Unforgotten von Linchen-86 (Drabble-Woche) ================================================================================ Kapitel 1: Rettung ------------------ -Zwei Menschen, die zusammen gehören, finden ihren Weg zueinander. Vielleicht auf Umwegen und es mag dauern, aber sie finden sich- So war es auch bei Taichi und mir gewesen. Wir waren Freunde, jahrelang, hatten keinen Kontakt und auf einmal kam er wieder in mein Leben und das zu einem Zeitpunkt, wo ich am Tiefpunkt war. Ich war dabei, die ganzen Scherben aufzusammeln, in der Liebe hatte ich kein Glück. Liebeskummer, ein gebrochenes Herz nach dem anderen und das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmte. Taichi war einfach er, er war mir in der Zeit ein guter Freund. Er war meine Rettung und so kamen wir uns näher. Wie verwirrt wir am Anfang wegen unserer Gefühle waren und jetzt liegen wir hier gemeinsam auf unserer Couch und ich starre meinen Ehering an. Wir sind frisch verheiratet und ich strahle noch immer wie ein Honigkuchenpferd. "Worüber denkst du nach?", wollte er wissen. "Über das Schicksal." "Glaubst du, dass das mit uns Schicksal gewesen ist?" "Ja, wir haben nur etwas gebraucht, um es zu schnallen." Taichi lachte. "Du vielleicht, ich habe gleich gewusst was ich wollte." "Als ob." Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er hatte sich in unserer Jugend nie so verhalten, als hätte er mehr als Freundschaft gewollt. "Glaub mir, wirklich." "Bitte wann denn?" "Weißt du noch die Kostümparty auf Karis 16. Geburtstag? Ich war betrunken gewesen und versuchte dich zu küssen." Darüber musste ich nachdenken. Es war immerhin schon zehn Jahre her. "Das sollte ein Kussversuch gewesen sein?" Er hatte so geturkelt. "Wohl nicht so überzeugend." "Manchmal muss man auch ein paar Frösche küssen, bis man seinen Prinzen findet oder checken, dass der Prinz die ganze Zeit vor meiner Nase war." Heute wussten wir, was wir einander hatten und wir würden uns nie mehr gehen lassen. Kapitel 2: Symphonie -------------------- Taichi und ich laufen gemeinsam durch den Park. Eine schöne Abwechslung zur sonst zu überfüllten Großstadt. Mal keine Wolkenkratzer, einfach nur Bäume und Blumen. Ich liebe die Natur. Taichi hätte auch überhaupt nichts gegen das Landleben einzuwenden, im Gegenteil, er hatte mich, das Großstadtmädchen schlechthin, überhaupt erst davon überzeugt, dass wir auf dem Land eine viel schönere Zukunft haben würden und ich vertraute ihm, das tat ich immer. Taichi hatte sein Studium abgeschlossen. Er war ein waschechter Anwalt und würde morgen seinen ersten Job beginnen. Ich war so unglaublich stolz auf ihn. Er hat eine Überraschung für mich vorbereitet. Warum war mir schleierhaft, immerhin sollte es heute doch um ihn gehen. Vor einer wunderschönen Kirschblüte, die in den letzten Zügen liegt, bleibt er stehen und dreht sich zu mir um. "Ich wollte dir etwas mitteilen." Mit großen Augen sehe ich ihn erwartungsvoll an. "Dann spann mich nicht auf die Folter." "Du hast schon lange einen ziemlich großen Wunsch, nicht wahr?" Ich nicke. Und wie. Seit über einem Jahr sind wir verheiratet und natürlich wollte ich den nächsten Schritt anstreben. Ich will mit meinem Mann eine Familie gründen. "Und da jetzt der größte Druck von mir abgefallen ist, steht uns nichts mehr im Wege. Also wenn du noch willst, dann ..." "Ja, ich