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Dead End

Endeavor x Hawks
von

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Bad History

Die Position, in der Hawks kniend über Muscular verharrte, fing allmählich an, unangenehm zu werden, als wenige Minuten später bereits die allzu bekannte, jedoch besorgt klingende Stimme ihres Chefs ertönte.

„Todoroki-san, Hawks-kun, ist bei euch alles in Ordnung?!“

Yagi ließ sich neben ihn und Endeavor, der sich nach einer sehr kurzen Erholungsphase auch an der Fixierung des Festgenommenen beteiligt hatte, fallen und fasste ihn mit seinen riesigen Pranken an den schmalen Schultern. Währenddessen nahmen sich die ebenfalls eingetroffenen SIT-Beamten dem renitenten Muskelberg an, der, kaum dass Hawks und Endeavor ihren Griff um ihn gelockert hatten, wieder um sich zu schlagen begann.

„Wir leben, kein Grund zur Panik, Yagi“, grollte Endeavor, der Yagis Fürsorge offensichtlich vollkommen übertrieben fand und dessen Händen auf seinen Schultern einen grimmigen Blick zuwarf.

„Was Endeavor-san eigentlich sagen wollte, ist, dass sich keiner von uns ernsthafte Verletzungen zugezogen hat“, warf Hawks, innerlich schmunzelnd, ein, um die Situation zu entschärfen; die Stirnader des Rothaarigen hatte bereits gefährlich angefangen zu pochen.

„Das freut mich zu hören!“ Ihr Chef strahlte über beide Ohren und ließ seine Schultern, nachdem er sie kurz bestärkend gedrückt hatte, wieder los. „Das war übrigens hervorragende Arbeit von euch beiden! Dank eures beispiellosen Einsatzes ist die Mission ein voller Erfolg geworden!“

„Vielen Dank, Yagi-san, wir –“

„Spar dir die Lobeshymnen, Yagi. Wir haben nur unsere Pflicht getan“, fuhr Endeavor Hawks dazwischen und wiegelte das Gesagte mit einer abwertenden Handbewegung ab.

Yagis vor Stolz geschwellte Brust sank ob der Wucht seiner Worte ein wenig in sich zusammen.

„Es würde dir nicht schaden, ernst gemeintes Lob auch einmal anzunehmen, Todoro – Was hast du mit deinen Händen gemacht?!“

Yagi, dessen Blick bei Endeavors Handbewegung auf seine geschwollenen und blutigen Knöchel gefallen war, schnappte sich eines von seinen Handgelenken und betrachtete mit sorgenvoller Miene die aufgeplatzte Haut, ehe er Endeavors blutunterlaufenes Auge näher in Augenschein nahm.

„Du solltest das untersuchen und behandeln lassen, Todoroki-san. Wenn sich das entzündet... Und dein Auge sieht auch nicht gut aus.“

Mit eindringlichem Blick fixierte er Endeavors eisblaue Augen, doch dieser löste bereits mit einem Ruck seine Hände aus dessen Griff und entfernte sie damit aus seinem Blickfeld.

„Das ist nichts, nur eine Schürfwunde. Nicht der Rede wert.“

„Und ob das der Rede wert ist!“, widersprach Yagi vehement. „Die Platzwunde über deinem Auge könnte auch genäht werden müssen und –“

„Das muss warten“, schnitt Endeavor ihm ruppig das Wort ab. „Erst müssen wir den Einsatz beenden, die Geiseln versorgen lassen und... den Entführer vernehmen.“

„Du wirst heute gar nichts mehr tun. Den Einsatz werde ich allein zu Ende führen. Du ruhst dich aus.“

Yagis autoritärer Tonfall ließ keine Widerrede zu und Hawks sah, wie Endeavor grollend die Zähne zusammenbiss und eine wütende Antwort hinunterschluckte.

„Wenn du schon nicht ins Krankenhaus gehst, von mir aus“, fügte Yagi, als er keinen Protest mehr zu erwarten schien, noch hinzu. „Aber dann geh wenigstens nach Hause, von hier ist es ja nicht weit. Und lass dich von jemandem begleiten.“

„Ich brauche keinen Babysitter.“

„Aber jemanden, der deine Wunden versorgt“, erklärte Yagi in einem Tonfall, der, wie Hawks mit einem Anflug von Respekt für den Älteren feststellte, trotz der vor Zorn flammenden Aura Endeavors vollkommen ruhig war. „Hawks-kun hat für heute Abend genug geleistet. Er wird freigestellt und dich begleiten. Das ist mein letztes Wort.“

Hawks spürte Endeavors finsteren Blick auf sich ruhen, ließ sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Wenn er eine Aufgabe bekam, würde er sie auch ausführen, selbst wenn er ebenfalls nicht erpicht darauf war, Endeavor so schnell wieder so nahe kommen zu müssen. Nicht, nachdem nach dem letzten Mal gerade erst ein paar Stunden vergangen waren... Doch seine Gedanken an das Geschehen in der Umkleide mussten warten. Jetzt galt es erst einmal, Befehlen zu gehorchen. Und wenn er eines konnte, dann das.

„Wird erledigt, Boss“, bestätigte Hawks, dass er die Aufgabe verstanden hatte, und wandte sich an den Rothaarigen. „Wenn wir den Wagen nehmen, sind wir in einer Viertelstunde da.“

„Du kennst den Weg?“, fragte Yagi verblüfft und Hawks hätte sich für sein loses Mundwerk in diesem Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. Dass Endeavor nach ihrer durchzechten Nacht im Stripclub von ihm nach Hause gebracht worden und nicht, wie er behauptet hatte, den Weg mit einer Magenverstimmung allein angetreten war, war bislang ihr im stillschweigenden gegenseitigen Einverständnis gehütetes Geheimnis geblieben. Und so sollte es auch bleiben, wenn es nach Hawks ging.

Auch Endeavor schien nicht begeistert von seinem Ausrutscher zu sein, da seine Augen ihn mit eiskalten Blicken erdolchten.

„Hawks hat mir nach der Arbeit vor kurzem ein paar Unterlagen nach Hause gebracht, die ich im Büro vergessen hatte“, tischte er Yagi die offensichtlich erstbeste Lüge auf, die ihm eingefallen war.

