Broken Birdie von MyHeartInTheAttic ================================================================================ Kapitel 1: Blätter im Wind -------------------------- Der Herbst hielt in diesem Jahr früh Einzug in Konohagakure und blies bereits Anfang September die ersten bunt gefärbten Blätter von den Bäumen. Sakura Haruno rieb sich fröstelnd über die nackten Oberarme, während sie konzentriert ihren Aufsatz über die vier Gesetze der Iryōnin Korrektur las, als ihr plötzlich eine Serviette mitten ins Gesicht klatschte. Die junge Kunoichi kniff erschrocken die Augen zusammen und schlug panisch nach dem gebleichten Stück Stoff. Ino Yamanaka brach in schallendes Gelächter aus. „Prima Reaktionsvermögen“, feixte sie. „Halt die Klappe“, sagte Sakura schmunzelnd, klaubte die Serviette von ihrem Schoß und warf sie zurück auf Ino, die sie mit eleganter Leichtigkeit aus der Luft fing und ihr demonstrativ grinsend damit zuwinkte. „Bist du wenigstens wieder auf der Erde eingetroffen? Ich habe bestimmt zehn Minuten lang versucht, deine Aufmerksamkeit zu bekommen.“ Die deutliche Übertreibung ließ Sakura leicht mit den Augen rollen. „Was ist denn, Ino?“ Schlagartig wurde Ino ernst. „Ich wollte wissen, was du zu Regel drei geschrieben hast: Ein Iryōnin soll immer als Letzter seines Teams sterben. Das ist doch bescheuert, als könnte ich das irgendwie beeinflussen“, ereiferte sie sich. Auf ihren blassen Wangen erblühte eine fleckige Röte und sie zog ein Gesicht, als wäre sie kurz davor, ihren Aufsatz zusammenzuknüllen und Lady Tsunade an den Kopf zu werfen. „Ich bin da echt nicht scharf drauf, aber wenn ich tödlich verwundet werde, wird meinen Vitalfunktionen schnuppe sein, ob sie schlappmachen dürfen oder nicht.“ „Du darfst es nicht zu wörtlich auslegen“, sagte Sakura und schob Ino ihren Aufsatz über den kleinen Bistrotisch zu. Die Blonde stöhnte gequält auf, als sie die zahlreichen Seiten, die dicht mit Sakuras winziger Handschrift beschrieben waren, durchblätterte. „Ich habe mich hauptsächlich darauf bezogen, dass Iryōnin sich zwar bei Kämpfen im Hintergrund zu halten haben, aber dennoch kampferprobt genug sein müssen, um feindliche Angriffe abwehren zu können. Ein Iryōnin, der dazu nicht in der Lage ist, fällt seinem Team zur Last, da es ihn zusätzlich beschützen muss, wird selbst verletzt oder getötet, wodurch er seine Teamkameraden nicht mehr unterstützen kann. Außerdem bin ich auf den moralischen Aspekt eingegangen, dass man kein Teammitglied dem anderen vorziehen darf, also sich nicht zu Ungunsten des Teams in Gefahr bringen darf, um Familie oder Freunde zu retten.“ „Hm?“, machte Ino abwesend, was Sakura amüsiert den Kopf schütteln ließ. Das war typisch für die Blonde, erst fragte sie etwas, hörte dann aber doch nicht zu. Wahrscheinlich würde es wieder einmal darauf hinauslaufen, dass Ino ihre Hausaufgaben abschrieb, doch solange sie den Inhalt mit eigenen Worten wiedergab und Lady Tsunade nichts bemerkte, hatte Sakura kein Problem damit. Ino Yamanaka war schließlich nicht dumm, nur lagen ihr schriftliche Ausarbeitungen so gar nicht. Während die Blondine den Aufsatz aufmerksam studierte, nippte Sakura an ihrem Bancha¹, der unterdessen kalt geworden war und einen unangenehm pelzig-bitteren Geschmack über ihre Zunge spülte, und ließ die Augen durch die Gegend schweifen. Schon den ganzen Tag lang lag Konoha unter einer stahlgrauen Wolkendecke verborgen, sodass sich kaum Menschen auf den Straßen aufhielten. In dem an das Café angrenzenden Park konnte sie Hidan hören. Der silberhaarige Unruhestifter war laut und vulgär und seine Stimme schwappte in anrollenden Wellen immer wieder zu den beiden jungen Frauen herüber. In einiger Entfernung saß ein schwarzhaariger Junge unter einem Baum und las. „Sag mal, darf ich mir das bis morgen ausleihen?“, fragte Ino erwartungsvoll. „Ja klar, kein Problem“, sagte Sakura und wandte ihr das Gesicht zu. „Wollen wir noch was trinken?“ „Geht leider nicht, mein Vater versucht sich mal wieder an einer neuen Blumenkreuzung und ich habe versprochen, ihm dabei zu helfen.“ Ihr Tonfall klang genervt, als wüssten sie nicht beide, wie sehr Ino die meist von vornherein zum Scheitern verurteilten Experimente mit ihrem Vater liebte. Sie verstaute die Aufsätze in ihrer Tasche und verabschiedete sich mit einer kleinen La-Ola-Welle ihrer Finger von der Rosahaarigen. Sakura sah dem wippenden Pferdeschwanz nach, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, dann winkte sie den Kellner heran, bestellte eine frische Tasse Tee und holte eine Ausgabe von Die Legende des mutigen Ninja aus ihrer Tasche. Shizune, die gelegentlich zur Geschwätzigkeit neigte, hatte ihr erzählt, dass der alte Perversling, der Naruto trainierte, nicht nur der Autor jener Schmuddelromane war, die Kakashi so liebte, sondern auch ein ehemaliges Teammitglied Lady Tsunades, und da war sie neugierig geworden. Tatsächlich gefiel ihr die Geschichte gut; deren Tiefgründigkeit überraschte sie nicht weniger als die Similarität der Charaktere zu Team 7. Es war ihr sogar ein bisschen unheimlich, wie parallel ihre realen Leben zu denen der Romanfiguren verlaufen waren. Da gab es Naruto, den Protagonisten, der, nun ja, genau wie ihr Naruto war, ein gutmütiger Trottel, mit dem man erst mal warm werden musste. Sakura grinste verstohlen. Da gab es Tsuyu, die taffe Iryōnin, die Naruto zur Seite stand und ihn gelegentlich vermöbelte. Natürlich war Naruto bis über beide Ohren in Tsuyu verliebt, doch die liebte den coolen Renge, der eines Nachts plötzlich aus ihrem Dorf verschwunden war. Das Grinsen verging Sakura. *~*+*~* Sakura saß da, bis es ihr zu kalt und zu dunkel zum Lesen wurde, bezahlte und machte sich auf den Heimweg. Hidans durchdringendes Lachen war seit geraumer Zeit nicht mehr erklungen, aber sie überlegte trotzdem, ob sie vorsichtshalber auf die Abkürzung durch den Park verzichten sollte. Begegnungen mit Hidan waren meistens unangenehm; der Typ war ein unausstehlicher Proll, an dem keine Frau vorbeigehen konnte, ohne blöd von der Seite angemacht zu werden. Gleich im darauffolgenden Moment tadelte sie sich für ihre Feigheit. Sie war eine Kunoichi, sie wollte und durfte sich nicht von so einem Hampelmann einschüchtern lassen. Sie verstaute den Roman in ihrer Tasche, die sie über die Schulter warf, und betrat die Dunkelheit des Parks. Früher am Tag hatten sich hier noch zahlreiche Sonnenanbeter getummelt, doch inzwischen war der Park wie ausgestorben. Der Wind raschelte durch die Baumkronen, die ersten Nachtinsekten zirpten, und dann gellte ein anzüglicher Pfiff durch die Stille. Steifbeinig schritt Sakura voran. Zu ihrer Linken hockte Hidan breitbeinig auf einer Steinbank, mehrere leere Bierflaschen lagen auf dem Boden. Neben ihm saß jemand, dessen langes Haar im rasch schwindenden Abendlicht wie eine goldene Kaskade um seinen Oberkörper wehte. Für einen Sekundenbruchteil hielt sie diese Person für Ino, dann blökte Deidara: „Glotz nicht so.“ „Tschuldigung“, nuschelte Sakura, obwohl sie nicht mal eine halbe Sekunde zu ihm geblickt hatte und auch nur, weil sie aus dem Augenwinkel heraus sehr viel blondes Haar gesehen hatte. Einfach ignorieren und weiterlaufen, dachte sie, doch in ihrer Magengegend braute sich eine ungute Vorahnung zusammen. „Setz dich mal ein bisschen zu uns, du Süße“, höhnte der silberhaarige Yu-Nin und verbaute ihr plötzlich mit seiner breiten Statur den Weg. Schaler Biergeruch kroch ihr in die Nase und sie ermahnte sich, nicht das Gesicht zu verziehen, um ihn nicht unnötig zu provozieren. „Willst‘n Bier?“ „Nein, danke“, sagte sie bemüht höflich und versuchte, an ihm vorbeizugehen. „Nein, danke“, äffte Hidan Sakura mit verspottender Piepsstimme nach und rempelte sie dermaßen grob mit der Schulter an, dass sie zwei Schritte zurückstolperte. „Mach dich mal locker, Puppe.“ „Hör auf mit dem Unsinn und lass mich vorbei“, forderte sie selbstbewusster als sie sich fühlte, sah Hidan dabei fest in die Augen, der seine Lippen nur zu einem unbeeindruckten Halbschmunzeln verbog. Deidara gluckste vor sich hin, als hätte er einen urkomischen Witz gehört. „Ich hab gesagt, du sollst dich hinsetzen.“ In Hidans Augen lag ein wahnsinniger Glanz, der ihre Kopfhaut unangenehm prickeln ließ, dann kickte er ihr so kräftig die Füße weg, dass sie für einen Moment waagerecht in der Luft hing. Sakura knallte mit einer Wucht auf den Rücken, die ihr mit einem langgezogenen Uff sämtliche Luft aus dem Körper presste. Für eine schreckliche Sekunde konnte sie nicht einatmen. „Braves Mädchen“, feixte er. „Das reicht, Mann“, sagte Deidara, während seine Augen nervös durch den Park huschten. „Ist doch nicht meine Schuld, dass die Weiber in diesem Drecksdorf alle solche Zicken sind“, schnauzte er den Blonden selbstgerecht an. „Lass die jetzt in Ruhe, hm. Das gibt nur Probleme.“ „Du hast mir gar nix zu sagen, du Pisser“, keifte Hidan. Sakura nutzte den Moment der Ablenkung, drückte sich mit den Schulterblättern kraftvoll vom Boden ab und wollte Hidan einen ihrer berühmt-berüchtigten Kinnhaken verpassen, doch sie hatte nicht genug Geschwindigkeit und er wehrte ihre Faust mühelos ab, packe ihr Handgelenk und drehte ihren Arm brutal auf den Rücken. „Das war nicht nett, kleine Maus“, spöttelte er und kickte ihr die Füße abermals weg, sodass sie auf die Knie sackte. In ihrem Schultergelenk knackte es widerwillig, ein stechender Schmerz schoss bis in ihren Nacken. „Willste dich etwa mit mir anlegen?“ „Lass mich los“, forderte sie gepresst, damit man ihrer Stimme weder die Angst noch den Schmerz anhörte. Ihre smaragdgrünen Augen suchten Deidaras nebelblaue, weil sie sich Unterstützung von ihm erhoffte, doch obwohl der blonde Iwa-Nin nicht glücklich über Hidans Verhalten wirkte, schien er aber auch nicht eingreifen zu wollen. „Sag bitte.“ „Lass mich gefälligst los oder ich…“ Der Yu-Nin riss ihren Arm hoch, wodurch der restliche Satz in einem langgezogenen Keuchen endete. „Willste mir drohen?“, zischte er und brachte sein Gesicht nahe an ihres. Sie konnte die Wut darin sehen und seinen heißen Bieratmen riechen. „Niemand droht mir, kapiert? Oder soll ich dir zeigen, was ich mit solchen wie dir mache?“ Sakura spürte einen Windhauch ihre Wange streifen, hörte das helle Surren eines Kunai, das die Luft dort zerschnitt, wo nur einen Sekundenbruchteil zuvor Hidans Kopf gewesen war, und sich mit einem dumpfen Laut in den Erdboden bohrte. Der Silberhaarige war dem Wurfmesser mühelos mit einem Satz nach hinten ausgewichen, hatte sie dabei jedoch freigeben müssen. „Bist du sicher, dass du diesen Gedanken näher ausführen willst?“, fragte eine kalte Stimme in ihrem Rücken. Sasuke Uchiha trat aus dem Schatten eines Ahornbaums hervor, die Hände nonchalant in den Hosentaschen vergraben und fixierte den Silberhaarigen mit seinen emotionslosen onyxfarbenen Augen. „Ein Uchiha?“, schnarrte Hidan. Deidara gab ein Geräusch wie eine beleidigte Katze von sich. „Du bist doch der Bruder von diesem Itachi. Hast zumindest die gleiche hässliche Visage.“ „Wenn du Stress suchst, kannst du den haben.“ „Ich schlottere“, sagte Hidan gespielt bestürzt. „Solltest du Trottel auch.“ Der Schwarzhaarige nickte mit dem Kinn in Sakuras Richtung. „Das ist eine Schülerin von der Hokage und die schmeißt euch schneller aus dem Dorf, als eure Erbsenhirne begreifen können.“ „Mir doch scheißegal.“ „Dann kannst du es ja drauf ankommen lassen“, sagte Sasuke ruhig. Seine Lippen zierte der Hauch eines hämischen Lächelns und seine ganze Haltung war provozierend lässig. Hidans Ausdruck veränderte sich; sein Grinsen verzerrte sich, wurde zu seiner Fratze und seinen Hals kroch eine fleckige Röte empor. „Fühlst dich wohl toll, weil du der Bruder vom großen Itachi Uchiha bist, aber ich wette, du hast nix drauf.“ „Bist du in meinen Bruder verknallt oder wieso redest du die ganze Zeit von ihm? Itachi ist nicht hier und ich brauche ihn nicht, um mit einem Loser wie dir fertigzuwerden.“ „Sasuke“, wisperte Sakura erschrocken und schlug sich die Hand vor den Mund. Sie war dankbar, dass er ihr zu Hilfe gekommen war, aber wenn er diesen Proll weiterhin reizte, würde die Situation definitiv eskalieren, und hitzköpfig wie er sein konnte, würde er nicht damit aufhören. „Deidara!“, knurrte Hidan gefährlich und streckte die Hand aus, damit der Iwa-Nin ihm seine Sense zuwarf, die noch immer neben der Bank lehnte. Deidara nahm die Sense, machte jedoch keine Anstalten, Hidan diese zu überreichen. An Sasuke gewandt sagte er: „Hidan wollte sich bloß mit dem Mädchen da unterhalten, hm. Offenbar ist es dabei zu einem kleinen Missverständnis gekommen. Ist doch so, oder?“ Hidan knurrte gefährlich. „Sah von da, wo ich saß, anders aus.“ Sasukes indifferenter Tonfall gab wenig Aufschluss darüber, was er dachte. Die nebelblauen Augen des Blondhaarigen rutschten auf Sakura, die, verdattert über die plötzliche Wendung, nicht sofort begriff, was er von ihr wollte. „Er hat recht“, stimmte sie schließlich mit einem zittrigen Lächeln zu, obwohl sich die Worte eklig in ihrem Mund anfühlten. Sasuke schnaubte lediglich. „Dann wäre das geklärt, hm“, sagte Deidara und nickte Hidan auffordernd zu. Der Yu-Nin hatte einen mörderischen Ausdruck in den Augen. Wir sind hier noch nicht fertig, sagten sie klar und deutlich, doch dann fuhr er sich über sein streng zurückgekämmtes, silbergraues Haar und lächelte maliziös, als ginge ihn das alles nichts an. „Was is‘, Mutti, krieg ich mein Spielzeug zurück?!“, sagte er zu Deidara. Der Blonde reichte ihm die Sense und Hidan warf einen letzten süffisanten Blick auf Sakura, der dafür sorgte, dass ihr Magen wie eine Bleikugel absackte, ehe er in einem Blätterwirbel verschwand. Deidara tat es ihm nach. Sakura hatte unbewusst die Luft angehalten, die sie nun mit einem Seufzen aus ihrer Lunge entweichen ließ, und drehte den Kopf zu Sasuke, der weiterhin die Stelle anstarrte, an der Hidan gerade noch gestanden hatte. Sie ahnte, wie unbefriedigend die Situation für ihn sein musste. Sasuke spürte ihren Blick auf sich und sah ihr ins Gesicht, sah ihr zum ersten Mal in die Augen. Sie konnte nicht verhindern, dass sie heftig errötete. Natürlich sah er immer noch überwältigend gut aus und strahlte eine überlegene Coolness aus, die kein Frauenherz gänzlich unberührt ließ, egal wie wehrhaft es zu sein versuchte. Dem gegenüber stand jedoch der kalte Ausdruck in seinen Augen, der sie sich unweigerlich wie Dreck fühlen ließ. Sakura räusperte sich verlegen, rappelte sich auf und klopfte notdürftig den Schmutz von ihrer Kleidung. Ihre Wangen fühlten sich noch immer warm an. „Du hast gekuscht wie ein Feigling“, sagte er plötzlich und betrachtete sie geringschätzig. „Dabei sollte man meinen, Tsunades Meisterschülerin hätte mehr drauf.“ Seine Kritik traf da, wo es richtig wehtat, wahrscheinlich weil sie enttäuscht genug von sich selbst war. Hidan mochte ein Jōnin Yugakures sein, dennoch hätte sie sich nicht derart vorführen lassen dürfen. „Ich wollte nicht, dass es mitten im Dorf zu einem Kampf kommt, nicht wegen so einer Lappalie“, rechtfertigte sie sich. Außerdem hatte sie nicht gewollt, dass Sasuke ihretwegen bestraft wurde, aber das sagte sie nicht, denn dann würde er ihr bloß vorwerfen, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. „Lappalie nennst du das?“ Seine Brauen schnippten nach oben. „Naja, musst du wissen.“ Er wandte sich zum Gehen und sie kam sich schlagartig undankbar vor. „Danke“, rief sie ihm hinterher, doch er reagierte nicht auf sie, ließ nicht erkennen, ob er sie überhaupt gehört hatte. Sakura überlegte, ob sie ihm nachlaufen sollte, entschloss sich dann jedoch dagegen. Zu viele Jahre war sie ihm nachgelaufen und ihr Dank bedeutete ihm ohnehin nichts. Frustriert seufzte sie auf und machte sich endgültig auf den Heimweg. Ihre Gedanken hingen bei Sasuke und sie verachtete sich ein bisschen dafür, wie leicht sie in alte, längst abgelegte Muster zurückfiel. Sie war felsenfest überzeugt, ihre alberne Kindheitsschwärmerei hinter sich gelassen zu haben, doch in diesem Moment fühlte sie sich wieder wie ihr zwölfjähriges Ich, das dem Uchiha schafsköpfig hinterhergehechelt war und sich eine demütigende Abfuhr nach der anderen abgeholt hatte. Und es fühlte sich nicht gut an. Ihre Verliebtheit in Sasuke hatte sich nie gut angefühlt, wenn sie ehrlich mit sich war. Sie kannte Sasuke, seit ihrer gemeinsamen Akademiezeit, war als Genin sogar demselben Team zugeteilt worden, und ja, auch sie war einst – wie fast alle Mädchen – unsterblich in ihn verknallt gewesen, aber richtig angefreundet hatten sie sich nie. Seit sie unter Lady Tsunade trainierte und die ehemaligen Mitglieder von Team 7 alle ihrer eigenen Wege gingen, hatte sie nicht mal mehr wirklich mit ihm gesprochen. Dieses Mädchen wollte sie nicht mehr sein. Sie war Sakura Haruno, vielversprechendste Iryōnin-Schülerin der großen Tsunade Senju, dafür hatte sie hart trainiert und fleißig gelernt. Das kleine Mädchen, das bei Gefahr zu Stein erstarrte, schnell losflennte und sich immerzu auf ihre männlichen Teammitglieder verließ, gab es nicht mehr. *~*+*~* Sakura betrat ihr Elternhaus, streifte sich die Sandalen ab und wollte ins Badezimmer schlüpfen, ehe ihre Mutter sie und ihre verdreckte Kleidung entdecken konnte, als Mebuki Haruno auch schon aus der Küche rief: „Sakura, bist du das?“ „Ja, Mama, wer denn sonst?“, rief die Rosahaarige genervt zurück. „Rede nicht in diesem Ton mit mir, Fräulein“, schnauzte Mebuki und riss die Fusuma² energisch auf. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Ich warte und warte, du hättest ruhig mal anrufen können. Wo warst du die ganze Zeit?“ „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich mit Ino treffe.“ Mebukis Lid zuckte. „Ino ist schon seit Stunden zuhause. Ich habe vorhin Frau Yamanaka getroffen, die sich darüber beschwert hat, dass ihr Mann und ihre Tochter mit irgendeinem stinkenden Spezialdünger experimentieren. Also, wo hast du dich herumgetrieben? Und wie siehst du überhaupt aus?“ „Ich bin hingefallen.“ „Hingefallen?“, echote Mebuki spitz. „Ja, hingefallen. Das kann doch mal passieren“, entgegnete Sakura zunehmend wütend. Sie liebte ihre Mutter wirklich, doch deren überfürsorgliche Art, gepaart mit dem strengen, teils rauen Umgangston ließ sie sich wie ein unartiges Kind fühlen und das konnte sie jetzt nicht auch noch gebrauchen. „Ich geh mich waschen, wenn’s recht ist.“ „Mach aber nicht alles dreckig und tu deine schmutzigen Sachen in den Wäschekorb, anstatt die wieder überall rumliegen zu lassen“, mahnte ihre Mutter. „Ich mache dir in der Zwischenzeit was vom Abendessen warm.“ „Ich habe keinen Hunger“, fauchte Sakura, während sie die Treppe in die obere Etage hochstampfte. „Was, wieso nicht? Machst du etwa schon wieder Diät?“ Sakura knallte die Badezimmertür hinter sich zu, dass die Wände erzitterten, und sperrte das Genörgel ihrer Mutter aus dem Raum. Sie wusch sich und ließ sich anschließend in das angenehm heiße Badewasser gleiten, das ihre Muskeln wohlig seufzen ließ. Mit einem kühlen Waschlappen über den geschlossenen Augen versuchte sie an nichts, vor allem nicht an Sasuke zu denken, doch ihre Gedanken kreiselten immer wieder zu ihm zurück. Sie wollte seine Vorwürfe zurückweisen, wollte ihm mit stolz erhobenem Haupt entgegentreten, aber er hatte recht damit, denn es ließ sich nicht leugnen, dass sie bei der Konfrontation mit Hidan auf ganzer Linie versagt hatte. Sakura riss sich den Waschlappen vom Gesicht, weil die Blindheit sie sich plötzlich schutzlos fühlen ließ, und schleuderte ihn wütend ins Wasser, das bis zur Decke spritzte. Wut war besser als Enttäuschung. Sie zog die Beine an, bettete ihre Stirn auf die Knie und dachte schon wieder an Sasuke. „Sakura!“, rief Mebuki plötzlich, begleitet von einigen donnernden Faustschlägen gegen die Tür, die in den Angeln erzitterte. Die Rosahaarige versenkte sich bis zum Kinn im Wasser. Konnte man in diesem Haus keine fünf Minuten Ruhe haben?! „Was ist denn schon wieder?“, schrie sie zurück. „Meisterin Hokage will dich sprechen.“ „Was? Jetzt noch?“, fragte sie. „Natürlich jetzt noch. Sie ist hier. Sieh also gefälligst zu, dass du aus der Wanne kommst.“ Was wollte Lady Tsunade zu dieser späten Stunde bei ihr zu Hause? Sakura sprang aus dem wohlig warmen Wasser, wobei sie den Badezimmerboden flutete, und wickelte sich fest in ein Duschtuch ein. Tropfnass hastete sie in ihr Zimmer, um sich frische Kleidung anzuziehen, stürmte dann polternd die Treppe hinab und fand Lady Tsunade mit einer dampfenden Tasse Tee am Kotatsu³ vor. Mebuki quasselte aufgeregt auf sie ein, was für eine Ehre es sei, sie in ihrem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Lady Tsunades Schläfenarterie war bereits bedrohlich angeschwollen. Sakura betrat das Wohnzimmer und beide Frauen sahen auf. „Das hat aber gedauert. Du kannst unsere verehrte Hokage doch nicht so lange warten lassen“, schimpfte Mebuki und sagte an Lady Tsunade gewandt: „Bitte entschuldigen Sie das Benehmen meiner Tochter.“ „Es gibt nichts zu entschuldigen, schließlich bin ich unangemeldet hergekommen“, erwiderte sie. „Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte sie zu Sakura. „Keineswegs“, beteuerte Mebuki energisch. Sakura runzelte leicht die Stirn. Sie hasste diese Gedanken, doch das Verhalten ihrer Mutter war ihr peinlich, gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, da sie die Ranghöhere von beiden war und die Bevormundenden ihre Autorität untergruben. Sie verneigte sich vor der blonden Frau, die auf eine Antwort von ihr wartete, und fragte: „Was kann ich für Sie tun?“ „Ich muss in einer dringenden Angelegenheit mit dir sprechen.“ Ihre Augen streiften Mebuki, die ihr mit gespitzten Ohren gegenübersaß. „Es ist vertraulich.“ Mebuki, die den Wink mit dem Zaunpfahl nach einem langen, unmissverständlichen Blick Lady Tsunades nicht länger ignorieren konnte, zog einen gekränkten Schmollmund, verabschiedete sich jedoch unter vielen Verbeugungen aus dem Raum. Sakura nahm den Sitzplatz ihrer Mutter ein und horchte einen Moment auf das übertrieben laute Geschirrgeklapper aus der Küche. Sie hatte geahnt, dass sie das Gespräch zu belauschen versuchen würde, und kniff die Lippen ärgerlich zusammen. Mebuki sprach zwar oft über die Ehre und das Pflichtgefühl eines Ninja, sah sich selbst jedoch offenbar davon befreit. Lady Tsunade verdrehte die Augen, ehe sie ihre junge Schülerin aufmerksam musterte. „Geht es dir gut?“, fragte sie mit gesenkter Stimme. „Du siehst bedrückt aus.“ Mist, der blonden Frau entging wirklich gar nichts. Sakura lächelte unverbindlich. „Ich bin bloß müde; Ino und ich haben den ganzen Tag gelernt.“ „Du meinst, du hast Ino deine Hausaufgaben abschreiben lassen“, sagte Lady Tsunade trocken. „Sie hat nicht…“ „Natürlich hat sie! Und du lässt sie, was genauso schlimm ist“, unterbrach Lady Tsunade sie streng. Sakura senkte den Blick ertappt auf die Tischplatte, was der älteren Frau ein heiseres Lachen entlockte. „Ihr haltet mich wohl für blöd, dass ich sowas nicht merke. Diese Tricks waren schon uralt, als ich noch jung war. Aber deswegen bin ich nicht hier.“ Sakura warf einen flüchtigen Blick Richtung Küche, als könnte sie durch die Tür sehen, ob ihre Mutter noch lauschte, dann lehnte sie sich gespannt näher an Lady Tsunade heran. „Warum sind Sie denn hier?“ Lady Tsunade nippte an dem Tee, den Mebuki ihr aufgebrüht hatte, und faltete anschließend die Hände unter dem Kinn. „Wie du weißt, ist es mein Ziel, jedem Team einen Iryōnin an die Seite zu stellen, allerdings haben wir derzeit nicht genügend qualifizierte Kräfte, um dieses Vorhaben zeitnah in die Tat umzusetzen, deswegen hatte ich ein Treffen mit dem Ältestenrat, um ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, dass jeder Shinobi eine Grundausbildung in den Heilkünsten durchlaufen soll und medizinische Jutsu künftig bereits auf der Akademie unterrichtet werden sollen. Dadurch könnten die Teams kleinere Verletzungen eigenständig behandeln, Verletzte ausreichend stabilisieren, um sie zu transportieren, und bei den Anwärtern könnte es den Grundstein für das Interesse an einer medizinischen Laufbahn legen.“ Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Du kannst dir vermutlich denken, dass mein Anliegen keine Begeisterungsstürme ausgelöst hat.“ Sakura nickte verstehend. Ihr war unbegreiflich, weshalb die Heilkünste bei der breiten Masse so wenig Ansehen genossen. Kaum einer wollte sich zu einem Medizin-Ninja ausbilden lassen und ihre Anwesenheit in den Teams galt als überflüssig, zumindest so lange, bis der Ernstfall eintrat. Der Job der Sanitäter war wichtig, doch sie arbeiteten nun mal im Hintergrund, während sich die meisten ihr Prestige lieber an vorderster Front verdienen wollten. Zudem war die Ausbildung schwierig und langwierig. Vielen war es vermutlich zu viel Arbeit für einen Beruf, in dem man zumeist nur wenig Ruhm erlangte. „Was wollen Sie nun machen?“ „Tja… Ich gebe die Hoffnung nicht auf, den Ältestenrat von der Sinnhaftigkeit dieser Teamkonstellation zu überzeugen.“ Die Hokage widmete sich dem Tee und für einige Augenblicke war nur ihr Schlürfen zu hören. Das Geklapper in der Küche war verstummt. „Sag mal, hast du eigentlich noch Kontakt zu deinem alten Team?“ Die junge Kunoichi runzelte die Stirn über den unerwarteten Themenwechsel. Wie kam Lady Tsunade darauf? Es kam Sakura wie ein arger Zufall vor, dass sie ausgerechnet heute nach ihrem alten Team befragt wurde, wo sie das erste Mal seit Monaten mit Sasuke gesprochen hatte. Hatte ihre Mentorin von dem Vorfall im Park erfahren? „Geht so“, antwortete sie ausweichend. „Manchmal gehe ich mit Naruto eine Nudelsuppe essen.“ „Und Sasuke Uchiha, war der nicht auch mit euch in einem Team?“ „Ähm, ja, tatsächlich habe ich ihn erst heute getroffen“, antwortete sie wortkarg. „Welchen Eindruck hat er auf dich gemacht?“ Welchen Eindruck er auf sie gemacht hatte? Sie blinzelte irritiert ob Lady Tsunades plötzlichem Interesse an Sasuke „Naja, er war wie immer.“ Was auch immer das heißen mochte. Die Sannin brummte unzufrieden, was die Rosahaarige schnell nachschieben ließ: „Wir sind uns nur zufällig über den Weg gelaufen und haben uns nicht lange unterhalten.“ Die Blonde verzog missmutig das Gesicht. „Ich hatte gehofft, dass ihr euch näherstündet. Nun, da kann man nichts machen.“ Sakura biss sich leicht auf die Unterlippe, um nicht zu verletzt auszusehen, doch die andere hielt ihre Aufmerksamkeit ohnehin auf den Inhalt ihrer Tasse gelenkt. „Sasuke Uchiha gehört zu unseren besten Shinobi; er ist talentiert, intelligent und kann schnell auf unerwartete Situationen reagieren. Er ist nicht so begabt wie andere aus seinem Clan, liegt aber dennoch deutlich über dem Durchschnitt, allerdings sind mir in letzter Zeit immer mehr Beschwerden über ihn zu Ohren gekommen.“ „Beschwerden?“, echote Sakura und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, weil sie ihren Händen etwas zu tun geben musste. Lady Tsunade machte ein finsteres Gesicht. „Bei seiner letzten Mission wurden zwei seiner Kameraden aufgrund seines rücksichtslosen Vorgehens fast getötet. Seine Teammitglieder sagten später aus, dass er ihnen unkonzentriert und überdurchschnittlich gereizt vorkam. Sowas kann und werde ich nicht dulden. Es ist unprofessionell und gefährlich, wenn persönliche Befindlichkeiten Auswirkungen auf Missionen haben. Ich kann ihn nicht einsetzen, solange er sich nicht wieder im Griff hat.“ Sakura wurde eiskalt. „Bitte, das dürfen Sie Sasuke nicht antun. Ninja zu sein, bedeutet ihm alles. Wenn Sie ihm das wegnehmen, dann… dann…“ Sie suchte verzweifelt nach den richtigen Worten, doch Lady Tsunade winkte ab. „Ich nehme ihm nichts weg, denn das hat er sich selbst zuzuschreiben“, meinte sie streng. „Aber ich hatte gehofft, du könntest ihn vielleicht wieder auf den richtigen Weg bringen.“ „Ich?“, fragte sie stirnrunzelnd nach. „Tut mir leid, aber ich verstehe nicht, wie ausgerechnet ich helfen könnte.“ „Schade“, sagte Lady Tsunade langgezogen. „Gerade kamst du mir noch sehr eifrig vor.“ „S-so habe ich das nicht gemeint“, stammelte sie knallrot werdend, was Lady Tsunade sichtlich amüsierte. Sie presste die Lippen zu weißen Strichen aufeinander. „Ich kann nicht die Verantwortung für Sasukes Zukunft als Ninja übernehmen.“ „Das erwarte ich auch gar nicht, schließlich kann niemand die Verantwortung für das Schicksal eines anderen Menschen in die Hand nehmen, aber wir können einander die Hände reichen.“ „Und wie stellen Sie sich das vor? Wenn Sie glauben, dass er meine Hilfe ohne Weiteres annehmen wird, haben Sie ein falsches Bild von Sasuke.“ „Die Uchihas wollen immer alles mit sich selbst ausmachen, nicht wahr?!“ Es war keine Frage und ihre Stimme nahm eine Härte an, die Sakura gruselte. „Wir müssen seine Defensive unbemerkt von hinten durchbrechen. Du wiegst ihn in Sicherheit und dann – zack.“ Sie hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die inzwischen leere Teetasse einige Zentimeter in die Luft hüpfte, und faltete anschließend erneut ihre langen, schlanken Finger. „‚Zack‘ ist kein besonders ausgeklügelter Plan“, gab Sakura mit milder Ironie zu bedenken. „Oh, aber den habe ich“, sagte Lady Tsunade listig lächelnd. „Deine offizielle Mission ist, dass du Sasuke in den Heil-Jutsu ausbildest, und ich übertrage dir die Entscheidungsgewalt, wann er wieder einsatztauglich ist. Da du meine beste Schülerin bist, ist nur logisch, dass ich diese Aufgabe an dich delegiere. Dein inoffizieller Auftrag wird sein, ihm ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.“ „Ich soll ihn ausspionieren“, fasste Sakura trocken zusammen. Ein verhaltenes Lächeln umspielte Lady Tsunades Lippen. „Spionagemissionen gehören zum Alltag eines Ninja.“ „Wieso ich? Ich bin doch selbst noch im Training. Wäre es nicht besser, wenn Shizune…?“ „Unmöglich“, schnitt sie ihr barsch das Wort ab. „Shizune würde er sich nicht anvertrauen, aber bei einer alten Kameradin, an deren Seite er trainiert und gekämpft hat, sieht das vielleicht anders aus. Außerdem kennst du ihn und du besitzt das nötige Fingerspitzengefühl, um mit jemandem wie ihm umzugehen.“ Sakura, die sich vermutlich geschmeichelt fühlen sollte, senkte lediglich betreten den Blick auf ihre auf dem Schoß verknoteten Finger. Lady Tsunade seufzte. „Da ich um deine gemeinsame Vergangenheit mit Sasuke weiß, werde ich dich nicht zwingen.“ Sakura biss sich überlegend auf die Unterlippe. Sie bezweifelte, dass es nach der Blamage im Park leicht werden würde, von ihm akzeptiert zu werden. Er hatte sie immer für einen Schwächling gehalten und sie hatte sich nicht gerade von einer Seite gezeigt, die ihm das Gegenteil bewies. Sie konnte ihn förmlich höhnen hören, wie ausgerechnet sie ihm etwas beibringen können sollte. Andererseits stachelte genau das ihren Ehrgeiz an. Es war die Gelegenheit, sich endlich seine Anerkennung zu verdienen, denn offenkundig war Anerkennung von Sasuke Uchiha noch immer etwas, wonach sie sich insgeheim sehnte. „Ich mach’s“, stimmte sie nach kurzem Zögern entschlossen zu. Auch wenn sie noch keine Ahnung hatte, wie sie sein Vertrauen gewinnen oder ihn von einer Kooperation überzeugen sollte. „Ich hatte nichts anderes von dir erwartet“, sagte Lady Tsunade lächelnd und klatschte enthusiastisch in die Hände. Aus den Tiefen ihrer Haori⁴ zog sie eine versiegelte Schriftrolle, die sie vor Sakura auf dem Tisch platzierte. „Gib die Sasuke; darin stehen die Bedingungen für seine Wiedereinsetzung und dass du die Leitung überantwortet bekommen hast.“ „Ich werde Sie nicht enttäuschen.“ „Darauf zähle ich“, erwiderte Lady Tsunade und verabschiedete sich anschließend von ihr. Sakura begleitete sie nach draußen und als sie die Tür hinter ihr schloss, stand Mebuki bereits im Flur. „Was wollte Lady Tsunade von dir?“, verlangte ihre Mutter zu wissen und streckte die Finger neugierig nach der Schriftrolle aus. Sakura presste die Schriftrolle fest gegen die Brust, was ihre Mutter erneut einen Schmollmund ziehen ließ. „Das kann ich dir nicht sagen, Mama.“ „Kannst nicht oder willst nicht?“, hakte sie mit einer steilen Falte zwischen den Brauen nach. „Beides“, entgegnete Sakura patzig. „Also wirklich! Ich bin deine Mutter, ich habe das Recht, solche Dinge zu erfahren.“ „Ich bin ein Ninja und kein Kind mehr“, sagte Sakura ärgerlich. Unzählige Male hatten sie diese und ähnliche Diskussionen geführt, seit sie die Akademie vor fast vier Jahren abgeschlossen hatte, und seit vier Jahren drehten sie sich immer nur im Kreis. Sakura wollte sich nicht mehr bevormunden lassen und ihre Mutter wollte mit der Bevormundung nicht aufhören. „Ich gehe jetzt ins Bett, ich muss morgen früh raus.“ Mebuki schimpfte vor sich hin, doch Sakura ignorierte sie und ging an ihr vorbei. Sie war schon fast so groß wie Mebuki. Sakura betrat ihr Zimmer und ging auf den kleinen halbkreisförmigen Balkon, über ihr hing ein kalter blauer Vollmond. Die Nachbarschaft lag bereits in völliger Dunkelheit, der Wind hatte aufgefrischt, riss an ihrem kurzen rosa Haar und fegte heulend durch die enge Straße. Ihr ganzes Leben hatte sie hier verbracht, doch in nicht allzu ferner Zukunft würde sie dieses Haus, diese Nachbarschaft verlassen. Sie war kein Kind mehr, sie galt als volljährig, seit sie mit vierzehn zum Chūnin befördert worden war, aber sie war trotzdem noch lange keine vollwertige Erwachsene vor dem Gesetz. Ihre Finger verkrampften sich um die Schriftrolle. Diese Mission, die erste, die sie vollkommen auf sich allein gestellt zu planen und zu bewältigen hatte, war der bisher vielleicht entscheidendste Schritt Richtung Erwachsenwerden. Sie fühlte sich wie ein Blatt im Wind, orientierungslos und doch wunderbar leicht. Kapitel 2: Die Mission ist Sasuke Uchiha ---------------------------------------- Konohas Himmel glich einem stahlgrauen Nebelmeer, als sich Sakura am frühen Morgen auf den Weg in das Uchiha-Viertel begab. Die Sonne war vor über einer Stunde aufgegangen, doch es schien einer jener Tage zu werden, an denen das Licht keine Kraft hatte und es nicht richtig hell wurde. Sie hielt den Kopf gesenkt und zog die Kapuze tiefer ins Gesicht, um sich vor dem penetranten Nieselregen zu schützen. Die Straßen waren fast menschenleer und je näher sie dem Dorfrand kam, desto weniger Menschen begegneten ihr. Ächzend wechselte sie die schwere Umhängetasche auf die andere Schulter. Sie hatte gewusst, dass Sasuke außerhalb wohnte, doch war ihr bisher nicht bewusst gewesen, wie weit das Viertel tatsächlich vom Zentrum entfernt lag. Es schien regelrecht abgegrenzt vom restlichen Dorf. Eine Dreiviertelstunde war sie gelaufen, als sie endlich das Tor erreichte, das den Eingang zum Uchiha-Viertel markierte. Der rot-weiße Blattfächer war plötzlich allgegenwärtig und Sakura, die keinem altehrwürdigen Clan entstammte und deren Eltern durchschnittliche Shinobi ohne nennenswerte Fähigkeiten waren, fand das ein bisschen angeberisch. Sie richtete ihre Frisur, die trotz Kapuze vom Regen in Unordnung geraten war, und atmete tief durch. Sie war nervös, angespannt und aufgeregt. Das hier konnte schlecht ausgehen. Dann trat sie mit einem beherzten Schritt durch das Tor. „Morgen.“ Sakura zuckte erschrocken zusammen und sah in die Richtung, aus der der Gruß gekommen war. Ein Mann lehnte lässig mit der Hüfte an dem Holzgeländer eines gut getarnten Wachtürmchens und blickte zu ihr herab. Sie hatte ihn überhaupt nicht bemerkt und obgleich sie nicht sonderlich aufgepasst hatte, war ihr die Nachlässigkeit ein wenig peinlich. Das war ein Anfängerfehler, verdammt, sowas dürfte ihr nicht mehr passieren. „Guten Morgen“, erwiderte sie die Begrüßung höflich und verbeugte sich leicht. Er war ziemlich attraktiv; groß, mit kurzem schwarzem Haar und den gleichen kohlefarbenen Augen, die auch Sasuke besaß, überhaupt sah er Sasuke recht ähnlich, obwohl er um die zehn Jahre älter sein dürfte und eine offenherzigere Ausstrahlung hatte. Prompt wurde sie ein bisschen rot. „Kann ich dir helfen?“, fragte er nicht unfreundlich, obzwar in seinem Blick eine gewisse Achtsamkeit lag. Er wirkte entspannt, doch sie bezweifelte nicht, dass er, wie man den Uchiha allgemeinhin nachsagte, über außerordentliche Begabungen verfügte und sie wahrscheinlich mit einem Handgriff ins Jenseits befördern konnte. Außerdem strahlte er eine Ruhe aus, die von dem Urvertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zeugte. „Nein, also vielleicht doch“, sagte sie und bemühte sich, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Ich möchte zu Sasuke.“ An den Mundwinkeln des Mannes zupfte ein leises Grinsen und sie hatte das Gefühl, dass er die Situation falsch einschätzte. So, wie sie verschüchtert herumgedruckst hatte, war das ihre Schuld. Ein wenig schmeichelte ihr jedoch, dass er es zumindest theoretisch für möglich zu halten schien, dass sie ein normales Mädchen war, das Sasuke in aller Herrgottsfrühe besuchte. Vielleicht bekam Sasuke unterdessen aber auch ständig Mädchenbesuch – was wusste sie schon. „Du gehst einfach immer die Hauptstraße entlang, bis du den gepflasterten Platz erreichst. Das größte Anwesen mit den Magnolienbäumen ist es. Es ist ein ganzes Stück, aber verfehlen kannst du es nicht. Im Prinzip musst du nur geradeaus laufen. Ich würde dich bringen, doch leider kann ich hier nicht weg“, erklärte er, während er ihr mit dem Finger den Weg deutete. „Das macht nichts, ich finde es schon. Vielen Dank“, sagte sie und verneigte sich erneut. Er kniff freundlich die Augen zusammen und Sakura atmete erleichtert auf, dass er sie nicht ins Kreuzverhör nahm, was sie von Sasuke wollte. Sie folgte der angezeigten Richtung. Auch in diesem Viertel war noch nicht viel los, lediglich einige uniformierte Männer, die allesamt dem örtlichen Polizeitrupp angehörten, begegneten ihr, warfen ihr zwar misstrauische Blicke zu, stellten ihre Daseinsberechtigung aber zumindest nicht aktiv infrage. Der Mann am Tor war also nicht zufällig dagewesen, sondern bewachte den Eingang tatsächlich. Irgendwie fand sie die Vorstellung unheimlich. Fast so unheimlich wie die Tatsache, dass all diese Männer eine mehr oder minder frappierende Ähnlichkeit mit Sasuke hatten. Nach einigen Minuten kam sie an einem Senbei¹-Geschäft vorbei, vor dem eine ältere Dame, die ihr grau meliertes Haar zu einem strengen Knoten gebunden hatte, die Straße fegte. Sie hatte an diesem Morgen noch nichts gegessen und der verführerische Duft entlockte ihrem Magen ein sehnsüchtiges Knurren. Wäre es zu datemäßig, wenn sie Frühstück für Sasuke und sich kaufte? Andererseits wäre es absolut unhöflich, wenn sie mit grummelndem Bauch bei ihm aufkreuzte, sodass er sich womöglich genötigt sah, sie zu verköstigen. Aber wahrscheinlich hatte er längst gefrühstückt. Vielleicht mochte er Senbei nicht mal. Sie wollte nicht unprofessionell bei ihrer ersten eigenen Mission rüberkommen und Sasuke hatte Freundlichkeit – oder sie – schon immer mehr nervig als alles andere gefunden. Sie knabberte an ihrer Unterlippe. „Kann ich dir helfen, Kindchen?“, fragte die Frau lächelnd, der natürlich nicht entgangen war, wie sie die Auslage musterte. Kurz entschlossen wählte Sakura zwei Senbei jeder Art und während die Frau die Waren in einer braunen Papiertüte verstaute, sagte sie: „Du bist früh dran, normalerweise kommen die ersten Kunden aus dem Dorf nicht vor halb zehn.“ Sakura fiel auf, wie sie das Wort Dorf betonte, als wäre sie selbst kein Teil davon. „Ich habe hier zu tun“, erklärte Sakura, reichte der Frau das Geld und wollte ihre Waren entgegennehmen, als diese die Tüte aus ihrer Reichweite zog. „Ach?“ Auf ihrem eben noch freundlichen Gesicht lag plötzlich etwas Feindseliges. „Was kann so ein junges Ding denn in unserem Viertel zu erledigen haben?“ „Sie werden verstehen, dass ich Ihnen darauf nicht zu antworten brauche“, entgegnete sie, versuchte dabei, Sensei Kakashis Tonlage zu imitieren, der in solchen Situationen stets eine freundliche, aber unanfechtbare Autorität ausstrahlte, und entriss der Frau die Senbei auf eine Weise, die ältere Menschen gern über die ungehobelte Jugend schimpfen ließ. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, sagte sie, ehe sie sich mit eiligen Schritten entfernte, bevor die Frau sich entschloss, ihr irgendwelche Probleme zu bereiten, die sie schlussendlich vielleicht noch zwangen, den Grund ihres Besuches zu offenbaren. Sie war sicher, dass es weder Sasuke noch Lady Tsunade sonderlich gefallen würde, wenn zu viele Menschen Bescheid wussten. Sakura erreichte einen weitläufigen, mit grauen Natursteinplatten gepflasterten Platz, dessen einziger Zweck darin zu bestehen schien, andere Häuser großzügig von dem ummauerten Grundstück fernzuhalten. Der Mann hatte wahrlich nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass man das Haus nicht verfehlen konnte, und Anwesen war eine durchaus zutreffende Bezeichnung. Gütige Amaterasu², Sasukes Eltern mussten steinreich sein. Natürlich waren die alten Clans allesamt vermögend, doch bisher hatte Sakura keinerlei Vorstellung davon gehabt, was das bedeutete. Sie selbst entstammte der gehobenen Mittelschicht und plötzlich schämte sie sich, wie hoch sie die Nase Naruto gegenüber deswegen einst gehalten hatte. Die nächste Nudelsuppe, die sie gemeinsam aßen, würde definitiv auf ihre Rechnung gehen. Sie überquerte den Platz und kam vor einem Holztor zum Stehen, an dem eine altmodische Klingelschnur angebracht war. In ihren Eingeweiden schäumte die Nervosität wie Säure auf, als sie läutete und irgendwo auf dem Grundstück ein Glöckchen bimmelte. Sie richtete nochmals hastig ihre Frisur. Eine Tür wurde aufgeschoben. Sie rückte ihre Tasche zurecht und umklammerte den Gurt mit beiden Händen. Schritte näherten sich dem Tor. Sie leckte mehrmals hektisch ihre Lippen, die sich plötzlich fürchterlich spröde anfühlten. Ich bin bei Sasuke Zuhause, rotierte in Endlosschleife durch ihren Kopf. Ihr Herz hämmerte und es fehlte nicht viel, bis sie entweder umkippte oder albern quiekend wegrannte. Und dann öffnete sich das Tor und Sasuke stand in einer weiten schwarzen Stoffhose und einem engen weißen Shirt bekleidet vor ihr. Ihr Mund wurde noch trockener. „Sakura? Was machst du denn hier?“, fragte er. Gut, er war nicht wütend, nur überrascht. Sie lächelte vorsichtig, was ihn die Augenbrauen zusammenziehen ließ, dann blickte er gehetzt wirkend über die Schulter zurück, schob sich durch den schmalen Spalt und schloss das Tor leise. „Was willst du?“, fragte er und klang dabei schon deutlich aggressiver. Das Lächeln blätterte ihr aus dem Gesicht. „Dir auch einen guten Morgen, Sasuke.“ Sie hielt es für das Klügste, ihm einfach die Schriftrolle zu überreichen. Sasuke starrte diese unverwandt an, nahm sie aber schließlich entgegen, brach das Siegel und überflog den Inhalt. Seine Augen verengten sich und sie bemerkte, dass er Tsunades Anweisungen ein zweites Mal las, langsamer und sorgfältiger. „Ist das ein Witz?“, fragte er kühl. „Ich fürchte nicht.“ Er schnaubte. „Ausgerechnet du sollst mir etwas beibringen? Und dann auch noch Heil-Jutsu? Ich bin ein Kämpfer und kein Heiler.“ Sie blinzelte die Feuchtigkeit in ihren Augen vehement zurück. Sie war ihrem Heulsusen-Dasein entwachsen und sie würde nicht ausgerechnet vor Sasuke wieder damit anfangen. „Es ist eine Anordnung von der Hokage höchstpersönlich“, sagte sie nur. Er las die Schriftrolle noch einmal, wie um ihre Worte zu überprüfen, und seufzte schließlich genervt. „Und dafür“, er wedelte mit der Rolle vor ihrer Nase herum, „kommst du extra her?“ „Ich dachte, wir könnten gleich…“ „Geht nicht, ich habe eine Mission. Kann sein, dass ich ein paar Tage weg bin.“ „Hast du nicht.“ Sie fühlte sich mies, ihn so auflaufen zu lassen. „Ich weiß von Lady Tsunade, dass du bis auf Weiteres gesperrt bist.“ Sie konnte sehen, wie seine Wangen heiß wurden, doch ob ihm peinlich war, dass sie ihn beim Lügen erwischt hatte oder sie von seiner aktuellen Situation wusste, blieb unklar. Seine Finger verkrampften sich um die Schriftrolle, bis seine Knöchel weiß hervortraten. „In einer halben Stunde in der Bibliothek“, schnappte er, verschwand zurück durch das Tor und schlug ihr die Tür förmlich ins Gesicht. Sakura zwinkerte das Holz dümmlich an. Sasuke war noch nie sonderlich höflich gewesen, aber das war selbst für ihn ein arges Stück. Dreißig Minuten später saß sie im hintersten Winkel der Bibliothek und knapperte appetitlos an einem Nori³-Senbei, bei dem es sich ebenso gut um ein Stück Pappe handeln könnte. Der leichte Nieselregen entwickelte sich zu einem ausgewachsenen Herbststurm und der Wind rüttelte klirrend an den Fensterscheiben. Sie sah, wie Sasuke die Bücherei betrat, den Blick suchend durch den Saal gleiten ließ, bis er sie entdeckte, und mit entschlossenem Schritt zu ihrem Tisch kam. In seinem Haar hingen Regentropfen und er schien etwas von der Kälte mit nach drinnen zu bringen. „Du kannst nicht einfach bei mir Zuhause auftauchen“, schnauzte er grußlos und baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf. „Das tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen.“ Sakura hatte eine ganze Weile überlegt, was sie sagen sollte, denn irgendwie war ihr klar gewesen, dass er sich darüber aufregen wollte, und war zu dem Entschluss gekommen, dass sie sich ohne Wenn und Aber einfach brav entschuldigen und es dabei belassen würde. Tatsächlich schien der Plan aufzugehen, denn ihre demonstrierte Einsicht nahm ihm den Wind aus den Segeln. „Ich brauche deine Hilfe nicht.“ „Falsch, du willst meine Hilfe nicht, das ist ein Unterschied, aber, um ehrlich zu sein, habe ich weder die Zeit noch die Lust, Rücksicht auf deine Launen zu nehmen.“ Das hatte sichtlich gesessen und sie klopfte sich mental auf die Schulter. Die alte Sakura, das verknallte Fangirl, hätte Sasuke niemals Kontra gegeben. „Das hier ist doch die reinste Zeitverschwendung, ich will erst mit Tsunade sprechen“, sagte er gepresst. Sein Kiefer war so angespannt, dass sie sich ein bisschen Sorgen machte, er könne ihn sich versehentlich selbst brechen. „Das steht dir natürlich frei“, entgegnete sie ruhig und faltete die Hände auf der Tischplatte. Aber sie wussten beide, dass er keine andere Wahl hatte, als sich den Anweisungen zu beugen, ansonsten hätte er sie bereits vor seiner Haustür abgefertigt und wäre nicht hier. Seine Fäuste waren geballt und zitterten leicht; die Situation schien ihn wirklich zu frustrieren, was sie unweigerlich versöhnlicher stimmte. „Wieso setzt du dich nicht erst mal und lässt uns anfangen? Danach sehen wir weiter, okay?“, schlug sie lächelnd vor und machte eine einladende Geste Richtung Stuhl. „Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn. Ich muss trainieren, ansonsten werde ich niemals…“ Er kniff die Lippen zusammen und schaute zur Seite weg. Diesen Blick hatte sie schon mal an ihm gesehen, als er in einer spektakulären Niederlage gegen Sensei Kakashi verloren hatte. Damals hatte sie geglaubt, dass die daraus resultierende Demütigung an ihm nagte, doch als sie ihn zu trösten versucht hatte, dass es keine Schande sei, als Genin gegen einen Jōnin zu verlieren, hatte er ihr auf seine gewohnt charmante Art zu verstehen gegeben, dass sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle. „So wie ich das sehe, hast du momentan nichts so viel wie Zeit, immerhin verschwendest du die von uns beiden überaus freigiebig.“ Sie seufzte. „Wenn du ein bisschen kompromissbereiter wärst, könnten wir schon halb mit unserer heutigen Lektion durch sein, danach kannst du, was mich betrifft, machen, was du willst.“ Sasuke sah sie stechend an. „Wieso du? Wenn du glaubst, dass du mir wegen gestern was schuldig bist, dann…“ „Das ist es nicht“, sagte sie schnell. „Ich bin dir natürlich dankbar für deine Hilfe, aber diese Sache hat rein gar nichts mit heute zu tun. Lady Tsunade übertrug diese Aufgabe an mich, weil ich ihre beste Schülerin bin.“ Sie zögerte kurz, ehe sie weitersprach: „Und weil sie annahm, dass es dir lieber wäre, von einer ehemaligen Teamkameradin unterrichtet zu werden. Nichts davon ist auf meinem Mist gewachsen, aber ich konnte ja schlecht nein sagen.“ Das war freilich ein wenig geflunkert, schließlich hatte Tsunade betont, dass sie sie nicht zwingen würde, aber es würde ihm hoffentlich das Gefühl vermitteln, dass sie im selben Boot saßen. „Hat sie dir davon erzählt, warum ich…?“ Er biss die Zähne abermals viel zu fest aufeinander und dieses Mal hörte sie seinen Unterkiefer tatsächlich knacken. Sakura holte Luft, viel zu tief für das kurze Ja, das sie von sich gab und das trotzdem irgendwie atemlos klang. Sein Blick verdüsterte sich, aber bevor sie den Ausdruck deuten konnte, drehte er sich von ihr weg, nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz und schlug eines der Bücher auf, die sie bereitgelegt hatte. Sie dachte, dass sie vielleicht Schuldgefühle in seinem Gesicht gesehen hatte. Sie jedenfalls würde sich schuldig fühlen, wenn ihretwegen fast jemand gestorben wäre. „Können wir dann?“, fragte er ungeduldig. Sie verbiss sich einen Kommentar darüber, dass er derjenige gewesen war, der sich unnötig quergestellt hatte, setzte stattdessen ein Lächeln auf und stellte einen der beiden Pappbecher vor ihm ab, die mit inzwischen kaltem – und ziemlich scheußlich schmeckendem – Milchkaffee gefüllt waren. In ihrer Anfangszeit unter Tsunade, als sie Tage und Nächte Bücher in der Bibliothek gewälzt hatte, hatte sie von diesem Zeug gelebt. „Ich dachte, wir beginnen damit, Flüssigkeiten voneinander zu trennen.“ „Du dachtest? Hast du überhaupt eine Ahnung, was du tust?“ Sie ignorierte die Stichelei. „Das ist der grundlegendste Schritt, wenn man erste Hilfe an einem vergifteten Kameraden leisten muss. Tod durch Vergiftung ist, noch vor zu hohem Blutverlust, die häufigste Spätfolge von nicht letalen Verletzungen. Man filtert das Gift mit Chakra aus dem Blut, damit es die Organe nicht schädigen kann; je nach Fähigkeiten verkapselt man das Gift anschließend, leitet es aus dem Körper oder, was am besten ist, neutralisiert es.“ Sakura griff nach dem zweiten Kaffeebecher und zeigte ihm den hellbraunen Inhalt, obwohl er gar nicht hinsah und insgesamt nicht wirklich aufzupassen schien. Die Übung war nicht sonderlich schwer, doch sie erinnerte sich daran, dass er damals Probleme mit seiner Chakrakontrolle gehabt hatte, und obgleich sie bezweifelte, dass ihm das noch immer Schwierigkeiten bereitete, so war diese Aufgabe doch ein klein wenig anspruchsvoller, als Chakra einfach nur in einem bestimmten Teil seines Körpers zu bündeln. Sie wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, weil sie plötzlich furchtbar nervös war, dass sie es vermasseln könnte, positionierte ihre Hände dann links und rechts vom Becher und konzentrierte ihr Chakra auf die Flüssigkeit, die nach einigen Sekunden zu wirbeln begann und sich schließlich in Milch und Kaffee separierte. „Tada“, grinste sie, hauptsächlich vor Erleichterung, dass sie sich keine Blöße vor ihm gegeben hatte. Sasuke, der sich vorgebeugt hatte, um ihr besser zusehen zu können, ließ sich unbeeindruckt auf seinem Stuhl zurückfallen. „Deine kleine Demonstration wäre sinnvoller gewesen, wenn du ein durchsichtiges Gefäß genommen hättest“, wusste er. „Ich musste kurzfristig improvisieren“, sagte sie achselzuckend. Immerhin hatte sie diese Übung bei ihm zu Hause machen wollen und wenn sie wetten müsste, ob es Gläser bei den Uchihas gab, würde sie diese Wette vermutlich gewinnen. „Jetzt du.“ Er gab einen abfälligen Laut von sich und sie fragte sich, womit sie seiner Meinung nach diese Verachtung verdient hatte. Das konnte doch nicht nur an dem Zwischenfall mit Hidan liegen. Sie wollte ungern diese Karte ausspielen, doch wenn er sie nicht alsbald mit mehr Respekt behandelte, würde sie ihn darauf hinweisen müssen, dass er ihr derzeit quasi unterstellt war. Der Schwarzhaarige zog den Pappbecher zu sich heran und konzentrierte sein Chakra auf die hellbraune Flüssigkeit, zumindest ging sie davon aus, dass er ebendas versuchte, denn wirklich viel tat sich in den ersten Minuten nicht. Träge rotierte der Milchkaffee im Becher herum, schien sich aber nur stärker zu vermischen, statt zu trennen. Sie hielt sich zurück; ungebetene Ratschläge kamen schließlich selten gut an. Ein klitzekleines bisschen wollte sie sich vielleicht auch die Genugtuung gönnen, dass er sie von sich aus um Hilfe bitten musste. Sasuke starrte auf die gleichmäßige Rotation und sie bemerkte, wie sein Blick zusehends abwesender wurde, wie wenn man in eine Flamme schaute und mit den Gedanken ganz woanders war. Er schien ihre Anwesenheit völlig ausgeblendet zu haben und sie nutzte die Gelegenheit, um ihn ungeniert zu betrachten. Sasuke war wirklich hübsch. Natürlich hatte sie ihn schon immer für gut aussehend befunden, dich irgendwie hatte er es in den letzten drei Jahren geschafft, vollkommen makellos zu werden. Ob er wohl eine Freundin hatte? Oder ein Mädchen, an dem er interessiert war? Vermutlich stand die holde Weiblichkeit noch immer Schlange bei ihm, ein ganzes Bataillon an Inos und Sakuras, das alles für ihn tun und sich alles von ihm gefallen lassen würden. In ihrer Brust krampfte sich etwas zusammen und sie riss sich gerade noch rechtzeitig genug von seinen perfekt geformten Wangenknochen los, um festzustellen, dass der Kaffee gefährlich zu brodeln begonnen hatte. „Vorsicht“, rief sie aus und schlug den Becher mit der Handkante vom Tisch. Die Flüssigkeit fraß sich in den Holzboden. Wahrscheinlich hatte sie damit ihr Privileg, in der Bibliothek essen und trinken zu dürfen, unwiderruflich verspielt. „Spinnst du“, schnappte er. „Ich hatte es fast.“ „Das Einzige, was du fast gehabt hättest, sind Verbrennungen zweiten Grades“, entgegnete sie scharf. Sie war wütend, am meisten auf sich selbst, weil sie nicht aufgepasst hatte und er deswegen sich selbst und möglicherweise sie beinahe verletzt hätte, aber immerhin war ihr nun klar, wie er überhaupt in diese Misere hineingeraten war. Lady Tsunade hatte zwar erwähnt, dass seine Teamkameraden seine Geistesabwesenheit kritisiert hatten, doch so richtig hatte sie das bis zu diesem Moment nicht glauben können, denn Unkonzentriertheit sah dem Sasuke, den sie kannte, gar nicht ähnlich. Sie streckte ihre Hand nach seiner aus, aber er zog sie weg, ehe sie ihn berühren konnte, was ihren Versuch nicht nur enorm peinlich, sondern höchst unprofessionell machte. „Geht es dir gut, Sasuke? Du schienst mit deinen Gedanken ganz weit weg zu sein.“ „Kümmere dich um deinen eigenen Kram“, blockte er nüchtern ab. „Ich meine ja bloß“, sagte sie und gab sich redlich Mühe, nicht beleidigt zu klingen. „Wenn du dermaßen unkonzentriert bist, hat das hier wirklich keinen Sinn.“ Er sah schweigend aus dem Fenster. Regen klatschte gegen die Scheiben. „Richtig.“ Er nickte und erhob sich. Sakura war viel zu verdattert, dass er sie allen Ernstes sitzen ließ, um sofort zu reagieren. „Sasuke, warte doch mal“, rief sie, eilte ihm hinterher und bekam ihn schließlich am Ellbogen zu fassen. Er schüttelte ihre Finger gröber als unbedingt nötig gewesen wäre ab. Ein heimlicher Beobachter musste denken, dass sie ein eins a Beziehungsdrama ausfochten. „Wo willst du hin?