will, also ich meine, das hatten wir ja schon, wir machen ein Baby?", strahle ich ihn an. Er grinst amüsiert und hält meine Hände in seinen. "Ja, wir machen ein Baby, Prinzessin. " Und während die Vögel in der Frühlingssonne um uns herum zwitschern, klingen seine letzten fünf Worte wie eine reine Symphonie in meinen Ohren. Stürmisch ziehe ich ihn zu mir und küsse ihn. Ichbin so bereit für unseren nächsten Schritt und kann es kaum erwarten. Denn wenn aus Liebe Leben wird, kann es wohl kaum etwas schöneres geben. Kapitel 3: Ängste ----------------- Würde alles gut gehen? Würde es gesund sein? So viele Fragen stellten sich mir. Immerhin ging es nicht um irgendwas. Ich war schwanger. Endlich. Nach über sechs Monaten hatte es geklappt und die Freude war natürlich überwältigend groß, aber auch die Ängste, die sich täglich einschlichen, wuchsen. Taichi war mindestens genauso euphorisch wie ich. "Worüber denkst du nach?", fragte er mich, als wir beim Frühstück zusammen saßen. Er bemerkte gleich, dass ich mir mal wieder Sorgen machte. "Ich hoffe nur, dass alles gut geht." "Natürlich wird es das. Sei einfach du und bleib positiv. Die ersten acht Wochen haben wir schon geschafft." Ich lächelte. Das stimmt und doch konnte ich manchmal die negativen Gedanken nicht ganz abschütteln. "Hier, iss was", sagte Taichi und reichte mir den Brötchenkorb. "Okay, ich versuchs." Die Schwangerschaftsübelkeit machte mir im Moment schwer zu schaffen. Mein Mann tat was er konnte, um mir zu helfen. Er übernahm den Wohnungsputz und versuchte sich öfter hinter dem Herd. Er war der beste Ehemann und er würde der tollste Vater der Welt werden. Ich überlegte was ich dazu essen wollte, Käse? Marmelade? Nein, ich nahm mir das Nutella und strich es großzügig auf die Brötchenhälfte, aber irgendwas fehlte, nur was? "Haben wir noch Gewürzgurken?" "Ich habe letzte Woche noch fünf Gläser gekauft" grinste Taichi. Ich öffnete es und legte zwei Gurkenscheiben auf das Nutellabrötchen. Angewidert verzog Taichi das Gesicht. "Und da wunderst du dich, dass dir schlecht ist?" "Es schmeckt", sagte ich überzeugt, doch sollte es eine Stunde später bereuen. Mir wurde speiübel und ich übergab mich. Taichi reichte mir später eine Tasse Tee und massierte mir den Rücken. "Geht es langsam wieder?" "Hmm", murmelte ich erschöpft. Auch wenn die nächsten 32 Wochen die spannendste Zeit unseres Lebens sein würden, so wusste ich dass wir gemeinsam alles schaffen konnten. Kapitel 4: Hormone ------------------ Es war Halbzeit. Mittlerweile wussten wir, dass es ein Junge wird. Taichi kam von der Arbeit nach Hause. "Hi Prinzessin", begrüßte er mich und gab mir einen Kuss. "Hi Babe, wie war dein Tag?" "Er wird gerade besser." Ich lächelte. Das hörte Frau doch gern. "Wie geht es euch?" "Alles gut bei uns", beruhigte ich ihn und strich sanft über meine Kugel. Damit war mein Ehemann zufrieden und schaltete den Fernseher an. Heute spielte seine Lieblingsmannschaft, das wusste ich leider schon. Auch, dass ich meine geliebte Serie dann morgen wieder nachgucken würde, aber musste er wirklich die ganzen Vorberichtserstattungen gucken? Anpfiff. "Die sind heute nicht so gut drauf, oder?", stellte ich fest, nachdem sie bereits 0:1 zurücklagen. Auch auf meine weiteren Bemerkungen ging er nicht ein. War ich Luft? 40 Minuten waren bereits um. "Wird schwer das Spiel noch