Dead End von Lichtregen (Endeavor x Hawks) ================================================================================ Kapitel 10: Bad Game -------------------- An einem regnerischen Mittwochmorgen etwa einen Monat später hätte Enji in seiner Hast, dem Regen draußen zu entkommen, beinahe eine zierliche Frau umgerannt, die ihm entgegenkam und das Gebäude verlassen wollte, als er durch die Eingangstür des Polizeipräsidiums stürmte. Eine knappe Entschuldigung murmelnd, eilte er an ihr vorbei in die Eingangshalle, ohne jedoch den Blick zu heben. Es goss draußen in Strömen und so hatte er keine Gelegenheit gefunden, seinen Regenschirm außerhalb des Gebäudes vom Wasser zu befreien, ohne selbst nass zu werden. Obwohl er sich dafür die finsteren Blicke passierender Kollegen einfing, schüttelte er seinen Schirm in der Lobby aus, wo er eine kleine Pfütze hinterließ, und stellte ihn erst danach zu den anderen in den abschließbaren Schirmständer. Nicht dass ihn die Meinung anderer sonst interessieren würde, aber gerade heute war er erst recht nicht in der Stimmung, sich über derlei Nichtigkeiten Gedanken zu machen. Er zuckte daher nur innerlich mit den Schultern, warf einen letzten Blick nach draußen in den regnerischen Sturm und machte sich auf den Weg zu seinem Stockwerk. Den aufkeimenden, ironischen Gedanken, dass das Wetter dieses verregneten Tages gewissermaßen seine Stimmungslage widerspiegelte, verdrängte er dabei rasch. Im Grunde gab es auch keinen Grund, Trübsal zu blasen. Er sollte und würde das Ganze als Chance, als Neuanfang sehen, was es ja auch war. Und auch wenn manche ihn dafür verurteilen, vielmehr Trauer oder Wehmut in seiner Situation von ihm erwarten würden, fühlte er sich doch eher... befreit. Keine zwei Minuten später hatte er die Treppen bis zur dritten Etage erklommen und wollte sich gerade unbemerkt in sein Büro stehlen, als er hinter sich eine vertraute Stimme hörte. „Hey, Endeavor-san, schicker Anzug! Solltest du öfter tragen!“ Hawks, der gerade um die Ecke gebogen kam, eine volle Kaffeetasse in der Hand, zwinkerte und musterte ihn ungeniert von oben bis unten. Enji, der diesen Blick weder angemessen fand noch sich generell gerne derart anstarren ließ, brummte nur verstimmt und ließ Hawks links liegen, indem er an diesem vorbeimarschierte. So sehr er sich an Hawks‘ flapsige Sprüche und heitere Art gewöhnt hatte, diese sogar auf gewisse Weise mochte, erwischte ihn dieser damit heute Morgen auf dem falschen Fuß. „Sorry, hab‘ ich was Falsches gesagt?“, plapperte der Jüngere jedoch weiter drauf los und stellte sich ihm halb in den Weg. „Schon gut“, gab Enji grollend zurück und wollte sich an dem anderen vorbeischieben, der jedoch nicht lockerließ. „War heute was Besonderes?“, hakte Hawks nach und nickte in Richtung seines Anzugs. „Kommt ja sonst nicht vor, dass du Jackett und Krawatte trägst. Ist heute ein wichtiges Meeting, von dem ich noch nichts weiß? Die Recherche zur Pachinko-Halle dauert wohl noch eine Woche, also –“ „Kein Meeting“, unterbrach ihn Enji schroff und wurde langsam ungehalten. Er wollte lediglich in sein Büro, eine oder mehrere Tassen Kaffee hinunter- und sich in die Arbeit stürzen, um sich abzulenken. Stattdessen wurde er von dem Blonden mit Fragen gelöchert, auf die er keine Antwort geben wollte. Weder Hawks noch sonst jemandem. „Was ist dann der Grund dafür, dass –?“, setzte Hawks an, doch Enji schnitt ihm erneut das Wort ab. „Das geht dich nichts an!