“ „Du hast gesagt, dass ich gehen kann.“ Hatte sie nicht und das wusste er natürlich, aber es war eine aufschlussreiche Demonstration, wie dringend er offensichtlich von ihr weg wollte. „Lass es uns noch mal zusammen versuchen, okay?“ Seine Antwort bestand in einem frustrierten Seufzen, sein Blick wanderte sehnsüchtig Richtung Ausgang. Na gut, sie wusste, wann sie sich geschlagen geben musste. Außerdem war eine verlorene Schlacht noch lange kein verlorener Krieg. „Fein, machen wir Schluss für heute, ich habe dich ja auch wirklich überfallen. Morgen, selbe Zeit, selber Ort?“ „Da kann ich nicht“, sagte er sofort. „Ach nein? Was hast du denn Dringendes vor?“ Sakura versuchte, es nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen, aber er machte es ihr wahrhaft schwer. „Stell dir vor, ich habe trotzdem noch genügend andere Verpflichtungen“, entgegnete er ärgerlich, beschloss dann jedoch offenbar, ihr wenigstens den Ansatz einer Erklärung zu liefern, damit sie ihn nicht bei der Hokage anschwärzen konnte. Nicht, dass Sakura vorgehabt hätte, Sasuke derart in die Pfanne zu hauen. „Mein Vater hält morgen eine Clan-Versammlung ab und als Sohn des Oberhauptes muss ich noch einige Vorbereitungen treffen.“ „Sohn des Oberhauptes?“, echote sie dünn. Er legte den Kopf schief. „Das wusstest du nicht? Falls du mir nicht glaubst, lässt sich das leicht überprüfen.“ „Nein, also doch, ich glaube dir“, beeilte sie sich zu sagen, obgleich diese neue Information sie schier überwältigte. Ob Ino davon wusste? „Passt es dir übermorgen?“ Er nickte ohne den geringsten Enthusiasmus, ehe er fragte: „Warum machst du das?“ „Was?“ „Das.“ Er schloss den Lesesaal mit einer ausschweifenden Handbewegung ein. „Das hatten wir doch schon“, erklärte sie. Sasuke durchbohrte sie mit seinen dunklen Augen. „Ich lüge nicht“, rechtfertigte sie sich. „Du wolltest dich doch sowieso bei Lady Tsunade beschweren, da kannst du sie gleich fragen, aber wenn es dich irgendwie beruhigt, versichere ich dir gern, dass ich keinen perfiden Plan ausgeheckt habe, um mir ein Date mit dir zu erschleichen. Ich bin keine zwölf mehr, Sasuke.“ Es war, wenigstens halb, als Scherz gemeint, doch so wie er sie ansah, befürchtete er genau das oder aber ihr Humor verfehlte seinen Geschmack meilenweit. „Na, dann.“ Er wandte sich zum Gehen und sie griff erneut nach seinem Arm. „Warte mal.“ Sie klang wie eine kaputte Spieluhr. „Was denn noch?“, fragte er nun wieder eindeutig genervt. Den Tag, an dem sie andere Emotionen als Gleichgültigkeit oder Genervtheit in ihm hervorrief, würde sie sich rot im Kalender markieren. „Ich habe dir ein paar Bücher mitgebracht, von denen ich möchte, dass du sie bei Gelegenheit mal durchsiehst.“ Sie ging zu ihrem Tisch zurück und weil sie ihre Finger sowieso noch um seinen Arm geschlungen hatte, zog sie ihn einfach mit sich mit. Erstaunlicherweise ließ Sasuke es sich ohne größeres Murren gefallen, was sie einfach mal als Punkt für sich wertete. „Die hier“, sie deutete auf den größten Stapel, „befassen sich mit der Theorie, Chakra, Fingerzeichen, medizinische Ninjutsu, Aktion und Reaktion, die Grundlagen eben. Die anderen behandeln fortgeschrittenere Themen. In dem hier geht es beispielsweise um den offensiven Einsatz medizinischer Jutsu, ich dachte, das könnte dich interessieren“, sagte sie und tippte auf das entsprechende Buch. Sasuke sah kein Stückchen interessiert aus. „Ist das dann alles?“ Sie atmete geräuschvoll durch die Nase aus und entließ ihn mit einer unwirschen Geste. Wenn er so wenig Motivation hatte, hier zu sein, war es für sie beide bloße Quälerei, und ihr blieb nur zu hoffen, dass er bei ihrem nächsten Treffen besser drauf sein würde. Ansonsten… Ja, was sonst…? Sie wollte ihn weder wie ein schmollendes Kleinkind bei Tsunade verpetzen noch seine Achtung auf anderem Wege erzwingen, also blieb ihr wahrhaftig nur die Hoffnung, mit freundlicher Kompetenz irgendwie zu ihm durchzudringen. Wenn er erst einmal verstanden hatte, dass sie nicht der Feind war, dass sie sich durchaus zu einer achtenswerten Persönlichkeit weiterentwickelt hatte, würde alles leichter werden. Sakura verstaute die Bücher für ihn in ihrer Tasche. Kein Danke, kein Wort des Abschieds kam ihm über die Lippen, doch als sie ihm die schwere Umhängetasche reichte, packte er sie an den Oberarmen und zog sie dicht zu sich heran. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast und einen absurden Moment lang glaubte sie, dass er sie küssen wollte. „Das bleibt unter uns, verstanden? Wenn ich mitbekomme, dass du irgendwas hiervon rumtratschst, dann…“ Das Unausgesprochene schwebte als dunkle Drohung zwischen ihnen. „Was dann?“ Sie wusste nicht, was schmerzhafter war, sein eiserner Griff oder wie wenig er offenkundig von ihr hielt. „Du tust mir weh, Sasuke.“ Er ließ ruckartig von ihr ab, für den Bruchteil einer Sekunde spiegelte sich Verwirrung auf seinem Gesicht, dann entriss er ihr die Bücher und stürmte aus der Bibliothek. Erschöpft sank sie auf dem Stuhl zusammen und vergrub den Kopf in den Handflächen. Das hätte besser laufen können, aber auch schlechter, nicht viel schlechter, aber immerhin ein bisschen. Es war zumindest keine totale Katastrophe gewesen, tröstete sie sich. Demotiviert machte sie sich daran, den Kaffee vom Boden aufzuwischen und sich das Donnerwetter des Bibliothekars abzuholen. Für Sakura war unvorstellbar, dass noch nicht einmal zwei Stunden vergangen waren, seit sie bei Sasuke auf der Matte gestanden hatte, wo sie sich körperlich, aber vor allem mental so entkräftet wie nach einem extra harten Training fühlte. Wahrscheinlich sollte sie ihm dankbar sein, dass er ihr quasi den ersten freien Tag seit Monaten spendiert hatte, doch die deprimierende Wahrheit war, dass sie nichts mit sich anzufangen wusste. Ziellos wanderte sie durch Konoha, bis sie zu Ichiraku kam. Sie hatte den Nudelshop nicht bewusst angesteuert, doch als sie Naruto entdeckte, der in Unterhose jede Falte seines Kleiderhaufens durchsuchte, hob sich ihre Laune unweigerlich. „Hinter deinem Stirnband, wie immer“, grinste sie, rutschte auf einen der Hocker und bedeutete Teuchi, zwei Portionen fertig zu machen. „Du bist eine echte Lebensretterin“, sagte der Blonde und hielt den Nudelsuppen-Gutschein wie eine Trophäe in die Luft. „Ich wusste doch, dass ich den noch habe.“ „Lass stecken, ich lade dich ein.“ Naruto ging dramatisch vor ihr auf die Knie und umfasste ihre Hand mit seinen. „Ich liebe dich, Sakura, echt jetzt.“ „Spinner“, sagte sie errötend und entzog ihm ihre Finger. Es war kein Geheimnis, dass Naruto in sie verliebt gewesen war, doch im Verlauf der letzten drei Jahre hatte er irgendwann aufgehört, sie ständig um Dates zu bitten, weil er eingesehen hatte, dass sie seine Gefühle niemals auf diese Art und Weise erwidern würde. Ihrer Freundschaft hatte das gutgetan und mittlerweile konnte man Naruto Uzumaki mit Fug und Recht als ihren engsten Freund und Vertrauten bezeichnen. Im Prinzip saßen sie im selben Boot; er war chancenlos in sie verliebt gewesen, aber nicht wirklich in sie, sondern in das hübsche Mädchen, als das er sie gesehen hatte, und sie war chancenlos in Sasuke verliebt gewesen, aber nicht wirklich in Sasuke, sondern den coolen und begabten Mädchenschwarm. Naruto hatte das erkannt und war seiner infantilen Schwärmerei entwachsen. Aber was war mit ihr? Gestern noch hätte sie Stein und Bein geschworen, dass sie nichts mehr für Sasuke Uchiha empfand, heute hatte er ihr dummes Herz zum Stolpern gebracht. Er rieb sich breit grinsend den Hinterkopf und ließ sich dann auf dem Hocker neben ihr nieder. „Willst du dich nicht wenigstens anziehen?“, fragte sie amüsiert. „Wieso? Mache ich dich verlegen?“ Er ließ die Augenbrauen anzüglich hüpfen. „Wer deinem Sexy Jutsu so oft wie ich ausgesetzt war, den bringt so schnell nichts mehr in Verlegenheit.“ Dass sie kursiver FlirtparadiesFlirtparadies, Sensei Kakashis Lieblingsbuch, gelesen hatte, hatte ebenfalls einen Großteil ihres Schamgefühls abgetötet. Wenn man erst einmal realisierte, dass der eigene Lehrer die ganze Zeit Pornos las, während er drei Minderjährige betreute, stumpfte die Unschuld beträchtlich ab. „Es gehört sich aber nicht, sich halb nackt vor einer jungen Frau zu zeigen“, schimpfte Teuchi und zog ihm die Kelle über den Schädel. „Sowas dulde ich hier nicht.“ „Aua“, meckerte der Blonde und schob schmollend die Unterlippe vor. „Sakura sieht mich doch ständig nackt, also reg dich ab.“ „Naruto!“, rief sie empört aus und bedeckte beschämt die Augen mit den Händen. „Wenn du das so sagst, dann klingt es, als… Liebe Güte.“ Teuchi sah aus, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt, und wischte sich die Schweißperlen mit seiner Schürze von der Stirn. „Was denn? Ist doch so.“ „Es ist überhaupt nicht so wie es klingt“, versicherte Sakura dem alten Mann, der ihren Blick tunlichst zu meiden versuchte, als er die Schüssel mit Miso⁴-Ramen⁵ vor ihr abstellte. Für eine Weile war nur Narutos zufriedenes Schlürfen zu hören. Sakura hatte eigentlich gar keinen Hunger und als er fragte, ob sie ihre Portion noch essen wolle, schob sie ihm die Schüssel wortlos zu. „Was machst du eigentlich hier?“, fragte er, während er sich den vollen Bauch rieb. „Ich habe heute meinen freien Tag“, log sie. „Und den wolltest du mit mir verbringen, kann ich verstehen“, lachte er, ehe er sich verschwörerisch an Teuchi wandte: „Die Mädels stehen alle auf mich.“ Sakura verdrehte die Augen, konnte aber nichts dagegen sagen. Es stimmte immerhin, objektiv betrachtet sah Naruto gut aus und neuerdings fiel das, sehr zu Hinatas Leidwesen, immer mehr Frauen auf. Allerdings war ihr nicht bewusst gewesen, dass er das erwachende weibliche Interesse an seiner Person mitbekam, schließlich war Hinata seit Jahren mehr als offensichtlich in ihn verknallt und das wiederum schien er keineswegs wahrzunehmen. Oder war das seine Art, sie abzuweisen, ohne sie vor den Kopf zu stoßen? Und wieso dachte sie überhaupt darüber nach? Schlussendlich war Hinatas Schwärmerei für Naruto ebenso albern wie seine ehemalige Schwärmerei für sie oder ihre für Sasuke. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Hast du eigentlich mal wieder was von Sasuke gehört?“ Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie er im genüsslichen Reiben seines gefüllten Magens innehielt. Keiner von ihnen hatte es jemals direkt ausgesprochen, doch sie waren stillschweigend übereingekommen, dass Sasuke Uchiha eine Art Tabuthema zwischen ihnen war, weil es ihr lange Zeit zu wehgetan hatte, über ihn zu reden, und weil Naruto sich von ihm verraten gefühlt hatte, als er ohne Ankündigung ihr Team verlassen hatte. „Wieso?“ Sie hörte sein Misstrauen und die implizierte Frage, ob sie ihn noch immer liebte. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. „Ich habe ihn gestern zufällig getroffen“, erklärte sie beiläufig klingend. „Er schien… bedrückt.“ Sie spielte mit ihren Fingern, bis die Gelenke knackten. Die Versuchung, Naruto ihr Herz auszuschütten, war groß, aber sie hatte Sasuke versprochen, genau das nicht zu machen. Mehr oder weniger zumindest. „Nee“, brummte er, während er die leeren Schüsseln mit dem Finger auswischte. „Ich hab nur Zeug über ihn gehört.“ „Ach ja?“ Naruto zuckte die Achseln; es war eindeutig, dass er lieber nicht darüber sprechen wollte, aber er tat es trotzdem. „So Sachen von wegen Polizeiwillkür und so. Sein Trupp soll wohl schon mehrmals ziemlich brutal Zivilisten zusammengeschlagen haben und angeblich erpressen die Schutzgelder von den Leuten.“ „Das ist ja schrecklich.“ Sie schlug die Hände erschrocken vor den Mund. „Wenn’s wahr ist“, stimmte er zu, schlug dann jedoch energisch mit der Faust auf den Tresen. „Sasuke ist vielleicht ‘n Arschloch, aber sowas macht der nicht, echt jetzt. Selbst wenn an den Gerüchten was dran ist, hängt das nicht zwangsläufig mit ihm zusammen.“ „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Sie lächelte dünn. „Bestimmt“, sagte er im Brustton der Überzeugung. „Mit den ganzen Friedensverhandlungen zwischen den Reichen und all den fremden Shinobi, die momentan in unserem Dorf sind, ist die Polizei einfach voll ausgelastet und ein paar nutzen das aus, um Ärger zu machen. Solche gibt’s doch immer.“ Sakura wünschte, dass sie nur halb so zuversichtlich wie Naruto sein könnte. Kapitel 3: Das Problem mit den Uchihas -------------------------------------- Sakura lernte auf die harte Tour, dass man Tsunade genau zwei Mal versetzen konnte, bis sie einem von der Polizei die Tür eintreten ließ. Metaphorisch gesprochen, denn der Mann, den sie geschickt hatte, klopfte höflich an und ließ sich anschließend zwanzig Minuten mit einer beneidenswerten Engelsgeduld von Mebuki Haruno ins Kreuzverhör nehmen, was er von ihrer Tochter wollte. Er schaffte es sogar, ihr rein gar nichts zu verraten und dabei trotzdem das Gefühl zu vermitteln, vollständig im Bilde zu sein. Sie saß schweigend da, beobachtete peinlich berührt, wie ihre Mutter wie ein verknalltes Schulmädchen mit ihm flirtete, und überlegte, wo sie ihn schon mal gesehen hatte. Er kam ihr bekannt vor, nicht nur, weil er ein typisches Uchiha-Gesicht besaß. Es dauerte fast die vollen zwanzig Minuten, bis sie in ihm den Mann erkannte, der ihr vor Wochen den Weg zu Sasukes Elternhaus gewiesen hatte, und sie fragte sich automatisch, ob das Zufall sein konnte. „Ich bedanke mich für Ihre Gastfreundschaft, Haruno-san, aber wir müssen jetzt wirklich los“, sagte er mit einem Blick auf die Uhr und bedeckte sein Teeglas rasch mit der Hand, damit Mebuki ihm nicht zum wiederholten Male nachschenken konnte. Er nickte Sakura zu, die mit bleischweren Gliedern unterm Kotatsu hervorkroch. Sie wollte wirklich, wirklich nicht zu Tsunade gebracht werden und dass sie sich diese Situation selbst eingebrockt hatte, machte es nicht besser. Bei Tsunades erster Einladung hatte sie noch gedacht, dass sie, wenn sie nur einen minimalen zeitlichen Aufschub bekäme, positive Ergebnisse vorzuweisen hätte, bei ihrer zweiten Einladung war sie der Meinung gewesen, dass sie nicht den ersten Termin schwänzen und dann mit Nichts bei ihr aufkreuzen könne, und nun war die Hokage offenbar wütend genug, um ihr die Exekutive auf den Hals zu hetzen. Das Schlimmste war, dass sie noch immer nichts vorzuweisen hatte. Sasuke hatte keine Lust auf ihre Treffen, schlimmer noch, er gab sich nicht mal Mühe, wodurch die Fortschritte de facto ausgeblieben waren, und was ihn bedrückte, hatte sie auch nicht herausfinden können, nur dass er Sorgen hatte, die ihm nicht aus dem Kopf gingen, war offensichtlich. Die Idiotin, die sie war, hatte ihn diskret auf die Gerüchte über die Konoha-Polizei ansprechen wollen, mit dem Resultat, dass er seitdem noch mehr mauerte. „Passen Sie mir bloß gut auf mein kleines Mädchen auf“, warnte Mebuki zwinkernd und gab dem Mann einen Klaps auf die Schulter, während Besagte eine wettergerechte Winterjacke überzog. „Mama“, echauffierte sie sich, doch ihrer Stimme mangelte es an Nachdruck. Den Mann schien es ohnehin nicht zu stören, wahrscheinlich war er gewohnt, diese Wirkung auf das andere Geschlecht zu haben, und ausgerechnet ihr stand kaum zu, darüber zu urteilen. Wie so oft in den vergangenen Wochen lag Konoha weniger unter Blättern als vielmehr unter dicken Regenwolken, die selten aufbrachen, versteckt. Sakura vergrub ihr Gesicht im Schal, zum einen weil die Luft schneidend kalt war, zum anderen weil sie nicht erkannt werden wollte. Sie stellte sich auf eine Moralpredigt ein, dass sie zu jung wäre, um schon Probleme mit dem Gesetz zu haben, irgendetwas in diese Richtung, doch der Dunkelhaarige lief lediglich schweigsam und entspannt neben ihr her. Was auch immer Tsunade ihm gesagt hatte – falls sie ihm überhaupt etwas gesagt hatte –, es veranlasste ihn offensichtlich nicht, sie wie eine Kriminelle zu behandeln. War sie natürlich auch nicht, obwohl ihre kindische Verzögerungstaktik sicherlich dümmer gewesen war, als die Polizei erlaubte. Eigentlich wusste sie das, hatte es schon die ganze Zeit gewusst und trotzdem versucht, was vermutlich bedeutete, dass sie entweder blöd oder wahnsinnig oder beides war. „Sie gehören also auch Konohas Polizeitrupp an?“, fragte sie, hauptsächlich, weil ihr die Stille unangenehm war und es natürlicher wirkte, wenn sie sich mit der Person neben sich unterhielt, weniger verdächtig. „Auch?“ Er sah sie von der Seite an. „Ach, richtig, du bist eine Freundin von Sasuke, nicht?“ Also hatte er sie ebenfalls erkannt und sie sich nicht getäuscht. „Freundin ist ein bisschen dick aufgetragen“, nuschelte sie in ihren Schal, biss sich jedoch gleich darauf auf die Zunge, weil sie Sorge hatte, damit sein Interesse, was sie bei Sasuke Zuhause verloren gehabt hatte, geweckt zu haben. Andererseits würde Sasuke ihr garantiert den Kopf abreißen, wenn er den Eindruck gewann, dass sie durch das Dorf spazierte und behauptete, eine sonst wie innige Beziehung zu ihm zu haben. „Wir kennen uns und kommen miteinander aus.“ Was zumindest von ihrer Seite aus stimmte und schön nichtssagend klang. „Das freut mich. Sasuke hat ein Talent dafür entwickelt, mit den meisten seiner Mitmenschen nicht auszukommen.“ Sie ließ sich die Überraschung, dass er derart offen über Sasuke sprach, nicht anmerken. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, den Mann über ihr ehemaliges Teammitglied auszuhorchen, aber einem geschenkten Gaul sah man bekanntlich nicht ins Maul. „Das klingt, als würden Sie ihn gut kennen.“ Der Schwarzhaarige lächelte, er besaß ein angenehmes, freundliches Lächeln, das Vertrauen und Sympathie erweckte. Sakura konnte sich nicht vorstellen, dass er, sollte etwas an dem Geschwätz dran sein, in die üblen Machenschaften der Polizei involviert war, und wahrscheinlich machte ihn genau das besonders gefährlich. „Ich kenne ihn jedenfalls lange.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Eigentlich seit er ein Säugling war. Er war so ein süßes Baby. Sein Gesicht war rund wie eine Melone und er hat immer gelacht, aber wehe jemand hat ihn niedlich genannt, dann hat er sich schrecklich aufgeplustert und stundenlang geschmollt.“ Sakura gluckste in ihren Schal, es wunderte sie kaum, dass Sasuke bereits als Baby entzückend gewesen sein musste. Die Vorstellung von ihm als Knirps erzeugte ein warmes Gefühl in ihrer Brust, obwohl er sie umbringen würde, wenn er davon wüsste. Es war erstaunlich, wie sehr er sich verändert hatte und wie gut sie sich dennoch vorstellen konnte, dass er mal genau so gewesen war. Die gute Laune verging ihr. „Ich mache mir Sorgen um ihn“, gestand sie zögerlich. „Er ist in letzter Zeit sehr verschlossen.“ Er schien seine Worte genaustens abzuwägen, ehe er sagte: „Sasuke macht es sich manchmal selbst zu schwer. Er könnte einen Freund gebrauchen, den brauchen wir alle.“ Die Art, wie er sie angrinste, ließ sie knallrot werden und vor lauter Schreck rannte sie beinahe gegen eine Laterne. Er zog sie rechtzeitig am Jackenärmel beiseite, allerdings mit dem Resultat, dass sie, ungeschickt wie sie eigentlich gar nicht war, über ihre eigenen Füße stolperte und in seinen Armen landete. Man konnte es nur als karmische Ungerechtigkeit bezeichnen und sie meinte, Fortuna schadenfroh gackern zu hören, als Ino Yamanaka genau in diesem Moment das Verwaltungsgebäude der Akademie verließ und den Blick in ihrem untrüglichen Gespür für den heißesten Klatsch intuitiv auf das ungleiche Paar richtete. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, ihr Mund klappte leicht auf und Sakura hoffte stumm, dass ihre Freundin, in ihrem weniger untrüglichen Gespür für peinliche Situationen, die Klappe hielt. Der Dunkelhaarige nickte der Blondine im Vorbeigehen freundlich zu und da Sakura nicht recht glaubte, dass die beiden sich kannten – der Zufall wäre dann doch zu groß –, musste es an Inos offensichtlichem Gestarre liegen, was einerseits bedeuten konnte, dass er, wie sie bereits vermutet hatte, derartige Reaktionen gewohnt oder überaus gut erzogen war. Sakura sah förmlich, wie es hinter Inos Stirn zu arbeiten begann, wie sich die Fragen aus den grauen Tiefen ihrer Gehirnwindungen manifestierten und zu ihrer Zunge wanderten. Sakura schüttelte unmerklich den Kopf, flehte, dass ihre Freundin verstand und sich einmal im Leben den Mund verbieten ließ. Ino gehorchte, ihr Ausdruck versprach jedoch, dass Sakura ein unangenehmes Frage-Antwort-Spiel bevorstand. Im Verwaltungsgebäude herrschte rege Betriebsamkeit und Sakura vergrub ihr Gesicht tiefer im Schal, nur für den Fall, dass sie jemandem begegnete, den sie kannte. Am Ende des Tages war und blieb Konoha ein Dorf und wenn Tsunades Protegé dabei gesehen wurde, wie sie von der Polizei ins Hokage-Büro eskortiert wurde, würde das zwangsläufig die Runde machen und die Gerüchteküche zum Brodeln bringen. Glücklicherweise erweckte der Uchiha ganz und gar den Eindruck, dass sie nicht mehr als zwei Menschen waren, die zufällig zur selben Zeit dasselbe Ziel ansteuerten. Sie näherten sich Tsunades Büro und Sakura fiel automatisch einen halben Schritt zurück. Er legte seine Hand sanft, aber bestimmt zwischen ihre Schulterblätter, eine freundliche Erinnerung, dass es kein Entkommen gab, dass er, sollte sie nicht weiterhin artig zu kooperieren bereit sein, auch weniger nett sein konnte. Sakura hatte keine Lust, seine unangenehme Seite kennenzulernen, noch weniger Lust hatte sie, es sich noch mehr als ohnehin schon mit der Hokage zu verscherzen, wenn er sie kreischend und heulend über die Schulter gelegt bei ihr abliefern müsste. Nein, sie trug selbst Schuld an diesem Schlamassel und sie würde ihre Strafe mit der nötigen Courage entgegennehmen. Sie begradigte ihre Haltung und er nahm seine Hand weg, nickte ihr lächelnd zu, als wäre er ungemein stolz auf sie, was sie beinahe ein bisschen stolz auf sich selbst machte, dann klopfte er an die Bürotür. „Herein“, hörte sie Tsunades Stimme jenseits des Holzes. Er drehte den Knauf und ließ ihr mit einer höflichen Geste den Vortritt. Vielleicht dachte er, dass sie doch noch türmen wollte. Sie trat beherzt ins Innere des Büros. So schlimm würde es schon nicht werden, machte sie sich Mut und dachte an all die Situationen, die wirklich furchterregend gewesen waren, wie ihren ersten richtigen Kampf gegen die Oni-Brüder oder als Lee sie zu küssen versucht hatte. „Sie wollten mich sprechen, Lady Tsunade“, sagte sie möglichst unbeteiligt. Die Hokage sah von ihrem Dokument auf, zu ihrer Linken, Rechten und überhaupt überall türmten sich die unvermeidlichen Papierstapel, die nie kleiner zu werden und sich mittels Zytokinese sogar heimlich zu vermehren schienen. Shizune sah sie missbilligend an, bemerkte dann den Mann, der seitlich hinter Sakura stand, und ließ Tonton fast fallen, als sie sich hektisch eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr klemmte, was dem kleinen Schweinchen ein empörtes Quieken entlockte. „Guten Tag, Shisui-san“, grüßte sie verlegen. Auf ihrem blassen, sonst so gefassten Gesicht zeichnete sich eine fiebrige Röte ab. Sakura wirbelte auf dem Absatz herum, was Shisui veranlasste, den Durchgang mit seinem Arm zu blockieren. Aber sie wollte gar nicht flüchten, musterte ihn lediglich mit aufgerissenen Augen, während die Zahnrädchen in ihrem Kopf einrasteten. „Shisui Uchiha?“, wisperte sie beinahe tonlos. „Etwa der Shisui Uchiha, der Sasuke…“ Sie wollte entführt hatte sagen, obgleich sie freilich wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach, nicht mal annähernd. „… trainiert hat?“ Sie klang unendlich vorwurfsvoll und nachdem er so nett zu ihr gewesen war, weil er so nett zu ihr gewesen war, fühlte sie sich verraten. Dieser Mann – Shisui – hatte ihr Sasuke weggenommen. Er war schuld, dass sich Team 7 schlussendlich aufgelöst hatte. Shisui sah sie irritiert an. Er spürte, dass ihre Stimmung umgeschlagen war, konnte jedoch offenbar nicht den Finger darauflegen, weshalb sie ihm plötzlich feindlich gesinnt war. Shizune, die von der Spannung zwischen ihnen nichts mitbekam oder nichts mitbekommen wollte, hakte sich mit einer für sie untypischen Vertrautheit bei ihm ein und plapperte ihn mit einer für sie nicht minder untypischen Kleinmädchenhaftigkeit voll. Es war offensichtlich, dass sie in ihn verliebt war. Ihr Gesicht leuchtete regelrecht. Sakura fremdschämte sich automatisch, höchstwahrscheinlich hatten ihre damaligen Annäherungsversuche bei Sasuke ein ebensolch armseliges Bild geboten. Die andere Sakura, das gehässige Stimmchen, das stets dicht unter der Oberfläche gelauert hatte und das sie mittlerweile gut im Griff zu haben glaubte, wütete, verwünschte Shizune, verfluchte Shisui – wenn sie ihren Uchiha nicht haben konnte, sollte Shizune auch keinen abbekommen. Shannarō! „Willst du den ganzen Tag da rumstehen und die Tür anstarren?“ Tsunades strenge Stimme beförderte sie ins Hier und Jetzt zurück und sie setzte sich ihr auf den Stuhl gegenüber, den Rücken gerade, die Hände auf dem Schoß gefaltet. „Wie geht es voran?“ Sakura hatte keine Worte, um ihr Versagen in ein paar hübsche Euphemismen zu verpacken, und überlegte, ob es das kleinere Übel wäre, zuzugeben, dass Sasuke absolut kein Interesse daran hatte, mit ihr zusammenzuarbeiten, oder zu behaupten, dass ihm die Heilkünste nicht lägen. Sie entschied sich für eine Art Mittelweg. „Ich denke nicht, dass ich Sasuke den Ernst seiner Lage begreiflich machen oder ihn für medizinische Jutsu begeistern konnte. Er ist nicht glücklich, dass er mir quasi unterstellt ist, und ich habe den Eindruck, dass er darin nicht mehr als eine riesige Demütigung sieht.“ „Nicht gut also.“ Die Hokage nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet, und klickerte mehrmals mit einem Kugelschreiber. Das Geräusch raubte Sakura den letzten Nerv. „Glaubst du, dass sich das noch ändern wird?“ Nein, lautete ihr erster instinktiver Gedanke und die ungefilterte Brutalität dieser vier Buchstaben erschrak sie zutiefst. Lag es an ihr oder an ihm? Traute sie sich selbst so wenig zu, dass sie den Glauben, Sasuke doch noch von ihrem Können überzeugen zu können, aufgegeben hatte, oder hielt sie ihn für verloren, für zu verfahren in dem, was er über sie zu wissen glaubte? „Ich bin nicht sicher“, antwortete sie schließlich wahrheitsgemäß. „Damals, als Genin, war ich immerzu das Schlusslicht der Gruppe. Meine Stärke lag im Lernen und in der Theorie, aber im offenen Kampf nützte das wenig und ich war oft überfordert. Klugheit ist eben nicht vergleichbar mit Gewieftheit. Sasuke und Naruto waren mir von Anfang an um Längen voraus und egal, wie sehr ich mich angestrengt habe, um sie einzuholen, es hat nie gereicht. Und dann ist Sasuke… fortgegangen, gerade in dem Moment, in dem ich aufgehört hatte, wie sie sein zu wollen, und stattdessen einen Weg einschlug, der zu mir passt. Ich denke, dass Sasuke mich noch immer für einen Schwächling hält und deswegen…“, ihre Hände verkrampften sich, als sie sich der bitteren Wahrheit stellte, „… auf mich herabblickt.“ Tsunade hatte ihr aufmerksam zugehört, der Stift rotierte zwischen ihren Fingern. „Du erinnerst mich an Naruto.“ „Häh?“ Sie hatte schon bessere Komplimente bekommen. Die Blonde warf den Kugelschreiber endlich auf den Tisch und lehnte sich gelassen zurück. „Naruto wollte immer Hokage werden, damit die Menschen ihn respektieren, hat aber nie verstanden, dass nur jemand, der bereits respektiert wird, zum Hokage ernannt wird. Bei dir ist es ähnlich: Du wünschst dir, dass Sasuke Uchiha dich respektiert und deine Fähigkeiten anerkennt, verschaffst dir aber keinen Respekt und machst dich damit tatsächlich zu einer Person, die man nicht zu respektieren braucht.“ Sakura knirschte leise mit den Zähnen. „Ich gebe zu, ich bin enttäuscht, von euch beiden. Euer Verhalten ist mehr als kindisch.“ „Wie geht es jetzt weiter?“ „Wenn du dich der Aufgabe nicht gewachsen fühlst, werde ich ANBU auf ihn ansetzen müssen. Das wollte ich eigentlich vermeiden, weil Sasuke nicht auf den Kopf gefallen ist und es vermutlich eher früher als später bemerken wird.“ Sie strich das Dokument, das vor ihr auf dem Tisch lag, glatt, da sich beide Enden eingerollt hatten, und klickerte beim Lesen abermals mit dem Kugelschreiber herum. Augenscheinlich war das Gespräch beendet, doch da Tsunade sie nicht ihres Büros verwies und Sakura sich nicht in der Lage fühlte, aufzustehen und zu gehen, blieb sie einfach sitzen. Draußen zog ein Sturm auf, der Wind heulte und wirbelte rostrotes Laub am Fenster vorbei. Aus dem Osten rollte eine schmutzig-violette Gewitterfront auf das Dorf zu. „Es geht gar nicht um Sasuke, nicht wahr?“ Tsunade sah mit gerunzelter Stirn auf, gerade so als hätte sie vergessen, dass Sakura noch da war. „Das ist streng vertraulich.“ „Ich verstehe.“ Sie hielt Tsunades Blick stand, wissend, dass sie soeben ein stillschweigendes Abkommen schlossen; wenn sie blieb und sich anhörte, was die Hokage zu sagen hatte, übertrat sie endgültig die unsichtbare Schwelle, die einfache Shinobi von jenen trennte, die in die Geheimnisse des Dorfes eingeweiht waren, mit allen Konsequenzen und Pflichten, die damit einhergingen. Und sie war bereit. Ach, wirklich? Die andere Sakura war gehässig wie eh und je. Sakura hatte sie wahrlich nicht vermisst und drängte sie energisch zurück. Ja, sie war bereit. Schließlich ging es hier um Sasuke. Sie rutschte auf dem Stuhl hin und her, ihr Herzschlag hatte sich automatisch beschleunigt und sie hatte das Bedürfnis, sich zu bewegen, ihre Glieder zu strecken, herumzulaufen, ließ es aber bleiben, weil sie nicht wollte, dass Tsunade ihre innere Unruhe mit Unsicherheit oder Nervosität verwechselte. Die Ältere warf einen Blick zur Tür, wie um sich zu versichern, dass sie nicht belauscht wurden. Womöglich war sie auch nicht ganz überzeugt, ob Sakura tatsächlich bereit war. Dann leckte sie sich über die geschminkten Lippen, was Sakuras Eindruck verstärkte, dass sie nicht recht wusste, wo sie beginnen sollte. „Ich nehme an, du weißt alles über die Gründung Konohas und welche Rolle sowohl mein als auch der Uchiha-Clan dabei spielten?“ Es war keine direkte Frage, immerhin wurde Konohas Geschichte ausführlich an der Akademie gelehrt, aber die junge Frau nickte dennoch. „Bekannt sein dürfte dir außerdem, dass die Konoha-Polizei von meinem Onkel Tobi-, also dem Nidaime Hokage gegründet wurde. Die Leitung der Organisation wurde dem Uchiha-Clan übertragen und seither sind es auch hauptsächlich Uchihas, die die Mitglieder stellen. Viele unterstellen deswegen Vetternwirtschaft…“ Tsunade zuckte die Achseln, als wolle sie das nicht ausschließen, was Sakura maßlos ärgerte. „Den Wenigsten ist jedoch bekannt, dass mein Onkel den Uchihas Zeit seines Lebens misstraute. Er sah eine massive Bedrohung in ihnen, nicht nur für Konoha, sondern die gesamte Welt, denn die Legende will, dass ein Fluch auf dem Clan liegt, der Fluch des Hasses.“ „Ein Fluch?“ Sakura konnte nicht verhindern, dass sie höhnisch klang, obwohl ihr bewusst war, dass sie damit nicht nur einen einstigen Hokage, sondern einen Verwandten Tsunades schmähte. Das war doch absurd. Kein Wunder, dass dieser Teil nicht an der Akademie unterrichtet wurde. Wer würde einen Hokage ernst nehmen, dessen Handlungen die abergläubische Furcht eines Waschweibes zugrunde lag. Tsunade betrachtete sie mit versteinerter Miene. „Hältst du das für so abwegig? Wenn man einmal den magischen Aspekt, an den man bei Flüchen zu denken verleitet ist, beiseiteschiebt, könnte man nicht auch genetische Anlagen als Fluch bezeichnen, eine Disposition für bestimmte Krankheiten etwa?“ Sakura schluckte, sie hatte die böse Ahnung, dass die Richtung, in welche sich dieses Gespräch zu entwickeln begann, ihr nicht sonderlich gefallen würde. „Ich weiß nicht, ob dieser Fluch“, sie setzte das Wort mit den Fingern in Anführungszeichen, „existiert, aber in dem Clan gibt es eine dokumentierte Tendenz zum Wahnsinn. Hinzu kommt, dass barbarische Methoden angewandt werden, damit das Sharingan möglichst früh erweckt wird, Kinder, die zum Töten gezwungen werden, die sich auf Schlachtfeldern den Schrecken des Krieges stellen müssen, die ihren besten Freund in einem Kampf auf Leben und Tod ermorden sollen.“ „Wieso unternimmt niemand etwas dagegen? Das ist… das ist unmenschlich. Wenn ich einen meiner Freunde töten müsste, würde ich auch wahnsinnig werden.“ Allein die Vorstellung, dass Sasuke so etwas angetan worden war, brachte sie vor Kummer halb um den Verstand. Andererseits war sein Sharingan erst im Kampf gegen Haku erwacht. Oder nicht? Dann fiel ihr Neji Hyūga ein, dem als Kind ein Bannmal, das Symbol seines Sklavenstandes, auf die Stirn eingebrannt worden war. Ihr wurde ein bisschen schlecht. Tsunade stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und faltete die Hände. „Es ist fast unmöglich, den Traditionen der alten Clans beizukommen. Was ich persönlich davon halte, hat wenig mit dem zu tun, was ich dagegen unternehmen kann. Aber das ist ein anderes Thema“, erklärte sie ungeduldig. Sakura verstand, dass sie keine weitere Unterbrechung hinnehmen würde. „Der Nidaime Hokage übertrug die Leitung der Polizei-Organisation also als vermeintliches Ehrenamt an die Uchihas, während seine wahren Absichten darin lagen, den Clan mit diesem putativen Vertrauensbeweis ruhig zu stellen und zu kontrollieren. Über vier Dekaden lang ging das auch gut, obgleich immer mal wieder kleinere Unruhen innerhalb des Uchiha-Clans aufkamen, bis Konoha vom neunschwänzigen Fuchsgeist angegriffen wurde. Das Kyuubi wurde versiegelt.“ „In Naruto.“ Falls Tsunade überrascht war, dass Sakura davon wusste, ließ sie es sich nicht anmerken und fuhr fort, als wäre sie nie unterbrochen worden: „Aber Konoha wurde fast vollständig zerstört und unzählige Menschen starben an diesem Tag, einschließlich dem Yondaime Hokage. Es konnte nie aufgedeckt werden, weshalb das Kyuubi unser Dorf attackierte, jedoch glaubten und glauben noch immer zahlreiche Menschen, dass der Uchiha-Clan in den Angriff verwickelt gewesen sein musste, da man den Fuchsgeist mit dem Sharingan kontrollieren kann. Die Stimmung im Dorf war angespannt, viele mussten um ihre Existenzen fürchten, noch mehr hatten ihre Liebsten verloren, und es gab keinen offiziellen Sündenbock, gegen den man seinen Zorn richten konnte, also richteten die Menschen ihren Hass gegen die, die sie sowieso für verantwortlich für ihr Leid hielten. Infolgedessen wurden die Uchihas in den Randbezirk… verbannt, zudem in ein Gebiet, welches nur die Hälfte ihres einstigen Besitzes ausmacht und aufgrund der Lage leicht ausspioniert und überwacht werden kann, was zusätzlich für Unmut sorgte. Diese demonstrative Vertreibung aus dem Dorf stimmte die Bevölkerung friedlicher, heizte dafür aber die schwelende Unzufriedenheit unter den Uchihas an. Fugaku Uchiha, das Oberhaupt des Clans, protestierte aufs Schärfste gegen die Aussiedelung, argumentierte, dass es ungerecht sei und die Bevölkerung in ihrer Überzeugung, dass der Clan für den Angriff verantwortlich sei, bestärke, aber der Rat und der Sandaime Hokage ließen sich nicht umstimmen. Sie hatten, wie ich gerechterweise anmerken möchte, zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Wahl. Seitdem spaltet sich der Uchiha-Clan in jene, die gegen das Dorf putschen möchten, und jene, die hinter Konoha stehen. Bisher schien ihr Clan-Oberhaupt die Situation unter Kontrolle zu haben, aber seit einigen Montan haben wir vermehrt Grund zur Annahme, dass die Uchihas einen Bürgerkrieg planen.“ Tsunade seufzte erschöpft und zum ersten Mal sah sie, ihrer jugendlichen Erscheinung zum Trotz, alt aus. Sakura hatte sie gehört, aber verstand nicht. Die Informationsflut wollte ihr den Schädel sprengen und das Wort Bürgerkrieg rotierte in ihrem Kopf, riss ihr mit seinen spitzen Silben, zumindest fühlte es sich so an, tiefe Wunden ins Gehirn. „Also stimmen die Gerüchte, die über die Polizei in Umlauf sind? Wieso verhaftet man die Verantwortlichen nicht einfach?“ „Weil wir keine konkreten Beweise haben. Uns liegen zwar zahlreiche Beschwerden vor, andererseits möchte sich niemand öffentlich mit den Uchihas anlegen, und wenn wir auf einen bloßen Verdacht hin handeln, bricht auf jeden Fall ein Bürgerkrieg aus. Wir gehen derzeit davon aus, dass sich eine claninterne Rebellengruppe geformt hat, die nicht nur Mitglieder innerhalb des Clans anwirbt, sondern auch Shinobi aus anderen Dörfern. Wenn die Friedensverhandlungen scheitern und ein neuer Krieg ausbricht, wäre es ein Leichtes für den Uchiha-Clan Konoha zu unterwerfen.“ Sakura hatte leise geahnt, dass es bei Tsunades Auftrag unmöglich nur um die persönlichen Befindlichkeiten eines einzelnen Ninja gehen konnte. Der Aufwand, Sasuke zu rehabilitieren, war ihr einfach zu unverhältnismäßig groß erschienen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und versuchte, ihrer seligen Unwissenheit nicht zu sehr nachzutrauern. Ihre Stimme war dünn und klang weinerlich, als sie fragte: „Was hat das mit Sasuke zu tun? Sie glauben doch nicht, dass er dieser Rebellengruppe angehört?“ „Wir gehen davon aus, dass er ihr Anführer ist.“ Sakuras Beine fühlten sich derart taub an, dass sie beim Hinausgehen wiederholt stolperte. Sie flüchtete sich auf die Damentoilette, wo sie mehrmals trocken würgte und sich, nachdem sich ihr glücklicherweise leerer Magen beruhigt hatte, eiskaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Sasuke sollte Anführer einer Rebellengruppe sein? Sasuke sollte einen Krieg gegen Konoha planen? Nein, das war nicht möglich. Oder wünschte sie sich nur, dass es nicht möglich war? Was wusste sie schon über Sasuke? Sie hätte auch nie für möglich gehalten, dass er ihr Team einfach mir nichts, dir nichts im Stich lassen könnte, bis er genau das getan hatte. Fast drei Jahre war er fort gewesen und die Male, die sie seit seiner Rückkehr und vor ihrer erzwungenen Zusammenarbeit miteinander gesprochen hatten, konnte sie wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Falls man Hallo, Sasuke und Guten Morgen, Sasuke und Wie geht’s dir, Sasuke? und Nerv nicht überhaupt als vollwertige Gespräche bezeichnen mochte. Nicht, dass sich seit ihrer Zusammenarbeit viel daran geändert hätte. Es wäre ihm garantiert noch zu persönlich, wenn sie ihn fragte, was er zum Frühstück gegessen hat. Wie sollte sie an ihn rankommen? Sie hatte es mit Freundlichkeit versucht, mit Geduld, mit Kompetenz, hatte respektiert, dass er nicht über Privates sprechen wollte, und ihre Treffen geradezu vorbildlich professionell gehalten. Nichts hatte geholfen, nichts seine Sichtweise über sie verändert. Sie betrachtete sich im Spiegel, Wassertropfen perlten von ihrem Kinn und ihrer Nasenspitze und verliehen ihrem Gesicht den Anschein, dass sie geheult hätte, aber in ihren Augen brannte Entschlossenheit. Sie musste aufhören, sein Freund sein zu wollen, und ihn da packen, wo er schon immer am verletzlichsten gewesen war, bei seinem Stolz. Denn es ging wirklich nicht um Sasuke, also durfte es auch ihr nicht nur um Sasuke gehen, es ging um Konoha und um die Erhaltung des Friedens. Und vielleicht, ganz vielleicht, konnte sie dadurch zu dem Freund für ihn werden, den er brauchte. Sakura verließ das Verwaltungsgebäude und wunderte sich kaum, dass Ino auf der Treppe sitzend auf sie wartete. Die Beine hatte sie gegen die Kälte angezogen und selbst in ihrer dicken Jacke sah sie besorgniserregend schmal aus. Ihre beste Freundin war eigentlich auch eine Baustelle, um die sie sich allmählich mal kümmern müsste. „Hey, Breitstirn“, rief die Blondine und winkte ihr zu. „Wer war der süße Typ? Du verheimlichst mir doch keinen ultraheißen Lover, oder?“ „Du spinnst“, antwortete sie matt grinsend. „Auf den ersten Blick dachte ich, das wäre Sasuke.“ „Dann solltest du mal zum Optiker“, stichelte sie. „Stimmt, Sasuke sieht viel besser aus, obwohl dein Herzblatt auch nicht schlecht ist.“ Sakura trat ihr halb ernst gemeint gegen das Schienbein, eigentlich war es nur ein zartes Anstupsen, aber Ino schimpfte trotzdem wie ein Rohrspatz und klopfte nicht vorhandenen Schmutz von ihrer Hose. „Das war Shisui Uchiha.“ Der Name läutete offenbar kein Glöckchen bei ihrer Freundin. „Na, dann passt es doch. Sasuke für mich und dieser Shisui für dich. Mir wäre der ja zu alt, aber zu dir geistigen Greisin passt ein reiferer Mann.“ Sakura verdrehte die Augen. „Hör auf, so einen Mist zu erzählen, am Ende glaubt das noch jemand.“ Sie setzte sich neben Ino auf die Treppe, der kalte Stein zog unverzüglich durch ihre Kleidung hindurch. „Magst du ihn noch?“ „Klar, Sasuke ist meine einzig wahre Liebe und ich werde ihn später mal heiraten, wirst schon sehen. Wenn du nicht zu eifersüchtig bist, darfst du vielleicht sogar meine Brautjungfer sein“, sagte sie und streckte ihr spielerisch die Zunge raus. „Nein, ich meine, so ganz im Ernst. Würdest du noch mit ihm zusammen sein wollen?“ Ino hob überrascht die Brauen an, bettete ihr Kinn auf ihre Knie und schien darüber nachzudenken. „Hmm, weiß nicht genau, vielleicht, wenn er zu mir käme und mir seine Liebe gestehen würde. Aber das wird nicht passieren, er grüßt mich nicht mal mehr, wenn wir uns auf der Straße begegnen.“ Sie sagte es mit einem leichtfertigen Grinsen, das nur ein klitzekleines bisschen traurig aussah. „Wieso? Du?“ Sakura malträtierte ihre Unterlippe mit den Zähnen. Inos Augenbrauen verschwanden derweil fast in ihrem Haaransatz. „Ich denke nicht“, entgegnete sie schließlich. „Sehr überzeugend.“ Die Blonde sah sie abwartend an, aber Sakura hatte nicht vor, ihr verworrenes Gefühlsleben auszubreiten. Sasuke war auch zwischen ihnen ein heikles Thema, immerhin hatte sie Ino seinetwegen einst die Freundschaft gekündigt. „Wenn du schon keine skandalöse Affäre hast, von der du mir erzählen kannst, dann sag mir wenigstens, was der Typ von dir wollte.“ „Nichts Besonderes, Lady Tsunade ließ mir über ihn ausrichten, dass sie mich sehen will, und weil wir denselben Weg hatten, sind wir eben zusammen hergekommen.“ Sie war selbst erstaunt, wie flüssig ihr die Lüge über die Lippen kam. „Übrigens…“, sie senkte verschwörerisch die Stimme, „ich glaube, Shizune steht voll auf ihn.“ Ino kicherte albern. „Wird Zeit, dass sie sich mal einen Kerl angelt, ansonsten endet sie wie unsere Hokage.“ Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sich die beiden Mädchen auch schon besorgt umsahen. „Wollen wir was Trinken gehen?“ „Ja, warum nicht. Ich bin völlig durchgefroren.“ Ihre rote Nase bestätigte das. Sakura stand auf und zog Ino auf die Beine, die ein paar Mal auf der Stelle trat, um ihre steifen Glieder aufzuwärmen. „Was wollte Lady Tsunade überhaupt von dir? Hätte ich gewusst, wie lange das dauert, hätte ich mir zwischenzeitlich ein Laubiglu gebaut.“ „Ach, nichts Besonderes“, wich Sakura aus und klemmte ihr sturmgepeitschtes Haar hinter die Ohren. Ino sah sie kritisch von der Seite an. „Das sind verdächtig viele nicht besondere Vorkommnisse für einen Tag.“ „Du übertreibst wie immer“, grinste sie und gab ihr einen freundschaftlichen Klaps. „Und es war wirklich nichts Besonderes.“ „Dann spricht doch nichts dagegen, dass du es mir sagst.“ Mist. „Eigentlich… eigentlich hat sie mich nur gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, zu unterrichten, wenn beziehungsweise falls der Rat jemals zustimmen sollte, dass Heil-Jutsu Akademiestoff werden. Tut mir leid, ich wollte nichts sagen, weil sie bisher nur mich gefragt hat und ich nicht wollte, dass das blöd rüberkommt.“ Sie waren sich beide im Klaren darüber, dass Tsunade Ino niemals darum bitten würde, dafür war sie zu ungeduldig, aufbrausend und hasste die Schule und alles, was damit zu tun hatte, viel zu sehr. Wahrscheinlich war es nicht nett, dass sie das ausnutzte. Ino reagierte wie erwartet mit einem angeekelten Bäh. Sie erreichten den Park, der zwischen ihnen und ihrem Stammcafé lag. Der Himmel hatte sich stark zugezogen, sodass es unter dem dichten Blätterdach stockduster war. Sakura wurde unangenehm an ihre Begegnung mit Hidan erinnert – sie hatte ihn seit jenem Vorfall ein paar Mal im Dorf gesehen und immer hatte er ihr mit seinem dreckigen Grinsen und Zwinkern versichert, dass er sie noch nicht vergessen hatte – und hielt Ino am Arm zurück. „Lass uns außen rumgehen.“ „Wozu? Das ist ein Umweg von mindestens zehn Minuten und es fängt garantiert gleich an zu regnen.“ Fortuna rollte lachend über den Boden, als sie genau in diesem Moment von den ersten Regentropfen getroffen wurden. „Na, was habe ich gesagt.“ Die Rosahaarige gab sich diskussionslos geschlagen. Es gab nichts, was sie sagen konnte, dass sie nicht paranoid klingen ließ. Außerdem wollte sie Inos Angst vor dem Yu-Nin nicht zusätzlich bekräftigen. Hidan war ein gemeiner, brutaler Proll und Sakura würde ihm keine Macht verleihen, indem sie ihre Handlungen von Furcht bestimmen ließ. Weil das das letzte Mal so gut geklappt hat, wisperte das fiese Stimmchen in ihrem Kopf. Nun, ein wenig Wachsamkeit konnte sicherlich nicht schaden. Ino quasselte munter vor sich hin, während Sakura zu angespannt war, um den rasch wechselnden Themen folgen zu können. Sie schnappte jeweils nur ein paar Wortfetzen auf, gerade genug, um an den richtigen Stellen Aufmerksamkeit vortäuschen zu können, bis Ino einen Sachverhalt anschnitt, der nach ihrer vollen Aufmerksamkeit verlangte. „Du bist in letzter Zeit ziemlich oft in der Bibliothek, angeblich mit Sasuke.“ „Ach ja?“, entgegnete sie lahm und war dankbar, dass eine Windböe ihre kurzzeitig entgleisenden Gesichtszüge hinter Haar versteckte. Verdammt, sie wusste nicht, wie sie sich aus der Nummer herausreden sollte. Sasuke und sie übten in einem kleinen, staubigen Hinterzimmer, aber natürlich hatte wenigstens der Bibliothekar unweigerlich mitbekommen, dass sie es gemeinsam und zur selben Zeit benutzten, und obgleich er normalerweise ein diskreter Mann war, lud Inos offene, unbeschwerte Art zum Tratschen ein. Sie war kurz davor, ihr die Wahrheit zu sagen – oder eine abgespeckte Version davon –, als Ino plötzlich spitz aufschrie und wie ein gefällter Baum auf die Nase fiel. Die Blonde hatte den Sturz nicht mal richtig mit den Armen abgefangen. Sakura brach unwillkürlich in Gelächter aus, welches ihr im Halse stecken blieb, als sie bemerkte, dass Inos linkes Bein weg war. Sie blinzelte heftig. Nein, nicht weg. Es steckte bis zur Mitte des Oberschenkels in einer Pfütze, einer Pfütze, die aus kochendem Wasser bestand. Ino brüllte vor Schmerzen. Speichelfäden rannen zäh von ihrer Lippe und ihre Finger kratzten Spuren in den feuchten Kiesweg, als sie sich panisch aus ihrer Falle zu ziehen versuchte. Sakura keuchte entsetzt auf, packte das Mädchen unter den Achseln und wuchtete sie aus dem Loch. Ino schlug halb wahnsinnig geworden um sich, rammte Sakura ihren Ellbogen ins Gesicht, die Rosahaarige schmeckte Blut, schaffte es aber schließlich, ihre Freundin zu befreien, die wimmernd von der Wasserstelle wegkroch. Hidan trat Tränen lachend aus dem Schatten der Bäume und klatschte ironisch Beifall. „Sehr elegant, meine Damen. Zehn von zehn.“ „Das warst du“, kreischte Sakura wutentbrannt. Sie blickte zwischen der Blondine und dem Silberhaarigen hin und her, entschied jedoch, dass Hidan das drängendere Problem darstellte. Ino schien nicht in der Verfassung, sich selbst heilen zu können, und Sakura hoffte, dass der Schock ihr den schlimmsten Schmerz nahm, bis sie ihr helfen konnte. Sie hatte extra aufgepasst und seine Anwesenheit trotzdem nicht gespürt. Der Mistkerl war eindeutig geschickter, als seine dämliche Visage vermuten ließ. „Was ist hier los?“ Shisui Uchiha schien wie aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht zu sein. Sakura fragte sich nicht, wie er das angestellt hatte – oder ob er sie überwachte, dass er diese Retter-in-der-Not-Nummer abziehen konnte –, sie war einfach nur verdammt froh, ihn zu sehen, und wünschte sich, dass er Hidan zu Brei zerkloppte und ihn anschließend in dieser beschissenen Pfütze ertränkte. „Das Schwein hat Ino angegriffen“, berichtete Sakura anklagend und deutete mit dem Zeigefinger erst auf Hidan und dann auf die Pfütze, die inzwischen wieder nicht mehr als ein bisschen Schmutzwasser war. „Ich?“, verteidigte er sich scheinheilig. „Ich hab nur ein bisschen trainiert. Kann ich doch nichts ‘für, wenn die zwei wie kopflose Hühner durch die Gegend rennen und nicht aufpassen.“ „Das ist nicht wahr…“ Shisui brachte sie mit einer strengen Geste zum Schweigen. „Trainieren kannst du auf dem Übungsplatz. Ich weiß zufällig genau, dass ihr darüber informiert wurdet. In Konoha leben viele Zivilisten, für sie ist es sonst zu gefährlich.“ „Ihr habt auch einen Haufen unfähige Kunoichi, für die es offensichtlich gefährlich ist“, höhnte er. Sakura ballte die Fäuste, doch der Schwarzhaarige beschloss aus irgendeinem Grund, die Beleidigung zu überhören, vielleicht, weil sie ihn nicht einschloss. „Wenn du so viel überschüssige Energie hast, können wir das später gern auf dem Trainingsgelände klären.“ „Mir schlottern die Knie.“ Shisui ließ seine Hand in einer langsamen, aber deswegen nicht weniger bedrohlichen Bewegung an den Griff seines Tantō¹ gleiten, das er auf den Rücken geschnallt trug. „Du hast die Wahl, du verschwindest jetzt freiwillig oder du verbringst den Rest der Woche in einer Zelle, wegen Widerstandes gegen die Polizeigewalt. Mich würde interessieren, was dein Dorfältester dazu zu sagen hätte, wie man hört, geht er radikal gegen alle, die seine pazifistischen Ansichten nicht unterstützen, vor.“ Hidan schnaubte spöttisch, fügte sich allerdings. Womöglich hatte die Drohung mit dem Ältesten gefruchtet oder drei gegen einen erschien ihm erfolgversprechender als einer gegen zwei. Er ging, aber nicht ohne durch die Pfütze zu patschen und sie mit Schmutzwasser zu bespritzen. „Wieso lassen Sie ihn einfach gehen?“, verlangte sie aufgebracht zu wissen. „Hast du gesehen, dass er es war?“, fragte er ruhig nach. „Er war es, das liegt doch wohl auf der Hand“, beharrte sie störrisch. „Ich glaube dir, aber ohne handfeste Beweise kann ich niemanden festnehmen.“ Sakura verstand allmählich, wie Konoha in diese Pattsituation geraten konnte. Im Prinzip sagte er das Gleiche wie Lady Tsunade. Wenn man rechtschaffend sein wollte, hielt man sich an das Gesetz, aber wenn man sich an das Gesetz hielt, waren einem oftmals die Hände gebunden, was schlussendlich zu massenhaft Intrigen führte. Sowas Bescheuertes. Oder war sie auf ein Täuschungsmanöver reingefallen und die beiden gehörten insgeheim dieser Rebellengruppe an? Tsunade hatte beteuert, dass sie Shisui Uchiha vertraute, weil der dritte Hokage ihm vertraut hatte. Sakura war sich nicht sicher. „Deine Freundin ist jetzt sowieso wichtiger.“ Richtig. Ino. Sakura stürzte an ihre Seite. Ino hechelte wie eine Entbindende, die den Geburtsschmerz wegzuatmen versuchte. Rosa Flecke erblühten großflächig durch ihre Hose hindurch. Sakura musste die Verletzung nicht sehen, um zu wissen, dass sie übel war. Der Gestank war bestialisch, der charakteristisch widerlich-süßliche Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft. „Gleich geht es dir besser“, redete sie beruhigend auf die Blonde ein, während sie Chakra in ihren Handflächen sammelte. „Mir geht’s gut“, presste sie durch zusammengebissene Zähne hindurch. Ihre Stirn war schweißnass. Sakura sah sie irritiert an, ehe sie sich abermals auf die Wunde fokussierte. Sie spürte die abnormale Hitze, die von Inos Bein ausstrahlte, an ihren Handflächen. „Ich habe gesagt, mir geht’s gut“, fauchte Ino zornig und schlug Sakuras Hände weg. „Ino!“ Sie tauschte einen ratlosen Blick mit Shisui, der sich hilflos den Nacken rieb und offensichtlich nicht verstand, was Inos Problem war. Sakura verstand es ja selbst nicht. „Ich kann sie ins Krankenhaus bringen“, bot er an und hob die junge Blondine vorsichtig hoch. Inos Gesichtsmuskeln verhärteten sich tapfer, als er seinen Arm unter ihre Kniekehlen schob, doch ihr entwich trotzdem ein gedämpfter Schmerzenslaut. „Danke“, sagte Sakura, die untätig am Boden hockte. Er nickte ihr zu und war einen Wimpernschlag später verschwunden. Was war nur in Ino gefahren? Von ihrem Magen ausgehend breitete sich Kälte in ihrem Körper aus, aber sie tröstete sich damit, dass Ino wahrscheinlich nur lieber von einem attraktiven Ninja wie eine Braut über die Schwelle des Krankenhauses getragen werden wollte. Ganz bestimmt. Kapitel 4: Cosmea ----------------- Lautes Donnergrollen weckte Sakura aus unruhigen Träumen. Sie wusste schon nicht mehr, worum es gegangen war, aber das rasch verblassende Abbild von Sasukes Gesicht leuchtete irgendwo in ihrer von Müdigkeit verklebten Erinnerung nach. Sekundenbruchteile später fielen ihr die Ereignisse des Vortages mit gestochener Schärfe ein und sie wollte sich am liebsten zu einem kleinen Bällchen zusammenrollen und alles vergessen. Sie war zeitig zu Bett gegangen, hatte jedoch bis in die frühen Morgenstunden wach gelegen und an die Decke gestarrt, während sie über Sasuke, Shisui und Ino nachgegrübelt hatte. Zu einem Ergebnis war sie nicht gekommen, als die Erschöpfung ihr Bewusstsein letztlich doch ausgeknockt hatte, nur dass sie Shisui Uchiha einen klitzekleinen Vertrauensvorschuss gewähren wollte – musste –, hatte sie beschlossen. Tsunade vertraute ihm und er hatte Ino und ihr geholfen, also verdiente er sich wenigstens das. Sakura schloss die Augen und lauschte dem Unwetter, obwohl sie sich im Klaren war, dass sie nicht noch mal einschlafen würde, dafür rotierten ihre Gedanken schon wieder viel zu sehr. Grelle Blitze spalteten die Dunkelheit. Das Gewitter wütete so laut, dass es sich direkt über dem Dorf austoben musste, und es war ein kleines Wunder, dass sie bei dem Krach überhaupt ein paar Stunden Schlaf abbekommen hatte. Im Haus war alles still. Sie könnte aufstehen und Frühstück für ihre Eltern vorbereiten – in letzter Zeit war sie so mies drauf, dass ihre Mutter und sie ständig aneinandergerieten –, eine kleine Geste der Versöhnung würde Mebuki wahrscheinlich freuen. Sakura schwang die Beine über die Bettkante und zog ihren Morgenmantel an, der über ihrem Schreibtischstuhl hing. Im Zimmer war es eiskalt und es roch nach Ozon, obwohl die Fenster geschlossen waren. Sie tapste durch den dunklen Flur, der nur von einem schmalen Streifen Licht aus dem Wohnzimmer erhellt wurde, in dem sie ihren Vater fand, der es sich mit einer dampfenden Tasse Kaffee am Kotatsu gemütlich gemacht hatte und las. Er sah auf, als sie die Fusuma leise aufschob und eintrat, und schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. „Kannst du nicht mehr schlafen, Saki-chan?“ Sie ignorierte den Kosenamen, der niedlich sein mochte, wenn die Betitelte unter sechs Jahren war, und setzte sich zu ihm. „Nein. Du auch nicht?