Die Lüge war so simpel, dass sich Hawks zurückhalten musste, sich nicht seufzend mit der Hand durch das Gesicht zu fahren. Denn er rechnete fest damit, dass Yagi diese mit Leichtigkeit durchschauen und nachbohren würde. Doch er wurde überrascht.

„So einsatzfreudige Kollegen, die einem selbst nach Feierabend unter die Arme greifen, sind ein echter Segen. Nicht wahr, Todoroki-san?“

Endeavor und er tauschten einen flüchtigen Blick, der Hawks verriet, dass der andere dasselbe dachte wie er. War diese Formulierung Yagis bloßer Zufall oder wusste er mehr von den Geschehnissen am Abend im Busty Bunny, als er zugab? Aber woher...?

„Jedenfalls“, fuhr Yagi fort, als keiner von ihnen Anstalten machte, darauf zu reagieren, und zwinkerte ihnen zu, „bist du bei Hawks in guten Händen. Also husch husch, macht euch auf den Weg!“

Und mit diesen Worten und nach unten wedelnden Händen entließ er sie und machte auf dem Absatz kehrt, um sich den übrigen Einsatzmitgliedern zuzuwenden.

„Dann wollen wir mal!“, sagte Hawks schließlich, als er mit Endeavor allein war, und machte eine ausladende Verbeugung. „Nach dir!“

Endeavor brummte missgelaunt, setzte sich aber in Bewegung und nahm so das Grinsen auf Hawks‘ Gesicht nicht mehr wahr.
 

Die Fahrt zu Endeavors Residenz verlief – und das war wahrlich ein Wunder – ohne jegliche Zwischenfälle. Der Ältere hatte es sich trotz seiner Verletzungen nicht nehmen lassen, am Steuer zu sitzen, auch wenn Hawks dies nicht für die beste Idee hielt. Aber wenn sich der Rothaarige erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er trotz seiner herausragenden Überredungskünste nicht davon abzubringen. Selbst wenn dies hieß, dass Hawks bei jeder roten Ampel, der sich Endeavor, ohne in angemessenem Abstand davor abzubremsen, näherte, ihr Ende nahen sah. Denn er befürchtete, Endeavor würde aufgrund seiner Kopfwunde ohnmächtig oder aus einem anderen verletzungsbedingten Grund unaufmerksam werden.

Während der Fahrt tauschten sie nur wenige Worte, hüllten sich größtenteils in Schweigen und verarbeiteten jeder für sich die Ereignisse des Tages.

Hawks warf hin und wieder einen verstohlenen Blick Richtung Fahrersitz und fragte sich, ob Endeavor auch eher über den Vorfall vorher als den Einsatz selbst nachdachte. Wobei, so wie er diesen kennengelernt hatte – pragmatisch, effizient und ehrgeizig –, verschwendete Endeavor wahrscheinlich keinen zweiten Gedanken an das, was unausgesprochen seit der Umkleidekabine zwischen ihnen stand. Nein, mit Sicherheit schwelgte er gerade im Hochgefühl des erfolgreichen Einsatzes oder ärgerte sich über die kurzzeitigen Probleme, die diesen erschwert hatten, vielleicht auch über seinen emotionalen Ausbruch, als Yagi den Zugriff zur Rettung der Geiseln abgelehnt hatte.

Ganz sicher aber maß Endeavor der Situation in der Umkleidekabine keine größere Bedeutung bei, tat es als einmaliges Ereignis ab, über das sich weiteres Nachdenken nicht lohnte. Denn dieser hatte ihn, obwohl er ja sonst auch nicht auf den Mund gefallen war und nicht davor zurückschreckte, andere vor den Kopf zu stoßen, bis jetzt nicht darauf angesprochen. Immerhin hatte er seinen Erklärungsversuch vorhin prompt mit der Begründung des anstehenden Einsatzes abgewürgt, der nunmehr aber längst beendet war.

Wobei Hawks selbst nicht wusste, was er Endeavor eigentlich hätte sagen wollen. Er hatte schlicht keine vernünftige Erklärung für das, was passiert war.

Es war einfach mit ihm durchgegangen.

Aber so einfach war es dann doch nicht und auch Hawks konnte sich nicht selbst vormachen, dass die Begründung so simpel war. Auch wenn ihm so manche Lüge viel zu leicht über die Lippen kam, so war es deutlich schwieriger, sich selbst zu täuschen.

Er machte keinen Hehl daraus, hing es aber auch nicht an die große Glocke, dass ihm Männer mehr zusagten als Frauen. So war es schon gewesen, seit er sich das erste Mal auf andere als bloß freundschaftliche Weise für eine andere Person interessiert hatte. Doch bisher waren es stets Kerle in seinem Alter gewesen, vielleicht fünf bis zehn Jahre älter, die sein Interesse geweckt hatten.

Als er jedoch Todoroki Enji kennengelernt hatte, hatte er sich trotz des deutlichen Altersunterschiedes auf für ihn völlig überraschende Weise von diesem angezogen gefühlt. Ob es seine stechenden blauen Augen, sein durchtrainierter, muskelbepackter Körper oder einfach die Tatsache war, dass er – wie eigenartig das auch in seinen eigenen Ohren klang – in ihm eine Art Vaterfigur sah, die er nie wirklich hatte? Er wusste es nicht und hatte auch nicht die Absicht, es herauszufinden.

Denn eines stand fest, und zwar, dass ihm dieses Chaos in seinem Kopf ganz und gar nicht gelegen kam. Nicht nur, dass Endeavor sein direkter Vorgesetzter bei der Polizei war und er es sich nicht mit ihm verscherzen durfte. Er hatte auch eine Aufgabe zu erfüllen, der er sich vollends verschrieben hatte und die seiner vollen Aufmerksamkeit bedurfte.

Doch Todoroki Enji... Endeavor brachte seine Entschlossenheit ins Wanken.

Er hatte die Anziehungskraft, die von diesem ausging, anfänglich noch ignorieren und mit lockeren Sprüchen, die dem anderen zu seiner eigenen Belustigung sichtlich unangenehm gewesen waren, überspielen können. Doch das Blatt hatte sich gewendet, als sie gemeinsam den Stripclub besucht und er den anderen nachts nach Hause gebracht hatte.

