Zum Inhalt der Seite

Dead End

Endeavor x Hawks
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Bad Memory

Stöhnend und mit schmerzenden Gliedern kam Enji zu sich. Er merkte, wie er auf der Seite lag, sein Gesicht an etwas Hartem und Rauem klebte. Er versuchte vorsichtig, seinen Kopf zu heben, doch sogleich explodierte ein derartiger Schmerz in dessen Innerem, dass er ihn sogleich wieder ablegte. Stattdessen öffnete er langsam die Augen und obwohl der Raum im Halbdunkeln lag, war das einfallende Licht wie eine Tortur für ihn. Er blinzelte, um eine klare Sicht zu bekommen, und sah, dass er auf dem mit Tatami ausgelegten Boden seines Schlafzimmers lag, neben ihm der ausgerollte Futon.

War er im Schlaf von seiner Schlafstätte herunter gerollt und so auf den unbequemen Matten aus Reisstroh gelandet? Aber noch viel dringender war die Frage: Was war überhaupt passiert?

Mühsam und gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfend, schaffte er es, sich auf den Bauch zu drehen und auf den Futon zu schleppen, wo er, erschöpft von der Anstrengung, mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen blieb. Mit dem angewinkelten Arm über der oberen Gesichtshälfte versuchte er, den Schwindel und das Verlangen, sich übergeben zu müssen, in den Griff zu bekommen.

Nach einigen Minuten beruhigte sich sein Magen etwas und seine Gedanken klärten sich. Mit ihnen stieg ein Gefühl der Scham dafür in ihm auf, in welch erbärmlicher Lage er gerade aufgewacht war... Ebenso kam mit ihnen die in seinem Inneren bohrende Frage, wie es so weit und wie er hierher gekommen war... so wie das bleierne Bewusstsein, dass dies wohl kaum ohne Hilfe anderer geschehen war und ihn daher jemand in diesem unzurechnungsfähigen Zustand gesehen hatte.

Angestrengt und obgleich es seine hämmernden Kopfschmerzen nur noch verschlimmerte, versuchte Enji, sich die Ereignisse der vergangenen Nacht in Erinnerung zu rufen. Nicht nur, dass er jetzt innerhalb von drei Wochen zweimal einen Filmriss erlitten hatte... In beiden Fällen – und so viel wusste er, auch ohne sich an konkrete Einzelheiten erinnern zu können – war Hawks an seiner Lage nicht gerade unschuldig gewesen.

Hawks, der ihn überhaupt erst überredet hatte, während des Dienstes Alkohol zu trinken. Zugegeben, der Jüngere hatte keine Ahnung davon gehabt, dass er dazu neigte, gerade in emotional angespannten Situationen, wie sie Misserfolge für ihn darstellten, dem Alkohol mehr zuzusprechen, als es seinem Gemütszustand und damit seiner Umgebung gut tat. Aber als sich dann auch noch der Einsatz als totales Fiasko herausgestellt hatte, hatte er – dies war seine letzte bewusste Erinnerung – den ihm angebotenen Whiskey so schnell heruntergestürzt, dass es in Anbetracht der Umstände zu dem Zeitpunkt unausweichlich gewesen war, dass dies nicht sein letztes Glas an diesem Abend gewesen sein sollte. Zumindest nach dem zu schließen, wie er sich jetzt fühlte.

Er kniff die Augen zusammen, versetzte sich zurück zu dem Moment, in dem er mit Hawks zusammen auf dem Sofa im Stripclub gesessen hatte, ihre Spur gerade von Miruko zunichte gemacht worden war. Ihre Getränke waren angekommen und... Hawks hatte noch etwas von einem Lapdance erwähnt. Oh Gott, hoffentlich hatte er sich nicht darauf eingelassen!

Enji stöhnte qualvoll ob der Vorstellung, dass sich eine halb nackte Frau auf seinem Schoß geräkelt und ihm dabei ihren üppigen Busen entgegengereckt hatte. Sollte Hawks es tatsächlich zugelassen haben, dass er sich derart erniedrigte? Von dieser Schmach, sollte dieses Ereignis – und sein Absturz als solcher – auf der Arbeit die Runde machen, würde er sich mit Sicherheit nicht erholen können. Wie könnten ihn seine Mitarbeiter nach dieser Alkoholeskapade je wieder ernst nehmen? Immerhin hatte er Familie... eine Frau... und einen Ruf zu verlieren.

