Dead End von Lichtregen (Endeavor x Hawks) ================================================================================ Kapitel 14: Bad Son ------------------- Stille legte sich über sie wie ein bleiernes Tuch. Enji musterte Hawks, der den Blick erwiderte, aus dessen Gesicht sich jedoch keine Gefühlsregung ablesen ließ. Es hatte Enji enorme Überwindung gekostet, trotz der Offenbarung des anderen vor drei Wochen diesen nun aufzusuchen, um ihn um Hilfe zu bitten. Er hatte Hawks gerettet, ja. Und das nicht nur aus Pflichtgefühl oder weil er sich hatte revanchieren müssen. Aber das hieß nicht, dass alles so war wie zuvor, dafür war zu viel passiert. Er hatte Hawks’ Gegenwart nicht mehr ertragen können und erst einmal seine Gedanken ordnen müssen. Schlussendlich wurde ihm die Entscheidung, ob er Hawks überhaupt besuchen würde, abgenommen. Denn es stimmte, was er soeben gesagt hatte, er hatte keine andere Wahl. Doch nur weil er jetzt einen Schritt auf Hawks zugehen musste, hatte sich das Chaos in seinem Kopf noch lange nicht gelegt. Noch immer rangen die Emotionen in ihm um die Oberhand; Zweifel, Wut und Enttäuschung auf der einen, Gewissensbisse und Trauer über den Vertrauensverlust auf der anderen Seite. Auch nachdem Hawks gegangen war und er ihn später ins Krankenhaus gebracht und sich sein Gemüt abgekühlt hatte, hatte er Hawks nicht einfach glauben, geschweige denn verzeihen können. Dass er ihn über Monate hinweg hinsichtlich seiner Herkunft belogen und ihre Arbeit sabotiert hatte, wog schwer. Das konnten ein paar nett dahergesagte Worte, selbst wenn sie der Wahrheit entsprechen sollten, nicht aufwiegen. Und daran, dass Hawks die Wahrheit gesagt hatte, hatte er nicht unberechtigte Zweifel, schien Hawks das Lügen doch so leicht zu fallen wie das Atmen. Er musste sich jedoch, wenn auch widerwillig, eingestehen, dass es keinen vernünftigen Grund für Hawks gegeben hatte, ihm doch reinen Wein hinsichtlich seiner Verbindung zur Yakuza einzuschenken, nachdem er ihm bereits eine glaubhafte Lüge zur Herkunft seines Tattoos aufgetischt hatte. Dass Hawks ihm dennoch die Wahrheit gesagt hatte, sprach trotz aller entgegenstehenden Umstände für dessen Ernsthaftigkeit. Ob er tatsächlich geläutert war und der Yakuza den Rücken gekehrt hatte – und das nicht nur, weil ihm nun keine andere Wahl mehr blieb –, würde sich aber noch zeigen müssen. Und doch, das, was sich an Vertrauen zwischen ihnen über all die Zeit hinweg aufgebaut hatte, konnte er ebenso wenig ignorieren. Selbst wenn vieles nur unter einem Deckmantel von Lügen geschehen war, so hatte sich Hawks in brenzligen Situationen doch als verlässlicher Kamerad erwiesen. Zudem konnte er ihm nicht vergessen, dass er ihm das Leben gerettet hatte, ganz gleich unter welchen Umständen. Und dann war da dieses Undefinierbare zwischen ihnen, das schließlich durch den Kuss an die Oberfläche gedrungen und zu etwas Greifbarem geworden war. Etwas, das, so egoistisch das in den Ohren mancher klingen mochte, er für sich selbst nicht so einfach aufgeben wollte… oder konnte. Diese vage Hoffnung auf etwas, das er sich selbst seit Jahren nicht mehr zugestanden hatte, war der Grund dafür, dass Enji in der Notlage, in der er sich nun befand, über seinen Schatten gesprungen und auf Hawks zugegangen war. Er würde ihm die Gelegenheit geben, seine Behauptungen zu beweisen. Ob Hawks diese zweite Chance nutzen würde, lag jedoch allein in seiner Hand. „Dein Sohn ist verschwunden?“, durchbrach Hawks schließlich die scheinbar endlos andauernde Stille, zuckte mit den Schultern. „Was habe ich damit zu tun?