Hawks hatte zunächst nur wissen wollen, was für ein Mensch der andere war. Schon bei ihren ersten Treffen hatte er den sich später bestätigenden Eindruck gewonnen, Endeavor sei ein grimmiger, zum Jähzorn neigender, alter Mann. Er hatte ihn zwar attraktiv, sogar anziehend gefunden, aber nicht mehr, sodass er es als lästige Schwärmerei hatte abtun können. Doch in dieser einen Nacht hatte er eine andere, emotionalere, gar verletzliche Seite an dem Älteren entdeckt, indem dieser im betrunkenen Zustand Dinge gesagt hatte, die Hawks dazu bewegt hatten, ihn mit anderen Augen zu sehen.

Zu dem rein körperlichen war ein emotionaler Aspekt hinzugetreten, der die verfahrene Situation nur noch verkompliziert hatte.

Er konnte zwar nur mutmaßen, was tatsächlich geschehen war. Doch die Bruchstücke, die Endeavor gequält von sich gegeben hatten, ließen ihn vermuten, dass dieser jemanden an die Yakuza verloren hatte... so wie er selbst.

Doch als ob die Entdeckung dieser persönlichen Verbindung an diesem Abend nicht schon genug gewesen war, hatte es auch nicht gerade geholfen, dass er Endeavors Körper schließlich nur noch mit Boxershorts und Shirt bekleidet gesehen hatte... Aber noch ehe der Alkohol ihn zu etwas Törichtem hätte verleiten können, hatte er, sobald er Endeavors Kleidung entgegengenommen und zusammengelegt hatte, schnell das Anwesen verlassen.

Seit dieser Nacht spielten seine Gedanken immer mehr verrückt. Es reizte ihn herauszufinden, wie weit er bei dem anderen gehen konnte, wie sehr der andere ihm vertraute... und ob – wie unwahrscheinlich dies aufgrund der Tatsache, dass Endeavor Familie hatte, auch sein mochte – dieser das Ganze auf irgendeine Weise erwiderte. Er spielte auch mit den Gedanken, dass, sollte Endeavor darauf eingehen, er daraus vielleicht auch einen Vorteil für sich herausschlagen könnte... Doch so sehr sein Hirn auch alle möglichen Pläne spann, wusste er, dass sie doch nur Hirngespinste bleiben würden... bleiben mussten.

Aber als Endeavor plötzlich erneut halb nackt vor ihm gestanden hatte, war er nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen, hatte schlichtweg die Kontrolle verloren und sein Körper hatte sich verselbstständigt. Und als ob die Tatsache, dass er für seine schamlose Anmache wohl keine Repressalien zu befürchten hatte, nicht schon verblüffend genug war, überraschte es Hawks umso mehr, dass der Ältere doch nicht so... abgeneigt schien, wie er erwartet hatte. Immerhin hatte Endeavor ihn weder von sich gestoßen noch verbal zurechtgewiesen.

Doch ganz gleich, wie er selbst zu dem Rothaarigen stand und in welche Richtung das Ganze gegangen wäre, wenn Yagi nicht hereingeplatzt wäre. So etwas durfte sich nicht noch einmal wiederholen. Er bereute, was er getan hatte, denn es war ein Spiel mit dem Feuer gewesen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel, als dass er dies durch so etwas Banales wie diese merkwürdige Anziehung zwischen ihnen leichtfertig gefährden würde.

Er würde also weiterhin lächeln, seine Späße machen, ganz der Alte sein. Niemand würde Verdacht schöpfen, dass es in seinem Inneren ganz anders aussah. Denn eine Maske zu tragen, war er gewohnt.

Er musste sich einfach nur beherrschen. So wie immer.
 

„Zieh die Schuhe aus“, grollte Endeavor zehn Minuten später, als sie sein Anwesen erreicht und den Eingangsbereich betreten hatten.

Hawks, der lediglich einen Schritt weiter als vielleicht allgemein üblich gegangen war und auf diese Weise womöglich den Eindruck vermittelt hatte, er wollte den Wohnbereich mit Schuhen betreten, schnaubte empört.

„Das hast du das letzte Mal auch gesagt, Endeavor-san.“ Lässig schlüpfte er aus seinen Arbeitsschuhen und ließ sie halb im Gang stehen, wo er sie ausgezogen hatte. „Auch das letzte Mal brauchte ich – der gut erzogene japanische Junge, der ich bin – nicht erst deine Ermahnung, um zu wissen, was sich in einem japanischen Haus gehört.“

Endeavors Augenbraue zuckte verdächtig, als sein Blick auf die unordentliche Anordnung der Schuhe fiel, was Hawks innerlich grinsen ließ.

„Dann werde deinen japanischen Manieren auch gerecht und stell die Schuhe ordentlich hin.“

„Bin ich zum Aufräumen oder dafür da, um dich zu... verarzten?“, entgegnete Hawks schelmisch und konnte es nicht lassen, bedeutungsvoll mit den Augenbrauen zu wackeln.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du gar nicht mitkommen müssen...“

„Wie kannst du sowas nur sagen!“, rief Hawks aus und griff sich theatralisch an die Brust. „Mein armes Herz!“

„Genug herumgealbert“, knurrte Endeavor, während er Richtung Wohnzimmer voranging. Hawks hätte schwören können, dass der andere kurz genervt die Augen verdreht hatte.

Über beide Ohren grinsend folgte er dem Rothaarigen in den Wohnraum und kam dabei nicht umhin, dass ihn die Ausmaße dieses Raumes erneut erstaunten. Auch wenn Endeavor den Standard seines Hauses heruntergespielt hatte, lebte er dennoch ziemlich... protzig.

„Wo finde ich die Erste-Hilfe-Box?“, fragte er Endeavor, der bereits auf dem Sofa Platz genommen hatte und dabei sein sich violett färbendes Auge betastete.

„Im Bad. Letzte Tür links.“
 

Hawks fand das ebenfalls überdimensionierte Badezimmer an der beschriebenen Stelle und kehrte wenige Minuten später mit Desinfektionsmittel, sterilen Tüchern und Verbänden, einer Schale Wasser sowie Pflastern und Salben zurück.