Doch so sehr er sich auch das Hirn zermarterte, sein Gedächtnis ließ ihn hinsichtlich der näheren Ereignisse im Busty Bunny im Stich. Er würde wohl erst am Montagmorgen im Büro erfahren, was tatsächlich dort passiert war... und ihm graute es jetzt schon vor den Reaktionen seiner Mitarbeiter. Denn Hawks, der sich ja mit Yagi und dem Rest des Kollegiums so gut verstand und sehr redselig war, würde so eine Geschichte mit Sicherheit nicht für sich behalten... oder doch?

Doch damit würde er sich befassen, wenn es soweit war. Wichtiger war jetzt, herauszufinden, was ansonsten noch passiert und wie er nach Hause gekommen war.
 

Erinnerungsfetzen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Hawks, der lauthals lachte und ihm kumpelhaft auf den Rücken klopfte... der ihm zuprostete und dabei etwas von seinem eigenen Getränk verschüttete.

Anscheinend hatten sie bis zu einem bestimmten Punkt einen... ganz netten Abend zusammen verbracht, stellte Enji verwundert über seine eigenen Erinnerungen fest. Hatte er doch Hawks bisher eher als zwar intelligenten und um keine Antwort verlegenen, aber doch auch nervigen Zeitgenossen empfunden.

„Trink, trink, trink!“, hallte plötzlich der Chor aus Hawks‘ Stimme mit denen der sie umringenden leicht bekleideten Damen in seinem Kopf wider, während er bildlich vor sich sah, wie er selbst ein weiteres Glas Whiskey an seine Lippen führte.

Okay, es war tatsächlich Hawks‘ Schuld, dass es... dass er derart eskaliert war. Natürlich war er erwachsen und mit seinen 45 Jahren mehr als alt genug, um für seine Entscheidungen selbst verantwortlich zu sein. Und dennoch... er war überzeugt, dass Hawks‘ schlechter Einfluss ihn – vielleicht in einem Anflug von Größenwahn und dem Bedürfnis, sich gegenüber dem Jüngeren zu beweisen – noch übermütiger hatte werden lassen und seine Leichtsinnigkeit noch befeuert hatte.
 

Eine weitere Szene nahm vor seinen Augen Gestalt an. Er sah Hawks und sich draußen vor der Tür stehen, die Mäntel gegen die kalte Nachtluft um sich geschlungen.

„Wir sollten jetzt am besten nach Hause gehen“, murmelte Enji lallend und wankte bedrohlich, was ob seiner riesigen Statur so aussah, als würde ein Baum umzufallen drohen.

„Okay“, meinte Hawks, dessen Stimme ebenfalls belegt war, dessen Blick jedoch noch klarer war als sein eigener. „Wo wohnst du?“

„Was geht dich das an?“, blaffte er zurück, doch da er im selben Moment erneut fast das Gleichgewicht verlor, erzielte es nicht den gewünschten einschüchternden Effekt.

„Du bist kaum noch in der Lage, geradeaus zu gehen. Ich begleite dich nach Hause, damit ich sicher sein kann, dass du dort auch ankommst.“

„Nicht nötig, ich… komme allein... zurecht.“

„Keine Widerrede. Ich rufe uns ein Taxi.“
 

Hawks hatte ihn nach Hause gebracht? Hatte er ihm seine Adresse verraten? Wieso hatte er das zugelassen?

Aber der Zustand, in dem er sich gerade befand, sprach stark dafür, dass sein Heimweg tatsächlich mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, hätte sich Hawks seiner nicht angenommen. Mit einer erneuten Woge aus Scham, aber auch einer Spur Dankbarkeit für seinen Kollegen, musste er sich eingestehen, dass er ohne Hawks‘ Hilfe jetzt vielleicht nicht in seinem Schlafzimmer, sondern in einer Seitengasse auf dem Bürgersteig lag, was sein Ego noch weniger verkraftet hätte.
 

Die Szene in seinem Kopf veränderte sich.

