Nightmare After Christmas von irish_shamrock (24. Türchen des Fanfiction-Adventskalenders 2o2o) ================================================================================ Kapitel 1: Nightmare After Christmas ------------------------------------ NIGHTMARE after CHRISTMAS Schneeflocken in Los Angels waren etwas Besonders und beinahe so überraschend, wie es diese dumme Aktion war, die ihre kleine Schwester Tori ins Leben gerufen hatte: Wichteln Trina wurmte es noch immer, dass sie hier, aufgebrezelt wie zur Oscar-Verleihung, in einem Schnellrestaurant festsaß. Und ihr Gegenpart niemand Geringeres war, als Sinjin Van Cleef. Dieser schräge Kerl, mit seltsamen Angewohnheiten, doch sie musste ihm zugute halten, dass seine Talente als Bühnenbildner nicht vergeudet waren. Dennoch war es ihr unbegreiflich, warum ausgerechnet sie mit ihm ausgehen sollte! Es war Toris Schuld! Alles war Toris Schuld. Denn ihre kleine Schwester hatte diese absurde Idee eines Wichtelns ins Leben gerufen und diese Aktion sah vor, dass jeder der Teilnehmer einen Zettel aus einem Goldfischglas zog, auf dem der Name der Person verfasst war, die beschenkt werden sollte. Warum nur meinte das Schicksal es so schlecht mit ihr? Mutig und forsch hatte sie sich des bauchigen Glases bemächtigt und nach etlichem Wühlen einen kleinen Fetzen ergattert. Doch zu Trinas Unglück prangte der Name JADE, in einer eigenartigen Farbe gemalt, die ihr einen Schauer über den Rücken trieb, auf dem Papier. War das Blut? Sie hoffte, dass dem nicht so war. Es gefiel ihr überhaupt nicht, diesem furchterregenden Mädchen ein Geschenk machen zu müssen, also war Trinas erste Anlaufstelle Cat Valentine, die sich die roten Haare hinter die Ohren strich und einem breiten Lächeln und verträumten Blick, erklärte, nicht mit ihr tauschen zu wollen. Auch André winkte dankend ab. Er sei doch nicht verrückt. Und selbst Beck schien froh, seiner On-Off-Freundin nicht noch mehr Geschenke machen zu müssen. Trina seufzte frustriert. Bliebe noch ihre kleine, liebe Schwester Tori, der sie diesen Horror-Trip zu verdanken hatte. Vielleicht gelang es ihr, Toris Zettel mit ihrem zu vertauschen? Gerissen genug war Trina dafür alle mal. Doch leider auch vom Pech verfolgt. Nach vielen missglückten Versuchen gab Trina auf. Diesem vermaledeiten Zettel würde sie nie habhaft werden, also tat eine Trina Vega das, was eine Trina Vega tun musste: Sie betrat den Laden für skurrile Mode und besorgte ihrem Wichtel ein Geschenk. Ein Stachelhalsband. Jade würde schon dafür Verwendung finden. Auch wenn sich Trina nicht vorstellen wollte, welche Art des Gebrauchs Jade bevorzugte. Trina liebte das Weihnachtsfest … früher einmal. In diesem Jahr keimte ihr der Verdacht, der bärtige Mann meine besonders unschön mit ihr. Dabei hatte sie sich so bemüht, nett zu sein. Vielleicht nicht zu allen und jedem, doch hatte sie nicht erst vor wenigen Tagen einer alten Dame über die Straße geholfen? Dass sich diese Frau zur Wehr gesetzt hatte, und ihre Hilfe gar nicht wollte, verdrängte Trina. Sie hatte geholfen. Auch räumte sie dann und wann die Spülmaschine aus und half auch sonst im Haushalt, ein wenig. So setzte sie den staubsaugenden Roboter von Zimmer zu Zimmer, wenn ihr dieser in die Quere kam oder zerrte