“ Sein Tonfall war ruppiger ausgefallen, als er es beabsichtigt hatte, was er sogleich bereute, als er sah, wie sich für einen kurzen Moment ein Schatten über Hawks‘ Gesicht legte. Dieser war zwar so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war, doch Enji war sich sicher, sich den verletzten Gesichtsausdruck des anderen nicht nur eingebildet zu haben. Dabei hatte er sich doch geschworen, nach dem heutigen Tag niemanden mehr absichtlich oder unabsichtlich zu verletzen... „Dann will ich dich mal nicht weiter aufhalten, Endeavor-san“, gab Hawks tonlos, aber mit einem versucht heiteren Lächeln zurück. „Du hast bestimmt viel zu tun und...“ „Todoroki-san, Hawks-kun, einen wunderschönen guten Morgen!“, durchbrach eine andere wohlbekannte Stimme die für eine unangenehme Sekunde lang zwischen ihnen eingetretene Stille. Enji spürte, wie seine Knie unter der Wucht des Schlages, den Yagi ihm auf die Schulter verpasst hatte, ein wenig einknickten. Das heitere Gemüt seines Chefs hatte ihm gerade noch gefehlt... „Du trägst ja Anzug, Todoroki-san“, kommentierte Yagi das Offensichtliche und nickte verständnisvoll, während er ihm kondolierend die Schulter tätschelte. „Heute war der Termin der Scheidung, nicht wahr? Schade, dass das mit Rei und dir nicht geklappt hat. Aber du weißt, wenn du etwas brauchst oder ich etwas für dich tun kann... du kannst auf mich zählen!“ Und mit diesen Worten und einem letzten aufmunternden Lächeln und Schulterdrücken ging er weiter in Richtung seines eigenen Büros. Enji fühlte sich, als hätte ihn ein Zug überrollt, und auch Hawks schien von der bizarren Szene mehr als irritiert zu sein, fing sich aber schneller wieder als er selbst. „Du... bist geschieden?“, fragte Hawks zögernd und räusperte sich, hatte wohl Bedenken, erneut seinen Zorn anzufachen. Da die Wahrheit jetzt ohnehin schon ans Licht gekommen war – woher Yagi diese auch immer kannte, war ihm schleierhaft, da er die Scheidung zuvor niemandem gegenüber erwähnt hatte –, brachte es jetzt nichts mehr, die Tatsachen zu leugnen. Er zuckte daher nur mit den Schultern. „Meine Frau und ich haben uns heute einvernehmlich scheiden lassen“, erklärte er knapp, da es dazu auch nicht mehr zu sagen gab. „Zur Abgabe der gemeinsamen Erklärung waren wir heute Morgen bei der örtlichen Behörde.“ „Für so einen Anlass ist ein Anzug nur angemessen“, pflichtete Hawks ihm nickend bei. „Tut mir leid wegen deiner Ehe“, fügte er noch mit einem aufmunternden Lächeln hinzu. In seiner Stimme schwang jedoch, wie Enji irritiert feststellte, neben dem in so einer Situation angemessen mitfühlenden Ton auch ein ganz anderer unterschwelliger Unterton mit, den er jedoch nicht definieren konnte. „Es gibt nichts, was dir leidtun müsste“, entgegnete Enji wahrheitsgemäß, nicht erpicht darauf, dieses Thema weiter zu verfolgen. „Es war unsere Entscheidung.“ Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Enji konnte erneut nicht sagen, was er in den Augen des anderen sah, doch es... ließ den bitteren Geschmack in seinem Mund, den der heutige Termin bei ihm hinterlassen hatte, ein wenig milder werden. „Genug von meinem Privatleben!“, brach Enji schließlich brummend das Schweigen. „Die Arbeit erledigt sich nicht von selbst.“ „Aye aye, Chef!“, salutierte Hawks mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, das auch Enji ein kleines Schmunzeln entlockte, und verschwand in seinem Büro. Enji, der noch an Ort und Stelle stand, wusste nicht, wie Hawks es geschafft hatte, aber seine Stimmung war schon deutlich besser als noch vor wenigen Minuten, als er die dritte Etage betreten hatte. Ein Blick durch das Fenster nach draußen verriet ihm, dass auch der Regenschauer aufgehört hatte und die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brachen. Ein wirklich komischer Morgen... Mit diesem Gedanken und leichteren Schrittes als zuvor machte er sich auf den Weg zu seinem Büro. Es gab noch viel zu tun, bis sie der Pachinko-Halle einen Besuch