„Ich sollte mir zuerst deine Platzwunde an der Stirn ansehen. Das Blut ist schon überwiegend getrocknet und die Stelle sollte vorher gereinigt werden, um zu sehen, ob ein Pflaster reicht oder sie doch medizinisch versorgt werden muss“, erklärte Hawks, der sich neben Endeavor auf der Couch niederließ.

Dieser brummte zustimmend, schien immer noch nicht sonderlich angetan von der Idee, sich versorgen lassen zu müssen, sich seinem Schicksal aber zu ergeben.

Hawks tauchte das Tuch ins Wasser, wrang es kurz aus und setzte sich Endeavor so gegenüber, dass er dessen Stirn gut erreichen konnte. Behutsam strich Hawks über die blutigen Stellen, befreite Auge und Stirn von Blut und Schmutz.

Er spürte förmlich, wie Endeavors eisblaue Augen ihn bei der Arbeit fixierten, wagte es aber nicht, den Blick zu erwidern. Er schaffte es schon kaum, seinen Herzschlag zu beruhigen, und musste all seine Konzentration darauf verwenden, seine Hände nicht zittern zu lassen, da er befürchtete, sich durch einen Blick in die Augen des anderen zu verraten.

Dass ihm die körperliche Nähe zu dem Älteren so sehr zusetzte, kratzte an seinem Stolz. Und noch mehr, dass er überhaupt damit zu kämpfen hatte, die Beherrschung nicht zu verlieren.

Endeavor war doch nur ein Mann, der zwar für sein Alter einen beachtlich muskulösen Körper aufwies und auch ansonsten nicht unansehnlich war. Doch er hatte schon unzählige Erfahrungen mit ebenso attraktiven Männern gemacht, von denen ihn aber keiner so sehr aus der Fassung gebracht hatte wie der Rotschopf.

Vielleicht lag es gerade an dem Verbotenen, was ihn so reizvoll machte? Der Altersunterschied, der unterschiedliche Status, die Tatsache, dass Endeavor als Familienvater womöglich gar nicht auf Kerle stand?

Hawks drängte seine Gedanken beiseite. Sich im Kreis zu drehen und die nicht zu klärenden Fragen immer wieder durchzukauen, würde ihn nur mürbe machen. Und er brauchte seine ganze Willenskraft, die Fassade aufrechtzuerhalten, seine Rolle zu spielen. Er durfte nicht ins Wanken geraten.
 

Endeavor hielt die ganze Zeit über still, während er die Wunde reinigte, Salbe auftrug und schließlich mit einem wundenverklebenden Pflaster seine Arbeit beendete. Glücklicherweise war die Verletzung nicht groß gewesen und würde so mittels Pflaster von alleine abheilen.

Hawks betrachtete sein Werk und stellte fest, dass Endeavor der Bluterguss unter dem Auge und das Pflaster auf der Stirn zusätzlich zu seiner Narbe ein verwegenes Aussehen verliehen, das seinen Magen sich nervös zusammenziehen ließ. Um nicht den Eindruck zu vermitteln, dass er den anderen übergebührlich anstarrte, richtete er seinen Blick stattdessen auf dessen Hände.

„Ich bin hier oben fertig. Die Wunde war nicht so tief wie befürchtet, sodass ein Pflaster reichen sollte.“

„Gut“, sagte Endeavor knapp und fügte nach einer kurzen Pause, in der er offensichtlich seine nächsten Worte überlegte, hinzu: „Danke.“

„Nicht der Rede wert!“, meinte Hawks und schenkte ihm ein breites Lächeln. „Jetzt müssen wir uns aber noch um deine Hände kümmern.“

„Nicht nötig, das schaffe ich allein.“

„Keine Widerrede!“, meinte Hawks und nahm Endeavors Hände unaufgefordert in seine. „Ich bin den Weg doch nicht gefahren, um nach der Hälfte der Arbeit aufzuhören!“

Von Endeavor erntete er nur ein grimmiges Schnauben, doch da der andere ihm seine Hände nicht entzog, begann er, die dortigen Wunden näher in Augenschein zu nehmen. Die Haut an den Knöcheln war an mehreren Stellen aufgeplatzt und blutig, ansonsten wiesen die Hände jedoch keinerlei Brüche oder andere Verletzungen auf.

Hawks strich sanft mit einem neuen Tuch über die rissigen Stellen, wollte die Haut nicht noch mehr strapazieren. Es würde wohl reichen, nach der Reinigung eine Salbe aufzutragen, um die Wundheilung zu unterstützen.

Hawks kam nicht umhin festzustellen, wie riesig Endeavors Hände im Vergleich zu seinen eigenen waren. Sie waren hart wie Stahl, kräftig und so groß, dass sie seine eigenen Hände komplett umschließen könnten. Ihre Haut war an den meisten Stellen rau und doch nicht so grob, dass es unangenehm gewesen wäre, sie zu berühren.

Es war ein faszinierendes Gefühl, die Linien an den Handinnenflächen mit seinen Fingern nachzufahren, während er die Salbe auf den Knöcheln mit dem Daumen einmassierte. Er hielt die Hände in seinen, blickte wie hypnotisiert auf diese herab und merkte gar nicht, wie sich Endeavors Falte zwischen den Augenbrauen immer mehr verstärkte.
 

Wie aus weiter Ferne hörte er ein Räuspern.

„Hawks...“

„Wa –“

Ertappt schreckte Hawks ein wenig hoch und ließ die Hände des anderen los, als hätte er sich an ihnen verbrannt.

Verdammt! Er hatte sich doch trotz seiner Vorsätze irgendwie in dem Rausch, der ihn bei der Arbeit durchflutet hatte, verloren... hatte erneut die Kontrolle verloren.

„’tschuldige“, murmelte er, als er sich eine Sekunde später wieder gesammelt hatte und innerlich für seine Leichtfertigkeit verfluchte. „Ich war gerade irgendwie in Gedanken.“

„Das war nicht zu übersehen“, entgegnete Endeavor gedehnt. „Ich denke, wir sind hier jetzt fertig.“

Hawks betrachtete sein Werk und tatsächlich hätte man Endeavors Hände nicht besser versorgen können. Er zuckte daher nur mit den Achseln und zwinkerte.