die schwere Mülltonne an die Straße, selbst wenn diese noch nicht einmal überquoll. Hatte sie nicht ein Weihnachtsfest verdient, das ihr gerecht wurde? Am Abend des 24. Dezember trafen sich die Freunde bei den Vegas, um die Wichtelgeschenke zu überreichen. Zu Trinas und Toris Glück, sahen sich die Eltern mit der kleinen Party einverstanden, unter der Voraussetzung, dass das Wohnzimmer spätestens um neun Uhr geräumt wurde und am Morgen des 25. blitzblank war. So verlangte es Holly Vega, denn nichts war dieser Frau heiliger, als am Weihnachtsmorgen im Pyjama die Geschenke auszupacken. Auch wenn Tori für eine festliche Gestaltung gesorgt hatte, mit Zuckerstangen, alkoholfreiem Punsch, heiterer Musik und der opulent geschmückten Tanne, machte sich eine seltsame Stimmung unter den Gästen breit. Robbie hatte Rex Zuhause gelassen, da sich dieser erkältet habe. Er war, mit Cat im Schlepptau, einer der Letzten und bis auf den noch fehlenden André war die Gruppe komplett. Trina war nervös und knibbelte an ihren Fingernägeln herum. Das Geschenk für Jade, ein kleines, grünes Päckchen mit pinker Schleife, verweilte in greifbarer Nähe. Doch die Anspannung ihrer Schwester entging selbst Tori nicht. »Bleib cool«, mahnte sie und langte über den Küchentresen hinweg, nach dem Tablett mit Keksen. »Ich bin cool«, verteidigte sich Trina und lachte umso hysterischer. Dann hielt sie inne. »Was macht der denn hier?« Tori neigte den Kopf. »Wer?« »Er!« Trina deutete unmissverständlich auf Sinjin, dessen buschiger Lockenkopf aus der Menge herausragte, wie ein Leuchtturm. »Er hat auch mitgemacht«, erklärte Tori, die Achseln zuckend und sich dann mit den Plätzchen auf den Weg in Richtung Wohnzimmer machend. »Tori! Hey!«, zischte Trina und hielt ihre Schwester gerade noch davon ab, das Tablett fallenzulassen, als Trina nach dem Rüschenärmel von Toris Kleid langte. »Trina!«, seufzte Tori jammernd. »Er ist gruselig. Was macht er hier?« Trina hatte den kleinen Beinaheunfall schon wieder vergessen, ließ jedoch den schrägen Jungen nicht aus den Augen. »Ich sagte dir doch gerade, dass er mitgewichtelt hat.« Wieder erntete Trina nur ein Zucken der Schultern. »Er steht sowieso nicht auf dich.« Trina lachte laut und schrill auf. »Selbst wenn ...« »Selbst wenn was?« Trina fuhr zusammen, doch auf Toris Gesicht breitete sich ein Strahlen aus, das mit den Lichtern am Baum um die Wette blinkte. »André!«, rief sie erleichtert und drückte Trina das Tablett in die Hand. »Ein Weihnachtswunder!« »Ja«, murmelte dieser und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Tut mir leid, aber ich kann nicht lange bleiben. Meine Grandma -« »Schon gut, schon gut.« Mit diesen Worten schob sie André zu den anderen und ließ eine verdutzte Trina zurück. Die Verteilung der Geschenke endete nicht so desaströs, wie gedacht. Zu Trinas Verblüffung brachte Jade ein genuscheltes »Danke« hervor. Und auch wenn Trina noch immer mulmig zumute war, so würde Jade ihr nicht den Kopf von den Schultern reißen. Zwar hatte diese, beim ersten Betrachten, die Nase gerümpft, doch Trina hatte ihr, mit ihrem Präsent, ein knappes Zucken der Mundwinkel abgerungen. André hatte Beck ein paar Socken besorgt, während dieser Tori, zu Jades Missfallen, einen in Glitzerfolie verpacktes Wellness-Set mit Luffa-Schwamm schenkte. Robbie und Cat beschenkten einander. Tori hatte Sinjin eine Zahnbürste zukommen lassen und Jade André ein paar neue Notenblätter überreicht. Trina blieb jedoch bis zuletzt unbeschenkt. Als die letzten Gäste, pünktlich um fünf Minuten vor neun, gegangen waren, blieben die Vega-Schwestern allein mit dem Chaos zurück. Beim Beräumen des Wohnzimmers stutzte Tori. »Trina?