Libertalia von -Kiara ================================================================================ Kapitel 15: Bon Voyage ---------------------- „Geht es dir nicht gut, Spätzchen?“ Shakkys filigrane Hand legte sich sanft auf die Schulter der jungen Piratin. Die Wärme und der leichte Druck holten die Angesprochene aus den Tiefen ihrer Gedankenwelt. Fragend blickte sie zur Barbesitzerin auf. „Du wirkst etwas durch den Wind.“ Vielleicht hatte sie etwas zu lange regungslos in ihr Getränk gestarrt, während um sie herum unbekümmert und voller Eifer gefeiert wurde. Kiara saß inzwischen alleine und etwas abseits am Tresen saß und ließ die Party an sich vorbeiziehen. Die Crew hatte gelernt, dass man sie guten Gewissens einfach ein bisschen in Ruhe lassen konnte – oder auch sollte – wenn ihr das Treiben zu bunt wurde. So schien ihnen das Verhalten nicht sonderbar genug, um die Piratin mit Erkundungen über ihr Wohlsein zu belästigen. Kiara nickte daher matt und versuchte es mit einem dankbaren Lächeln. „Ist gerade nur ein bisschen viel, das ist alles.“ Shakky drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und ergriff Kiaras auf dem Tresen liegende Hand. „Komm mit, ich helfe dir den Kopf frei zu bekommen.“ Im ersten Moment musste Kiara über das vermeintlich fragwürdig formulierte Angebot stutzen. Nichtdestotrotz erhob sie sich vom Barhocker, bereit der älteren Dame zu folgen. Etwas Abstand war genau das, was sie gerade brauchte. Mit Bestimmung führte Shakky sie zur geheimnisvollen Tür hinter dem Tresen und zog sie an der Hand über die Schwelle und die dahinter liegende schmale Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort befand sich die Wohnstube, ein gemütlich eingerichtetes Zimmer mit Sitzbereich, mehreren Regalen voller Bücher, einem Esstisch mit zwei Stühlen und einer großzügig ausgestatteten Küchenzeile. Die Einrichtung roch nach Zigarettenqualm. Trotz der vielen Fenster in der kreisrunden Stube hatte sich die Mischung aus Tabak und Nikotin an den Möbeln und Wänden festgesetzt. Kiara bemerkte, dass sie zwar einige Schiffe und deren Kabinen betreten hatte, jedoch noch nie die private Behausung einer anderen Person. „Setz dich ruhig, Liebes. Brauchst du etwas? Ein Glas Wasser vielleicht?“ „Oh, ich ähm-“ Mit der Situation überfordert ließ sich Kiara auf das weiche Sofa plumpsen und versank beinahe darin. „Gerne“, gab sie schließlich kleinlaut von sich. Shakky lachte gutherzig auf und kümmerte sich sogleich darum, dass ihr Gast nicht verdursten sollte. Mit Vorsicht reichte sie ihr das kühle Glas an und nahm in einer fließenden Bewegung neben ihr auf dem Sofa Platz. Ein fürsorglicher Arm legte sich um Kiaras Schultern und zog sie behutsam an sich heran. „So. Und jetzt erzählst du Tante Shakky, was du auf dem Herzen hast.“ Kiara blinzelte sie perplex an. „Bin ich so durchschaubar?“ „Intuition.“ Sie zwinkerte. „Wer selber empathisch ist, bemerkt auch bei anderen leichter, wenn die Gefühlswelt Kopf steht.“ Sich einem anderen Menschen zu öffnen war eine ungewohnte Erfahrung. Stets hatte Kiara es bevorzugt, alle möglichen Dinge mit sich selbst abzuklären. Es fiel ihr schwer einen Anfang zu finden. Aber, auch wenn Shakky eine ihr im Grunde völlig fremde Person war, hatte sie das Gefühl, ihr vertrauen zu können. Sie drängte nicht oder löcherte sie mit Fragen. Stattdessen hörte sie achtsam zu, nickte verständnisvoll und strahlte eine geborgene Ruhe aus. Es war egal, wie lange Kiara nach den richtigen Wörtern suchte oder wie wirr ihre Gedankensprünge schienen, Shakky zeigte ehrliches Interesse und nahm ihr jede Unsicherheit oder Nervosität. „Ich weiß nicht. Es fühlt sich wie ein Fehler an weiterzureisen“, seufzte Kiara schließlich und starrte auf den niedrigen Tisch vor ihren Füßen, welcher etwas unordentlich übersäht war mit Zeitungen, Zigarettenschachteln und Untersetzern. „Ich möchte es wirklich gerne. Aber ich kann nicht.