Sie stiegen gemeinsam aus dem Taxi. Es hatte wieder begonnen zu regnen. Hawks und er torkelten – er mehr als der Blonde – Arm in Arm die Einfahrt zu seinem Anwesen entlang, vorbei an einem schön angelegten Zengarten mit akkurat geschnittenen Büschen und Bäumen und perfekt gepflegtem Rasen auf das im traditionell japanischen Stil erbaute Haus zu. Er nestelte einige Zeit an seinem Schlüsselbund herum, ehe er den richtigen Schlüssel und das entsprechende Schlüsselloch fand und sie – durchnässt bis auf die Knochen – hereinließ.

Drinnen streifte er mit einem Automatismus, den er sich in seinem alkoholisierten Zustand gar nicht mehr zugetraut hätte, im Eingangsbereich die Schuhe ab und stolperte in den Wohnbereich.

„Wow, hier wohnst du?“, staunte Hawks, der ihm auf Socken in das Haus gefolgt war. „Leitende Polizisten in Tokyo scheinen echt nicht schlecht zu verdienen...“

„Das ist das Haus meiner Eltern...“, murmelte Enji zurück. Er hätte sich bei den aktuellen Preisen in der Millionenmetropole dieses Haus selbst mit seinem Gehalt niemals leisten können und wollte Hawks keinen falschen Eindruck von seinen Vermögensverhältnissen vermitteln.

Er ließ sich schwerfällig auf das Sofa vor dem Fernseher fallen – diesen westlichen Luxus hatte er sich trotz der sonst vorherrschenden japanischen Einrichtung gegönnt. Diese Entscheidung stellte sich jedoch schnell als Fehler heraus, da ihn, kaum dass er in der Waagerechten lag, erneut der Schwindel überkam.

„Wohnst du hier allein?“, bohrte Hawks weiter nach und aus halb geöffneten Augen sah Enji, wie er neugierig seinen Blick durch den Raum schweifen ließ.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht...“, ranzte er ihn ungehalten an, doch diese kleine Anstrengung verschlimmerte das Schwindel- und Übelkeitsgefühl nur noch, sodass er kurz würgte, als er seinen Magensaft aufsteigen spürte.

„Man wird ja wohl mal fragen dürfen.“ Hawks zuckte mit den Schultern. „Für eine Person ist das Haus... jedenfalls ziemlich groß.“

„Anstatt deine Nase in... Angelegenheiten zu stecken, die dich nichts... angehen...“

Die Übelkeit ließ ihn verstummen, da er fürchtete, dass er sich, sollte er den Mund jetzt öffnen, übergeben müsste. Verdammter Alkohol! Und wieso musste es ausgerechnet ihn erwischen, während Hawks noch scheinbar munter seine Wohnräume inspizieren konnte?

„... könntest du mir etwas zu... trinken bringen“, vollendete er schließlich den Satz und gestikulierte schwach in Richtung der angrenzenden Küche.

„Ich denke, du hattest heute genug, Endeavor-san“, meinte Hawks in tadelndem Ton, doch Enji unterbrach ihn.

„Doch keinen Alkohol! Ich meine Wasser!“

„Oh... klar“, erwiderte der Blonde langsam; ihm machte der Alkohol scheinbar doch mehr zu schaffen, als man es ihm auf den ersten Blick anmerkte. „Wo bewahrst du... die Gläser auf?“

„Im obersten Schrank, linke Tür.“

Enji vernahm Schritte, als sich Hawks auf den Weg in Richtung der Küchenzeile machte, und sah durch seine halbgeöffneten Lider, wie dieser das Licht anmachte. Er hörte, wie der andere daraufhin durch die Regale kramte, offensichtlich auf der Suche nach einem Glas.

„Hier sind keine Gläser, Endeavor-san“, maulte Hawks und kaum eine Sekunde später fiel etwas mit einem lauten Scheppern zu Boden.

Enji wäre beinahe von der Couch gesprungen, war dazu jedoch nicht in der Lage, sodass er seinen Kopf lediglich nach hinten über die Armlehne streckte, um zu sehen, was Hawks in der Küche trieb. Rasch verengte er seine Augen zu Schlitzen, da ihn die Lampe, die sich unmittelbar hinter Hawks befand, blendete.

„Nichts passiert, nichts passiert!“, rief Hawks sofort. „War nur 'ne Metallschüssel.“

„Die Gläser sind oben –“

„Ich hab‘ sie!“, stieß Hawks triumphierend aus, als er den letzten Schrank von links öffnete und sich nach den Gläsern streckte, die im obersten Regal standen.