« Diese hatte indes jedes Glas einzeln zur Spüle getragen und wirkte erschöpft. »Was?«, klagte sie, halb traurig und halb wütend, dass alle anderen etwas bekamen, bis auf sie. »Hier ist etwas für dich«, rief Tori ihr zu. Hellhörig geworden, stürmte Trina aus der Küche heran. »Was? Wo?« »Da.« Tori deutete auf einen kleinen, blassblauen Umschlag, der in all dem Wirrwarr beinahe untergegangen wäre. Trina Vega prangte in gedruckten Buchstaben auf dem Kuvert. Skepsis zierte Trinas müdes, frustriertes Antlitz, dennoch haschte sie nach dem Papier und öffnete den Umschlag. »Für dich, eine Einladung in eines der schicksten Restaurants, das ich kenne. Morgen Abend, sieben Uhr«, las sie vor. Neugierig reckte Tori den Hals. »Und von wem ist es?« »Steht nicht drauf«, knurrte Trina und wendete Umschlag und Karte, als ob ein Zauber darauf läge, der erst nach mehrmaligem Drehen den Schenker aus der Anonymität holte. Enttäuscht schürzte sie die Lippen, denn nicht einmal die Schrift verriet den Absender, da auch das Innere der Karte maschinell bedruckt worden war. »Von wem hast du dein Geschenk bekommen?« Tori blinzelte gegen den scharfen Ton an, dem Trina sich bediente. Natürlich würde sie, trotz der späten Stunde, Nachforschungen anstellen. »Beck«, sagte sie wahrheitsgemäß und versuchte dann, Trina von ihrem Vorhaben abzubringen. »Das schickste Restaurant? Dann musst du dich ja noch richtig in Schale werfen. Morgen Abend?« »Lenk nicht ab!«, fauchte Trina, doch die Müdigkeit, all der Aufregung geschuldet, zerrte plötzlich an ihr. Sie überließ Tori die restliche Arbeit und verabschiedete sich ins Bett. So sehr sie sich auf den Morgen des 25. Dezember gefreut hatte, um mit ihrer Familie, in Pyjamas, die riesigen Päckchen aufzureißen, war Trina die ganze Nacht wachgelegen und die Wichtel durchgegangen. Sie klammerte sich an die leise Hoffnung, dass jemand mit von der Partie war, der nicht zu den üblichen Verdächtigen zählte. Möglicherweise hatte jemand auch zwei Geschenke machen müssen? Ein Essen? In einem noblen Restaurant. Nun, davon ging Trina aus, wann immer Tori sich im Laufe des Tages danach erkundigte. Holly und David waren nicht begeistert, was die Pläne ihrer ältesten Tochter für den Abend betraf, doch Trina nahm all ihren Mut zusammen, bat um das Date und durfte sich dann zurechtmachen. Die braune Mähne hochgesteckt, ein langes, den Temperaturen entsprechendes Kleid, das dennoch Eleganz versprach und ein Make-up, nicht abschreckend sondern dezent, komplettierten ihr Erscheinungsbild. Dass sich ihre Familie am Wohnzimmerfenster drängte und hinter den Gardinen versteckte, nur um zu sehen, wer sich vor dem Haus der Vegas blicken ließ, war Trina bewusst. Sie hätte es, in Toris Fall, vielleicht sogar noch auf die Spitze getrieben und bei offener Tür in der Diele gestanden, nur um sich über ihre kleine Schwester und