“ Shakky neigte fragend den Kopf. „Weil du das Gefühl hast etwas zurückzulassen? Oder fühlst du dich nicht gewappnet?“ „Ja. Auch.“ Sie stockte. „Es würde deutlich schwieriger werden nach Hause zurückzukehren. Überhaupt, könnte ich das noch, wenn ich ein Kopfgeld habe?“ Glücklicherweise war sie die letzten Monate völlig unter das Radar der Marine gefallen. Zwar hatte sie sich mit einigen ihrer Soldaten im Kampf gemessen, jedoch war sie so unscheinbar oder dermaßen ungefährlich, dass niemand nach ihr fahnden wollte. „Möchtest du denn nach Hause?“ Kiara ließ den Kopf zu Shakkys Schulter rollen. Auch wenn sie das Gesicht beinahe an ihrer üppigen Brust vergrub, konnte Shakky erkennen, dass ihre Lippe zitterte. Ohne Umschweife vergrub sie eine Hand in den braunen Haaren und tätschelte zärtlich den Kopf der Kleinen. „Meine Mum… ich… tue ihr Unrecht, wenn ich…“ Abermals stockte sie, unfähig sich vernünftig zu erklären. Sie wollte, dass es Sinn ergab, wenn sie sich schon ausschüttete. Mit Mühe versuchte sie den androhenden Knoten in ihrem Hals herunterzuschlucken und setzte erneut an. „Als ich losgesegelt bin, hatte ich nicht vor einfach zu verschwinden. Ich wollte die Gegend erkunden, aber nie so weit weg, dass ich nicht mehr nach Hause finden würde. Also. Nicht für den Anfang.“ Auch der tiefe Atemzug, mit dem sie ihre Lungen füllte, zitterte ungehalten. Fest vergruben sich ihre Zähne in der Unterlippe, das Beben nur zeitweise stoppend, während sie nach Kraft rang wieder deutlich zu sprechen. „Bevor ich wirklich auf große Reise gehe, wollte ich mich wenigstens verabschieden.“ Eine erste Träne kullerte ihre Wange hinab und benetzte Shakkys Oberteil. „Und mich ordentlich bei ihr bedanken.“ Die Schwarzhaarige seufzte mitfühlend. „Oh, Schätzchen. Sag bloß, das trägst du schon die ganze Zeit mit dir herum?“ Die Piratin in ihren Armen nickte kaum merklich. Es hatte ihr immer im Hinterkopf gepocht, aber Kiara entschied sich dieses Schuldgefühl zugunsten heiterer Stimmung zu ignorieren. Es bremste sie nur aus und verhinderte, dass sie neue Orte entdecken konnte. Für sie alleine gab es keinen Weg zurück und die Rothaarbande sah keinen Umweg durch den South Blue vor. Jedoch sie hatte ihre Sorgen auch nie angebracht, da sie diese als zu klein und entbehrlich empfand. Es wäre lächerlich gewesen. Die letzten Tage und Gespräche rissen diese kleine Wunde jedoch auf und der Schmerz pochte nun scharf genug, dass es ihr schwerfiel ihn zu ignorieren. Mit einem unschönen Schniefen zog Kiara die Nase hoch, in einem vergeblichen Versuch die verstopften Atemwege frei zu kriegen. Sie richtete sich etwas auf und rieb sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. „Außerdem… will ich nicht zur Last fallen. Ich will nicht, dass man mich beschützen muss. Aber die Gegner bis hierhin sind schon… über meinem Limit.