„Ich habe mein Bestes gegeben, also will ich keine Beschwerden hören.“

„Mmpf“, machte Endeavor unbestimmt und verfiel in ein kurzes Schweigen.

„Du warst wirklich... gut... heute. Ohne dich hätten wir das nicht geschafft... Danke“, quetschte Endeavor schließlich bereits zum zweiten Mal an diesem Abend zwischen halb zusammengebissenen Zähnen hervor und Hawks dachte erst, sich verhört zu haben.

„Nana, Endeavor-san, solches Lob ist man von dir ja gar nicht gewohnt!“, neckte Hawks ihn mit wackelnden Augenbrauen. „Lob mich bloß nicht zu viel, sonst gewöhne ich mich noch daran.“

„Halt den Mund“, grollte der andere zurück und setzte eine finstere Miene auf. „Sonst überlege ich es mir noch und nehme es zurück.“

„Nun sei doch nicht gleich so ernst“, lachte Hawks und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Darf man hier nicht mal einen Scherz machen?“

Endeavors Ausdruck nach zu urteilen, war dieser nicht gerade zu Scherzen aufgelegt.

„Schon gut“, lenkte Hawks daher ein und hob beschwichtigend die Hände, als er von dem Blick des Älteren förmlich erdolcht wurde.

„Ich verstehe, dir ist das Thema ernst. Deine Reaktion, als der Geiselnehmer den Jungen misshandelt hat... Der Menschenhandel mit Kindern ist bei dir was Persönliches, stimmt’s?“, hakte Hawks vorsichtig nach, hatte er doch beim letzten Mal, als er das Thema angeschnitten hatte, eine Abfuhr erhalten.

Endeavor musterte ihn scharf, schien innerlich mit sich zu ringen, ob er ihm vertrauen und dazu etwas sagen sollte oder nicht.
 

Es war bereits so viel Zeit seit seiner Frage vergangen, dass er nicht mehr mit einer Antwort rechnete. Doch er wurde erneut überrascht.

„Ist es“, bestätigte Endeavor schließlich und fixierte ihn dabei mit einem intensiven Blick. „Aber das ist eine längere Geschichte.“

„Ich hab‘ Zeit“, erwiderte Hawks prompt und lehnte sich entspannt auf dem Sofa zurück.

Der andere zögerte erneut.

„Dann hole ich uns was zu trinken“, sagte der Ältere schließlich, erhob sich und ging in Richtung der Bar, aus der er zwei Gläser und eine Flasche bernsteinfarbener Flüssigkeit holte. Er verschwand kurz in der Küche und kam wenig später mit zwei gefüllten Gläsern wieder, von denen eines zusätzlich mit Eiswürfeln bestückt war.

„Da du ja eher dem süßen Zeug zugeneigt bist, was meine Hausbar jedoch nicht hergibt, dachte ich, du bevorzugst vielleicht eher einen Whiskey on the rocks“, kommentierte Endeavor und stellte das Glas vor ihm auf dem Couchtisch ab.

„Danke, sehr aufmerksam von dir“, sagte Hawks lächelnd und nahm das Glas in die Hand. Er mochte Whiskey zwar nicht sonderlich, aber die Situation schien zu erfordern, dass sie miteinander tranken... vielleicht, damit Endeavor seine Zunge lockern konnte.

Dieser nahm neben ihm auf dem Sofa Platz, sagte jedoch nichts.
 

Mehrere Minuten des Schweigens vergingen, in denen jeder nur hin und wieder an seinem Drink nippte. Hawks würde den anderen nicht drängen, seine Geschichte zu erzählen. Wenn Endeavor bereit war, würde er von selbst beginnen. Und wenn er es sich anders überlegte, auch gut. Ganz gleich, was der andere mit sich herumtrug, es fiel ihm offensichtlich nicht leicht, darüber zu reden, und das respektierte er.

Nach einer gefühlten Ewigkeit holte Endeavor schließlich tief Luft und sagte in einem bedächtigen Tonfall, der so gar nicht zu dem Älteren passen wollte:

„Die wenigsten Personen, geschweige denn Arbeitskollegen, wissen davon und so soll es auch bleiben. Das Letzte, was wir in der aktuellen Situation gebrauchen könnten, wäre, dass meine Integrität oder Neutralität, was die Leitung der Ermittlungen angeht, infrage gestellt wird. Ich verlange daher absolute Diskretion von dir, Hawks.“

Endeavors eisblaue Auge bohrten sich in die seinen und jeder andere, der nicht Hawks’ Selbstbeherrschung besessen hätte, wäre unter dem intensiven Blick zusammengeschrumpft.

„Ich verstehe“, erwiderte Hawks knapp und nickte. „Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.“

Auch Endeavor nickte kurz und lehnte sich etwas entspannter zurück, schwenkte das Whiskeyglas in seiner Hand.

„Wie du auf dem Foto in der Sonnenblende gesehen hast, habe ich vier Kinder“, setzte der Ältere an und blickte Hawks auffordernd an, als ob er nach Bestätigung suchen würde.

Hawks nickte daher und wartete geduldig, dass Endeavor fortfuhr.

„Mein ältester Sohn, Touya, war ein schlauer und talentierter Junge, an den ich als Erstgeborenen hohe Erwartungen stellte. Ich hatte die Hoffnung, dass auch er die polizeiliche Laufbahn einschlagen und vielleicht in meine Fußstapfen treten würde.“

Er seufzte schwer und starrte nunmehr sein Glas statt Hawks an, als ob ihm dieser Anblick die Kraft geben würde weiterzusprechen.

„Doch Touya war nicht gänzlich gesund. Er hatte eine seltene Autoimmunerkrankung, die ihn so sehr schwächte, dass seine roten Haare mit der Zeit jegliche Farbe verloren und weiß wurden, und deren Behandlung schwierig und langwierig war. Als die Krankheit diagnostiziert wurde, war er acht Jahre alt und hatte den Leistungsdruck, den ich ihm auferlegt hatte, so sehr verinnerlicht, dass er seine schulischen und sportlichen Leistungen weiterhin erbringen wollte.