zu drehen...", merkte ich an, doch außer dass mein Mann den Fernseher anschrie, kam keine Reaktion. Und da kam der zweite Gegentreffer. "Argh, Mist", fluchte Taichi und ich musste etwas kichern, weil der Torwart echt keine Ahnung hatte was er tun sollte. "Findest du das etwa lustig?!", motzte Taichi und sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Hatte er mich gerade angeschrien? Ich bemerkte wie ich zu schluchzen anfing. Ich konnte es nicht aufhalten, ich fing an bitterlich zu weinen ... Sofort sah ich die Reue in Taichis Gesicht. "Sorry Prinzessin, war nicht so gemeint." Das wusste ich, aber diese blöden Hormone bestimmten meine Handlung. Also weinte ich, während mein Mann mich direkt in den Arm nahm, das Spiel nicht beachtete und stattdessen meine Tränen trocknete. "Wieder besser?", fragte er vorsichtig. Ich nickte und bekam mich zum Glück wieder ein. Die zweite Hälfte sahen wir dann aneinander gekuschelnd und auch wenn es beim 0:2 blieb fand ich den Abend noch schön. Kapitel 5: Trennung ------------------- Stille. Dunkelheit. Ein alles in sich einnehmender Schmerz, von dem ich mich wohl niemals wieder erholen werde. Vor drei Tagen ist meine Welt zerbrochen. Es war ein Routinetermin, die 24. Schwangerschaftswoche, als bei meiner Frauenärztin plötzlich alles anders war. Eine große Falte bildete sich auf ihrer Stirn. "Ist etwas nicht in Ordnung?", traute ich mich kaum zu fragen. "Es tut mir leid, da ist kein Herzschlag mehr!" Ich verstand nichts. Was wollte sie mir damit nur sagen? Sie redete, aber ich hörte ihre Worte nicht. Taichi. Ich musste ihn anrufen und ihm das unmögliche erklären. Ich musste unseren Sohn tot zur Welt bringen. Bald. Nein, dafür war ich nicht bereit. Ich konnte das nicht machen, aber würde man dazu jemals bereit sein? NEIN! Warum bloß? Ich hätte niemals gedacht, in so einem Alptraum zu erwachen. Ich war der Situation hilflos ausgeliefert und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Außer warten. Warten auf die Trennung. 30 Stunden war ich bereits wach. Die Wehen setzten ein und doch wollte ich nichts gegen die Schmerzen haben. Jeder Schmerz führte mich näher zu dir und gleichzeitig würde es bedeuten dich für immer zu verlieren. Ich verdiente den Schmerz. Um 3:30 Uhr blieb die Welt kurz stehen. Haruto erblickte das Licht der Welt. Kein Schrei erfüllte den Raum. Nur Stille. Er wurde sauber gemacht und ich bekam ihn zu sehen. Er war so wunderschön, so friedlich, so zerbrechlich. Wir haben mit ihm gekuschelt, Fotos gemacht. Wie kann man etwas so perfektes einfach gehen lassen? Wie sollten wir nach Hause gehen, ohne dich? Wie sollten wir weiter leben? Wir bekamen alle Zeit der Welt uns zu verabschieden und doch würde es niemals genug sein. Unser Engel würde bis in alle Ewigkeit einen festen Platz in unserem Herzen haben. Er gehört zu uns. Für immer verbunden. Für immer vereint. Kapitel 6: Erinnerungen ----------------------- Die stille Geburt lag acht Wochen hinter mir, seitdem bin ich ein Wrack. Ich bin in eine regelrechte Depression verfallen, verlasse kaum das Haus. Ich schäme mich zu sehr, ich habe das Gefühl, alle starren mich an. Und Taichi? Noch nie haben wir so wenig miteinander geredet, wie in den letzten Wochen. Er versucht oft mir nah zu kommen, aber ich kann seine Nähe nicht ertragen. Ich habe es nicht geschafft, ihm ein gesundes