abstatten könnten. Am Donnerstag der nächsten Woche stiegen Enji und Hawks aus dem vollgestopften Zug am Bahnhof in Akihabara aus, die sie vom Polizeipräsidium aus genommen hatten – ein Auto zu nehmen, wäre zu auffällig und unpraktisch gewesen. Es war Rushhour nach Arbeitsschluss, die perfekte Zeit, um sich unauffällig unter die Arbeitnehmer zu mischen, die zur Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag in Massen in die Automatenhallen strömten. Enji mochte nicht ausschließen, dass manche, der Sucht des Glücksspiels verfallen, gar jeden Tag hierherkamen. Sie nahmen den Ausgang zur Electro Town und Enji, der sich trotz zahlreicher Besuche Akihabaras nie an die bunten und schrillen Farben der mehrstöckigen Gebäude, die mit blinkenden Lichtern, überlebensgroßen Darstellungen von Animefiguren und Musik um die Gunst der Kunden wetteiferten, gewöhnt hatte, blinzelte angestrengt. Hawks hingegen schien das Lichtermeer nicht im Geringsten zu stören. Vielmehr starrte er staunend hinauf zu den Reklametafeln, ließ seinen Blick neugierig hin- und herschweifen, offensichtlich unentschlossen, wo er zuerst hinschauen sollte. „Wow! Das ist also das berühmte Anime-, Elektronik- und Gaming-Mekka Tokyos!“, sagte er mit ehrwürdiger Stimme, begleitet von einem begeisterten Funkeln in seinen braunen Augen. „Du warst noch nicht hier?“, wunderte sich Enji. Da der andere offensichtlich – anders als er selbst – Interesse an den in Akihabara angebotenen Waren hatte, hätte er erwartet, dass Hawks diesem längst einen Besuch abgestattet hatte. Dieser zuckte jedoch nur die Achseln. „Zu viel zu tun... Aber wenn du mich das nächste Mal begleiten willst...“ Hawks ließ den Satz unvollendet, schaute ihn lediglich erwartungsvoll an. Doch Enji hatte für derlei gerade keinen Nerv und ignorierte ihn somit gekonnt, auch wenn er sich selbst kurz dabei ertappte, wie ein Teil von ihm auf den Vorschlag eingehen wollte. „Die Pachinko-Halle ist noch ein gutes Stück vom Bahnhof entfernt. Komm jetzt“, brummte er nur kurz angebunden und setzte sich in Bewegung. Aus den Augenwinkeln sah Enji, wie Hawks mit den Schultern zuckte und ihm dann folgte. „Drinnen wird es sehr laut sein“, fuhr Enji fort, als sie die erste Ampel überquert hatten und in eine Gasse einbogen. „Wir sollten uns daher nicht zu weit voneinander entfernen und den Blickkontakt nicht verlieren. Im Zweifel können wir uns nur auf diese Weise verständigen.“ „Ich hab‘ den Einsatz geplant, Endeavor-san. Ich weiß das alles.“ Zwischen Enjis Augenbrauen bildete sich eine Zornesfalte. Dass der Blonde sich jetzt schon herausnahm, ihm so frech zu kommen, wenn er den Einsatz noch einmal kurz zusammenfassen und auf das Wichtigste hinweisen wollte, war neu und stank ihm gewaltig. „Dann weißt du ja auch, dass du für uns gleich Geld in Metallkugeln umtauschen wirst. Wenn wir nicht selbst zwischendurch spielen, erregen wir sonst zu viel Aufmerksamkeit.“ „Ist quasi schon erledigt“, zwinkerte Hawks und raschelte mit einem kleinen Bündel Geldscheine aus insgesamt 5.000 Yen, die sie von der Behörde zu Ermittlungszwecken zur Verfügung gestellt bekommen hatten. „Und wenn wir was gewinnen?“, wollte Hawks wissen, in dessen Augen erneut ein spitzbübisches Funkeln trat. „Wenn du – was ich bezweifle – mehr Metallkugeln sammelst, als du einsetzt, kannst du den Gewinn von mir aus hinterher bei einem der Sachpreisstände eintauschen“, antwortete Enji, warf ihm aber einen strengen Blick zu. „Ich will aber nicht sehen, wie du hinterher etwaig gewonnene Feingoldbarren bei einem der zwielichtigen Händler um die Ecke zu Bargeld machst. Such dir also eher ein Parfüm, eine Sonnenbrille oder sonst etwas aus. Verstanden?