den Sinn“, erwidert sie glatt. „Aber mir drängt sich der Verdacht auf, dass du hofftest, der Mörder käme dir zuvor.“ Er zieht es vor zu schweigen und sich stattdessen angelegentlich mit seinem Smartphone zu beschäftigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)