deren Begleitung lustig zu machen. Nun stand sie da, in der kleinen Auffahrt und wartete auf das, was kommen mochte. Der lange Mantel und der dicke Schal waren ihr Tarnung genug, einfach eine Erkältung vorzutäuschen. Doch es wäre unhöflich, dem Schenker nicht wenigstens einen schönen Weihnachtstag zu wüschen. Hin und hergerissen war sie. Neugierig auf denjenigen, der ihr in wenigen Minuten gegenüberstand und ängstlich, panisch fast, dass die Enttäuschung groß wäre. Die Straßenlaternen spendeten nur sparsames Licht. Auch waren die leichten Flocken des gestrigen Tages längst geschmolzen, denn für das sonnenverwöhnte Los Angeles waren es noch immer knapp sieben Grad über dem Gefrierpunkt. Ein Geräusch, ein leises Surren, das von einem gelben, flackernden Schein begleitet wurde, ließ Trina auf den Gehweg treten. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als jemand, auf einem Fahrrad radelnd, auf sie zuhielt. Unter kreischenden Tönen wurde die Handbremse am Lenkrad betätigt und ließ den Ankömmling in Erscheinung treten. Trina hatte Mühe, den Halter auszumachen, doch sobald dieser den Schal vom Mund nahm und zu sprechen begann, sträubte sich ihr alles. »Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du tatsächlich auf mich wartest.« Die Wuschelmähne war unter einem neongelben Fahrradhelm verborgen, doch die braunen, kleinen Augen hinter der großen, runden Brille, hätte sie überall erkannt. Hilflos warf sie einen Blick über die Schulter in Richtung Elternhaus. Sie sah noch, wie sich die Vorhänge bewegten. Offenbar hatte das Auftauchen ihres Dates die neugierigen Geister dazu bewogen, sich nun mehr vor der Haustür zu postieren, um dem Drama beizuwohnen. »D-du?« Skepsis und Verwunderung zierten ihr Gesicht. »Du hast sicherlich jemand anderen erwartet.« Es war keine Frage, und Trina tat das erstbeste, das ihr einfiel. Sie nickte zur Bestätigung. »Das ist okay.« Verblüfft über seine Worte, brachte Trina nur ein Blinzeln zustande. »Ich bin es gewohnt, nicht ernst genommen zu werden.« Ein Zucken der schmächtigen Schultern folgte, auch wenn der dicke Anorak diese kleine Tatsache beinahe verschluckte. »Hier.« Trina rang nach Atem und wägte ab, ob sie nach dem zweiten Helm greifen solle, den ihre Begleitung vorsorglich mitgebracht hatte. Auch wenn sie das Öffnen der Haustür und den Lichtschein des Bewegungsmelders sehr wohl bemerkte, blieb sie reglos. »Frohe Weihnachten!« Trina fuhr zusammen, als sein Gruß an ihr vorbeiglitt und offenkundig ihren Eltern und Tori galt. Sie vernahm keinen Laut, hoffte jedoch, dass ihre Familie so viel Anstand besaß, seine Geste entgegenzukommen. Trina biss sich auf die Lippen, haschte nach den Gurten des Helms und haderte mit sich, ob Sicherheit oder Schönheit Vorrang hatte. Ein Seufzen entkam ihr und sie zwang sich den Helm über den Kopf. Ihre aufwändige Frisur wäre dahin. Mit leidigem Blick musste sie feststellen, dass ihre Begleitung auffordernd auf den Gepäckträger deutete. Ihr sanken die Schultern herab. Noch immer war nichts von ihrer Familie zu hören. Unter wackeligen Beinen kam sie der Bitte nach und nahm auf dem harten Radgestell Platz. Wortlos schwang sich ihre Begleitung in die Pedale. Nach einigem Holpern gelang es ihnen, das Gleichgewicht zu finden. Zorn färbte Trina die blassen Wangen. War sie bis eben noch Wortlos geblieben, sprudelte es nun mehr aus ihr heraus. »Tori! Ich bringe dich um!