Enji wollte seinen Blick gerade wieder abwenden, als Hawks‘ Oberteil hochrutschte und er für den Bruchteil einer Sekunde etwas Rotes aufblitzen sah. Er blinzelte und im nächsten Moment war es auch schon wieder verschwunden, sodass er sich nicht sicher war, ob er es sich alkoholbedingt nur eingebildet oder die Lampe hinter Hawks seine Netzhaut getroffen und seinen Sinnen einen Streich gespielt hatte.

Hawks hatte zwischenzeitlich zwei Gläser aus dem Schrank genommen und mit Leitungswasser gefüllt, von denen er ihm nun eines hinhielt.

Zögerlich, um ja keine erneute Übelkeitswelle zu provozieren, richtete sich Enji ein Stück auf und nahm das Glas entgegen. Doch anstatt es zu seinen Lippen zu führen, fragte er, da er seinen Argwohn ob seiner Wahrnehmung nicht ablegen konnte:

„Was ist mit deinem Rücken, Hawks?“

„Was meinst du?“

„Ich dachte... ich hätte dort was gesehen, als du... dich nach den Gläsern gereckt hast...“

Hawks drehte sich um und blickte an sich herunter, sah ehrlich irritiert aus.

„Was soll da sein?“

„Schon gut“, wiegelte Enji ab und trank einen Schluck, nach dem er sich gleich etwas besser fühlte.

Er hatte sich wahrscheinlich wirklich nur verguckt und seine Augen hatten ihm einen Streich gespielt. Ohnehin hatte er gerade andere Sorgen...
 

Enji öffnete die Augen, war sich nicht sicher, ob er dies gerade geträumt hatte, die Szene tatsächlich passiert war oder sein Gehirn die Gedächtnislücken, die er definitiv hatte, mit anderen Erinnerungen und Mutmaßungen ergänzt hatte. Schließlich hatte er in den vergangenen Wochen schon einige Male Skepsis und Argwohn hinsichtlich Hawks und seinem plötzlichen Erscheinen entwickelt. Nicht zu vergessen, dass ihm selbst seitdem auch gar nichts mehr zu gelingen schien, ganz gleich, was er angefasst hatte... und sämtliche Spuren, die Hawks aufgetan, oder Hilfen, die er beigesteuert hatte, nicht gefruchtet hatten.

Doch seine vermeintlichen Erinnerungen zeigten auch, dass sich Hawks um ihn gekümmert hatte, obwohl dieser selbst dem Alkohol auch nicht abgeneigt gewesen war. Er hatte ihn nicht nur nach Hause und ihm etwas zu trinken, sondern ihn offensichtlich auch in sein Schlafzimmer gebracht und...

Enji schaute an sich herunter, bemerkte erst jetzt, dass er nur noch ein T-Shirt und Boxershorts trug... Hemd und Hose lagen, fein säuberlich zusammengelegt, auf einem Stuhl neben dem Futon.

Offensichtlich hatte Hawks ihm auch beim Ausziehen geholfen und ihn ins Bett verfrachtet... oder zumindest seine Kleidung entgegengenommen. Denn er bezweifelte, dass er in der gestrigen Nacht zu letztgenannter Handlung noch in der Lage gewesen war.
 

So sehr er sich auch bemühte, er hatte keine Erinnerung an das, was zwischen der Szene im Wohnzimmer und seinem morgendlichen Erwachen passiert war.

Lediglich zwei Gedanken oder vielmehr vage Gefühle, zu wenig, um sie tatsächlich greifen zu können, kreisten in seinem Kopf, wenn er sich an die letzten Stunden zu erinnern versuchte.

Das erste Gefühl hatte mit seinem schalen Geschmack auf der Zunge zu tun, der ihn vermuten ließ, dass er sich doch noch erbrochen hatte. Er hoffte inständig, dass Hawks zu diesem Zeitpunkt schon gegangen war... Doch da er kein Erbrochenes in diesem Zimmer sah, gab es nur die Möglichkeit, dass er es noch rechtzeitig ins Bad geschafft oder sich in einem anderen Zimmer erleichtert hatte... oder dass Hawks die Sauerei aufgewischt hatte... was ihn noch mehr in der Schuld des anderen stehen lassen würde und seine Eingeweide vor Scham brennen ließ.