“ „Bei Gewittern dieser Stärke lohnt es sich normalerweise nicht, wenn ich ins Bett gehe. Meistens schlägt irgendwo ein Blitz ein und dann muss ich sowieso raus.“ Kizashi Haruno gehörte der Dorfwache an und da seine Spezialität Wasser-Jutsu waren, rief man ihn oft, wenn in oder um Konoha ein Brand ausbrach. Es war kurz vor fünf Uhr morgens. „Scheint aber eine ruhige Nacht zu sein.“ Er klang fast ein bisschen enttäuscht. „Und jetzt ist es zu spät, oder zu früh, um schlafen zu gehen, weil meine Schicht in drei Stunden beginnt. Aber das trifft sich eigentlich ganz gut, ich wollte ohnehin mit dir reden.“ Er machte ein Eselsohr in die Seite, auf der er beim Lesen unterbrochen worden war, klappte das Buch zu und legte es ordentlich an den Tischrand. Beklommen raffte Sakura ihren Morgenmantel enger vor der Brust zusammen. Das letzte Mal, dass ihr Vater ein so gewichtiges Gesicht zur Schau getragen hatte, war, nachdem sie Naruto zum Abendessen bei sich zuhause eingeladen und er anschließend das Gespräch mit ihr geführt hatte. „Wie geht es dir?“ „Gut“, sagte sie ein bisschen zu schnell, um glaubwürdig zu sein. „Sicher? Deiner Mama und mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit sehr verschlossen bist und dich von uns zurückziehst. Uns ist natürlich klar, dass du in einem Alter bist, in dem die Eltern immer unwichtiger werden, aber wir machen uns trotzdem Sorgen.“ „Oh!“ Es war ein mitleidiger Laut, der ebenso ihrem Vater wie ihr gelten konnte. Er umklammerte seinen Kaffeebecher mit beiden Händen, hob ihn an die Lippen, um ihn sogleich unverrichteter Dinge abzusetzen. „Ich will nur, dass du weißt, dass es keine Schande ist, um Hilfe zu bitten oder wenn du das Gefühl hast, dass dir die Hokage zu viel abverlangt. Wie sind immer für dich da.“ „Danke, Papa“, sagte sie nur und erhob sich. „Ich wollte Frühstück für uns machen, aber wenn du wach bist, kannst du mir eigentlich dabei helfen.“ „Wie wäre es mit Pfannkuchen?“ „Mama will doch, dass du mehr auf dein Gewicht achtest“, meinte sie mit einem skeptischen Blick auf den kleinen Wohlstandsbauch, der sich langsam, aber kontinuierlich unter seiner Kleidung abzuzeichnen begann, seit er die Vierzig überschritten hatte. „Und ich will Pfannkuchen zum Frühstück.“ Sie machten sich daran, den Teig anzurühren, und kurz darauf erfüllte der zugegebenermaßen köstliche Duft die Küche. „Du, Papa, sag mal, wie war das eigentlich, als du Mama kennengelernt hast?“, fragte sie zögerlich, während die ersten Pfannkuchen in der Pfanne brieten. Kizashi naschte heimlich aus der Teigschüssel, stelle das Gefäß jedoch rasch beiseite, als Sakura ihn ansah. Etwas von der Masse klebte in seinem Bart und sie reichte ihm kopfschüttelnd einen Lappen, mit dem er die Spuren seine Missetat errötend entfernte. „Hast du Angst, dass Mama mich verlässt, wenn ich so dick werde, dass ich meine Füße nicht mehr sehen kann?“, lachte er. Sakura verschränkte peinlich berührt die Arme vor der Brust. „Ich habe mich nur gefragt, ab wann du sicher warst, dass du dein Leben mit ihr verbringen willst.“ „Das habe ich sofort gewusst“, beteuerte Kizashi mit einem energischen Nicken. „Gleich, als ich deine Mama zum ersten Mal sah, war mir klar, dass sie die Richtige für mich ist.“ „Wirklich?“ „Oh ja, selbstverständlich hat sie mich ein Jahr betteln und zappeln lassen, bevor sie endlich mit mir ausgegangen ist.“ Die Erinnerung daran brachte ihn zum Schmunzeln. „Du musst wissen, ich habe damals noch am Tor gedient und hatte den Ruf, ein ganz übler Frauenheld zu sein.“ „Ach, wirklich?“ Ihre Augenbrauen schnippten ungläubig nach oben. Unter einem Frauenhelden stellte sie sich jemanden vor, der, nun, mehr wie Sasuke aussah. „Allerdings, dabei habe ich nur ein bisschen geschäkert.“ Er strich sich grinsend über den Bart. „Aber deine Mama wollte mich testen; wenn ich nach einem Jahr noch immer mit ihr ausgehen wollte, würde sie zusagen, keine Sekunde eher.“ „Ist das nicht absurd? Dadurch habt ihr ein ganzes Jahr miteinander verschwendet.“ „So darfst du das nicht sehen, Saki-chan. Herzen gehen leicht kaputt und sind fast unmöglich zu reparieren und trotzdem gibt es zu viele, die leichtfertig mit den Gefühlen anderer spielen. Deine Mama wollte die Gewissheit haben, dass mein Interesse nicht bloß eine flüchtige Laune war. Es gibt zwei Sorten Menschen, die, die ihre Herzen schnell verschenken, und die, die ihre Herzen um jeden Preis beschützen wollen. Es steht mir nicht zu, zu beurteilen, was besser oder richtiger ist. Wahrscheinlich, wie bei den meisten Dingen, ein gesunder Mittelweg.“ Er zuckte die Achseln. „Aber selbst wenn man jemanden gefunden hat, der die eigene Liebe erwidert, gehört eine gewaltige Portion Glück dazu, dass es gut endet. Nachdem deine Mama und ich ein Paar wurden, lief nicht plötzlich alles glatt. Sie hatte Angst, dass eine Beziehung, Ehe und Kinder ihr die Selbstständigkeit rauben könnten, dass sie gezwungen wäre, ein dröges Dasein als Hausfrau und Mutter zu fristen.“ Sakura runzelte die Stirn. „Aber Mama ist Hausfrau.“ Kizashi tippte mit den Fingern schwungvoll auf die Arbeitsplatte. „Und das, mein liebes Kind, nennt man Leben. Du warst noch keine vierundzwanzig Stunden auf der Welt, als sie beschloss, dass es nichts Wichtigeres als dich gibt. Tja.“ Er grinste. „Ich habe ihr das, aus guten Gründen, wie ich meine, natürlich nie unter die Nase gerieben. Wieso interessiert dich das überhaupt? Gibt es… jemanden?“ Er seufzte das unglückliche Seufzen aller Töchterväter. „Natürlich gibt es jemanden, einem hübschen Mädchen wie dir rennen sie garantiert scharenweise nach“, stöhnte er gequält und erhob oberlehrerhaft den Zeigefinger. „Denk dran, meine Kleine, manche Dinge sind schöner, solange man nur davon träumt, und in deinem Alter gehören Beziehungen da unbedingt dazu.“ „Papa“, rief sie empört aus und wurde knallrot. Kurz nach acht Uhr verließ Sakura in kniehohe Gummistiefel und eine gefütterte Regenjacke verpackt das Haus. Sie spannte ihren Schirm auf, den der Wind ihr sogleich aus den Händen zu reißen versuchte. Die halbe Straße stand unter Wasser. Eine Frau hastete an ihr vorbei und obgleich sie pitschnass war und ihre Kleidung tropfend an ihr herabhing, gelang es dem Sturm dennoch, ihre Röcke zu lüften, was sie mit einem schrillen Quietschen kommentierte. Der Wind schlug Sakura rücksichtslos ins Gesicht, der Regen fand mühelos Wege unter ihren Schirm und ihre Kleidung, doch das Donnergrollen entfernte sich, das Gewitter zog endlich weiter. Sie betrat Yamanakas Blumengeschäft mit einem Schwall Wasser und wurde sofort von dem lieblichen Duft frischer Blumen umhüllt. Frau Yamanaka stand hinter dem Tresen und kürzte geistesabwesend Rosenstiele, doch als sie Sakura bemerkte, umrundete sie eilig den Ladentisch und umfasste ihre Hände mit ihren kalten, trockenen Fingern. „Oh, Sakura, meine Liebe, hast du es schon gehört?“, klagte sie und quetsche ihre Hände. Frau Yamanakas Ringe drückten ihr schmerzhaft ins Fleisch und Sakura biss die Zähne zusammen, um sich ihrem Griff nicht zu entwinden. „Meine Ino ist im Krankenhaus.“ Sakura schloss vor Erleichterung einen Moment die Augen. Ino hatte offenbar nicht erwähnt, dass sie dabei gewesen war, was ihr wiederum lästige Erklärungsversuche ersparte, weshalb sie sie nicht direkt vor Ort geheilt hatte. Frau Yamanaka missdeutete ihren Gesichtsausdruck und zerdrückte ihr die Finger, dass sie aufschreien mochte. „Bitte verzeih, ich war taktlos, nur bin ich selbst so… so außer mir. Das muss ein Schock für dich sein.“ „Nein, also ja, aber ich wusste es schon. Deswegen bin ich hier, ich möchte Ino besuchen und wollte ihr ein paar Blumen mitbringen.“ „Das ist nett von dir“, sagte Frau Yamanaka milde lächelnd und tätschelte ihre Wange. „Du bist die Einzige, die meiner Ino diese Aufmerksamkeit erweist.“ Da es früh am Morgen war und die meisten ihrer Freunde wahrscheinlich noch nicht einmal von Inos Verletzung wussten, erschien Sakura diese Beurteilung überaus harsch. „Ich hatte angenommen, dass mir der Nara-Junge alle meine Rosen abkauft.“ „Shikamaru ist nicht der Typ für Blumen“, entgegnete sie vage. „Hmpf! Wenn er meine Ino erobern möchte, sollte er sich mehr Mühe geben.“ Sakura verkniff sich die Bemerkung, dass Shikamaru vermutlich nichts ferner lag, als Ino erobern zu wollen, was dieser ganz recht sein dürfte. Sie hatten sich oft genug darüber lustig gemacht, dass die Yamanakas felsenfest überzeugt waren, dass ihre Tochter zwangsläufig in den Nara- oder Akimichi-Clan einheiraten würde. Müsste sie eine Prognose abgeben, würde sie all ihr Geld darauf verwetten, dass nichts von beidem eintrat. „Ich richte es ihm aus“, sagte sie mit einem versteckten Schmunzeln. „Ein kleiner Hinweis kann nicht schaden“, bestätigte sie zungeschnalzend. „Der Junge mag intelligent sein, aber Sozialkompetenzen und Manieren hat er keine. Nun denn.“ Sie klatschte enthusiastisch in die Hände. „Ich habe Cosmea, die letzten für diese Saison. Das wäre doch was, meinst du nicht“, flötete sie, während sie bereits die schönsten Blumen für Sakura rauspickte, und arrangierte ein Bouquet aus pastellrosa, weißen und kräftig pinken Blüten. Das Ladenglöckchen bimmelte; der Neuankömmling ließ Frau Yamanaka kurz verwundert das Gesicht verziehen, bevor sie ihr höfliches Kundenlächeln aufsetzte, was Sakura sich umdrehen ließ. Deidara stand wie angewurzelt in der Tür, betrachtete Sakura mit einer Mischung aus Frustration und Überraschung, ehe er ihr unmerklich zunickte, was sie überraschte, und sich anschließend übermäßig interessiert das Blumenangebot besah. Sie spürte seine Blicke im Rücken und ermahnte sich, sich davon nicht irritieren zu lassen, obwohl es ihr mehr als unangenehm war, sie gleichzeitig aber auch neugierig war, was er hier wollte. Blumen will er kaufen, was denn sonst, du hohle Nuss! Die andere Sakura verdrehte, nicht ganz zu Unrecht, die Augen. Logisch, aber aus den meisten Pflanzen ließen sich potente Gifte destillieren und obzwar Deidara nicht besonders helle aussah – wobei sie eigentlich wusste, dass das nichts zu sagen hatte, und Hidan sie freundlicherweise daran erinnert hatte –, kannte sich Sasori angeblich hervorragend mit Noxen aus. Ihr fachkundiger Blick scannte den Laden; Eisenhut und Herbstzeitlose, aus denen man besonders Gifte, die das Atmungssystem lähmten, herstellen konnte und die schon in unverarbeiteter Form tödlich sein konnten, Amaryllis, Lilien, Buntwurz, Wüstenrosen und Azaleen, die Toxine enthielten, die das Nervensystem angriffen und irreparable Organschäden verursachen konnten. Der blonde Iwa-Nin interessierte sich jedoch in erster Linie für das Aufgebot an Rosen, konnte sich augenscheinlich nicht zwischen den weißen und gelben entscheiden. „Is‘ was, hm?“, fauchte er patzig, weil Sakura ihn wohl doch zu offensichtlich beobachtet hatte. „Ähm, nein, die Rosen sind schön“, sagte sie ausweichend und wurde rot. Sein Teint tat es ihrem gleich. „In der Tat“, mischte sich Frau Yamanaka ganz in ihrem Element ein. „Suchen Sie ein Geschenk für eine Freundin?“ „Ähm, also…“, stotterte Deidara überrumpelt. „Oder für einen Freund? Keine Sorge, ich habe da keinerlei Vorurteile“, lächelte sie fein. Sakura kicherte unweigerlich, was ihr einen bitterbösen Blick des Blonden einbrachte. „Bei Rosen ist enorm wichtig, dass man die richtige Farbe wählt. Die Weißen stehen für Unschuld und Treue. Gelbe Rosen dagegen bedeuten Freundschaft. Die Rosafarbenen stehen für eine frisch erblühte Zuneigung und die Roten ganz klassisch für die Liebe.“ „Ich nehme die da“, sagte er hastig und deutete willkürlich auf einen der Blumenkübel. „Oho! Violette Rosen sind selten und etwas ganz Besonderes, genau wie das Gefühl, das sie symbolisieren, Liebe auf den ersten Blick“, erklärte Frau Yamanaka verträumt. „Mein Ehemann hat mir damals…“ „Ich muss los“, verabschiedete Sakura sich rasch, bevor sie Opfer dieser Erzählung werden konnte. „Grüß mir meine Ino“, rief sie ihr hinterher, ehe sie begann, Deidara ein oder womöglich beide Ohren abzukauen. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr nachsah. Den sorgsam eingewickelten Blumenstrauß schützend gegen Wind und Wetter an den Körper gepresst, machte sie sich auf den Weg ins Krankenhaus. Mit nur einer Hand war es alles andere als leicht, die Kontrolle über den Schirm zu behalten, und eine besonders kräftige Böe schaffte es, ihr diesen zu entreißen, und fegte ihn direkt vor die Füße eines anderen blonden Ninja, der sich grinsend danach bückte. „Danke“, sagte sie lächelnd, als Naruto den Schirm für sie hielt und sich selbst auch ein Plätzchen darunter sicherte, obwohl er bereits hoffnungslos nass war und Regentropfen von seinem verstrubbelten Haar in seinen Kragen rannen. „Kommst du vom Training?“ „Klar, ich muss doch stärker werden“, entgegnete er lachend und stieß sie leicht mit dem Ellbogen an. Für einen Augenblick kam er ihr so nah, dass sich ihre Oberschenkel berührten. „Und du, auf dem Weg ins Krankenhaus?“ „Genau, ich möchte Ino besuchen.“ Sie machte ein ernstes Gesicht. „Hidan hat sie angegriffen.“ „Das ist der, mit den fettigen Haaren, oder?“, fragte er stirnrunzelnd. „Wieso?“ „Weil er ein Mistkerl ist, deswegen“, schimpfte sie und ließ den Kopf hängen. „Es ist meine Schuld, dass sie verletzt wurde. Ich hätte seine Anwesenheit spüren müssen, dann hätte ich vielleicht rechtzeitig reagieren können.“ „Sei nicht zu hart zu dir“, tröstete er sie und legte die Hand freundschaftlich auf ihre Schulter. „Diese Typen sind Elite-Shinobi, die wissen, wie man sich verbirgt.“ Sakura schüttelte seine Hand ab und warf ihm einen verletzten Seitenblick zu. Er meinte es gut – natürlich meinte er es gut –, aber war der Kern seiner Aussage nicht, dass sie, die kleine schwache Sakura, es selbstverständlich nicht mit jemandem wie Hidan aufnehmen konnte und es daher müßig war, darüber zu verzweifeln?! Es kränkte sie, wie despektierlich ihr bester Freund über sie dachte. Da war ihr sogar noch Sasukes hartes Urteil lieber als dieses geringschätzige Verständnis. Naruto bemerkte, dass er etwas Falsches gesagt hatte, obgleich sie bezweifelte, dass er eine Ahnung hatte, was das gewesen war, und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Kommst du eigentlich zu meinem Geburtstag? Ich feiere doch dieses Jahr, aber ohne dich wär’s nicht dasselbe, echt jetzt.“ „Klar komme ich.“ Sie bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall, weil ihm diese Party wichtig war und er ihr seit Wochen damit in den Ohren lag. Soweit sie wusste, war dies das erste Mal, dass er genügend Freunde hatte, um eine schmeißen zu können. Eltern, denen sein Ehrentag wichtig gewesen wäre, hatte er schließlich nicht. Sie mochte sich noch immer dafür schlagen, dass sie sich früher über sein Waisendasein lustig gemacht hatte. „Kann ich jemanden mitbringen?“ „Eine hübsche Freundin?“, fragte er so breit grinsend, dass sie alle seine Zähne aufblitzen sah. „Einen Freund.“ Sozusagen. Kurz schien es, als würde sich sein Gesicht verfinstern. „Ich habe ihn noch nicht gefragt. Vielleicht hat er keine Zeit, wahrscheinlich hat er keine Zeit. Also wenn es dir nicht recht ist, ist das auch okay.“ „Je mehr, desto lustiger“, wusste Naruto. „Sensei Iruka hat auch schon zugesagt. Das wird spitze, echt jetzt.“ „Du hast Sensei Iruka eingeladen?“, fragte sie ungläubig. „Wieso? Ist das komisch? Kiba war auch ganz entsetzt“, erzählte er mit kugelrunden Augen. Sakura schmunzelte in sich hinein. Auf die Idee, einen Sensei einzuladen, konnte wirklich nur Naruto kommen. Und irgendwie war das süß. Ihr jedenfalls sollte es recht sein, denn Iruka würde garantiert nicht zulassen, dass auch nur ein Tropfen Alkohol auf Narutos Geburtstagsfeier floss. „Ihr steht euch nah, was?“ „Er hat viel für mich getan und immer an mich geglaubt“, lächelte er strahlend. „Genau wie du.“ Das Lob ließ sie erröten und es war absolut unverdient. Sie war lange blind für Narutos Potenzial gewesen, obwohl sie es direkt vor der Nase gehabt hatte, zum einen, weil sie nicht hatte wahrhaben wollen, dass der ehemalige Klassenclown so viel begabter als sie war, zum anderen, weil sie immer nur Augen für Sasuke gehabt hatte. Vor dem Krankenhaus verabschiedeten sie sich voneinander. Naruto umarmte sie sogar ungelenk, wobei er fast ihre Blumen zerdrückte. Dass er ihren Schirm hatte mitgehen lassen, fiel ihr erst auf, als sie das Hospital betrat, in dem für die Jahreszeit erstaunlich wenig los war. Vermutlich dachten all die Kranken, mit ihren obligatorischen Schnupfnasen, dass eine kleine Erkältung es nicht wert war, bis auf die Knochen durchnässt zu werden. Sie steuerte den Empfang an, der von einer zum Übergewicht neigenden Frau, mit strengen Alterslinien und noch strengerem Haarknoten, was über ihr eigentlich fürsorgliches Wesen hinwegtäuschte, besetzt wurde. „Hallo Sakura, wir haben uns aber lange nicht mehr gesehen. Besuchst du jemanden?“, fragte sie und nickte in Richtung des Blumenstraußes. „Ino, sie ist gestern mit Verbrennungen eingeliefert worden.“ „Ach ja, das arme Häschen“, äußerte die Frau mitleidig. „Shizune musste selbst ran, weil wir dachten, dass sie sonst das Bein verliert. Der Shinobi, der sie herbrachte, meinte, dass es wohl einen Unfall gab. Eine ganz üble Sache ist das, sage ich dir, mittlerweile kann man sich in Konoha gar nicht mehr sicher fühlen. Naja…“ Sie griff in einen der zahlreichen Papierhaufen und zog zielsicher eine Zimmerliste heraus. „Yamanaka, Ino. Zimmer…“ Ihr Finger fuhr die Zeilen entlang, als sie plötzlich stockte, ein stummes O mit den dünnen Lippen formte und Sakura prüfend ansah. „Wie es aussieht, darf Ino derzeit keinen Besuch empfangen.“ „Ist was passiert? Gab es Komplikationen?“, fragte sie panisch. Die Frau wackelte ermahnend mit dem Zeigefinger. „Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf. Du bist weder ein Familienmitglied noch ihre behandelnde Ärztin.“ „Ach, komm schon“, bettelte Sakura. „Ino ist meine älteste Freundin und ich bin Ärztin, nicht irgendjemand.“ „Du kennst die Regeln.“ „Und du kennst mich!“ Sakura sah sie treuherzig an. Der Blick der Empfangsschwester wurde weicher, trotzdem blieb sie eisern: „Süße, wenn ich mich von jedem Hundeblick um den Finger wickeln lassen würde, hätten wir hier Anarchie.“ „Dann sag mir wenigstens, dass es ihr gut geht. Bitte, lass mich nicht am ausgestreckten Arm verhungern. Bitte, bitte, bitte.“ Die Ältere seufzte schicksalsergeben. „Okay, aber wenn jemand fragt, hältst du meinen Namen da raus.“ „Du bist die Beste.“ „Das schreibe ich in meinen Lebenslauf, nachdem ich gefeuert wurde“, grummelte sie und rollte auf ihrem Stuhl zum Computer. Sakura stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tresen ab und linste unauffällig auf die Zimmerliste. Endlich machte sich der Spionageunterricht mal bezahlt. „Also, Verbrennungen von fünfzehn Prozent der Hautoberfläche, hauptsächlich der Grade zwei a und zwei b, mit leichter bis schwerer Betroffenheit der Dermis, Verbrennungen dritten und vierten Grades am Fuß, mittelschwere Schädigung des Muskelgewebes sowie Nekrosenbildung. Alles gut verheilt, aber es besteht noch ein Restrisiko, dass Inos Fuß dauerhaft bewegungseingeschränkt bleibt. Zufrieden?“ Sie sah Sakura böse an. „Nicht wirklich, aber danke“, sagte Sakura. Wieso hatte Ino sie nicht helfen lassen? Wenn sie Pech hatte, kam sie diese Dickköpfigkeit nun teuer zu stehen.“ „Mach dir keinen Kopf, das wird schon wieder“, meinte die Empfangsschwester mit einem aufmunternden Lächeln, bevor sie sich einem Shinobi zuwenden musste, der seinen offensichtlich bewusstlosen Kameraden wie einen Sandsack über die Schulter geworfen hatte. Sakura tat, als würde sie auf den Ausgang zusteuern, blickte über die Schulter und huschte in einem günstigen Moment Richtung Treppenhaus davon. Sie klopfte leise an Inos Zimmertür und als eine Reaktion ausblieb, drückte sie die Klinge hinab und schlüpfte in das Krankenzimmer. Im ersten Moment glaubte sie, dass die Blonde schlief. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf zur Fensterfront gedreht, das bandagierte Bein zur Stabilisierung in einer Schlingenvorrichtung hängend. Unter der dicken Bettdecke zeichnete sich Inos schmaler Körper kaum ab. Ihr Frühstück stand unberührt auf dem Nachttisch. „Ich habe doch gesagt, dass ich niemanden sehen will“, motzte sie und drehte den Kopf schwerfällig Richtung Tür. „Ach, du bist’s.“ „Ich hatte mir mehr Begeisterung versprochen“, stichelte Sakura, doch die Witzelei blieb ihr im Halse stecken, als sich Inos Gesicht wie der Himmel über Konoha bewölkte. „Was machst du hier? Shizune ist meine Ärztin.“ „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und wollte dir die geben“, sagte sie hilflos und schwenkte den Blumenstrauß wie ein Friedensfähnchen durch die Luft. „Also, wie geht es dir?“ „Beschissen, meine beste Freundin ist eine dicke, fette Lügnerin“, schnappte sie. „Bin ich nicht.“ „Dann hast du mich wegen Sasuke nicht belogen?“, höhnte die Blonde. „Jemandem etwas zu verschweigen, ist auch eine Form von Lügen. Hast du mich deswegen ausgehorcht, ob ich ihn noch mag, weil du dich ihm, kaum dass er wieder da war, an den Hals geschmissen hast? Schon wieder. Du hast keinen Funken Stolz.“ „So ist das gar nicht“, widersprach sie schwach. „Ich stehe nicht mehr auf Sasuke“, äffte Ino in einem Ton, der Sakura imitieren sollte, obwohl sie das in dieser Form freilich nie gesagt hatte, doch dies anzumerken, würde die Situation nur verschlimmern. Und was sollte sie schon sagen? Sie war nicht mehr sicher, wie sie für Sasuke empfand. Sie sorgte sich um ihn, er war ihr nicht egal, aber ob sie ihn noch oder wieder liebte, das wusste sie nicht, und es würde für Ino keinen Unterschied machen. „Ich kann nicht glauben, dass wir wieder an diesem Punkt angelangt sind“, sagte sie enttäuscht. „Ino?“ Sakura zog geräuschvoll die Nase hoch. „Heulst du jetzt etwa? Das konntest du schon immer gut. Die süße Sakura, die auf Knopfdruck riesige Krokodilstränen vergießen kann.“ „Das ist nicht fair, du lässt mich nicht mal erklären.“ „Steck dir deine Erklärungen sonst wo hin, Breitstirn“, fauchte sie und drehte ihren Kopf abermals den Fenstern zu. „Ich bin müde, also geh. Und dein Gemüse kannst du mitnehmen.“ Nach dem katastrophalen ersten Besuch im Uchiha-Viertel hatte Sakura wenig Ambitionen, dieses erneut zu betreten, und nach dem Streit mit Ino kam es ihr auch noch wie Verrat an ebendieser vor. Allerdings war Shisui momentan ihre beste Chance, an Sasuke ranzukommen, und die Mission ging immer vor. Richtig? Richtig! Regel vier des Ninja-Kodexes. Die erste Hälfte des Weges weinte sie, die befremdeten Blicke der Dorfbewohner ignorierend, die zweite Hälfte gewannen Wut und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, die Oberhand. Inos Anschuldigungen waren unfair, sie hatte ihr keine Möglichkeit eingeräumt, die Situation zu erklären – wobei sie ohnehin keine Details hätte ausplaudern können –, und nicht mal in Erwägung gezogen, dass etwas anderes als persönliches Vergnügen hinter der Sache steckte. Stattdessen war Ino direkt und vollkommen zu Unrecht zu dem Schluss gesprungen, dass sie sich an Sasuke ranmachte. Die blöde Tussi war doch bloß neidisch, weil es für sie aussehen musste, als hätte Sakura damit Erfolg. Pah! Fuchsteufelswild stapfte sie durch das Eingangstor des Viertels. Diesmal bemerkte sie den Wachposten, ein prinzipiell gut aussehender Mann, dessen sauertöpfische Miene ihn jedoch höchst unsympathisch auftreten ließ und der, was ihn gleich noch unsympathischer machte, ihr ein Kunai vor die Füße warf, das nur knapp ihre Zehen verfehlte. „Hast du eine Genehmigung?“ Eine Genehmigung? Es hackte ja wohl. Sie bückte sich nach der Waffe und schleuderte sie zu ihm zurück. Leider fing er das Kunai mühelos zwischen Index- und Mittelfinger ein, anstatt dass es, wie erhofft, zwischen seinen Augen stecken blieb. „Ich bin verabredet“, erklärte sie in einem Ton, der keinerlei Widerspruch duldete. Er fokussierte den Strauß und sah sie anschließend wieder mit missbilligend gerümpfter Nase an. „Das ist Privatgelände, deine kleinen Dates kannst du im Dorf veranstalten“, moserte er und plusterte sich künstlich auf. Frechheit. „Eigentlich waren die Blume für Sie, ich wollte Ihnen meine aufrichtige, ewig währende Liebe gestehen, aber jetzt gebe ich sie doch lieber Shisui.“ Sakura war selbst erstaunt, woher sie diese Kühnheit nahm, wahrscheinlich weil der Typ absolut ätzend war und ihr – vermutlich – nichts konnte, schließlich hatte sie nichts Falsches getan. Ein bisschen baute sie sicherlich auch darauf, dass die Erwähnung von Shisuis Namen ihr buchstäblich Tür und Tor öffnete. Der Uchiha fletschte die Zähne und Sakura spannte unweigerlich ihre Wadenmuskeln an – im Zweifel würde sie sich der noblen Kunst des kreischenden Wegrennens bedienen –, doch der Mann gebot ihr mit einer ruppigen Geste, dass sie passieren durfte. Sie schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln, für das er sie, stünden die Dinge anders, garantiert vermöbelt hätte. Nun hatte sie nur das Problem, wo und wie sie Shisui finden sollte, ob er überhaupt da war oder auf einer Mission. Sie fragte sich bei den wenigen Menschen, die unterwegs waren, durch, bis ihr schließlich ein älterer Shinobi nach einem langen einschüchternden Blick erklärte, dass er sich auf dem Trainingsgelände in der Nähe des Naka no Kawa befand. Der Wald, den sie zu passieren hatte, war in etwa so anheimelnd wie der Shi no Mori, der Wald des Schreckens, in dem man sie während der Chūnin-Prüfung ausgesetzt hatte, und nicht weniger irritierend. Sie fürchtete bereits, sich verlaufen zu haben, und erklomm einen der hohen Bäume, um sich einen Überblick über das Gelände zu verschaffen, als sie zwei ausnehmend starke Chakra-Präsenzen spürte. Eine davon – und ihr Herz quittierte die Erkenntnis mit einem aufgeregten Hüpfer – gehörte eindeutig Sasuke. Von Ast zu Ast springend näherte sie sich den beiden zügig. Sakura blieb am Rande der Lichtung stehen. Sie hatte gar nicht erst versucht, ihr Kommen zu verschleiern, um kein Kunai zwischen die Augen zu riskieren oder – noch schlimmer – als Spionin verdächtigt zu werden. Shisui Uchiha sah kurz in ihre Richtung, als sie sich gegen einen dicken Baumstamm lehnte, und hob grüßend die Hand, während er sich geschmeidig unter Sasukes Tritt wegdrehte. Die beiden schienen bereits eine ganze Weile zu kämpfen, obwohl eigentlich nur Sasuke mitgenommen aussah. Er hatte, trotz der klirrenden Kälte und des Regens, sein Oberteil ausgezogen – Sakura ermahnte sich, nicht zu starren – und an den rasch aufsteigenden Dampfwölkchen konnte sie erkennen, wie hastig sein Atem ging. Sasuke entfernte sich mit einem Sprung nach hinten aus Shisuis unmittelbarem Radius, warf in der Luft drei Shuriken auf ihn, die der Ältere lässig mit seinem Tantō abwehrte und seinerseits ein Kunai auf Sasuke zufliegen ließ. Es traf ihn mitten in die Brust, der sich daraufhin zu Sakuras Erleichterung als Doppelgänger herausstellte und verpuffte. Ihr Herz hämmerte trotzdem. Shisui bewegte den Mund, aber der Wind trug lediglich einige unverständliche Silben an ihre Ohren. Sie wusste auch so, was passiert war. Sasuke hatte mit dem Werfen der Waffen nur ablenken wollen, um einen oder möglicherweise mehrere Doppelgänger von sich zu erschaffen, während der echte sich nunmehr im Wald verbarg. Ein Anfängermanöver, das sie bereits in der Akademie lernten, und wahrscheinlich beanstandete Shisui genau das, zumindest sah er nicht sonderlich zufrieden aus. Sakura versuchte, Sasukes Position zu ermitteln, doch es gelang ihr nicht, indes Shisui mit der Faust auf den Boden schlug. Die Erde brach auf und spuckte Sasuke aus, der sich ein paar Mal in der Luft drehte und sicher auf den Füßen landete. Plötzlich befand sich ein zweiter Shisui hinter Sasuke, umklammerte dessen Bauch und hielt ihm eine Klinge an den Hals. Sasuke packte seinen Arm, schob die andere Hand blitzschnell zwischen seinen Hals und Shisuis Handgelenk und holte mit dem Kopf aus, um diesen in Shisuis Gesicht zu rammen. Der Ältere konnte ausweichen, war dadurch jedoch gezwungen worden, Sasuke freizugeben. Sakura hatte den Atem angehalten und stieß diesen mit einem Japsen aus. Das war dumm gewesen; wäre dies ein Kampf auf Leben und Tod, hätte Sasuke ein paar Finger oder gleich die ganze Hand riskiert, andererseits wären seine Optionen in solch einer Lage natürlich begrenzt, da war der potenzielle Verlust von Gliedmaßen sicherlich sinnvoller als der des Lebens. Shisui formte eine ihr unbekannte Abfolge von Fingersiegeln und im nächsten Moment walzte eine gigantische Feuerkugel auf den Jüngeren zu. Sakura kniff die Augen zusammen, zwang sich dann aber doch zum Hinsehen. Kakashi hatte ihr seinerzeit bestimmt tausendmal erklärt, dass sie in solchen Situationen nicht wegsehen, nicht buchstäblich die Augen davor verschließen durfte, und dennoch war dies noch immer stets ihr erster Impuls. Sasuke konterte den Angriff mit einer eigenen Feuerkugel, die Gebilde trafen sich und erzeugten eine gleißende Explosion, deren Hitzewelle sie selbst aus der Entfernung schmerzvoll auf der Haut spüren konnte. Der Geruch von verbranntem Haar kroch ihr in die Nase und sie stellte fest, dass ihre Spitzen angesengt waren. Die beiden Kontrahenten wurden davongeschleudert, fingen sich jedoch beinahe zeitgleich und landeten in mehreren Metern Abstand zueinander. Sakura wartete gespannt, was sie als nächsten tun würden, als sie eine Bewegung im Augenwinkel registrierte. Shisui näherte sich Sasuke lautlos von hinten, machte dieselben Fingerzeichen wie zuvor, während der andere Shisui in einem Frontalangriff auf Sasuke losstürmte. Das war ein Trick, das musste er doch erkennen. Nur Naruto preschte so direkt auf einen Gegner zu. Aber er bemerkte es nicht und wenn dieser Feuerball ihn in den Rücken traf… „Sasuke, hinter dir“, rief sie schrill und schlug die Hände vor den Mund, aber immerhin hatte ihr Gekreische ihn auf das rückwärtige Treiben aufmerksam gemacht. Shisui brach den Angriff ab, sein Doppelgänger löste sich in Rauch auf und plötzlich war er verschwunden, als wäre er unsichtbar geworden. Dabei hatte sie nicht mal geblinzelt. Sasuke blieb regungslos und sichtlich konzentriert stehen. Die Luft hinter ihm flirrte. Es ging so schnell, dass Sakuras Gehirn die Information gar nicht rechtzeitig genug verarbeiten könnte, um in irgendeiner Form zu reagieren, wenn das ihr Kampf wäre. Shisui Uchiha war wirklich beängstigend stark. Sasuke hingegen hatte ihn zeitig genug bemerkt, um sich umzudrehen und einen harten Tritt in den Magen statt den Rücken zu kassieren. Er wurde mehrere Meter nach hinten geschmettert, fing sich und sprang in die Luft, genau in Shisuis Faust, der dieselbe Technik abermals angewandt zu haben schien und schräg über dem Jüngeren aufgetaucht war. Sakura hörte das Knirschen seines Kiefers über die gesamte Lichtung. Sasuke knallte auf den Boden und blieb reglos liegen. Der Kampf war entschieden. Shisui hatte gewonnen und den Sieg wie ein Kinderspiel aussehen lassen, offensichtlich nicht mal eine Schweißperle verschwendet. Sakura zitterte bis in die Haarspitzen. Der Gewinner konnte sich seines Erfolges jedoch offenbar nicht erfreuen, er sah regelrecht enttäuscht auf Sasuke, der sich mit den gebrechlichen Bewegungen eines alten Mannes aufsetzte, hinab, sagte etwas und verschwand. Sakura hatte sowieso vergessen, dass sie ihn eigentlich hatte sprechen wollen. Der Boden war schlammig und vom Kampf aufgewühlt. Trotz des starken Regenfalls sah das Gras verbrannt aus, und es roch auch so. Sie näherte sich Sasuke vorsichtig, erinnerte sich zu gut daran, dass er aggressiv wie ein verwundetes Raubtier reagierte, wenn er sich erniedrigt fühlte. Er saß auf der Erde, das Gesicht hinter tropfnassen Haarsträhnen verborgen, Regen perlte über seinen durchtrainierten Oberkörper. Sie starrte auf seine Muskeln und die perfekt anmutende marmorfarbene Haut, die sich darüber spannte und von zahlreichen frischen Kratzern und Schrammen verunziert wurde. „Bist du hier, um mich auszulachen?“, fragte er grimmig, sah jedoch nicht auf. „Ich weiß nicht, wie du auf sowas kommst oder weshalb du ständig davon auszugehen scheinst, dass jeder dich demütigen möchte.“ Sie dachte an Tsunades Worte und wie unbeliebt der Uchiha-Clan war. Aus eigener Erfahrung konnte sie das nicht bestätigen, in der Akademie war Sasuke definitiv der beliebteste Junge gewesen, aber wahrscheinlich waren junge Mädchen in diesem Fall nicht das Maß der Dinge. Falls er tatsächlich in der Annahme lebte, dass jeder ihm Böses wollte und sich über sein Versagen freute, erklärte das natürlich sein defensives Verhalten. Sie spürte Mitleid in sich aufwallen, dabei hatte sie sich doch fest vorgenommen, mehr Stärke an den Tag zu legen. „Was willst du dann?“, fragte er feindselig und sah sie ebenso an. Das Sharingan, das sie zugleich eindrucksvoll sowie unheimlich fand, war seiner normalen Augenfarbe gewichen, dennoch jagte ihr sein Blick ein Frösteln durch Mark und Bein. Seine Augenbraue war aufgeplatzt und blutete stark, was sie zischend Luft einsaugen ließ. „Lass mich das heilen.“ „Ist nicht nötig“, sagte er und drehte seinen Kopf weg, als sie die Finger nach ihm ausstreckte. „Verschwinde einfach.“ „Halt die Klappe.“ Sie spürte, wie verkrampft sein Kiefer war, als sie sanft sein Kinn umfasste und seinen Kopf zur Seite drehte, damit sie die Wunde begutachten konnte. Die Verletzung war tief und ohne Versorgung würde garantiert eine Narbe bleiben. Sein Auge schwoll bereits zu und er musste es zusammenkneifen, damit kein Blut reinlief. „Ich kann nicht fassen, dass Shisui dich in diesem Zustand zurücklässt. Das ist unverantwortlich.“ „Im Gegensatz zu dir hält er mich nicht für ein Baby. Das ist ein Kratzer, Haruno, daran sterbe ich schon nicht.“ Es tat unverhältnismäßig weh, dass er sie bei ihrem Nachnamen nannte. Das war ein neues Tief und sie hatte nicht gedacht, dass das bei dem Verhältnis, das sie zueinander hatten, überhaupt möglich war. „Ich bin eine ausgebildete Iryōnin, so gesehen verhältst du dich in der Tat kindisch, dass du mich nicht helfen lassen willst. Kopfverletzungen, mögen sie noch so ungefährlich erscheinen, darf man nie unterschätzen. Du könntest eine Gehirnerschütterung haben, infolgedessen stürzen oder gar ohnmächtig werden, und bei diesen Temperaturen würdest du innerhalb von Minuten auskühlen. Also doch, theoretisch könntest du an diesem Kratzer sterben.“ Ihre Stimme war sanfte Gewalt, nicht belehrend, aber nachdrücklich. „Wieso interessiert dich das?“ „Tut es nun mal“, sagte sie achselzuckend und warf ihm einen letzten prüfenden Blick zu, ehe sie sich daranmachte, die Wunde zu heilen. Es dauerte nicht länger als ein paar Herzschläge, bis sich die Haut vollständig geschlossen hatte, nur das Blut blieb zurück, wurde jedoch bereits vom Regen abgewaschen. Er sah mit eisiger Miene an ihr vorbei, griff nach seinem Oberteil, das er um die Hüfte gebunden hatte, und zog es über. „Woher kennst du Shisui?“ „Ich kenne ihn eben.“ „Stehst du auf ihn?“ Sie war zu überrascht, dass er so etwas fragte, um es zu kaschieren. „Ähm, nein“, antwortete sie verdattert, obwohl es ihn nichts anging und ihr Herz ein bisschen flatterte, weil es ihn zu interessieren schien, auch wenn das Interesse mehr Shisui denn ihr gelten dürfte. Er sah misstrauisch aus, aber, wenn sie sich nicht gänzlich täuschte, auch ein bisschen neugierig. „Mit ihm hast du die letzten Jahre trainiert, oder?“ „Wieso fragst du Sachen, die du schon weißt?“ „Das nennt man Smalltalk.“ Sie gönnte sich den Luxus eines semi-genervten Augenverdrehens. „Ich will mich gar nicht mit dir unterhalten“, entgegnete er kühl und sah sie von oben herab an. Das Blut verlief in rosa Bahnen über seine linke Gesichtshälfte. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert. Unvorstellbar, dass sie diese scheußliche Art mal anziehend gefunden hatte. Ihr Männergeschmack war eine Katastrophe. „Was ist so witzig?“, fragte er scharf. Da war es wieder, das verletzte Tier, das in blinder Panik nach helfenden Händen schnappte. Sakura presste besagte helfende Hände auf den Mund, als sie ihr Gelächter nicht mehr zurückhalten konnte. „Tut mir leid, ich…“, japste sie. „Ich musste nur gerade daran denken, wie sexy ich deine Arroganz mal fand, dabei ist sie abscheulich.“ Oh geheiligter Kage, sie hatte sexy vor Sasuke gesagt. Sie quietschte vor Lachen. Er guckte herrlich dämlich aus der Wäsche, absolut köstlich. Ihr war nach Heulen zumute, gleichzeitig hatte sie sich seit Wochen nicht mehr so königlich amüsiert. Sie wischte sich ein Tränchen aus dem Augenwinkel. „Entschuldige, ich habe nur gefragt, weil ich wissen wollte, wie er so ist. Wir müssen vielleicht bald zusammenarbeiten.“ Sasukes Kiefer mahlten gegeneinander, was bei der saftigen Prellung, die sich abzuzeichnen begann, sicherlich schmerzhaft war. „Shisui ist ganz okay.“ Selbst die Preisgabe dieser kleinen Auskunft kostete ihn enorme Überwindung. „Sehr ausführlich, das werde ich mir aufschreiben müssen, damit ich das nicht alles vergesse.“ Er seufzte indigniert. „Ich weiß nicht, was eure Mission ist, und ich will es nicht wissen, aber wenn ihr in eine brenzlige Situation kommt, würde er dich wahrscheinlich mit seinem Leben beschützen. Also“, er schluckte merklich, „versuch, ihn nicht mit deiner Inkompetenz umzubringen.“ „Du hast die Bücher immer noch nicht gelesen. Iryōnin nehmen nicht aktiv am Kampf teil.“ „Dann schlag dem Feind am besten deine Bücher um die Ohren, wenn er darauf scheißt.“ Es war unmöglich zu sagen, ob Sasuke Uchiha soeben ein Fünkchen Humor bewiesen hatte oder ob er zu erschöpft war, um mit der ganzen Kraft seiner strahlenden Abfälligkeit zu brillieren. „Glaub es oder nicht, aber ich kann mich verteidigen.“ „Habe ich gesehen.“ „Hidan hat mich kalt erwischt. Ich habe, um ehrlich zu sein, nicht damit gerechnet, dass er mich angreifen würde. Aber jetzt weiß ich, dass der Kerl gefährlich ist. Er hat mich gestern schon wieder angegriffen. Shisui hat mir geholfen, deswegen bin ich eigentlich hier, ich wollte mich bei ihm bedanken.“ „Mit Blumen?“ „Naja.“ Sie betrachtete das zerfledderte Bouquet, dem der Regen alles andere als gutgetan hatte, die zarten Cosmea-Blüten waren braun vor Schlamm und ein bisschen verkokelt. „Die kann ich ihm in diesem Zustand schlecht überreichen, also ohne Blumen.“ „Hat er dir wehgetan?“ „Wer? Shisui?“ „Hidan.“ Er rollte die Augen. „Nein, aber Ino hat’s übel erwischt. Der Typ ist ein Schwein.“ Sasuke sagte nichts dazu und weil sie die ungewohnt lockere Stimmung zwischen ihnen nicht aufgeben wollte, gab sie ihm einen Klaps gegen den Oberarm. „Du brauchst dir bezüglich meiner Inkompetenz übrigens keine Sorgen um Shisui zu machen, es ist nichts Gefährliches.“ „Er ist der Zweitbeste in meinem Clan.“ „Nach dir, nehme ich an“, konkludierte sie schmunzelnd. „Klar, deswegen hat er mich gerade fertiggemacht. Ich habe absichtlich verloren, weil ich sein Ego nicht verletzen wollte“, entgegnete er trocken. Er wischte sich Regen aus dem Gesicht, verschmierte dabei Blut über seine gesamte Stirn und Sakura zückte ein durchgeweichtes Taschentuch, um ihn zu säubern. Sasukes Lippen zuckten verkrampft, aber er ließ sie gewähren, obwohl er sie dabei nicht aus den Augen ließ. „Ich habe gedacht, wenn ich mich von Shisui trainieren lasse, würde ich besser werden als er. Der Schüler sollte den Meister übertreffen, oder nicht, und dann hätte ich es fast geschafft, an ihn ranzukommen.“ Sakura konnte ihm nicht ganz folgen, runzelte daher verwirrt die Stirn. „Meine Meinung ist dir wahrscheinlich gleichgültig, aber ich fand, dass du dich gut geschlagen hast.“ „Du bist auch leicht zu beeindrucken. Damals hat es dir schon jedes Mal imponiert, wenn Naruto mit geschlossenem Mund gekaut hat.“ Das stimmte und deswegen lächelte sie höflich, obwohl sie es unangebracht fand, wie nonchalant er über Naruto redete. Vermutlich hatte er nicht ein Wort mit dem Blonden gewechselt, seit er wieder in Konoha war, dabei war er von allen am nächsten an einen Freund rangekommen. „Er hält mich für einen Versager.“ „Shisui? Das glaube ich nicht. Er scheint große Stücke auf dich zu halten.“ Das mochte eine großzügige Auslegung von Shisuis Rede auf Klein-Sasuke sein, doch das war ihr herzlich egal. „Mein Vater“, sagte er in einem Ton, als hätte ihr das klar sein müssen. „Er hasst mich.“ „Unsinn“, entfuhr es ihr. Sie kannte Sasukes Vater zwar nicht, aber dennoch erschien ihr das unwahrscheinlich. Andererseits sprachen sie von dem Clan, der kleinen Kindern unaussprechlich grausame Dinge antat. War das sein Problem? Er hatte strenge Eltern, die ihm – eventuell unwissentlich – das Gefühl gaben, minderwertig zu sein? „Er vergleicht mich ständig mit Itachi und dabei kann ich nur schlecht abschneiden.“ Er redete sich in Rage, auf seinen Wangen erblühten hitzige Flecke. „Mein Bruder ist perfekt und muss sich dafür nicht mal anstrengen. Ich werde nie so gut sein wie er, neben ihm bin ich eine Witzfigur.“ „Möglicherweise kommt es dir nur so vor, weil du ihn auf ein Podest stellst“, merkte sie vorsichtig an. „Ich hasse ihn.“ Die Art, wie er es sagte, machte deutlich, dass er ihn nicht hasste, obwohl er das vielleicht gern wollte. „Mein Vater vergöttert ihn und trotzdem hat er ihn verstoßen.“ Seine Fäuste waren dermaßen fest geballt, dass Sakura Gewalt anwenden musste, um seine Finger aufzubiegen. „Wenn er merkt, was ich für ein Schwächling bin, dann…“ „Hey!“ Sakura umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Sasukes Augen schwirrten unfokussiert durch die Gegend. Sie hatte ihn noch nie so erlebt, er schien kurz vor einer Panikattacke zu stehen. „Niemand verstößt dich und niemand hält dich für einen Schwächling, Sasuke, hörst du.“ Er hörte nicht. Sein Atem ging viel zu schnell und bildete weiße Wölkchen in der kalten Luft. „Ich werde es nie schaffen“, murmelte er rau. „Was soll ich noch alles machen?“ Er sah sie an und doch durch sie hindurch. Darauf hatte sie keine Antwort. Sie ging davon aus, dass diese Sorgen nur in seinem Kopf existierten, aber das machte sie nicht weniger real. Sakura reagierte, ehe sie es sich anders überlegen konnte, und schlang die Arme fest um seinen Rücken. Sasuke wand sich in ihrer Umarmung, woraufhin sie ihn noch enger an sich drückte. Er zitterte fürchterlich und sie drängte sich gegen ihn, als wollte sie ihre Wärme und Zuversicht in ihn hineinpressen. Seine Haut war eiskalt und nass, sie rubbelte mit den Händen gegen die Kälte an, obwohl sie selbst bis auf die Unterwäsche durchnässt war, aber in ihrem Inneren entstand eine glühende Hitze, die ihre Wangen tiefrot einfärbte. „Lass das.“ Seine Stimme klang brüchig. „Ich dachte, du könntest eine Umarmung gebrauchen“, sagte sie leise und streichelte seine Wirbelsäule bis zu seinem Haaransatz hinauf. Ihr Herz klopfte so schnell, dass er es vermutlich hören und fühlen konnte. „Ich bin für dich da, Sasuke, du bist nicht allein.“ Sakura hatte erwartet, dass er sie wegstieß, maximal, dass er den Körperkontakt über sich ergehen ließ, doch Sasuke hob seine Arme wie in Zeitlupe, als hätte er sie nie zuvor benutzt, und legte seine Hände ungelenk auf ihren Rücken. Dann, mit einem schmerzhaften Ruck, wickelte er die Arme um sie. Seine Umarmung war so fest, dass er ihr fast die Rippen brach, aber ein paar angeknackste Knochen ließen sich leichter heilen als Sasukes seelische Wunden. Sie inhalierte seinen Geruch, als sie die Wange auf seiner Schulter ablegte. Er roch nach Regen, frischem Schweiß und etwas anderem, das sie nicht definieren konnte, aber ganz wunderbar fand. Sein Atem prickelte auf ihrer Kopfhaut. Ihr entfuhr ein leises wohliges Seufzen, das ihn abrupt Abstand von ihr nehmen ließ. Ihr wurde sofort kalt, was nicht nur an seiner plötzlich fehlenden Körperwärme lag. Sasukes Blick nahm etwas Anklagendes an, als hätte sie ihn irgendwie ausgetrickst, sich seine Umarmung mit unlauteren Mitteln erschummelt, dann senkte er die Augen beinahe schüchtern auf seinen Schoß. Vermutlich war die Rötung auf seinem Gesicht Shisuis Verdienst, aber sie stellte sich vor, dass es an ihr lag. Zwischen ihnen breitete sich eine drückende Stille aus und Sakura überlegte fieberhaft, was sie sagen konnte. Sie wollte ihn aufheitern, ohne das Gefühl zu vermitteln, ihn nicht ernst zu nehmen, ihn darin bestätigen, dass er ihr vertrauen konnte, dass es richtig gewesen war, seine Sorgen mit ihr zu teilen. Sie wollte, dass das, was er garantiert als Moment der Schwäche empfand, nicht künftig zwischen ihnen stand. Sasuke erweckte nicht den Eindruck, dass er an ihr Gespräch anknüpfen wollte, und sie würde ihn nicht zwingen, aber auch nicht zulassen, dass sie einen Schritt vor und drei zurück machten. Vorsichtig rückte sie ein Stückchen an ihn heran, drehte sich dabei so, dass sie Schulter an Schulter saßen. Ihre Glieder waren steif vor Kälte. „Kommst du zu Narutos Geburtstag?“ „Fragst du mich gerade nach einem Date?“ „Nein.“ Sie schüttelte den Kopf zu heftig, sodass Wassertropfen in alle Richtungen flogen. „Aber ich glaube, dass es dir guttun würde, mal auf andere Gedanken zu kommen, und Naruto würde sich freuen.“ Das oder sie sorgte gerade dafür, dass seine erste richtige Geburtstagsfeier ein Reinfall wurde. „Ich überlege es mir.“ Er stand auf und streckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Sie wertete es als Zeichen, dass er vielleicht sogar wirklich darüber nachdenken würde. Kapitel 5: Sweet Sixteen ------------------------ Sakura wischte sich den rosa Lippenstift aus dem Gesicht, den sie wenige Minuten zuvor noch unwiderstehlich an sich gefunden hatte. Sie wollte hübsch aussehen – weil heute ein wichtiger Tag für Naruto war, nicht weil sie insgeheim darauf hoffte, dass ein bestimmter Jemand auftauchte. Aber der Lippenstift war zu viel des Guten, er sah nach zu viel Mühe aus, die sie sich mit ihrem Aussehen gegeben hatte. Ja, sie wollte hübsch aussehen, aber unauffällig hübsch. Die unaufwendig aussehende aufwendige Flechtfrisur und der himmelblaue Yukata¹, der eigentlich viel zu dünn für die Jahreszeit war, würden schon genug Aufsehen erregen, da Sakura sich selten betont feminin präsentierte. Und mit dem Parfum hatte sie ebenfalls ein bisschen übertrieben. Aber zum Duschen blieb ihr keine Zeit mehr, sie war ohnehin spät dran, begutachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, befand das Ergebnis für gar nicht schlecht und huschte auf leisen Sohlen durch den Flur, damit ihre Mutter sie nicht erwischte und eine Diskussion wegen ihres wetteruntauglichen Outfits entbrannte. „Ich bin jetzt weg“, rief sie Mebuki zu, die in der Küche hantierte, und war zur Tür raus. Es regnete nicht mehr, doch die Luft war feucht und kalt, und sie kuschelte sich in ihre Winterjacke, während sie sich zügigen Schrittes auf den Weg zu Narutos Appartement machte. Er lebte in einer der ärmlicheren Gegenden, in einem schäbigen Wohnblock und sie verstand nicht, weshalb er sich nicht allmählich etwas Besseres suchte, aber jedes Mal, wenn sie ihn darauf ansprach, meinte er nur grinsend, dass ihm seine kleine Wohnung reichte. Sakura würde nicht mal ihren Kleiderschrank in diese Hutschachtel, die er Zuhause schimpfte, gequetscht kriegen. Bibbernd klopfte sie an seine Wohnungstür. Letztmals war ihr so kalt gewesen, als sie in Yukigakure gewesen war, eine der letzten Missionen, die Team 7 angetreten hatte, doch wer schön sein wollte, musste bekanntermaßen leiden, und Ninja kannten sowieso keinen Schmerz. Naruto öffnete ihr und zog sie direkt in eine feste, herzliche Umarmung, die sehr viel selbstsicherer als der unkoordinierte Tentakelangriff vorm Krankenhaus war. War das jetzt ein Ding zwischen ihnen? Nicht, dass sie ein Problem damit hatte. Sasuke war nicht der einzige, dem ein bisschen Zuwendung guttat, und Naruto war herrlich warm. Sie lehnte sich gegen ihn, genoss das Gefühl der absoluten Geborgenheit, das er ihr gab, und vielleicht ließ sie die Umarmung deswegen länger andauern, als zwischen Freunden üblich war. Naruto war es schließlich, der diese mit einem sanften Klaps auf ihren Rücken beendete. „Ich freue mich, dass du da bist. Komm rein, du bist eiskalt.“ Sie folgte der Aufforderung und Naruto half ihr wie ein echter Gentleman aus der Jacke, hing diese anschließend sogar ordentlich über den Stuhl, den er für die Garderobe bereitgestellt hatte. „Wow, Sakura, du siehst klasse aus, echt jetzt.“ „Danke“, sagte sie verlegen und dann, weil ihr peinlich war, wie das Kompliment Hitze in ihren Wangen aufsteigen ließ: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“ Sollte sie ihn noch mal umarmen oder wäre das schräg, nachdem sie sich gerade erst ziemlich lange umarmt hatten? Naruto nahm ihr die Entscheidung ab, indem er einen halben Schritt von ihr zurücktrat und die Enden eines langen roten Wollschals umfasste. „Guck mal, den hat mir Hinata geschenkt. Nett von ihr, oder?“ Nett war sicherlich nicht die Beurteilung, die sich die Blauhaarige erhofft hatte, deswegen streichelte Sakura über das weiche Material und meinte anerkennend: „Ein tolles Geschenk und mit viel Liebe gemacht, möchte ich wetten.“ Ihr entging, dass Hinata schüchtern in der Wohnzimmertür stand und den vertrauten Umgang der beiden mit verletztem Blick beobachtete. „Da kann ich nicht mithalten“, gestand Sakura und überreichte ihm die Geburtstagskarte, in der sich ein Gutschein für Ichiraku befand. Ihr Präsent zeugte nicht von Kreativität, aber um ihm seinen größten Wunsch zu erfüllen, hätte sie Tsunades Rücktritt als Hokage erzwingen müssen. „Spitze, genau das, was ich mir gewünscht habe, echt jetzt“, freute er sich und nahm sie bei der Hand, um sie ins Wohnzimmer zu führen. „Wo hast du eigentlich deinen geheimnisvollen Freund gelassen?“ „Er weiß noch nicht, ob er es schafft“, drückte sie sich vage um eine Antwort. Vielleicht sollte sie ihm einfach sagen, dass es sich bei besagtem Freund um Sasuke handelte, aber wenn er nicht kam, wäre Naruto vermutlich maßlos enttäuscht. Der Uchiha hatte nicht fest zugesagt und ihre Einladung war arg kurzfristig gewesen; eigentlich glaubte sie nicht recht daran, dass er die Lust oder Zeit für eine Party aufbrachte. „Dann ist er ein Idiot, wenn er sich die Chance entgehen lässt.“ „Wir sind nur Freunde“, berichtigte sie. Die Hokage der letzten vier Generationen mochten ihr beistehen, wenn Naruto herumposaunte, dass sie angeblich einen mysteriösen Lover hätte und sich besagter vermeintlicher Liebhaber als Sasuke herausstellte. Dann wäre ihre Freundschaft mit Ino endgültig Geschichte – derzeit spekulierte sie darauf, dass die Blonde in einigen Tagen selbst einsah, wie albern sie sich benommen hatte – und Naruto und Sasuke würden auch keinen Beifall klatschen. „Ich meinte, Zeit mit mir verbringen zu dürfen. Jetzt, wo ich bald Hokage bin, sollten die Leute anfangen, sich bei mir einzuschleimen.“ Ihr dummes Gesicht ließ ihn in schallendes Gelächter ausbrechen, was die Aufmerksamkeit der bereits anwesenden Gäste auf sie und rasch auf ihre miteinander verflochtenen Finger lenkte. Sakura entzog ihm die Hand und winkte scheu in die Runde. Das Zimmer war klein und übersichtlich und auch als sie ihre Augen ein zweites Mal durch den Raum schweifen ließ, entdeckte sie Sasuke nicht. Sie war nicht überrascht, hatte nichts anderes erwartet, aber Rationalität hatte enttäuschte Hoffnungen noch nie weniger bitter schmecken lassen. Sensei Iruka, Neji, eine hübsche Brünette, die sie ohne die strengen Haarknoten im ersten Moment gar nicht als Tenten erkannt hatte, und Lee saßen um Narutos Tisch versammelt und hatten vor ihrem Eintreffen offenbar innbrünstig diskutiert. Hinata stand mit gesenktem Blick neben der Tür, verbeugte sich leicht und piepste leise: „Hallo Sakura-kun.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte den Gruß, obgleich sie insgeheim bereits überlegte, wie lange sie bleiben musste, um keine Spielverderberin zu sein. Sie war wegen Naruto gekommen, aber die Feierlaune war ihr gründlich abhandengekommen. „Sakura!“, schrie Lee, sprang auf und wedelte wild mit der Hand durch die Luft. Sie versteckte sich halb hinter Naruto, nur für den Fall, dass Lee ihr wieder mal Küsschen zuwerfen wollte. „Ich, Sensei Iruka und Neji…“ „Das heißt: Sensei Iruka, Neji und ich, Lee. Es ist unhöflich, sich zuerst zu nennen“, tadelte Neji, ungeachtet der Tatsache, dass es nicht minder unhöflich war, jemanden zu unterbrechen. „Du hast recht, ich bitte um Verzeihung“, entschuldigte sich Lee mit einer tiefen Verbeugung gen Neji. „Und ich bin nicht mehr euer Sensei“, sagte Iruka, obwohl ihm die Anrede sichtlich schmeichelte. „Neji ist inzwischen sogar ranghöher als ich, also sollte er zuerst genannt werden.“ „Aber Sie sind schon alt.“ „Lee“, stöhnten Tenten und Neji synchron auf und kniffen sich wie in einer perfekt abgestimmten Choreografie simultan in die Nasenwurzeln. „Ich bin erst sechsundzwanzig.“ Iruka ließ niedergeschlagen den Kopf auf die Tischplatte sinken. „Das ist jung.“ Tenten tätschelte ihm tröstend die Schulter. „Okay, also Neji, Sensei Iruka und ich haben Tenten zu erklären versucht, wie wichtig sie für unser Team ist. Sie ist deprimiert, weil sie doch die Ausbildung zur Iryōnin nicht geschafft hat, und ich dachte, dass du vielleicht mal mit ihr reden kannst.“ „Abgebrochen“, korrigierte Tenten errötend. „Ich habe die Ausbildung abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass meine Stärke in der Offensive liegt.“ „Aber gerade hast du noch gesagt…“ „Ich weiß, was ich gesagt habe“, zischte die Brünette und wandte sich widerwillig an Sakura: „Lady Tsunade ist mein Vorbild, deswegen wollte ich Medizin-Ninja werden, allerdings reicht meine Chakrakontrolle nicht für medizinische Jutsu aus.“ „Du musst keine Iryōnin werden, um eine starke Kunoichi zu sein. Erinnerst du dich noch, wie du an unserem ersten Tag sagtest, dass Frauen ebenso stark wie Männer sein können, und ich dich auslachte? Du hast bewiesen, dass ich falsch lag, und dein Fūinjutsu ist unübertroffen“, meinte Neji sanft und legte seine Hand auf ihrem Unterarm ab. „Das stimmt“, pflichtete Sakura bei, obzwar Nejis Worte alles an Bestätigung zu sein schien, die Tenten brauchte. „Wir alle haben individuelle Stärken und Schwächen. Ich kann nicht gut mit Waffen umgehen, Lee kann keine Ninjutsu anwenden.“ „Genjutsu auch nicht“, warf er stolz ein. „Und Naruto ist kein Stratege.“ „Deswegen ist er noch immer ein Genin“, stichelte Neji. „Nur, weil ich mit dem kauzigen Berg-Eremiten trainiert habe und der alte Sack vergessen hat, mich für die Prüfung anzumelden, echt jetzt“, schmollte der Blonde. „Jungs.“ Sensei Iruka hob beschwichtigend die Hände. Gleichzeitig intervenierte Sakura: „Ränge sagen letztlich sowieso nicht viel über das Können eines Shinobi aus.