« Doch da nahmen sie auch schon Fahrt auf und radelten die Straße hinauf. »Viel Spaß, Trina.« Tori winkte der fluchenden, vor Wut schäumenden, auf dem Gepäckträger sitzenden Trina nach. »Wer ist der Junge?«, verlangte David zu wissen. »Ach, jemand aus der Schule. Sinjin«, erklärte Tori und zwang sich, das breite Lächeln, das sich in ihre Wangen zu bohren drohte, nicht ins Rampenlicht zu zerren. »Er scheint nett zu sein«, sagte Holly und blickte ihrer ältesten Tochter nach, deren protestierendes Rufen das ganze Viertel hinauf zu hören war. Trina mochte sich irren, doch je länger sie unterwegs waren, desto anstrengender schien es ihm, sie voranzubringen. Ihre Finger krallten sich unter dem Sattel fest. Nie würde sie sich an ihm festhalten. Nicht einmal, wenn ihr Leben davon abhinge! Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, dass Sinjin Van Cleef derjenige war, der sie zum Essen ausführte. »Wenn wir noch etwas essen wollen, dann sollten wir uns beeilen!«, knurrte sie. Allmählich musste sie der Tatsache ins Auge blicken: Er war ihr Date – dieser merkwürdige, schräge Kerl mit den abartigen Angewohnheiten. Sie würde die nächsten Minuten tapfer über sich ergehen lassen, wenn immerhin ein schickes Restaurant auf sie wartete. O ja, sie würde sich den Bauch vollschlagen und ihn um die letzten Cents seines Taschengeldes bringen. Die Häuser zogen an ihnen vorüber und auch wenn Trina glaubte, die Nachbarschaft zu kennen, so war ihr diese Gegend unbekannt. Ob es an den spärlichen Lichtverhältnissen lag oder der Ruhe, die das Weihnachtsfest mit sich brachte, vermochte Trina nicht zu sagen. Sie hoffte nur, dass Sinjin wusste, wohin er fuhr. Als er einen Schlenker nach links machte, wäre sie beinahe vom Rad gerutscht. »Pass doch auf!«, fauchte sie und war nun mehr gezwungen, Halt an seiner Jacke zu suchen. »Tut mir leid, diese Kurve kriege ich selten«, erklärte er und war geneigt, einen knappen Blick über die Schulter zu riskieren. Sinjin besann sich eines Besseren. Nach wenigen Tritten in den Pedale hielt er endlich. Mit einem zischenden Laut hüpfte Trina, wenn auch etwas unbeholfen, von dem harten Metall des Gepäckträgers. Das ungemütliche Gestänge hatte sich in ihr Fleisch gebohrt. Murrend hob Trina den Blick, nachdem sie ihre Robe und Haar gerichtet hatte und stutzte. Ein Schnaufen, halb entrüstet, halb wütend entkam ihr. »Ist das ein Witz?« Sinjin quälte sich den Fahrradhelm vom Kopf. »Es ist das schickste Restaurant, das ich kenne«, erklärte er die wilde Fahrt quer durchs Viertel. Der Weg hatte sie zu MacBurgerQueen geführt. Einer Fastfood-Kette. Das kleine Gebäude, mit flachem Dach, glich mehr einem Bungalow, als einer hochmoderner Verköstigungsstätte. Zu Trinas Entsetzen waren jedoch die Lichter erloschen und weit und breit niemand zu sehen. Sie war geneigt, auf den Hacken kehrt zu machen. Irgendwie käme sie schon wieder nach Hause, auch wenn die Hoffnung schwand, freundlichen Menschen auf den Straßen, an einem 25. Dezember, zu begegnen. Sinjin schloss das Fahrrad an einen kümmerlichen Laternenpfahl, machte jedoch keinerlei Anstalten, sich ihres Verdrusses anzunehmen. Das Läuten einer weiteren Fahrradklingel ließ Trina zusammenzucken. Was war nur los mit all diesen, gesundheitsbewussten Leuten, die sich an den Tischen solcher Lokalitäten niederließen? »Entschuldigt bitte, aber Mikey wollte einfach keine Ruhe geben.