“ „Die Kampfkraft der Crew hat bereits ein ordentliches Level erreicht und dir fehlten die Gelegenheiten um aufzuschließen“, pflichtete Shakky verständnisvoll bei. Sie wusste eine Menge über diese Bande. Zum einen da Rayleigh genügend Geschichten über ihren Kapitän erzählte, zum anderen, weil sie sich stets selbst schlau machte, welche Piraten dieses Nadelöhr an Archipel erreichte. Die Rothaarbande ankerte außerdem keineswegs zum ersten Mal an diesem Hafen. Sie hatte also bereits einige Gelegenheiten diese Mannschaft persönlich kennenzulernen. „Ich will auf eigenen Beinen stehen. Aber offenbar kann ich nicht einmal auf mich selbst aufpassen. Wäre Rayleigh nicht gewesen, hätten mich die Sklavenhändler wahrscheinlich erwischt. Und auf Libertalia eine Kugel, weil ich nicht aufmerksam genug war, oder ich es nicht geschafft habe, mich herauszureden.“ Kiara ballte die Hände in ihrem Schoß zu Fäusten. „Nein, es hing an Guybrush. Oder Shanks. Und das ärgert mich so!“ Sanft nahm Shakky die geballten Hände in ihre. „Dein Verstand und dein Stolz vermitteln dir also deutlich, dass es nicht klug wäre weiter zu reisen.“ Sie neigte den Kopf tiefer, um in Kiaras gerötete Augen sehen zu können. „Aber dein Herz wünscht sich die Freiheit und sagt dir, dass du loyal deinen Freunden gegenüber sein möchtest.“ Ein wissendes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. „Und gegenüber deinem Käpt’n.“ Kiara schnaubte aus einer traurigen Belustigung heraus. „Ich bin wirklich so durchschaubar, was?“ Das Lächeln wurde breiter und Shakky gluckste herzhaft. „Es steht dir ins Gesicht geschrieben.“ Schweigen legte sich über die beiden Frauen und eine nachdenkliche Stille erfüllte die sonst so leere Stube. Einzig das leise Ticken einer Küchenuhr erinnerte, dass die Zeit unermüdlich voranschritt. „Ich bin ein Kopfmensch“, sagte Kiara langsam. „Daran ist nichts zu rütteln.“ Als die ersten Sonnenstrahlen das Sabaody Archipel in morgentlicher Röte erhellten war der Tag in der Schiffswerft auf Grove 55 bereits längst angebrochen. Eifrig wurden Kisten mit frischen Vorräten in den Bauch der fertig beschichteten Red Force verfrachtet und das Schiff zum Ablegen bereit gemacht. Der rothaarige Kapitän beobachtete die halbwegs koordinierten Abläufe vom Steg aus. Eine Frühstückskeule verspeisend trat Lucky Lou zu ihm heran. „Wo ist denn die Kleine?“ „Ich nehme an, noch bei Shakky“, antwortete der Kapitän ruhig, ohne den Blick von den Ladevorgängen abzuwenden. „Soll das mit, Boss?“ Lou deutete auf einen gefüllten Seemannssack zu den Füßen seines Kapitäns. Der Rothaarige zupfte beiläufig seinen schwarzen Umhang zurecht. „Sehen wir dann.“ Es dauerte nicht lange, bis schließlich nur noch einige Fässer mit Alkohol, sowie Säcke voller Obst und diversen Gemüsesorten an Bord getragen werden mussten. Ein brünetter Haarschopf tauchte neben dem Kapitän auf. „Hey“, gab Kiara von sich. Sie schob die Hände in die Hosentaschen, und tat es dem Rotschopf gleich, der Crew beim Arbeiten zuzusehen. Er sah aus den Augenwinkeln zu ihr hinab und erkannte, dass sie den blauen übergroßen Mantel abgelegt hatte. Ihr weißes Shirt war noch befleckt von der Alkoholdusche des gestrigen Abends und einigen verschmierten Blutspuren, die nicht ihr gehörten. Der Kapitän atmete einmal tief durch und wandte sich schließlich zu ihr, um das unumgängliche Gespräch anzustoßen. „Shakky hat mir alles erzählt“, informierte er sie. Tatsächlich war die ehemalige Piratin in den frühen Morgenstunden ohne die Kleine in die Bar zurückgekehrt und hatte ihn beiseite genommen. Er müsste lügen, würde er behaupten, er habe nicht eine leichte Vorahnung gehabt, dass etwas nicht ganz mit ihr stimmte. Aber er verstand auch ihr Dilemma, sich Entscheidungen nicht widersetzen zu wollen, während sich ihr eigener Kopf unermüdlich versuchte durchzusetzen. Es gefiel ihr nicht, ihre persönlichen Probleme in den Vordergrund zu schieben, aber sie konnte ihre Moralvorstellungen auch nicht aufgeben. Es war ihm unlängst aufgefallen. Deshalb hatte er ihr auf Libertalia einen Gefallen getan, den sie nicht wagte auszusprechen. Sie nickte langsam. „Ich schätze, die Neue Welt ist noch nicht bereit für mich.