“ Enji konnte die Bitterkeit in den Worten des anderen und auch, dass dieser nicht sofort voller Tatendrang aufsprang und ihm seine Hilfe zusicherte, verstehen. Um den anderen zur Mithilfe zu bewegen, hatte er, das musste er einsehen, den falschen Ton gewählt, in dem er sein Anliegen unterbreitet hatte. „Shouto ist vor fünf Tagen nicht von der Schule zurückgekehrt“, erklärte Enji daher in weniger schroffem Ton als zuvor und setzte sich auf den Stuhl neben Hawks‘ Bett. „Ich habe die starke Vermutung, dass die Yakuza dahintersteckt. Denn als ich nach der Arbeit nach Hause kam, fand ich einen Zettel an meiner Haustür vor, auf dem lediglich stand ‚Du weißt wofür.‘“ „Du weißt wofür?“, hakte Hawks, immer noch wenig interessiert, nach. „Ich denke, dass die Liga – wie damals – meinen Sohn als Denkzettel für das Geschehen in und nach der Pachinko-Halle und als Warnung, ihr mit meinen Ermittlungen nicht weiter in die Quere zu kommen, entführt hat.“ „Warum kommst du deswegen zu mir?“, fragte Hawks gleichgültig und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das klingt nach einem Fall für die Polizei.“ „Die konnte nicht helfen und hat ihre Suche mangels weiterer Spuren vorläufig eingestellt“, brummte Enji verstimmt. „Daher bin ich hier.“ „Tut mir leid, aber ich weiß auch nicht, wo dein Sohn ist“, gab Hawks so prompt zurück, als sei für ihn das Thema damit beendet. „Nun“, setzte Enji erneut an. „Ich dachte, als Mitglied der Yakuza würdest du –“ „Willst du mir unterstellen, ich hätte etwas mit der Entführung deines Sohnes zu tun?“, unterbrach Hawks ihn bissig und funkelte ihn zornig an. „Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht mehr für die Liga arbeite. Und glaubst du, sie würden mich weiterhin in ihre Pläne einweihen, nachdem sie mich vor nicht einmal drei Wochen zu erschießen versucht haben?!“ Enji verstummte, überrascht von dem Ausbruch des Jüngeren, wo dieser doch sonst stets beherrscht und fast schon vorwitzig war. Seine Gewissensbisse, an Hawks‘ behaupteter Kehrtwende gezweifelt zu haben, nagten an ihm. Denn es schien, als würde Hawks, wenn er derart impulsiv reagierte, sich nicht wieder hinter Lügen verstecken, sondern tatsächlich die Wahrheit sagen. Dennoch konnte er nicht leugnen, dass Hawks am Verschwinden seines Sohnes nicht ganz unschuldig war. „Um ehrlich zu sein…“, setzte er nach einer kurzen Pause langsam an. „Ich denke, dass die Yakuza sich nicht auf diese Weise hätte rächen wollen, wenn ich ihr bei ihrem Vorhaben, dich zu töten, nicht in die Quere gekommen wäre.“ „Du bereust es also, mich gerettet zu haben?“, fragte Hawks tonlos und starrte ihn mit leerem Blick an. Enji stutzte, da ihn die Frage überrumpelte. Bereute er, dass Hawks für den Preis der Freiheit seines Sohnes noch am Leben war? Natürlich würde er alles dafür geben, dass sein Sohn nicht entführt worden wäre… Aber Reue wegen eines geretteten Menschenlebens… besonders dasjenige einer Person, die ihm etwas bedeutete, war ein schwerwiegendes Wort. „Ich verstehe“, murmelte Hawks, der aus seinem Schweigen wohl entsprechende Schlüsse gezogen hatte, und senkte den Blick. „Nein, du verstehst nicht!“, widersprach Enji sofort und verfluchte sich für sein erneut mangelndes Taktgefühl. „Ich habe die Entscheidung getroffen, dir nach deinem Duell mit dem anderen Yakuzamitglied zu helfen und dich vor weiteren Zugriffen der Liga zu schützen. Wenn jemanden die Schuld an Shoutos Verschwinden trifft, dann ist es meine.“ Hawks hob den Kopf und sie schauten sich eine Weile direkt in die Augen, ehe der Jüngere die Stille brach: „Du trägst ebenso wenig die Schuld am Verschwinden Shoutos wie an der Entführung deines anderen Sohnes. Allein die Yakuza ist dafür verantwortlich und ganz gleich, was du oder ich tun oder lassen würden, sie würden doch ihren Willen durchsetzen.