“ „Ach Menno“, schmollte Hawks. Enji musste tief durchatmen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Hawks trieb es heute aber auch wirklich auf die Spitze... „Geldgewinne sind in Japan verboten!“, grollte er unheilvoll, was Hawks mit einem schiefen Grinsen erwiderte. „Weiß ich doch. Ich mach doch nur Spaß!“ „Das will ich für dich hoffen...“ knurrte Enji, der sich darüber ärgerte, dass sein finsterer Blick nicht die erhoffte Wirkung auf Hawks hatte... wobei, die hatte er leider nie. Wenige Minuten später hatten sie ihr Ziel erreicht. Hawks tauschte das Bargeld gegen Metallkugeln ein, die sie unter sich aufteilten, und betrat als Erster die Spielhalle. Eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse empfing sie, als sie durch die Tür eingetreten waren und diese hinter sich geschlossen hatten. Die Mischung aus Rattern, Klingeln und Musik, die sich zu einem undefinierbaren Krach vermengten, machte es, wie erwartet, nahezu unmöglich, miteinander zu kommunizieren. Aber auch zum perfekten Versteck für jegliche kriminellen Machenschaften, da hier weder jemand Nachfragen stellen noch genauer hinsehen würde; dafür waren die vielen Gäste, die sich bereits an den Automaten tummelten, zu sehr auf ihr Spiel fixiert. Enji blickte zu Hawks, der ihm wild gestikulierend etwas zurief, das er jedoch mit keiner Silbe verstand. Da Hawks resignierend begriff, dass verbale Kommunikation tatsächlich keinen Sinn hatte, ruckte er mit dem Kopf nach rechts und zeigte dabei auf sich, ehe er zuerst auf Enji und dann nach links deutete. Enji nickte stumm, dass er verstanden hatte. Er wandte sich nach links und trat in den zweiten Gang zu seiner Rechten ein, in dem sich etwa vierzig Automaten zu beiden Seiten aneinanderreihten. Bemüht unauffällig schlenderte er zwischen den Automaten entlang, wollte den Anschein vermitteln, als suche er nach dem perfekten Platz. Tatsächlich hätte er sich weder sonderlich um Unauffälligkeit bemühen noch so tun müssen, als suche er einen besonderen Ort. Denn sämtliche Automaten außer einem, an dem ein „außer Betrieb“-Schild hing, waren bereits von Spielern besetzt, die eifrig ihre Automaten mit Kugeln fütterten und seine Anwesenheit nicht einmal wahrnahmen. Am Ende des nächsten Ganges fand Enji schließlich einen freien Platz, der ihm – das Glück war offensichtlich auf seiner Seite – sogar einen Überblick über die kleine Bar und den rückwärtigen Bereich, von dem mehrere Türen abgingen, bescherte. Wenig erpicht darauf, Staatsgelder für dieses unsinnige Spiel zu vergeuden, sich aber gleichzeitig mahnend, dass sie ihre Tarnung aufrechterhalten mussten, warf er seine Kugeln in den passenden Behälter am Automaten. Der allgegenwärtige Lärm drückte dabei so sehr auf seine Ohren, dass er sich kaum konzentrieren konnte. Das und die Tatsache, dass er es mit seinen riesigen Pranken nicht gewohnt war, filigrane Tätigkeiten auszuüben, waren wohl der Grund dafür, dass er das Rad zu stark nach rechts drehte und die Kugeln, anstatt auf Hindernisse zu stoßen und so in die Nähe des Jackpots zu gelangen, am Spielfeld vorbeischossen und für immer verschwanden. Verärgert über sein fehlendes Geschick und den unnötigen Verlust von zwanzig Kugeln, verzog Enji das Gesicht und versuchte erneut sein Glück. Dieses Mal betätigte er den Hebel so vorsichtig, wie es ihm möglich war, und tatsächlich blieben einige Kugeln hängen, kamen dem Loch, das Gewinn verhieß, jedoch nicht näher als die von zuvor. Enji hatte schon fast die Hälfte seiner Kugeln verspielt, wobei zwischendurch durch geringe Gewinne ein paar neue hinzugekommen waren, als er aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie sich an der letzten Tür der gegenüberliegenden Wand etwas tat. Ein glatzköpfiger, gänzlich