“ Ein amüsiertes kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Ach so.“ Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Seine Hand fischte in der Innentasche seines Umhangs nach einem weißen Stück Papier, welches er ihr überreichte. „Wenn du das Gefühl hast, dass sie bereit für dich ist, findest du uns damit wieder.“ Zögerlich nahm sie das Papier entgegen und musterte es mit Skepsis. Anschließend kniff die Augen zusammen und sah zum Kapitän hoch. „Das ist eine Vivre Card. Sie zeigt dir die Richtung, wo ich bin“, erklärte er sachlich. Sie prustete. „Ach, aber Voodoo ist Effekthascherei.“ Sorgfältig steckte sie das kompassartige Papier in ihre Tasche und verharrte einen Moment in dieser Position. Deutlich leiser fuhr sie fort: „Wenn nicht, kommst du mich dann in meinem Piratenfreizeitpark besuchen?“ „Versprichst du mir eine riesige Faschingsfete auf Booty Island?“ Die Erinnerungen an ihre Gespräche und musikalischen Einlagen mit der Band kitzelten ein heiteres Lachen aus Kiara heraus. „Natürlich. Die größte, die wir jemals veranstaltet haben!“ Freundschaftlich legte er die Hand an ihre Schulter und drückte sanft zu. Verabschiedungen lagen ihm nicht sonderlich. Besonders solche, die man nicht leichtfertig abtun sollte. Am liebsten hätte er ihr auf die Schulter geklopft oder kurz umarmt und gesagt „wir sehen uns bestimmt wieder“ und damit wäre die Sache gegessen. Er war zuversichtlich, dass es so sein würde. Allerdings schien ihm das angesichts ihrer Beziehung nicht sehr taktvoll. „Shanks?“ Kiaras blaue Augen sahen zu ihm auf und suchten seinen Blickkontakt. Er brauchte kein Haki um zu wissen, was in ihr vorging. Aufmerksam erwiderte er ihren Blick. Das Herz schlug ihr bis in den Hals und ihr Brustkorb hob und sank schnell mit ihren Atemzügen. Kurz presste sie die Lippen zusammen. „Misch die da drüben ordentlich auf, ja?“ Liebevoll zog er sie zu sich heran und neigte den Kopf zu ihr herab. Der Hauch eines Kusses streifte ihre Stirn, ehe sich ihre Arme um seinen Hals schlangen und ihn fest an sich drückten. Shanks schloss den Arm um sie und hielt ihre schmale Gestalt an seiner Brust. Er genoss noch einmal ihre Wärme, ihre Nähe, ihren wunderbaren Duft und die weiche Haut an seiner. Er würde ihre Zuwendungen, ihr Lachen und ihre Sprüche vermissen. So lange es ihm möglich war, kostete er die Zärtlichkeit ein letztes Mal aus. Erst als Kiara Anstalten machte zu vermitteln, dass eine angemessene Zeit in die Umarmung geflossen und sie bereit war, löste er sich von ihr. Kiara schulterte den am Boden liegenden Seesack mit neu gewonnener Entschlossenheit. „Ich will Schlagzeilen sehen, hörst du?“ Oh, die würde er ihr liefern. Sein Name sollte auf der ganzen Welt bekannt werden, das konnte er ihr versprechen. Ein letztes Mal blickte der Rote Shanks zum Ufer, wo sich seine Freunde zum Ablegen des Schiffes versammelt hatten, um ihm und seiner Mannschaft herzlich zum Abschied zu winken. Beinahe zu schnell für seinen Geschmack versank die beschichtete Red Force in den Wellen und trat ihre gefährliche Reise unter dem Meeresspiegel an, welche sie an der Fischmenscheninsel vorbei in die weiteren Gefilde der Grand Line führte. Es erwartete sie Großes in der Neuen Welt. Er hatte sein Ziel klar vor Augen und niemand würde ihn auf dem Weg zur Spitze aufhalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)