“ In Hawks‘ Stimme schwang so viel Bitterkeit und ehrliche Anteilnahme mit, dass es Enji schwerfiel, in Selbstmitleid zu verfallen und nicht doch ein wenig Trost in seinen Worten zu finden. „Hawks, ich…“, begann Enji und kämpfte gegen den Kloß in seinem Hals an, doch Hawks unterbrach ihn. „Ich helfe dir, deinen Sohn zu finden. Ich habe auch schon eine ziemlich gute Ahnung, wer dahinterstecken könnte.“ „Hast du?“, fragte Enji und Erleichterung überkam ihn. „Und wie?“ „Dabi, ein schwarzhaariges Yakuzamitglied, hat mir wenige Tage vor Shoutos Entführung einen… nun ja, Krankenbesuch abgestattet, bei dem er meinen baldigen Tod ankündigte und eine Drohung gegenüber mir nahestehender Personen aussprach.“ „Eine Drohung?“, erwiderte Enji überrascht. „Was hat er angedroht? Und wieso hast du das niemandem gemeldet?“ „Es war ja nicht so, als hätte ich dich sonderlich gut erreichen können“, konterte Hawks und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, unter dem Enji beinahe zusammenschrumpfte. Okay, Punkt für Hawks. Enji grummelte daher nur etwas Unverständliches, was Hawks anscheinend als Antwort reichte, da er etwas versöhnlicher lächelte. „Jedenfalls war die Drohung nur äußerst vage, hat sich weder auf eine bestimmte Person noch Art und Weise, Zeit oder Ort bezogen.“ Enji, der sich von Hawks‘ Informationen mehr erhofft und gespannt vorgebeugt hatte, ließ sich frustriert zurück in den Stuhl sinken. „Also fangen wir bei Null an.“ „Nicht unbedingt“, widersprach Hawks und da war es wieder, sein schelmisches Lächeln, das Enji, wie er gerade erst merkte und widerwillig zugeben musste, auf gewisse Weise doch vermisst hatte. „Zumindest können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Dabi in die Entführung involviert ist. Und auch wenn er sich für besonders schlau und uns überlegen hält, so hat er uns mit seiner Drohung schon mehr verraten, als er ahnen mag.“ „Tatsächlich?“, fragte Enji skeptisch. Denn auch wenn er Hawks zweifelsohne aus dem Grund um Hilfe gebeten hatte, dass dieser Einblicke in die Gedankengänge und Planungsweisen der Yakuza hatte, die ihm verwehrt blieben, so hatte er doch nicht damit gerechnet, dass der Jüngere aus derart wenigen Anhaltspunkten wertvolle Informationen ziehen konnte. „Warte es nur ab“, zwinkerte Hawks ihm zu. „Du wirst schon sehen.“ Am nächsten Tag traf Enji am vereinbarten Treffpunkt ein und fragte sich nicht zum ersten Mal, was er hier eigentlich machte. Hawks, der am Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte ihm vor wenigen Stunden lediglich mitgeteilt, wann und wo er sich einfinden sollte. Missbilligend ließ Enji den Blick über die Umgebung schweifen. Normalerweise mied er diese Ecke Tokyos, war sie ihm doch zu laut, zu schrill und vor allem viel zu voll. Was sie also gerade nach Harajuku, dem Mekka für Tokyos Jugend und alle, die sich für Mode, Cosplay und generell Ausgefallenes interessierten, verschlug, erschloss sich ihm nicht. Er glaubte nämlich kaum, dass die Yakuza Shouto in einer der Boutiquen oder Purikura-Automaten-Läden versteckte… Aber Hawks, der auf seine Skepsis hin lediglich geheimnistuerisch gezwinkert hatte, würde sich schon etwas dabei gedacht haben… so hoffte er. Nach fünfzehn Minuten, die er am Bahnhof Harajuku, direkt gegenüber dem Eingang zur Takeshita-dōri, gewartet und bereits die ersten irritieren Blicke von Passanten geerntet hatte, tauchte endlich auch Hawks auf, ein entschuldigendes Lächeln um die Mundwinkel. „Sorry, ich bin zu spät!“, keuchte er, als er vor ihm zum Stehen kam und sich die Seite hielt. „Bin immer noch nicht so fit, wie ich gerne wäre.