« Trina wandte sich zu dem Neuankömmling um. Ein Mann radelte auf sie zu und meinte, das Wort an sie zu richten. »Kein Problem«, wank Sinjin ab. »Wie geht es Chrissy?« Der Neuling lachte und kam neben dem Gespann zum Stehen. »Sie ist fix und fertig. Maya und Leia kümmern sich zwar rührend um den Kleinen, aber Chrissy kann sie keine fünf Minuten aus den Augen lassen.« »Trina?« Diese zuckte kaum merklich, als Sinjin nach ihrer Aufmerksamkeit verlangte. »Das ist John. Er ist so nett uns heute Abend ein Festmahl zu bereiten.« »Oh.« Trina blinzelte gegen die Erklärung an. Auch wenn sie den Mann nicht kannte, da dies keine der Gegenden war, in denen sie sich aufhielt, überkam sie plötzlich ein Gefühl der Scham. Offenbar war John ein junger Familienvater und ließ seine Lieben für sie und Sinjin allein Daheim. Betreten senkte Trina den Kopf. »Das war eine ganz blöde Idee«, murrte sie in Sinjins Richtung. »Wie kannst du einen Vater einfach von seiner Familie wegreißen?« Sinjin gluckste und auch John stieß ein heiseres Lachen aus. »Familie?«, echote John und Trina spürte, wie ihr das Blut, der peinlichen Situation geschuldet, in die Wangen kroch. »John ist mein Cousin dritten Grades. Er hat eine Bulldogge zu Hause, die vor ein paar Wochen erst Babys bekommen hat«, erklärte Sinjin mit einem flüchtigen Zucken der Schultern. »Ja, Chrissy weiß gar nicht, wo sie zuerst nach den Kleinen suchen soll. Die sind schneller als Kakerlaken«, pflichtete John bei, griff in die Gesäßtasche seiner Jeans und zog einen Schlüssel hervor. Mit routinierten Griffen und Drehungen war das Schloss entriegelt und die Tür zum Innern geöffnet. John wusste, was er tat und kannte sich offensichtlich bestens in dem kleinen Laden aus. »Meiner Familie gehört diese Kette«, sagte er und ließ die Gäste eintreten. Das Interieur war im Stil der 50er Jahre eingerichtet, mit Tresen, Barhockern und den typischen Tischen, wie man sie oft in den Hollywood-Filmen sah. Sogar eine Jukebox stand im hinteren Teil des Raumes. Trina neigte den Kopf und ließ sich auf das erstbeste Polster sinken, das in ihrer Nähe war. »Deiner Familie gehört eine Burger-Kette?« »Nein«, sagte Sinjin wahrheitsgemäß und ließ sich, wenn auch ein wenig unbeholfen, auf den Platz ihr gegenüber sinken. »Johns Familie. Cousin dritten Grades.« Schwach nickte sie seine kleinen, erinnernden Worte ab. »Ja, richtig. Dein Cousin.« »Also«, rief John ihnen zu und schnürte sich im Gehen die weiße Schürze um die Hüften. Er langte nach zwei Speisekarten, die fein säuberlich gestapelt auf dem Tresen lagen und kam auf die zu. Er reichte erst Trina und dann Sinjin. »Dich brauche ich wohl nicht fragen, was du willst, hm, Sin?« Dieser grinste nur, doch Trina musterte den Jungen vor sich mit Skepsis. »Dann nehme ich dasselbe.« Sinjin und John tauschten einen Blick. »Bist du dir sicher?« Auch wenn Johns Frage ihr mehr nach einer Warnung klang, bejahte Trina mit eisernem Kopfnicken. »Okay.« Als John abzog, beugte sich Trina über den Tisch. »In Ordnung, was habe ich da eben bestellt?