“ Sie fühlte sich verpflichtet, ihn in dieser Hinsicht zu verteidigen. Nachdem Sasuke damals quasi über Nacht aus dem Dorf verschwunden war, hatte Jiraiya Naruto angeboten, Konoha mit ihm gemeinsam zu verlassen, um zu trainieren. Naruto hatte sie um ihre Meinung gebeten, aber sie hatten beide gewusst, dass die eigentliche Frage war, ob sie allein zurechtkäme. Sakura hatte nicht verlangt, dass er blieb – so egoistisch war sie nicht –, doch wirklich ermutigt hatte sie ihn auch nicht. Er war nicht gegangen, wegen ihr, und es stand in den Sternen, wie stark er sein könnte, wenn sie nicht so schwach gewesen wäre. Sie hatte viele Dinge getan, auf die sie nicht stolz war, war in der Vergangenheit oft gemein, sogar grausam zu Naruto gewesen, aber wie sehr sie sich seinem Fortschritt und somit seinem Ziel, Hokage zu werden, in den Weg gestellt hatte, war vielleicht das Schlimmste. Neji schnaubte empört, Iruka, Tenten und Lee sahen sie an, als hätte sie etwas Ketzerisches gesagt, nur Naruto nickte energisch zustimmend. „Was reine Stärke angeht, magst du recht haben, aber bei der Ernennung zum Chūnin oder sogar Jōnin geht es um mehr als das. Es ist der Beweis, dass man über Führungsqualitäten verfügt, dass man Missionen planen und durchführen kann, in schwierigen Situationen Ruhe bewahren und Teams leiten kann, dass man die richtigen Prioritären setzen kann“, erklärte Iruka, der gänzlich in seiner Rolle als Lehrer aufging. „Und Naruto ist ein subordinationswidriger Hitzkopf“, sagte Tenten mit einem impertinenten Kichern, das Sakura mit der Faust aus ihrem Gesicht putzen wollte. „Jemand, der nicht mal anständig sein Chakra kontrollieren kann, sollte sich nicht über die Unzulänglichkeiten anderer lustig machen“, schnappte sie gereizt. „Hey“, blökte Tenten und sprang von ihrem Stuhl hoch. Neji und Lee hielten sie mit vereinter Anstrengung zurück – hätte Sakura weniger Lust, ihr die Augen auszukratzen, fände sie die Kraft der Brünetten, die im Gegensatz zu ihrer auf physischer Fitness basierte, vermutlich bemerkenswert –, Iruka hatte die Arme wie eine Schranke zwischen den beiden Kunoichi ausgebreitet und Naruto hatte die Hände auf Sakuras bebende Schultern gelegt. „Mädchen, wir sind nicht hier, um zu streiten“, erinnerte Sensei Iruka sie streng. Sakura wollte ihr trotzdem an die Gurgel springen, obwohl sie keine Ahnung hatte, woher diese brennende Wut kam. Tenten hatte einen unüberlegt fiesen Kommentar abgegeben, nicht schlimmer als die, mit denen sie Naruto vor einigen Jahren selbst wieder und immer wieder verspottet hatte, und möglicherweise war das der Grund, weil sie wusste, dass er das nicht verdient hatte. Es klopfte an der Tür und da Naruto offensichtlich nicht sicher war, ob er Sakura loslassen konnte, bat er Hinata, an seiner Stelle zu öffnen. Der Geräuschpegel explodierte, als Kiba kurz darauf den Raum betrat. Shino schob sich, dicht gefolgt von Akamaru und der Blauhaarigen, hinter ihm ins Zimmer. „Alter“, setzte Kiba feierlich an, sah dann jedoch fragend von einem Gesicht zum nächsten. „Was ist denn hier los?“ „Die Mädels zanken sich um mich“, grinste Naruto und verschränkte seine Finger mit Sakuras, um sie von Tenten wegzuziehen. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, musste aber trotzdem lächeln. Neji gab einen verächtlichen Laut von sich. „In deinen Träumen“, lachte Kiba, klatschte Naruto wie einen glorreichen Helden ab und ließ die Augenbrauen hüpfen. „Pass auf, wie du mit deinem künftigen Hokage redest“, entgegnete der Blonde mit erhobenem Zeigefinger. „Bevor du Hokage wirst, ernennen die eher Akamaru.“ Besagter himmelte Shino an, der einen Kuchenkarton in den Händen hielt und ein buntes Partyhütchen auf dem Kopf hatte. „Dorayaki²“, sagte er und hielt Naruto die Pappschachtel hin. „Hat meine Mum gemacht.“ „Ich hasse Adzukibohnen³“, maulte Kiba naserümpfend. „Die sind ja auch für mich“, feixte Naruto. „Danke, Mann, echt jetzt.“ Nach und nach trafen die Gäste so zahlreich ein, dass Narutos kleines Appartement gar nicht alle fassen konnte. Er musste halb Konoha eingeladen haben oder aber, was wahrscheinlicher war, die Party hatte sich verselbstständigt, was vielleicht ganz gut war, denn wenn – falls – Sasuke doch kam, fiel es nicht direkt auf sie zurück. Es war auffallend, wie unverhältnismäßig hoch die Frauenquote war, sogar ehemalige Akademiemitschülerinnen, die während ihrer Schulzeit nie auch nur einen zweiten Blick für ihn übriggehabt hatten, waren unter den Feiernden; sie alle machten Naruto schöne Augen, flirteten ihn schamlos an und luchsten sich gegenseitig seine Aufmerksamkeit ab, sobald er mit einer von ihnen ins Gespräch kam. Nicht mal Neji wurde derart umgarnt, was jedoch vermutlich an Tenten lag, die eifersüchtig wie ein Drache über ihn wachte. Sakura beobachtete das Theater um ihren besten Freund mit einer Mischung aus Belustigung und Sorge. Naruto war ein liebenswürdiger, gutgläubiger Trottel, der, wie sie ihn kannte, gar nicht auf die Idee kam, dass diese aufgetakelten Weiber ihn mehrheitlich auszunutzen versuchten. Sie selbst tingelte von einer oberflächlichen Unterhaltung zur nächsten. Hallo. Lange nicht gesehen. Wie geht’s? Und dir? Was macht das Leben? Wir müssen uns bald mal treffen. Ja, ganz bestimmt. Und tschüss. Die weniger Diskreten fragten offen heraus, ob Naruto und sie mittlerweile ein Pärchen waren. Manchmal bejahte sie, nur um ihnen in die dummen Gesichter zu lachen. Sie verließ die überfüllte Wohnung, um frische Luft zu schnappen und einen Moment für sich zu haben, doch selbst auf der Außentreppe davor drängten sich zu viele Menschen, rauchten, schwatzten und ließen jene Spirituosen kreisen, die Sensei Iruka nicht hatte konfiszieren können. Hinata saß abseits, mit dem Rücken an das Metallgeländer gelehnt, und streichelte über Akamarus Kopf, den er auf ihrem Schoß abgelegt hatte. Sie waren lediglich lose befreundet, definitiv nicht eng genug, um sich über ihre Gefühle auszutauschen, doch obgleich sie nie darüber gesprochen hatten, wusste Sakura natürlich, dass Hinata in Naruto verliebt war. Jeder wusste das. Jeder, außer Naruto. Sie bemitleidete das Mädchen. Sasuke hatte ihre Gefühle zwar nie erwidert, sich aber wenigstens für keine seiner anderen Verehrerinnen interessiert, wohingegen es bei Naruto wohl nur eine Frage der Zeit war, bis er sich von einem dieser albernen Hühner den Kopf verdrehen ließ. Da sah sie ihn lieber mit Hinata, die meinte es immerhin ehrlich mit ihm. „Darf ich mich zu dir setzen?“, sprach Sakura sie freundlich an. Hinata sah auf, senkte ihren Blick jedoch sofort wieder und wurde rot. „Ja“, flüsterte sie so leise, dass Sakura sie kaum verstand. Sie konnte sich nicht helfen, sie fand Hinatas übersteigerte Schüchternheit absurd, hatte einst sogar den Verdacht gehabt, dass es nur eine Masche war, um süß und unschuldig zu wirken. So scheu konnte kein Mensch sein. Nun ja, scheinbar doch. „Was machst du ganz allein hier draußen?“ „Ich bin nicht allein, Akamaru ist bei mir.“ Der große Hund kläffte kurz auf und Sakura rückte ein Stückchen von ihm ab. Sie war ja eher ein Katzenmensch. Die Rosahaarige verdrehte die Augen unbemerkt. „Ich meinte damit, warum du nicht bei Naruto bist.“ „Ich verstehe nicht…“ Ihre Wangen nahmen einen noch dunkleren Ton an. „Ach, komm schon, ein Blinder sieht, dass du in ihn verliebt bist.“ „Was?“, hauchte sie und verkrallte ihre Finger in Akamarus Fell, dass dieser aufjaulte und seinen gewaltigen Kopf schüttelte. Seine Schlappohren klangen wie alte Lederlappen. „I-ich bin nicht…“ „Keine Panik, Naruto ist nicht blind, sondern schwer von Begriff. Du hättest schon eine Liebeserklärung auf deinen Schal sticken müssen, damit er es kapiert.“ Hinata atmete erleichtert auf, was Sakura gewaltig wütend machte. Was ging bloß im Kopf dieses Mädchens vor sich? Wollte sie sich Naruto wirklich kampflos unter der Nase wegschnappen lassen? Sie selbst hatte Sasuke so oft ihr Herz und ihre Gefühle offen dargelegt und ja, seine Abfuhren hatten jedes verdammte Mal wehgetan, aber immerhin hatte sie es versucht. „Es geht mich ja eigentlich nichts an“, sagte sie im brüsken Ton von jemandem, der sich dennoch einzumischen beabsichtigte, „aber da drinnen prügeln sie sich bald um ihn.“ „Ich weiß.“ Sie schaffte es, noch trauriger und kläglicher auszusehen, während sie zu Zwecken der Selbstberuhigung mit Akamarus Ohren spielte. „Es ist nur…“ Sie schluckte hart und ihre Stimme wurde noch leiser, sodass Sakura ihr die Worte von den Lippen ablesen musste. „Ich habe doch sowieso keine Chance.“ „So ein Unsinn“, widersprach sie energisch. „Deine Chancen stehen nicht schlechter als die der anderen Mädchen, vermutlich sogar besser, weil er dich kennt, aber wenn du abwarten willst, dass er eines Morgens aufwacht und plötzlich begriffen hat, wie sehr du ihn magst, solltest du dich schon mal mit dem Gedanken anfreunden, dass er demnächst mit einer anderen anbandelt.“ Das war starker Tobak, den sie ihr servierte, und Hinata reagierte entsprechend, indem sich ihre großen blassen Augen mit Tränen füllten. Klasse, sie hatte Hinata Hyūga zum Weinen gebracht. Wenn das mal keinen Ärger mit Neji gab. „Ich sage das doch nicht, um dich unglücklich zu machen. Naruto hat eine große Klappe, aber ohne ein bisschen mehr Initiative deinerseits, versteht er nie, wie du fühlst. Wenn du willst, spreche ich mal mit ihm.“ „Nein“, quietschte sie spitz. Akamaru stieg mit einem langgezogenen Heulen ein, was ihnen ein paar befremdete Blicke eintrug. „Naruto wäre bestimmt furchtbar enttäuscht, wenn ich nicht selbst den Mut aufbringe, ihm zu sagen, dass… dass…“ Ihr Gesicht nahm einen Farbton an, der Sakura fürchten ließ, dass die Blauhaarige jede Sekunde ohnmächtig werden oder einen Herzanfall erleiden könnte. Wahrscheinlich hatte sie mit dieser Einschätzung Narutos sogar recht, doch das Problem war, dass die bloße Erkenntnis nichts nützte, wenn sie sich trotzdem nicht traute. Hinata konnte nicht mal vor ihr aussprechen, dass sie verliebt war, ohne vorher halb zu kollabieren. Sakura runzelte die Stirn, dann schlich sich ein beinahe schurkenhaftes Lächeln auf ihre Züge. Sie stand auf und streckte Hinata auffordernd die Hand entgegen. „Na, dann komm. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Sie klang wie ihre Mutter, aber darüber konnte sie sich später noch ärgern. „Was?!“ In der Nachbarschaft jaulte ein Hund. „Ich… ich kann nicht.“ „Wenn nicht jetzt, wann denn dann?“, fragte Sakura streng. „W-wie würdest du es machen?“ „Du meinst, allgemein jemandem meine Gefühle zu gestehen oder speziell Naruto meine Gefühle zu gestehen?“ „Na-naruto.“ Sakura legte grüblerisch den Finger ans Kinn. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Er hatte sie so oft um Dates gebeten, dass sie mehr Gedanken daran verschwendet hatte, wie sie ihn abweisen konnte. Und was konnte Hinata nützen, wie sie sich Naruto gegenüber verhalten würde? Sakura verschluckte nicht ihre eigene Zunge, wenn sie ihn sah, sie standen sich bereits nah, kannten sich, mochten sich, wohingegen Hinata in Narutos Gegenwart keinen Ton herausbrachte und Sakura überdies wusste, dass er Hinatas Art seltsam fand. Andererseits, wenn sie plötzlich bemerken würde, dass sie Gefühle für Naruto hätte, würde sie vermutlich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollen, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Aber Hinata und Naruto waren nicht befreundet, dementsprechend riskierte die Blauhaarige in dieser Hinsicht nichts; wenn sie dem blonden Ninja ihre Liebe offenbarte und er sie abweisen sollte, würde es zwar ihre Hoffnungen zerstören, aber schlussendlich nichts zwischen ihnen verändern. Schließlich setzte sie zögerlich zum Sprechen an: „Ich würde aufgrund unserer Vorgeschichte wohl erst einmal herauszufinden versuchen, wie er gefühlsmäßig zu mir steht. Ich an deiner Stelle würde ihn um ein Treffen bitten, weil ich nichts zu verlieren hätte.“ „Was, wenn er nein sagt?“, flüsterte Hinata so deprimiert, als stünde für sie gar nicht wirklich zur Debatte, dass er eventuell tatsächlich ja sagen könnte. „Dann weißt du wenigstens, woran du bist.“ Das schien Hinata nicht sonderlich zu motivieren und Sakura seufzte frustriert. Was maßte ausgerechnet sie sich eigentlich an, Beziehungstipps geben zu wollen, wo sie ihr eigenes Liebesleben nicht auf die Reihe bekam. So, wie es den Anschein hatte, war Tenten die geeignetere Ansprechpartnerin, denn offenbar hatte sie es irgendwie geschafft – oder war zumindest kurz davor –, sich Neji zu krallen, und damit auf wundersame Weise das Talentgefälle von Ingenium zu Durchschnittskunoichi zu überspringen. Wahrscheinlich täte Sakura gut daran, sich selbst einige Ratschläge bei der brünetten Waffenexpertin abzuholen. „Ich verstehe, dass du Angst vor Narutos Zurückweisung hast, aber sieh es mal so: Früher oder später wird er eine Beziehung haben und wenn du dich nicht endlich als potenzielle Freundin in seinen Fokus rückst, wird er die garantiert nicht mit dir eingehen. Ja, du wirst unglücklich sein, falls er deine Gefühle nicht erwidern sollte, und ja, natürlich könnte das passieren, aber jetzt bist du doch ebenso unglücklich, weil du nicht mit ihm zusammen sein kannst, und du wirst noch viel unglücklicher sein, wenn er sich auf eine von diesen dummen Schnepfen einlässt, die ihn nur ausnutzen wollen. Du wünschst dir doch nicht für ihn, dass er sein Leben lang allein bleibt, damit du ihn ungestört aus der Ferne anhimmeln kannst, oder?“ Darüber schien Hinata wenigstens nachzudenken. Sie kraulte Akamaru geistesabwesend hinter den Ohren, blickte dann mit vertrauensvollen Kinderaugen zu Sakura auf und ließ sich aufhelfen. Gemeinsam gingen sie in Narutos Appartement zurück. Die Wohnungstür stand offen und ließ die kalte Oktoberluft hinein, aber die vielen Körper erzeugten dennoch eine drückende Wärme. Irgendjemand hatte für Musik gesorgt, wummernde Bässe brachten das Fundament des baufälligen Hauses zum Erzittern. Ein paar Mädchen hatten mitten in dem kleinen Wohnzimmer eine Tanzfläche eröffnet, rempelten die anderen Gäste aufgrund der Enge lachend an und rieben sich in konvulsivisch-verführerischen Posen, oder was sie dafür hielten, aneinander. Sakura fühlte sich automatisch unwohl, ihrem Ninja-Instinkt gefielen weder das unübersichtliche Gedränge noch die laute Musik. Sie sah sich nach Naruto um, indes Hinata an ihrem Arm klammerte und den Blick auf die Schuhspitzen gesenkt hielt. Akamaru war winselnd an der Eingangstür zurückgeblieben und sie könnte schwören, dass die Blauhaarige am liebsten die Körper mit ihm tauschen wollte. „Du musst das nicht machen, wenn du nicht möchtest. Ich dachte nur, dass du nicht aufgeben willst, bevor du es wenigstens versucht hast“, sagte Sakura mit leisem Vorwurf. Hinatas Lippen zitterten, doch sie entgegnete nichts, was wohl ihre Form der Zustimmung war. In diesem Moment entdeckte Naruto sie und kam breit grinsend auf die beiden zu. Die Hyūga quetschte ihr die Blutzufuhr zu den Fingern ab und gab einen Laut von sich, der ebenso zu einer verängstigten Maus gehören konnte. Leidlich genervt zischte Sakura ihr aus dem Mundwinkel zu, dass sie sich gefälligst zusammenreißen solle. „Sakura, wo warst du, ich hab dich schon gesucht. Oh! Hi Hinata, na, amüsierst du dich?“ Hinatas Antwort bestand in der charakteristischen Rotfärbung ihres Gesichtes. „Komisches Mädchen“, flüsterte der Blonde Sakura ins Ohr, wofür sie ihm den Ellbogen in die Rippen rammte. Der Plan, falls man bei dieser Spontanaktion überhaupt von einem Plan sprechen mochte, hatte vorgesehen, dass sie ihm Hinata aufs Auge drückte und sich anschließend wohlwollend aus dem Staub machte, doch die andere hielt sie mit derart eisernem Griff umklammert, dass sie das vergessen oder sich von ihrem Arm verabschieden konnte. „Hinata wollte mit dir reden, unter vier Augen. Ist doch so, oder, Hinata?“ Hinata dachte gar nicht daran. Sakura sah sie an. Naruto sah sie an. Hinata sah den Boden an. „I-ich…“, stotterte sie und schluckte angestrengt. „W-w-wollte fragen, ob du… ob du…“ Ihre Stimme nahm die schrille Tonlage eines pfeifenden Teekessels an. Naruto kniff unwillkürlich die Augen zusammen, riss sie jedoch sogleich freudestrahlend wieder auf. Sakura dachte schon, dass Hinata ihm irgendwie mittels Telepathie ihr Anliegen vermittelt hatte – zumindest wäre das wahrscheinlicher, als dass er selbstständig eins und eins zusammengezählt hatte –, doch da rief er: „Sensei Kakashi, was machen Sie denn hier?“ Sakura drehte sich um und tatsächlich stand der grauhaarige Jōnin etwas unschlüssig in der Wohnzimmertür, haderte offensichtlich mit seinem gesunden Menschenverstand, der ihm zu irgendeinem Zeitpunkt an diesem Abend aufoktroyiert hatte, dass herzukommen eine gute Idee sei, und überreichte Naruto einen großen Weidenkorb mit Obst, Gemüse und – aus irgendeinem Grund – frischer Milch. Sie plusterte empört die Wangen auf. Kakashi Hatake mied soziale Anlässe üblicherweise wie der Teufel das Weihwasser, aber ausgerechnet jetzt, hier und heute war darauf kein Verlass. Das war so viel Pech, dass man meinen könnte, die Wahrscheinlichkeit höchstselbst hätte sich gegen Hinata verschworen. Apropos Hinata… Wo war Hinata? Hatte das Mädchen nicht gerade noch neben ihr gestanden? Stattdessen stand dort plötzlich Shikamaru, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und trug seine üblich weltüberdrüssige Miene zur Schau. „Machst du einen auf Kupplerin, oder was?“, fragte er genervt, was normal für ihn war. Also hatte Ino ihm offenbar nichts von ihrem Streit erzählt, was hoffentlich bedeutete, dass es ihr nicht allzu ernst damit war. Dennoch war merkwürdig, dass er sie überhaupt ansprach, denn bisher hatten sie sich noch nie privat unterhalten. „Ich dachte, Naruto und Hinata täte eine kleine Hilfestellung gut.“ „Hat ja prima geklappt.“ „Tja, naja…“, murmelte Sakura nichtssagend und verschränkte die Arme, weil ihr das Gespräch einerseits unangenehm war, sie andererseits aber nicht unhöflich sein und ihn stehen lassen wollte. Shikamaru sah sie scharf an, sein Blick war wie ein Kunai, kurz davor mitten ins Schwarze zu treffen. Er gab ihr das Gefühl, dass er mehr wusste, dass er Details bemerkte, die besser Unbemerkt blieben. „Hältst du das für eine gute Idee?“ Sakura hob unverständig die Brauen an, was ihn frustriert aufseufzen ließ. „Naruto und Hinata? Die beiden sind nicht gerade das, was ich mir unter einem harmonierenden Pärchen vorstelle.“ „Besser Hinata als eine von diesen dummen Gänsen.“ „Und das hast du zu entscheiden, weil…?“ „Ich will nur das Beste für Naruto.“ „Wer bist du, seine Mutter?“ „Entschuldige bitte, dass ich mich um ihn sorge“, schnappte sie. „Klar.“ Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Aber darüber wollte ich gar nicht mit dir reden.“ „Ach?“ Sie umarmte sich fester. „Das geht mich zwar nichts an.“ Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass das noch nie jemanden von einer Einmischung abgehalten hatte. Es war geradezu lächerlich, wie schnell das Karma ihr in den Hintern biss. „Aber was ist schon wieder zwischen Ino und dir los?“ „Was soll los sein?“, gab sie eine ausweichende Antwort und fixierte einen Punkt oberhalb seiner Schulter. Im Verhörunterricht wäre sie das klassische Fallbeispiel für Schuldbewusstsein. Zum Glück hatte sie diesen Kurs lange bestanden, ansonsten müsste Sensei Iruka sie mit Glanz und Gloria durchfallen lassen. „Verkauf mich nicht für blöd“, sagte Shikamaru mit wütend gefurchter Stirn. „Ino ist mir wichtig und wenn du was angestellt hast, das ihr wehtut…“ „Ich?“, schnaubte sie entrüstet. „Wie kommst du darauf, dass es meine Schuld ist?“ Und wieso hackten in letzter Zeit eigentlich alle auf ihr rum?! „Also ist was vorgefallen“, eruierte er folgerichtig. „Wie du bereits sagtest: Das ist eine Sache zwischen Ino und mir“, erklärte sie unwirsch. Shikamaru seufzte abermals. „Ino ist in meinem Team, ergo geht es mich etwas an, wenn es ihr schlecht geht. Und ihr seid beide solche Dramaqueens, könnt ihr euch nicht einfach wieder vertragen?“ Wen nennt der hier Dramaqueen!, keifte die andere Sakura drauf los, dass sich ihre Amygdala vor Schreck verknotete. „An mir liegt es nicht“, entgegnete sie trotzig und nach einigen Sekunden des Schweigens, in denen sie ihre Finger wie Brotteig geknetet hatte: „Wie geht es ihr?“ Er zuckte mit den Achseln. „Ihr Bein wird wieder, aber ihr Ego hat’s übel erwischt.“ Sie nickte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Sobald Ino aus dem Krankenhaus entlassen wird und wieder auf dem Damm ist, müssen wir uns was wegen Hidan überlegen“, sagte sie. Wenn der Polizei, so wie Shisui behauptete, die Hände gebunden waren, mussten sie sich eben selbst kümmern. „Hidan?“, hakte Shikamaru stirnrunzelnd nach. „Ist das nicht einer von den Typen aus Yugakure? Was hat der damit zu tun?“ Sakura betrachtete ihn verdutzt, aber er schien aufrichtig ratlos, sodass er den Zusammenhang offenbar wirklich nicht kannte. Es war höchst ungewöhnlich, dass Ino ihm nicht davon erzählt haben sollte – die beiden standen sich so nah wie Naruto und sie. Und erneut fragte sie sich, was zwischen Hidan und Ino vorgefallen sein mochte. Sie hatte eindeutig Angst vor ihm, sogar genug, dass sie ihre Freunde raushalten wollte. Oder musste? Ihre Überlegungen wurden von einem kleinen Tumult auf der improvisierten Tanzfläche unterbrochen. Die Mädchen stießen sich gegenseitig an, giggelten albern und deuteten unerzogen mit den Zeigefingern auf jemanden. Sakuras Blick folgte der angezeigten Richtung, obgleich sie bereits zu wissen glaubte, wen sie sehen würde, aber nicht zu hoffen wagte. Sie erspähte Sasuke nicht sofort, dafür war der Raum zu überfüllt. Unbewusst stellte sie sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, aber erst, als er weiter in die Wohnung eindrang, geriet er auch in ihr Sichtfeld. Er war gekommen, er war wahrhaftig gekommen. Ihr Herz pumpte, dass ihr schwindelig wurde. Wie so oft schien seine bloße Gegenwart die Umgebungstemperatur um einige Grad abzukühlen, aber ihr wurde unerträglich heiß. Ihre brennenden Wangen und die vor Überraschung leicht geöffneten Lippen verrieten Shikamaru sicherlich mehr, als ihr lieb sein konnte. „Dass der sich her traut“, sagte er abfällig. „Wie meinst du das?“ Ihre Stimme war eine zittrige Hinata-Imitation, doch das Gespräch half ihr, sich nicht unverzüglich auf Sasuke zu stürzen, und bei allen Kami⁴, genau das wollte sie, vor allem, wenn sie sah, wie die anderen Mädchen bereits ihre Kreise enger um ihn zu ziehen begannen. Aber er war wegen Naruto hier, nicht wegen ihr. Aber sie hatte ihn eingeladen. Wegen Naruto. Aber wäre es nicht schrecklich unhöflich, ihn nicht wenigstens kurz zu begrüßen? Gegen ein klitzekleines Hallo konnte nichts einzuwenden sein. Sie strich sich durch die Haare, ehe ihr einfiel, dass sie diese geflochten trug. Ihre Finger verhedderten sich und bei dem Versuch, sich zu befreien, ruinierte sie ihre Frisur. „Der hat echt Nerven, hier rein zu stolzieren, selbstgerechter Bastard“, spuckte Shikamaru aus. „Komisch, bei den anderen, die Naruto vermutlich nicht mal persönlich kennen, regst du dich nicht auf.“ „Die anderen haben euer Team nicht gewissenlos abserviert, falls ich dich erinnern darf.“ „Ist nicht nötig und wie du schon ganz richtig festgestellt hast, ist das eine Angelegenheit, die nur Team 7 angeht.“ „Ach, daher weht der Wind also. Kein Wunder, dass Ino stinkig ist.“ „Es steht dir frei, meine Aussage zu interpretieren, wie du willst. Ich nehme an, du hast keine Einwände, mich jetzt zu entschuldigen“, sagte sie in einem Tonfall, der sich verdächtig nach Sasuke anhörte. Sie hatte sich selbst nie cooler gefunden. Inzwischen hatten Sasukes Augen ihre gefunden, übten eine magische Sogwirkung auf ihre Füße aus. Seinem indifferenten Ausdruck war nicht zu entnehmen, ob ihre Gesellschaft erwünscht war, aber er brach weder den Blickkontakt noch flüchtete er sich in die Menge, was – wenigstens in ihrem Verständnis – einer Aufforderung so nahe wie möglich kam. „Guten Abend, Sasuke, ich freue mich, dass du da bist“, grüßte sie ihn lächelnd, biss sich jedoch gleich darauf auf die Unterlippe, weil in ihren Worten eine zu große Erwartungshaltung mitgeklungen hatte. Das war kein Date, rief sie sich ins Gedächtnis, und sie wollte bestimmt nicht den Eindruck erwecken, dass sie dieses zwanglose Aufeinandertreffen für eines hielt. „Hmm.“ „Ziemlich voll, was?“ Das Offensichtliche war ihm keine Erwiderung wert. Er verdrehte die Augen, doch es schien ihr nicht ganz so nachdrücklich, wie sie von ihm gewohnt war. Die Mädchen machten sich wieder daran, die Hüften kreisen zu lassen, warfen ihnen dann und wann verstohlene Blicke zu. Immer mehr ihrer Freunde und Bekannten wurden auf Sasuke aufmerksam; Tenten tuschelte mit Neji, der aussah, als hätte er in eine Zitrone gebissen, Shikamaru stand bei Chōji, der seine Kartoffelchips besonders aggressiv kaute, Shinos Reaktion war nicht zu deuten, doch er starrte eindeutig in ihre Richtung, nur Lee winkte Sasuke zu, erhielt aber freilich keine Reaktion. Hinata war nach wie vor verschwunden und auch von Kiba und Naruto selbst fehlte jede Spur. Zu ihrem Bedauern konnte sie Sensei Iruka ebenfalls nirgendwo entdecken – ebenso wie Sensei Kakashi, wobei sie sich darüber nicht wunderte –, sie hatte gehofft, dass er, sollte die Situation eskalieren, als Puffer fungierte. Schweigend standen sie nebeneinander, bis Sakura fragte: „Wollen wir uns vielleicht setzen?“ „Meinetwegen.“ Dummerweise gab es keine freien Sitzmöglichkeiten, nur Narutos Bett, auf dem sich ein Kleiderberg türmte, der überdies verdächtig wackelte. Sie wurde rot und räusperte sich verlegen. „Oder ein Stück spazieren?“ „Wo ist Naruto?“ „Oh.“ Sie klang unsinnigerweise enttäuscht. „Ich weiß nicht, ich habe ihn das letzte Mal mit Sensei Kakashi gesehen.“ „Kakashi ist hier?“ „War, nehme ich an. Zu viele Menschen sind nichts für ihn, du kennst ihn ja.“ Dann passierten mehrere Dinge beinahe gleichzeitig. Hinata rannte quietschend an ihnen vorbei, rempelte Sakura dabei erstaunlich hart mit der Schulter an und ließ sie gegen Sasuke prallen, der sie instinktiv auffing. Naruto und Kiba, sichtlich beschwipst und die drei Suna-Geschwister im Schlepptau, betraten Narutos Wohnzimmer, mit mehreren Tüten von Ichiraku. Chōji stürzte sich auf das Essen. Tenten gedanklich auf Temari, wurde allerdings von Neji an der aktiven Umsetzung gehindert. Lee forderte Gaara zu einer Revanche heraus, der es wie immer ignorierte. Sasukes Aufmerksamkeit schwankte zwischen dem rothaarigen Kazekage und seinem ehemaligen Teammitglied hin und her. Naruto ließ die Tüten fallen, die Styroporboxen platzten auf und verteilten Ramen auf dem Fußboden. Chōjis Aufschrei ging in Narutos unter. „Sasuke?“ „Naruto.“ „Sasuke!“ „Überraschung“, mischte sie sich mit einem kläglichen Grinsen ein. Sakura hatte Freude erhofft und Wut befürchtet, nicht erwartet hatte sie Narutos emotionsloses Gesicht, das dem Uchiha Konkurrenz machte und sie auf die Folter spannte. Es war mucksmäuschenstill geworden. „Was…?“ Naruto riss sich von Sasukes Anblick los und wandte sich stattdessen Sakura zu. Auf seinen Zügen las sie das Gefühl von Verrat. Kapitel 6: Sasuke fast privat ----------------------------- Sakura eilte mit klopfendem Herzen durch Konohas Straßen, Richtung Uchiha-Viertel, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob Sasuke tatsächlich dorthin unterwegs war, doch da sie keinerlei Anhaltspunkte hatte, wo er möglicherweise hinwollen könnte, war diese Richtung letztlich ebenso gut wie jede andere. Die Nacht war inzwischen angebrochen; es war eiskalt und ihre Zähne klapperten unkontrollierbar gegeneinander, ihr Atem schwebte in hektischen Wölkchen den Sternen entgegen. Sie fror erbärmlich in ihrem dünnen Yukata, zumindest ihr Körper, doch ihr Puls raste und Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahn, sodass sie es gar nicht richtig wahrnahm, als wäre ihr Leib irgendwie von ihrer Wahrnehmung abgegrenzt. Dafür pochte ein dumpfer Schmerz in ihrer Brust, dessen Ursache definitiv nicht physischer Natur war und der sie schreien, weinen oder auf etwas einschlagen lassen wollte. Es war die zermürbendste Sorte Schmerz, weil sie nichts dagegen unternehmen konnte, die Linderung dieser Qual von anderen abhing. Sie hatte sich zahlreiche Szenarien ausgemalt, wie ein Aufeinandertreffen von Sasuke und Naruto ausgehen könnte, sich etliche Male gefragt, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, indem sie Sasuke diese Einladung ausgesprochen hatte, war immer wieder zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich in diesem Moment richtig angefühlt hatte, dementsprechend so falsch nicht sein konnte. Und wie immer waren ihre Gefühle, ihre Wünsche und Hoffnungen weit von der Realität entfernt. Wem konnte sie vertrauen, wenn sie ihrem eigenen Urteilsvermögen schon nicht trauen konnte? Ihrer Kehle entkam ein leises Schluchzen und sie wischte sich ärgerlich über die feuchten Augen. Sie war die Letzte, der zu heulen zustand. Narutos enttäuschter Blick hatte sich unter ihre Haut gebrannt, als sie Sasuke, die Rufe der anderen ignorierend, ohne zu zögern nachgelaufen war, als allmählich in seinen Verstand vorgedrungen war, dass er noch immer – und trotz allem – hinter ihm zurückstand. Sakura spürte eine nagende Schuld, weil sie nicht anders empfinden konnte. Sie liebte Naruto, er war ihr bester Freund, aber jede Zelle ihres Körpers, ihr gesamtes Sein fühlte sich von Sasuke angezogen, strebte zu ihm hin. Das war vielleicht nicht fair und es war garantiert nicht gut, für keinen von ihnen, aber es war wahr. Sie redete sich ein, dass sie rational gehandelt hatte, dass sie Naruto alles in Ruhe erklären konnte, weil er ihr zuhören würde, sie bei Sasuke aber nur diese eine Chance hatte. Das kennt er doch schon, du rennst ihm schließlich seit Jahren hinterher, schnurrte die andere Sakura, offenbar äußerst zufrieden mit der Situation. Und recht hatte sie; am Ende lief es wirklich immer darauf hinaus, dass sie Sasuke nachjagte. Aber er brauchte sie, nicht wahr? Wenigstens dringender als Naruto. Er wollte es sich möglicherweise nicht eingestehen, doch der kurze Blick hinter die Maske, den er ihr gewährt hatte, hatte ihr Einsamkeit und Verzweiflung gezeigt. Selbst falls Konoha nicht von der sich ausbreitenden Finsternis in seiner Seele bedroht war, sie könnte nicht einfach wegsehen. Sakura bog in eine Seitengasse ein und landete beinahe in einer Hecke, als Sasukes Sharingan in der Dunkelheit aufleuchtete und sie daraufhin erschrocken zur Seite wegsprang. Gütiger, sie musste wirklich an ihrem Wahrnehmungsradius arbeiten. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie groß der Unterschied zwischen ihnen war, wie viel sie noch zu lernen hatte, um das Fehlen angeborener Talente auszugleichen. In seiner schwarzen Kleidung verschmolz er förmlich mit der Nacht. Seine Haltung wirkte entspannt, geradezu lässig, wie er an der Mauer des Hauses lehnte, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und doch schien er die Umgebung aufmerksam zu analysieren. Sie konzentrierte sich, ließ ihre Sinne fühlergleich die Gegend abtasten, bemerkte jedoch nichts Verdächtiges. „Verfolgst du mich?“, fragte er, ein winziger Hauch Misstrauen schwang in seiner Stimme mit. „Ich bin dir auf gut Glück nachgelaufen, das kann man schwerlich verfolgen nennen“, erklärte sie, die Hand gegen ihr Brustbein gepresst, hinter dem sich ihr Herz nur langsam von dem Schreck erholte, unter Sasukes stechendem Blick aber weiterhin viel zu schnell pochte. „Wozu?“ Sie unterdrückte ein frustriertes Seufzen, zuckte stattdessen die Achseln, als wisse sie den Grund selbst nicht genau. „Ich wollte nach dir sehen und mich entschuldigen. Können wir… reden?“ „Solltest du nicht auf Narutos Feier sein?“ Wahrscheinlich, trotzdem hatte sie das Gefühl, hier und jetzt genau dort zu sein, wo sie sein sollte. „Ich denke nicht, dass ich dort erwünscht bin.“ „Dann sind wir schon zwei.“ Sie schaute betrübt auf ihre Schuhspitzen. „Es tut mir leid, was passiert ist. Ich habe gedacht… ach, ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Das war eine blöde Idee.“ „Eine Vorwarnung wäre nett gewesen“, sagte er, ließ den Blick kurz über die Häuserdächer schweifen und sah sie anschließend wieder an. „Ich wollte dich nicht so einer Situation aussetzen, Sasuke, ich schwöre“, beteuerte sie unglücklich. Wenn sie Pech hatte, hatte sie damit alles verschlimmert; die offene Feindseligkeit, die er erfahren hatte, würde ihn schlimmstenfalls darin bestärken, sich von allen und jedem zu distanzieren. „Für Naruto, meine ich.“ „Es tut mir leid, Sasuke“, sagte sie erneut. „Ich wollte wirklich, dass du dich amüsierst. Oder wenigstens mal auf andere Gedanken kommst.“ „Bei Naruto solltest du dich entschuldigen, seinen Geburtstag hast du torpediert.“ Sasuke stieß sich von der Wand ab und deaktivierte sein Sharingan. In seinen onyxfarbenen Iriden schien sich das Universum zu spiegeln. Wortlos ging er an ihr vorbei, rief ihr nach einigen Schritten jedoch über die Schulter zu: „Kommst du jetzt oder nicht? Ich dachte, du wolltest reden.“ Sakura lief ihm nach – schon wieder –, aber dieses Mal hatte sie den Eindruck, dass ihre Anwesenheit ausdrücklich erwünscht war, schließlich hätte er Mittel und Wege gehabt, ihr auszuweichen, wenn er wirklich gewollt hätte, also womöglich hatte er insgeheim gefunden werden wollen. Der Gedanke durchflutete sie mit Wärme. Schweigend gingen sie durch das nächtliche Konoha, bis ihr auffiel, dass sie sich vom Uchiha-Viertel entfernten. „Wohin gehen wir?“, fragte sie. Nicht, dass sie Sasuke nicht vertraute, aber sie war nervös, die unangenehme Art nervös, obzwar sie nicht den Finger darauflegen konnte, woher diese innere Unruhe kam. „Ich bringe dich nach Hause“, entgegnete er in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er sie für ein wenig beschränkt hielt. „Eigentlich sollte ich dich nach Hause begleiten.“ „Das ist nicht nötig, ich verlaufe mich schon nicht.“ Sie erinnerte sich, wie regelrecht verstört er reagiert hatte, als sie unangemeldet bei ihm aufgetaucht war, worauf sie sich nach wie vor keinen Reim machen konnte. Wollte er gerade nur höflich sein oder um jeden Preis vermeiden, dass sie sich seinem Haus näherte? Und falls ja, warum? „Du hast aber nur meinetwegen den ganzen Weg auf dich genommen, da ist es das Mindeste, was ich tun kann.“ „Deinetwegen?“ Er klang spöttisch und sie ignorierte es, weil sie sicher war, dass er genau wusste, wie ihre Worte gemeint gewesen waren. „Ich hatte zufällig sowieso Lust auf einen Spaziergang.“ Er zuckte die Schultern, als wäre damit alles gesagt. Sie verfielen abermals in Schweigen, während sie nebeneinanderher liefen. Sakura löste ihre zerstörte Flechtfrisur, um sich die Ohren zu wärmen, kämmte mit den Fingern durch die weichen rosa Strähnen. Ihr war, als würde Sasuke sie beobachten, doch als sie aus dem Augenwinkel zu ihm herüberspähte, blickte er auf die Straße. Sie lächelte traurig, während sie die nicht ganz bis auf die Schultern reichenden Spitzen zwischen den Fingern zwirbelte. Früher hatte sie geglaubt, dass er Mädchen mit langem Haar mögen würde und es wachsen lassen, mittlerweile trug sie es kurz, wie um der Welt – oder wenigstens sich selbst – zu beweisen, dass ihr Sasukes angebliche Vorlieben völlig egal waren. Das war natürlich Blödsinn, ansonsten würde sie sich nicht in einem dünnen Yukata halb zu Tode frieren. Sie fragte sich, wie ein Mädchen, das sein Interesse zu wecken vermochte, wohl sein müsste. Wahrscheinlich erwartete er nicht weniger als Perfektion; eine talentierte Kunoichi aus einem angesehenen Clan, bildhübsch wie Ino, klug wie sie selbst, vornehm wie Hinata und durchtrainiert wie Tenten, vielleicht noch im Besitz eines Kekkei Genkai, oder zwei, und mit einer Stirn, die weder zu groß noch zu klein war. Sie könnte ihr ganzes Leben darauf verschwenden, so zu werden, und die Anforderungen doch niemals erfüllen. Plötzlich war ihr fürchterlich kalt. Ihre Zähne begannen abermals zu klappern und sie umarmte sich selbst, um sich wenigstens ein bisschen zu wärmen. Sasuke zog kommentarlos seine Jacke aus und reicht ihr diese. Darunter trug er selbst nur ein kurzärmliges Shirt, seine blasse Haut schimmerte bläulich im Mondlicht. „Danke, aber dann frierst du doch.“ „Jetzt nimm schon.“ „Okay, danke“, sagte sie, unterdrückte das sanfte Lächeln, das sich auf ihre Lippen zu stehlen versuchte, und streifte das verführerisch duftende Kleidungsstück über. Es war wunderbar angewärmt von seinem Körper und ihr viel zu groß, wodurch sie sich bis zur Nase darin vergraben und Sasukes Geruch inhalieren konnte. Ihre Kopfhaut prickelte. „Kann ich dich was fragen?“, durchbrach er die neuerliche Stille. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte und er sah stoisch geradeaus. „Hmm? Ja, was denn?“ „Wie stellt Naruto sich an?“ Über Naruto wollte er sprechen? Sie verzog das Gesicht, ein kleiner Teil Besorgnis, dass Sasuke noch immer an dieser ausgeuferten Rivalität festhielt, ein großer Teil Eifersucht, weil er sich schon immer mehr für den Blonden interessiert hatte als für sie. „Gut, er hat große Fortschritte gemacht. Nachdem du…“ Sie räusperte sich, um es nicht zu sehr wie einen Vorwurf klingen zu lassen. „Nachdem du dich deinem Training mit Shisui gewidmet hast, wurde unser Team aufgelöst. Naruto trainiert seitdem unter Lord Jiraiya und ich unter Lady Tsunade, aber das weißt du ja schon.“ „Und Kakashi?“ „Er unterzieht uns manchmal Stichkontrollen, wie er es nennt, um unsere Entwicklung zu überprüfen.“ Sie lächelte leicht. „Die meiste Zeit ist er aber unterwegs, seit er nicht mehr in seiner Funktion als Sensei ans Dorf gebunden ist, versucht, Verbündete zu gewinnen, und die Länder, die noch zögern, von einer großen Friedenskoalition zu überzeugen“, sagte sie und biss sich auf die Zunge. Tsunade würde sie mindestens einen Kopf kürzer machen, wüsste sie, dass Sakura zwar keine streng geheimen, aber dennoch vertrauliche Informationen an einen mutmaßlichen Verbrecher weitergab. Sie atmete tief ein, bis ihre Lunge zu bersten drohte, und ermahnte sich, sich zusammenzureißen. Nur weil sie nicht daran glauben wollte, dass Sasuke etwas mit dieser Rebellengruppe zu schaffen hatte, bedeutete das nicht, dass sie keine Disziplinarmaßnahmen zu befürchten hatte. Sasuke nickte, schien dann eine Weile über das Gehörte nachzudenken. „Ich will gegen Naruto kämpfen, ich muss wissen, dass ich stärker geworden bin.“ Sakura presste die Lippen aufeinander. Warum war sie eigentlich enttäuscht? Hatte sie wirklich erwartet, dass er sich entschuldigen, gar Reue empfinden würde, weil es Team 7 seinetwegen nicht mehr gab? „Das musst du ihm sagen, nicht mir.“ Sie seufzte frustriert. Manche Dinge änderten sich wohl nie, andererseits ließe sich auf dem Grundstein ihrer eingeschlagenen Köpfe womöglich das Fundament einer neuen Freundschaft errichten. Doch was, wenn Sasuke unterlag? Es war ihm schon damals nicht sonderlich gut bekommen, als Naruto, der vermeintliche Loser, ihn einzuholen begonnen hatte. „Warum willst du eigentlich unbedingt stärker werden? Was ist dein Ziel? Seit ich dich kenne, redest du immerzu davon, dass du stärker und noch stärker werden willst, nein, musst? Aber worin besteht deine Motivation?“ „Was für eine dumme Frage“, schnaubte er. „Finde ich nicht“, entgegnete sie trotzig, schlug jedoch augenblicks einen sanfteren Ton an. „Geht es um deinen Bruder? Weil du dich gegen ihn behaupten möchtest?“ „Das geht dich nichts an“, schnappte er gereizt. „Es bringt dich aber auch nicht um, wenn du es mir erzählst. Du trägst so viel… Wut in dir. Ich denke, es würde dir helfen, dich mal auszusprechen.“ Sie wollte ihn am Arm berühren, doch er sah sie derart eiskalt an, dass sie Angst hatte, zu erfrieren. „Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten.“ „Natürlich nicht“, seufzte sie verzagt. „Aber ich habe zwei Ohren, eines kann ich dir ausleihen, falls du dich umentscheidest.“ Daraufhin schnaubte er nur abermals und beschleunigte seinen Schritt. Offenbar bereute er, sie begleitet zu haben, und konnte nun kaum erwarten, sie endlich loszuwerden. Sakura tat das genaue Gegenteil von ihm. Sie blieb stehen. Ihre Sicht verschwamm. Sie wischte sich übers Gesicht, ehe ihr einfallen konnte, dass sie Sasukes Jacke mit ihren Tränen beschmutzte. Der weiche und garantiert kostspielige Stoff saugte die Nässe auf ihren Wangen klaglos auf. Sie war schwach, so schwach, und armselig und das ließ sie nur noch heftiger weinen, obwohl sie ihre Schluchzer in dem Jackenkragen zu ersticken versuchte. Sasuke stoppte und drehte sich betont langsam zu ihr um. Sie wusste, dass er nicht gut mit Tränen umgehen konnte – wie Kakashi, wie die meisten Männer –, und bangte, dass er darin ein taktisches Kalkül sah. Sie drehte den Kopf zur Seite, als könne er ihre glänzenden Wangen dadurch nicht mehr sehen, zog die Nase geräuschvoll hoch und schluckte anschließend eine ganze Ladung Rotz herunter. „Was soll das denn jetzt?“ Er klang nicht so barsch, wie er wahrscheinlich wollte, vielmehr verlegen, und kickte einen Stein fort. „Warum bist du so? Warum stößt du alle von dir weg?“ Sie biss sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte, aber das änderte auch nichts daran, dass sich ihre Stimme furchtbar kläglich anhörte. „Ich bin nicht dein Feind, Sasuke, und ich will dir nur helfen, für dich da sein, wenn du mich lässt.“ „Ich brauche deine Hilfe nicht, das habe ich dir schon mal gesagt. Ich brauche niemanden.“ „Jeder braucht jemanden.“ „Du klingst wie Shisui.“ Er kniff die Augen leicht zusammen. „Hat er dich auf mich angesetzt?“ „Angesetzt?“ Diese Anschuldigung war derart absurd, dass sie ihm unweigerlich den Kopf zudrehte, obwohl Schleim aus ihrer Nase auf seine Jacke tropfte. „Wieso denkst du, dass jeder ein Komplott gegen dich plant? Shisui ist dein Mentor; vertraust du nicht mal ihm, dass er dein Bestes will?“ „Shisui will und wollte schon immer nur Itachis Bestes“, sagte er bitter, was Sakura zu verstehen gab, dass Sasuke wenigstens in ihm einen Freund sah – oder gesehen hatte – und dann, ob zu Recht oder Unrecht mochte sie nicht beurteilen, enttäuscht worden war. „Und ich nehme das mal als ein Ja.“ „Nein“, schniefte sie tonlos. „Shisui hat nichts damit zu tun. Du bist mir wichtig, das ist alles.“ „Warum?“, verlangte er misstrauisch zu wissen. „Weil du mein Freund bist, deshalb.“ Sasuke stieß einen verächtlichen Laut aus, brachte es aber, zumindest im Moment, nicht über sich, sie eines Besseren zu belehren. Dann hob sich sein Mundwinkel unmerklich an. Vielleicht sah es auch nur so aus, weil sie noch immer verschwommen sah. „Sind alle deine Freunde abscheulich?“ Sie musste glucksen, als er sie daran erinnerte, was sie auf dem Trainingsgelände zu ihm gesagt hatte, obwohl ihr peinlich war, dass er sich dessen entsann. Sie musste gleichzeitig kichern und weinen, was dazu führte, dass sie seltsame nasale Hickser von sich gab. „Das ist sozusagen obligatorisch.“ „Dann pass auf, dass du nicht irgendwann dehydrierst.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Wie geht es eigentlich Ino?“ Sakura war überrascht, dass er sich nach ihr erkundigte, und bemühte sich, die hochbrodelnde Eifersucht im Zaum zu halten. „Besser, habe ich gehört. Wir, naja, wir reden gerade nicht so richtig miteinander.“ „Wieso?“ „Du hast bald alle W-Fragen durch, wenn du so weitermachst.“ „Gleichfalls.“ Er legte den Kopf schief und jetzt lächelte er tatsächlich ein bisschen. „Hattet ihr Streit?“ „Das interessiert dich doch gar nicht.“ „Jemand hat mir mal gesagt, dass man das Smalltalk nennt. Wenn du noch länger heulst, kippst du um, dann müsste ich dich tragen und dazu habe ich wirklich keine Lust.“ „Charmant.“ Sie tilgte die letzten Tränen von ihrem Gesicht, die in der kalten Luft als klebriger Film auf ihrer Haut trockneten. „Aber nett, dass du mich nicht liegen lassen würdest.“ Sasuke rümpfte die Nase, als würde er die unterstellte Nettigkeit infrage stellen wollen. „Wir hatten in der Tat Streit, Ino und ich. Wegen dir, um genau zu sein.“ „Ach?“, machte er und hatte plötzlich etwas von dem Zwölfjährigen, dem es schrecklich auf die Nerven ging, dass sich sämtliche Mädchen um ihn kabbelten. „Darüber wollte ich ohnehin mit dir sprechen“, sagte sie und spielte mit dem Saum seiner Jackenärmel. „Ino weiß, dass wir uns treffen. Der Bibliothekar muss es ihr verraten haben.“ Sakura war zögerlich gewesen, ob sie Sasuke davon erzählen sollte, war aber letztlich zu dem Schluss gekommen, dass sie das bisschen Vertrauen, das er in sie gefasst zu haben schien, stärker aufs Spiel setzte, wenn sie nichts sagte. „Deswegen habt ihr gezankt? So ein Zickenterror.“ Sie blickte vorsichtig auf. Das war nicht die Reaktion, mit der sie gerechnet hatte. „Wir könnten bei mir Zuhause üben“, schlug sie zaghaft vor. „Meine Eltern würden aber wahrscheinlich wie Geier über dich herfallen.“ Sasuke rang sichtlich mit sich, befeuchtete seine Lippen, ehe er sagte: „In meinem Viertel gibt es ein leer stehendes Haus, es ginge schon in Ordnung, wenn wir uns dort treffen. Vorausgesetzt, du willst jedes Mal so weit laufen.“ Er sah seitlich an ihr vorbei und das war gut so, denn ihre Mundwinkel verbogen sich automatisch zu einem glücklichen Lächeln. Das war das erste Mal, dass er sie und ihre Bedürfnisse berücksichtigte. Es war nicht viel, aber es war ein Anfang. „Das macht mir nichts aus“, beteuerte sie rasch. Er nickte ihren Deal ab, verspannte sich jedoch urplötzlich bis in den letzten Muskel. Sakura ging in Verteidigungsposition, doch er war mit einem langen Satz bei ihr, umfasste ihr Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. „Was ist los?“, fragte sie ängstlich. „Jemand verfolgt uns schon die ganze Zeit. Ich dachte, wir hätten ihn abgehängt, aber jetzt spüre ich sein Chakra wieder.“ „Hidan?“ „Kann sein.“ „Dieser Kerl ist eine Plage“, wetterte sie zornig. „Wir müssen etwas gegen ihn unternehmen. Ich hasse es, dass er für seine Taten nicht zur Rechenschaft gezogen wird.“ „Ich dachte, Shisui hätte sich um ihn gekümmert?“, fragte er, verhaltener Argwohn schwang in seinen Worten mit, geradezu als wartete er nur darauf, jemanden – sie – beim Lügen zu ertappen. „Er hat Schlimmeres verhindert und Ino ins Krankenhaus gebracht, aber weil es keine Beweise gab, konnte er nichts gegen Hidan ausrichten. Frag ihn, wenn du mir nicht glaubst, er wird es dir bestätigen.“ „Konoha geht echt den Bach runter“, grollte der Schwarzhaarige und quetscht ihr in seiner Wut versehentlich das Handgelenk. „Wie meinst du das?“, bohrte sie alarmiert nach. „So, wie ich es sage“, blaffte er. Sakura sog zischend Luft ein und er stieß sie verächtlich aus. „Ach, komm, als hättest du gerade nicht quasi das Gleiche impliziert. Du bist wütend, weil Typen wie er machen können, was sie wollen, und niemand dagegen vorgeht, damit sich keiner auf die Füße getreten fühlt und deswegen ein Krieg ausbricht.“ „Einen Krieg zu verhindern sollte stets das oberste Ziel sein.“ „Mich interessiert, ob Ino das genauso sieht, immerhin hatte sie nicht das Glück, gerettet zu werden, bevor ihr etwas angetan wurde. Wenn man selbst mit heiler Haut davonkommt, ist es leicht, auf moralischen Prinzipien zu beharren.“ „Was willst du damit andeuten?“ Sie erreichten Sakuras Haus, das Licht war aus, ihre Eltern demzufolge bereits zu Bett gegangen. Sasuke stoppte schlagartig, sodass sie gegen seinen Rücken prallte, und drehte sich auf dem Absatz zu ihr um. Er war ihr so nah, dass der Wind sein Haar über ihr Gesicht streicheln ließ. „Dass du dich schon immer viel zu sehr auf andere verlassen hast. Meinst du nicht, es ist an der Zeit, das zu ändern? Denk mal darüber nach.“ Er ließ sie ohne Abschiedsgruß und zutiefst verwirrt zurück. Ihre Hände zitterten, als sie die Haustür aufschloss und den Flur betrat, wo ihr auffiel, dass sie noch immer Sasukes Jacke trug. Aber konnte sie ihm das verschnodderte Ding einfach in die Hand drücken? Eher nicht. Wenn sie wenigstens wüsste, dass er sofort nach Hause ging und nicht noch stundenlang durch die Straßen wanderte. Kurz entschlossen griff sie eine der Jacken ihres Vaters und trat zurück auf die Straße. Der Wind blies ihr frostig entgegen, schien kälter als zuvor zu sein, und zwang sie, die Augen zusammenzukneifen. Sie entdeckte Sasukes Schatten, der um eine Hausecke verschwand. „Sasuke“, rief sie und eilte ihm nach. „Sasu-“ Die letzte Silbe blieb ihr im Halse stecken, als sich plötzlich eine dunkle Gestalt aus den Schatten der Dächer schälte, lediglich diffus vom blauen Mondlicht beschienen. Sie wollte Sasuke eine Warnung zurufen, doch da wandte dieser der Gestalt bereits das Gesicht zu. „Was soll das? Hat es einen Grund, dass du mich verfolgst?“, fragte Sasuke mit einer Ruhe, die vor Kälte klirrte. Sakura benötigte keinen zweiten Blick, um sich zu versichern, dass es sich bei dem Fremden mitnichten um Hidan handelte, dessen helles silbergraues Haar die Dunkelheit wie ein Reflektor durchbrechen musste. Hätte auch nur der geringste Zweifel bestanden, wäre dieser von dem vor Verachtung triefenden und vollkommen humorlosen Lachen ausgemerzt worden. Hinter ihrer Stirn gerieten die Zahnrädchen in Bewegung. Sie drückte sich an die Hauswand, ging in die Hocke und spähte vorsichtig um die Ecke. Sasuke war offenkundig nicht überrascht, von dieser Person abgefangen zu werden. Sie runzelte die Stirn, verengte die Augen zu Schlitzen, um das Gesicht des Unbekannten besser erkennen zu können, aber er hielt sich zu geschickt in den Schatten, geschützt vor ihren neugierigen Blicken. Doch hatte er nicht behauptet, Hidan verfolge sie?! Nein. Sie hatte automatisch vermutet, dass es sich nur um ihn handeln könne, und Sasuke hatte sie… belogen. Oder zumindest nicht korrigiert, was prinzipiell auf das Gleiche rauskam. Nun, immerhin konnte sie Inos Gefühle jetzt besser nachvollziehen; wenn die Person, der man unbedingt vertrauen wollte, etwas vor einem verheimlichte, fühlte sich das tatsächlich kein Stück besser an, als dreist angelogen zu werden. „Wer war das Mädchen?“ Die Stimme sowie die ätzende Tonlage kamen ihr vage bekannt vor. „Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig?“, erwiderte Sasuke belustigt. Die Gestalt sprang vom Dach, kam so dicht vor Sasuke auf, dass er ihm beinahe auf die Zehen getreten sein musste. Sakura spitzte die Ohren. „Ich könnte es auch selbst herausfinden. Das gelbe Haus dort, oder?“ Er deutete in die ungefähre Richtung ihres Elternhauses. Sakura zog den Kopf zurück und presste sich mit rasendem Puls gegen die kalte Mauer. Hatte er sie gesehen? Sie lauschte auf Schritte, doch ihr eigener Herzschlag pulsierte ihr viel zu laut in den Ohren. „Das wäre natürlich gar nicht verdächtig.“ Sie hörte Sasuke förmlich mit den Augen rollen. „Dann möchtest du mir vielleicht doch verraten, wer das war?“ Die Drohung war weder subtil noch bemühte er sich, diese zu verstecken. „Niemand.“ „Komischer Name für ein Mädchen“, gluckste er freudlos über seinen eigenen dummen Scherz. Sasuke knurrte. „Kein Grund, sich aufzuregen. Ich will nur sicherstellen, dass du dich nicht ablenken lässt.“ „Bestimmt nicht.“ Sein vernichtender Ton schnitt sie direkt ins Herz. „Wo warst du dann heute?“, verlangte der Unbekannte grollend zu wissen. „Ich war beschäftigt.“ „Soso, mit diesem Niemand, ja?“, spöttelte er. Sasuke fuhr sich frustriert durchs Haar, seufzte dann genervt und sagte: „Das ist nur eine ehemalige Teamkollegin, wenn du es unbedingt wissen musst. Die hing früher schon wie eine Klette an mir, aber mittlerweile ist sie eine von Tsunades Lieblingen. Es kann uns nur nützlich sein, wenn ich mich gut mit ihr stelle. Die Hokage ist misstrauisch genug.“ Sakura wurde schlecht und dass der Unbekannte ein ekelhaftes Lachen ausstieß, war ihrem Befinden alles andere als zuträglich. „Sasuke-sama, Ihr habt Euren Weg schon immer mit den gebrochenen Herzen kleiner Mädchen gepflastert, hm?“, fragte er voll von falschem Respekt für den Jüngeren. „Wie überaus herzlos.“ „Du solltest überlegen, wie du mit mir redest“, entgegnete Sasuke kalt. „Schließlich bin ich dein Oberhaupt.“ „Noch nicht“, antwortete der andere gepresst. Sasuke lachte trocken auf. „Bald genug und ich stehe so oder so über dir. Oder bist du insgeheim einer von denen, die sich meinen Bruder zurück an die Spitze wünschen?“ Er klang neckisch, geradezu verspielt du das ließ Sakura aus ihrem tiefsten Inneren heraus frösteln. „Itachi Uchiha ist das Schlimmste, was dem Clan seit Tobirama Senju passiert ist“, spie der Mann erbost. „Ich würde ihm keine Träne nachweinen, wenn er morgen verrecken täte.“ „An deiner Stelle wäre ich vorsichtig mit solchen Aussagen“, sagte Sasuke scharf. „Aber dein Neid ließ dich schon immer wie ein Idiot handeln.“ Sakura konnte sehen, wie er den Kopf in alle Richtungen bewegte, wahrscheinlich um sich zu versichern, dass niemand sie gehört hatte. Blitzschnell verbarg sie sich hinter die Ecke, verhedderte ihre Beine dabei jedoch in Kizashis Jacke und plumpste auf den Hosenboden. Sie sprach sich selbst gut zu, dass das dadurch entstandene Geräusch zu leise gewesen war, um bemerkt zu werden, doch da sagte der Unbekannte bereits: „Was war das?“, gefolgt von Schritten, welche sich auf sie zubewegten. Sakura wich im Krebsgang zurück und versteckte sich in einem Hauseingang, obzwar sie wusste, wie unwahrscheinlich es war, unentdeckt zu bleiben. Allein ihr Herz klopfte laut genug, dass jeder halbwegs vernünftig ausgebildete Ninja es mühelos hören musste. Die Schritte näherten sich, Sasukes grotesk in die Länge gezerrter Schatten floss in ihr Sichtfeld. Sie hielt den Atem an. Und dann stob ein aufgescheuchter Waschbär über die Straße, verschwand mit etwas, das wie ein halb aufgegessener Bratfisch aussah, zwischen die Bäume. „Verdammtes Mistvieh“, fluchte der Mann. Sasuke lachte gehässig auf, was den anderen über alle Maße zu ärgern schien, denn er schnappte: „Ich sehe nicht, was es da zu lachen gibt. Deine kleine Schlampe hängt mit Shisui rum, wusstest du das?“ Falls er gehofft hatte, Sasuke damit irgendwie zu treffen, wurde er enttäuscht. Sakura traf der Tiefschlag dafür mit doppelter Härte; direkt, weil er sie so abscheulich beleidigt hatte, und indirekt, weil Sasuke sie nicht gegen diese infame Behauptung verteidigte. In ihren Augenwinkeln baute sich erneut ein verräterischer Druck auf und sie presste die Lider fest zusammen, um die Tränen zurückzuhalten, und die Lippen, um nicht aus dem Hauseingang hervorzuspringen und ihm die Faust ins Gesicht zu rammen. „Hidan hat gemeint…“ Sasuke brachte ihn mit einer gezielten Geste zum Schweigen. „Der Typ ist ein Psychopath, wir sind besser ohne ihn dran. Shisui behält ihn sowieso viel zu sehr im Auge.“ „Der Kerl wird immer mehr zum Problem.“ „Hmm“, machte Sasuke nachdenklich. „Wir sollten deswegen bald etwas unternehmen, aber es ist nicht weise, solche Angelegenheiten auf offener Straße zu diskutieren.