“ „Schon gut“, tat Enji die Entschuldigung ungeduldig ab, obwohl er lieber jetzt als gleich seinen Sohn aus den Klauen der Yakuza befreit hätte. „Wohin müssen wir?“ „Nicht so ungeduldig, Boss“, meinte Hawks schmunzelnd. Enji stolperte über die gewählte Anrede. Hawks ging doch nicht wirklich davon aus, dass er nach seiner Offenbarung so einfach bei der Polizei weitermachen könnte? Was Hawks nicht wusste und auch erst einmal nicht erfahren musste, war jedoch, dass er sein Geheimnis zunächst noch für sich behalten und nicht einmal Yagi eingeweiht hatte. Anders wäre der Schutz, der Hawks im Krankenhaus gewährt worden war, mit Sicherheit von der obersten Führung abgelehnt worden. Ein Polizeibeamter, der von der Yakuza angegriffen wird, hatte schließlich einen ganz anderen Stellenwert als ein abtrünniges Yakuzamitglied, das sich bei der Polizei eingeschleust hatte, um diese zu infiltrieren, Informant hin oder her. Davon, dass Hawks, sollte er bereits jetzt unmittelbar mit dem Tod des erschossenen Mannes in Verbindung gebracht werden, nicht im Krankenhaus, sondern direkt in Untersuchungshaft landen und ihm auf diese Weise nicht mehr nützlich sein würde, gar nicht erst angefangen… unabhängig davon, dass er höchstwahrscheinlich in Notwehr gehandelt hatte. „Unser Ziel ist auch gar nicht weit weg“, fuhr der Jüngere fort und deutete in Richtung des Waldes, der sich hinter dem Bahnhof erstreckte. „Shouto wird im Meiji Jingu Gyōen festgehalten?“, fragte Enji, der seine Skepsis nicht verbergen konnte. „So meine Vermutung, ja.“ „Vermutungen reichen uns hier nicht, Hawks“, grollte Enji und zweifelte einmal mehr an seiner Entscheidung, nicht doch die Polizei hinzuzuziehen. Aber mit den lediglich vagen Informationen, die ihnen zur Verfügung standen, hatte er von dieser keine Hilfe erwarten können. „Ich erkläre es dir, wenn wir drinnen sind“, vertröstete ihn Hawks und machte eine auffordernde Geste in Richtung des bewaldeten Parks, der Enji, weiterhin verstimmt darüber, dass er im Unklaren gelassen wurde, brummend nachkam. Der Eingang zum Park war durch ein imposantes Torii markiert, hinter dem sich ein breiter Schotterweg entfaltete, der zu beiden Seiten von Pflastersteinen eingerahmt wurde. In der nahenden Dämmerung, in der die hohen Bäume das letzte Tageslicht schnell verschluckten, war der Park glücklicherweise nicht mehr allzu gut besucht. Hawks und Enji hielten sich auf der linken Pflasterung – der Schotterweg in der Mitte war den Göttern vorbehalten – und passierten schließlich die Sammlung gespendeter Sakefässer, als Hawks wieder das Wort erhob. „Ich weiß nicht viel über Dabi“, gab er zu. „Aber er hat einen Hang zu Feuer und reißt häufiger Witze darüber, dass er gerne mal einen Stadtpark abfackeln wolle – wobei ich nicht weiß, ob er diese nicht doch ernst meint. In einem Nebensatz hat er auch einmal erwähnt, dass es in seiner Vergangenheit ein großes Feuer in einem Wald gegeben habe. Und da der Meiji Jingu Gyōen der einzige Stadtpark mit Waldcharakter im Zentrum Tokyos ist, in dem sich eine entführte Person auch gut festhalten lässt, sagt mir mein Gefühl, dass wir hier richtig sind.“ Sie durchschritten ein weiteres Torii und betraten den Hauptplatz vor dem Schrein, der bereits in die beginnende Dunkelheit gehüllt, nur von wenigen Laternen beleuchtet und menschenleer war. „Dann hoffen wir mal, dass dein… Gefühl uns nicht im Stich lässt“, knurrte Enji, dem die Begründung etwas weit hergeholt schien. „So, wie du mich im Stich gelassen hast, Vater?