Ich wollte nicht wahrhaben, dass er krank war, und habe ihn, während er auf dem schmalen Grat zwischen Behandlung und Schule balancierte, in seinem Ehrgeiz gewähren lassen. Wie sich für mich erst später herausstellte, obwohl ich es schon viel früher hätte erkennen müssen, war dies ein schwerer Fehler.“

Er hielt inne und nahm einen neuerlichen Schluck aus seinem Glas.

„Touya steigerte sich in den Gedanken hinein, in allem der Beste zu sein, um meine Erwartungen an ihn zu erfüllen. Doch anstatt ihn aufzufangen und bei seiner Heilung zu unterstützen, habe ich stattdessen meine Hoffnungen in seine jüngeren Geschwister gesteckt, da ich wollte, dass sich Touya mehr auf seine Behandlung als auf seine Leistungen konzentriert. Ich dachte, indem ich mich mehr der Ausbildung seiner Geschwister zuwende, würde ich ihm die Last, der Erstgeborene zu sein, abnehmen.

Doch dadurch habe ich es nur schlimmer gemacht und ihn noch mehr in die Enge getrieben. Denn um weiterhin von mir anerkannt zu werden, wollte er noch mehr Leistung erbringen und vernachlässigte seine Behandlung. Damals habe ich diesen Fehler, der zu einem Teufelskreis wurde, nicht erkannt. Bis es dann zu spät war.“

„Was ist passiert?“, fragte Hawks zögerlich, aber auch neugierig, als Endeavor erneut eine Pause machte und in Gedanken zu versinken schien.

„Mit 27 Jahren, Touya war gerade sieben Jahre alt, wurde ich auf eigenen Wunsch zur Kriminalpolizei versetzt. Ich wollte schnell die Karriereleiter erklimmen und habe, um dieses Ziel zu erreichen, mehr Zeit und Energie in meine Arbeit gesteckt als in meine Familie. Selbst als Touya krank wurde, habe ich die Nächte und Wochenenden im Büro verbracht. Meine Kinder tragen mir dies heute noch nach... zu Recht. Aber ändern kann ich es heute nicht mehr.“

Endeavor seufzte erneut schwer und seine Stimme klang leicht verändert, als er weitersprach.

„Um Touyas zehnten Geburtstag herum gelang mir dann endlich der erste große Erfolg, der meiner Karriere enormen Auftrieb gab. Ich war einer Gruppe aus etwa einem Dutzend Männern auf der Spur, die sich im Laufe der Ermittlungen als Handlanger der Yakuza herausstellte. Dank meinen Ermittlungen konnten wir diese Männer auf einen Schlag festnehmen. Einige von ihnen hatten damals wertvolle Informationen, andere weigerten sich wiederum, mit uns zu kooperieren, und sitzen heute noch im Gefängnis oder sind dort unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen.“

Hawks, der gebannt an Endeavors Lippen gehangen hatte, zuckte kurz zusammen, doch der andere schien davon nichts mitbekommen zu haben, sondern erzählte, den Blick auf sein in der Hand schwenkendes Glas gerichtet, weiter:

„Das war damals ein herber Rückschlag für die Yakuza, die für diesen Akt Vergeltung üben wollte.

Natürlich wusste ich, dass der Beruf eines Polizisten Gefahren mit sich bringt, besonders, wenn man einer kriminellen Vereinigung auf den Fersen ist. Doch ich habe, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, nicht damit gerechnet, dass sie herausfinden würden, wer hinter diesem Schachzug steckte. Ich war damals nur ein kleiner Fisch im großen Teich und wiegte meine Familie und mich in Sicherheit.

Doch das war ein Trugschluss. Sie kamen, als ich am wenigsten damit rechnete. Wenige Monate nach der Festnahme der zwölf Männer überredete mich meine Frau zu einem Wochenendausflug zum Berg Takao-san, dessen Wald zu dem Zeitpunkt im Herbst vor fünfzehn Jahren in seinen schönsten Farben leuchtete. Obwohl ich viel zu tun hatte, sagte ich widerwillig zu und ich übernachtete für zwei Nächte mit der Familie in einem kleinen Haus am Waldrand.

Touya verhielt sich schon das ganze Wochenende über merkwürdig, was mir zwar auffiel, dem ich jedoch keine besondere Bedeutung beimaß. Am späten Nachmittag des zweiten Tages bat mich mein Sohn, mit ihm Herbstlaub für ein Kunstprojekt seiner Schule fotografieren zu gehen, doch ich lehnte ab, da ich meinen damals einjährigen jüngsten Sohn im Auge behalten wollte.

So ging Touya allein los. Da er nach mehreren Stunden immer noch nicht zurückgekehrt war und es bereits dunkel wurde, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Nach einer halben Stunde entdeckte ich seine Kamera, die achtlos auf dem Boden zurückgelassen worden war. In der Nähe hörte ich einen Schrei und rannte in die Richtung, aus der er gekommen war.“

Hawks bemerkte er jetzt, dass er den Atem angehalten und sich gespannt nach vorne gelehnt hatte. Bemüht, locker zu wirken, ließ er sich wieder nach hinten gegen die Kissen sinken.

„In der Ferne erblickte ich Touya, der von zwei Männern in dunkler Kleidung zu einem Fahrzeug gezerrt wurde. Er wehrte sich mit Händen und Füßen und bei der Gelegenheit fiel einem der Männer das entzündete Feuerzeug, das er leichtfertigerweise und wohl in dem Glauben, mit dem Jungen leichtes Spiel zu haben, für eine Zigarette herausgeholt hatte, aus der Hand. Der trockene Waldboden ging, als der Wind das Feuer anfachte, sofort in Flammen auf und hatte bis zu dem Zeitpunkt, als ich den Ort erreicht hatte, bereits eine Wand aus Feuer gebildet.

Ich habe nicht gesehen wie, aber Touya konnte sich zwischenzeitlich losreißen und kam mir entgegengerannt, da der Weg hinter ihm von den Männern und dem Auto versperrt war... direkt in die Flammen hinein. Ich geriet in Panik und stürmte auf meinen Sohn, dessen Oberkörper bereits Feuer gefangen hatte, zu. Dabei nahm ich nicht wahr, wie einer der Männer einen großen Ast aus den Flammen genommen hatte, mit dem er mich, kaum dass ich Touya nahe genug gekommen war, um ihn erreichen zu können, niederstreckte.“

„Hast du daher die Narbe?“, warf Hawks, der Endeavor eigentlich nicht unterbrechen wollte, seine Neugier aber nicht zurückhalten konnte, ein.