Die zweite Erinnerung kam eher einem Traum gleich, ein Aufflackern seines Geistes, über das sich ein dichter Nebel gelegt hatte, das aber dennoch real schien. Er wusste nicht, ob er geschlafen hatte oder wach gewesen war, aber... Er hatte ein messerscharfes Bild von seinem ältesten Sohn vor seinem inneren Auge, gepaart mit Kummer, Schmerz und Scham, die seinen Körper durchflutet hatten... und das untrügliche Gefühl, dass er in diesem Kaleidoskop aus Emotionen Touyas Namen gemurmelt hatte. Und mehr als bei seiner Ungewissheit hinsichtlich seiner körperlichen Erleichterung hoffte er, dass Hawks zu dem Zeitpunkt, als ihm dieser Name über die Lippen gekommen war, bereits das Haus verlassen hatte.

Er verfluchte sich für seine Unfähigkeit und Schwäche, die er in der gestrigen Nacht gezeigt hatte. Nicht nur, dass sein junger Kollege ihn in einer derart verletzlichen und erbärmlichen Lage gesehen und möglicherweise jeglichen Respekt vor ihm, den er sich mühsam bei diesem erarbeitet hatte, verloren hatte. Der Alkohol hatte ihm womöglich auch die Zunge gelockert und ihn Sachen sagen lassen – woran er sich nicht mehr erinnern konnte –, die er nicht einmal seinen engsten Arbeitskollegen, geschweige denn einem Fremden, den er gerade einmal drei Wochen lang kannte, anvertraut hätte. Seine familiäre Situation ging einfach niemanden etwas an...
 

Enji schüttelte den Kopf, vertrieb die düsteren Gedanken aus diesem, auch wenn er dadurch seinen Schwindel noch verstärkte. Es brachte nichts, sich weiter über die gestrige Nacht den Kopf zu zerbrechen. Er würde das, was geschehen war, dadurch nicht ändern können.

Er würde sich daher noch etwas ausruhen, später, wenn der Schwindel es zuließ, eine heiße Dusche nehmen und ansonsten das Wochenende über das Haus nicht verlassen. Am Montag auf der Arbeit würde er sich dann mit den Folgen seiner Leichtsinnigkeit beschäftigen, früher nicht. Und Montag würde, wie Montage es nun einmal so an sich hatten, gewiss schneller kommen als gedacht.
 

Am Montagmorgen war Enji der Erste im Büro. Zum einen, weil er nach dem erneuten Rückschlag am Freitag und seinem persönlichen Tiefpunkt das Bedürfnis hatte, etwas Produktives zu tun. Zum anderen, da er kein Verlangen verspürte, seinen Mitarbeitern, wenn es sich nicht gerade vermeiden ließ, direkt bei der Ankunft über den Weg zu laufen und unangenehme Fragen nach dem Verlauf ihres Einsatzes beantworten zu müssen.

Gegen Mittag merkte er jedoch, wie er nach stundenlangem Aktenwälzen allmählich die Konzentration verlor und den Drang nach einem Kaffee schließlich nicht mehr ignorieren konnte. Grimmig und schlecht gelaunt erhob er sich von seinem Schreibtisch, stapfte zur Tür, in der Hoffnung, der Gang dahinter wäre leer. Tatsächlich befand sich – wie er verwundert feststellte – trotz der späten Stunde niemand auf dem Flur, sei es, um einen Kollegen zum Mittagessen abzuholen, sei es, um Unterlagen in andere Büros zu bringen oder Informationen auszutauschen.

Die meisten Mitarbeiter schienen – so folgerte er jedenfalls aus den rundherum leeren Büros, die er passierte – bereits zum auswärtigen Essen ausgeflogen zu sein. Umso besser, dann hatte er den Aufenthaltsraum, in dem sich die kleine Küchenzeile nebst Kaffeemaschine und Mikrowelle befand, hoffentlich für sich allein.

Der Pausenraum lag am anderen Ende des langen und verwinkelten Korridors in der Nähe der Treppe. Gerade als er um die nächste Ecke biegen wollte, hinter der er sein Ziel erreichen würde, hörte er aus dieser Richtung Stimmen.