“ Sakura verharrte noch immer fest mit dem Rücken gegen die Wand gepresst, ansonsten wäre sie vermutlich umgefallen. Sie fühlte sich wenigstens so schwach, als müsse sie jeden Augenblick umkippen. Sasukes Schatten verschwand mit einem Satz auf die Dächer, aber sie blieb trotzdem noch minutenlang in ihrem Versteck hocken, zu starr, um sich zu bewegen, zu ängstlich, doch noch die Entdeckung zu riskieren. Ruhelos tigerte sie in ihrem Zimmer auf und ab, während sie sich klar zu werden versuchte, was sie da belauscht hatte. Ihre Fingerkuppen waren blutig gebissen, verteilten rote Spuren auf ihrem Gesicht, wenn sie sich das Haar fahrig aus der Stirn strich. Du weißt, was du gehört hast, flüsterte ein Stimmchen. „Nein, das weiß ich nicht“, murmelte sie konfus. Aber sie wusste es natürlich doch und selbst mit viel gutem Willen konnte sie sich nichts anderes einreden. Sasuke gehörte wahrhaftig dieser Rebellengruppe an. Sasuke wollte gegen Konoha putschen. Sasuke war ein Krimineller. Jedes Mal, wenn sich diese Gedanken in ihrem Gehirn formulieren wollten, jaulte alles in ihr gequält auf und zwang sie zurück in das Ungedachte. Sie musste Lady Tsunade Bericht erstatten, und zwar am besten sofort. Aber was, wenn sie etwas missverstanden hatte? Vielleicht war es um etwas ganz anderes gegangen. Sasuke würde ihr niemals vergeben, wenn sie ihn grundlos einer solchen Grässlichkeit beschuldigte. Schlimmer noch, vermutlich würde sich niemand die Mühe machen, den indizierten Verdacht gegen ihn in irgendeiner Form auf Stichhaltigkeit zu überprüfen. Schuldig bis zum Beweis der Unschuld. Nur ein Uchiha, der in den Augen vieler seine gerechte Strafe bekam. Andererseits, hatte ihr Wort überhaupt genügend Gewicht, um die Hokage unverzüglich zum Handeln zu bewegen? Immerhin riskierte sie damit einen Bürgerkrieg, den es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Tsunade war eine überlegte Frau, also würde sie Sakura höchstwahrscheinlich instruieren, Sasuke weiterhin auszuspionieren. Auszuspionieren… Sie stockte, aber war es nicht genau das, was sie machte? Wenigstens eine Nacht sollte sie wohl darüber schlafen; sie war aufgewühlt und verletzt, konnte kaum einen Satz gerade denken, geschweige denn eine anständige Aussage ausformulieren, dabei war essenziell, dass jedes Wort saß und sie nicht wie ein kopfloses Huhn verbalen Durchfall erbrach. Sakura rief sich den genauen Gesprächsverlauf in Erinnerung, doch in ihrem Kopf wurde alles durcheinandergewirbelt. Das leise Rascheln der Vorhänge riss sie aus ihren Überlegungen. Der Stoff bewegte sich im Wind, der durch die geöffnete Balkontür hereinwehte. Wie…? Sie schloss die Tür, bemerkte zu spät, dass jemand direkt hinter ihr stand. Ein Arm schlang sich um ihre Kehle, presste sie dicht gegen einen Brustkorb und drückte ihr die Luft ab. „Einen Mucks und ich breche dir das Genick“, flüsterte Sasuke ihr ins Ohr. „Danach sind deine Eltern dran. Das willst du doch nicht, oder?“ Sie konnte nur ein unartikuliertes Röcheln von sich geben und er drückte noch fester zu. In blinder Panik zerrte sie an seinem Arm. „Wenn du das nächste Mal jemanden bespitzelst, solltest du weniger Parfum auflegen. Man kann dich meilenweit gegen den Wind riechen.“ Sakura öffnete den Mund, ihre Lunge verlangte nach Sauerstoff. Sasuke schleuderte sie aufs Bett. Ihr Hinterkopf knallte so hart gegen die Wand, dass sie schwarze Punkte vor sich tanzen sah, dann packte er sie am Kragen und zog sie zu sich heran. „Ich hatte angenommen, dass du sofort zur Hokage rennst.“ Er musterte sie mit schiefgelegtem Kopf, lächelte sardonisch. „Du bist viel zu sentimental.“ „Sasuke…“ Ihre Zunge war träge vor Benommenheit. „Still! Keinen Mucks, schon vergessen?“ Sasuke blickte ihr in die Augen und Sakura verstand gerade noch rechtzeitig genug, was er vorhatte, um die Lider zu schließen, und wandte den Kopf, so weit es ihr möglich war, von ihm ab, die einzige Verteidigungsstrategie, die sie gegen seine Sharingan hatte. Sasuke blies seinen heißen Atem über ihre Haut, als er seufzte. Es klang müde, fand sie. „Sieh mich an“, verlangte er. „Nein“, wimmerte sie. „Es wird nicht wehtun.“ „Bringst du mich jetzt um?“ „Denkst du das?“ Ja! Nein! Sie hatte keine Ahnung, was sie denken sollte. Sie wusste nicht mal, worauf sie hoffen sollte, denn selbst sie konnte für ihre momentane Lage keine harmlose Erklärung erspinnen. Aber sie hatte keine Angst, wenigstens nicht vor dem Tod. Tränen quollen zwischen ihren geschlossenen Lidern hindurch. „Sakura.“ Sie spürte die Feuchtigkeit in seinem Atem, die Hitze, die von seiner Haut ausging. Sein Duft war betörend, seine Lippen streiften ihre. Sakura riss die Augen auf, obgleich sie erkannte, dass es eine Falle war, der älteste Trick der Welt. Ihr Herz, blind und naiv wie es war, fiel darauf herein. Sasukes Augen brannten sich in ihre. Wie schön, dachte sie noch, ehe sie in schier endlose Finsternis entglitt. Kapitel 7: Feuer auf Eis ------------------------ Das erste Mal seit Wochen strahlte die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel und stach Sakura in die Augen. Ihre Kopfschmerzen waren brutal, ebenso wie ihre Augenringe, die sie hinter einer dunkel getönten Sonnenbrille versteckte. Sie konnte sich nicht erinnern, Alkohol getrunken zu haben, und möglichenfalls fing da das Problem an, denn sie konnte sich generell lediglich bruchstückhaft an den vergangenen Abend erinnern. Sie hatte auch nicht die geringste Ahnung, weshalb sie in Sasukes Jacke eingewickelt aufgewacht war – und bei allen Kami, daran wollte sie sich liebend gern erinnern. Obwohl ihr Brummschädel nicht gerade zum angestrengten Nachdenken einlud. Der Schmerz war derart heftig, dass sie davon erwacht war, das Bettzeug bis auf die Matratze durchgeschwitzt, die Decke wie eine Beinklammer um ihre untere Körperhälfte verschlungen, erschöpft und zerschlagen. Erst hatte sie geglaubt, dass sie sich erkältet haben musste, doch ihre Heilkräfte hatten ihr keine Linderung verschaffen können, und ihre zerbissenen, blutverschmierten Fingerkuppen deuteten sowieso mehr auf einen schlimmen Albtraum hin. Derartige Träume hatten sie schon früher oft gequält, nachdem sie aus dem Reich der Wellen zurückgekehrt war, als sie sich nicht nur ihrer eigenen Vergänglichkeit bewusst geworden war, sondern auch realisiert hatte, dass nicht mal Sasuke unfehlbar war, dass er tatsächlich sterben konnte, und nachdem Sasuke das Dorf verlassen hatte. Sakura konnte sich zwar nicht erinnern, was und ob sie überhaupt geträumt hatte, doch die körperlichen Anzeichen sprachen dafür, denn auch damals hatten ihre nächtlichen Dämonen ihr im Schlaf sämtliche Kraft entzogen, sie schreien und weinen, sich das Gesicht zerkratzen und die Haare ausreißen lassen. Sie hoffte, dass es sich um eine einmalige Episode handelte, ein grauenhaftes Produkt ihres Unterbewusstseins, weil ihr Geist von zu viel Alkohol vernebelt und von Schuldgefühlen gepiesackt worden war. Sakura schob die Sonnenbrille auf ihrem schmalen Nasenrücken zurecht, damit auch wirklich kein Lichtstrahl durch ihre empfindliche Netzhaut dringen und in ihrem Gehirn explodieren konnte, schleppte sich Richtung Haupttor und winkte den beiden Wächtern Kotetsu und Izumi im Vorbeigehen träge zu. Der dichte Wald vor den Toren Konohas war in prächtige Herbstfarben gekleidet, leuchtete quittengelb, tangerinefarben und karminrot, der Boden war ein buntes Mosaik aus Laub. Die Luft war erfüllt vom Geruch herbstlicher Fäulnis, frisch und klar und ein bisschen melancholisch. Vögel zwitscherten fröhlich, sangen schadenfrohe Spottlieder auf ihren desolaten Zustand; zumindest kam es ihr so vor und sie wollte jeden einzelnen mit gezielten Schlägen zum Verstummen bringen. Ihre überreizten Sinne funktionierten ausgerechnet an diesem Tag scheinbar besonders gut und so hörte sie Narutos Gezeter bereits aus einiger Entfernung an ihre Ohren dringen. In seinem grellorangenen Trainingsanzug war er ausnahmsweise einmal gut getarnt, wie er zwischen den Ästen eines stattlichen Ahornbaums hockte und diesen meckernd von Misteln befreite, nur sein auffällig blonder Haarschopf schimmerte dann und wann zwischen dem rubinroten Blattwerk hindurch. Mit einer Heckenschere bewaffnet, rückte er den parasitären Schmarotzern zu Leibe, ließ dabei keine Gelegenheit aus, seinem Frust lautstark Luft zu machen. „Du musst die Wurzeln mit Chakra zerstören, ansonsten treiben die Misteln wieder aus“, instruierte Kakashi, der lesend am Baumstamm lehnte. Sakura hatte ihn bis zu diesem Augenblick gar nicht bemerkt. Ihr ehemaliger Sensei hatte schon immer die Gabe besessen, sich übersehen zu lassen, ohne sich dafür gezielt verbergen zu müssen, als wäre er ein natürlicher Bestandteil seiner Umgebung, den man nur unbewusst wahrnahm und sofort wieder vergaß. „Dann machen Sie’s doch selbst. Ich bin viel zu überqualifiziert für so eine poplige D-Rang-Mission, echt jetzt“, maulte Naruto und fiel – ganz wie in alten Zeiten – beinahe von dem Ast, auf dem er stand, weil er sich nicht ausreichend auf das Chakra in seinen Füßen konzentrierte. „Weniger reden, mehr arbeiten, Naruto. Aber ich bekenne mich überrascht, dass du ein Wort wie überqualifiziert überhaupt im Vokabular hast.“ Das alte Lied, ein neuer Tag; das Szenario war ihr derart vertraut, so normal, dass sie unweigerlich schmunzeln musste. Mit raschelnden Schritten näherte sie sich dem Jōnin, der seine Lektüre, ohne einmal in ihre Richtung geblickt zu haben, zuklappte und ihr schließlich den Kopf drehte. „Hallo Sakura, es ist schön, dich zu sehen. Wir hatten gestern gar keine Gelegenheit mehr, uns zu unterhalten.“ Kakashis Stimme war freundlich-neutral, vorwurfslos, und dennoch färbten sich ihre Wangen blassrosa, als sie sich fragte, was er wohl denken mochte. Sie bezweifelte nicht, dass er bestens im Bilde war, was in Narutos Wohnung vorgefallen war; vielleicht hatte Naruto selbst ihm davon erzählt, wahrscheinlich wusste er es aber einfach oder hatte wenigstens eine Ahnung, weil er immer alles zu wissen schien. Nur wie unzufrieden Sasuke gewesen war, das hatte er nicht bemerkt. Oder er hatte es schlichtweg ignoriert, weil er sich ungern in die Angelegenheiten anderer einmischte, sich zu oft aus ihren privaten sowie teaminternen Streitigkeiten und Schwierigkeiten herausgehalten hatte, weil er gewollt hatte, dass sie selbst nach Lösungen suchten, weil sie keine Kinder mehr waren, weil sie solche Dinge können mussten. Sakura wollte nicht behaupten, dass er gleichgültig gewesen wäre, doch manchmal hätte sie sich mehr Führung gewünscht. „Jah! Schade“, sagte sie gedehnt und errötete noch mehr, da sie selbst hörte, wie unaufrichtig ihre Worte klangen. „Wie geht es Ihnen?“ „Das wollte ich gerade dich fragen.“ „Gut“, behauptete sie, schob, während sie es sagte, jedoch ihre Sonnenbrille aus Gründen der Höflichkeit auf die Stirn, wodurch er ihre blutunterlaufenen Augen bemerken konnte. Kakashi musterte sie prüfend, kniff dann aber nur sein Auge freundlich zusammen. „Das freut mich. Bist du hier, um Naruto zu helfen?“ Sakura nickte zustimmend, weil es einfacher war, als erklären zu müssen, dass sie gekommen war, um vor Naruto zu Kreuze zu kriechen. Besagter war in vielsagendes Schweigen verfallen, verrichtete seine Arbeit nun ohne Gemecker und obgleich sie vermied, zu ihm aufzusehen, spürte sie, dass er den Blick stoisch von ihr abgewandt hielt. Sie hatte gehofft, Naruto allein anzutreffen, allerdings war er noch immer ein Genin, die, gemäß der Vorschrift, nicht mal die simpelsten Missionen ohne Überwachung durch einen höherrangigen Shinobi ausführen durften. Dass ausgerechnet Kakashi Hatake diese Aufgabe zugeteilt worden war, war exorbitantes Pech. „Wie… wie geht es ihm?“, fragte sie zaghaft. „Unser Partylöwe hat gestern wohl ein bisschen übertrieben und hängt heute entsprechend durch. Tsunade bat mich, auf ihn aufzupassen, und da ich zufällig nichts anderes vorhatte, stimmte ich zu.“ Er seufzte verzagt. „Aber wenn er in diesem Tempo weiterarbeitet, braucht er wahrscheinlich den ganzen Tag, um die Bäume von den Misteln zu befreien. Deine Unterstützung kommt uns also beiden gelegen.“ „Das mache ich doch gern“, log sie, obgleich sie sich Schöneres vorstellen konnte, als sich körperlich oder geistig oder in sonst irgendeiner Form zu betätigen – in ihrem abgedunkelten Zimmer im Bett liegen zum Beispiel, mit einem Eisbeutel auf der Stirn. Sie setzte einen Fuß auf den Baumstamm, als Kakashi sie unerwartet und mit vielsagendem Ton zurückhielt. „Ach, Sakura.“ „Hmm?“, brummte sie nervös, nahm den Fuß vom Stamm und sah zu ihrem ehemaligen Sensei auf. „Ich finde nett, dass du Sasuke zu reintegrieren versuchst, aber“, er zögerte unmerklich, was ungewöhnlich für ihn war und Sakura die Stirn runzeln ließ, „pass auf dich auf.“ „Wie meinen Sie das?“, fragte sie sofort und wandte ihm ihren gesamten Körper zu. Kakashi fasste sich in den Nacken, wie er seine Muskulatur mit dem Daumen massierte, verdeutliche ihr, dass ihm das Thema mindestens so unangenehm war wie ihr. „Sasuke hat dir und Naruto schon mal sehr wehgetan und ich kann mich nicht ausschließen, wenn ich sage, dass sein damaliges Verhalten auf mehreren Ebenen enttäuschend war.“ Er musste nicht aussprechen, wie sehr vor allem sie nach Sasukes Fortgang gelitten hatte, sie wusste auch so, dass er genau daran dachte, wie viel Gewicht sie in dieser Zeit verloren hatte, wie ihre Augenringe immer tiefer und dunkler geworden waren, wie sie ihr Haar in hilflosem Aktionismus kurzgeschnitten hatte, wie er sie im Regen heulend und gefährlich unterkühlt auf der Dorfmauer gefunden hatte, verzweifelt und starr in die Ferne blickend, hoffend, dass Sasukes Silhouette jeden Moment am Horizont auftauchen würde. „Manche Menschen verdienen keine zweite Chance, Sakura, besonders wenn sie gar keinen Wert darauflegen.“ „Woher wollen Sie das wissen?“, entgegnete sie schärfer, als sie sich jemals zuvor mit ihm zu sprechen gewagt hatte. Er seufzte abermals, gab ihr das Gefühl, noch immer ein naives Mädchen zu sein. „Ich kenne genügend Ninja wie Sasuke. Die Art, die ausschließlich eigene Interessen verfolgt und dabei weder Freund noch Feind kennt. Ich... war mal so ähnlich.“ „Und jetzt sind Sie anders“, argumentierte sie trotzig. „Weil ich teuer für diese Lektion bezahlt habe.“ Sie wollte nachhaken, doch sein Gesicht signalisierte, dass er sich nicht weiter erklären wollte, dass er bereits zu viel gesagt hatte. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, zeichnete sich so etwas wie Schmerz auf seinen Zügen ab. „Sasuke ist mir das Risiko wert“, sagte sie leise und wich seinem Blick seitlich aus, weil ihr das Geständnis plötzlich zu intim vorkam. „Dann kann ich dich nicht aufhalten.“ Er vergrub die Hände in den Hosentaschen, sein Auge huschte zu Naruto. „Aber bedenke, dass es zwar deine Entscheidung ist, deren Auswirkungen jedoch nicht nur dich betreffen.“ Sakura wandte sich ab, zögerte, schluckte und knabberte überlegend an ihrer Unterlippe. „Sensei Kakashi?“ Sie drehte sich abermals zu ihm um, ihre Augen glänzten in fiebriger Entschlossenheit. Er sah sie aufmerksam an und sie atmete tief durch, um sich selbst Mut zu machen. „Haben Sie von den Gerüchten gehört?“ „Ich höre tagtäglich viele Gerüchte, die meisten interessieren mich nicht.“ Sie hielt seinem Blick stumm und abwartend stand, fühlte sich fast ein bisschen beleidigt, dass er sie offenbar für dumm zu verkaufen versuchte. Schließlich kniff er sich in die Nasenwurzel und gab nach. „Ja, ich habe davon gehört.“ „Was halten Sie davon?“, fragte sie möglichst neutral. Sie hielt für unwahrscheinlich, dass Kakashi nicht zu jenen gehörte, die über die Existenz dieser Rebellengruppe informiert waren, doch sie würde nicht den Fehler begehen, vertrauliche Informationen auszuplaudern, wenn sie nicht hundertprozentig sicher sein konnte. „Ich nehme an, dich interessiert hauptsächlich Sasukes Verwicklung darin.“ Es war keine Frage. „Es gibt bisher nicht genügend Beweise...“ „Beweise“, schnaubte sie verärgert. „Ich frage nach Ihrer Meinung. Trauen Sie Sasuke so etwas zu?“ Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort, betrachtete sie währenddessen stechend. Seine gesamte Aura schien sich schlagartig verändert zu haben und ihr wurde bewusst, dass sie nicht mehr Kakashi den Sensei, sondern Kakashi den Jōnin vor sich hatte. „Ich traue ihm zu, dass er das Vorgehen seiner Mannschaft bedenkenlos toleriert.“ Der Grauhaarige sprach also von den Gerüchten um die Uchiha-Polizei. Nun, ihr hätte klar sein müssen, dass er ihr sein Wissen nicht einfach auf die Nase band. Sie leckte sich über die Lippen und nickte zustimmend, denn zu einem vergleichbaren Ergebnis war sie ebenfalls gelangt, obgleich sie Sasuke weniger Willkür unterstellte. Vielmehr glaubte sie inzwischen, dass er zu sehr mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt war, um die kriminellen Machenschaften seines Teams überhaupt mitzukriegen. „Und das andere?“, verlangte sie forsch zu wissen, reckte dabei das Kinn, in dem Versuch, eine gleichartig beeindruckende Erscheinung abzugeben. „Was meinst du?“ Sein Tonfall war dunkler geworden und sie erschauderte unweigerlich, dennoch zwang sie sich, ihn anzusehen, bemühte sich, ihn zu lesen. Wollte er ihr nichts sagen, weil er dachte, dass sie bluffte? Wusste er womöglich wirklich nichts? Oder war es eine Warnung? „Nicht so wichtig“, winkte sie dünn lächelnd ab, ahnend, dass aus dem Älteren vermutlich ohnehin keine brauchbaren Informationen herauszubekommen waren. Leichtfüßig lief sie den Baum hinauf; ihre ausgezeichnete Chakrakontrolle war stets das Einzige gewesen, worin sie sowohl Sasuke als auch Naruto übertrumpft hatte, und mittlerweile musste sie sich für banale Tätigkeiten wie Bäume hinauflaufen nicht mal mehr konzentrieren. Kakashis Aufmerksamkeit lag noch immer auf ihr, sie spürte, wie sich sein Auge in ihren Rücken brannte, und sie presste die Lippen aufeinander. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, schlimmstenfalls hatte sie nicht nur sein Misstrauen erregt, sondern sein Misstrauen gegen sich erregt, und Kakashi Hatake wollte man nicht zum Feind haben, nicht mal, wenn man so etwas wie Welpenschutz genoss. Sakura ließ sich auf einem der Äste nieder, konzentrierte ihr Chakra in den Händen und sandte es anschließend in die Mistel, tief genug, damit auch noch die letzte Wurzel, die dem Ahorn systematisch das Leben aussaugte, verfaulte. Sie wunderte sich, dass es sich hierbei um eine D-Rang-Mission handeln sollte, denn die Aufgabe an sich war nicht schwer, kostete jedoch immense Mengen an Energie, deren Verlust das Hämmern zwischen ihren Schläfen zunehmen ließ. Eine Weile arbeiteten sie schweigend vor sich hin. Naruto schaute kein einziges Mal in ihre Richtung, nur die angespannte Haltung seiner Schultern verriet, dass er sich ihrer Gegenwart vollkommen bewusst – und stinksauer – war. Stück für Stück näherte sie sich seinem Ast, während sie überlegte, wie sie ihn, wäre sie bei ihm angekommen, ansprechen sollte. Normalerweise war sie diejenige, die wütend auf ihn war. Zwischenzeitlich warf sie dem Blonden verstohlene Blicke zu, der mit grimmiger Miene die Misteln stutzte. Ohne sein Dauergrinsen schien die Welt ein schlechterer Ort zu sein, doch sie drängte die aufwallenden Schulgefühle beiseite. Sie hatte doch keine Wahl gehabt, für einen von beiden hatte sie sich entscheiden müssen und sie hatte Sasuke gewählt, weil – sie schluckte hart – er sonst niemanden hatte. Gerade Naruto sollte das nachempfinden können. Das Blatt hatte sich gewendet. Früher war Sasuke der beliebteste Junge der Akademie gewesen und Naruto hatte keinen einzigen richtigen Freund gehabt, unterdessen war Naruto der Beliebte und Sasuke der einsame Außenseiter, obgleich er dieses Los sicherlich selbst gewählt hatte und nach außen hin gleichgültig ertrug. Sakura wollte ihn anschreien, dass er sich nicht wie ein bockiges Kleinkind benehmen solle, dann wieder wollte sie sich einfach bei ihm entschuldigen. Der Zweispalt führte dazu, dass sie weder das eine noch das andere tat. Vielleicht ist genau das der Grund, dass er es so persönlich nimmt, fuhr ihr plötzlich durch den Kopf. Sakura knabberte an ihrer Unterlippe. Ja, vielleicht. Aus Narutos Perspektive musste ihr Verhalten hochgradig unfair erscheinen. Sie hatte immer zu Sasuke gehalten, sich an ihn gehalten, während Naruto sie nicht gekümmert hatte. Sie konnte sich nicht einmal zugutehalten, je auch nur das winzigste Fünkchen Mitleid empfunden zu haben; seine Einsamkeit, die Strafen, sein Scheitern, all das war ihr stets gerechtfertigt vorgekommen, weil sie Naruto einfach nicht hatte leiden können, weil er nichts ernst genommen hatte und sie sich, in all ihren Mühen und Anstrengungen eine gute Kunoichi zu werden, verspottet vorgekommen war. Aber Naruto musste doch verstehen, dass sie nicht mehr dieses Mädchen war, dass sie sich heute, hätte sie die Chance, anders verhalten würde, dass sie den kleinen Jungen, der allein auf der Schaukel saß und von allen geschnitten wurde, nicht ignorieren würde. Im Umkehrschluss bedeutete das aber nun mal auch, dass sie Sasuke nicht im Stich lassen konnte. Wiiirklich?, flötete die andere Sakura gehässig. „Ach, sei doch still“, fauchte Sakura, ehe ihr gewahr wurde, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte. Knallrot blickte sie zu Naruto, der sie verwirrt ansah. „Hast du was gesagt?“ „Nur laut gedacht“, grinste sie verlegen. Der Blonde runzelte die Stirn. „Alles okay bei dir?“ „Ja, ich… Oh!“, entfuhr es ihr, als sie just in diesem Moment den Gestank von verbranntem Holz wahrnahm. Sie unterbrach eilig den Chakrafluss, der den Ast zu verkohlen begonnen hatte. Ungläubig blickte sie auf ihre Hände. So etwas war ihr noch nie passiert; sie konnte von Glück sagen, dass sie keinen Patienten vor sich hatte. In letzter Zeit hatte sie zunehmend das Gefühl, dass sie sich in ihren Fähigkeiten zurückentwickelte, sie war unkonzentriert, regelrecht unzurechnungsfähig, dabei predigte sie Sasuke ständig, dass er sich besser konzentrieren müsse. „Geht es dir gut? Du hast schon mal besser ausgesehen.“ „Musst du gerade sagen“, meinte sie, auf seinen grünlichen Teint und die dunklen Augenringe anspielend. Dann ließ sie sich neben ihn fallen, der Ast knarrte, trug jedoch glücklicherweise ihrer beider Gewicht. „Bist du mir noch böse?“, fragte sie mit gesenkten Lidern und spielte schüchtern mit ihren Fingern. „Ich bin nicht böse...“, entgegnete er. Aber enttäuscht, er musste es gar nicht aussprechen, denn sein Tonfall sagte mehr als genug. Etwas in Sakura verkrampfte sich schmerzhaft. „Ich verstehe, warum du das gemacht hast, ich verstehe nur nicht, was du dir dabei gedacht hast.“ Er fuhr sich seufzend durchs Haar. Die Ernsthaftigkeit stand ihm überraschend gut. „Ich habe gar nicht nachgedacht, das war das Problem“, gestand sie kleinlaut ein, leise genug, damit Kakashi sie nicht belauschen konnte, wenigstens nicht ohne sich ein bisschen anzustrengen. Naruto sah sie mit seinen strahlend azurblauen Augen an. Er schien abzuwarten; offenbar musste sie sich mehr Mühe mit ihrer Entschuldigung geben. „Ich habe gedacht, keine Ahnung, dass es ihm guttun würde, mal wieder unter Menschen zu kommen. Er wirkt so abgegrenzt von uns allen, seit er wieder da ist, und dann auch noch die ganzen schlimmen Gerüchte über ihn und seinen Clan... Du kennst ihn, er frisst sowas in sich rein. Ich dachte einfach...“, sie atmete tief ein, als sie endlich die richtigen Worte gefunden hatte, „dass er seine Freunde braucht. Sasuke ist doch noch dein Freund?“ Es war eine grausame Frage und Naruto richtete bestürzt den Blick in die Ferne. Sie konnte es ihm nicht verdenken, ihr ginge es nicht anders. „Schätze schon... Weiß nicht. Er hat sich nicht gerade wie ein Freund verhalten.“ „Das stimmt, aber einen guten Freund zeichnet auch aus, dass er sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen und ihn zu verstehen versucht, anstatt ihm seine Fehler vorzuwerfen.“ Sie piekte ihren Indexfinger gegen seine Brust, auf die Stelle unter der sein Herz pochte. „Ich wollte eine gute Freundin für Sasuke sein und war dabei keine gute Freundin für dich, und das tut mir aufrichtig leid, Naruto.“ Ihre Augen fanden sich erneut. Er umfasste ihre Hand, seine Haut war kühl und trocken und ließ dennoch eine angenehme Wärme durch ihren Körper fluten. Sie entwand ihm ihre Finger, bevor sie gezwungen war, darüber nachzudenken. Naruto grinste sie lausbübisch an und deutete mit dem Zeigfinger aufwärts. Sie folgte der angezeigten Richtung und bemerkte eine blühende Mistel, die genau über ihren Köpfen hing. Sein breites Feixen sowie der funkelnde Ausdruck seiner Augen erinnerte sie an den nervtötenden Akademieschüler von damals und im Normalfall würde sie ihm nun eine verpassen, doch dieses Mal beließ sie es dabei, die Augen dramatisch zu verdrehen. „Ein Mistelzweig, schön. Davon gibt es hier mehr als genug.“ „Du weißt, dass es Glück bringen soll, wenn man sich unter einem küsst, echt jetzt.“ Er ließ die Brauen hüpfen. „Das gilt nur für Brautpaare... echt jetzt“, konterte sie und spürte ihre Wangen vor Wut und Peinlichkeit rot werden. „Komm schon, Sakura-chan, nur ein kleiner Versöhnungsschmatzer.“ Naruto spitze die Lippen und machte feucht klingende Kussgeräusche, was ziemlich das Abartigste war, was sie jemals gesehen oder gehört hatte. Selbst wenn sie ihn hätte küssen wollen, wäre es ihr dadurch vergangen. Sie ballte bereits die Faust – sollte er die knutschen, wenn er es so nötig hatte –, als sie zwischen den leuchtenden Blättern hindurch einen allzu vertrauten schwarzen Haarschopf erspähte. „Sasuke?“ Naruto, unwissend, wie knapp er einem ihrer berühmt-berüchtigten Kinnhaken entgangen war, drehte den Kopf und entdeckte den Uchiha ebenfalls. Sein Blick verfinsterte sich und erwischte Sakura mit voller Härte, als er sie gleich darauf anklagend ansah. „Ich schwöre, diesmal habe ich nichts damit zu tun“, verteidigte sie sich. Sie starrte zu ihm herunter, unschlüssig, ob sie sich freuen oder fürchten sollte, traf seine unergründlich onyxfarbenen Augen, denen sie den Grund für sein Auftauchen nicht ablesen konnte. Naruto machte den Eindruck, als wollte er sich jede Sekunde vom Baum und auf Sasuke stürzen. Vielleicht war es die Angst, dass die beiden sich hier und jetzt miteinander prügeln würden, vielleicht war es Sasukes Blick, der ihr einen Schubs gab, doch sie lehnte sich zu Naruto herüber und drückte ihre Lippen auf seine Wange. Der Blondhaarige war derart perplex, dass er beinahe vom Ast fiel. „Sakura.“ Seine Iriden waren vor Überraschung weit aufgerissen, sein zuvor leicht käsiger Teint machte plötzlich den Ahornblättern Konkurrenz. Er legte seine Fingerkuppen vorsichtig auf die Stelle, die sie mit dem Mund berührt hatte. „Für ein bisschen Glück“, lächelte sie verlegen und unterdrückte den Impuls, sich über die Lippen zu wischen. „Wollen wir Hallo sagen?“ Naruto sagte gar nichts, starrte sie stattdessen weiterhin mit geweiteten Augen an, weswegen sie sich elegant von dem Ast gleiten ließ und vor Sasuke landete. „Deine Eltern haben mir gesagt, dass du zu Tsunade gegangen bist, und die meinte, du wärst vermutlich hier“, eröffnete er ohne Begrüßung, während er Kakashi misstrauisch aus dem Augenwinkel heraus beobachtete, der wiederum auffällig unauffällig über den Rand seines Buches schielte. Er schien Sasuke aus irgendeinem Grund nervös zu machen, weshalb sie ihn zögerlich am Ellbogen berührte, um ihn ein Stückchen fortzuführen. „Wie geht es dir?“, erkundigte er sich, nachdem sie ein paar Bäume zwischen sich und ihren ehemaligen Sensei gebracht hatten. „Das fragen mich heute alle. Sehe ich wirklich so schlimm aus?“ „Um ehrlich zu sein, ja.“ In seiner Stimme lag kein Spott, nur uncharmante Aufrichtigkeit und er runzelte die Stirn, als er sie von Kopf bis Fuß musterte. „Ich wollte nach dir sehen, du warst gestern ziemlich neben der Spur.“ Ihre Kinnlade klappte vor Verblüffung auf und auf ihren Wangen entstand eine solche Hitze, dass es sie nicht wundern würde, wenn ihre Haut zu glühen und dampfen begann. Sie schaute auf den Boden, als könne er ihr glückliches Lächeln dadurch schlechter sehen. Er war hier, um nach ihr zu sehen?! Er war extra den ganzen Weg aus dem Dorf gekommen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen?! Das war wirklich nett und wirklich aufmerksam und wirklich, wirklich nicht sasukehaft. Gut gemeint war selten gut gemacht, aber vielleicht hatte sie trotzdem etwas Gutes damit erreicht. Vielleicht hatte sie ihn doch irgendwie berührt. „So fühle ich mich auch.“ Sie griff sich automatisch an den Kopf. „Dabei kann ich mich gar nicht erinnern, Alkohol getrunken zu haben.“ „Wahrscheinlich verträgst du nichts“, sagte er. Sie stockte. Irgendetwas an seinem Ton störte sie, aber sie kam nicht darauf, was, also lächelte sie und bedankte sich. „Wofür?“ Sakura kam sich albern vor, ihm erklären zu müssen, weshalb sie ihm gedankt hatte; für seine Nettigkeit, die unter Freunden eigentlich Selbstverständlichkeit sein sollte, es für Sasuke, dem zwischenmenschliche Konventionen manchmal fremd – oder egal – zu sein schienen, aber nun mal nicht war. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass er ihren Dank dann als etwas Negatives auffassen würde, als hätte sie ihm Schwäche oder vielmehr mangelnde Härte vorgeworfen. Sie strich ihr Haar zurück und zuckte die Achseln, um ihm nicht antworten zu müssen, und sah verlegen zur Seite weg. „Ich habe doch nichts, naja, Blödes gemacht, oder?“ Sie wurde rot, als sie sich vorstellte, dass sie sturzbetrunken versucht haben könnte, sich an Sasuke ranzuschmeißen, immerhin war das ihr erster Absturz gewesen und sie hatte keine Ahnung, was zu viel Alkohol aus ihr machte, wusste jedoch dank Lady Tsunade, dass es übel werden konnte. „Was meinst du?“ „Ja, was meinst du?“, mischte sich Naruto ein, der unvermittelt neben ihr stand, die Arme wie ein Bodyguard verschränkt hielt und Sasuke mit verkrampftem Kiefer böse anfunkelte. Sakura hatte ihn selten derart bedrohlich erlebt, eigentlich nur, wenn das Kyuubi in ihm durchkam. „Wenn du Sakura etwas getan hast, Sasuke, dann schwöre ich…“ „Was dann?“ Sasuke ließ sich nicht einschüchtern, zeigte nur dieses träge Halbschmunzeln, das Naruto so wunderbar in Rage versetzen konnte. „Naruto!“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen und blickte hilflos von einem zum anderen. Es war doch nichts passiert, wieso musste Sasuke ihn also anstacheln? „Gestern war noch alles okay und heute geht es dir so schlecht. Du siehst aus, als wärst du… als hätte er…“ Er knurrte, weil er keinen guten Vergleich fand. „Was hast du mit ihr gemacht?“, schleuderte er Sasuke entgegen. „Eifersüchtig?“, fragte der Schwarzhaarige provozierend. Der Kontrast zwischen ihnen konnte kaum offensichtlicher sein, als würde Feuer auf Eis brennen. Der chaotische, temperamentvolle Naruto, mit seinem unordentlichen Haarschopf und dem knittrigen, teilweise verdreckten Trainingsanzug, der seine Emotionen kaum unter Kontrolle halten konnte, der vor Wut bebte und die Zähne fletschte und zu oft handelte, bevor er nachdachte. Und der stets kontrollierte Sasuke, mit seinen tadellos sitzenden Kleidern, die Ruhe in Person, dessen einzige Reaktion eine hochgezogene Augenbraue war. Naruto brüllte und ging mit geballter Faust auf Sasuke los. Sakura war nicht schnell genug, um die Attacke zu verhindern, doch Sasuke wich dem Frontalangriff mühelos aus, indem er sich lässig zur Seite wegdrehte. Sein Haar wehte im Wind, den Narutos Faust verursachte. „Netter Versuch“, spöttelte er. „Willst du das noch mal probieren? Trau dich.“ Naruto traf abermals ins Leere. „Kannst du das nicht besser? Aller guten Dinge sind drei, sagt man.“ „Hört auf damit.“ Sakura schaffte es endlich, zwischen sie zu gelangen, und legte jedem jeweils eine Hand auf die Brust. Sasuke war vollkommen ruhig. Narutos Herz hämmerte gegen ihre Handfläche. Sie fühlte sich klein und schmächtig, wie sie eingeklemmt zwischen ihnen stand und sich die beiden einfach über ihren Kopf hinweg mit Blicken erwürgten. „Was ist hier los?“ Kakashi kam mit hängenden Schultern, die Hände in den Hosentaschen vergraben, angeschlendert, hatte allerdings sein Buch weggesteckt. Offenbar war er der Meinung, dass die Situation seiner ungeteilten Aufmerksamkeit bedurfte. „Sasuke hat irgendwas mit Sakura gemacht“, spie Naruto und reckte Besagtem anklagend seinen Zeigefinger entgegen, als wollte er ihn damit aufspießen. „Das stimmt nicht“, korrigierte sie, während ausgerechnet Sasuke es nicht für nötig hielt, sich dazu zu äußern. „Was ist dann mit dir passiert?“, blaffte Naruto sie an, obzwar seine Aggressivität freilich nicht ihr galt. „Gar nichts, ich habe gestern eben auch ein bisschen übertrieben.“ „Du warst nüchtern, als du gegangen bist, und außerdem trinkst du doch gar nicht“, knurrte Naruto und wollte schon wieder auf ihn losgehen. Sakura benötigte beide Hände, um ihn zurückzuhalten, wurde aber trotzdem mit dem Rücken gegen Sasukes Brust gedrückt. In einem anderen Leben wäre sie vor Verlegenheit vermutlich wie ein heißer Wachsklumpen in sich zusammengebrochen, doch gerade hatte sie keinen Kopf für die körperliche Nähe zu Sasuke. Sie ließ Chakra in ihre Handballen fließen und stieß Naruto mit einem wütenden Aufschrei zurück. Er taumelte mehrere Schritte nach hinten, in seinem Brustkorb hatte etwas geknackt und er hielt sich instinktiv die Rippen, aber sie wusste, dass sie ihm nicht mehr als ein saftiges Hämatom verpasst hatte. „Ehrlich, Jungs, reißt euch zusammen“, fauchte sie. „Naruto, du schmeißt mit völlig haltlosen Beschuldigungen um dich. Wenn ich sage, dass Sasuke mir nichts getan hat, hat er mir nichts getan. Ist das klar? Und du…“ Sie wirbelte auf dem Absatz herum, ihr Herz hatte den obligatorischen Aussetzer, weil sie ihm so nahe war. „Wieso stellst du die Dinge nicht einfach richtig? Wieso suchst du unnötig Streit? Ich dachte…“ Erst der brüchige Klang ihrer eigenen Stimme verriet ihr, wie nahe sie den Tränen schon wieder war. Sie zog die Nase hoch und wischte sich vorsichtshalber über die Augen. Kakashi überbrückte die aufkommende Stille, indem er sagte: „Es sähe dir tatsächlich nicht ähnlich, dich zu betrinken.“ Das stimmte, aber es gab eben immer ein erstes Mal und ihre Symptome, der Filmriss, die Kopfschmerzen, die latente Übelkeit, die in ihrem Magen rumorte, waren eins a Indizien für einen Hangover. Sie feuerte einen giftigen Blick auf ihn ab, der ihn versöhnlich die Hände heben ließ. „Was ich damit sagen will, ist, dass wir nicht wissen, was zwischen Zeitpunkt A und Zeitpunkt B vorgefallen ist.“ Er sah sie fragend an, aber Sakura konnte natürlich nicht darauf antworten. Überlegend kniff sie die Augen zusammen. Sie erinnerte sich noch, dass sie Sasuke nachgelaufen war, an die stechende Oktoberkälte, ihr schlechtes Gewissen, die Scham, die Angst, aber ihre Erinnerungen waren wie die Fragmente eines Stummfilms, sie sah ein paar Bilder vor sich, hörte jedoch keinen Ton und je mehr sie sich zu erinnern versuchte, desto mehr schienen sie ihr zu entgleiten. Nun, da sie sich die Ereignisse der vergangenen Nacht vergeblich mit aller Macht ins Gedächtnis zu rufen versuchte, bekam sie es wahrlich mit der Angst zu tun. War es möglich, dass ihr das, dass ihr etwas angetan worden war? Körperlich fühlte sie sich unversehrt, aber das hatte freilich nichts zu bedeuten. Die Ungewissheit ließ ihre Knie weich werden. „Keine Ahnung“, erwiderte sie patzig, um die bohrende Unsicherheit zu überspielen. Kakashis Blick schweifte zu Sasuke, der nonchalant die Schultern zuckte. „Sie war schon völlig durch, als sie bei mir ankam.“ Er fuhr sich durch die Haare und Sakura glaubte, den Anflug von Schuldbewusstsein auf seinem Gesicht zu erkennen, versteckt hinter verärgert zusammengezogenen Brauen. „Ich dachte halt, sie wäre betrunken, verdammt. Woher sollte ich denn wissen…“ Sein Kiefer spannte sich an. „Klar, dich trifft mal wieder keine Schuld“, blaffte Naruto. „Das hilft uns nicht weiter“, fuhr Kakashi scharf dazwischen. „Sasuke, du müsstest am besten eruieren können, wie groß das Zeitfenster ist, in dem Sakura allein war.“ „Fünfzehn Minuten, maximal.“ Er nickte verstehend und wandte sich an die Rosahaarige. „Gibt es jemanden, der es auf dich abgesehen haben könnte?“ „Hidan“, antwortete sie ohne langes Zögern. „Er hat mich schon mal angegriffen.“ Kakashi brummte leise, doch schien ihn nicht zu überraschen, dass sie ausgerechnet diesen Namen nannte. „Ich höre mich mal um, was er gestern getrieben hat.“ Abermals zögerte er, sein Blick glitt unmerklich an ihrem Körper herab, sezierte sie. „Sonst“, er räusperte sich, „geht es dir gut?“ Sakura biss sich fest auf die Unterlippe. Sie hasste, was Kakashi andeutete und wie er sie dabei ansah, und sie wollte dieses Thema nicht mit oder vor drei Männern diskutieren. Sie wollte überhaupt nicht über die bloße Möglichkeit nachdenken. In der Akademie hatten alle Mädchen Spezialunterricht erhalten, den größten Teil hatten Pflanzenkunde, Teezeremonien, Kalligrafie, Tanz und Ikebana ausgemacht, alles, was eine Kunoichi wissen musste, um sich als gute Gesellschafterin auszugeben, doch überdies waren sie auf die brutale Realität vorbereitet worden, dass Frauen Männern körperlich unterlegen waren, wie sie diesen Nachteil ausgleichen, wie sie sich vor Vergewaltigungen schützen konnten. Bisher war es für Sakura nur ein schlimmes, aber insgesamt unvorstellbares Wort gewesen, nun drehte es ihr den Magen um, ließ sie sich schmutzig fühlen. Und schwach. „Ja“, sagte sie gepresst. Sie schämte sich, gleichzeitig ärgerte sie sich maßlos, wie sichtlich erleichtert Kakashi war, nicht in die Rolle des Seelsorgers gedrängt zu werden. Sasuke interessierte sich plötzlich brennend für die Tautropfen auf seinen Schuhen. Lediglich Naruto sah irritiert zwischen ihnen hin und her und Sakura wollte ihn für so viel gutmütige Naivität gleich noch mal küssen. „Es geht dir nicht gut“, beharrte Naruto. „Und das ist seine Schuld“, schrie er und schnitt mit dem Zeigefinger durch die Luft gen Sasuke. „Vielleicht hat er gestern wirklich nichts gemacht, aber angetan hat er dir trotzdem eine Menge.“ Sakura trat ihm heftig auf die Zehen, um ihn am Weitersprechen zu hindern. Es fehlte gerade noch, dass er Sasuke jeden ihrer Zusammenbrüche vorwarf, damit dieser sie endgültig für eine kleine Heulsuse hielt. „Was denn, ich habe doch recht und ich finde, dass der unsensible Arsch sich das ruhig mal anhören kann, echt jetzt“, schmollte er beleidigt, während er auf einem Bein herumhüpfte und auf seine schmerzenden Zehen pustete. „Naruto“, zischte sie ihm warnend zu. „Ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, wandte Kakashi sich an den Schwarzhaarigen. Naruto hörte schlagartig auf, herumzuhüpfen, und Sakura verschlug es für einen Moment den Atem. Die seichte Hoffnung, dass Team 7 eines Tages wieder existieren könnte, fiel wie ein Kartenhaus im Sturm in sich zusammen, denn der Jōnin hatte soeben klargestellt, dass Sasuke für ihn nicht mehr zu ihnen gehörte. Er vertraute ihm nicht und die Botschaft war überdeutlich bei allen angekommen. Sasuke schnaubte spöttisch, sein kühler Blick ruhte alles andere als freundlich auf dem Grauhaarigen. „Ich wollte Sakura sowieso unter vier Augen sprechen.“ In seinem Tonfall lag automatisch etwas Herablassendes. Er drehte sich um und rief ihr über die Schulter zu: „Kommst du.“ „Sie ist doch kein Hund“, blaffte Naruto und hielt Sakura, die unweigerlich einen Schritt auf Sasuke zugegangen war, an der Schulter zurück. Sie biss sich auf die Lippe, die sich bereits ganz wund anfühlte, so oft wie sie diese mit den Zähnen malträtiert hatte, und blickte unschlüssig auf ihre Schuhspitzen. Nein, sie war kein verdammter Hund und dennoch saß in ihrem Unterbewusstsein der unwillkürliche Impuls, ihm zu gehorchen – als hätte Sasuke jemals zu schätzen gewusst, dass sie es ihm stets recht zu machen versuchte –, alles in ihr schrie danach, mit ihm zu gehen. Narutos Finger gruben sich schmerzhaft in ihr Fleisch, seine Hand zitterte leicht und sein Kiefer war so fest zusammengebissen, dass die Sehnen an seinem Hals hervortraten. Sie erkannte, dass er verzweifelt versuchte, ihre Ehre zu verteidigen, weil er nicht daran glaubte, dass sie Sasuke jemals Kontra bieten würde. Von irgendwoher kratzte sie ein paar Krümel Stolz zusammen, sah Sasuke entschlossen an und schüttelte den Kopf. „Ich kann jetzt nicht, tut mir leid.“ Der Schwarzhaarige drehte ihr den Kopf zu, eine seiner schmalen Augenbrauen wanderte überrascht seine Stirn empor. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich ihm widersetzte, niemand hatte damit gerechnet, nicht mal sie selbst, schließlich hatte sie sich, bis auf einige wenige Momente, immer alles von ihm gefallen lassen. Sasuke starrte sie kalt an, dann Naruto und dann wieder sie. Sein Mund verbog sich träge zu einem hässlichen Grinsen. „Ach, so ist das.“ Er schnaubte abermals, ehe er sich endgültig abwandte, die Hände in seinen Hosentaschen verschwinden ließ und ging. „Wie: so ist das? Was meint er mit: so ist das?“ Sakura bekam fast Schnappatmung. Dachte er jetzt etwa, dass sie und Naruto…? Sie hätte ihn, verdammt noch mal, nicht küssen dürfen. Wieso hatte sie das überhaupt gemacht? Und wieso betatschte Naruto sie eigentlich so dreist, als stünde ihm das irgendwie zu? Wütend fegte sie seine Hand von ihrer Schulter und knurrte: „Wir haben zu tun, also steh hier nicht faul rum.“ Dem Blonden war ihr abrupter Stimmungswandel natürlich nicht entgangen, sein Kehlkopf hüpfte, als er nervös schluckte. „Was will Sasuke von dir?“, fragte er vorsichtig, während er einen kleinen Sicherheitsabstand zu ihr einnahm, seine Neugier jedoch offenbar nicht zügeln konnte. „Ich kann keine Gedanken lesen“, fauchte sie patzig und atmete gleich darauf geräuschvoll durch die Nase aus. Er kotzte sie an, aber eigentlich kotzte sie sich selbst an und sie ließ es nur an ihm aus, dabei konnte sie ihn nicht für ihre Entscheidungen verantwortlich machen. Sie war eine richtige Zicke, schlimmer als Ino eine sein konnte, deswegen versuchte sie sich an einem versöhnlichen Lächeln, das, wenn sie Narutos Reaktion glauben durfte, völlig misslang. „Vermutlich geht es um gestern.“ „Auf mich machte er keinen aufrichtigen Eindruck“, sagte Kakashi nachdenklich. Sakura zuckte zusammen, als er plötzlich neben ihr lief. Zorn flammte in ihr auf. Wieso hackten neuerdings eigentlich alle auf Sasuke herum? War er nicht immer Kakashis Goldjunge gewesen, sein Meisterschüler und heimlicher Favorit, dem er sogar, im Gegensatz zu Naruto und ihr, eine seiner eigenen Techniken beigebracht hatte? Wahrscheinlich war das verletztes Ego, weil Sasuke der Meinung gewesen war, von Shisui mehr lernen zu können. „Ist Ihnen mal der Gedanke gekommen, dass er nur nett sein wollte?“ „Du meinst, weil Sasuke so empathisch ist…“ Sakura atmete angestrengt gegen die Wut an, bevor sie der Versuchung, Sensei Kakashi in den Hintern zu treten, erliegen konnte. „Ihr habt euch alle wie Kleinkinder benommen“, schimpfte sie. „Kein Wunder, dass Sasuke sich provoziert gefühlt hat.“ „Er hat angefangen“, moserte Naruto. Sie knackte mit den Knöcheln. „Das ist ja wohl nicht dein Ernst. Wie alt bist du, sechs?“ „Du hast kein Recht, sauer auf mich zu sein. Du hast mir Sasuke auf den Hals gehetzt.“ „Er ist extra hergekommen, weil er sich Sorgen um mich gemacht hat“, spie Sakura ihm entgegen. „Ja, da guckst du dumm, was! Und Sie, Ihr ganzes Gerede über Zusammenhalt und Teamwork; es ist doch eindeutig, dass Sasuke Probleme hat. Er braucht unsere Hilfe.“ „Denkst du, dass ich heute zum ersten Mal mit ihm gesprochen habe, seit er wieder da ist?“ Sakura blieb wie angewurzelt stehen, als hätte Kakashi sie mit seinen Worten am Boden festgenagelt. „Ich habe ihm angeboten, sich uns wieder anzuschließen, aber Sasuke hat sehr deutlich gemacht, dass er sich längst nicht mehr als Mitglied von Team 7 betrachtet.“ Ihre Unterlippe begann, zu beben, als sie ihren ehemaligen Sensei mit wässrigen Augen ansah. Sie bot ein derart klägliches Bild, dass er nicht mal wütend auf sie war. Naruto trat gegen einen Laubhaufen und schreckte dabei versehentlich einen kleinen Igel auf, der sich fiepsend zu einer stacheligen Kugel zusammenrollte. Sakura wusste genau, wie er sich fühlte. Kapitel 8: Doppelter Herzschlag ------------------------------- Das Rosa der Kirschblüten hatte dieselbe Farbe wie Sakuras Haar, als die Knospen unter Sasukes Fingern aufbrachen. „Sehr gut“, lobte sie und schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das er nicht bemerkte, weil er sie nicht ansah. Er sah sie in letzter Zeit gar nicht mehr an, sprach nur noch das Allernötigste mit ihr und ignorierte sie ansonsten konsequent. Dafür hatte er in den vergangenen Tagen größere Fortschritte gemacht als in all den Wochen zuvor. Sie sollte sich darüber freuen, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich plötzlich derart viel Mühe gab, weil er sie endlich loswerden wollte; und wenn er sich weiterhin so rasend schnell verbesserte, wäre ihr gemeinsames Training tatsächlich bald überflüssig. Beinahe verzweifelt suchte sie nach Fehlern, die er womöglich gemacht hatte, fand zu ihrer Enttäuschung jedoch keine. „Du siehst aber nicht besonders zufrieden aus“, stellte er fest und sah sie auf eine Weise an, die sie fürchten ließ, dass er ihre Gedanken nicht nur erraten, sondern lesen konnte. „Wieso sollte ich unzufrieden sein, das Ergebnis perfekt.“ Sie schnippte harscher als nötig gegen die unschuldigen Blüten, die dadurch träge auf und ab wippten, doch kein einziges Blütenblatt verloren. Sasukes Leistung war mehr als perfekt, sogar besser, als sie es damals beim ersten Versuch hinbekommen hatte. Er hatte genügend Chakra verwendet, um die Blüten heranreifen zu lassen, aber nicht so viel, dass sie übersättigt wurden und welkten, und es gezielt in den Knospen konzentriert, wodurch sich die zarte Farbe und der feine Duft entwickelt hatten. Vielleicht sollte er sie demnächst unterrichten, dachte sie frustriert. Sasuke hob den Zweig vom Tisch und drehte ihn zwischen den Fingern, betrachtete ihn von allen Seiten, als wolle er sich vergewissern, dass er wirklich alles richtig gemacht hatte. Sie wartete geradezu darauf, dass er sie fragte, wann Lady Tsunade ihn wieder im aktiven Dienst einsetzte. Dabei hatte sie noch immer nicht herausgefunden, welche Sorgen ihn quälten, geschweige denn inwiefern er in die Machenschaften dieser Rebellengruppe involviert war. Die Hokage wurde allmählich ungeduldig, aber Sasuke war verschlossener als ein Buch mit sieben Siegeln. Um sich abzulenken, schaute sie sich in dem Raum um, der ehemals als Wohnzimmer gedient hatte. Spinnweben hingen in jeder Ecke, überall lag eine dicke Staubschicht, ihre Füße hatten Spuren im Dreck hinterlassen, die sich bei jedem Besuch vermehrten, und manchmal hörte sie Kratzgeräusche in den Wänden, die schätzungsweise von einer sich prächtig entwickelnden Mäusefamilie verursacht wurden, doch der Schmutz und die diversen Fraßschäden täuschten nicht über die kostspielige Einrichtung hinweg. Auf dem niedrigen Kaffeetischchen lag ein Buch, mit einem Lesezeichen darin, das sehnsüchtig darauf wartete, wieder aufgeschlagen zu werden, eine benutzte Tasse mit schwarz verkrusteten Teerückstanden stand daneben. Das Haus erweckte ganz und gar den Eindruck, dass dessen Bewohner es überstürzt verlassen hatte, aber nie zurückgekehrt war. Höchstwahrscheinlich war er gefallen oder aus anderen Gründen verstorben und es bereitete ihr eine Gänsehaut, wie gleichgültig das Haus, die Besitztümer und somit die Erinnerung dem Verfall überlassen wurden. Als sie das erste Mal hier gewesen waren, hatte sie Sasuke gefragt, wem das Haus gehörte, doch er wusste es nicht und es interessierte ihn noch weniger. Natürlich hatte sie sich nicht erinnern können, dass Sasuke ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, im Uchiha-Viertel zu üben, doch glücklicherweise war er geistesgegenwärtig genug gewesen, sie vor der Bibliothek abzufangen. Weniger glücklich war, dass ausgerechnet Shikamaru und Chōji sie gemeinsam Richtung Uchiha-Viertel laufen gesehen hatten. Das war nun über eine Woche her, doch da Ino ihr bisher keine Briefbombe geschickt hatte, hatten die beiden ihre Sichtung offenbar für sich behalten. Oder aber Ino war so durch mit ihr, dass Sakura ihr nicht mal mehr ein bisschen Wut wert war. „Ich habe dich was gefragt“, riss Sasuke sie genervt aus ihren Gedanken. Sakura lächelte ihn entschuldigend an, was wie immer keine Wirkung auf ihn erzielte. „Konzentration ist das A und O, hm?“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und bildeten eine steile Falte über seiner Nasenwurzel. „Womit machen wir weiter?“ Seine Motivation war beleidigend und sie lächelte das Gefühl zumindest oberflächlich weg. „Ich finde, du hast dir für heute eine Pause verdient. Du stellst dich wirklich gut an und das freut mich, aber wir sollten es nicht übertreiben.“ Er sah aus, als wollte er widersprechen, zuckte dann jedoch nur die Achseln und ließ den Kirschblütenzweig auf die Tischplatte fallen. Es hatte etwas Deprimierendes, wie er die filigranen Blüten, dieses Symbol des erwachenden Lebens gleichgültig ihrem vorzeitigen Schicksal überließ, aber er hatte schon früher kein Auge für die kleinen Dinge übriggehabt, hatte sich nie an seinen Erfolgen erfreuen können, weil jede gemeisterte Hürde unverzüglich uninteressant wurde und er stets nur auf das schaute, was er noch nicht beherrschte und nicht haben konnte. Aus einem Impuls heraus nahm Sakura den Zweig an sich und drückte ihn gegen die Brust; näher käme sie einem Geschenk von Sasuke vermutlich nie. Dieser kommentierte ihr Verhalten lediglich mit dem Anheben einer Augenbraue. „Gönn dir aber wirklich ein bisschen Freizeit, okay?“, bat sie besorgt, als er den Tisch umrundete, annehmend, dass er nun, wie immer, einfach gehen würde, und Sakura, wie immer, die Aufräumarbeiten überlies. Er schnaubte, doch zu ihrer Überraschung steuerte er das Sofa an, der Dreck knirschte unter seinen Schritten, dann setzte er sich und wirbelte Staubschwaden aus den Polstern auf. Instinktiv kniff er die Augen ein Stückchen zusammen, als die Wolke seinen Kopf einhüllte. „Das letzte Mal, dass ich auf einen deiner gut gemeinten Ratschläge gehört habe, war ein Desaster“, sagte er trocken. „Das tut mir…“, setzte sie an, doch er unterbrach sie, ehe sie den Satz beenden konnte. „Du hast dich schon mal entschuldigt.“ „Mehr kann ich nicht machen, fürchte ich“, entgegnete sie, während sie die Bücher ordentlich in eines der Regale einsortierte. Wahrscheinlich war es unnötig, es gab ohnehin niemanden, der sich an einem hinterlassenen Chaos stören könnte, doch ihr kam es trotzdem respektlos vor und wenn sie schon machtlos gegen die Unordnung in ihrem Kopf war, wenigstens die Bücher konnte sie wegräumen. Selbst ihr Zimmer war aufgeräumt wie seit Jahren nicht mehr, obwohl sie nie sonderlich unordentlich gewesen war. Mebuki war ganz aus dem Häuschen. Ihr Vater fürchtete, dass sie sich heimlich mit einem Jungen traf und deswegen plötzlich so reinlich geworden war. Er behauptete sogar, eines Nachts eine Männerstimme aus ihrem Zimmer vernommen zu haben; er wurde wirklich paranoid, was Sakuras vermeintliches Liebesleben betraf. Ihr Gesicht wurde tiefrot, als sie an das unangenehme Gespräch mit ihm zurückdachte, dabei hatte sie noch nicht mal ihren ersten Kuss gehabt, geschweige denn, dass sie sonst was mit irgendeinem Liebhaber anstellte. „Hat Kakashi inzwischen etwas rausfinden können?“, fragte Sasuke. Sie sah ihn über die Schulter an. Er hatte die Ellbogen auf den Knien abgestützt, die Hände unter seinem Kinn gefaltet und blickte an die gegenüberliegende Wand, aus dem vor Schmutz blinden Fenster, das in besseren Zeiten einen sicherlich herrlichen Ausblick auf einen nun verwilderten Garten geboten hatte. Er wirkte erschöpfter als sonst und immer, wenn er glaubte, dass sie nicht hinsah, bewegte er seine linke Schulter, als hätte er Schmerzen. „Wegen Hidan“, ergänzte er, weil sie zu lange geschwiegen und seinen Anblick in sich aufgesogen hatte, und drehte ihr leicht den Kopf zu. Ertappt wandte sie sich ab, obwohl er natürlich bemerkt haben musste, dass sie ihn beobachtet hatte, und sortierte die restlichen Bücher ins Regal. „Ja, er kann es nicht gewesen sein. Er war an dem Abend bis spät in die Nacht in einem Izakaya¹, das können ungefähr ein Dutzend Zeugen bestätigen. Ich…“ Sie ballte hilflos die Fäuste. „Ich habe Angst. Wenn er es nicht war, wer dann und vor allem warum? Habe ich Feinde, von denen ich nichts weiß, oder war ich ein Kollateralschaden, nur zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder galt dieser Angriff vielleicht gar nicht direkt mir, sondern sollte eine Botschaft an Lady Tsunade sein?“ Sasuke seufzte leise, das Polster verursachte Flatulenzgeräusche, als er seine Position veränderte. „Ich halte nach wie vor für nicht ausgeschlossen, dass du alkoholisiert warst. Du weißt doch, wie es auf solchen Partys läuft, irgendein selbsternannter Spaßvogel mischt Hochprozentiges in die Getränke und lacht sich anschließend ins Fäustchen. Wahrscheinlich hast du gar nichts bemerkt, bis der Alkohol an der frischen Luft seine volle Wirkung entfaltet hat.“ „Hmm“, machte sie und knibbelte am Daumennagel. Was er sagte, klang nicht unplausibel, und doch… „Könntest du nicht, naja, mal nachsehen, oder so?“, fragte sie vorsichtig, während sie sich damit ablenkte, die Buchrücken gerade nebeneinander zu stellen, sodass sie am Ende wie mit dem Lineal gezogen aussahen. Sie bezweifelte insgeheim, dass er zustimmen würde, schließlich war es nicht ungefährlich, im Kopf eines Menschen herumzuwühlen, und wenn dabei etwas schiefging, verursachte sie ihm massig Probleme. Nachdem Sensei Kakashi und Naruto ihn sowieso schon auf dem Kieker hatten, könnte das schlecht für ihn ausgehen. Und natürlich gab es auch noch genügend Gedanken und Erinnerungen, von denen sie keinesfalls wollte, dass er sie fand, die sich ihm jedoch automatisch in den Weg werfen würden, wenn er in ihren Kopf eintauchte, weil man bekanntermaßen immer an das dachte, an das man nicht denken wollte. Der berühmte rosa Elefant, den man sich unmöglich nicht vorstellen konnte. „Mal nachsehen?“ Sie hörte ihn förmlich die Stirn runzeln. „Du müsstest doch meine Erinnerungen an den Abend reaktivieren können, oder?“ „Ich…“ Er stöhnte genervt auf. „Theoretisch ist das möglich, aber dafür müsste ich dich mit einem Genjutsu belegen. Bist du sicher, dass du das willst?“ Sakura drehte sich zu ihm um und nickte entschlossen. „Ich vertraue dir.“ Sasukes Miene blieb unbewegt, sein Blick jedoch war bohrend und intensiv, als hätte er bereits begonnen, ihren Verstand mit seinen Künsten zu umweben – und ein bisschen stimmte das ja auch. Sie schlug die Lider für eine Sekunde nieder, ehe sie ihre Augen abermals fest mit seinen verhakte, um ihm zu signalisieren, dass sie sich wirklich nicht fürchtete. Obwohl das nicht stimmte, denn sie hatte Angst; Angst vor dem, was sie vielleicht zu sehen bekam, Angst vor dem, was sie ihm womöglich ungewollt offenbarte, und einen anderen Menschen derart tief in die eigene Psyche eindringen zu lassen, war unheimlich und… intim. Sie spürte eine brennende Hitze über ihr Gesicht kriechen, die sie zum Wegsehen zwang. Er seufzte erneut, eine Mischung aus Enervation und Frustration. „Meinetwegen.