„Ja, der Ast hat mich im Gesicht erwischt und mir die linke Gesichtshälfte verbrannt“, bestätigte der Rothaarige und strich sich scheinbar gedankenverloren über die Narbe, die sich von seiner Lippe bis zu seinem Haaransatz zog.

„Was ist mit deinem Sohn passiert?“, fragte Hawks nach einem kurzen Moment der Stille und seine Worte blieben ihm fast in seiner ausgetrockneten Kehle stecken.

„Bevor mich die Ohnmacht und die Schmerzen übermannen konnten, sah ich noch, wie der andere Mann Touya aus den Flammen zog, ihn in eine Decke hüllte und zum Auto schleppte. Das war das letzte Mal, dass ich meinen Sohn gesehen habe.“

Endeavor stockte und schluckte schwer.

„Weißt du, was aus ihm geworden ist?“

Ihre Augen trafen sich und Hawks hatte noch nie so viel Schmerz und Leid im Blick eines anderen Menschen gesehen.

„Nein“, krächzte Endeavor heiser und räusperte sich, um hörbarer fortzufahren. „Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt oder er seinen Verbrennungen erlegen ist. Ich weiß nur, dass dies die Rache der Yakuza dafür war, dass ich ihnen Monate zuvor eins ausgewischt hatte.“

Darauf wusste Hawks nichts zu erwidern, sodass er Endeavor lediglich bestärkend die Hand auf die Schulter legte. Eine Weile lag die Stille schwer wie Blei über ihnen.

„Danke, dass du mir das erzählt hast.“

Endeavor murmelte etwas Unverständliches und Hawks wandte lieber den Blick ab, wollte nicht, dass der Ältere wahrnahm, dass er dessen Tränen bemerkt hatte. Er leerte den Rest seines Glases in einem Zug, stellte es vor sich auf den Tisch und erhob sich.

„Es war ein langer Tag heute,“ sagte Hawks und blickte Endeavor an, als dieser den Kopf hob. „Wir sollten unseren Erfolg später gebührlich feiern, aber für heute Abend sollten wir uns erst einmal ausruhen.“

Endeavor brummte zustimmend und Hawks schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, ehe er sich umdrehte und Richtung Ausgang ging.

„Hawks“, sagte Endeavor mit leicht, aber für seine geschulten Ohren deutlich wahrnehmbar belegter Stimme, woraufhin sich Hawks noch einmal umdrehte. „Nach dem, was du heute geleistet hast... hast du dir meinen Respekt... und mein Vertrauen verdient.“

Hawks‘ Lächeln wurde breiter und er nahm die Worte schweigend entgegen, ohne diese durch eine unbedachte Äußerung womöglich ins Lächerliche zu ziehen und den Moment zu zerstören.

Die Worte bedeuteten ihm etwas. Und das war das Problem.

Nach einem letzten Blickkontakt wandte sich Hawks wieder um, zog im Eingangsbereich seine Schuhe an und verließ ohne ein weiteres Wort oder einen Blick zurück das Haus.
 

„Du bist spät dran, Hawks“, ertönte eine gedehnte Stimme aus der Dunkelheit, als er eine Dreiviertelstunde später den Eingang zu einem schäbigen, unscheinbaren Gebäude erreicht hatte.

„Ich hatte noch zu tun“, erwiderte Hawks, der keine Lust verspürte, sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen, knapp. Besonders nicht mit dieser Person.

„Soso, hast dich wieder bei der Polizei herumgetrieben, was?“, höhnte der andere und lachte bedrohlich.

„Du weißt, was ich tue“, kommentierte Hawks die offensichtliche Provokation und versuchte, an dem anderen vorbei durch die Tür zu gehen, doch sein Gegenüber trat einen Schritt vor und versperrte ihm den Weg.

Ein mit von Tätowierungen kaschierten Narben übersätes und doch junges Gesicht, eingerahmt von schwarzem Haar, kam im Licht der entfernten Straßenlaterne zum Vorschein. Die türkisfarbenen Augen lodernd vor Wahnsinn und die Zähne durch ein unheilvolles Grinsen gebleckt.

„Oh, ich weiß, was du tust“, gackerte dieser nur und stach ihm mit seinem ausgestreckten Zeigefinger in die Brust. „Die Frage ist nur, ob du weißt, was du tust.“

Hawks stockte kurz, hatte sich aber schnell wieder gefangen und begegnete dem wahnsinnigen Blick des anderen mit so viel Verachtung und gleichzeitig Gelassenheit, wie er in dem Moment aufbringen konnte, während er die Hand des anderen wegstieß und sich an ihm vorbeidrängte.

