Regel Nummer 1 von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Regel Nummer 1 ------------------------- Der Doctor kann den fassungslosen und anklagenden Blick des anderen Time Lords - seines jüngeren Ichs - beinahe körperlich spüren. Dessen Entsetzen und auch die Verachtung darüber, dass er angeblich nicht mehr weiß, wie viele Kinder auf Gallifrey gestorben sind, als er den Zeitkrieg beendet und die Time Lords mitsamt den Daleks vernichtet hat, sind in seinen braunen Augen unschwer zu erkennen. Er scheint ein besserer Lügner zu sein, als er gedacht hat, wenn seine jüngere Inkarnation ihm seine vorgeschützte Unwissenheit wirklich abnimmt. Resolut wendet sich der Doctor wieder der Steinsäule vor ihm zu und fährt verbissen damit fort, den Aktivierungscode für den Vortexmanipulator in das Gestein zu ritzen. Aggressiver als nötig bearbeitet er das unnachgiebige Material mit dem Nagel, den er in dem Kerker gefunden hat, aber wenn ihn das davor bewahrt, mit seinen anderen Ichs diskutieren zu müssen, ist es eine willkommene Alternative. Von seinen eigenen Gedanken, seiner Wut und auch seinen Schuldgefühlen lenkt es ihn leider nicht ab. Obwohl er es nicht möchte, wandern seine Gedanken zu den Vorwürfen seiner beiden Zellengenossen. Wenn sie auch sonst zahlreiche Differenzen haben mögen, in dieser Sache waren sich sowohl der alt erscheinende Krieger als auch der jung wirkende, turnschuhtragende Doctor überraschend einig. In ihren Augen scheint es ein unverzeihlicher Frevel zu sein, dass er nicht mehr ständig an den Zeitkrieg denkt, sondern gelernt hat, mit dieser Erinnerung zu leben und nach vorne zu blicken. Trotzdem ist es nicht so, dass er diesen Teil seines Lebens einfach vergessen kann. Was würde er dafür geben, wenn es so wäre, aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Als ob ausgerechnet er diesen Krieg vergessen könnte. Als ob er jemals vergessen könnte, dass er selbst - oder besser gesagt eine andere Version von ihm - es war, der ihn beendet hat und was er dafür tun musste. All die Time Lords und die unschuldigen Kinder, die dabei ausgelöscht wurden. Von ihm, dem Doctor. Aber was wäre die Alternative gewesen? Zuzusehen, wie die Daleks alle abschlachten und danach ihren Siegeszug durch das ganze Universum antreten? Wer hätte sie dann noch aufhalten können, wenn selbst die mächtigen Time Lords daran gescheitert waren? All das Elend und das Leid, das sie über die verschiedenen Galaxien gebracht hätten. Mit seltsam zitternden Händen arbeitet er weiter. Nein, das konnte er nicht zulassen. Es rechtfertigt den Genozid, den der andere begangen hat, nicht, aber das Wissen um das Grauen, das auf unzählige andere Spezies gewartet hätte, macht es ihm möglich, mit seiner Tat und seinen Schuldgefühlen zu leben. Gerade so und nur, wenn er nicht allzu intensiv darüber nachdenkt. Er - beziehungsweise sein anderes Ich - wollte den Krieg beenden, um noch mehr Leid zu verhindern. Er musste eine Wahl treffen und egal, wie sie ausgefallen wäre, Milliarden hätten ihr Leben lassen müssen. Es gab an diesem Tag keine richtige Entscheidung, es gab einfach keine! Jeder Weg war falsch und hätte entsetzliche Konsequenzen zur Folge gehabt. So etwas wie Verbitterung durchfährt ihn. Er war der Mann, der eine unmögliche Wahl treffen musste und er ist der Mann, der seitdem jeden Tag mit dieser Verantwortung leben muss. Und es ist seine Entscheidung, wie er damit umgeht. Mag sein, dass seine beiden jüngeren Inkarnationen ihn dafür verachten, aber wenigstens kann er so leben, ohne tagtäglich von unerträglichen Schuldgefühlen zerfressen zu werden. Fast schon geistesabwesend arbeitet er weiter daran, eine Nachricht für Kate Stewart zu hinterlassen, die die kommenden Jahrhunderte überdauern wird. Vielleicht wissen seine beiden anderen Ichs nicht, wer er ist, aber er weiß es dafür umso besser: Er ist der Doctor. Er ist der Mann, der nur selten zurückschaut und immer weiter rennt. Er ist der Mann, der verdrängt, aber niemals vergisst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)