“ „Also, ähm…“ Sie strich sich durchs Haar, der Kirschblütenzweig, den sie hinters Ohr geklemmt hatte, fiel auf den Boden und sie bückte sich umständlich danach, drückte das zarte Pflänzchen anschließend wie einen Schutzschild gegen die Brust. Unschlüssig wippte sie auf den Fußballen auf und ab. „Wie genau machen wir das jetzt? Soll ich mich hinsetzen, oder so?“ Der Schwarzhaarige presste die Lippen aufeinander. Wie jedes Mal, wenn man sich nicht augenblicks wie von ihm erwünscht verhielt, schien er jegliches Entgegenkommen seinerseits bitter zu bereuen. Mit einem harschen Wink bedeutete er ihr, näher zu kommen. Sakura tippelte zögerlich wie ein unbeholfenes Kitz zu ihm herüber und setzte sich, sicherlich näher als zwingend nötig gewesen wäre, neben ihn. Das Sofa bespuckte sie beide mit einer neuerlichen Staubwolke und ein kleines quietschendes Pelztierchen flüchtete sich aus dem Inneren des Polstermöbels hinter einen Schrank. Sasuke wandte ihr den Oberkörper zu, rückte gleichzeitig jedoch in einer geschmeidigen Bewegung von ihr ab, wie sie leicht beleidigt feststellte. „Bereit?“, erkundigte er sich und aktivierte sein Sharingan. Sakura befeuchtete nervös ihre Lippen, rutschte mit dem Hintern auf dem Sofa herum, um Zeit zu schinden, das ihre unruhigen Regungen mit obszönen Geräuschen untermalte. Sasuke stieß ungeduldig Luft durch die Nase aus. „Hast du es dir anders überlegt?“ „Nein, nein“, beteuerte sie rasch und schluckte trocken, was ein klebriges Klacken in ihrer Kehle verursachte, aber sie konnte sich nicht helfen, sie hatte plötzlich ein zutiefst ungutes Gefühl bei der Sache. „Wird es wehtun?“, fragte sie, obwohl sie natürlich wusste, dass Genjutsu an sich nicht schmerzhaft waren, doch ihr war lieber, dass er annahm, sie wäre sich dieses Umstandes nicht bewusst, als dass er ihr Zögern auf sich zurückführte. Schließlich hatte sie gerade noch versichert, dass sie ihm vertraute. Sasukes Ausdruck implizierte, dass er sie durchschaute, dennoch ließ er sich zu einer Antwort herab: „Nein, aber du nimmst vielleicht meine Präsenz wahr und das könnte dir unangenehm vorkommen.“ Sie lächelte matt, den Blick auf seine Hände gerichtet – die eine lag entspannt auf seinem Oberschenkel, mit der rechten stützte er sich locker auf dem Sofa ab – und griff nach der linken. „Ich weiß, dass ich viel von dir verlange, also… danke“, nuschelte sie und drückte seine kühlen Finger. Wieso war seine Haut so kalt? Das war definitiv nicht gesund und er sah so schrecklich müde aus; vielleicht hätte sie ihn nicht ausgerechnet heute darum bitten sollen. Sie wünschte, sie könnte ihn einfach umarmen, vor allem wünschte sie, dass er Trost aus ihrer Berührung, aus ihrer Anwesenheit ziehen würde. Ihr Daumen streichelte über seine Knöchel, die ein bisschen rau waren. Er hob ihre Hand in Höhe seines Mundes. Ihr törichtes Herz stolperte, dann runzelte sie sachte die Stirn, weil sich im hintersten Winkel ihres Gehirns etwas zu regen versuchte. Ihre Augen krochen von seinen Lippen über seine Nase, hoch zu seinen scharlachroten Iriden, die halb von seinen gesenkten Lidern verdeckt wurden. Seine Wimpern waren lang und dicht, ebenso makellos wie der Rest von ihm. Plötzlich hatte sie das Gefühl zu kippen, als hätte sich das Sofa und alles drumherum unter ihr in Nichts aufgelöst. Sie glaubte, sich selbst vor Schreck spitz aufschreien zu hören, aber bereits im nächsten Moment drängte sie sich zwischen lachenden und plappernden Menschen hindurch, rempelte jemanden, den sie gar nicht recht wahrnahm, mit der Schulter an. Glas splitterte, doch sie lief weiter, ohne darauf zu achten. „Blöde Kuh“, schimpfte jemand, der vermutlich sie meinte. Sie wollte sich entschuldigen, hatte die Person aber gleich darauf schon wieder vergessen. „Sakura!“ Das war Narutos Stimme, die nach ihr rief. Sie wollte sich umdrehen und stellte mit einem Anflug von Panik fest, dass ihr Körper ihr nicht gehorchte, stattdessen die Treppe, die zu Narutos Appartement führte, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit hinabeilte. Ihr Fuß glitt aus und sie bekam gerade noch rechtzeitig das Geländer zu fassen, um den Sturz abzufangen, strauchelte kurz, verlangsamte ihr Tempo allerdings nicht – wobei sie theoretisch gar nichts tat, außer mental Stopp zu kreischen, worauf der Körper, in den ihr Geist gepresst war, in keinster Weise reagierte. „Sasuke?“ Das war eindeutig ihre Stimme, die unglücklich durch die Dunkelheit irrte. Klang sie immer so weinerlich und verzweifelt? Kein Wunder, dass Sasuke sie für schwach hielt, sie war selbst genervt von ihrer eigenen Stimme. Allmählich dämmerte ihr auch, dass sie sich unlängst in seinem Genjutsu befand, unterdrückte den unweigerlichen Impuls, dagegen anzukämpfen, und konzentrierte sich stattdessen bestmöglich auf ihre Umgebung. Ihre Sicht war leicht verschwommen, schien zeitverzögert, als würde sie durch eine schlecht verarbeitete Fensterscheibe blicken. Sie mochte blinzeln, konnte aber freilich nicht. „Sasuke, hörst du mich?“, versuchte sie, irgendwie Kontakt zu ihm aufzunehmen, erhielt aber keine Antwort. Trotzdem glaubte sie, dass er auf einer Ebene da sein musste, immerhin war das sein Jutsu und er Herr dieser Welt, und das Wissen, dass er in der Realität nur einen Herzschlag entfernt war, vielleicht noch immer ihre Hand hielt, hatte etwas Tröstliches. Sakura spürte ihr Herz wie einen Fremdkörper gegen ihr Brustbein pochen, während sie wie benommen durch die Straßen Konohas torkelte. Das Laufen schien ihr schwerzufallen, denn sie stolperte wiederholt, zog missbilligende Blicke von Passanten, deren Gesichter unscharfe Farbkleckse blieben, auf sich. Sie fühlte die Kälte auf der Haut, die ihr nichts ausmachte, und einen Schmerz in der Brust, der doppelt wehtat, weil beide Sakuras ihn empfanden, doch zwischenzeitlich brandeten Wellen der Zuneigung für Sasuke auf und überrollten ihr schlechtes Gewissen, ertränkten es in der schieren Kraft der Fluten. Hoffentlich bekam er davon nichts mit, sie könnte ihm nie wieder ins Gesicht sehen. Sie bog in eine Seitengasse ein, entsann sich dunkel, Sasuke in ebenjener endlich gefunden zu haben, aber die Sakura aus ihrer Erinnerung erschrak freilich dennoch und beförderte sich, vermutlich sehr unelegant, in eine Hecke. Der Uchiha besaß genügend Anstand, sie nicht auszulachen, obgleich sie mehrere Versuche benötigte, um wieder auf die Beine zu kommen, es erst schaffte, als er sich ihrer erbarmte und sie am Arm hochzog. „Verfolgst du mich?“, fragte er mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. Sie gab eine beinahe unverständliche Erklärung ab, ihre Stimme klang verwaschen, ihre Zunge schien ganze Silben nicht mehr anständig artikulieren zu können. Es glich einem kleinen Wunder, dass er sie offenbar dennoch verstanden hatte. Sakura verschloss ihr inneres Auge vor der Peinlichkeit, was leider nichts nützte. Konnte er das Genjutsu nun bitte aufheben?! Sie hatte wahrlich genug gesehen, konnte auf den Rest getrost verzichten und Sasukes Erinnerung daran musste für ihren Geschmack ebenfalls nicht aufgefrischt werden. Ihr Körper schwankte bedrohlich vor und zurück und fiel schlussendlich förmlich in seine Arme. „Ups“, hörte sie sich albern kichern. „Dein Ernst?“ Sasuke verzog missbilligend das Gesicht und Sakura konnte es ihm wahrlich nicht verdenken. Er legte sich ihren Arm um die Schultern und schleifte sie mehr denn dass sie eigenständig ging durch das Dorf, während sie verworren vor sich hin plapperte, sich mehrmals für den missglückten Abend entschuldigte und ihm von ihrem Streit mit Ino vorjammerte, was sie, zu ihrem größten Verdruss, klingen ließ, als wären sie noch immer zwei vorpubertäre Zicken, die sich um einen Jungen kabbelten. Der Schwarzhaarige ertrug ihr unangemessenes Verhalten erstaunlich duldsam, stieß nur dann und wann ein genervtes Zischen aus. Wie von Sinnen war sie eigentlich gewesen?! Sie konnte nicht mal genießen, dass er sie gezwungenermaßen dicht an seinen Körper drückte, den Arm fest um ihre Taille geschlungen hielt. Plötzlich ließ sie sich mitten auf der Hauptstraße auf den Boden plumpsen. Sasuke versuchte noch, sie aufzufangen, doch sie entglitt ihm wie ein nasser Mehlsack. „Ich brauch ‘ne Pause“, hörte sie sich lallen und legte sich allen Ernstes flach auf den Rücken. Sasuke sah aus, als stünde er kurz davor, ihr eine zu scheuern. „Du kannst dich hier nicht hinlegen“, knurrte er und packte sie grob an den Oberarmen, um sie hochzuziehen. Sakura machte sich extra schwer, quengelte wie ein Kleinkind, dass sie müde war und – gütige Kami – wahrscheinlich brechen müsse. Wenn sie Sasuke buchstäblich ankotzte, würde sie zweifelsohne das Land verlassen. Seine Behauptung, dass sie ein bisschen neben der Spur gewesen wäre, war offenkundig eine deutliche Untertreibung gewesen. Sie wollte sich mit schierer Willenskraft dazu zwingen, sich nicht mehr derart daneben zu benehmen, doch freilich blieb der Versuch ebenso fruchtlos wie jene zuvor, weshalb sie das Genjutsu zu brechen versuchte, was jedoch ebenfalls misslang. Sasuke stieß seinen Atem geräuschvoll durch die Nase aus. Es hätte sie nicht gewundert, wenn ihm dabei Flammen aus den Nasenlöchern gezüngelt wären. Er war oft genervt von ihr, aber nie zuvor war er in diesem Maße genervt von ihr gewesen. Und völlig zurecht. Er zog seine Jacke aus und half ihr wie einem hilflosen Säugling in das Kleidungsstück. Sie war derart ausgekühlt, dass sie selbst in ihrer Erinnerung erbärmlich fror, hatte davon aber offensichtlich nichts bemerkt, denn sie drückte ihr Gesicht auf eine Weise, die ihr vernebeltes Gehirn vermutlich für unauffällig gehalten hatte, auffällig in den Stoff und inhalierte seinen Duft. Der Schwarzhaarige, der neben ihr hockte, krauste befremdet die Stirn, strich ihr aber plötzlich gänzlich unerwartet und ungewohnt sanft eine Haarsträhne aus der Stirn. „Na komm, ich bringe dich nach Hause, da kannst du dich… erholen.“ Den restlichen Weg schafften sie es sogar, sich einigermaßen gesittet zu unterhalten, obgleich Sakuras Kopf mehrmals auf Sasukes Schulter sackte und ihre Augenlider unaufhaltsam zugezogen wurden. „Schaffst du den Rest allein?“, fragte er vor ihrer Haustür. Sakura gab ein schläfriges Brummen von sich, woraufhin Sasuke sie vorsichtig losließ und einen Schritt zurücktrat. Sie öffnete die Tür, stieß sich das Kinn an ebenjener, als sie sich nochmals zu ihm umdrehte, um ihm zum Abschied zuzuwinken, schleppte sich die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, wobei sie wiederholt stolperte und gegen die Wände prallte, sodass ihr absolut unverständlich war, wie ihre Eltern von dem Radau nicht aufgewacht waren, ließ sich auf ihr Bett fallen und kippe bei dem Versuch, sich die Schuhe auszuziehen, um. Ihr Hinterkopf knallte hart gegen den Bettpfosten und knockte sie aus. Das erklärte dann wohl auch die hühnereigroße Beule, die sie am Morgen danach bemerkt hatte. Auf dem Sofa im Uchiha-Viertel kehrte Sakura in die Realität zurück und schlug unverzüglich die Hände vors Gesicht. „Das tut mir so unendlich leid“, murmelte sie beschämt zwischen ihren Fingern hindurch. „Konntest du wenigstens neue Erkenntnisse daraus ziehen?“, erkundigte er sich trocken. „Ja, dass ich auswandern muss und nie mehr das Haus verlassen werde.“ „Wenn du das Haus sowieso nie mehr verlassen willst, macht es wenig Sinn, vorher extra auszuwandern“, gab er amüsiert zu bedenken. Sakura lugte vorsichtig zwischen ihren Fingern hindurch. Weshalb war er so entspannt? Er hatte jeden Grund, stinkwütend auf sie zu sein. „Du hattest mit deiner Vermutung offensichtlich recht“, sagte sie betreten. „Ich werde Sensei Kakashi darüber informieren.“ „Mir wäre lieber, wenn du ihm nichts sagst“, entgegnete Sasuke schlagartig kühl. Sie legte den Kopf fragend schief, stimmte schließlich aber mit einem Nicken zu. Höchstwahrscheinlich war es tatsächlich besser, wenn sie dem Jōnin nicht auf die Nase band, dass Sasuke sie mit einem Genjutsu belegt hatte, auch wenn dies auf ihr eigenes Bitten hin geschehen war. „Kann ich mich irgendwie revanchieren? Deine Schulter heilen zum Beispiel.“ Nun war es an ihm, sie fragend anzusehen. „Woher…?“ „Das ist mein Beruf und für eine Ärztin ist deutlich zu sehen, dass du Schmerzen hast. Du belastest die Schulter kaum und deine Bewegungen sind verzögert.“ Seine Lippen verengten sich zu einem schmalen Strich. Natürlich fasste er ihre Beobachtung lieber als Affront gegen sich denn Zeugnis ihres Könnens auf. „Das ist nicht notwendig.“ „Bitte, du würdest mir einen Gefallen tun, wenn ich mich erkenntlich zeigen darf“, versuchte sie sich diplomatisch. Die Zeiger der Wanduhr tickten durch die aufkommende Stille. Sakura bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl sie nicht nachvollziehen konnte, was es an ihrem Angebot lange zu überlegen gab, und sein Benehmen in dieser Hinsicht ziemlich kindisch fand. Er hatte Schmerzen, mutmaßlich verursacht durch eine Verletzung unbekannten Ausmaßes, sie konnte helfen, ihm die Schmerzen nehmen, das wäre eine Sache von ein paar Minuten. Sein Zögern beanspruchte mehr Zeit, als sie vermutlich für den Heilungsprozess benötigen würde. Er wollte sich nur nicht helfen lassen, um sich nicht helfen zu lassen, weil er automatisch dachte, ihr dann etwas schuldig zu sein. Es sei denn – sie bemühte sich weiterhin um eine nichtssagende Mimik – er wollte nicht, dass sie seine Verletzung sah, weil deren Entstehung Fragen aufwerfen würde. Möglicherweise hatte sie doch ein bisschen misstrauisch ausgesehen, denn kaum war ihr der Gedanke gekommen, zog er sein Oberteil über den Kopf und entblößte seinen Oberkörper vor ihr. „D-du hättest n-nicht…“, stammelte sie und fixierte jeden Punkt im Raum, der nicht seine in anbetungswürdige Haut verpackten Muskeln waren. Die Hitze in ihr schien die Umgebungstemperatur zu steigern. Du bist eine Iryōnin, verdammt, rügte sie sich selbst, so ein bisschen nackte Haut wirst du ja wohl abkönnen. Aber das war Sasukes nackte Haut. Der anderen Sakura schossen Blutfontänen aus der Nase. Ein sardonisches Halblächeln zupfte an seinem Mundwinkel, als wüsste der Schuft ganz genau, was er mit ihr anstellte. Ihr glühender Teint ließ aber sicherlich wenig Freiraum für Interpretationen. Eventuell genoss er auch, sie in ihrem Spezialgebiet, einem Feld, auf dem sie normalerweise brillierte, wie eine blutige Anfängerin aussehen zu lassen. Oder es war seine Art, sie auf ihren Platz zu verweisen, sie zu bestrafen, weil er sich niemals in einem privaten Rahmen vor ihr entkleiden würde. Moment mal, was dachte sie überhaupt?! Konzentration, Sakura, Konzentration. Sie schluckte nicht vorhandenen Speichel in ihrem staubtrockenen Mund herunter und fokussierte sich auf seine Schulter. Er drehte ihr den Rücken zu, was sie prompt zischend Luft einsaugen ließ. Sein Schulterblatt war in einem hässlichen Violettton verfärbt, das Gelenk stach in einem unnatürlichen Winkel unter der Haut hervor. Er musste wahnsinnige Schmerzen haben, dieser Vollidiot. „Bist du eigentlich bescheuert“, blökte sie und boxte ihm überaus unprofessionell gegen die Schulter, was ihn das Gesicht verziehen und sie eine gewisse Genugtuung verspüren ließ. „Wieso hast du das noch nicht behandeln lassen? Oh, ich weiß, weil du kein Baby bist.“ Sie setzte das Wort Baby mit den Fingern in dramatische Anführungszeichen. „Dafür verhältst du dich ganz schön wie eins. Du bist so ein Sturkopf“, schimpfte sie. „Fertig?“ Er sah sie eiskalt über die Schulter an. Sakura grummelte leise vor sich hin, während sie seine Verletzung sanft abtastete. Das Schultergelenk war ausgekugelt, darüber hinaus stellte sie jedoch keine weiteren Blessuren fest, keine gebrochenen Knochen und das umliegende Gewebe war ebenfalls intakt. Dennoch glich einem Wunder, dass er den Arm überhaupt noch bewegen konnte. Sie hatte nicht übel Lust, ihm noch mal gegen die Schulter zu schlagen, fürchtete aber, dass er es ihr diesmal mit einer gebrochenen Nase vergelten würde. „Wie ist das passiert?“ „Training“, sagte er nur. Ihr Mund bildete eine schmale, weiße Linie. „Ich muss die Schulter einrenken. Das wird dir nicht gefallen, mir dafür umso mehr.“ „Seit wann bist du so sadistisch?“ Er erdreistete sich zu einem schiefen Schmunzeln. „Seit ich mit idiotischen Patienten zu tun habe, die es verdienen“, entgegnete sie grollend. „Leg dich hin.“ Irgendetwas daran ließ ihn spöttisch auflachen, aber er kam ihrer Aufforderung nach und sie beförderte den Knochenkopf seines Oberarms mit einem Knirschen und einigem Kraftaufwand zurück in die Gelenkpfanne. Sasuke zuckte nicht mal. „Bleib noch einen Moment liegen“, instruierte sie, als er sich direkt wieder aufsetzen wollte, und unterstrich die Aussage, indem sie ihre Hand auf seine Brust legte und ihn nach hinten drückte. „Du musst ins Krankenhaus, du brauchst eine Armschlinge und anschließend mindestens eine Woche Ruhe, besser wären zwei.“ Er schnaubte empört, als hätte sie sonst was von ihm verlangt und aus seiner Perspektive hatte sie das vermutlich auch. „Es ist mir Ernst, Sasuke, du musst sorgsamer mit dir umgehen, mehr auf dich achten. Zwei Wochen Ruhe bringen dich nicht um.“ „Weißt du eigentlich, wie sehr der Körper in zwei Wochen abbaut?“ „Zufällig ja, ich bin Ärztin“, erwiderte sie schnippisch, indes sie ihr heilendes Chakra in ihn fließen ließ, um die Schmerzen und die Schwellung zu lindern. „Ich sehe natürlich vollkommen ein, dass eine Schlinge zu tragen viel schlimmer ist, als den Arm zu verlieren.“ „Laufe ich denn Gefahr, den Arm zu verlieren?“, fragte er sarkastisch. Sie sah ihn streng an, seufzte dann leise. „Ich frage mich, wofür du dich bestrafst, weshalb du offenbar der Meinung bist, das verdient zu haben.“ „Du weißt gar nichts. Tu nicht so, als würdest du mich kennen“, blaffte er und riss sie am Handgelenk von sich weg. Ihr Puls hämmert gegen seine Fingerspitzen. „Woher auch, du redest nie mit mir.“ „Warum sollte ich.“ „Ich glaube, dieses Gespräch haben wir schon ein paar Mal in einigen Facetten durchgespielt“, sagte sie resigniert und entwand ihm ihr Handgelenk. „Du willst mir nichts erzählen und ich kann dich schlecht dazu zwingen, aber du kannst mich ebenso wenig zwingen, dass ich aufhöre, mich um dich zu sorgen.“ „Sicher?“ Er setzte sich schlagartig auf, sein Gesicht schwebte nur Zentimeter vor ihrem. Jedem anderen wäre die Situation vermutlich bedrohlich vorgekommen, doch die Intensität seines Blickes, sein heißer Atem auf ihrer Haut und der Umstand, dass sein Oberkörper noch immer unbekleidet war, sorgten lediglich dafür, dass sich ihr Unterleib zusammenzog. Sakuras Augen rutschten auf seine Lippen, blieben zu lange dort hängen, als dass es ihm entgangen sein konnte. Sie sah rasch zur Seite weg und rückte von ihm ab, ehe ihr hormonverhageltes Gehirn komplett aussetzen und sie zu einer riesengroßen Dummheit verleiten konnte. „Sicher“, meinte sie nachdrücklich. „Du bist mein Freund. Es gibt Schlechteres, als Freunde zu haben, weißt du.“ „Tzz“, zischte er verächtlich, glitt endgültig von dem Sofa und streifte sein Oberteil über. „Ich habe die nächsten Tage übrigens keine Zeit für dich, ich habe Wichtigeres zu tun“, informierte er sie und stolzierte erhobenen Hauptes an ihr vorbei. Es gab nur wenige Menschen, die überzeugend stolzieren konnten, aber Sasuke gehörte eindeutig dazu. Kalte Herbstluft blies in das Zimmer und wirbelte Staub auf, als er sie, ohne eine Entgegnung ihrerseits abzuwarten, stehenließ. Sakura hatte sowieso nichts dazu zu sagen. Nachdenklich lief sie durch das Uchiha-Viertel, das Gesicht gegen den eisigen Wind tief in ihrem Schal vergraben. Ihre Wangen brannten dennoch, vor Kälte diesmal. Woran leg es, dass er, jedes Mal, wenn sie sich ein wenig näherzukommen schienen, wenn sie – durfte sie es zu denken wagen? – einen Moment hatten, danach besonders mauerte, es regelrecht darauf anlegte, ihr Gespräch in einen Streit münden zu lassen? Es stimmte, sie würde sich immer um ihn sorgen, doch die andere Wahrheit war, dass jedes Aufeinandertreffen mit ihm ihre Kräfte absaugte, als hätte man den Stöpsel in der Badewanne gezogen. Und es brachte nicht mal etwas; sie würde ihm noch das letzte Quäntchen ihrer Energie schenken, wenn es ihm wenigstens helfen würde. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, wodurch sie erschrocken zurückzuckte, als sie plötzlich sanft an den Oberarmen gepackt und ein Stückchen zurückgeschoben wurde. „Hoppla“, grinste Shisui freundlich zu ihr herunter und hielt sie auf Armeslänge von sich. Offenbar wäre sie fast in ihn hineingelaufen. „Verzeihen Sie bitte, ich habe nicht aufgepasst“, sagte sie und verbeugte sich vor ihm. Seine Hände rutschten von ihren Armen. „Mir tut es leid, dich aus deinen Gedanken gerissen zu haben. Du sahst so nachdenklich aus, dass dir bestimmt gleich eine wichtige Erkenntnis gekommen wäre, wenn ich nicht im Weg gestanden hätte.“ Er kratzte sich sympathisch lachend am Hinterkopf und erinnerte sie damit irgendwie an Naruto. „Dafür müsste ich wahrscheinlich bis nach Iwagakure durchlaufen“, wusste sie betrübt. „Die wenigsten lohnenden Ziele sind ohne Mühe und Fleiß erreicht.“ Sakura lächelte ihn unverbindlich an. Derartige Plattitüden schmetterte Sensei Kakashi ihr ebenfalls gern friss-oder-stirb-mäßig um die Ohren, wirklich hilfreich oder tröstlich waren sie selten. „Sakura, richtig?“ „Ähm… ja“, bestätigte sie verdutzt. Woher kannte er ihren Namen? Hatte Sasuke über sie gesprochen? So schön wie der Gedanke war – wobei sicherlich nicht gesagt war, dass er sich positiv über sie geäußert haben musste –, so unwahrscheinlich war er leider auch. Hatte er sich bei Sasuke über sie erkundigt? Etwas wahrscheinlicher, immerhin schien ihm etwas daran zu liegen, dass Sasuke soziale Kontakte außerhalb seines Clans pflegte. Oder traf ihr einstiger Verdacht, dass er sie im Auge behielt, etwa doch zu? Eigentlich auch nicht sonderlich wahrscheinlich, da sie ihn für zu klug hielt, um sich derart plump zu verraten. Außer natürlich er bezweckte etwas damit, eine subtile Drohung etwa. Sie schüttelte leicht den Kopf. Vermutlich hatte er sich ihren Namen einfach gemerkt, als Lady Tsunade ihn beauftragt hatte, sie in ihr Büro zu eskortieren. Sie entspannte sich etwas. „Hast du dich mit Sasuke getroffen?“ „Ähm…“, machte sie nicht besonders eloquent und errötete. „Ja?“ Hoffentlich machte Sasuke sie dafür keinen Kopf kürzer, andererseits übernahm Shisui das womöglich, wenn ihm ihre Antwort, was sie hier zu suchen hatte, nicht gefiel, schließlich hatte sie bereits gemerkt, dass die Uchihas Außenstehende nicht gern in ihrem Viertel sahen. „Das ist schön.“ Er kniff die Augen freundlich zusammen, als fände er das wirklich. „Ähm, ja.“ Allmächtige, jetzt reichte es aber wirklich. Sie verpasste sich eine mentale Ohrfeige. „Da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht für Ihre Hilfe mit Ino bedankt.“ „Ino?“ Er drehte die Augen überlegend gen Himmel, brauchte allerdings nicht lange, um auf die Lösung zu kommen. „Deine blonde Freundin, oder? Nicht der Rede wert. Wie geht es dem Mädchen?“ „Besser“, behauptete sie. „Immer noch Streit, hm?“ Sakura senkte den Blick betreten auf ihre Schuhspitzen. War sie wirklich so durchschaubar oder lag es an der schier übermenschlichen Wahrnehmung der Uchihas? „Ihr seid jung, in eurem Alter neigt man dazu, Kleinigkeiten stärker aufzubauschen als sie verdienen.“ „Sagen Sie das ihr.“ Shisui schnalzte mit der Zunge. „Wenn du ehrlich mit dir bist, wirst du feststellen, dass zu sowas immer zwei gehören.“ „Aber ich habe nichts Falsches gemacht“, begehrte sie auf. Er seufzte, nicht genervt, nicht unfreundlich, aber so, wie man eben seufzte, wenn man sein Gegenüber ein bisschen albern fand. Er beherrschte es nicht weniger gut als Sasuke, hinterließ aber einen ganz anderen Eindruck. „Ich kann das natürlich nicht beurteilen, aber der Punkt ist doch, dass ihr entweder nie mehr miteinander redet oder einer von euch beiden nachgibt. Freunde sind wichtiger als falscher Stolz, meinst du nicht?“ „Hmm“, brummte sie und scharrte mit dem Fuß über den Boden. Shisui lächelte sie wieder auf diese freundliche Art an, klapste ihr sogar ermutigend auf die Schulter. Die Geste ließ ihn erstaunlich unbeholfen erscheinen, dann trat er einen halben Schritt zurück und verschränkte die Arme locker vor der Brust. „Ich hoffe, Sasuke war nicht allzu grantig zu dir. Er ist in letzter Zeit besonders reizbar und ihr seid heute verdächtig zeitig fertig.“ „Was?“, fragte sie belämmert und sah ihn mit großen Augen an. „Na, ihr trefft euch doch regelmäßig, um was auch immer zu machen.“ „S-so ist das nicht“, korrigierte sie hektisch und wedelte abwehrend mit den Händen vor sich herum. „Sasuke und ich sind nicht… wir machen kein, was auch immer.“ Der Schock, was er indirekt angedeutet hatte, saß tiefer als der, dass er offensichtlich genaustens über ihre eigentlich geheimen Treffen Bescheid wusste. „Natürlich nicht, ansonsten hätte er nicht so schlechte Laune“, lachte Shisui, stockte und riss leicht die Augen auf. „Das kam… unangemessen rüber.“ „Ein bisschen“, bestätigte Sakura beschämt. Ihr Kopf musste einer überreifen Tomate gleichen und stand vermutlich ebenso kurz vorm Platzen. „Ich wollte damit nicht andeuten… naja, lassen wir das lieber, bevor ich mich um Kopf und Kragen rede“, sagte er verlegen. „Woher“, sie räusperte gegen ihre piepsige Stimme an, „wissen Sie davon?“ „Ist das ein Geheimnis?“ Seine Brauen verschwanden gänzlich unter seinem Stirnband. „Ihr seid nämlich nicht besonders unauffällig.“ „Sasuke bringt mich um“, klagte sie weinerlich und ließ den Kopf hängen. „Ach was, ist doch nicht deine Schuld“, versuchte er sie zu trösten und tätschelte abermals ihre Schulter, was noch unbeholfener als beim ersten Mal wirkte. „Das wird ihn aber nicht interessieren.“ Shisui wackelte mit dem Kopf, als wäre ihr Einwand durchaus nicht unberechtigt. „Du konntest es aber nicht besser wissen, er schon. Euch alle paar Tage in unserem Viertel zu treffen und anzunehmen, dass das niemandem auffällt, wäre naiv und das ist er nicht.“ Er zuckte nonchalant die Achseln, damit sie mit seiner Aussage machen konnte, was sie wollte. „Ich will dich nicht stehenlassen, aber ich muss leider los. Ich bin mit jemandem verabredet und sowieso schon viel zu spät dran. Lass dich nicht unterkriegen.“ Er hob die Hand zum Abschied und entfernte sich mit einem Satz von ihr. „Warten Sie bitte“, rief sie ihm nach und überbrückte die Distanz, die er bereits zwischen sie gebracht hatte, im Laufschritt. Er schaute ihr fragend entgegen. „Sasuke hat eine ziemlich üble Schulterverletzung.“ Sie klang ein bisschen vorwurfsvoll. „Ich konnte ihn heilen, allerdings muss er sich jetzt unbedingt schonen. Das habe ich ihm gesagt, aber, naja, Sie kennen ihn selbst. Als seine Ärztin…“, was großzügig ausgelegt war und sie in diesem Fall sogar gegen ihre Schweigepflicht verstoßen hätte, „muss ich unbedingt darauf bestehen, dass Sie als sein Sensei Rücksicht darauf nehmen. Kein Training für zwei Wochen.“ Sie unterstrich ihre Anordnung noch, indem sie gebieterisch das Kinn reckte. Die Überraschung ob dieser Information spiegelte sich keine Sekunde auf seinem Gesicht wider, trotzdem entging sie ihr nicht. „In Ordnung, ich werde darauf achten“, versprach er mit einem Grinsen, das ihr plötzlich fürchterlich falsch vorkam, hob abermals die Hand und war mit einem Satz verschwunden. Sakura vergrub ihre Hände tief in den Jackentaschen. Shisui hatte offensichtlich keine Ahnung gehabt, ergo hatte er Sasuke diese Verletzung auch nicht zugefügt. Die Art ebenjener schloss jedoch aus, dass er sie selbst verursacht haben konnte. Natürlich hätte Sasuke mit jemand anderem trainiert haben können… theoretisch jedenfalls. Sie kniff die Augen zusammen und machte sich auf den Heimweg. Dass sie aufmerksam beobachtet wurde, bemerkte sie nicht. Kapitel 9: Das Mädchen mit den schönen Augen -------------------------------------------- Sakura kuschelte das Gesicht tiefer in ihren Schal, um sich vor der klirrenden Kälte zu schützen, als sie den vertrauten Weg zum Krankenhaus zurücklegte. In der vergangenen Nacht hatte es zu schneien begonnen; dicke, nasse Flocken fielen aus stahlgrauen Wolken, tanzten sekundenlang anmutig im Wind, überpuderten das Dorf mit einer glitzernden Schneedecke und türmten sich knöchelhoch auf den Straßen. Der Anblick hatte etwas Beruhigendes, etwas Friedliches und wie immer, wenn es schneite, schien die Welt leiser geworden zu sein. Sie winkte Sensei Iruka zu, der seine Klasse halbherzig zu ermahnen versuchte, sich zu benehmen, dafür aber selbst viel zu offensichtlichen Spaß daran hatte, sich eine Schneeballschlacht mit den Kindern zu liefern. Der Chūnin grüßte zurück und bezahlte den Augenblick der Unachtsamkeit mit einem Schneeball im Gesicht. „Jaha!“, brüllte eine ihr allzu bekannte Stimme und im nächsten Moment tauchte ein blonder Schopf hinter einem Wall aus Schnee auf. „Spitze, Boss“, schleimte Konohamaru und reichte Naruto den nächsten Schneeball, die fleißig von Moegi und Udon nachproduziert wurden. Die anderen Kinder schmissen ihre Schneebälle kreuz und quer und reichlich systemlos auf ihren Lehrer, der ob der schieren Menge dennoch in die Defensive gedrängt wurde. „Hey, sieh mal, Boss, da ist deine Freundin“, sagte Moegi plötzlich und deutete mit dem Finger auf die Rosahaarige, die sich umblickte, obwohl sie sich mittlerweile daran gewöhnt haben sollte, dass die drei sie ständig als Narutos Freundin bezeichneten. „Meine Freundin?“, echote Naruto verblüfft und entdeckte Sakura, die ihre Wangen heiß werden spürte. „Oh, ähm, entschuldigt mich mal kurz“, meinte er und ging unter dem allgemeinen Protestgezeter der Kinder auf sie zu. „Aber, Boss, wir sind hier im Krieg“, rief Konohamaru ihm anklagend nach und warf einen Schneeball, der den Blonden seitlich im Gesicht traf. Schnee rieselte in seinen Kragen. „Das gilt“, jubelte Iruka. „Eins zu eins.“ „Ähm, hi“, grüßte Naruto sie verlegen. „Hi“, erwiderte sie und musste grinsen. „Du hast da…“ Sie tippte sich gegen die Augenbraue. Er rieb über die angezeigte Stelle, aber der Schnee, den Konohamarus Angriff hinterlassen hatte, hing noch immer in den dichten, blonden Härchen fest. „Lass mich mal“, schmunzelte sie und zupfte die festgefrorenen Krümel vorsichtig ab. Sein Gesicht war von der Kälte gerötet, seine Handschuhe löchrig, aber er trug Hinatas Schal, was sie stellvertretend für die Blauhaarige freute. „Ich hab darüber nachgedacht, was du letztes Mal zu mir gesagt hast“, sagte er ernst. „Wenn du der Meinung bist, dass wir Sasuke helfen können, dann… bin ich dabei, echt jetzt.“ Sakuras Gesicht leuchtete auf und sie fiel ihm dankbar um den Hals. Er wickelte seine Arme um ihren Rücken und abermals bemerkte sie, dass ihre Umarmung vielleicht einen Moment zu lange andauerte, um vollkommen unschuldig zu sein. Im Hintergrund stieß jemand einen anzüglichen Pfiff aus, der die beiden schließlich dazu brachte, sich voneinander zu lösen. Auf ihren Wangen schmolzen Schneeflocken, doch sie lächelte noch immer, als sei es auf ihren Lippen festgefroren. „Danke, Naruto. Ich bin sicher, dass es Sasuke helfen wird, wenn er merkt, dass es Menschen gibt, die geschlossen hinter ihm stehen.“ „Jah, mal sehen“, meinte er gedehnt und kratzte sich an der Nase, auf der eine einzelne Schneeflocke gelandet war. „Gehst du eigentlich zum Gründerfest?“ Verblüfft über den abrupten Themenwechseln blinzelte sie, fand jedoch rasch zu einem genervten Lächeln zurück. „Ja, es sieht blöd aus, wenn ich, als Lady Tsunades Schülerin, nicht hingehe, aber Lust habe ich keine. Was ist mit dir?“ „Ich gehe mit Hinata.“ „Das ist toll, da wird sie sich bestimmt freuen“, sagte sie sofort und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps gegen die Schulter. „Lade sie aber auch zum Essen ein, okay.“ „Wozu denn?“, fragte er ehrlich irritiert, was sie die Augen verdrehen ließ. „Das gehört sich so, also mach’s einfach.“ „Aber Hinata hat mich eingeladen, das heißt doch, dass sie bezahlt“, wusste er und sah sie treudoof aus seinen großen, blauen Iriden an. „Dir ist echt nicht zu helfen“, kicherte Sakura mit der Hand vorm Mund. Sie überlegte, ob sie Naruto einen Tipp geben sollte, befand jedoch, dass es ihr nicht zustand, sich noch mehr in die Angelegenheiten der beiden einzumischen. Andererseits hatte es Hinata vermutlich geradezu übermenschliche Überwindung gekostet, ihren Langzeitschwarm um ein Date zu bitten, und wenn Naruto sich, nun ja, wie Naruto verhielt, würde sie sicherlich nie wieder die nötige Courage aufbringen. Er zog einen Schmollmund, der sie erst recht in Gelächter ausbrechen ließ. „Das ist nicht lustig“, maulte er, dann hellte sich sein Gesicht schlagartig auf, seine Augen glitzerten wie der Schnee, der sich in seinem Haar verfangen hatte. „Wieso kommst du nicht einfach mit?“ „Ach, Naruto“, seufzte sie nachsichtig lächelnd. „Ich denke nicht, dass Hinata das recht wäre.“ „Warum sollte sie etwas dagegen haben? Du bist enger mit ihr befreundet als ich und du würdest mir damit einen Gefallen tun, echt jetzt.“ Er beugte sich ein Stückchen zu ihr herunter, um ihr vertraulich ins Ohr zu flüstern: „Hinata ist ja ganz nett, aber ich finde sie echt schräg.“ „Das ist fies“, tadelte sie und boxte ihn in den Bauch, was er mit einem langgezogenen Uff quittierte. „Sie ist ein liebes Mädchen, also benimm dich anständig, sag ihr, dass sie hübsch aussieht, und kauf ihr einen Talisman, oder so.“ Naruto rieb sich grummelnd die Magengegend, gab sich aber mit einem „Wenn du meinst“ geschlagen. Sakura hoffte, damit ihren Beitrag als Kupplerin endgültig geleistet zu haben; alles Weitere hing von Hinata ab… und natürlich von Narutos Gefühlen. „Also dann, wir sehen uns wahrscheinlich auf dem Fest. Ich werde ein Auge darauf haben, dass du lieb zu Hinata bist“, ermahnte sie ihn grinsend. „Hmm“, brummte er und sah zu Sakuras Frustration nicht sonderlich glücklich aus. „Ich fände trotzdem besser, wenn wir alle zusammen hingehen, als Gruppe. Worüber soll ich mich denn mit ihr unterhalten? Sie redet doch kaum mit mir, wahrscheinlich mag sie mich nicht mal.“ „Sie mag dich“, versicherte Sakura und streichelte demonstrativ über den roten Wollschal. „Sehr sogar“, ergänzte sie vielsagend, glaubte aber nicht, dass er den Wink verstand. Naruto umfasste ihre Finger, die seinen Schal berührten, wodurch ihre Handfläche für einen Augenblick gegen seine Brust gedrückt wurde. Sie spürte sein Herz langsam und kraftvoll darunter pochen, ehe sie ihm die Hand entzog, in der Luft zur Faust ballte und schließlich in ihrer Jackentasche verschwinden ließ. „Ich würde trotzdem lieber mit dir hingehen, wir sind doch ein Team.“ Er grinste schief und sie schluckte hart. In ihrem Körper flatterte ein Gefühl auf, das sie vage an Sasuke erinnerte. „Es wäre ziemlich unhöflich, dass vor Hinata zu erwähnen“, erinnerte sie ihn vorsichtshalber, weil sie ihm durchaus zutraute, ihr genau das an den Kopf zu werfen. „Jetzt muss ich aber wirklich los; Ino wird heute aus dem Krankenhaus entlassen und ich wollte sie abholen.“ „Soll ich mitkommen?“ „Nein, das muss ich allein machen. Außerdem glaube ich, dass dein Typ gefordert ist.“ Sie deutete auf die Schneeballschlacht, die mittlerweile in vollem Gange war. Iruka hatte irgendwann Unterstützung von Gai und Lee bekommen, die unter frenetischem Kampfgebrüll ein Kind nach dem anderen mit ihren Schneebällen ausknockten. Der Lehrer sah unterdessen nur noch panisch aus und rannte besorgt zwischen den Kindern herum, die reihenweise zu Boden gingen. Sie wandte sich zum Gehen, als Naruto sie am Arm zurückhielt, sie aber gleich darauf wieder freigab, sodass sie sich nur mit einer La-Ola-Welle ihrer Finger verabschiedete. Als sie sich nach ein paar Schritten nochmals zu ihm umdrehte, steckte er bereits mitten im Kampfgetümmel und sie setzte ihren Weg mit einem leisen Grinsen auf den Lippen fort. Sakura war noch nicht weit gekommen – der Radau der eisig-nassen Schlacht war noch deutlich zu hören –, da überkam sie das untrügliche Gefühl, verfolgt zu werden. Blitzschnell analysierte sie ihre Umgebung; überall waren Menschen, Shinobi sowie Zivilisten, sodass sie sich etwas entspannte, da nicht mal Hidan dreist genug wäre, sie hier und jetzt anzugreifen. Hoffte sie. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte der silberhaarige Yu-Nin sich seit dem Angriff auf Ino verdächtig bedeckt gehalten. Die Frage war, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Sie blieb vor einem Kleidergeschäft stehen und tat, als interessiere sie sich für die Auslage, während sie die Straße hinter sich aufmerksam in der Spiegelung der Scheibe beobachtete. Es dauerte nicht lange, bis ein ihr bekannter Shinobi an ihr vorbeilief. Ihre Augen trafen sich im Glas und sie wirbelte auf dem Absatz herum und fauchte: „Du? Wieso verfolgst du mich?“ „Hättest du wohl gern. Ist doch nicht meine Schuld, wenn du vor mir hergehst, hm“, maulte Deidara und versteckte halbherzig einen Blumenstraß hinter dem Rücken, was ihn wie einen kleinen Jungen aussehen ließ. „Klar“, höhnte sie. „Hat Hidan dich dazu angestiftet?“ „Der hat mir gar nichts zu sagen“, blökte er zurück und verzog die Lippen zu einem fiesen Schmunzeln. „Ich richte ihm aber gern aus, dass du an ihn denkst. Da freut er sich.“ Sein ekelhaft selbstgefälliger Gesichtsausdruck ließ sie die Nase rümpfen. „Ich verzichte, aber du kannst mir sagen, was du von mir willst.“ „Ich? Von dir?“ Nun war es an Deidara, die Nase zu rümpfen, was ein klitzekleines bisschen kränkend war. „Sorry, aber du bist nicht mein Typ.“ „Will ich auch gar nicht sein“, erwiderte sie gereizt, wandte sich ab und setzte ihren Weg fort. Der blonde Iwa-Nin klebte ihr dicht an den Hacken. „Kannst du mal aufhören, mir wie ein verknalltes Schulmädchen nachzurennen?!“, giftete sie ihn über ihre Schulter an. „Was kann ich dafür, wenn du mit deinem fetten Hintern die ganze Straße blockierst!“ Fetter Hintern!!! Die andere Sakura spuckte Gift und Galle. Sakura sammelte Chakra in ihrer Faust und rammte diese in den Boden, wo sich Millisekunden zuvor noch Deidaras Zehen befunden hatten. Schneematsch spritzte durch die Luft und regnete auf die Passanten herab, die sich teils ängstlich, teils wüst schimpfend in Sicherheit brachten. Deidara war ihrem Schlag mit einem katzengleichen Sprung ausgewichen, warf die lange blonde Mähne nach hinten und funkelte sie mit einem gefährlichen Glanz in den silbrig grau-blauen Augen an, der Sakura bereuen ließ, es mitten auf der Straße zu einem Streit kommen gelassen zu haben. Sie hatte diesen Ausdruck schon ein paar Mal gesehen; immer an Shinobi, deren Kampfeshunger keine Rücksicht auf Verluste nahm. Sie ging in Verteidigungsposition, doch alles, was er tat, war beigefarbenen Matsch aus seinen Gürteltaschen zu holen und diesen in den Händen zu kneten. Sie hörte Schmatzgeräusche und plötzlich sah sie, wie eine Zunge aus seinen Handflächen schnellte und einen kleinen Tonvogel ausspuckte. „Eww“, machte sie angeekelt, war halb schockiert, halb fasziniert, welche Absonderlichkeit der Natur dafür gesorgt hatte, dass er Münder auf – oder in? – den Händen hatte. Deidaras Stirnader schwoll bedrohlich an. „Das Einzige, was hier ‚eww‘ ist, ist deine Visage, du hässliche Kuh“, schnappte er beleidigt. „Du solltest mir danken, dass ich dein Gesicht mit meiner Kunst korrigieren werden.“ Der Glanz in seinen Augen nahm etwas Manisches an, als sich diese auf einmal entsetzt weiteten und er den tönernen Vogel auf seiner Handfläche zerquetschte. „Was? Was ist hier los? Wie hast du das gemacht?“, fragte er aufgebracht und kämpfte sichtlich gegen eine Art Paralyse an, die von seinem Körper Besitz ergriffen zu haben schien. Im ersten Moment glaubte sie, dass er bluffte, doch dann bemerkte sie einen langgezogenen, unnatürlich substanziellen Schatten, der sich gänzlich unbemerkt mit Deidaras verbunden hatte. „Ha“, lachte sie auf und drehte sich zu Shikamaru um, dessen geballte Faust den Blonden gezwungen hatte, die Tonfigur zu zerstören. Ino und Chōji standen neben ihm. „Hast du ‘ne Macke, Blondie. Niemand außer mir beleidigt Sakuras Gesicht“, schimpfte Ino, die Hände in die Hüften gestemmt. „Spinnst du? Hier geht es ja wohl darum, dass diese beiden Idioten nicht mitten im Dorf kämpfen können. Man ihr nervt vielleicht“, meckerte Shikamaru. „Wen nennst du Idiot, du Ananasbirne“, keifte Deidara und wehrte sich verbissen gegen Shikamarus Schattenbesitz, der sichtlich Mühe hatte, den wutschäumenden Iwa-Nin unter seiner Kontrolle zu halten. „Was machen wir jetzt mit ihm?“, wollte Chōji wissen. „Ihr macht gar nichts mit ihm, Fettklops“, rief eine schneidende Frauenstimme. Eine burschikose Kunoichi mit kurzem schwarzem Haar sprang über die Dächer auf das Fünfergrüppchen zu und landete neben Deidara, gefolgt von einem hünenhaften Ninja, der den Akimichi in Breite um mindestens das Doppelte überbot. „Geht es dir gut, Deidara-nii?“ „Du sollst mich nicht so nennen, hm“, brummte der Blonde verstimmt, während Chōji zeterte: „Ich hab schwere Knochen, Bohnenstange.“ „Klappe, Chōji“, meckerte Ino und strangulierte ihren Teamkameraden fast, als sie ihn an seinem Schal präventiv zurückriss. Shikamaru grummelte genervt vor sich hin, ehe er sagte: „Hört mal, Leute, wir suchen keinen Stress, aber es geht nicht, dass ihr mitten im Dorf Stunk macht.“ „Die Tussi da hat mich zuerst angegriffen“, moserte Deidara. „Ich?“, fauchte Ino. „Du hast sie doch nicht mehr alle.“ Deidara blinzelte irritiert. „Ähm, nein, hm, die Hässliche da.“ „Hässlich?“ Sakura wollte sich auf ihn stürzen, wurde nun jedoch selbst von Shikamarus Schattenbesitz bewegungsunfähig gemacht. „Ihr seid doch alle total bescheuert“, wusste der Schwarzhaarige und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich schlage vor, dass wir die Sache vergessen“, merkte der Riese an. „Deidara kann manchmal ein bisschen hitzköpfig sein und seine Technik würde hier ziemlich viel Schaden anrichten. Es sollte in unser aller Interesse sein, Frieden zwischen unseren Nationen herzustellen.“ Die schwarzhaarige Iwa-Nin kicherte sardonisch und streichelte dem Blonden sanft über die Wange. „Da hat er recht, das Temperament unseres Deidara explodiert manchmal regelrecht.“ Irgendwas daran schien sie köstlich zu amüsieren. „Ich bin überhaupt kein Hitzkopf“, brauste er auf und zog einen Flunsch, der ihn fast schon niedlich aussehen ließ. „Dann sind wir uns einig?“, fragte Shikamaru in die Runde und sah aus irgendeinem Grund vor allem Sakura besonders lange an, die zähneknirschend zustimmte. Deidara machte nicht den Eindruck, dass er die Situation kampflos auf sich beruhen lassen wollte, weswegen der Riese ihn kurzerhand über die Schulter warf und unter dem heftigen Protestgeschrei des Blonden von dannen trottete. Die Frau warf ihnen einen letzten abschätzigen Blick zu, bevor sie ihnen folgte. „Was sollte das denn?“, wandte Shikamaru sich an Sakura. „Weißt du nicht, dass der Typ zu Iwagakures Bakuha Butai gehört? Der hätte das gesamte Viertel in die Luft sprengen können.“ „Nein, das wusste ich nicht“, sagte sie kleinlaut, wollte sich damit rechtfertigen, dass sie, selbst wenn sie Kenntnis darüber besessen hätte, doch nicht hätte ahnen können, dass er wegen eines kindischen Disputs so weit gegangen wäre, wusste aber, dass es naiv und selbstgerecht wäre, sich hinter ihren eigenen moralischen Prinzipien zu verstecken. Nur weil sie ein paar tote Zivilisten nicht als Kollateralschaden hinnehmen würde, kannte sie die Welt, in der sie lebte, schließlich gut genug, um zu wissen, dass sie mit ihren Ansichten zwar nicht die Ausnahme, aber doch die Minderheit stellte. „Bin ich mal wieder der Einzige, der sich informiert hat“, stöhnte er genervt, wodurch sich Sakura noch dümmer und beschämter fühlte. „Lass gut sein, Shikamaru. Wir können nicht alle allwissend sein wie du“, intervenierte Ino und klaubte den Blumenstrauß vom Boden, den Deidara irgendwann fallengelassen hatte. „So eine Verschwendung.“ Sie zupfte das zerknitterte, durchnässte Einschlagpapier zurecht. Die Blicke der Mädchen kreuzten sich, ehe sie beide fast im selben Moment seitlich wegsahen. „Wie- wie geht es dir?“, fragte Sakura. „Gut“, antwortete Ino und zupfte abermals an dem Papier des Boquetes herum, um Sakura nicht ansehen zu müssen, die ihrerseits mit dem Fuß im Schnee scharrte. Shikamaru sah von der Blonden zu der Rosahaarigen und wieder zurück. Wie so oft vermittelte er den Eindruck, dass er die Situation lange vor allen anderen erfasst hatte und genervt davon war, dass sich seine Umwelt nicht seiner Denkgeschwindigkeit anpasste. „Wir lassen euch dann mal.“ „Aber wir wollten doch alle zusammen zu Yakiniku Q“, jammerte Chōji. „Geht schon mal vor, ich komme dann nach“, meinte Ino „Aber…“ Der brünette Akimichi warf Sakura einen für seine Verhältnisse bitterbösen Blick zu, was nur davon getrübt wurde, dass sein Magen deutlich vernehmbar knurrte. „Jetzt komm endlich, du Vielfraß.“ „Aber“, beharrte Chōji erneut, „Asuma bezahlt vielleicht nicht, wenn wir ohne Ino auftauchen.“ „Ich glaub’s ja nicht“, motzte Shikamaru, packte den Dicken am Stoff seiner Jacke und schleifte ihn hinter sich her. Ino schaute ihnen nach, doch als sie um die Ecke verschwanden, hatte sie nichts mehr, worauf sie sich konzentrieren konnte. „Tut mir leid“, sagte sie in derselben Sekunde, in der Sakura ihre Entschuldigung hauchte. Abermals sahen die Mädchen in verschiedene Richtungen. Sakura kratzte sich am Arm, der psychosomatisch zu jucken begonnen hatte. Um sie herum erholten sich die Passanten von ihrem Schreck und gingen wieder ihrem Tagewerk nach. Sakura inhalierte die eiskalte Luft in ihre Lunge, gemeinsam mit ein paar Schneeflocken, die sie trocken aushustete. Ihr Kopf tat ein bisschen weh. „Ich… also ich wollte mich entschuldigen, wegen der Sache mit Sasuke“, sagte sie so schnell, wie ihre Mutter ihr als Kind Pflaster abzureißen gepflegt hatte. Es war unangenehm und es hinterließ ein fieses Brennen, aber immerhin war der Moment rasch vorüber. „Welche Sache meinst du? Dass du mich wegen ihm angelogen hast oder…“ „Ich habe nicht gelogen“, ging Sakura dazwischen und knirschte mit den Zähnen, verärgert, dass Ino es nicht auf sich beruhen lassen konnte. „Dann liebst du ihn nicht?“ So wie die Blondhaarige sie ansah, war es definitiv keine Frage. „Weiß nicht, vielleicht.“ Sie vergrub die eiskalten Hände in den Taschen und kickte Schneeklumpen vor sich her. „Ich denke nicht wirklich darüber nach. In ihn verliebt zu sein, wäre jetzt genauso aussichtslos wie in unseren Akademiezeiten, vielleicht sogar aussichtsloser.“ Sie pustete frustriert eine Haarsträhne aus den Augen, die der Wind ihr ins Gesicht gepeitscht hatte. „Ich war mal über ihn hinweg.“ Aber Gefühle waren eine seltsame Sache; manchmal lebten sie im Inneren fort, wartend, lauernd, bis man sie fast vergessen hatte, und dann wühlten sie sich zurück an die Oberfläche. „Hmm“, machte sie nur. Die beiden liefen schweigend nebeneinanderher und Sakura hatte fast den roten Faden verloren, als Ino fragte: „Und Naruto?“ „Was soll mit ihm sein?“ „Naja“, druckste sie herum, „ich hatte den Eindruck, dass es in letzter Zeit zwischen euch gefunkt hat.“ „Wir sind nur Freunde“, verteidigte Sakura sich gereizt, während sie sich grob über die Haare fuhr. „Naruto sieht das vermutlich anders.“ „Tut er nicht“, blaffte sie. „Er ist schon seit Jahren nicht mehr verknallt in mich.“ „Wenn dich das nachts ruhiger schlafen lässt…“ Ino zuckte mit den Achseln und Sakura spürte Wut in ihrem Magen aufschäumen, weil sie sich nicht ernst genommen fühlte. Sie atmete konzentriert dagegen an. „Er geht mit Hinata zum Gründerfest.“ „Das beweist nur, dass er noch immer nicht geschnallt hat, dass sie auf ihn steht“, beharrte Ino und gluckste leise. „Aber ich gebe zu, dass es allmählich lächerlich wird. Wahrscheinlich schleift sie ihn eines Tages vor den Traualtar und er hat keine Ahnung, was abgeht.“ „Die beiden wären ein hübsches Paar“, argumentierte Sakura. „Hinata wäre der ideale Ruhepol in Narutos Leben.“ „Pah! Es gibt eine Fantastilliarde Menschen, die theoretisch perfekt füreinander wären und bei denen es trotzdem nicht sein soll. Kümmere dich mal lieber um dein eigenes Liebesleben.“ „Das Gleiche könnte ich dir sagen“, grinste Sakura und stupste Ino zwinkernd mit dem Ellbogen an, die den Anstand besaß, knallrot zu werden. „Ich“, krächzte sie und räusperte dagegen an. „Ich bin nicht auf der Suche.“ „Du bist auf der Suche nach einem festen Freund, seit wir sechs sind“, höhnte die Ältere. „Und jetzt nicht mehr“, fauchte sie. „Werde mal erwachsen, Breitstirn, es gibt Wichtigeres im Leben.“ Ino hielt den Blumenstrauß wie ein Schild vor der Brust, sie atmete hektisch und in ihren Augen lag ein glasiger Glanz. Sakura runzelte die Stirn. „Tut mir leid, ich wollte in kein Fettnäpfchen treten.“ „Schon gut.“ Ino atmete tief durch die Nase ein und ließ die Luft anschließend langsam aus dem Mund entweichen. Danach schien sie sich wieder gefangen zu haben. „Mir tut es leid; ich habe überreagiert… schon wieder“, fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu und schielte Sakura von der Seite an. Sie verstand, dass die Blonde nicht nur die Situation gerade eben meinte, sondern sich überdies auf ihren vorangegangenen Streit bezog. Sakura richtete ihre Augen stur geradeaus, zog den Kopf ein und fragte: „Erklärst du mir jetzt, was da los war?“ „Hab ich doch: Ich habe überreagiert und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Sie seufzte erschöpft. „Ich meine, was erwartest du? Das letzte Mal, dass Sasuke zwischen uns stand, hast du mir die Freundschaft gekündigt. Ich dachte halt, dass es diesmal wieder so wird.“ Sakura schluckte hart. Es war verletzend, dass Ino so dachte, aber verübeln konnte sie es ihr kaum. Sie vergrub die Hände tiefer in den Taschen. „Ich war damals so sicher, dass er sich, wenn er die Wahl zwischen uns beiden hat, für dich entscheiden würde“, eröffnete sie. „Es gab keinen einzigen Grund, weshalb er mich dir hätte vorziehen sollen. Du warst schon immer hübscher, beliebter, talentierter und witziger und ich war nur das Mädchen mit der zu großen Stirn, das alle nur mochten, weil es mit dir befreundet war. Und ich…“ Sakura kämpfte um die Festigkeit ihrer Stimme. „Ich wusste einfach, dass du dich mir zuliebe niemals auf ihn eingelassen hättest, solange wir befreundet sind. Ich wollte, dass du glücklich werden kannst, dass ihr beide glücklich werdet, aber gleichzeitig hätte ich es nicht ertragen können.“ Sie blinzelte heftig. „Es erschien mir das einzig Logische zu sein.“ Ino schwieg und da Sakura weiterhin auf den Boden blickte, traf sie der Tritt in die Kniekehlen vollkommen unvorbereitet. Sie quiekte erschrocken, aber die Blondine hatte nicht fest genug zugetreten, als dass Sakura hingefallen wäre. „Du bist ‘ne dusselige Kuh. Ist dir nur einmal der Gedanke gekommen, dass mir unsere Freundschaft wichtiger gewesen wäre?“ „Aber genau darum geht es doch“, rechtfertigte sie sich. Ino blies empört die Wangen auf. „Ich war übrigens wirklich nicht ganz ehrlich zu dir.“ „Ach, was du nicht sagst“, erwiderte sie trocken und Sakura hörte sie förmlich mit den Augen rollen. Sakura sog die Unterlippe zwischen die Zähne, entließ den formschönen Muskel schließlich mit einem nassen Schmatzen und erzählte Ino stockend von ihrer Mission. Nicht, dass Sasuke im Verdacht stand, ein Terrorist zu sein, oder wie brenzlig es um Konohas politische Lage bestellt war, nichts, was ihm in einem verletzlichen Moment herausgerutscht war, aber alles andere, und sie spürte, wie die Ketten, die sie in den vergangenen Wochen immer enger eingeschnürt hatten, sich zwar nicht lösten, doch wenigstens lockerten. „Heftig“, sagte Ino, nachdem Sakura geendet hatte, und reckte das schmale Gesicht nachdenklich den Wolken entgegen. „Hast du schon was rausbekommen?“ „Nichts Konkretes“, seufzte sie. „Du weißt, wie verschlossen er ist, aber ich habe den Verdacht, dass es etwas mit seiner Familie zu tun hat.“ „Wegen seines Bruders?“ Sakura stockte. „Du hast davon gehört?“ „Na, du doch offensichtlich auch“, entgegnete Ino verblüfft. „Was weißt du darüber?“, fragte sie schärfer als beabsichtigt, sodass die Blonde leicht zusammenzuckte. „Naja, eigentlich nichts Genaues, nur den üblichen Klatsch und Tratsch“, meinte sie ausweichend. Abermals fiel Sakura auf, dass über den Uchiha-Clan verdächtig viel Klatsch und Tratsch zu kursieren schien. „Das muss… hmm, mal überlegen… kurz nach Sasukes Rückkehr ins Dorf gewesen, denke ich. Sein Bruder sollte sich mit irgendeinem Mädchen verloben und hat sich angeblich rundheraus geweigert. Offenbar hat das unter den Uchihas einen riesigen Skandal verursacht.“ „Weil er sich nicht verloben wollte?“, hakte Sakura skeptisch nach. „Klingt für mich nach einem unsinnigen Grund.“ „Keine Ahnung“, gab Ino achselzuckend zu. „Aber ich hab’s von Tenten. Hinata muss deswegen einen halben Nervenzusammenbruch gehabt und sich bei ihr ausgeheult haben, weil sie Angst hatte, dass ihr Vater ihr das Gleiche antun könnte. Tenten fand ihre Reaktion überzogen und hat Neji darauf angesprochen, der wohl bestätigt hat, dass dieses Vorgehen nicht unüblich ist, was wiederum dazu geführt hat, dass Tenten sich bei mir ausgeheult hat, also wird es vermutlich stimmen.“ Sakura knabberte am Daumennagel und verdrängte, was diese neue Information bedeutete; selbst wenn Sasuke sich in sie – oder Ino oder sonst ein Mädchen – verliebt hätte, hätte seine Familie vermutlich Veto eingelegt und die Beziehung wäre zum Scheitern verurteilt gewesen. Wahrscheinlich war es besser, ihn nie gehabt zu haben, als ihn zu verlieren. All die Jahre, die sie hoffnungslos in ihn verliebt gewesen war, war ihr nie klar gewesen, wie hoffnungslos die Aussichten tatsächlich waren. Oder hätte Sasuke einen ähnlich wagemutigen Schritt unternommen und sich gegen seine Familie gestellt? Wenn sie die dürftigen Informationen zusammenkratzte, wie es um das Verhältnis zu seinem Vater bestellt war und wie sehr er ihm zu gefallen versuchte, wohl kaum. Dennoch konnte sie nicht anders, als dem älteren Uchiha-Spross insgeheim vorzuwerfen, wie rücksichtlos er seine Verpflichtungen auf Sasuke abgewälzt hatte. „Wie mittelalterlich“, hörte sie sich sagen, ihre Stimme klang erstaunlich fest, doch Inos Blick zeugte davon, dass sie sie mühelos durchschaute. Vielleicht fühlte sie sich gerade ganz ähnlich. „Wenn man vom Teufel spricht“, sagte Ino plötzlich und zuckte mit dem Kinn Richtung Dango¹-Shop. Sakura hatte gar nicht bemerkt, wie weit sie gelaufen waren, folgte der angezeigten Richtung mit den Augen und entdeckte den Schwarzhaarigen, der allein und irgendwie verloren aussehend an einem der Tische saß, die Finger um einen Teebecher geschlungen. „Mir hat er gesagt, dass er zu beschäftigt wäre, um sich mit mir zu treffen.