„Kümmere dich um deinen eigenen Kram... Dabi.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein riesiges Dankeschön auch und besonders bei diesem Kapitel an lunalinn für die Grundidee, dass sich Hawks um Enjis Wunden kümmert, sowie die klugen Verbesserungen beim Betan. :)
Ich hatte echt Bedenken beim Schreiben dieses Kapitels, gerade weil es das erste aus Hawks' Sicht war und ich mich so an Enji gewöhnt hatte. Und da ich selbst noch nicht so richtig einen Plan im Kopf hatte. Aber wie so oft kommen einem erst beim Schreiben selbst die besten Ideen.
Ich bin gespannt auf eure Gedanken zu dem Kapitel. :)
LG Lichtregen Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: lunalinn
2021-04-04T09:25:25+00:00 04.04.2021 11:25
Oh Gott, Ali...vorneweg, dieses Kapitel hat mich einfach nur gekillt!
Es hat so viele...Tiefen, denn Höhen ist ja irgendwie nicht das richtige Wort, weil ich echt bei manchen Stellen so sehr mitgelitten habe...aber ich rolle das mal von Anfang an auf.
Du weißt, ich liebe deinen Toshinori hier.
Er ist, gerade im direkten Vergleich zu Enji, immer so positiv und dennoch autoritär. Also, ich meine damit, obwohl er so ein lieber Kerl ist, kann er auch zeigen, dass er der Chef ist und Entscheidungen durchsetzen.
Das war aber wieder typisch Enji, dass er das Lob in den Wind schlägt - ich meine, welcher Mensch wünscht sich nicht die Anerkennung von seinem Vorgesetzten?
Aber gut, Enji hat eh eine komplizierte Beziehung zu ihm und ist ein sturer Mensch...es passt einfach.
Umso witziger, das Ganze mal aus Hawks' Perspektive zu erleben - das war sehr erfrischend und es war gut, dass du so lange damit gewartet hast, denn man konnte bisher über sein Innenleben nur spekulieren.
Wegen der kleinen, zu offensichtlichen Lüge...warum nicht? Kann doch gut sein? xD
Schön, wie Toshi direkt wieder anfängt, Hawks anzupreisen. xD
Hach ja und Hawks' innerer Monolog...du hattest ja Bedenken, dass es irgendwie zu viel sein könnte, aber da wir ja von ihm noch gar nichts erfahren haben, fand ich es genau richtig.
Es musste mal eine ausführliche Sicht der Dinge von ihm geben und nun wissen wir auch, was die Szene in der Umkleidekabine sollte.
Beziehungsweise, dass auch der selbstbewusste, freche Hawks nicht ganz versteht, was da zwischen ihnen passiert ist.
Körperliche Anziehung ist ja was ganz natürliches und wenn dazu auch noch die emotionale Verbindung kommt, weil man jemanden besser kennenlernt...und das hat Hawks ja nach dem Abend im Busty Bunny...warum nicht?
Ich musste so schmunzeln, als Hawks auch in Betracht zieht, dass er vielleicht einen kleinen Vaterkomplex hat. xD
Ja gut, das kann auch ne Rolle spielen, aber im Endeffekt ist es halt irgendwie...alles.
Also nein, der ganze Monolog war stimmig und hat Hawks selbst vieles infragestellen lassen - was ihn noch sympathischer macht, als ohnehin schon. Dass da natürlich noch etwas ist, was ihn...zurückhält, wurde ja hier offensichtlich und das macht es noch spannender.
Was mir übrigens im ganzen Kapitel positiv aufgefallen ist, sind die kleinen Sätze am Ende eines Abschnitts.
zB "Denn eine Maske zu tragen, war er gewohnt."
Das hat bei mir immer so ein flaues Gefühl ausgelöst, weil ich innerlich dachte...oh Püppi, nein...du armes Baby, lass mich dich knuddeln!! ;_;
Ka, für jemand so emotionales wie mich ist der Gedanke daran, sich verstellen und seine Gefühle verstecken zu müssen, einfach sehr schrecklich und sowas trifft mich dann immer ganz empfindlich...also good job. xD
Die Szene mit dem Versorgen der Wunden war für mich weitaus intimer als Küsse und Sex.
Du hast das so toll umgesetzt und ich hab so richtig Herzflattern dabei gehabt, weil Hawks' Nervosität durch deine Wortwahl spürbar war. Enji hat aber auch einen intensiven Blick, meine Fresse...
So schön, wie er sich um seine Hände kümmert, die kleinen Feinheiten wahrnimmt und beschreibt...also, das war für mich der Overkill. xD
Einfach wunderschön. <3
Und dann kommt die große Enthüllung von Enjis Geschichte, warum er manchmal schneller, auch im Job, ausflippt, als er es sowieso schon tut bzw. der Grund, warum er so verbissen der Yakuza hinterherjagt.
Wie Enji, bevor er erzählt, Hawks schon sagt, dass er absolute Diskretion verlangt...das war schon so, wooohooo...er vertraut ihm wirklich.
Man hat gemerkt, wie schwer es ihm fällt, sich zu öffnen und all das hat so richtige kleine Schauder bei mir ausgelöst.
Es war so spannend und gleichzeitig so traurig und ich bin so begeistert davon, wie du die Story aufgebaut hast.
Es ist so canon, obwohl es ja AU ist und Touya hier natürlich keinen Feuer-Quirk haben kann...aber du hast das mit der Krankheit echt gut gelöst!
Ich glaube, darüber hatten wir kaum gesprochen, deswegen war es umso spannender für mich...auch, wie Enji von den Erwartungen in seinen Sohn spricht oder wie sie letztendlich beide ihre Brandnarben bekommen, bzw. Touya in Brand gesetzt wird und er nichts mehr tun kann.
(Und dann Hawks' Zusammenzucken im Laufe der Erzählung...die ja andeutet, dass da etwas ist, das auch ihm bekannt ist...oder ihn vielleicht sogar betrifft...Spannuuuuung)
Das alles war so canon und gleichzeitig eine ganz eigene Geschichte...und als Enji dann am Ende auch noch Tränen in den Augen hat...boah, mein armes Herz.
Ich habe wirklich so mit ihm mitgelitten und ich finde es auch absolut nachvollziehbar, dass Enji dabei nicht mehr an sich halten kann. Umso empathischer von Hawks, dass er nichts dazu sagt. Es ist eben etwas, das tief unter die Haut geht.
Und am Ende dieser Szene Enjis Worte...
Dass er seinen Respekt und sein Vertrauen hat...wow. Das war auch einfach nur so deep und hat ebenso geschmerzt, weil Hawks eben selbst weiß, dass er das nicht ganz verdient hat.
(Die Worte bedeuteten ihm etwas. Und das war das Problem. <- mein absoluter Lieblingssatz hier...ich hab mich innerlich gewunden, gleichzeitig gefreut, da es ja bedeutet, dass er ehrliche Zuneigung für ihn fühlt...und ja, eigentlich wurde das schon vorher deutlich, aber dennoch...das hat es noch mal unterstrichen)
Was deutlich wird, als er am Ende dann Dabi trifft.
Dümdümdüüüm...Hawks hat also wirklich Dreck am Stecken...wer hätte es ahnen können (ich, ich!!). xD
Ich liebe den Cliffy, denn er rundet das Kapitel ab und macht Lust auf mehr, sehr schön. ^^
Also alles in einem ein mega emotionales Kapitel, das mich umgehauen hat und super geschrieben ist!
Danke dafür. :-*

Pie


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