“ Enji und Hawks wirbelten herum, überrascht davon, dass sich ihnen jemand unbemerkt von hinten genähert hatte. Vor ihnen, halb im dämmrigen Licht verborgen, stand ein junger, schlanker Mann mit rabenschwarzem Haar, von dessen Gesicht durch sein breites Grinsen nur die weiß aufblitzenden Zähne zu erkennen waren. „Ihr seid also gekommen, sehr schön“, fuhr der Schwarzhaarige fort und jagte mit seiner schaurig klingenden Stimme Enji einen Schauer über den Rücken. War dieser Kerl etwa Dabi? „Wer bist du? Zeige dich!“, forderte Enji in Befehlston, was dem anderen jedoch nur ein gackerndes Lachen entlockte. „Wer ich bin?! Erkennst du mich etwa nicht, Vater? Ich bin es, dein verschollen geglaubter Sohn!“ Die Aussage verwirrte Enji nur noch mehr und gerade, als er ihrem Gegenüber an den Kopf werfen wollte, woher er von Touya wisse und dass er mit ihnen nicht solche Spielchen treiben solle, trat der Schwarzhaarige einen Schritt nach vorne ins Licht. Enji erschrak ob des über und über mit Tätowierungen übersäten Gesichts, jedoch noch mehr, als er dem anderen in die Augen blickte. Augen, so stechend blau wie die seinen, jedoch mit einem derart wahnsinnigen Ausdruck, dass er ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Touya?“, fragte er vorsichtig, nicht sicher, ob seine Augen ihm einen Streich spielten und ob er die Wahrheit, sollte es eine geben, überhaupt ertragen konnte. „Gut erkannt, Vater! Willst du deinen geliebten Sohn nicht in die Arme schließen?“ Enji, der wie vom Donner gerührt auf der Stelle verharrte, weder zu einem sinnvollen Gedanken noch zu einer Bewegung imstande, sah aus dem Augenwinkel, wie Hawks, der sich bisher zurückgehalten hatte, nunmehr einen Schritt vor trat. „Lass den Scheiß, Dabi“, knurrte er bedrohlich und baute sich vor ihm auf. „Gib uns den Jungen und wir überlegen vielleicht, dich unbehelligt laufen zu lassen.“ „Ich glaube kaum, dass ihr in der Position seid, um Forderungen zu stellen, Hawks“, höhnte Dabi. „Vielmehr bin ich derjenige, nach dessen Pfeife ihr tanzt, und das, seitdem ihr den Park betreten habt.“ „Wie meinst du das?“, fragte Hawks betont lässig, wollte sich seine offensichtliche Verwirrung wohl nicht anmerken lassen. „Meinst du etwa, es sei Zufall gewesen, dass ich dir im Krankenhaus den Hinweis auf ein baldiges Ereignis mit meiner Beteiligung gegeben habe? Und dass ich nicht wüsste, dass du dabei gewesen bist, als ich in der Runde von dem Waldbrand in meiner Kindheit erzählt habe, als mich Twice nach der Herkunft meiner Verbrennungsnarben gefragt hat?“ Enji blickte verwirrt von einem zum anderen, wusste schon längst nicht mehr, was er denken, geschweige denn fühlen sollte. War Dabi tatsächlich Touya, sein ältester Sohn, den er vor so langer Zeit auf tragische Weise an die Yakuza und, so glaubte er, an die Flammen, die einer der Entführer entfacht hatte, verloren hatte? Hatte er ihnen eine Falle gestellt? Wo war dann Shouto? Und was wusste Hawks, dem er immerhin die Geschichte seines verschwundenen Sohnes erzählt hatte, darüber? Unsicher, was als Nächstes geschehen würde und was er tun oder sagen sollte, starrte er in seiner Machtlosigkeit Hawks an, hoffte, dass dieser die Situation auf welche Weise auch immer, klären würde. Er sah, wie Hawks, offensichtlich ebenso irritiert wie er selbst, schwer schluckte, sich aber schließlich wieder fing. „Du hast uns also eine Falle gestellt und absichtlich hierher gelockt“, fasste der Blonde Dabis Worte zusammen, was diesem ein weiteres Grinsen entlockte. „Warum der ganze Aufwand? Und wo ist Shouto?“ „Offensichtlich nicht hier“, gackerte Dabi und machte eine ausschweifende Geste. „Aber wo, das verrate ich euch natürlich nicht. Das hier ist meine ganz persönliche Rache… an dir, Hawks, für deinen Verrat und an meinem Vater.