“ Sie versuchte, es wie eine amüsante, kleine Anekdote klingen zu lassen, doch sie bemerkte selbst, wie verletzt sie sich anhörte, und natürlich kannte Ino sie viel zu gut, um es ihr abzukaufen. „Du solltest zu ihm gehen.“ „Besser nicht.“ „Doch, wirklich. Mir scheint, ihr habt Klärungsbedarf. Außerdem verzeiht Chōji mir nie, wenn ich ihn und Shikamaru versetze und Asuma sie deswegen auf der Rechnung sitzenlässt.“ Sie gab ihr einen sanften Stoß und verabschiedete sich mit einem doppeldeutigen Zwinkern. Die paar Meter bis zu Sasuke schienen kein Ende zu nehmen; es war wie in einem von diesen Träumen, in denen man mit aller Kraft rannte und trotzdem kaum von der Stelle kam. Er sah nicht auf, obzwar er sie sicherlich längst wahrgenommen hatte. „Ich dachte, du magst keinen Süßkram“, begrüßte sie ihn vorsichtig lächelnd und legte die Hand auf der Stuhllehne ab. „Darf ich mich zu dir setzen?“ „Du gibst echt niemals auf, oder?“ Noch immer sah er sie nicht an, sondern starrte in seinen, wie Sakura nun feststellte, leeren Becher. „Du kennst mich doch.“ „Tzz“, zischte er, gab ihr jedoch mit einer unwirschen Geste zu verstehen, dass sie sich seinetwegen setzen durfte. „Danke“, sagte sie, zog den Stuhl unterm Tisch vor und setzte sich ihm gegenüber, ehe sie sich langsam von Schal, Mütze und Handschuhen befreite, um etwas zu tun zu haben. Als sie fertig war – und sie hatte sich wirklich Mühe gegeben, diese simple Tätigkeit auf mehrere Minuten auszudehnen –, starrte er noch immer wie gebannt in seinen Becher. „Versuchst du dich im Teesatzlesen?“ „Worin?“ „Im Teesatzlesen. Du weißt schon, wie diese Wahrsagerinnen auf Festen, die einem die Zukunft aus der Hand oder eben aus dem Teesatz lesen.“ Sie grinste schief. „Glaubst du an solches Zeug?“, fragte er verächtlich. „Natürlich nicht“, entgegnete sie kleinlaut. „Es war als Scherz gemeint.“ Seine Augenbraue schnippte nach oben und konnte nicht deutlicher machen, was er von ihrem Sinn für Humor hielt. „Kann ich euch Süßen noch was bringen?“, wurde die peinliche Stille von einer hübschen, drallen Kellnerin unterbrochen, deren Dekolleté trotz der Kälte beinahe ihre großzügig ausgeschnittene Bluse sprengte. Sie stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab, hielt ihren Busen – absichtlich oder unabsichtlich – genau vor Sasukes Nase, doch dieser legte nur ein bisschen Kleingeld aus seiner Jackentasche auf den Tisch und hielt zwei Finger hoch. „Das ist wirklich nicht nötig“, sagte sie errötend, nachdem die Bedienung gegangen war, während sie schüchtern auf die Tischplatte schaute, und dachte gleich darauf, wie peinlich es wäre, wenn sie die Geste irgendwie missverstanden hätte und er sie gar nicht einladen wollte, denn eigentlich waren solche beiläufigen Nettigkeiten gar nicht seine Art. Nicht, dass sie ihn für geizig hielt, nur schien ihm der Gedanke, anderen kleine Freuden zu bereiten und Aufmerksamkeiten zu erweisen, völlig fremd. Schon früher, als sie noch ein Team gewesen waren, hatte er stets Sensei Kakashis Einladungen ausgeschlagen. „Ich weiß, dass es nicht nötig ist“, entgegnete er scharf. „Ich meine, ich weiß, dass du für dich selbst bezahlen kannst“, ergänzte er um einen sanfteren Ton bemüht und fuhr sich mit einer Bewegung, die tatsächlich ein wenig verlegen wirkte, durch das dichte schwarze Haar. „Nimm es als… Entschuldigung. Ich hätte meine schlechte Laune nicht an dir auslassen dürfen.“ „Oh, okay. Danke.“ Sakura lächelte die Tischplatte an und obgleich er es nicht erwiderte, entspannten sich seine Gesichtszüge, weswegen sie ihm nicht in den Ohren lag, dass er – offensichtlich – sehr wohl Zeit gehabt hätte, um mit ihr zu trainieren, oder dass er – natürlich – keine Armschlinge trug. Sie war froh, Shisui getroffen und ihm von Sasukes Verletzung erzählt zu haben, so würde, abgesehen von ihr, wenigstens einer auf seine Gesundheit achten. Die Frage, wie es seiner Schulter ging, konnte sie sich dennoch nicht gänzlich verkneifen und vielleicht klang sie ein klitzekleines bisschen vorwurfsvoll. „Gut“, antwortete er nur und sah ihr mit ruhigem, kühlem Blick in die Augen. Er schämte sich nicht und er war nicht der Meinung, etwas Falsches zu tun. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich mit viel Tamtam für ihre medizinische Hilfe bedanken würde, auch nicht, dass er ihre Anweisungen befolgen würde. Aber das war okay für sie; Sasuke war keineswegs der einzige schwierige Patient, mit dem sie sich, seit sie unter Tsunade lernte, hatte auseinandersetzen müssen, er war nicht der erste und er würde garantiert nicht der letzte sein, der ihre ärztlichen Instruktionen eher als gut gemeinte Ratschläge betrachtete. Immerhin wusste sie bei ihm, dass er nicht auf sie hörte, weil er auf niemanden hörte, und nicht, weil sie jung und eine Frau war. „Du hast mit Shisui gesprochen, über mich.“ In diesem Moment kehrte die Kellnerin mit ihrer Bestellung zurück und schenkte Sakura einen Augenblick, sich eine Erwiderung zurechtzulegen. Sie stellte die Teebecher vor ihnen ab. Der Geruch von frischer Minze und Zitronenmelisse stieg der Kunoichi in die Nase und unpassenderweise zuckten ihre Lippen in ein Schmunzeln, weil Sasuke schon früher eine Vorliebe für diese Sorte gehabt hatte und es gut zu wissen war, dass sich nicht alles an ihm verändert hatte. Die Kellnerin blieb neben ihnen stehen, als wartete sie auf ein Lob oder dergleichen, zog jedoch von dannen, weil sich die beiden abwartend über den Tisch hinweg mit Blicken umkreisten und sie nicht beachteten. Der Uchiha fiel mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl zurück. „Ich hatte ihn zufällig getroffen und ihm gesagt, dass du vorübergehend kürzertreten musst.“ Sasuke schnaubte und sie leckte sich langsam über die von der Kälte spröden Lippen, ehe sie sagte: „Es hat mich überrascht, dass er gar nichts von deiner Verletzung zu wissen schien.“ Sie analysierte jede Regung seines Gesichtes, nur dass es für sie nichts zu entdecken gab; seine Züge waren dieselbe undurchschaubare Mischung aus stets präsenter Gleichgültigkeit, latenter Enervation und natürlicher Überheblichkeit, die er immer zur Schau stellte. „Du hast mich angelogen.“ Ihre Stimme war leise und es kostete sie reichlich Mühe, nicht aggressiv zu klingen. „Ich habe nicht gelogen.“ „Du hast behauptet, dir die Verletzung beim Training zugezogen zu haben“, schoss sie sofort zurück. Sasuke trank von seinem Tee, ließ sich Zeit mit der Antwort, nicht weil er überlegen musste, sondern weil er abwägte, ob sie ihm eine Erklärung wert war. „Und das stimmt, aber ich habe nie gesagt, dass ich mit Shisui trainiert hätte.“ Er durchbohrte sie mit seinen aufmerksamen onyxfarbenen Augen, die so viel Macht besaßen, vor allem über sie. Sie wurde rot, weil sein Blick etwas Penetrierendes hatte, das sich Millimeter für Millimeter unter ihre Hautschichten fraß, bis sie das Gefühl hatte, ihre Gedanken lägen so offen vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch. „Ich sage dir nicht alles, aber gelogen habe ich nicht.“ „Du sagst mir gar nichts“, grummelte sie vor sich hin, tilgte den unzufriedenen Zug um ihren Mund aber, indem sie auf ihren Tee blies und ein vorsichtiges Schlückchen nahm. „Wusstest du, dass er von unseren Treffen weiß?“ „Wäre das ein Problem für dich?“ „Für mich?“, entfuhr ihr spitz. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du darauf bestanden, dass es ein Geheimnis bleibt.“ „Ich meine nur“, sagte er kühl. „Naruto würde es sicherlich nicht gefallen, wenn er wüsste, dass wir uns treffen.“ „Na-naruto?“ Sie schnappte nach Luft. „Was hat das denn jetzt schon wieder mit Naruto zu tun?“ „Er schien ziemlich wütend zu sein, dass du und ich in Kontakt stehen.“ Er nagelte sie mit seinen Augen fest, als würde er irgendeine Wahrheit aus ihr herauspressen wollen. Sakura runzelte zu gleichen Teilen irritiert und verärgert die Stirn. „Naruto war wütend, weil du dich wie ein Arsch benommen hast.“ „Ich?“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, was ihm einen unheimlichen, gar bedrohlichen Ausdruck verlieh. „Okay“, gestand sie ihm zu und wedelte mir der Hand durch die Luft, „ihr habt euch beide wie Ärsche benommen.“ „Er hat…“ „Wenn du jetzt sagst ‚angefangen‘, schreie ich“, plusterte sie sich auf. „Und nur zu deiner Information, Sasuke: Naruto hat nicht zu bestimmen, mit wem ich befreundet sein darf. Ich weiß echt nicht, wie du auf so einen irrwitzigen Gedanken gekommen bist. Außerdem bin nicht ich diejenige, die sich schämt, wenn wir zusammen gesehen werden.“ Der letzte Satz war ihr herausgerutscht, ohne dass sie groß überlegt hatte, der Gedanke so tief in ihr vergraben gewesen, dass sie vor Überraschung blinzelte, als sie merkte, dass sie genau das dachte. „Das ist… Ich…“ Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, schien er aufrichtig um eine Antwort verlegen. „Es liegt nicht an dir.“ „Woran denn dann?“ Sasuke rieb sich den Nacken und wich ihrem Blick seitlich aus. Sie glaubte nicht, dass er ihr antworten würde, als er doch zu einer Erklärung ansetzte: „Ich dachte, wenn mein Vater rausfindet, dass ich mich regelmäßig mit einer Kunoichi treffe, würde er wissen wollen, wer du bist.“ Auf seinen Wangen zeichnete sich ein blasser Rotschimmer ab. „Und dann würde er mir entweder den Umgang mit dir verbieten oder ich müsste zugeben, dass ich von Tsunade suspendiert wurde.“ „Wa-was?“ Sakuras Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch. „Ich verstehe nicht.“ Er seufzte leise und kniff sich in die Nasenwurzel, als müsste er sich sammeln. „Als wir damals in Teams eingeteilt wurden, war mein Vater so zufrieden, dass Kakashi mein Sensei wurde, wie er unzufrieden war, dass Naruto und du meine Teamkollegen wurdet. Er hatte sich sogar beim Sandaime Hokage beschwert, weil er fand, dass ich… qualifiziertere Teammitglieder verdient hätte. Er war der Meinung, dass ihr mich kleinhalten würdet, dass das Training meiner Fähigkeiten über eure Unfähigkeit vernachlässigt würde. Mein Vater hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie ein passender Umgang für mich auszusehen hat, und, ohne dir zu nahe treten zu wollen, du gehörst nicht dazu – du bist keine hochdekorierte Kunoichi, du entstammst nicht mal einem Clan –, aber du bist hübsch, deswegen würde er in dir automatisch eine Bedrohung für die Zukunft des Uchiha-Clans sehen.“ Er findet uns hübsch, jubelte die andere Sakura, die nicht mehr als das gehört hatte. Sakura drängte das Stimmchen in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins zurück, konnte allerdings nicht verhindern, dass sie heftig errötete. „Aber wir sind doch gar nicht…“, krächzte sie. „Das spielt für ihn keine Rolle. Für ihn zählt nur, dass du mich auszunutzen versuchen könntest und dass ich dumm genug sein könnte, darauf hereinzufallen.“ Er räusperte sich befangen. „Mein Clan ist traditionell; wenn eine Frau… das Kind eines Clanmannes erwartet, will unser Gesetz, dass dieses Kind durch eine Eheschließung geschützt wird. Das geht noch auf die Kriegsära zurück und sollte sicherstellen, dass sich das Sharingan nicht außerhalb des Uchiha-Clans verbreitet. Da ich das künftige Clan-Oberhaupt bin, wird von mir jedoch erwartet, dass ich standesgemäß heirate, bevorzugt eine Kunoichi aus meinem eigenen Clan, und nicht eine Frau, die ich ehelichen muss, weil...“ Er räusperte sich abermals, anstatt den Satz zu beenden, doch das war gar nicht nötig, da Sakura auch so sehr wohl verstand, was nicht ausgesprochen wurde. „Ach, Sasuke.“ Sie wollte ihn umarmen, doch nachdem, was er ihr soeben offenbart hatte, gäbe es vermutlich nichts Unpassenderes, als diesem Drang nachzugeben, und sie zog ihre Hand, die unbemerkt auf ihn zugekrochen war, zurück und ballte sie auf ihrem Schoß zur Faust. Ihr Herz schlug ganz langsam und sie kam sich wie eine Außenstehende vor, die Sasuke und sich selbst nur beobachtete, davon jedoch nicht betroffen war. Wenn sie allein war, wenn seine Worte in all ihrer Schwere zu ihr durchsackten, würde der Schmerz, dass es tatsächlich nicht mal das kleinste Fünkchen Hoffnung gab, sie vermutlich umbringen. Doch hier und jetzt fühlte sie sich nur betäubt. „Wieso treffen wir uns dann jetzt in deinem Viertel? Ist das nicht zu riskant?“ „Du hast mir doch selbst gesagt, wie schnell Ino es herausgefunden hat, und wenn ihr das gelingt, dann auch anderen, aber wenn wir uns direkt vor seiner Nase treffen, denkt er sich wahrscheinlich nichts dabei.“ „Wieso sagst du ihm nicht einfach, dass wir Heil-Jutsu üben?“ „Weil ich ihm dann auch alles andere erzählen müsste und wenn es eines gibt, was für ihn noch schlimmer wäre, als dass ich irgendein Mädchen schwängern könnte, dann das.“ Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht, doch als er sie wieder ansah, war sein Blick hart und fest. „Was ich dir gerade erzählt habe, bleibt unter uns.“ „Natürlich“, bestätigte sie mit einem ernsten Nicken, fuhr dann mit einem matten Lächeln fort: „Danke, dass du so offen zu mir warst.“ „Hmpf! Du hättest ansonsten doch keine Ruhe gegeben.“ Sakura versteckte ihr Grinsen hinter dem Teebecher und genoss das behagliche Schweigen. Für Außenstehende mussten sie wie zwei junge Menschen auf einem Date wirken und sie fragte sich, ob Sasuke das ebenfalls bewusst war und ob es ihn störte. Sie behielt ihn genaustens im Auge, aber er erweckte nicht den Eindruck, sich sonderlich unwohl zu fühlen, stellte den Becher ab und säuberte ihre Lippen von etwaigen Teerückständen. „Was sollte eigentlich deine Anspielung auf Naruto?“, fragte sie betont beiläufig, woraufhin er lediglich gleichgültig die Achseln zuckte. „Momentan scheint mal wieder das Gerücht umzugehen, dass es zwischen uns gefunkt hätte“, gebrauchte sie Inos Wortwahl und verdrehte demonstrativ die Augen. „Du hast ihn geküsst, also brauchst du dich darüber nicht wundern“, sagte er ausdruckslos, doch in seinem Blick lag etwas Schneidendes. „Auf die Wange“, verteidigte sie sich und klatschte sich mental die Hand gegen die Stirn, weil sie diese dumme Aktion nun zu verfolgen schien. „Und es war nur dieses eine Mal.“ „Das kann ich nicht beurteilen.“ Er trank von seinem Tee und wischte sich anschließend mit dem Daumen sorgfältig über die Oberlippe, was ihre Aufmerksamkeit unweigerlich auf seinen Mund lenkte und sie, bei dem ganzen Gerede über Küsserei, schlucken ließ. Die Intensität des Wunsches, sich über den Tisch zu beugen und ihn küssen zu dürfen, verursachte ihr körperliche Schmerzen. Sie sah rasch weg, ehe er sich für den sehnsuchtsvollen Ausdruck auf ihrem Gesicht fremdschämen musste, und rutschte so weit auf ihrem Stuhl zurück, bis sich die Lehne unangenehm in ihren Rücken bohrte. „Naruto hat ein Date mit Hinata“, plapperte sie nervös. „Und das ärgert dich“, schlussfolgerte Sasuke. „Was? Ähm, nein. Ich freue mich für Hinata.“ Sie stockte unmerklich darüber, wie gedankenlos sie das Geheimnis der Hyūga ausgeplaudert hatte, obwohl es sicherlich nirgendwo besser aufgehoben war als bei ihm. Jedenfalls schien ihn weder zu überraschen noch zu interessieren, dass Hinata und Naruto miteinander ausgingen – falls man das überhaupt so nennen konnte. „Die Überleitung war vielleicht ein bisschen unglücklich gewählt“, kicherte sie nervös. „Eigentlich wollte ich wissen, ob du zum Gründerfest gehst.“ Und ganz eigentlich wollte sie wissen, mit wem er hinging. „Gründerfest“, echote er voller Bitterkeit und schnippte brutal gegen den Teebecher. Sakura zog die Schultern hoch, als ihr einfiel, wie demütigend das Gründerfest für die Uchihas sein musste. Jedes Kind wusste, dass Konohagakure einst gemeinsam von Hashirama Senju und Madara Uchiha gegründet worden war, doch während Madaras Rolle zu einer unschmeichelhaften Fußnote in den Geschichtsbüchern degradiert worden war und seine Nachfahren zusehends zu Außenseitern im eigenen Dorf geworden waren, wurde der Shodai Hokage als Lichtfigur zelebriert. Doch wo Licht war, war auch Schatten und dieser hatte sich über den Uchiha-Clan gelegt und sich untrennbar mit deren Herzen verbunden. „Ich habe Polizei-Dienst; für meinen Clan gibt es nichts zu feiern, aber es wird verlangt, dass wir wie immer im Hintergrund für Ordnung sorgen.“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. „Es wird nicht immer so sein“, meinte sie und biss sich gleich darauf auf die Zunge. „Nein, vergiss es. Es ist dumm, sowas zu sagen, aber ich wünsche mir, dass es nicht immer so sein wird.“ Er betrachtete sie schweigend, dann erwiderte er den Druck ihrer Finger für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er seine Hand aus ihrem Griff löste. Ihr Herz schlug ein paar Haken. „Wie bist du eigentlich mit Madara Uchiha verwandt?“, fragte sie, weil es sie wirklich interessierte und weil sie hoffte, ihren Fauxpas mit Interesse an seinem Clan ausgleichen zu können. „Damit habe ich mich nie beschäftigt“, entgegnete er jedoch brüsk und verengte die Augen zu Schlitzen. „Wozu willst du das wissen?“ „Nur so, wenn ich einen langen Stammbaum hätte, würde ich alles über meine Vorfahren herausfinden wollen.“ „Jeder Mensch hat einen langen Stammbaum, das liegt in der Natur der Sache. Uns gefällt nur nicht immer, wer unsere Vorfahren waren.“ „Meine waren jedenfalls ziemlich langweilig“, versuchte sie die Situation zu entschärfen. „Und trotzdem gäbe es dich nicht, wenn sie nicht existiert hätten“, wusste er und seine Mundwinkel zeigten den Hauch eines Lächelns. Sie erwiderte es ganz automatisch und die Vorstellung, dass er es als Kompliment gemeint haben könnte, beschleunigte ihren Puls, bis sie ihren Herzschlag im Hals spüren konnte. Vielleicht hatte sie ein paar unangebrachte Gefühle, die über Freundschaft hinausgingen, doch wäre das wirklich so schlimm? Letztendlich tat sie sich damit doch nur selbst weh, nicht ihm, und vielleicht war es den Schmerz wert. „Ein Ryō für deine Gedanken“, sagte er und legte den Kopf leicht schief. „Dafür verrate ich dir meine dunkelsten Geheimnisse sicher nicht“, antwortete sie gespielt mysteriös und wackelte mit den Augenbrauen. Er schnaubte amüsiert, weil sie vermutlich ziemlich dämlich ausgesehen hatte, doch von einer auf die andere Sekunde verdüsterte sich sein Gesicht. Er straffte die Schultern und sah starr an ihr vorbei. Sie hatte kaum Gelegenheit, sich umzudrehen, als auch schon eine nach Blumen duftende Gestalt an ihr vorbeirauschte und besitzergreifend die Arme um seinen Hals legte. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Sasuke-kun. Wartest du schon lange?“ Sakura war zu perplex, um zu tun, als wäre sie nicht zutiefst erschüttert. Was betatschte diese Frau Sasuke? Und wieso ließ er sich das gefallen? Sie presste die Lippen fest aufeinander, konnte das Zittern damit aber nur notdürftig unter Kontrolle bringen, und glotzte die Frau ungeniert an, deren Blick irritiert zwischen ihr und Sasuke hin und her glitt. Sie war schön, sehr schön sogar, und obgleich ihre Augen Freundlichkeit und Wärme ausstrahlten und eher von einem dunklen Braun waren, waren es unverkennbar Uchiha-Augen. Sasuke machte keinerlei Anstalten, sie einander vorzustellen, was die Frau schließlich dazu veranlasste, sich von Sakura abzuwenden. „Hast du schon Dango gekauft?“, wollte sie wissen; ihre Stimme war von der Peinlichkeit der Situation geschwängert, obgleich sie sich um Nonchalance bemühte. „Noch nicht.“ „Das kann ich machen“, meldete sich eine weitere Frau mit langem schwarzem Haar zu Wort, die plötzlich von hinten neben Sakura trat und ihr ein warmherziges Lächeln schenkte. „Guten Tag.“ „I-ich“, stammelte Sakura überfordert und schloss den Mund, weil sie das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen. Sasuke hatte ihr gesagt, dass von ihm erwartet wurde, eine Kunoichi aus seinem Clan zu ehelichen, was er nicht gesagt hatte, war, dass diese Frau bereits einen Namen hatte und bildschön war. Aber er erzählte ihr eben immer nur einen Teil der Wahrheit. „Verzeihung“, wimmerte sie, sprang von ihrem Stuhl auf und drängte sich an der Schwarzhaarigen vorbei, die den Mund zu einem verblüfften O verformte. Mit gesenktem Kopf rannte sie davon. Das Letzte, was Sakura wollte, war Sasuke Uchiha in die Augen zu sehen. Kapitel 10: Schneeflocken im Kopf --------------------------------- „Gefällt dir, was du siehst?“, fragte Ino mit einem provozierenden Grinsen und klimperte süßlich mit den Wimpern, wodurch Sakura aus ihren Gedanken gerissen wurde und feststellte, dass sie der Blonden geistesabwesend in den Ausschnitt gestarrt hatte. Die beiden Mädchen saßen auf dem Fußboden in Sakuras Zimmer, Sakura im Schneidersitz, Ino kniete über ihr und zupfte die Augenbrauen ihrer Freundin seit mehr als einer Dreiviertelstunde in Form. Allmählich fragte sie sich, ob sie überhaupt noch Augenbrauen besitzen würde, wenn Ino mit ihr fertig war. Auf ihrem Bett häuften sich Inos Schmink- und Frisiersachen, Kleidung und Schmuck. Als die Yamanaka angekommen war, hatte Mebuki nervös lachend gefragt, ob sie einzuziehen gedachte. „Bist du fertig?“, wollte Sakura teilnahmslos wissen. Sie war müde, weil sie sich die halbe Nacht schlaflos von einer Seite des Bettes auf die andere gewälzt hatte, bis sie schlussendlich in unruhige Träume gefallen war, fühlte sich emotional ausgelaugt. Ihre Trauer war ebenso unmöglich zu kaschieren wie ihre Augenringe, ihre geröteten Skleren und die Knitterfältchen auf ihrem Gesicht. Ino schob die Unterlippe schmollend vor, reichte ihr jedoch einen kleinen Handspiegel, damit sie das Ergebnis begutachten konnte. Sakura konnte absolut keinen Unterschied zu vorher ausmachen. „Zufrieden?“ „Sieht toll aus“, log die Ältere und zwang ihre tonnenschweren Mundwinkel in ein Lächeln, ehe sie mühsam ächzend aufstand, um ihren Kimono¹ zu holen, der bereits auf einem speziellen Kleiderbügel an ihrem Schrank bereithing. Inos wissendes Grinsen hatte sie darin bestätigt, dass ihre Botschaft – es handelte sich um ein dunkelblaues Stück, mit roten und weißen Chrysanthemen-Verzierungen – offenbar deutlich ankam, doch nun erschien ihr bloßstellend, sich demonstrativ in die Clanfarben der Uchiha zu kleiden. Sie hatte Solidarität beweisen wollen und würde sich jetzt nur bis auf die Knochen blamieren, ihr albernes Mädchenherz für jeden gut sichtbar nach außen gekehrt. Ino seufzte auf eine Weise, die zu alt für eine junge Frau klang, und zupfte ihr Oberteil zurecht. Sie trug eine eigenwillige Kombination aus violett-geringelten Wollsocken, einer weiten, himmelblauen Jogginghose, einem langärmligen, blassrosa XXL-Shirt, das ihr bei jeder Bewegung von den schmalen Schultern zu rutschen drohte, und einem schlampig gebundenen Zopf. „Du hast mir die ersten tausend Mal, die ich gefragt habe, zwar auch nicht gesagt, was los ist, aber: was ist los?“ „Was soll schon sein?“, konterte Sakura matt, indes sie den Kimono unzeremoniell vom Bügel riss. Sie wollte das nicht anziehen. Sie wollte überhaupt nicht zum Gründerfest gehen, sondern sich stattdessen in ihrem Bett verkriechen, eingewickelt in Sasukes Jacke, die seit Narutos Geburtstag jede Nacht unter ihrem Kopfkissen versteckt auf sie wartete und, obzwar der Stoff unterdessen nur noch eine schwache Erinnerung an seinen Duft barg, ihr das tröstliche Gefühl vermittelte, in seinen Armen zu liegen. Inos strenger Blick traf sie bis ins Mark. „Verarschen kann ich mich selbst, aber wenn du’s mir nicht erzählen magst…“ Sie zuckt die Achseln, als wäre das Thema damit erledigt, obwohl sie es beide besser wussten, dann blitzte etwas in ihren hellblauen Augen auf, das Sakura weder eindeutig als Jux noch Abenteuerlust identifizieren konnte. „Oder ich frage Sasuke, vielleicht ist er gesprächiger. Was meinst du, ob mein Jutsu gegen das Sharingan ankommt? Das wollte ich schon immer herausfinden.“ „Das wagst du nicht“, fiepte Sakura panisch und sank auf den Boden, weil sich ihr Körper plötzlich zu schwer für ihre Beine anfühlte. „Das wagst du nicht“, wiederholte sie flüsternd. Ihre Sicht verschwamm und sie drückte das Gesicht in den Kimono. Über ihr verzweifeltes Schluchzen hinweg hörte sie, wie Ino auf sie zuging, spürte ihre Hand, die ihr tröstend über den Rücken streichelte. „Was, um alles in der Welt, hat er zu dir gesagt, das dich so fertigmacht?“ Ihre Stimme triefte vor Mitgefühl, das wie Honig durch die Ritzen von Sakuras Schutzschichten eindrang und das ramponierte Innere ihrer Seele berührte. „Es geht nicht darum, was er gesagt hat“, weinte sie, indes Ino ihr sanft den Kimono aus dem verkrampften Griff ihrer Finger entwand. Sie schämte sich, dass sie ihre Emotionen noch immer nicht unter Kontrolle hatte. Früher hatte Kakashi sie dafür getadelt, ihr gesagt, dass ein Shinobi sich niemals und unter keinen Umständen von seinen Gefühlen beherrschen lassen durfte, später, nachdem er sich damit abgefunden hatte, dass sie schwach war, hatte er behauptet, ihre Empfindsamkeit sei ihre größte Stärke. Sie hatte es damals gern als Kompliment verstanden, weil es bedeutet hatte, dass sie sich nicht verändern musste, dass ihre Schwachheit nicht ihre Schuld, sondern den weniger glücklichen Umständen ihrer Abstammung geschuldet war. Das hatte sie freilich nicht stärker gemacht, aber sie hatte besser mit ihrer Schwäche leben können, schließlich konnte sich niemand aussuchen, mit welchen genetischen Vorzügen man geboren oder eben nicht geboren wurde. „Dann hat er was… gemacht?“, fragte die Blonde eindringlich und doch zugleich einfühlsam. Allein die Absurdität des implizierten Vorwurfs ließ Sakura aufsehen. Inos Mund war zu einer harten, schmalen Linie verknittert, entspannte sich auch nicht, als Sakura steif den Kopf schüttelte. Sie schluckte und schniefte mehrmals, bis sie das Gefühl hatte, ihrer Stimme wieder einigermaßen vertrauen zu können. „Ich hatte das Vergnügen, seine Freundin Schrägstrich Verlobte kennenzulernen.“ „Sasuke soll eine Freundin haben?“, sagte Ino langsam und runzelte angestrengt die Stirn. Es war offensichtlich, dass sie ihre Erinnerungen nach entsprechendem Klatsch durchforstete, der eine derartige Behauptung unterstützte. „Das glaube ich nicht.“ „Es spielt keine Rolle, was du glaubst. Ich habe sie gesehen“, beharrte sie und berichtete Ino, was sich abgespielt hatte. „Hmm“, brummte diese schließlich, ließ sich nach hinten fallen und fing sich mühelos mit einer Hand ab, mit der anderen untersuchte sie ihre Haarspitzen auf Spliss. „Sie hat ihn umarmt, na und? Nach diesen Maßstäben gehen wir auch als Pärchen durch.“ Sakura sah ein, dass die reine Nacherzählung der Ereignisse nicht sonderlich viel Überzeugungskraft besaß, allerdings war Ino nicht dabei gewesen, hatte die Spannung zwischen den beiden nicht aus erster Hand wahrgenommen. Zwischen ihnen war etwas gewesen, etwas Vertrautes, dieses gewisse je ne sais quoi. „Ich kam mir fast vor wie auf einem Date“, wisperte sie tonlos und wischte sich den Augenwinkel. „Ich bin so dumm. Vielleicht sollte ich Lady Tsunade bitten, mich von dieser Mission abzuziehen.“ „Darum geht es dir also, du willst aufgeben und dir insgeheim den Segen von jemandem abholen, dass du das Richtige tust“, schnarrte die Blonde und warf ihren glänzenden Zopf über die Schulter zurück. „Typisch für dich.“ Sakura blinzelte verstört, gekränkt von der Barschheit, mit der Ino auf ihrem gebrochenen Herzen rumtrampelte. „Ich komme doch sowieso nicht weiter bei ihm“, rechtfertigte sie sich lahm, während sie an einem gesplitterten Fingernagel rumknibbelte. „Das sehe ich anders“, widersprach Ino heftig. „Wenn deine kleine Geschichte etwas beweist, dann doch, wie weit du schon gekommen bist. Mir würde Sasuke in meinen kühnsten Träumen keinen Tee spendieren. Weißt du, was ich glaube?“ Sie beugte sich vor, bis ihre Nasenspitze nur Zentimeter von Sakuras entfernt war. Ihr Atem roch zuckrig, nach künstlichen Erdbeeren. „Du hast auf dein Märchenende spekuliert, hast dir vorgestellt, dass du Sasukes innere Dämonen allein mit der Kraft deiner Liebe besiegst und er dadurch endlich erkennt, dass du die Eine für ihn bist, aber jetzt, wo du dein Happy End bedroht siehst, wirfst du lieber das Handtuch. Das ist ein Muster; du hast schon immer aufgegeben, sobald es ein bisschen schwierig wird, als wäre das besser, als es zu versuchen und zu scheitern. Und ich frage mich, wieso das so ist. Als du dein Training bei Lady Tsunade begonnen hast und an deine Grenzen gestoßen bist, hast du dich doch auch verbissen durchgekämpft. Vielleicht ist dieses Mädchen Sasukes Freundin, vielleicht auch nicht, aber der springende Punkt ist, dass das Einzige, was sich geändert hat, das ist, wovon du gehofft hast, dass es am Ende für dich dabei rausspringt.“ Inos Wangen glühten fiebrig und sie pustete sich erregt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du bekommst kein Mitleid mehr von mir. Das einzige Angebot, das ich dir mache, ist, dass wir unsere Kimono tauschen.“ Der Mund der Rosahaarigen klappte stumm auf und zu. Sie wollte widersprechen, aber die Heftigkeit von Inos Ausbruch verschlug ihr förmlich die Sprache. Und steckte nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in ihren Worten? Freilich hatte sie insgeheim darauf gehofft, dass die Zusammenarbeit mit Sasuke sie einander näherbrachte, das war nur natürlich, schließlich hoffte jeder immer, egal wie aussichtlos der Wunsch war. Sie hatte ihm ihre Freundschaft angeboten und letztlich war es ihr Problem, dass sie mehr als Freundschaft von ihm wollte, denn es wäre feige, sich nun aus egoistischen Gründen zurückzuziehen. Er brauchte sie als Freundin und das Dorf brauchte sie als Spionin. Sakura zuckte zusammen, als ihr Nagel einriss und eine einzelne Blutperle aus der kleinen Wund quoll. Sie steckte den Finger in den Mund, erhob sich dann wortlos, noch immer mit einem seltsamen Druck in der Kehle, der ihre Stimmbänder lahmlegte, und schüttelte ihren Kimono aus. „Violett steht mir nicht“, sagte sie nur und breitete das Kleidungsstück auf ihrem Bett aus. Ino sah eigentümlich zufrieden mit sich aus, wie eine Katze, die von der Butter genascht hatte und sich die letzten Beweisrückstände unschuldig aussehend vom Näschen leckte. Sakura versteckte ihre griesgrämige Miene, indem sie ihren Pullover über den Kopf zog und diesen anschließend achtlos auf den Boden fallen ließ, gefolgt von ihren restlichen Kleidungsstücken. Hinter sich hörte sie, wie Ino sich gleichfalls ihrer Klamotten entledigte. Sie stieg in saubere Unterwäsche und legte den Juban² an, während die Blonde kurz aus dem Zimmer verschwand und mit einem nassen, eiskalten Handtuch zurückkehrte, das sie ihr ins Gesicht klatschte, damit sie – laut Ino – nicht mehr so verheult und zugeschwollen aussehen würde. Die beiden Mädchen halfen sich gegenseitig dabei, ihre Kimono anzulegen, dann frisierte und schminkte Ino erst sie und danach sich selbst, sodass es bereits dunkel geworden war, als sie Sakuras Elternhaus beieinander eingehakt verließen. Das Dorf sah geradezu magisch aus. Die Straßen waren mit bunten Girlanden und Papierlampions geschmückt, die die verschneite Umgebung mit warmem, orangenem Licht überzogen. Es schneite noch immer, aber nicht so stark, dass es unangenehm wäre, sich draußen aufzuhalten. Die Schneeflocken glitten im Lampionlicht wie Blütenblätter gen Boden und köstliche Essensdüfte schwebte ihnen von allen Seiten entgegen. Sie waren umgeben von festlich gekleideten Menschen und Gelächter. Sakuras Laune hob sich unweigerlich, während sie die Eindrücke begierig in sich aufsaugte, um damit ihre Gedanken zu überschwemmen, wenigstens temporär, denn als sie das Verwaltungsgebäude erreichten, vor dem eine Holzbühne errichtet worden war, entdeckte sie Sasuke so zielsicher wie Tenten das Schwarze einer Zielscheibe mit einem Kunai traf. „Geht’s?“, fragte Ino und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Hmm, ja“, entgegnete Sakura mit staubtrockenem Mund. „Männer in Uniform, sehen immer irgendwie gut aus, was?“ Ino ging freundlicherweise nicht auf ihr kopfloses Geplapper ein, lächelte nur rücksichtsvoll. „Ich hole uns mal was zu trinken, okay?“ Sie wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern verschwand in der Menschenmenge und begab sich mit schwachen Beinen zu einem der Stände. Ihr Herz pumpte schnell, ihr wurde schwindelig und sie musste sich an einer der aufgebauten Festbuden abstützen, als sie plötzlich einen resoluten Griff um die Taille spürte. „Wenn du betrunken bist, setzt’s was.“ Sakura sah auf und blickte direkt in Shizunes strenge Augen. „Ich habe keine Lust, dich auch noch zu babysitten.“ „Auch noch?“ Die Dunkelhaarige nickte vage in Richtung eines Standes, an dem Sake ausgeschenkt wurde. Tsunade umklammerte gleich eine ganze Flasche mit der Hand und befummelte mit alkoholgeröteten Wangen die Muskeln des Raikage, der es schaffte, gleichzeitig geschmeichelt und zutiefst irritiert auszusehen. Gaaras dunkel umrandete Augen huschten mitleiderregend orientierungslos durch die Gegend, auf der Suche nach einem Punkt, auf den er sich stattdessen konzentrieren konnte, indes Kankurō wenig erfolgreich sein Gelächter zu unterdrücken versuchte. „Oh je.“ „Da sagst du was“, seufzte sie und kämmte sich erschöpft durchs Haar. „Vorhin wollte sie alle in eine Pachinko-Halle schleppen. Ich konnte sie geradeso davon überzeugen, dass es sich nicht schickt, die Feierlichkeiten zu Ehren ihres Großvaters zu schwänzen. Außerdem ist es doch garantiert illegal, einen Fünfzehnjährigen mit in eine Spielhölle zu nehmen, selbst wenn es sich dabei um den Kazekage handelt.“ „Wahrscheinlich“, bestätigte Sakura ahnungslos. Shizune schloss für einen Moment die Augen und atmete meditativ durch die Nase ein, immerhin hatte sie Tsunade nicht zum ersten Mal zu händeln. „Wie läuft es mit Sasuke Uchiha?“, fragte sie unvermittelt. „Was? Häh? D-da läuft nichts zwischen uns“, stammelte sie überrumpelt, was die Dunkelhaarige perplex die Stirn krausen ließ. „Das wollte ich gar nicht wissen, ich möchte… Hey“, brüllte sie plötzlich alarmiert und stürmte im Stechschritt auf die blonde Hokage zu, die vehement darauf bestand, dass Gaara ein Schlückchen Sake probierte, indem sie ihm den Flaschenhals zwischen die Lippen zu schieben versuchte. Zwischen den beiden Frauen entstand eine kleine Rangelei, die damit endete, dass der Inhalt der Flasche im Gesicht des Raikage landete. Kankurō brach lachend im Schnee zusammen. Sakura verdünnisierte sich, ehe sie mit reingezogen werden konnte, Shizunes nachgerufene Anweisung, dass sie sich die kommenden Tage in Tsunades Büro einfinden solle, geflissentlich überhörend. Sie schob sich bedächtig durch die Menschenansammlung, winkte hier und da einem bekannten Gesicht zu. Sensei Kakashi – der freilich keinen Kimono trug – kicherte wie ein Schulmädchen über etwas, was Sensei Gai – der einen dunkelgrünen Haori über seinem ebenso grünen Kampfanzug trug – zu ihm gesagt hatte. Die beiden waren sichtlich betrunken. Sakura kniff die Lippen missbilligend zusammen, erinnerte sich an das Gespräch, das sie am Tag nach Narutos Geburtstag geführt hatten, wie sie sich umtanzt hatten, um dem jeweils anderen nicht versehentlich vertrauliche Informationen zu offenbaren. Konnte es wahrhaftig sein, dass der Jōnin nicht um die akute Bedrohung wusste, dass er sich so gehen ließ, oder handelte es sich um eine Farce, damit man in ihm keine Gefahr sah? Nachdenklich reihte sich in die Warteschlange vor dem Stand ein, verlangte zwei Jasminblütentee bei dem gestressten Verkäufer und kramte einige Ryō aus ihrem Kinchaku³. Geld sowie Ware wechselten die Besitzer, doch als sie sich zum Gehen wandte, wurde sie von einem jungen Mann angerempelt, der einen unbedachten Ausfallschritt nach hinten getätigt hatte. Der heiße Tee ergoss sich über ihre Hände und die Vorderseite ihres Kimonos. Sie fluchte leise und begann unverzüglich damit, ihre Verbrühungen zu heilen, ihre Kleidung war leider nicht so leicht zu retten. „Das tut mir leid, schrecklich leid“, entschuldigte sich der Mann aufgelöst, nachdem er bemerke, was er angerichtet hatte, und verneigte sich so tief vor ihr, dass ihm beinahe die Brille von der Nase rutschte. Dann griff er nach einem Stapel Papierservietten und rubbelte über die Teeflecken, womit der den Schaden nicht nur vergrößerte, sondern sie auch ziemlich unsittlich berührte. Sakura schlug seine Hände gereizt von sich. „Das mache ich besser selbst“, knurrte sie und nahm ihm die Servietten ab, um behutsam über den Stoff zu tupfen. Der Mann lief dunkelrot an, entschuldigte sich noch ein paar Mal unter tiefen Verbeugungen, bis ihm die Brille schief auf der Nase hing, und bestand schließlich darauf, ihr wenigstens neue Getränke bezahlen zu dürfen. Sie nahm an, da es ihr einerseits nur recht und billig vorkam und sie andererseits das Gefühl hatte, dass er ansonsten keine Ruhe geben würde. Während sie wartete, fiel ihr Blick schlagartig auf Deidara und Sasori, die offensichtlich hitzig miteinander stritten. Deidara fuchtelte wild mit den Händen herum, um seine Worte mit Gesten zu untermauern, schlug diese Entgegenkommenden um die Ohren, was er entweder nicht bemerkte oder ihn nicht interessierte. Sasori schien weniger erregt, seine Mimik zeigte dieselbe Ausdruckslosigkeit, die sich auch sonst darauf spiegelte, doch seine frostigen graubraunen Augen waren unmerklich verengt. Sakura leckte sich unbewusst über die kalten Lippen. Sie wollte zu gern wissen, worum es bei dem Streit ging, schließlich waren sie mit Hidan befreundet und wenn jemand bewiesen hatte, dass er Vergnügen aus Gewalt und Brutalität zog, dann ja wohl der grauhaarige Yu-Nin. Bedauerlicherweise war es zu laut, um die beiden unauffällig zu belauschen, sie würde sich ihnen auf eine gefährliche Distanz näher müssen. Bei den Massen, die die Straßen verstopften, würde sie ihnen hoffentlich nicht auffallen. „Bitteschön“, sagte der Brillenträger und reichte ihr zwei Tonbecher. „Und Entschuldigung noch mal.“ „Schon okay“, entgegnete sie automatisch, ohne den Blick von den beiden Shinobi zu lösen, nahm die Getränke und anschließend die Verfolgung auf. Ihr überambitioniertes Vorhaben scheiterte bereits nach einigen wenigen Schritten, als der Rothaarige ihr kurz, aber verächtlich in die Augen sah, um ihr zu vermitteln, dass sie nicht unbemerkt geblieben war. Sie seufzte tonlos. Vorerst blieb ihr nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge zu Ino zurückzukehren. „Wo warst du die ganze Zeit?“, rief die Blondine ihr ungeduldig entgegen, die Lautstärke des Festes riss ihr die Worte von den Lippen. Inzwischen hatten sich die übrigen sechs Shinobi, die gemeinsam mit ihnen die Akademie abgeschlossen hatten, zu ihr gesellt, außerdem Tenten, Neji und Lee, die während der vergangenen drei Jahre in ihre kleine Gruppe assimiliert waren, sowie Temari, welche alles andere als erfreut aussah, in der Runde gelandet zu sein. Die hübsche Suna-Nin warf Shikamaru giftige Seitenblicke zu, was in Sakura den Verdacht erregte, dass sie aus irgendwelchen Gründen gemeinsam zum Fest gekommen waren. Das Grüppchen machte ihr Platz in dem Kreis, den sie um Akamaru gebildet hatten, um ihn vor den Füßen der Besucher zu schützen. Der große Hund vertilgte schwanzwedelnd massenweise Schnee und gab dabei zufriedene Brummlaute von sich. Auf der Bühne baute das Orchester seine Instrumente auf, eine Frau mit Geisha-Make-up stimmte mit geübten Fingern eine Koto⁴. Sakuras Aufmerksamkeit schweifte unweigerlich zu der Stelle, wo Sasuke gestanden hatte, doch er war fort und wahrscheinlich war das besser so, denn dadurch konnten sie ihn nicht vorführen, indem sie alle beisammenstanden, als würde er nicht dazugehören. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es einen riesigen Unterschied machte, ob man nicht dazugehören wollte oder ausgeschlossen wurde. Ihr Blick glitt über die Gesichter der Menschen und kreuzte letztlich Hinatas, die sie schon seit geraumer Zeit zu beobachten schien. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Du siehst sehr hübsch aus, Sakura-san“, bemerkte Hinata, deren langes Haar kunstvoll aufgesteckt war, mit ihrer leisen, sanften Stimme. Die Angesprochene konnte sie über den allgegenwärtigen Lärm kaum verstehen. Falls Hinata etwas in die Farbwahl ihrer Kleidung hineininterpretierte, ließ sie sich nichts anmerken. „Danke, du aber auch.“ Tatsächlich sah die Hyūga-Erbin atemberaubend in ihrem orangenen, mit filigranen Goldstickereien verzierten Kimono aus, aber nicht so glücklich, wie Sakura es sich für sie gewünscht hätte, was fraglos an Narutos Ignoranz für ihre Person lag. Sie musterte den Blondschopf von oben bis unten, der seine obligatorische Trainingskleidung trug, von der Sakura hoffte, dass er sie wenigstens frisch gewaschen hatte, und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Er legte zwar weder gesteigerten Wert auf sein Aussehen noch darauf, was andere über ihn sagten oder dachten, doch für Hinata, die sich sichtlich Mühe für ihn gegeben hatte, musste es sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. „Was ist mit deinem Kimono passiert?“, fragte Shino, der neben ihr stand. Sie zuckte leidlich erschrocken zusammen, da sie seine Anwesenheit schon wieder vergessen hatte. Überhaupt entfiel ihr gelegentlich, dass er existierte, obgleich sie ihn seit mehr als einem Jahrzehnt kannte, wusste sie de facto nichts über ihn – außer dass er sich seinen Körper mit irgendwelchen Krabbelviechern teilte und ausgerechnet das würde sie liebend gern vergessen. Der Aburame schien sich immer ein bisschen unwohl unter Menschen zu fühlen, auch jetzt versteckte er sein Gesicht hinter einer getönten Sonnenbrille und einem überdimensionalen Schal, seinen Körper in zu großer Kleidung und seine Hände tief in den Taschen seiner Jacke. „Ach, jemand hat Tee über mich gekippt“, wiegelte sie wortkarg ab. Die Wärme des Getränkes war unterdessen verflogen und der feuchte Stoff bot der frostigen Luft die perfekte Angriffsfläche, um sie auszukühlen. „Ist dir kalt?“, fragte Naruto besorgt. „Nein, geht schon.“ Sakura versuchte noch, ihn abzuwehren, was sich mit zwei Teebechern in den Händen überaus schwierig gestaltete, doch da hatte er seinen roten Schal bereits ab- und ihr umgewickelt. Sie konnte Hinata nicht mehr als einen entschuldigenden Blick zuwerfen. Die blassen Augen des Mädchens glänzten verdächtig. Tenten betrachtete die Rosahaarige mit hochgezogenen Brauen und einem mokanten Halblächeln, hielt, allen Kami sei Dank, aber die Klappe. Sakura begegnete den braunen Augen mit gerecktem Kinn. Sie würde die Situation nicht mit kopflosen Rechtfertigungen verschlimmern. „Also, mir ist arschkalt“, moserte Temari barsch und umschlang Shikamarus Finger eisern mit ihren. „Ich will tanzen. Kommt noch jemand mit?“ Passenderweise beendete das Orchester just in diesem Moment seine Vorbereitungen und stimmte das erste Lied an. Die blonde Suna-Nin schleifte Shikamaru gebieterisch mit sich, der ihr meckernd, aber nicht gänzlich unwillig folgte, und warf Sakura im Vorbeigehen einen undeutbaren Blick zu. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass die Blonde ihr auf ihre ruppige Art zu helfen versuchte, schenkte ihr deswegen ein vorsichtiges Lächeln, das jedoch unerwidert blieb. Wie auf Kommando löste sich das Grüppchen auf. Lee – der das gleiche Outfit wie Sensei Gai trug – stürmte ihnen nach und begann unverzüglich, hyperaktiv aussehende Verrenkungen zu machen, bei denen unklar blieb, ob er tanzte, trainierte oder möglichenfalls beides miteinander kombinierte. Kiba trieb Hinata und Naruto vor sich her auf die Tanzfläche. Hinata blieb gerade mal genügend Zeit, den Zurückbleibenden zuzuwinken, ehe Kiba sie förmlich in Narutos Arme schubste. Shino folgte ihnen wortlos, blieb mit Akamaru, der seinem Herrchen herzerweichend nachwinselte, allerdings am Rand des Geschehens stehen und streichelte dem großen Hund liebevoll über den Kopf. Chōji stürmte den nächsten Imbiss-Stand und Tenten und Neji nutzten die Gelegenheit, um sich diskret abzusondern. Sakura sah Tentens auffälliges, dunkelrotes Cheongsam⁵ noch in der Menge verschwinden, Neji, in seinem weißen Kimono, verschmolz bereits perfekt mit der Umgebung. „Nur Freunde, soso“, sagte Ino vorwurfslos, während sie den Becher von Sakura entgegennahm, diesen jedoch nur mit beiden Händen umklammert hielt und als Requisite nutzte, um ihre Freundin darüber hinweg wissend zu fixieren. Sakura verdrehte die Augen, beließ es jedoch dabei. Es hatte keinen Sinn, das Gegenteil zu behaupten; je stärker sie darauf pochte, dass Naruto und sie nur Freunde waren, desto weniger schien ihr Umfeld ihr zu glauben. Ino hielt ihr ein paar Herzschläge lang mit einem schiefen Grinsen stand, bevor sie die Schultern ein Stückchen anhob und ihre Schulmeister-Miene aufsetzte. „Irgendwann musst du dich entscheiden.“ „Da gibt es nichts zu entscheiden, seit unserem letzten Gespräch hat sich diesbezüglich nichts geändert“, erwiderte sie ungeduldig. „Ich bin nicht plötzlich aufgewacht und habe festgestellt, dass ich in Naruto verliebt bin.“ Ihre leuchtend grünen Augen waren unwillkürlich zu dem Blonden gehuscht, der gemeinsam mit Kiba und Hinata ein schräges Dreiertanzgespann gebildet hatte. Hinata schaute drein, als hätte sie die Zeit ihres Lebens und würde gleichzeitig vor Scham im Boden versinken wollen. Sakura ignorierte das sengende Gefühl, das ihre Wirbelsäule emporkroch. Inos tiefes Seufzen ließ sie sich von Narutos Anblick losreißen. „Ich weiß, dass wir alle gern unsere kleinen Witze über euch beide machen und dass es angenehmer für dich ist, dich der Sache nicht zu stellen, aber…“ Sie zögerte unmerklich, in ihren hübschen hellblauen Augen flackerte etwas auf. „Naruto liebt dich, das musst du doch einsehen, wenn du mal eine Minute rational darüber reflektierst.“ Die Rosahaarige rieb gegen die Wärme, die sich in ihren Nacken ausbreitete, mit eiskalten Fingern an. „So ein Unsinn, er liebt mich doch nicht. Er schwärmt maximal ein bisschen für mich, weil das zu seiner komischen Rivalität mit Sasuke gehört.“ „Das war vielleicht mal so“, sagte Ino in einem Ton, der signalisierte, dass sie Sakura entweder für ignorant oder dumm hielt. „Jetzt will er das volle Programm: Händchen halten, Küssen, Babys machen.“ Sakura hob die Hand in einer defensiven Stopp-Geste, damit Ino aufhörte, und verzog das Gesicht, als sich ihr unweigerlich die unerwünschten Bilder aufdrängten. „Es ist nicht besonders nett von dir, wie du mit Naruto umgehst. Du machst ihm zwar nicht direkt Hoffnungen, aber du hältst ihn dir spürbar als Option offen. Wenn das mit Sasuke nicht klappt – und wenn wir ehrlich sind, standen die Aussichten nie unter einem positiven Stern –, musst du nicht den erstbesten Kerl nehmen, der dich will.“ „Wäre das nicht Lee?“, scherzte sie lahm. „Pah! Lee steht insgeheim auf Neji und kompensiert nur über.“ Sakura kicherte hinter vorgehaltener Hand, doch Inos Ausdruck blieb unbewegt und ernst, sodass sie raten musste, ob die Blonde Spaß machte oder ihre Worte tatsächlich meinte. „Solange er glaubt, den Hauch einer Chance bei dir zu haben, wird er sich nicht anderweitig umsehen; so einer ist Naruto nicht.“ Die Rosahaarige knabberte verunsichert am Daumennagel. Sie hielt sich Naruto nicht offen, das war eine infame Unterstellung – sie hatte nicht mal den Fuß in der angelehnten Tür behalten, sondern diese schon vor Jahren fest und mit einem lauten Knall geschlossen und abgesperrt. Naruto und sie waren Freunde, gute Freunde, beste Freunde und es war normal, dass platonischen Freundschaften zwischen Männern und Frauen stets eine amouröse Neigung unterstellt wurde. Gleichzeit waren sie älter geworden, bestimmten Gesten wie einem langen Blick oder einer herzlichen Umarmung haftete plötzlich etwas unterschwellig Verfängliches an. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass sie dann und wann Gedanken hegte, die sich ihren Unterleib auf angenehme und aufregende Weise zusammenziehen ließen, und wo ihre romantischen Fantasien ursprünglich erfüllt waren, wie sie sich mit Sasuke unterhielt oder seine Hand hielt, stellte sie sich nun vor, ihn zu küssen, ihn zu berühren. Dann kam ihr ein anderer Gedanke, der dafür sorgte, dass sie versehentlich in ihren ohnehin lädierten Daumen biss und die kleine Wunde erneut aufriss. „Bist du…? In Naruto?“ „Hast du ‘ne Macke?!“, keifte Ino prompt drauf los. Eine fleckige Röte kroch ihren Hals hoch und breitete sich systematisch bis unter ihren Haaransatz aus. Also nicht; irgendwie erleichterte sie das. Sakura strich eine Strähne ihres chrysanthemengeschmückten Haares hinters Ohr, als Ino sich jäh versteifte und Sakura am Arm zu sich heranzog. Deidara stand in gut drei Metern Entfernung zu den beiden Mädchen. Er sah aus, als wisse er selbst nicht recht, was er hier bei ihnen wollte, sein Teint hatte unter der Rötung einen ungesunden gräulichen Farbton angenommen. „Ähm, hi, hm“, sagte er, seine blauen Augen huschten unstet zwischen Ino und Sakura umher. „Hi?“, erwiderte Ino fragend und tauschte einen kurzen Blick mit Sakura, die nur ahnungslos die Achseln zucken konnte. „K-k-kann i-i-ich m-mi-mit dir re-reden, hm? A-allein, hm?“, stotterte er, sichtlich peinlich berührt, was die Röte auf seinem Gesicht vertiefte. Sein Adamspafel hüpfte nervös, als er hart schluckte. „Was willst du denn von mir?“, fragte Ino und machte einen halben Schritt auf ihn zu. Sakura, die das für eine phänomenal beschissene Idee hielt, hielt sie zurück. Deidara schluckte mehrmals kurz hintereinander. Sakura hatte das bereits ein paar Mal bei Menschen erlebt, die sich jede Sekunde übergeben mussten, und wenn sie sich den Blonden genauer betrachtete, erweckte er tatsächlich den Eindruck, krank zu sein. Allerdings hatte sie nicht vergessen, was Shikamaru ihr über ihn gesagt hatte, ebenso wenig, dass er billigend in Kauf genommen hätte, ein ganzes Viertel zu zerstören und in dem Zuge unschuldige Zivilisten zu töten, daher hielt sich ihr Mitleid für ihn in Grenzen. „W-w-wi-willst d-du…, hm“ Er kniff die Augen zusammen, als würde das Gestotter dadurch einfach verschwinden, sein Kiefer spannte sich an, als er die Zähne zusammenbiss. Seine Handmünder klackerten aufgeregt mit den kleinen Zähnchen und leckten über seine Handflächen, Speichel tropfte ihnen über die Lippen und rann über seine Finger. Er wischte die Hände an seiner dunklen Hose ab. Es tat Ino sichtlich weh, ihm dabei zuzusehen, wie er sich abmühte, ihre Miene nahm weichere Züge an. Keine der beiden drängte ihn zum Weitersprechen oder machte aufs Geratewohl Vorschläge, was er vielleicht zu sagen versuchte. Von seinem sonst so überzogenen Selbstbewusstsein schien jedenfalls nicht viel übriggeblieben zu sein. „T-tanzen, hm? Mit m-mir, hm?“, brachte er holprig heraus und starrte anschließend wie ein unartiger Junge auf seine Schuhspitzen. „Ob ich mit dir tanzen will?“, wiederholte sie ungläubig und warf Sakura einen Blick zu, als wollte sie Bestätigung, sich nicht verhört zu haben. „Hm…“ „Ich weiß nicht“, wiegelte sie unentschlossen ab und umarmte sich selbst. Sakura bemerkte, dass sie zögerte, aber offensichtlich nicht gänzlich abgeneigt war. Objektiv betrachtet war Deidara freilich attraktiv, jedoch fand sie nicht, dass man ihm vertrauen konnte oder sollte. Andererseits schien er nicht nur eine perfide Show abzuziehen und möglichenfalls gelang es Ino sogar, ein paar nützliche Informationen aus ihm herauszubekommen. Sie zog Ino ein paar Schritte zurück und drehte sich und sie so, dass sie mit dem Rücken zu ihm standen, damit er nicht von ihren Lippen lesen konnte. „Du solltest es machen“, wisperte sie widerstrebend. „Horch ihn ein bisschen aus.“ „Aushorchen? Worüber denn?“, raunte die Blonde verwirrt zurück. „Wie er zum Frieden zwischen den Nationen steht, solche Dinge.“ Ino presste die Lippen aufeinander, weswegen Sakura noch ein eindringliches Bitte nachschob. „Klärst du mich noch auf oder ist das wieder so eine Sache, die du mir nicht sagen kannst?“, zischte sie verärgert. „Ich kann es dir nicht erklären, vor allem nicht jetzt.“ Sakura schaute sie stattdessen mit einem bettelnden Blick an und versuchte, ihr die inoffizielle Mission mit den Augen zu verkaufen. Ino knurrte wütend, doch als sie sich umdrehte, zierte ein süßes Grinsen ihren hübsch geschwungenen Mund. „Nach eingehender Beratschlagung haben wir beschlossen, dass das in Ordnung geht.“ Sie drückte Sakura ihren Teebecher in die Hand und griff nach Deidaras, hielt im letzten Augenblick jedoch inne. „Die beißen doch nicht, oder?“ „Meistens nicht“, sagte er und lächelte sie vorsichtig an, was ihn viel jünger und so unschuldig wie ein Lämmchen aussehen ließ, dann wischte er sich die Handfläche abermals an der Hose trocken und streckte diese Ino unsicher entgegen. Sakura konnte nicht umhin, zu bewundern, wie furchtlos sie seine Hand nahm; sie selbst wäre vor Ekel vermutlich gestorben. „Das musst du mir aber erklären. Ich bin Iryōnin und…“ Den Rest verstand Sakura nicht mehr, da sich die beiden bereits zu weit entfernt hatten. Ihr war nicht wohl dabei, ihre beste Freundin dieser Gefahr auszusetzen – sollte Deidara herausfinden, dass sie ihn betrogen, würde er das vermutlich nicht gut aufnehmen. Sie musste auf Inos Raffinesse vertrauen, schließlich wusste sie, dass die Yamanaka clever war, nur wusste sie dummerweise nicht, wie clever der Iwa-Nin war. Schlagartig fühlte Sakura sich sehr nutzlos. Mal wieder. Und sehr einsam. Sie starrte auf die unberührten Teebecher in ihren Händen. Wie allein man eigentlich war, merkte man, wenn man vom Gelächter gut gelaunter, glücklicher Menschen umgeben war, die sich allesamt nicht für einen interessierten. Der Inhalt der Becher kräuselte sich unter kleinen Wellen. Sie konnte Sasuke eben doch verstehen, auch wenn er das nicht anerkennen wollte. Als hätte sie ihn Kraft ihrer Gedanken beschworen, blitzte eine auffällig schwarze Polizei-Uniform zwischen den leuchtend bunten Gewändern auf. Der Schmerz durchzuckte sie wie ein Stromstoß, die frische Wunde ihrer Seele platzte auf und spuckte Blut. Sie sah zu den Tanzenden, entdeckte jedoch keinen ihrer Freunde, straffte den Rücken und ging auf ihn zu. Wie sagte man so schön: Der einzige Weg raus war durch. Sasuke stand mit dem Rücken zu ihr, das Gesicht gelangweilt den Musikern zugewandt. Seine Muskulatur zeichnete sich deutlich unter der Uniform ab, die seine trainierten Schultern und seine gerade Haltung betonte, und Sakura verlor sich für eine Sekunde in dem Tagtraum, wie sich besagte Muskeln beim Tanzen unter ihren Fingern anfühlen würden, obgleich sie ihn nicht für einen leidenschaftlichen Tänzer hielt – aber das war sie selbst eigentlich auch nicht. Ihr Puls beschleunigte sich und pumpte Hitze in ihre Wangen. Scham blubberte in ihr hoch, weil er schließlich vergeben war. Sie musste aufhören, ihn zu offensichtlich zu mögen. Eigentlich musste sie aufhören, ihn überhaupt auf diese Weise zu mögen. „Du solltest dich amüsieren“, sagte er und drehte ihr den Kopf gerade mal so weit zu, wie nötig war, um sie anzusehen. Die Frage schien ihr offensichtlich ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn er beantwortete sie, ohne dass sie diese stellen musste. „Dein Parfum.