Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 2: Notwendigkeiten -------------------------- „Ich war bestimmt, Pirat zu sein. Leinen los, ins Meer hinein.“ Der melodische Gesang erreichte kaum die eigenen Ohren der Interpretin, da wurde er bereits vom Rauschen der Wellen und vom Pfeifen des Windes übertönt. Kiara hing ungefähr fünf Meter hoch in der Luft in einem Bootsmannstuhl, bewaffnet mit einem Lappen und einem Eimer voller Teer. Ihre heutige Aufgabe war es den Mast mit einer großzügigen Schicht zu behandeln, damit dieser noch für lange Zeit den rauen, salzigen Seewinden strotzte und der Witterungen Stand hielt. „Den ganzen Mast? Alleine?“, hatte Kiara perplex nachgefragt. „Natürlich nicht“, entgegnete einer der Piraten abwinkend. „Ick halt dat Seil und dassde ooch wieda runter kommst“, bot ein anderer ihr hilfsbereit an. „Oh, zu freundlich.“ So verbrachte sie den Vormittag in luftigen Höhen, sang ihre altertümlichen Seemannslieder aus der Heimat und arbeitete sich Stück für Stück am gewaltigen Mast entlang, während ihr Kamerad mit der schwarzen Mütze und dem interessanten Dialekt sie alle paar Minuten wieder etwa einen halben Meter hinunterließ. „Wie jeht’s dir da oben, Kleene?“, rief er zu ihr, das Seil sicher um sich geknotet, den Griff jedoch relativ locker. Es war nicht nötig feste zuzupacken, der Flaschenzug und der Knoten übernahmen die meiste Arbeit für ihn. Sie war so leicht, dass er das Gefühl hatte, am anderen Ende würde gar nichts baumeln. „Bisschen frisch!“, meinte sie und wagte es nicht den Blick von dem Holz vor ihr abzuwenden. Stoisch tauchte sie den Lappen erneut in die schwarze, klebrige Flüssigkeit und verteilte sie anschließend großzügig auf dem Mast. Sie hing keinesfalls das erste Mal in ihrem Leben im Tauwerk, doch änderte es nichts an ihrem Respekt vor der Höhe. Es war keine Angst per se, mehr ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, welches sie, wenn möglich, gerne vermied. Inzwischen war sie dem Deck deutlich näher, ein Umstand, der sie zumindest ein bisschen beruhigte. „Brauchste ‘ne Pause?“, wollte er sich vergewissern. „Ach, ich mach‘ die Bahn noch zu Ende“, erwiderte Kiara zuversichtlich. Sie konnte es insgeheim kaum erwarten wieder einigermaßen festen Boden unter den Füßen zu spüren. Glücklicherweise hatte man ihr aufgetragen, nur das untere Drittel des Hauptmastes zu labsalben. Der Rest der Crew befürchtete wohl ebenfalls, dass sie einem Drachen gleich davonfliegen würde, wenn man sie bis zum Krähennest emporhievte. „Allet klar. Danach können wa tauschen, wennde willst“, bot ihr Kamerad an. „Wenn du magst.“ Kiara hielt für einen Moment inne. Missmutig stellte sie fest, dass sie seinen Namen schon wieder vergessen hatte. Nun war sie bereits seit einigen Wochen Teil der Crew und hatte es immer noch nicht geschafft, sich mehr als eine Handvoll Namen zu merken. Inzwischen wurde es ihr auch unangenehm nachzufragen. „Beanie?“, fragte sie vorsichtig. „Meinste mich?“, lachte der Pirat am anderen Ende des Seils und rückte sich das entsprechende Kleidungsstück zurecht. „Ja, klar!“, grinste sie zu ihm runter. Ein Fehler. Die Höhe ließ sie schwummerig werden, weshalb sie sich schleunigst an der Halterung des Bootsmannsitzes festklammerte. Es gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und beruhigte Kopf sowie Magen. Kurz atmete Kiara durch und fuhr mit dem Gespräch fort. „Weißt du schon, was du auf dem nächsten Landgang machen willst?“ „Ick lasset mir jut jeh’n, wat sonst?“, stieß er freudig aus. „Hey, dat wird deene erste Insel, wa? Biste aufjeregt? Vila is‘ ‘ne hübsche, kleene Ortschaft.