in Schwarz gekleideter Mann mit einer Körpergröße, die mit seiner eigenen mithalten konnte, nestelte an dem Schlüsselloch herum, während er sich verstohlen nach allen Seiten umschaute. Als er das Schloss schließlich geöffnet hatte, huschte er nach einem letzten Blick über die Schulter durch die Tür, die hinter ihm wieder zufiel. Enji hatte zwar nicht viel gesehen, doch sein untrügliches Ermittlungsgespür sagte ihm, dass dieser Mann nicht zum offiziellen Personal der Pachinko-Halle, das mit Getränken und anderen Serviceleistungen aufwartete, gehörte. Etwas an diesem Mann machte ihn stutzig und die einzige Möglichkeit herauszufinden, was das war, war, diesem zu folgen. Er sammelte seine restlichen Kugeln ein, stopfte sie in die Tasche und machte sich auf die Suche nach Hawks. Hawks zu finden, war leichter, als er gedacht hatte. Kaum war er um die nächsten zwei Ecken gebogen, sah er schon von Weitem den zerzausten blonden Hinterkopf, zu dessen Füßen eine Kiste voller Kugeln. „Schau dir mal diesen Gewinn an, Endeavor-san!“, wurde er freudestrahlend und, ohne dass der andere seinen Blick von dem Gerät abwandte, brüllend begrüßt. „Da staunst du, was?“ „Wir waren uns doch einig, dass wir uns unauffällig verhalten...“, murmelte Enji missgelaunt und auch mit einer Spur Neid auf das glückliche Händchen, das Hawks offensichtlich bei Glücksspiel hatte. Dass Hawks ihn bei dem ganzen Krach überhaupt verstand, grenzte an ein Wunder. Aber vielleicht konnte Hawks seine Worte auch nur anhand seines missbilligenden Gesichtsausdrucks erahnen. „Was denn? Ich mache doch nur meinen Job und spiele hier am Automaten... Ganz unauffällig“, entgegnete Hawks und zog dabei eine Grimasse, die halb schmollend, halb belustigt aussah. „Es ist nicht gerade unauffällig, innerhalb von nicht einmal zehn Minuten eine ganze Kiste voller Kugeln gewonnen zu haben“, grollte Enji zurück, was Hawks‘ Grinsen jedoch nicht zum Wanken brachte. „Zumal wir nicht hier sind, um Gewinne einzustreichen.“ „Wenn du den dubiosen Typ an der Tür vorhin meinst, den habe ich auch gesehen“, trumpfte Hawks mit beiläufigem Ton auf. Enjis Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen. Eigentlich dürfte er von Hawks, der seine Fähigkeiten nicht das erste Mal unter Beweis gestellt hatte, nicht mehr überrascht werden können. Und dennoch fragte er sich einmal mehr erstaunt, ob Hawks nicht eine Art Wunderkind oder Genie war, dass er derartig gute Resultate bei dem Spiel erbringen und gleichzeitig seine Umgebung im Auge behalten konnte. Aber sei es, wie es war. Wenn auch Hawks diesen Kerl als untypisch empfunden hatte, sollten sie dieser Spur nachgehen. „Lass deinen Gewinn hier“, forderte Enji und ruckte mit dem Kopf kurz in Richtung der Kiste. „Wir schauen uns diese Tür näher an.“ „Aber wäre das nicht auffällig, den Gewinn zurückzulassen?“ „Nimm von mir aus so viel mit, wie du in deine Taschen kriegst“, lenkte er ein. „Aber wir haben jetzt keine Zeit, deinen Gewinn vorher noch einzulösen.“ Hawks wirkte enttäuscht, zuckte schließlich aber resigniert mit den Achseln und füllte die großzügigen Seitentaschen seiner ausladenden Hose. Keiner der um sie herumsitzenden Spieler nahm von ihnen Notiz, als sie Hawks‘ restlichen Gewinn zurückließen und sich zu der Tür, die sich am Ende der letzten Automatenreihe befand, begaben. „Abgeschlossen“, stellte Enji mit einer Spur Enttäuschung fest, als er die Klinke betätigte, auch wenn er kaum damit gerechnet hatte, dass sie so viel Glück hätten und die Tür unverschlossen vorfinden würden. „Lass mich mal“, sagte Hawks, quetschte sich an ihm vorbei Richtung Tür, holte etwas aus den Untiefen seiner Hosentasche und begann, an der Tür zu werkeln. Keine fünf Sekunden später gab das Schloss ein bei dem Krach kaum wahrnehmbares klackendes Geräusch von sich und die Tür öffnete sich einen Spalt breit nach innen. Enji starrte Hawks ungläubig an. Er hatte nicht erwartet, am heutigen Abend erneut von dem Blonden überrascht zu werden, insbesondere nicht davon, dass dieser derartige Diebestricks beherrschte. „Kleiner Taschenspielertrick“, zwinkerte Hawks, der seinen ungläubigen Blick wohl gesehen hatte, und zuckte erneut mit den Schultern. „Ist immer ganz nützlich, sich die Kniffe der Kriminellen zunutze zu machen.