Kind zu schenken. Ich habe versagt und mein eigener Körper kommt mir wie ein Fremdkörper vor. Im Schlafzimmer habe ich eine Gedenkstätte für Haruto errichtet mit Blumen, Engelsfiguren und Lichtern. So oft stehe ich einfach nur hier, zünde eine Kerze an und schwelge in Erinnerungen. Dann verschwimmt alles andere, all die Aussagen meiner ach so lieben Bekannten und Verwandten: "Das Leben geht weiter." "Ihr seid doch jung, dann versucht ihr es eben wieder." "Willst du dich jetzt ewig verstecken?" Ganz ehrlich? Am liebsten ja, denn wie soll ich weiter leben, wenn mir das Wertvollste genommen wurde? Es klopfte an der Schlafzimmertüre und Taichi kam mit kleinen Schritten in meinen heiligen Rückzugsort. "Mimi, das geht so nicht weiter." Nicht schon wieder. Ich sagte nichts, so wie immer. "Du musst aufhören, dir die Schuld zu geben. Ich habe mich erkundigt und eine Therapeutin gefunden, die auf sowas spezialisiert ist." Mit großen Augen starrte ich ihn an. "Ich habe schon unseren Sohn verloren. Bitte Mimi, ich will dich, will uns nicht auch noch verlieren." Ich schluckte, ja er leidet auch und nein, ich bin nicht für ihn dagewesen. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt. Es war nur alles so schwer für mich zu ertragen. Ich streckte meine Hand nach ihm aus. Nein, ich will Taichi auch nicht verlieren. Ich nickte und vielleicht war das der erste Schritt nach vorne. Kapitel 7: Regenbogen --------------------- -Jeder Regenbogen ist ein Lächeln des Himmels, das uns daran erinnert, dass nach trüben Tagen auch wieder die Sonne für uns scheint - Ich liege seit Tagen hier und weine vor Glück. Ich halte meine wunderschöne und vorallem gesunde Tochter in den Armen. Das Gefühl der schrecklichen Einsamkeit nach der Fehlgeburt ist vorbei und ich beginne meinem Körper wieder zu vertrauen. Es hat viele Gespräche, Therapien und Zeit gebraucht, aber mit meinem Mann an meiner Seite haben wir uns auch aus dieser schrecklichen Zeit befreien können. Natsuki, unser Hoffnungs-Sommer Mädchen, kam am 01.08. zur Welt. Genau zwei Jahre nach meiner stillen Geburt wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Ich wünschte, ich könnte sagen, es war eine sorgenfreie Schwangerschaft, aber das wäre eine Lüge gewesen. Es waren 40 Wochen voller Angst und Bangen. So oft war ich verzweifelt gewesen, hatte Angst vor jedem gang zur Toilette oder Besuch beim Frauenarzt, aber am Ende war alles gut ausgegangen. Taichi wich nie von meiner Seite, auch wenn ich selbst gerne vor mir weggelaufen wäre. Er war mein Fels in der Brandung. Er legte sich zu uns ins Bett, während ich Natsuki stillte und sah mir liebevoll in die Augen. "Ich liebe dich", hauchte ich gerührt. Er küsste meine Stirn. "Ich liebe dich auch, euch." Wir waren endlich angekommen und durften uns erlauben wieder glücklich zu sein. Stück für Stück. Haruto wird für immer einen festen Platz in unseren Herzen haben und unvergessen bleiben. Natsuki wird mit dem Wissen aufwachsen, einen großen Bruder im Himmel zu haben, der auf seine kleine Schwester aufpassen wird. Unser Regenbogenbaby ist für mich ein Wunder. Sie hat mich vervollständigt, geheilt und mit einem Kind im Herzen und eines an der Hand, werde ich positiv in unsere Zukunft blicken, denn nach jedem Regensturm folgt auch wieder ein Sonnenschein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)