Enji blieb stehen, hinter der Ecke verborgen. Seine Hoffnung, ungestört einen Kaffee trinken zu können, konnte er begraben. Er wollte gerade auf dem Absatz kehrt machen und zu seinem Büro zurückgehen, um es später noch einmal zu versuchen, als er die Stimme, die sprach, erkannte, sodass sie ihn innehalten ließ.

„Das hättet ihr echt sehen müssen, das war wirklich eine ganz schöne Menge! Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut!“

„Ach, meinst du?“, hörte er jetzt eine andere, weibliche Stimme herausfordernd fragen. „Wenn du wüsstest, was er zuhause so alles gerissen hat, würdest du ihn noch mit ganz anderen Augen sehen!!“

„Unbelievable! Noch krasser als das, was Hawks eben erzählt hat?!?“, wandte eine exzentrische und laute Männerstimme ein. „So einen crazy Shit kann man doch gar nicht toppen... Was meinst du, Aizawa?“

„Halt mich da raus“, vernahm Enji die desinteressiert klingende Stimme des Schwarzhaarigen. „Nur weil du mich genötigt hast, dir bei deinem Mikrowellenessen Gesellschaft zu leisten, heißt das nicht, dass ich mich an eurem Tratsch beteilige.“

„Jetzt sei doch nicht so ein Spießer, Aizawa!“, beschwerte sich die Frau seufzend und Enji konnte sich ihre abwertende Handbewegung dabei fast bildlich vorstellen. „Ist doch nichts dabei, sich ein wenig auszutauschen. Außerdem ist es ja nicht so, dass er mitkriegt, was wir hier bereden. Zumal es ja nur die Wahrheit ist.“

Enji horchte auf. War er sich bis gerade nicht sicher gewesen, worüber die vier redeten, war es für ihn nun offensichtlich, dass er und seine Eskapade am Freitag das Thema des Gesprächs waren.

Und da stand er, wie angewurzelt hinter der Ecke zum Pausenraum, und belauschte – unfreiwillig, aber doch nicht in der Lage wegzuhören, geschweige denn wegzugehen –, wie seine Mitarbeiter sich das Maul über ihn zerrissen.

Er hatte es zwar erwartet, konnte aber nicht umhin, dass ein Gefühl von Enttäuschung in ihm aufstieg, dass Hawks den anderen von den Ereignissen am Freitagabend berichtet hatte. Denn auch wenn sie sich nicht lange kannten und längst keine Freunde, sondern allenfalls Bekannte waren, fühlte er sich doch irgendwie... verraten. Oder hatte er sich die wenigen Ereignisse, an die er sich hatte erinnern können… das Zuprosten, dass der andere ihn nach Hause begleitet und sich um ihn gekümmert hatte… nur eingebildet?

„Ich frage mich wirklich, ob es irgendjemanden gibt, der in so einer Situation nicht die Reißleine gezogen hätte“, meinte Hawks, dessen Stimme er gleich erkannt hatte. „Dabei hätte ich gedacht, dass ein Mann seiner Größe noch mehr wegstecken –“

Hawks verstummte, als Enji, der es nicht mehr ausgehalten hatte, untätig zuzuhören, den Raum betrat. Für einen Moment wirkte er irritiert, fing sich im gleichen Moment aber wieder und begrüßte ihn mit einem freudestrahlenden Lächeln.

„Endeavor-san! Wir machen gerade Mittagspause. Ich habe Kaffee gekocht, willst du auch einen?“

Hawks hob die Kanne mit schwarzer Flüssigkeit hoch, die neben ihm auf der Küchentheke, an die er sich locker angelehnt hatte, stand, und blickte ihn auffordernd an.

Enji ließ den Blick von der Kanne über die anderen Anwesenden streifen. Aizawa saß, über eine Schüssel Instant Ramen gebeugt, am Esstisch, ihm gegenüber Yamada Hizashi, der ihm ein zahniges Grinsen schenkte. Neben Hawks stand Kamiji Moe, die gerade ihr Mittagessen aus der Mikrowelle holte.