“ „Das kann man wohl sagen...“, brummte Enji, der nicht wusste, ob er froh oder verärgert darüber sein sollte, dass sie dank Hawks‘ fragwürdigen Fingerfertigkeiten ihrem Ziel zumindest einen Schritt nähergekommen waren. Er warf noch einen Blick über die Schulter, vergewisserte sich, dass keiner der in der Nähe sitzenden Spieler sie beobachtete, und stieß die Tür auf. Dahinter kam ein kleiner Treppenabsatz zum Vorschein, von dem aus eine Steintreppe nach unten in die Dunkelheit führte. Enji tauschte einen kurzen Blick mit Hawks, der ihm bestätigend zunickte, ehe sie nacheinander in die Dunkelheit traten, die sie umfasste, als sich die Tür hinter ihnen schloss. Aus der Tiefe flackerte ein Lichtschein, der durch eine offensichtlich angelehnte Tür aus einem beleuchteten Raum ins Treppenhaus drang und ihnen zumindest so viel Licht spendete, dass sie die Treppe ohne eigene Lichtquelle hinuntergehen konnten. Langsam und bedacht darauf, keine verräterischen Geräusche zu machen, stiegen sie Stufe um Stufe die Treppe hinab, Enji voran, Hawks hinter ihm. Als sie noch etwa fünf Stufen vor dem Treppenende waren, blieb Enji stehen und hob die Hand, signalisierte Hawks, es ihm gleichzutun, damit er nicht in ihn hineinrannte. Er hatte Stimmen vernommen und wagte kaum zu atmen, um zu hören, was sie sprachen. „Wenn du weiterhin so ein ungezogenes Mädchen bist, werde ich dich erst häuten, dann ausweiden und dann deine Innereien zum Abendessen verzehren“, hörte er eine schneidende Männerstimme, die er aus dem Gefühl heraus dem dubiosen Mann im schwarzen Mantel zuordnete. Enjis Körper spannte sich automatisch an, war direkt in Alarmbereitschaft. Was hatte das zu bedeuten? War dieser Keller ein Versteck für verschleppte Frauen und Kinder und bedrohte der Glatzkopf eine der Geiseln... womöglich ein junges Mädchen? Aber wie brachte die Yakuza die Entführten, ohne Aufsehen zu erregen, durch die stets überfüllte Eingangshalle im Obergeschoss? Oder gab es noch einen zweiten Eingang? „Lass mich doch in Ruhe!“ Ein dumpfes Geräusch ertönte, das Enji nicht zuordnen konnte. Hatte der Mann das Mädchen mit dem Kopf auf einen Tisch geschlagen oder sie geschubst und sie war gefallen? Die weibliche Stimme klang jedenfalls weder sonderlich verzweifelt noch ängstlich, was er in Anbetracht der offenen Drohung als sehr untypisch empfand. „Du denkst, das ist eine leere Drohung?“, hakte der Mann nach und klang nun deutlich bedrohlicher als noch zuvor. „Du bist wertlos und es wird niemanden stören, wenn ich dir ein paar Körperteile abschneide. Lecker gebraten oder auch frisch und blutig könnte ich deinem unbedeutenden Leben noch einen Sinn geben.“ Enji hörte Schritte und eine Sekunde später einen Schrei, der ihm durch Mark und Beim fuhr. „Lass mich los, du Widerling!“ Sein Körper reagierte wie von selbst, als er die letzten Stufen der Treppe heruntersprintete und die Tür aufriss, die Waffe im Anschlag. Wie aus weiter Ferne nahm er noch wahr, wie Hawks ihm dicht auf den Fersen folgte. „Hände hoch, Polizei!