“ Einerseits war Kiara gespannt darauf, in was für eine Gegend ihre Reise sie zuerst trieb. Andererseits fiel ihr ein, dass sie bald nach Ankunft einiges zu erledigen hatte. Sie seufzte. „Naja, ich muss Notwendigkeiten einkaufen gehen.“ Zwar freute sie sich, endlich wieder etwas Eigenes zu besitzen, jedoch waren ihre geldlichen Mittel trotz größter Bemühungen eher überschaubar geblieben. Sie konnte es sich daher nicht leisten, allzu anspruchsvoll zu sein. „Was sind denn Notwendigkeiten?“, fragte ein anderes Crewmitglied. Der Pirat saß mit ein paar anderen an der Reling gelehnt und gemeinsam flickten sie einige Kleidungsstücke, welche Löcher und Schlitze von Kämpfen aufwiesen. „Na, Unterwäsche und so’n Zeug. Ich hab‘ doch nichts.“ Der Pirat grinste spitzbübisch. „Brauchst du jemanden, der dich begleitet?“ Kiara runzelte die Stirn. „Wozu?“ „Willste etwa alleene rumloofen?“, fragte Beanie verwundert. „Ich bin schon ein großes Mädchen. Ich kann auf mich selbst aufpassen“, vergewisserte sie der Bande trocken. „Das mit der Größe, würde ich nochmal überdenken“, entgegnete einer von ihnen und grinste unverhohlen. „Ja, darüber lässt sich streiten“, stimmte sein Kumpane lachend mit ein. Die Piratin verdrehte die Augen. „Hey, von mir aus könnt ihr mitkommen. Aber ist das nicht langweilig?“ Sie selbst hatte schon keinen Gefallen daran in einer fremden Stadt – oder in einem Dorf – Läden nach Kleidung zu durchsuchen, die ihr gefiel und passte. Wie zehrend musste es dann sein, jemanden bei dieser Tätigkeit zu begleiten? Da stand man sich doch nur den ganzen Tag die Beine in den Bauch. Das klang nicht nach einer erstrebenswerten Freizeitbeschäftigung. "Pass oof, ick komm mit!“, beschloss Beanie. „Der Rest will doch nur sehen, watte für Unterwäsche koofst." Der Gedanke war Kiara ebenfalls gekommen. Die einzige logische Erklärung für dieses geheuchelte Interesse. Also entschied sie, ihnen die lüsternen Fantasien mit einem gekonnten Einwurf zu vermiesen: "Oma-Schlüpfer!" Ein verstörtes Ächzen und Raunen gingen durch die Runde. "Oh, komm schon, Kleine! Du willst auch einfach jeden von der Bettkante schubsen, kann das sein?" Kiara zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Und wenn dem so ist?" "Dit is ihr jutes Recht!" "Beanie hat's verstanden", schloss sie zufrieden. Die Piraten warfen einander skeptische Blicke zu. „Beanie?“ Der Angesprochene schwellte stolz die Brust und grinste. „Dit bin icke.“ „Ach, vergebt ihr etwa schon Spitznamen?“ Mit leisen Hustern wurde versucht das spöttische Auflachen zu kaschieren. „Neidisch, wa?“ Es wurde gleichgültig die Schultern gezuckt. „Wenn du meinst, Beanie-Boy.“ In einer fließenden Bewegung sank Kiara die letzten zwei Meter bis zum Deck hinab und seufzte erleichtert auf, als sie die Planken wieder betreten konnte. Mit den Füßen am Boden schaukelte sie in ihrem Sitz entspannt noch etwas hin und her, bevor sie sich wieder aufrichten wollte. Freundlicherweise hielt Beanie das Seil weiterhin in der richtigen Höhe, statt sie rücklings auf den Hintern fallen zu lassen. „Und du wärst also nicht an meiner potentiellen Unterwäsche interessiert?“, fragte Kiara amüsiert skeptisch nach und sah zu ihm auf. „Nee, dit is‘ nich‘ meen Ding. Keene Sorge.” Er lächelte sie freundlich an. „Aber wennde lieber mit dem Boss Zeit verbringen willst, versteh ick det ooch.“ Kiara winkte ab und schmunzelte. „Ach, mit dem verbringe ich noch genug Zeit. Ich fänd’s cool, wenn wir die Insel zusammen erkunden.“ „Ja, dann machen wir dit doch! Ick freu mir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)