« Wieder zuckte Sinjin nur die Schultern. »Spepfa und ein Double-Bacon-Cheddar-Burger.« Trinas Augen wurden groß. »Du hättest fragen sollen, bevor dich entscheidest«, mahnte Sinjin. »Nein, pfff«, lachte Trina auf. »Der Burger ist okay. Nur dieses … Spepfa macht mir Sorgen.« John, der hinter dem Tresen stand und die Getränke mixte, grinste nur. Mit klirrenden Gläsern auf einem Tablett, das Trina für diese Stätte zu nobel erschien, huschte John an ihren Tisch. Trina kam nicht umhin zu bemerken, dass Sinjin und sie die einzigen Gäste waren. Seit ihrer Ankunft hatte sie sich verstohlen umgesehen. War das die Überraschung? Über welche, seltsamen Kontakte verfügte Sinjin wohl noch? Einen Cousin mit Hundemeute, dessen Familie eine kleine Fastfood-Kette besaß? Als nächstes machte er ihr noch weis, er wäre mit einem der Prinzen von England verwandt. Auch wenn Trina keine Ahnung hatte, wo England lag. »So, bitte. Zwei Mal Spepfa.« John stellte die Bestellung vor ihnen ab. Der Inhalt des hohen Glases erinnerte Trina an trübe, verwässerte Cola. Ihr schwante Übles. Doch der braune Pfuhl sprudelte, also musste noch etwas Pep in dem Getränk sein. Sie schnupperte daran. Dass John bereits in der Küche verschwunden war, registrierte sie nur am Rande. Es gelang ihr kaum, die vielen Komponenten dieser Mischung zu bestimmen. Mutiger, als sie sich fühlte, langte sie nach dem kalten Glas. Kondenswasser perlte herab und benetzte ihr die Finger. Zögernd setzte sie das Glas an ihre Lippen. Abermals kroch ihr unbestimmbare Geruch in die Nase. Doch dann hielt Trina inne, denn sie fühlte sich beobachtet. »Tut mir leid«, nuschelte sie und stellte den Trink wieder auf den Tisch. Sinjin starrte sie mit riesigen Augen an. Doch vielleicht war auch nur diese hässliche Brille schuld? »Ich dachte schon, du hättest deine Kinderstube vergessen.« Betreten schürzte sie die geschminkten Lippen. »Tut mir leid.« Mit klammen Fingern nahm sie das Glas wieder auf. Leise klirrend stieß Sinjin sein Getränk gegen ihres. Es dauerte ihr unheimlich lang, bis Sinjins Großcousin endlich die Fritten brachte. »Die Burger sind auch gleich fertig«, sagte John und stellte die zwei roten Körbchen, ausgelegt mit einer rot-weiß-karierten Serviette und dampfenden Pommes zwischen ihnen auf den Tisch. »Ketchup, Mayonnaise, Senf.« Nickend verwies John auf die drei Plastikflaschen, die in weiß, rot und gelb den hoffentlichen Inhalt versprachen. Trina langte nach dem ersten Kartoffelkringel und knabberte daran. »Du brauchst dich nicht zieren«, sagte Sinjin, griff nach seinem Getränk und nahm einen großzügigen Schluck. Noch hatte sie sich nicht überwinden wollen, das Gemisch zu probieren. Als Sinjin ihr erklärte, dass es sich dabei um einen wilden Mix aus Sprite, Pepsi und Fanta-Lemonade handelte, mit einem Schuss Root Beer, drehte sich ihr der Magen um. Es käme auf das Mischungsverhältnis an, sagte Sinjin, und wohl niemanden gelang die Herstellung so perfekt, wie John. »Na schön«, sagte Trina. »Wenn du darauf bestehst!« Munter fischte sie sich von Fritte zu Fritte und verspürte eine merkwürdige Erleichterung. »Weißt du, was wirklich ulkig ist?