Als er nicht antwortete, sondern die vier weiterhin nur finster anstarrte, fuhr Hawks fort:

„Echt schade, dass der Freitagabend so schnell vorbei war, nachdem du die verdorbene Auster im Busty Bunny gegessen hast.“

Enji blinzelte irritiert, was ihn kurz von der aufsteigenden Flamme der Wut, die in ihm zu lodern begonnen hatte, ablenkte. Verdorbene Auster?

„Yeah, schade, dass ihr wegen eures Tipps in diesem Stripclub keinen Erfolg hattet und den Einsatz früher abbrechen musstet, guys“, meinte Yamada achselzuckend. „Aber da kann man nichts machen, wenn solche Meeresfrüchte nicht fangfrisch sind, oder Chef?!? Wobei man in so einem Laden wohl kaum high Quality erwarten kann.“

„Das war echt Pech“, stimmte Kamiji zu. „Dabei schien die Spur ja recht vielversprechend...“

„Jetzt ist sie trotzdem tot und wir fangen wieder bei Null an...“, gab auch Aizawa tonlos seinen Senf dazu, ohne von seiner Suppe aufzusehen.

„Ist doch egal!“, wiegelte Hawks mit einem Händewinken ab. „Beim nächsten Mal läuft es bestimmt besser...“

„Den Bericht zu Freitag habe ich übrigens schon fertig und Yagi-san vorhin vorbeigebracht“, fügte Hawks an Enji gewandt hinzu. „Er war gerade beim Mittagessen und hatte sich einen Berg von 70 Onigiri mitgebracht, von denen er vor meinen Augen fast alle aufgegessen hat!“

„Wie gesagt...“, warf Kamiji ein. „Ich habe ihn mal Zuhause besucht, um ihm seine Trainingsjacke zu bringen, die er auf der Arbeit vergessen hatte. Und da hat er ein ganzes Schwein allein verdrückt!“

„Das ist echt… amazing!!“, staunte Yamada und richtete sich an Hawks. „Und beim 65. Reisball hat er schlapp gemacht?“

„Ja“, nickte Hawks. „Er schien ganz geknickt von dieser Niederlage zu sein. Dabei hatte ich ihn sogar noch angefeuert, aber die 70 hat er einfach nicht mehr geschafft.“

Enji stand immer noch in der Mitte des Raumes, blickte von einem zum anderen und plötzlich ging ihm, mit einem bohrenden schlechten Gewissen gegenüber Hawks, ein Licht auf. Hawks hatte wirklich dicht gehalten und den anderen eine Geschichte von einem verdorbenen Magen aufgetischt, um den frühen Abbruch ihrer Mission und seine... Unpässlichkeit zu erklären, sollte diese durchsickern und er heute Morgen nicht zur Arbeit erscheinen.

Stattdessen hatten sich seine Mitarbeiter nicht über ihn, sondern über eine Art Kampfessen von Yagi unterhalten, das Hawks in dessen Büro beobachtet hatte. Hawks, der sogar schon den Bericht über den gescheiterten Einsatz geschrieben und abgegeben hatte...

Entgegen seinen Vorbehalten und seinen – zugegeben wenig handfesten – Verdächtigungen erwies sich Hawks tatsächlich als ein... echter Kamerad.

Mit vor Scham brennenden Eingeweiden, nach außen hin aber bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, brummte Enji in einem überheblicheren Ton, als es die Situation erfordert hätte, um seine wahren Gefühle zu überspielen:

„Als Nummer eins kann man von Yagi tatsächlich mehr als lausige 65 Stück erwarten...“

