Doppelleben von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Doppelleben ---------------------- Was hat sie bloß getan? Claras eigenes Spiegelbild starrt ihr lediglich ratlos entgegen, während sie ihre Ohrringe ablegt und sich anschließend geistesabwesend mit der Bürste durch ihre Haare fährt. Warum hat sie dem Doctor gegenüber plötzlich Danny als Schuldigen vorgeschoben? Erst hat sie fälschlicherweise behauptet, dass es ursprünglich die Idee ihres Freundes war, dass sie und der Time Lord mit ihren gemeinsamen Abenteuern aufhören sollen und dann auch noch, dass Danny auf einmal einen überraschenden Meinungsumschwung hatte und sich nun doch nicht mehr daran stört, dass seine Freundin mit einem Außerirdischen in dessen TARDIS quer durch Raum und Zeit fliegt. Und warum hat sie Danny wiederum kurz zuvor bestätigt, dass es erledigt sei und dass der Doctor und sie zukünftig nicht mehr gemeinsam reisen werden? Seltsam hilflos lässt Clara ihre Haarbürste sinken. Was hat sie sich dabei bloß gedacht? Die Antwort ist natürlich, dass sie gar nicht nachgedacht hat, sondern dass die vielen Lügen praktisch wie von selbst aus ihrem Mund herausgeschlüft sind. Und anstatt das Ganze umgehend wieder gerade zu biegen, hat sie einfach nichts getan - was es ihr jetzt nahezu unmöglich macht, alles wieder richtig zu stellen. Clara reibt sich über ihre mit einem Mal fröstelnden Unterarme. Sie weiß, dass das entsetzlich falsch ist, besonders Danny gegenüber, der ihr bisher immer so viel Verständnis und Wärme entgegen gebracht hat, aber was soll sie ihm stattdessen sagen?   Sie hat sich in den letzten Wochen wieder und wieder über den Doctor aufgeregt, Danny gegenüber mehrfach betont, dass sie ihm den Vorfall auf dem Mond nie verzeihen kann und ein für alle Mal einen Schlussstrich ziehen wird und jetzt? Jetzt hat sie alles zurückgenommen, weil sie diesen Teil ihres Lebens einfach nicht aufgeben will. Sie hat es versucht, aber es hat sich falsch angefühlt, den Doctor zu verlassen und zurück in ihr normales Leben zu gehen. Wie soll sie das Danny erklären, wenn sie selbst nicht genau versteht, was jetzt anders ist, als noch vor einigen Tagen und Wochen? Es gibt keine logische Erklärung für ihren Sinneswandel, der es ihrem Freund ermöglichen würde, ihre plötzliche 180-Grad-Wende zu verstehen. Natürlich hat sie mittlerweile das Gefühl, dass sie den Doctor viel besser als zuvor versteht und nachvollziehen kann, warum er so handelt, wie er es tut. Sie weiß auch, dass ihm schwierige Entscheidungen nicht so leicht fallen, wie es oftmals den Anschein hat und dass er ganz bestimmt nicht so herzlos und abgebrüht ist, wie er im ersten Moment dank seiner ruppigen und kurz angebundenen Art wirkt. Aber Danny kennt den Doctor nicht so wie sie es tut und Clara ist sich ziemlich sicher, dass er ihren Erklärungsversuchen bloß mit Unverständnis begegnen würde. Im Endeffekt würde er vermutlich einfach nur heraushören, dass sie weiter mit dem Doctor reisen will und ihn über ihr eigenes Wohlergehen stellt - etwas, dass ihm auf Grund seiner eigenen Erfahrungen in der Armee zuwider sein dürfte.   Die Wahrheit ist außerdem, dass sie die große Sorge hat, dass diese Lüge, die sie ihrem Freund heute aufgetischt hat, der finale Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringen wird. Dass Danny endgültig genug von ihren ganzen Halbwahrheiten, Lügen und Meinungsumschwüngen haben wird und sie verlässt, wenn sie ihm eröffnet, dass sie ihn schon wieder belogen hat und doch weiter mit dem Doctor reisen wird. Das Einzige, was er von ihr verlangt hat, als er die Wahrheit über ihr Doppelleben erfahren hat, war Ehrlichkeit und die kann sie ihm offenbar nicht geben. Nun... genau genommen wollte er von ihr das Versprechen, dass sie ihm sagt, wenn der Doctor ihr zu viel zumutet, schießt es ihr durch den Kopf und im nächsten Moment ist Clara von sich selbst angewidert. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass sie gegenüber dem Menschen, mit dem sie eine Beziehung führt, ehrlich ist und nicht nach fadenscheinigen Ausreden sucht, die es ihr erlauben, guten Gewissens das genaue Gegenteil zu tun. Seit wann ist es ihr so in Fleisch und Blut übergangen, die Menschen, die sie liebt, zu belügen? Welche Beziehung kann so funktionieren? Entnervt wendet sich Clara von ihrem Spiegelbild ab. Sie kann ihren eigenen Anblick im Moment nicht mehr ertragen und versucht gleichzeitig, ihr mulmiges Gefühl im Magen zu ignorieren. Wie lange wird sie vor Danny wohl verheimlichen können, dass sie wieder ein Doppelleben führt? Was wird sie tun, wenn er es doch erfährt? Und warum zum Teufel kann sie nicht den Mut aufbringen, ihm alles zu gestehen, wo sie doch ganz genau ahnt, was sie erwartet, wenn ihr Freund von selbst hinter ihr neustes Geheimnis kommt? Nachdenklich beginnt Clara mit einer ihrer braunen Haarsträhne zu spielen, während ihr Herz schneller als üblich zu pochen scheint. Vielleicht ist sie wirklich süchtig. Süchtig nach dem Adrenalinkick. Süchtig nach dem nächsten Abenteuer. Süchtig nach... dem Doctor? Der Gedanke lässt sie kurz stutzen, ehe sie ihn hastig beiseite schiebt. Nein, sicher nicht. Er ist nur der Mann, der ihr diese ungeahnten Möglichkeiten eröffnet. Wie könnte sie süchtig nach einer einzigen Person sein?   Seufzend steht Clara auf, um das Chaos auf ihrem Schminktischen zu beseitigen. Nicht nur das Tischchen vor ihr ist in heilloser Unordnung, auch ihr Gefühlsleben ist völlig außer Kontrolle geraten. Es ist einfach schrecklich kompliziert. Der heutige Tag hat ihr bloß bewiesen, dass sie nicht dazu bereit ist, die Abenteuer mit dem Doctor aufzugeben. Bei dem Gedanken daran, dass sie nie wieder einen Blick in die Zukunft und in fremde Welten werfen wird, ist sie ganz wehmütig geworden. So traurig und melancholisch, dass selbst der Time Lord es bemerkt hat und das will bei seinem Unverständnis für menschliche Emotionen schon etwas heißen. Sie hat ihn für den Vorfall auf dem Mond verabscheut, war am Boden zerstört, wie er ihr so etwas antun konnte, er, ihr bester Freund, und dennoch bringt sie es nicht fertig, einen Schlussstrich zu ziehen. Clara hat das dumpfe Gefühl, dass sie ihm alles irgendwann verzeihen kann. Er ist der Mann, der Tag für Tag die unmöglichen Entscheidungen trifft und sie ist das unmögliche Mädchen. Sein unmögliches Mädchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)