“, donnerte er und richtete seine Waffe auf den einzigen Mann im Raum, der sich einem Mädchen mit seitlichen blonden Zöpfen, das auf einer Pritsche saß, genähert und es am Handgelenk gepackt hatte. Der Glatzkopf starrte ihn zwar überrascht, aber nicht schockiert an. Vielmehr fing er sich schnell wieder und grinste, zeigte dabei zwei Reihen unnatürlich scharfer Zähne. „Oh, die Polizei! Jetzt hab‘ ich aber Angst!“, höhnte er und zerrte am Handgelenk des Mädchens, das sich bei der Berührung offensichtlich unwohl fühlte, ein angewidertes Gesicht machte. „Was wollt ihr hier, Rotschopf und Blondie? Habt ihr nicht ein paar Verkehrskontrollen zu machen? Nehmt die Knarren runter und verschwindet!“ „Übergib uns erst das Mädchen, dann können wir über alles reden!“, versuchte es Enji auf diplomatischem Wege, senkte die Waffe jedoch nicht. Er hatte die Befürchtung, dass der Glatzkopf dem Mädchen womöglich ein Leid zufügen könnte, sobald er den Versuch unternahm, sich ihm zu nähern. Und wenn er auf ihn schoss, traf er womöglich noch die Geisel, die sich zu seiner Erleichterung glücklicherweise ruhig verhielt. Eine Zwickmühle. „Endeavor-san...“, setzte Hawks an, doch Enji hatte gerade kein Ohr für seine Einwände oder Vorschläge, brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er musste sich ganz auf die vor ihm liegende Aufgabe, das Mädchen aus den Klauen seines Peinigers zu befreien, konzentrieren. „Also, wird’s bald?!“, forderte er mit bellender Stimme, die von den Wänden des kahlen Raumes, in dem sich lediglich ein Schreibtisch und ein Regal mit unzähligen Ordnern sowie die Pritsche befand, widerhallte und legte den Finger auf den Abzug. „Mal langsam mit den jungen Pferden, Rotschopf!“, gackerte der Mann mit gebleckten Zähnen, hob aber beschwichtigend die Hände und löste dabei den Griff vom Handgelenk des Mädchens. „Wenn du sie unbedingt haben willst... kannst du sie gerne haben. Ich brauche sie eh nicht mehr.“ Das Mädchen, das die ganze Zeit über still gewesen war und die Szene beobachtet hatte, stand von der Pritsche auf, entfernte sich von dem Glatzkopf und kam langsam auf ihn und Hawks zu. Enji entspannte sich ein wenig, schien die Situation doch unter Kontrolle zu sein, da der Mann keine Anstalten machte, sie anzugreifen oder das Mädchen aufzuhalten. Enji spürte vielmehr, als dass er sah, wie sich Hawks neben ihm anspannte. Verwundert über diese Reaktion warf er dem Blonden einen kurzen fragenden Blick zu und genau in diesem Augenblick ging alles sehr schnell. Wie in Zeitlupe registrierte Enji, dass das blonde Mädchen plötzlich ein Messer gezückt und den Abstand zwischen ihnen binnen weniger Schritte überwunden hatte. Zu schnell und zu nah, als dass er seine Waffe rechtzeitig hätte auf sie richten und schießen können, ehe sie ihn mit dem Messer direkt in die Brust stechen würde. Ein Schleier aus blondem Haar schnellte an ihm vorbei und noch ehe er reagieren, geschweige denn eingreifen konnte, hatte sich Hawks vor ihn gestellt, zwischen ihn und das herabsausende Messer. Blut spritzte und er reagierte wie auf Autopilot, als er den Blonden auffing, das Messer bis zum Anschlag versenkt in dessen Körper sah. „Hawks!!“ Rasend vor Wut und aufkeimender Panik und Sorge um den Jüngeren riss er mit der freien Hand die Waffe hoch und feuerte blindlings in die Gegend, hörte nur aus weiter Ferne einen Schmerzensschrei des anderen Mannes. „Toga, lass mich nicht zurück!“ Doch das Mädchen, offensichtlich nicht erpicht darauf, ebenfalls von einer Kugel durchsiebt zu werden, hatte nur ein hässliches Grinsen für seinen Partner übrig, das Enji ihrem unschuldig aussehenden Gesicht gar nicht zugetraut hätte. „Mach’s gut, Moonfish! Jeder ist sich selbst der Nächste, was?“ Und mit diesen Worten verschwand sie aus dem Raum und die Treppe hoch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)