Und mit einem Zucken seines Kopfes in Richtung der Kaffeekanne fügte er hinzu: „Du kannst die Tasse ruhig voll machen, Hawks.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich merke, Enji muss bei mir irgendwie immer ein bisschen leiden... Ich kann es einfach nicht lassen. ;D
Ansonsten genieße ich es, durch die FF ein wenig in Japan-Erinnerungen zu schwelgen und Orte, Traditionen und Essen zu beschreiben. Ein bisschen schöne Nostalgie in diesen gleichbleibenden Tagen...
Ein großes Dankeschön gilt lunalinn, die nicht nur gebetat, sondern auch die Grundidee eines betrunkenen Enji und eines fürsorglichen Hawks beigesteuert hat. :)
LG Lichtregen Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: lunalinn
2021-03-06T09:57:27+00:00 06.03.2021 10:57
Huhu! :D
Das war ein schönes Hangover Kapitel...und irgendwie hatte genau das für mich was Nostalgisches. xD
Wenn ich so an unsere Disco-Zeiten denke...wir waren so jung... T__T
Aber gut, irgendwann gehen wir mal wieder in einen Club, haha...darauf nagel ich dich fest. XD
So, weiter im Text...ich mag die Art, wie du Enjis Orientierungslosigkeit beschrieben hast und ihn den Abend Revue passieren lässt.
Meine Lieblingspassage ist da natürlich...trink trink tirnk!! xD
Und jaja, es ist alles Hawks' Schuld, sicher...ist ja nicht so, als sei man mit Mitte 40 reifer und schlauer. xD
Aber gut, schieb es ruhig auf Hawks, wenn du dich dann besser fühlst, Enji. Schon okay, haha.
Dabei ist es ja wirklich lieb von ihm (und verantwortungsbewusst), ihn nach Hause zu bringen...in dem Zustand wäre er vermutlich wirklich noch in irgendeinem fremden Vorgarten eingepennt. Zwischen den Büschen. xD
Wer weiß, was passiert wäre, also good job, Hawks!
Fand den Spruch mit dem "ich denke du hattest für heute genug" auch so geil...ja, das wär's ja wirklich noch, wenn er sich noch mehr Alkohol reinzimmert - ciao.
Und ja...das mysteriöse Thema mit dem "ich hab da was gesehen"...was hat Enji da bloß entdeckt? ;)
Freu mich schon, wenn das aufgedeckt wird, auch wenn es ja eigentlich offensichtlich ist.
Und dann die Erwähnung von Touya...Enjis ewige Nemesis, die natürlich was mit seiner Besessenheit von der Yakuza zu tun haben und scheinbar ja auch über die Jahre seine Ehe zerfressen hat...ob Hawks das wohl noch mitbekommen hat? Wer weiß...
Ich kann jedenfalls absolut Enjis Ängste bzw. Bedenken nachvollziehen, dass er fürchtet, dass das die Runde macht.
Hawks ist kein einfacher Bekannter oder Freund von ihm, sondern arbeitet mit ihm und ist ihm auch noch unterstellt.
Als Chef will man natürlich Respekt von seinen Mitarbeitern...und die Situation muss daher wirklich sehr unangenehm sein.
Gerade, wenn man sich nicht mehr an alles erinnert...und Hawks obendrein auch noch ein Plappermaul ist.
Ich wäre da an seiner Stelle genauso nervös und würde hoffen, dass Hawks dicht hält - was er ja auch tut. Zum Glück.
Wenn man den vieren jedenfalls so zuhört, kann man wirklich denken, dass sie über Enji reden. xD
Ich mag die Kombi der drei anderen übrigens bzw. finde es gut, dass du sie übernommen hast. Aizawa gleicht Mic schön aus. xD
Ich liebe seine trockenen Kommentare, von wegen, er will mit dem ganzen Tratsch gar nix zu tun haben und wurde nur von Mic mitgeschleift.
Jaja, Aizawa, sozial ist nicht dein Ding, wir wissen es. xD
Ich liebe den Kerl...und freue mich immer richtig, wenn auch andere bekannte bnha Charas auftauchen - weißt du ja. xD
Genau wie mit Toshi...ich musste so lachen, als es dann nur daraum ging, wie viel der Mann futtern kann. xD
Tja, wer groß und stark ist, muss auch viel essen...oder so. xD
Hab mich darüber echt kaputtlachen müssen...ich liebe deinen Toshi hier wirklich und finde, er passt super in seine Rolle als Chef - und dabei ist er nicht mal im Kapitel aufgetaucht. Seine Präsenz ist überall!! xD
Jedenfalls kann ich Enjis Erleichterung gut verstehen...und das zeigt ja wirklich, dass man sich auf Hawks verlassen kann.
Ein wichtiger Aspekt...der deutlich macht, dass er zwar frech und leichtherzig wirkt, aber ein Gespür dafür hat, wann man den Bogen besser nicht überspannt bzw. den Mund zu halten hat.
Alles in einem ein gelungenes Kapitel und ich freu mich immer so, wenn es weitergeht! *_*

Dein Pipi
(*metronom*)


Zurück