«, fragte Trina nach einer Weile und zog eine weitere Fritte durch den Ketchup. Sinjin verneinte unwissend. »Dass ich Toris Zettel klauen wollte«, erklärte sie und verspeiste den vollgesogenen Kartoffelstick. Knapp kniff Sinjin die Augen zusammen. »Ironie des Schicksals, was?« Ein murrender Laut entkam ihr. Als John die Burger brachte, troff eine weiße Sauce mit merkwürdigen, blauen Stücken auf den Teller. Trina verzog das Gesicht. »Das ist Schimmelkäse«, meinte John sichtlich stolz und Trina warf einen furchtsamen Blick auf Sinjin, dessen Gesicht von Ohr zu Ohr strahlte. »Schimmelkäse? Davon hast du nichts gesagt«, empörte sie sich. »Das ist das kleine Weihnachtsextra«, grinste John. Trina schluckte. Vorsichtig nahm sie die obere Brötchenhälfte ab. Sauce, Käse, mindestens vier Sorten, zwischen zwei Fleischscheiben, krossgebratener Speck, Zwiebeln, Tomate und Gurkenstückchen tummelten sich darunter. Schmatzgeräusche ließen sie aufsehen. Genüsslich biss Sinjin in den Burger. Kurz überlegte Trina, doch dann tat sie es ihm gleich. Wie bei dem seltsamen Getränk musste sich Trina erst einmal an die verschiedenen Komponenten gewöhnen. Sie schwankte zwischen Begeisterung und Ekel. Säure, Süße, Schärfe und eine gewisse Strenge mischten sich in ihrem Mund zu einem Reigen, der erst nach einem weiteren Bissen seine volltönende Sinfonie entfaltete. Und tatsächlich war ihren ihr die Nuancen weit weniger unangenehm, als sie dachte. »Gut, oder?« Dass Sinjin mit vollem Mund sprach, hätte sie anwidern sollen, stattdessen gluckste Trina und stimmte ihm, wenn gleich mit Widerwillen, zu. Zu Trinas Erstaunen war ihr der Abend nicht so schrecklich, wie sie es sich, nach dem ersten Schock, vorgestellt hatte. Auch wenn sie es nur ungern zugab, hatte sie vielleicht sogar ein wenig Spaß. Gegen neun Uhr brachte Sinjin sie zurück zum Haus der Familie Vega. Trina und Sinjin hatten sich von John verabschiedet, der nach seiner Putzaktion und dem ordnungsgemäßen Verschließen des Ladens in die entgegengesetzte Richtung davonfuhr. Pappsatt und wohlig matt entfuhr ihr ein undamenhafter Laut. »Entschuldigung.« Sinjin lachte leise. »Kein Problem.« Schweigend gingen beide nebeneinander her, ehe es Sinjin wohl sämtliche Überwindung kostete, das Wort abermals an sie zu richten. Seine Finger umschlossen die Griffe des Lenkrads fest, ehe er stoppte. »Hat dir der Abend denn ein wenig gefallen?« Trina hielt inne und überlegte. Lang. »Ja«, sagte sie gedehnt, »ja, ich denke schon. Vielleicht. Ein bisschen.« Schweigend nahm Sinjin ihre Worte hin. Sie hatte erwartet, dass ihre Familie noch immer am Fenster stand, um das Heimkommen der ältesten Tochter zu erwarten. Doch nur die Lichter der kleinen Wohnzimmerlampen zeugten davon, dass noch jemand auf den Beinen war. Trina wappnete sich für den Ansturm, der ausblieb. Sie linste ins Wohnzimmer. Dort saß Tori, der sie all das zu verdanken hatte. Nie würde sie ihr sagen, dass sie so etwas wie Spaß hatte. Und hoffentlich hielt Sinjin sich an ihre Abmachung, niemanden davon zu erzählen. In eine Wolldecke eingehüllt, reckte Tori den Hals. Von den Eltern war nichts zu sehen. »Hey. Und, wie war's?«, fragte sie. Trina verengte die Augen, bleckte die Zähne und fauchte: »Ein Alptraum!« Dann rauschte sie in ihr Zimmer und warf die Tür mit Wucht ins Schloss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)