“ „Hör auf mit den Lügengeschichten, Dabi!“, forderte Hawks und warf Enji einen – zumindest machte es den Anschein – besorgten Blick zu, als hoffe er, er würde sich von Dabi keinen Bären aufbinden lassen. „Wie soll Endeavor-san bitteschön dein Vater sein? Und was mich angeht, das klären wir wie Männer, also halt die Todorokis da raus!“ „Schon gut, Hawks“, fand Enji schließlich seine Stimme wieder, während er nicht den Blonden, sondern Dabi fixierte, eine Entscheidung getroffen hatte. „Ich glaube, er sagt die Wahrheit.“ „Hast du mich doch endlich erkannt, alter Mann? Ich weiß, unter all der Tinte bin ich vielleicht schwer zu erkennen. Aber irgendwie musste ich die Narben von den Verbrennungen, die ich wegen deines Versagens als Vater davongetragen habe, ja überdecken.“ „Touya, ich… es…“, stammelte Enji, doch Dabi unterbrach ihn mit höhnischem Gelächter. „Deine lahmen Entschuldigungen, die du wahrscheinlich nicht einmal selbst glaubst, kannst du dir sonst wohin stecken! Als die Yakuza mich vor fünfzehn Jahren entführt hat, habe ich jeden Tag gehofft, dass du doch noch kommen und mich retten wirst. Doch mit der Zeit begriff ich, dass dieser Tag nie kommen würde, du mich im Stich gelassen, vielleicht sogar schon vergessen hast… Immerhin hattest du ja noch andere Kinder, allen voran Shouto, der als einziges Kind endlich so geworden war, wie du es dir gewünscht hast. Die Yakuza hingegen hat mich mit offenen Armen aufgenommen und als sie merkten, wie viel Talent ich hatte, in ihrem Sinne ausgebildet. Aufgrund meiner Entstellungen hatten sie mich ohnehin nicht, wie die anderen entführten Kinder, gewinnbringend verkaufen können, also behielten sie mich. Solange ich gehofft hatte, dass du mich doch noch aus ihren Fängen befreist, hatte ich kein leichtes Leben bei der Liga. Doch nach ein paar Jahren und nachdem ich wusste, dass ich dir mittlerweile egal sein musste, habe ich die Arbeit für sie zu schätzen gelernt und bin freiwillig bei ihnen geblieben, als ich vor die Wahl gestellt wurde.“ „Aber… warum?“, fragte Enji, in dessen Kehle sich ein Kloß gebildet hatte, heiser. „Warum bist du nicht nach Hause zurückgekehrt, als du die Chance hattest?“ „Nach Hause?!“, blaffte Dabi. „Die Yakuza ist mein Zuhause, meine Familie, nicht der kaputte Haufen, mit dem ich zufälligerweise das Blut teile. In ihrem Namen kann ich foltern und töten, wie es mir beliebt, ohne dass ich jemandem Rechenschaft ablegen muss. Und wenn ich dir, werter Vater, damit eine Qual bereiten kann, dann ist das nur umso mehr Entlohnung für mich.“ Nach dieser Offenbarung stand Enji wie versteinert da, wusste nicht, wie er hierauf reagieren sollte. Sein ältester Sohn war, zunächst aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeit, ihn zu beschützen, und später aus eigenen Stücken zur Yakuza übergelaufen, hatte auf ihren Geheiß hin geplündert und gemordet, ohne mit der Wimper zu zucken. Das war schlimmer als alles, was er sich als Schicksal für seinen Sohn jemals hatte vorstellen können… schlimmer als alles, was er Hawks vorwerfen konnte, der immerhin keine Freude an dem zeigte, was er für die Yakuza hatte tun müssen. Es war alles nur so weit gekommen, weil er als Vater… als Polizist versagt hatte… Doch daran konnte er nun nichts mehr ändern. Dennoch pochte eine quälende Frage in seinem Hinterkopf, die er an Hawks richtete. „Wusstest du davon?“ „Dass er dein Sohn ist?“, wollte Hawks wissen und schüttelte den Kopf. „Als ich dich kennengelernt und von der Geschichte deines Sohnes erfahren habe, habe ich zwar schon eine gewisse Ähnlichkeit zwischen euch gesehen. Ich habe ihn aber nie konkret mit dir in Verbindung gebracht, insbesondere, da es im Grunde nie vorkommt, dass entführte Kinder bei der Yakuza selbst aufgenommen werden. Das nicht weiter zu hinterfragen, war mein Fehler. Tut mir leid.“ Hawks‘ Worte klangen so ehrlich und er schaute ihm dabei so direkt in die Augen, dass in Enji keinerlei Zweifel an seiner Aufrichtigkeit aufkamen. Er nickte daher nur und wandte sich dann wieder an Dabi, die Schultern gestrafft. „Was geschehen ist, bereue ich, kann es jedoch nicht mehr ändern, so gerne ich das auch täte. Ich kann aber deine Taten im Namen der Yakuza weder gutheißen noch kann ich dich, nur weil du mein Sohn bist, unbehelligt davonkommen lassen. Wir werden dich daher verhaften müssen. Du hast die Wahl: Entweder du stellst dich freiwillig oder es wird ungemütlich.“ „Ungemütlich?“, lachte Dabi aus vollem Halse. „Du überschätzt deine Fähigkeiten, alter Mann.“ „Vielleicht“, gab Enji zu und blickte Hawks vielsagend an. „Aber du unterschätzt seine.“ Wie auf Kommando sprintete Hawks los, doch damit schien Dabi gerechnet zu haben, denn er machte einen Schritt zur Seite und entkam so Hawks‘ direktem Angriff. Den nächsten gezielten Faustschlag konterte der Schwarzhaarige mit der Außenseite seines Unterarms und setzte gleichzeitig dazu an, Hawks‘ Beine wegzutreten. Dieser wich dem anderen jedoch aus und drehte sich zeitgleich um die eigene Achse, um Dabi von hinten in den Schwitzkasten zu nehmen. Aber auch diesem Manöver kam Dabi zuvor, indem er Hawks an beiden Handgelenken zu packen kriegte. „Mehr hast du nicht drauf?!“, höhnte Dabi und entblößte seine Zähne. Hawks antwortete nicht, sondern grinste nur und verpasste just in der Sekunde, in der Dabi nicht aufpasste, diesem einen Schlag mit der Stirn gegen den Kopf. Während Dabi zurücktaumelte und dadurch Hawks‘ Arme losließ, sah Enji, wie er etwas aus seinem Hosenbund hervorholte. Noch ehe Hawks realisieren konnte, was sein Gegner in der Hand hielt, hatte dieser die Waffe bereits entsichert und zielte damit auf den auf ihn zustürmenden Blonden, der keine Chance hatte zu reagieren. „Hawks!“, rief Enji, obwohl er wusste, dass sein Ausruf den Jüngeren auch nicht aus der Schussbahn bringen würde. Gleichzeitig riss er seine eigene Waffe, die er im Anschlag gehalten hatte – sie wollten Dabi nicht töten, lediglich festnehmen – hoch, und, innerlich mit sich ringend, schoss nach einem kurzen Moment des Zögerns. Die Kugel traf ihr Ziel und mit einem Schmerzensschrei flog Dabi die Pistole aus der Hand, in deren Handrücken nunmehr ein kreisrundes Loch klaffte. „Du schießt auf mich, Vater?!“, rief Dabi vor Überraschung und in schmerzverzerrter Wut aus und warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Diese Sekunde war alles, was Hawks brauchte, um Dabi zu Fall zu bringen, ihn am Boden zu fixieren und seine Arme hinter den Rücken zu biegen. Enji entging dabei nicht, dass sich Hawks die Wunde in der Hand des anderen zunutze machte, indem er diese, sobald Dabi sich zu wehren begann, drückte, um den anderen unter Kontrolle zu halten. Enji eilte zügigen Schrittes hinzu und legte seinem Sohn die Handfesseln auf dem Rücken an, ehe er begann, seine Taschen nach gefährlichen Gegenständen abzusuchen. Tatsächlich wurde er schnell fündig, förderte ein Benzinfeuerwerk zu Tage, mit dem es ein Leichtes gewesen wäre, einen Waldbrand anzufachen, und hielt es Dabi unter die Nase. „Ich schätze, das hier wirst du für eine ganze Weile nicht wiedersehen“, sagte Enji an Dabi gewandt, was dieser jedoch lediglich mit einem abfälligen Schnauben und einem noch gehässigeren Blick in Hawks’ Richtung quittierte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)