“ Sakura runzelte die Stirn, sie hatte plötzlich das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben, schüttelte den Eindruck jedoch mit einem Lächeln ab. „Schon etwas Verdächtiges beobachtet?“ „Ja, eine Kunoichi, die einen Polizei-Lieutenant abzulenken versucht.“ „Die verdächtige Kunoichi will dem Lieutenant nur etwas heißes zu trinken bringen.“ Sie hielt ihm einen der Becher hin, zwang ihn damit, sich ihr gänzlich zuzuwenden. Sasuke roch an dem Getränk, während er seine Augen über ihre Erscheinung gleiten ließ. „Interessante Wahl.“ Ob er damit den Tee oder ihren Kimono meinte, konnte sie nicht entschlüsseln, doch seine intensive Betrachtung reichte aus, um ihr prickelnde Schauer über den Rücken zu jagen. Sie schluckte nervös. Ihre Kehle war trocken und fühlte sich eng an, weswegen sie den Becher an die Lippen hob, jedoch von ihm aufgehalten wurde, ehe etwas von dem Getränk in ihren Mund gelangen konnte. „Das solltest du besser nicht machen.“ „Wieso?“, fragte sie verdutzt. Er musterte sie regungslos, zuckte dann jedoch nur die Achseln. „Deine Sache.“ Irritiert von seinem absonderlichen Verhalten nippte sie an dem Heißgetränk und bezahlte es unverzüglich mit einem Hustenanfall. „Meine Güte“, keuchte sie, während sie sich aufs Brustbein klopfte. „Was ist das denn?“ „Sake.“ Er legte den Kopf leicht schief. „Hast du das nicht bemerkt?“ „Offensichtlich nicht“, japste sie. Vom Husten tränten ihre Augen und sie kippte den dampfenden Alkohol in den Schnee, der ein hässliches Loch in die weiße Glitzerdecke fraß. „Tut mir leid, eigentlich hatte ich nach Tee verlangt.“ „Gib einfach zu, dass Tsunades Alkoholproblem auf dich abgefärbt hat“, sagte er, doch in seinen Augen glomm ein Fünkchen gut gelaunter Spott. „Haha“, entgegnete sie schmollend, weil sie nichts Besseres zu erwidern wusste. Sie fühlte sich, als würde ihr zwölfjähriges Ich neben ihr stehen und sie auslachen. Zwischen den beiden breitete sich Schweigen aus, aber nicht die angenehme Art. Sasuke behielt pflichtbewusst die Umgebung im Blick, sah überall hin, nur nicht zu ihr, und Sakura, die offenbar masochistische Tendenzen hatte, überlegte fieberhaft, wie sie ihn möglichst beiläufig auf die hübsche Uchiha ansprechen konnte, doch wenn sie Ehrlichkeit und Vertrauen von ihm erwartete, musste sie mit gutem Beispiel vorangehen, angefangen dabei, dass sie sich deswegen elend fühlte. „Das im Dango-Shop…“, setzte sie zögerlich an und spielte mit dem leeren Becher, um ihren rastlosen Händen eine Beschäftigung zu geben. „Was war da los?“ „Was meinst du?“ „Ich verstehe, was du mir gesagt hast, also nein, eigentlich verstehe ich es nicht, aber...“ Sie zuckte unschlüssig mit den Schultern, als würde das irgendwas erklären. „Um ehrlich zu sein, kam ich mir erniedrigt vor, dass du uns nicht mal bekannt gemacht hast, und ich kann mir nur vorstellen, wie das für deine Freundin gewesen sein muss.“ Seine Augenbrauen verschwanden in den Haarsträhnen, die ihm verwegen in die Stirn fielen. „Meine…? Wen meinst du?“ „Hast du mehr als eine Freundin?“, konterte sie schnippisch. „Ich meine das Mädchen, mit dem du dich getroffen hast.“ „Izumi?“ „Ich weiß nicht, wie sie heißt. Du hast uns schließlich nicht vorgestellt.“ Sein Mundwinkel schien amüsiert zu zucken, dann sagte er: „Du musst Izumi meinen, meine Mutter kann man auch mit viel gutem Willen nicht mehr als Mädchen bezeichnen.“ „Deine M-m-mutter?!“, stotterte sie schockiert und erinnerte sich vage an eine gut aussehende, dunkelhaarige Frau, die sie auf ihrer panischen Flucht vor besagter Izumi angerempelt hatte. Natürlich musste es sich bei ihr ausgerechnet um seine Mutter und die Gemahlin des Oberhauptes eines der einflussreichsten Clane im Feuerreich handeln… wieso auch nicht. Sie vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Sasuke gab einen Laut von sich, der einem Glucksen verdächtig nahekam. „Du hast bleibenden Eindruck hinterlassen.“ „Toll“, grummelte sie beschämt und richtete das Gesicht gen Firmament. Die Schneeflocken fühlten sich gut auf ihrer erhitzten Haut an. „Izumi also“, wisperte sie und presste die Lippen aufeinander, weil es ihr unangebracht vorkam, den Namen des Mädchens auszusprechen. „Sie ist… eine Bekannte meines Bruders.“ „Deines… oh!“ Es dauerte einen Moment, bis sie seine Worte kognitiv verarbeitet hatte, doch dann durchflutete siedend heiße Euphorie jede Zelle ihres Körpers, ließ sie wie eine Idiotin grinsen. Sie wusste, dass sie lächerlich aussehen musste, aber sie konnte nichts dagegen unternehmen. Wollte sie auch gar nicht. Wenn für ihn auch nur der geringste Zweifel darüber bestanden hatte, wie sie für ihn fühlte, war ihre Reaktion sicherlich so unmissverständlich, als hätte sie ihm ihre Liebe ins Gesicht gebrüllt. Sasuke musterte sie interessiert, wie ein junges Kind, das mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herumstocherte und neugierig war, was passieren würde. „Bist du deswegen weggelaufen, weil du dachtest, Izumi wäre meine Freundin?“ Er sprach das Wort verächtlich aus, als wäre nicht nur der Gedanke vollkommen absurd, sondern als haftete ihm etwas Abstoßendes an, als hätte sie ihm unterstellt, gern die Unterwäsche seiner Mutter anzuziehen. Sakura wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, ohne ihm ihre Gefühle zu beichten, also sagte sie nichts. Sie ahnte, dass er ein vorsätzliches Liebesgeständnis nicht tolerieren würde. Für ihn konnte sie in ihn verliebt sein, wie sie wollte, solange sie ihn nicht zu sehr damit behelligte. „Hast du die ganze Nacht Dienst?“, fragte sie schließlich, fing aus einem infantilen Impuls heraus eine Schneeflocke, die auf ihrer Nasenspitze zu landen drohte, mit der Zunge auf, was ihn schnauben ließ. „Ja, ich muss jetzt auch weiter durchs Dorf patrouillieren. Solche Feste arten schnell aus, weil es immer ein paar Idioten gibt, die sich betrinken und dann Streit anfangen. Dieses Jahr müssen wir besonders aufpassen, weil so viele Fremde aus anderen Dörfern anwesend sind. Außerdem bereitet uns der Hyūga-Clan Sorgen; es ist das erste Mal, dass Ninja aus dem Dorf versteckt unter den Wolken in Konoha sind, seit sie Hinata zu entführen versucht haben.“ „Oh, daran erinnere ich mich. Neji erwähnte sowas, als er während der Chūnin-Prüfung gegen Naruto gekämpft hat“, entsann sie sich, milde irritiert, dass er plötzlich so gesprächig geworden war. „Genau.“ Sasuke nickte zur Bestätigung. „Sie haben sich gegenseitig betrogen und sehen sich beide im Recht. Es ist nicht auszuschließen, dass alte Rechnungen beglichen werden sollen, aber wenn es zu einer Katastrophe kommt, wird man meinen Clan dafür verantwortlich machen, weil wir nicht gut genug aufgepasst hätten.“ Sakura knetete ihre steif gefrorenen, geröteten Finger. „Hinata ist bei Naruto, so leicht wäre sie diesmal immerhin nicht zu entführen.“ „Das letzte Mal wurde sie aus ihrem Schlafzimmer im Hyūga-Anwesen verschleppt“, entgegnete er vielsagend, damit sie mit dieser Information anfangen konnte, was sie wollte. Er machte Anstalten, an ihr vorbeizugehen, als sie rasch fragte: „Kann ich mitkommen?“ „Nein“, sagte er, hielt jedoch auf Höhe ihrer Schulter inne. „Aber ich muss gegen elf auf dem Hokage-Felsen sein, von da aus hat man eine ganz gute Sicht auf das Feuerwerk.“ „Könnte sein, dass ich zufällig in der Nähe bin“, erwiderte sie bemüht nonchalant. Das idiotische Grinsen eroberte ihre Mundwinkel zurück. Kapitel 11: Explodierender Himmel --------------------------------- Es war kurz vor zehn Uhr und Sakura schlenderte beschwingt über das Fest, knabberte an einem gegrillten Aal-Spieß und lächelte so glückselig vor sich hin, dass man sie für betrunken halten musste. Oder für verliebt. Ihre Aura der puren Glückseligkeit hatte ein paar junge Männer animiert, sie auf ein Getränk einzuladen, was sie dankend abgelehnt hatte, dabei aber so fröhlich gewesen war, dass sich die Enttäuschung der Zurückgewiesenen in Grenzen gehalten hatte. Nun strebte sie allmählich dem Hokage-Felsen entgegen und passierte das Akademie-Gebäude, dessen Anblick sie seit ihrem Abschluss mit einer gewissen Wehmut erfüllte. Es kam ihr unvorstellbar vor, dass es ziemlich genau vier Jahre her war, dass sie zum Genin ernannt und Team 7 zugeteilt worden war. Die Schaukel wurde sanft vom Wind bewegt und quietschte leise. Sakura blickte sich verstohlen um, machte einen Satz über den Zaun und landete beinahe geräuschlos auf der anderen Seite, obwohl ihr Kimono gewiss nicht das beste Kleidungsstück für Aktivitäten jenseits von stehen, gehen und hübsch aussehen war. Sie ging zur Schaukel, befreite diese vom Schnee und setzte sich darauf, schwang langsam vor und zurück, während sie in den Himmel starrte und ihren Aal verspeiste. Ihre Schuhe hinterließen Rillen im Schnee. Das letzte Mal, dass sie auf der Schaukel gesessen hatte, hatten ihre Füße noch ein gutes Stück über dem Boden geschwebt. Sie verbrachte eine ganze Weile auf dem Akademie-Spielplatz und malte sich von Innen heraus wärmende Szenarien aus, wie ihr späteres Treffen mit Sasuke verlaufen könnte. Oder durfte sie wagen, es als Date zu bezeichnen? Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken aus dem Kopf zu bekommen; sie wollte schon wieder zu viel und würde den zweiten Schritt nicht vor dem ersten gehen. Ein unterdrückter Aufschrei riss sie abrupt aus ihren Gedanken und gleich darauf glitt eine schemenhafte Gestalt über den Zaun, die sich im blassen, von Wolken verhangenen Halbmond rasch als Hidan entpuppte. Er hatte eine Frau über die Schulter geworfen, die ihr hysterisches Gekicher mit der flachen Hand abzudämpfen versuchte. „Das war voll cool“, lobte sie, doch ihre Stimme klang verwaschen, die Silben unartikuliert und verschluckt, als wäre sie benommen oder, was wahrscheinlicher war, ordentlich angetrunken. „Kinderspiel“, gab er an und setzte die Frau ab, die sich an seinem Arm festklammern musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Okay, du hast bewiesen, dass du’s draufhast.“ Sie gab ihm einen Klaps gegen die Brust, was ihn ihr Handgelenk packen und sichtlich grob nach unten drücken ließ. Offenbar schätzte sie die Lage jedoch nicht als sonderlich bedrohlich ein, denn die derbe Behandlung ließ sie erneut kichern. Sakura saß stocksteif und mucksmäuschenstill auf der Schaukel. „Jetzt lass uns verschwinden.“ „Nee, wenn wir schon hier sind, will ich mich mal umsehen“, widersprach Hidan und zerrte die zierliche Frau ohne Vorwarnung hinter sich her, die aufgrund dessen beinahe über ihre eigenen Füße stolperte und ein paar Schritte lang hinzufallen drohte, ehe sie sich wieder fing. „Wenn die uns erwischen, gibt’s nur Stress“, moserte die Frau und zog an Hidans Arm, um ihn zum Umkehren zu bewegen, hatte gegen den körperlich überlegenen und trainierten Mann jedoch keine Chance. „Ich mein’s ernst, Babe, ich könnte deswegen meine Anstellung verlieren.“ „Na und, du bist eh nur ‘ne Tippse“, höhnte er. „Was willst du‘n hier? Ist doch nur ‘ne stinkige, alte Schule“, sagte sie einschmeichelnd. „Komm schon, wir machen’s uns bei mir gemütlich und…“ „Halt’s Maul.“ „Hey! So kannst du nich‘ mit mir reden“, beschwerte sie sich verärgert. „Ach, und was willste dagegen machen?“ Sakura hörte das ekelhafte Grinsen heraus, allein die Erinnerung daran bereitete ihr Übelkeit. „Ich…“ Die Frau klang verunsichert, dann ängstlich, als sie abermals flehte: „Bitte, Babe, ich massier dir auch den Rücken.“ „Du kannst mir gleich was anderes massieren.“ „Ich will zurückgehen“, beharrte die Frau, nun eindeutig panisch. „Ich hab keine Lust mehr.“ „Ich hab keine Lust mehr“, äffte er sie mit einer überspitzten Kleinmädchenstimme nach. „Stell dich nicht so an. Bei Jashin, ihr Weiber hier geht mir vielleicht alle auf den Sack.“ Sakura hörte ein Klatschen, unverzüglich gefolgt von einem schrillen Quieken. Sie saß mit aufgerissenen Augen auf der Schaukel, ihr Atem ging schwer und presste Kondenswölkchen aus ihrem Mund. Eisern hielt sie die Aufhängevorrichtung umklammert, die groben Juteseile schnitten in ihre Handflächen, doch ihre Finger waren zu kalt, um den Schmerz wahrzunehmen. Sie musste etwas unternehmen. Aber sie wollte nicht. Doch es war ihre Pflicht – als Shinobi und als Frau –, einer hilflosen Zivilistin und Geschlechtsgenossin beizustehen. Und Hidan hatte sie nicht bemerkt, das bedeutete bestenfalls, dass er stark alkoholisiert war, was ihr wiederum einen Vorteil gegen ihn verschaffen könnte. Sie glitt geräuschlos von der Schaukel und raffte ihren Kimono, um sich besser und schneller bewegen zu können. Ihr Herz flatterte nervös und sie verspürte ein dumpfes Stechen in der Brust; die ganze Aufregung, die vielen Gefühlshochs und -tiefs hatten sie nicht nur psychisch, sondern auch physisch ausgelaugt. Die junge Kunoichi folgte den Fußspuren der beiden Eindringlinge, die um das Schulgebäude herum- und zu einem Hintereingang führten. Das Schloss war offensichtlich geknackt worden, die schwere Stahltür nur angelehnt – die Schnelle und Präzision, mit der die Tür aufgebrochen worden war, zeugte davon, dass der Verantwortliche gewusst hatte, was er tat, denn auch bei genauerer Betrachtung deuteten keinen Spuren auf das gewaltsame Eindringen hin. Sakura atmete ein letztes Mal tief durch, um Mut und Kraft zu tanken, ehe sie die Tür aufriss. Ihr blasser Umriss zeichnete sich in dem Lichtrechteck ab, welches der Mond in den dunklen Schulflur warf, dann schaltete sie die Beleuchtung an. Die grellen Lampen flammten jeweils mit einem Knacken auf. Hidan hatte seine langen Finger um den Hals der Frau geschlossen, sie mit dem Körper gegen die Wand gepinnt und küsste sie hart. Sie hatte das Gesicht verzogen und die Lippen passiv geöffnet, sodass Sakura sehen konnte, wie Hidans Zunge wie ein glitschiger Wurm in der Mundhöhle der Frau wühlte. Ihre Augen waren weit aufgerissen, schienen ein Stückchen aus den Höhlen getreten zu sein und ihr beinahe aus dem Kopf zu fallen, als sie die Iriden in Sakuras Richtung verdrehte. Die junge Kunoichi meinte, Furcht und Scham darin zu erkennen. „Lass sie in Ruhe“, verlangte Sakura selbstbewusst, versuchte sich dabei an einer Imitation Kakashis, dessen Bestimmtheit, Souveränität und Nonchalance den meisten Gegnern mit der ersten Silbe Respekt beibrachte. Ihre Stimme schnitt scharf wie ein Kunai durch den Korridor und sie machte einen beherzten Schritt nach vorne. Hidan grunzte unwillig, wirkte darüber hinaus jedoch wenig beeindruckt, was sicherlich nicht zuletzt daran lag, dass er von einem normalen Gegner so weit entfernt war wie sie von Kakashis autoritärer Ausstrahlung. Für einen Moment glotzte er sie dümmlich an, dann verbogen sich seine Lippen zu einem hässlichen Schmunzeln. Grellpinker Lippenstift klebte um seinen Mund verschmiert. „Eifersüchtig, meine Süße?“ „Ich bin bestimmt nicht deine Süße“, spie Sakura und täuschte einen Angriff an. Hidan riss die Frau am Hals wie einen Schutzschild zwischen sich und die Rosahaarige. Sie hing wie eine Puppe in seinem unbarmherzigen Griff und röchelte leise. Sakura bremste rechtzeitig ab, da sie dem Yu-Nin zugetraut hatte, genau das zu machen, und die wehrlose Frau ansonsten ihren Angriff abbekommen hätte. „Du bist ein Schwein“, fauchte sie angeekelt. „Lass sie los oder geht dir nur einer ab, wenn du Schwächere quälen kannst?“ Hidan pulte sich gelangweilt mit dem kleinen Finger im Ohr, schnippte anschließend einen Krümel Ohrschmalz fort. „Wir haben hier nur ‘n bisschen Spaß. Ist alles, ähm… einvernehmlich.“ Er grinste; wahrscheinlich war er stolz, dass er das Wort im Vokabular hatte. Sie biss in hilfloser Wut die Zähne aufeinander; solange er die Frau in seiner Gewalt hatte, war sie machtlos, und sie hatte kein Jutsu im Repertoire, das ihr in dieser Situation nützte. Während sie sich fieberhaft eine Strategie überlegte, wie sie die andere aus ihrer verzwickten Lage befreien konnte, nutzte die die Gelegenheit, dass Hidan sich auf die Kunoichi konzentrierte, und rammte ihm ihren Ellbogen mit ganzer Kraft in den Schritt. Die Augen des Silberhaarigen traten leicht aus den Höhlen, sein Griff um ihren Hals lockerte sich und Sakura reagierte sofort mit Chakura no Mesu, sprang kraftvoll auf Hidan zu und zielte auf seinen Arm, bereit und willig, ihn notfalls davon zu befreien. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Frau freizugeben, um rechtzeitig ausweichen zu können. Ihr Angriff traf ins Leere, doch die Frau sackte befreit auf Händen und Knien zusammen und hielt sich schwer keuchend den geröteten Hals. „Los, verschwinde“, pflaumte Sakura sie barsch an und schob sich seitlich vor sie, um sie gegebenenfalls besser schützen zu können. Sie fürchtete, dass Hidan sie abermals zwischen die Finger zu bekommen versuchen könnte – und ein zweites Mal würde dieser kleine Trick garantiert nicht funktionieren. Die Frau nickte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, krabbelte ein Stückchen auf allen Vieren, bevor sie wackelig auf die Beine kam und weglief. „Das war echt ‘ne ehrlose Nummer“, moserte Hidan und rieb sich obszön über die Genitalien, fand jedoch rasch zu einem anzüglichen Grinsen zurück. „Du bist doch ‘ne Heilerin, verarzte mich mal.“ „Du bist absolut widerlich“, schleuderte sie ihm entgegen, während sie sich langsam zurückbewegte. Sie war alles andere als erpicht auf einen Kampf und Hidan war nicht so dumm wie er aussah, hatte ungünstigstenfalls längst analysiert, dass ihre Kampftechnik auf roher Stärke basierte, wohingegen sie de facto nichts über seinen Stil wusste, außer dass er bevorzugt mit seiner Sense angriff. Da er die Waffe nicht dabeihatte, wusste sie nicht, worauf sie sich einzustellen hatte. „Na, das is‘ aber nich‘ nett“, tadelte er gespielt betroffen, näherte sich ihr wie ein Raubtier, das wusste, dass es kein Entkommen für seine Beute gab, und jede Sekunde zubeißen würde. „Es wäre dumm, mich anzugreifen“, sagte sie betont selbstsicher und reckte demonstrativ das Kinn. „Wenn mir etwas passiert, fällt das sofort auf dich zurück.“ Automatisch machte sie noch einen Schritt von ihm weg, obgleich ihr klar war, wie ängstlich es sie wirken ließ und wie viel Macht ihre Angst ihm über sie gab. „Das denke ich nicht“, meinte er listig lächelnd. „Weshalb sollte jemand dem verwirrten Gelaber ‘ner stockbesoffenen Tussi glauben, hä? Die Alte hat sich an mich rangemacht und weil ich sie abgewiesen hab‘, will sie sich an mir rächen. Außerdem war ich die ganze Zeit auf dem Fest, gibt genug Leute, die das genau so bestätigen werden.“ Er grinste gönnerhaft. „Und wer sagt überhaupt, dass ich dich angreifen möchte?“ Wie um seine Worte Lügen zu strafen, stürmte er frontal auf sie zu. Sakura war nicht dumm genug, es für einen echten Angriff zu halten. Nur Idioten – und Naruto – griffen frontal an. Sie wich leichtfüßig aus, musste allerdings abermals ihren Kimono raffen, da der Stoff ihre Beinfreiheit stark einschränkte. Er setzte ihr nach und Sakura realisierte, dass er ihren Fluchtweg abschneiden wollte, indem er sich zwischen sie und die Tür brachte. Nur nützte ihr die Erkenntnis nichts, da sie keine Alternative hatte, als sich wie ein dressiertes Hündchen herumscheuchen zu lassen. Hidans Bewegungen waren langsam und vorhersehbar, seine Augen glommen vor sadistischem Vergnügen. Er verarschte sie, schoss ihr durch den Kopf, spielte Katz‘ und Maus mit ihr, denn sie hatte bereits gesehen, dass er wesentlich agiler sein konnte, wenn er wollte. Er bewegte sich gerade schnell genug, dass sie zwar problemlos ausweichen, aber keine Fingerzeichen formen konnte. Sie biss die Zähne frustriert zusammen und sammelte Chakra in ihrer Faust. Wenn sie Glück hatte, rechnete er nicht damit, dass sie sich aus der Defensive herausbewegte und selbst zum Angriff überging. Ein gut platzierter Kinnhaken würde ihn hoffentlich lange genug außer Gefecht setzen, dass sie flüchten konnte. Sakura spielte Hidans perfide Schmierenkomödie noch einige Augenblicke mit, täuschte dann ein Ausweichmanöver an, um im letzten Moment zuzuschlagen. Der silberhaarige Yu-Nin flog krachend gegen die Wand, Sakura lachte triumphierend auf, dann zerplatzte er in tausende Wassertropfen. Ihre Augen weiteten sich geschockt – die nassen Fußabdrücke auf dem Boden, verdammt. „Hab dich“, raunte er ihr ins Ohr und schlang von hinten die Arme um sie. Sakura erstarrte. Hidans Hände brannten sich durch ihren Kimono, seine Finger umfingen ihre Brüste, quetschten sie brutal zusammen. „Gar nicht mal schlecht für jemanden, der so flach ist“, höhnte er und drückte so fest zu, dass sie vor Schmerzen leise aufstöhnte. Scham und Wut loderten auf ihren Wangen. Sie wusste nicht, was schlimmer war, dass er ihre Brüste begrapschte oder dass er sie hinterrücks hätte angreifen können, sich stattdessen jedoch dazu entschieden hatte, sie zu demütigen, weil er sie als Gegnerin nicht ernst nahm. Sakura drehte sich wie betäubt aus seinen Armen, bis auf den letzten Muskel angespannt. „Das hast du nicht gemacht“, zischte sie bedrohlich leise. „Ist das ‘ne Aufforderung? Du schuldest mir was, du hast mir mein Weib verscheucht. Wär‘ nur fair, wenn du ihren Platz einnimmst.“ „Fass mich noch mal an und…“ „Und?“ Hidan grinste böse und in ihr stieg eine Kälte auf, die ihre Nackenhärchen aufrichtete. „Ist das jetzt ‘ne Drohung oder ‘n Angebot?“ Sakura ließ die Schultern sinken, was sein ekelhaftes Grinsen siegessicher verbreiterte, dann holte sie aus und ließ ihre Faust in sein Gesicht krachen. Sein Nasenbein brach unter der Kraft ihres Schlages, heißes Blut spritzte aus seinen Nasenlöchern, als er, überrascht von dem Angriff, zwei Schritte nach hinten taumelte. Ihre Augen leuchteten schadenfroh auf, doch nachdem er sich wieder gefangen hatte, schien er nur wenig beeindruckt, hob sogar belustigt die Brauen, während er seine gebrochene Nase mit einem Übelkeit erregenden Knirschen richtete. Sie wich vor ihm zurück, entsetzt, wie wenig ihr Schlag gebracht hatte. Freilich hatte sie nicht mit ganzer Kraft zugeschlagen – sie hatte ihn schließlich nicht umbringen, sondern nur ausknocken wollen –, doch Hidan benahm sich, als hätte sie ihn mit einem Wattebällchen beworfen, wo er mindestens benommen auf dem Boden liegen müsste. Selbst Kakashi hatte sie mit einem solchen Schlag von den Füßen gehauen. Angst kroch heiß und kalt ihr Rückgrat empor, verdrängte die Wut, die seine unsittliche Berührung in ihr ausgelöst hatte. Ihre noch immer geballte Faust bebte, das Zittern breitete sich von ihrer Hand über ihren Arm auf ihren gesamten Körper aus, indes er sich genüsslich Blut von der Oberlippe leckte. „Du magst es hart?“, giggelte er wahnsinnig. „Ich auch.“ Er ging mit federnden Schritten auf sie zu und Sakura wich panisch keuchend zurück, schluckte verbissen gegen die aufsteigenden Tränen an, als er plötzlich innehielt und aufhorchte. Sie bemerkte die zwei Shinobi, die sich der Akademie rasend schnell näherten, ebenfalls. „Das nächste Mal, Schlampe“, versprach er mit einem blutverschmierten, dämonisch aussehenden Grinsen und verschwand in einer Rauchwolke. Sakura fiel auf die Knie und verbarg das Gesicht zwischen den Fingern. Schon wieder hatte sie versagt und gerettet werden müssen. Sie war eine Schande. Das Mädchen kniff die Augen fest zusammen, doch die Tränen kamen nicht. Sie fühlte sich nutzlos und schmutzig, kreuzte die Arme automatisch über ihren Brüsten, in denen der Schmerz dumpf nachhallte, versuchte, die Erfahrung in der dunkelsten Ecke ihrer Erinnerungen wegzusperren, bevor sie sich wie eine Giftgaswolke in ihrer Psyche ausbreiten konnte. Würde ihr Wort ausreichen, um ihn zur Rechenschaft ziehen zu lassen? Vermutlich nicht, denn was hatte er schon getan, außer ihre Seele mit seinen dreckigen Pfoten zu besudeln. Im Gegensatz zu Ino hatte sie nicht mal sichtbaren Schaden genommen und dennoch hatte es keine Gerechtigkeit für ihre Freundin gegeben. Und sie wollte nicht, dass Hidan künftig wie ein Makel an ihr klebte. Die Scham begann bereits, ihre Lippen zu versiegeln. Die beiden Shinobi hatten ihr Ziel fast erreicht und Sakura verschwand, ehe sie eintreffen und sie verhören konnten. Die junge Kunoichi erklomm schnaufend die zahlreichen Stufen, die den Hokage-Berg hinaufführten. In ihrer Kehle saß ein dicker Knoten, der sich bei jedem Atemzug enger zog und ihr das Luftholen erschwerte, ihre Augen brannten, aber zumindest das konnte sie auf die Kälte schieben. Sie versuchte, sich auf das Treffen mit Sasuke zu freuen, doch die anfängliche Euphorie hatte nun einen faden Beigeschmack. Abermals kreuzte sie schützend die Arme vor dem Busen, der sich wund unter ihrer eigenen Berührung anfühlte, obwohl sie wusste, dass das nicht sein konnte. Der Himmel klarte pünktlich für das Feuerwerk auf, Tausende von Sternen funkelten romantisch auf sie herab. Konoha leuchtete wie eine eigene kleine Galaxie zu ihren Füßen. Es war beinahe vollkommen still, als wäre sie aus der Zeit gefallen, nur wenn der Wind günstig stand, schwappten vage Musikfetzen bis an ihre Ohren. Sakura wischte sich kalten Schweiß von der Stirn und sah sich um, doch von Sasuke fehlte noch jede Spur. Fast zwanghaft überrollte sie die Furcht, dass er sie vergessen hatte oder versetzte. Oder schlimmer gar: Dass ihm etwas zugestoßen war, was ihn davon abhielt, ihre inoffizielle Verabredung wahrzunehmen. Sie fuhr sich mit beiden Händen fahrig übers Gesicht und fluchte leise, als sie die Make-up-Rückstände auf ihren Handflächen bemerkte. Resigniert schlurfte sie in die öffentliche Damentoilette und kratzte sich die verschmierte Schminke mit Klopapier und Fingernägeln von der Haut. Darunter kam ihr gespenstig blasses Konterfei zum Vorschein, ihre Augen waren geschwollen und gerötet, was durch das intensive Grün ihrer Iriden nur noch verstärkt wurde und sie entzündet aussehen ließ. Sie klatschte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, stützte sich auf dem Waschbecken ab und schloss die Lider. Sie war so aufgewühlt, dass selbst ihr Chakra verrücktspielte, also konzentrierte sie sich darauf, um ein wenig zur Ruhe zu kommen und weil es etwas war, was sie machen konnte, stellte es sich als schmalen, kaum wahrnehmbaren Rinnsal vor, der beständig und gleichmäßig jeden Winkel ihres Körpers erreichte. Ihre Atmung wurde ruhiger und tiefer, ihr Herzschlag verlangsamte sich. „Das würde unsere ganzen Pläne durchkreuzen“, hörte sie plötzlich jemanden sagen. „Du musst etwas unternehmen.“ „Ich werde mich in dieser Angelegenheit sicher nicht gegen meine Mutter stellen, Taiko“, antwortete eine Stimme, die sie sofort Sasuke zuordnen konnte. Sakura verkrampfte ihre Hände um das Waschbecken. Sie wollte nicht lauschen, aber wenn sie nun herausging, würden sie ihr sicherlich unterstellen, dass sie genau das getan hätte, und überdies fehlte ihr der Nerv, sich mit dem Fremden, der bei Sasuke war, auseinanderzusetzen. Weshalb war er überhaupt mitgekommen? Sasuke und sie wollten sich doch gemeinsam das Feuerwerk ansehen – oder hatte sie schon wieder irgendwas falsch verstanden? Wassertropfen perlten von ihrem Kinn und zerplatzten im Keramikbecken; sie hat Sorge, dass die beiden es hören könnten. „Du unterschätzt ihren Einfluss auf meinen Vater. Sie kann hartnäckig bleiben, wenn sie will, und wenn sie erfolgreich ist, bin ich es, der auf der falschen Seite steht.“ Da war wieder diese Bitterkeit in seinem Ton, die ihr das Herz brach, genährt von jahrelanger Verletztheit und Frustration. „Danzō will unseren Untergang und Itachi ist sein verdammtes Schoßhündchen“, ereiferte besagter Taiko sich. „Wenn Fugaku-sama ihn wieder als Erben einsetzt, ist das unser Ende.“ „Noch ist nicht gesagt, dass mein Vater ihn zurückholt“, sagte Sasuke ruhig. „Wir vertrauen darauf, dass du die Position des Clan-Oberhauptes übernehmen wirst. Du darfst die, die loyal hinter dir stehen, nicht im Stich lassen.“ „Loyalität nennst du das?“, schnaubte er verächtlich. „Und ich dachte, du hättest mir nachspioniert.“ „Weil du… Ich habe nicht…“ Sasukes Anschuldigung hatte ihn offenbar aus dem Konzept gebracht. „Du enthältst uns wichtige Informationen vor“, fauchte er letztlich mit hörbarem Trotz. „Ich habe dir dazu nichts mehr zu sagen.“ Taiko schnaubte so laut, dass er direkt unter dem kleinen, angekippten Klofenster stehen musste. Sakura hielt automatisch die Luft an, um sich nicht zu verraten. „Aber ich habe noch eine ganze Menge zu sagen.“ „Dann belästige jemanden, der sich dein Geschwätz anhören will.“ „Wenn du fällst, reißt du uns alle mit“, schrie der andere aufgebracht, wofür er unverzüglich von Sasuke gemaßregelt wurde. Als er fortfuhr, erklang seine Stimme nur noch gedämpft, sodass Sakura angestrengt die Ohren spitzen musste. „Itachi wird uns nicht vergessen lassen, dass wir hinter dem falschen Bruder standen. Du verschwindest bloß wieder in seinem Schatten, aber uns wird er büßen lassen.“ Sakura erinnerte sich lebhaft daran, wie Sasuke geradezu aufgelöst herausgerutscht war, dass sein Bruder von ihrem gemeinsamen Vater verstoßen worden war, und an die Ängste und Sorgen, die es in ihm auslöste. Sie musste ihn nicht sehen, um zu wissen, wie tief und schmerzhaft Taikos Seitenhieb getroffen hatte. Aber warum, fragte sie sich. Was hatte Itachi Uchiha angestellt, das eine derart harte Strafe rechtfertigte? Was konnte ein Sohn getan haben, um diese Ablehnung von seinem eigenen Vater zu verdienen? Und was bedeutete das für Sasuke? Ihr kamen Inos Gerüchte in den Sinn und die ganzen Informationsfitzelchen, die sie im Verlauf der vergangenen Wochen gesammelt hatte. Sollte Itachis Weigerung, eine für ihn ausgesuchte Frau zu ehelichen, tatsächlich genug für eine Verstoßung sein? Das war doch absurd. Oder hatte sie die familiären Probleme im Hause Uchiha derart unterschätzt, nur weil sie es sich schlussendlich nicht vorstellen konnte, weil es nichts auf der Welt gab, dass ihre Eltern sie jemals von sich stoßen würden? Seine Sorge, dass sein Vater ein falsches Bild von ihrer Beziehung zueinander entwickeln könnte, war ihr jedenfalls authentisch vorgekommen. Sasuke schwieg lange und als er abermals zum Sprechen ansetzte, klang seine Stimme kälter als gewöhnlich: „Die Wahrscheinlichkeit, dass mein Vater in dieser Sache nachgibt, ist gering.“ „Wahrscheinlichkeit?“, echote Taiko ungläubig. „Du weißt es gar nicht? Du weißt es gar nicht!“, spie er zunehmend erregt. „Du hast keine Ahnung, was in Fugaku-samas Kopf vorgeht, weil dein werter Herr Papa es gar nicht für nötig hält, dich in seine Gedanken einzuweihen, richtig? Ich wette, er würde seine rechte Hand oder eines seiner Sharingan dafür hergeben, wenn er dich statt Itachi hätte verstoßen können.“ Er lachte böse. „Und ich wette, dass ihm jetzt sogar Izumi als Schwiegertochter recht wäre, die ist zwar keine richtige Uchiha, aber immerhin…“ Was Izumi immerhin war, erfuhr Sakura nicht mehr, da Taikos Sermon von einem dumpfen Schlag beendet wurden. Sie hörte ihn mehr ärgerlich denn schmerzerfüllt aufstöhnen. „Pass auf, was du sagst“, zischte Sasuke ungewohnt aggressiv. „Empfindliches Thema?“, stichelte der andere dennoch weiter. „Oder ist es, weil du genau weißt, dass dir das Gleiche blüht, wenn Fugaku-sama von dieser Frau erfährt?“ „Es gibt keine Frau, du machst dich lächerlich“, sagte er so eiskalt, dass jeder halbwegs vernünftige Mensch spätestens jetzt einen Rückzieher gemacht und um Gnade gewinselt hätte. Sakuras Knöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte sie das Waschbecken. Haarfeine Risse entstanden sonnenförmig, wo ihre Fingerkuppen in die Keramik drückten. Sie zog die Hände rasch weg, ehe sie das Waschbecken versehentlich pulverisierte, und horchte herzklopfend, ob die beiden Streitenden das zarte Knirschen des brechenden Materials vernommen hatten. Durcheinander befeuchtete sie ihre Lippen, die sich unter ihrer Zunge ebenso aufgesprungen wie das Porzellan anfühlten. Sie wusste nicht, wohin mit ihren Gedanken. Einerseits wollte sie diesem Taiko die Knochen brechen, weil er so mit Sasuke redete, andererseits würde Sasuke ihr vielleicht ein paar Knochen brechen, wenn er herausfand, dass sie ihn belauscht hatte. Dabei hatte sie gar nicht lauschen wollen, wieso, wieso, wieso hatte sie nicht die Toilettenspülung betätigt und sich gezeigt? Sie verwünschte ihre Entscheidung, nicht polternd und Radau machend zur Tür hinausgestürmt zu sein, als sie noch die Gelegenheit gehabt hatte. Sasuke würde ihr nie verzeihen, dass sie derart prekäre Familienangelegenheiten überhört hatte. Bis vor Kurzem hatte sie nicht mal gewusst, dass sein Vater das Oberhaupt der Uchiha war, geschweige denn dass er einen Bruder hatte und nun breitete sich das katastrophale Verhältnis zu seiner Familie wie ein hässlicher, stinkender Sumpf vor ihr aus. Wie hatte sie all die Jahre konsequent ignorieren können, dass er nie, wirklich nie von seiner Familie erzählte? „Inabi erzählt da aber was anderes.“ „Weil er ein eifersüchtiger Narr ist.“ „Ach, ich weiß nicht“, säuselte Taiko widerlich liebenswürdig. „Er meinte, dass deine kleine Kunoichi im Grunde nicht besonders ansehnlich wäre, aber angeblich hat sie ja einen ganz heißen Draht zu der alten Senju.“ „Worauf willst du mit deinen Unterstellungen hinaus?“ Sasukes Ton war derart schneidend und kalt, dass Sakura unweigerlich fröstelte, obwohl ihr Körper von einem eigenartigen Taubheitsgefühl befallen war. „Dass es dumm wäre, alles für ein Weibsstück hinzuschmeißen.“ Taiko stieß ein amüsiertes Schnauben aus. „Aber wenn Fugaku-sama dich auch noch verstößt, ist es Aus mit eurer Linie, meinst du nicht? Deine Mutter dürfte inzwischen ein bisschen zu alt sein, um noch mal für einen Stammhalter zu sorgen, und wer weiß, möglicherweise werde ich dann das nächste Clan-Oberhaupt.“ Sasuke lachte freudlos auf. Sie hatte ihn noch nie Lachen gehört, wollte sich aber nicht vorstellen, dass es tatsächlich so herzlos und bitter klang. „Mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Ich riskiere meine Würde – oder sonst was – garantiert nicht für irgendeine unscheinbare Kunoichi.“ Sakuras Körper zuckte, als hätten seine Worte sie physisch getroffen. Es tat auch mindestens so weh, mehr sogar. „Freut mich, zu hören“, erwiderte Taiko und schnalzte mit der Zunge, was seine Aussage unverblümt unaufrichtig anmuten ließ. „So sehr ich unser Teekränzchen genossen habe, aber wenn ich mich recht entsinne, bist du im Dienst. Es hätte gerade noch gefehlt, dass uns eine Auseinandersetzung zwischen Kumogakure und den Hyūgas zum Vorwurf gemacht wird.“ Seine Stimme hatte abermals ihren gewohnt gleichgültigen Tonfall angenommen, klang vielleicht ein bisschen arroganter als gewöhnlich, wovon Sakura wusste, dass es seine Unsicherheit übertünchen sollte. Von Taiko kam eine zackige Zustimmung, dann war seine Präsenz nicht mehr wahrnehmbar und die Stille kehrte zurück. Sakura klappte wie eine Gliederpuppe in sich zusammen, als hätte lediglich die Anspannung sie aufrecht gehalten, und atmete hektisch gegen die Tränen an, die Fäuste hielt sie gegen die geschlossenen Lider gepresst. So also dachte Sasuke in Wirklichkeit über sie. Das war nicht das erste Mal, dass er etwas Gemeines sagte. Früher hatte er ihr vorgeworfen, dass sie nervte, dass sie oberflächlich und selbstgerecht sei, aber all diese Dinge hatte er ihr stets offen ins Gesicht gesagt – und mit einer gewissen Berechtigung –, ihn hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden zu hören, fühlte sich wie Verrat an, zumal sie wirklich geglaubt hatte, dass er seine Meinung über sie geändert hatte. Nachdem, was Hidan getan hatte, war es mehr, als sie ertragen konnte. Sasuke war doch ihr einziger Silberstreifen am Horizont. Sie klaubte sich selbst vom Boden auf und wagte sich in die Kälte, spähte nach links und rechts, doch von Sasuke war nichts zu sehen. Ihr war es nur recht so – zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie keine Lust, ihm zu begegnen oder mit ihm zu sprechen. Die Nacht hatte sich inzwischen wie ein schwarzes Tuch über den Hokage-Felsen gesenkt, wirkte dunkler und dichter als zuvor. Ihr Atem ging noch immer keuchend, unterbrochen von kleinen, trockenen Schluchzern, die sich unaufhörlich ihrer Kehle entwanden, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass nicht genügend Sauerstoff in ihrer Lunge ankam. Ihr Herz raste, sie spürte es bis zum Hals schlagen, als wollte es dem Schmerz davonlaufen. Den Wettlauf gegen ihre Tränen hatte sie verloren. Trotzig wischte sie die Nässe auf ihren Wangen fort. Ihre Haut fühlte sich ungesund heiß an der frischen Luft an. Sie wollte nicht weinen, das tat sie viel zu oft und geholfen hatte es noch nie, sorgte lediglich dafür, dass sie sich noch erbärmlicher fühlte, doch wie immer hatte sie keine Kontrolle darüber, als würde irgendwas mit ihren Augen nicht stimmen. „Sakura?“ Sie blieb wie angewurzelt mit dem Rücken zu ihm stehen, obwohl sie weitergehen wollte. Seine Stimme hatte sie aus dem Konzept gebracht, wie ein Schlag, der einen unvorbereitet getroffen hatte. Gründlich trocknete sie die Tränen, die sie sowieso nicht weinen wollte, hoffte, dass es ihm in der Dunkelheit nicht auffiel. „Ich habe auf dich gewartet.“ „Tut mir leid, mir war nicht bewusst, dass wir fest verabredet waren“, sagte sie verschnupft. Ihre Stimme klang so gebrochen, wie sie sich fühlte. „Das Feuerwerk fängt gleich an.“ Sie hörte ihn näherkommen, bis er direkt hinter ihr stehen musste. Der Wind umschmeichelte ihre Nase mit seinem Duft und abermals hielt sie die Luft an, weil sie hasste, wie er ihre Knie weich werden ließ. „Willst du es dir noch ansehen?“ Sie schüttelte unmerklich den Kopf, aber vermutlich sah er es trotzdem. „Ich möchte nach Hause.“ Er schwieg so lange, dass es absurd wurde. Vielleicht überlegte er, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass die Sakura, die er kannte, freiwillig keine Zeit mit ihm verbringen wollte. Vielleicht bildete sie sich zu viel auf sich ein. „Ist was passiert?“ Die Gleichgültigkeit, mit der er es sagte, ließ sie sich letztlich doch umdrehen. Er stand tatsächlich weniger als eine Armlänge von ihr entfernt. Seine Konturen verloren an Schärfe und sie blinzelte heftig dagegen an, öffnete stumm den Mund, um ihn gleich darauf wieder zu schließen, weil sie nichts sagen konnte und nichts zu sagen hatte und trotzdem erstickte sie langsam und qualvoll an all dem Ungesagten. Natürlich war es ihm egal, war sie ihm egal – sie hatte doch mit eigenen Ohren gehört, dass er sie für unscheinbar und unter seiner Würde hielt. Sie sog die zitternde Unterlippe zwischen die Zähne und schüttelte erneut den Kopf, nicht als Antwort, sondern vor Fassungslosigkeit. Da stand sie heulend und gebrochen vor ihm und er demonstrierte nicht das winzigste Fünkchen Mitgefühl. Sie waren wirklich keine Freunde, sie waren nicht mal mehr Ex-Kameraden, für die man sich wenigstens aus einem Minimum an Höflichkeit interessierte. Seit sie ihn kannte, hatte sie ihn verteidigt, dass er schlicht nicht gut darin sei, seine Emotionen zu zeigen, aber vielleicht war er tatsächlich ein empathieloser Klotz, der sich einen Dreck um die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen scherte. Ihre Tränen verfingen sich in ihren Wimpern, doch sie begradigte ihre Haltung, um sich ein Stückchen ihrer eigenen Würde zurückzuerkämpfen. „Nichts, was dich angeht“, entgegnete sie monoton, drehte sich weg und schaffte es endlich, sich aus ihrer Starre zu lösen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. In einem anderen Leben hätte sie sich auf die Schulter geklopft, dass sie es war, die ihn stehen ließ, jetzt fühlte sie sich einfach nur klein und leer. Sie hörte sein charakteristisches Seufzen, irgendwas zwischen enerviert und frustriert, dass Menschen mit Gefühlen überhaupt existierten. „Bist du beleidigt, weil ich zu spät bin? Ich konnte nicht eher.“ „Nicht alles dreht sich um dich“, fauchte sie über die Schulter. „Und du bist mir keine Rechenschaft schuldig, schließlich sind wir keine Freunde, richtig?“ Einen Wimpernschlag lang sah er drein, als hätten ihn ihre Worte getroffen, doch falls die Bestürzung dagewesen war, verschwand sie zu schnell, um mit Sicherheit festgestellt zu werden. „Darum geht es nicht“, sagte er kalt. „Aber falls etwas vorgefallen ist, musst du es mir sagen.“ „Wozu? Damit du mich hinterher dafür verurteilen kannst? Dumme, schwache Sakura, die sich allein nicht helfen kann; genau das denkst du doch über mich, das denkt ihr alle.“ Sie zog geräuschvoll die Nase hoch. Statt zu antworten, tippte Sasuke lediglich auf die Armbinde, die ihn als Mitglied der Uchiha-Polizei kennzeichnete. Sakura wandte sich ab. „Lass mich in Ruhe, Uchiha.“ Sasukes Hand schnellte nach vorn und umklammerte ihren Oberarm, sie spürte den leichten Zug, den er ausübte, um sie zum Umdrehen zu bewegen. Den Gefallen tat sie ihm nicht, aber es raubte ihr die emotionale Kraft zum Weitergehen. Sie schüttelte seine Finger ab, die sofort von ihr abließen, als er ihren Widerwillen bemerkte. Nie zuvor hatte sie geglaubt, dass sich seine Berührung falsch anfühlen könnte. „Was ist los?“, fragte er ungeduldig. „Du kannst mir nicht weismachen, dass du extra hergekommen bist, um mir zu sagen, dass du keine Lust mehr hast.“ „Nichts ist los“, antwortete sie gepresst. „Lass mich einfach, bitte.“ „Sakura“, brummte er genervt, „ich will dir doch nur helfen.“ Er riss sie zwar nicht grob, aber auch nicht gerade sanft an der Schulter zurück, sodass sie gegen seine Brust prallte. Sakura vollführte eine Halbdrehung, um ihn von sich zu stoßen, doch er blockte sie geschickt ab, kam ihrem Wunsch allerdings nach, indem er zwei große Schritte von ihr zurücktrat. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine ungewohnte Mischung aus Enervation, Sorge und Verwirrtheit. Natürlich wusste er, dass sie grundsätzlich Temperament besaß, nur hatte es sich bisher nie gegen ihn gerichtet. „Warum? Warum solltest du einer unscheinbaren Kunoichi unter deiner Würde helfen wollen?“, raunzte sie, ehe sie darüber nachgedacht hatte. Ein Schluchzer drückte sich aus ihrer Kehle und sie presste die Hand auf den Mund, als könnte sie ihn dadurch wieder einfangen und ungehört in ihren Hals zurückstopfen. Seine Augen weiteten sich leicht, dann verschloss sich sein Gesicht mit einer eisernen Härte, die sie unangenehm daran erinnerte, dass sie vollkommen allein waren, fernab der Menschen auf dem Fest, die sie nicht mal dann hören würden, wenn sie sich die Seele aus dem Leib brüllte. Sie wich automatisch einen Schritt zurück. Er setzte ihr zwei nach. „Ich weiß nicht, was du gehört zu haben glaubst.“ „Du warst sehr direkt“, wisperte sie tonlos und wieder spürte sie Tränen in Bächen über ihre Wangen laufen. „Du riskierst deine Würde garantiert nicht für irgendeine unscheinbare Kunoichi, daran gibt es nicht viel misszuverstehen.“ „Das verstehst du nicht.“ „Nein, tue ich nicht“, schluchzte sie, in dem kläglichen Versuch, ihre Trauer in Wut umzuwandeln. „Ich dachte… ich dachte, wir wären Freunde.“ Sasuke kniff sich in die Nasenwurzel. „Wir sind… Freunde.“ Sakuras Schultern sackten ab. Er hatte sie nicht mal angesehen und nachdem, was er über sie gesagt hatte, fiel ihr schwer, ihm zu glauben. „Du musst nicht tun, als würdest du mich mögen. Seit Jahren gibst du dir sehr viel Mühe, mir zu zeigen, dass du mich nicht leiden kannst – du darfst dich freuen, die Botschaft ist endlich angekommen.“ Er stand da und betrachtete sie stumm. Trotzig wischte sie sich mit dem Kimonoärmel über die Nase. „Ich bin es leid, dass insgeheim alle auf mich herabblicken, Kakashi, du, sogar Naruto. Ich bin keine Porzellanpuppe, die man mit Samthandschuhen anfassen muss, aber ich bin auch kein Strohmännchen, das man nach Belieben herumschubsen kann. Ich bin ein Mensch mit Gefühlen und vielleicht kann ich mich nicht immer beherrschen, aber ich hatte einen echt beschissenen Tag und… und…“ Hidans grinsende Fratze tauchte vor ihrem geistigen Auge auf und ihr war, als könnte sie seine Hände erneut auf ihrem Körper spüren, nicht nur auf ihren Brüsten, sondern überall. Sie stieß einen hysterischen Laut aus, irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Würgen. Etwas in Sasukes Mimik veränderte sich, hatte Ähnlichkeit mit Mitleid. Vorsichtig, beinahe schüchtern streckte er die Hände nach ihr aus und zog sie behutsam gegen sich. Sakura schlang die Arme ganz automatisch um seinen Rücken und presste das Gesicht an seine Schulter. Eine Hand legte sich zwischen ihre Schulterblätter und rubbelte unbeholfen gegen das Zittern an, die andere vergrub sich in ihrem Haar am Hinterkopf. Ihr wurde bewusst, wie kalt ihr die ganze Zeit gewesen war, doch in der Wärme seiner Umarmung schien sie zu tauen, damit all die Wut, die Scham und der Schmerz aus ihr herausfließen konnten. Sakura weinte ihren emotionalen Zusammenbruch hilflos aus und Sasuke ließ sie. Am Nachthimmel über Konoha explodierten Feuerwerkskörper in brillanten Buntregen. Kapitel 12: Schwere Herzen -------------------------- Es war stockdunkel und totenstill, als Sakura desorientiert die Lider aufschlug. Die Müdigkeit hatte noch nicht ganz von ihr abgelassen, dennoch fühlte sie sich erholter und ihre Augen waren weniger erschöpft als zuvor. Sie war nicht zu Hause, doch der erste Moment der Angst, den sie häufig instinktiv empfand, wenn sie auf Missionen unter freiem Himmel oder in einem fremden Bett erwachte, stellte sich nicht ein, daher verharrte sie reglos, obgleich sich ein latent stechender Schmerz von ihrem Nacken bis zu ihrem Lendenbereich zog. Sie musste eingeschlafen sein – offensichtlich. Ihre Wange lag gegen Sasukes Schulter geschmiegt, nicht bequem und trotzdem würde sie für den Rest ihres Lebens in dieser Position sitzen bleiben, wenn die Möglichkeit bestünde. Oder wenigstens noch für ein paar Minuten. Der Blumenschmuck, der in ihren Haaren gesteckt hatte, lag auf ihrem Schoß. Sasuke musste ihn ihr aus dem Haar gezogen haben. Ihr Herz klopfte unweigerlich härter ob der ungewohnt aufmerksamen, irgendwie intimen Geste. Oder hatte sie es im Halbschlaf selbst getan? Seine Hand ruhte einige Zentimeter oberhalb ihres Knies, sie hielt seinen Unterarm locker umschlungen, nicht fest genug, als dass er sich ihr nicht hätte entziehen können, und die Erkenntnis ließ ihre Nervenenden vibrieren. Sein Daumen zeichnete gedankenverloren federleichte Kreise auf ihrem Oberschenkel, während er schweigend zu den Sternen blickte. Sakura dagegen konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. Sie wagte kaum, zu blinzeln, weil sie Angst hatte, dass er sich wie ein Genjutsu auflösen würde, wenn sie es tat. Und es gab wahrlich Schlechteres, als ihn zu betrachten. Im kalten Licht der Nacht, das seinem blassen Gesicht ein bläuliches Schimmern verlieh, war er geradezu überirdisch schön, sein Ausdruck war nachdenklich, aber entspannt, beinahe friedlich. „Was ist?“ Sasukes Iriden glitten in seine Augenwinkel, ohne dass er ihr den Kopf zudrehte. Sakura rieb den Schlaf aus ihren Augen, nahm die Wange dabei jedoch nicht von seiner Schulter. Vielleicht wollte sie zu viel, doch die Neugier, wie lange er diese Nähe, nun, da sie nicht mehr schlief, tolerieren würde, war stärker. „Nichts.“ Sie konnte ihm immerhin schlecht sagen, dass sie befürchtete, jede Sekunde aus einem Traum aufzuwachen und dass er in Wirklichkeit gar nicht bei ihr war. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Nicht ganz zwei Stunden.“ Er veränderte seine Position, wodurch sie gezwungen war, ihren Kopf von seiner Schulter zu nehmen. Seine Hand blieb noch ein, zwei Sekunden auf ihrem Bein liegen, ehe es ihm bewusst zu werden schien und er den Arm zurückzog. „Oh“, machte sie, während sie sich den verspannten Hals massierte. „Das tut mir leid. Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Wollte ich gerade, meine Schicht ist vorbei.“ Sakura entging nicht, dass er ihr ausgewichen war, und natürlich wusste er, dass sie es bemerkt hatte. Die Frage war nur: Hatte er sie nicht geweckt, damit er sich nicht weiterhin mit ihr auseinandersetzen musste, oder hatte er sie schlafen lassen, weil sie merklich erschöpft gewesen war? Ihr Zusammenbruch hatte etwas zwischen ihnen verändert, doch ob dieses Etwas positiv oder negativ war, konnte sie noch nicht einschätzen. Sasuke hatte jedenfalls nie zuvor für nötig befunden, sie zu trösten, nicht mal, als sie gedacht hatte, dass er im Kampf gegen Haku gestorben wäre, aber vielleicht hatte er ihr nur den Trost, den sie ihm gespendet hatte, zurückgeben wollen. Es sähe ihm zumindest ähnlich, sich deswegen in ihrer Schuld stehend zu fühlen. Vielleicht schämte er sich sogar ein bisschen, weil er der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, gewesen war, allerdings sähe ihm das weitaus weniger ähnlich. Seine Worte taten ihr noch immer weh, daran hatte seine überraschende Nettigkeit nichts ändern können. Nach dem, was sie gehört hatte, konnte sie nicht mal Dankbarkeit empfinden, nur Verwirrung. Und Wut. Und Schmerz. Sie hatte das drängende Bedürfnis, sich zu bewegen, nicht tatenlos neben ihm zu sitzen. Seine Nähe fühlte sich nicht plötzlich unangenehm an, aber falsch und verräterisch. Sie sehnte sich zu sehr nach etwas, das sie nicht haben konnte, unfähig, ihn loszulassen. Selbst jetzt verzehrte sie sich danach, sich wie ein liebestolles Mädchen an ihn zu schmiegen, obwohl sie ihn ohrfeigen wollen sollte. Wieso konnte sie nicht einfach aufhören, in ihn verliebt zu sein? Warum konnte er sagen und machen, was er wollte, sie wie Dreck behandeln und sie dann mit der winzigsten Geste, dem kleinsten Wort alle Gemeinheiten vergessen lassen? Was stimmte eigentlich nicht mit ihr? Womöglich hatte Tsunade recht: Sasuke respektierte sie nicht – niemand respektierte sie –, weil sie letztlich keinen Funken Respekt vor sich selbst besaß. Aus dem tiefsten Inneren ihres Körpers stieg ein Seufzen auf, mit dem sie sich von der Bank erhob und an die Brüstung trat. Eine stinkende Dunstglocke spannte sich wie eine Kuppel über Konoha und trübte die normalerweise herrliche Sicht. Die Luft roch nach Schwarzpulver. Die Sterne und der Mond waren größtenteils hinter den unnatürlichen Nebelschwaden verborgen. Ihr war noch nie aufgefallen, wie trostlos die Welt nach etwas so Schönem wie einem Feuerwerk aussah. Diesmal bekam sie nur die Trostlosigkeit. Sie schlang die Arme um ihre Mitte, weil sie dachte, dass sie ansonsten auseinanderbrechen würde. „Ist dir kalt?“, fragte er und trat neben sie an Geländer. „Nein“, behauptete sie, da sie nicht wollte, dass er zum Aufbruch drängte. Außerdem war ihr nicht kalt, nicht wirklich, nicht kalt genug jedenfalls, um schon gehen zu wollen. Wahrscheinlich wäre ihr aber auch nicht kalt genug, wenn sie in Yukigakure nackt auf einer Eisscholle im Meer treiben würde, solange er da war. Sie verteufelte sich, wie mühelos sie immer wieder in diese Denkmuster fiel, wie verzweifelt sie sich ein paar Minuten mit Sasuke zu erschleichen erhoffte. Das Metallgeländer brannte eiskalt auf ihrer Haut, als sie es mit den Händen umklammerte. „Kann ich dich was fragen?“ Im Augenwinkel sah sie, wie er sich versteifte, doch sie fasste sein Schweigen zumindest als vorläufige Zustimmung auf. „Wieso hasst du deinen Bruder so sehr? Ich verstehe ja, dass du dich von eurem Vater falsch behandelt fühlst, aber dafür kann… Itachi doch nichts.“ Er spannte den Kiefer an und auch Sakura hatte plötzlich das Gefühl, eine unsichtbare Grenze überschritten zu haben, indem sie seinen Bruder beim Namen nannte, als wäre er erst dadurch real geworden. „Du findest also, dass ich stattdessen meine Eltern hassen sollte.“ Sie runzelte ärgerlich die Stirn, weil er ihre Worte absichtlich missinterpretierte. „Ich finde jedenfalls, dass deine negativen Gefühle fehlgeleitet sind.“ Sasuke kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er scharf gegen die Wut anatmete. Er rang sichtlich um Beherrschung und Sakura war verblüfft und verängstigt zugleich, wie rasch dieses Thema ihn zur Weißglut zu treiben vermochte. Seine Stimme klang gepresst und zu kalt, um gefasst zu sein, als er fragte: „Hast du Geschwister?“ „Nein, habe ich nicht.“ „Dann kannst du das nicht verstehen.“ „Das sagst du ständig, versuchst aber nie, irgendwas zu erklären. Du kannst nicht erwarten, dass die Menschen dich verstehen, wenn du mit niemandem redest.“ „Und das kommt ausgerechnet von der Frau, die vorhin noch groß rumgeheult hat, dass alle sie für eine schwache Heulsuse halten.“ Sakuras Kopf ruckte herum. Das war ein hundsgemeiner, bösartiger Tiefschlag und so schnell, wie er ihrem Blick auswich, wusste er das. Er entschuldigte sich nicht, besaß jedoch genügend Anstand, ein klitzekleines bisschen verlegen auszusehen. „Du hast recht“, bestätigte sie verschnupft. Es fiel ihr unerwartet leicht, wütend auf ihn zu sein, und dennoch – wenigstens im Moment – darüberzustehen. Der Zorn verlieh ihrer Stimme eine schneidende Indifferenz, mit der er vermutlich am besten umgehen konnte. „Man kann die Menschen nicht ändern, nur sich selbst. Das hast du mir beigebracht, wahrscheinlich sollte ich dir dafür danken.“ Sasuke fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und hinterließ eine wilde Unordnung, die ihm viel zu gut stand. Seine Frustration überschritt einen Punkt, die ihn fast verzweifelt wirken ließ. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass ihm die Situation mit seinem Bruder zu sehr ins Herz schnitt, als dass er sich insgeheim nicht jemandem anvertrauen wollte, die Mauern, die ihn von anderen abgrenzen sollten, im Laufe der Jahre aber zu hoch gebaut hatte, sodass er sich selbst darin eingesperrt hatte. „Erzähl mir was von ihm“, sagte sie. „Etwas Schönes.“ „Er hat ein symmetrisches Gesicht, sowas finden die meisten Menschen attraktiv“, erwiderte er trocken. Sakura verdrehte die Augen, musste jedoch unwillkürlich schmunzeln. Den Gedanken, dass er unmöglich besser aussehen konnte als Sasuke, schob sie vehement beiseite. „Ich dachte mehr in Richtung: Wir haben mal versucht, einen Kuchen zu backen, und dabei versehentlich die Küche abgefackelt.“ „Derartige Fehler passieren meinem Bruder nicht, er ist perfekt.“ „Er ist nicht perfekt“, wusste sie und versuchte, ihn mittels purer Willenskraft dazu zu zwingen, sie anzusehen. Es funktionierte nicht und Sasuke schaute weiterhin mit starrem Blick auf das Dorf hinab, in dem allmählich auch die letzten Lichter gelöscht wurden. Ihre Worte schienen ihn nicht mal erreicht zu haben; die Bitterkeit, die seine Mundwinkel nach unten zog, wurde nicht weniger. „Du kennst ihn nicht.“ „Ich muss ihn nicht kennen, um das zu wissen, weil niemand perfekt ist. Und ich weiß, dass er etwas getan haben muss, was dich verletzt hat. Jemand der perfekt ist, würde seine Liebsten nicht verletzen, oder?“ Sie war automatisch in eine Tonlage verfallen, die man normalerweise für kleine Kinder aufsparte, allerdings kam ihr Sasukes Denkweise, Itachi betreffend, uncharakteristisch infantil vor, also konnte er die Situation wahrscheinlich gar nicht rational betrachten. „Itachi ist ein Genie“, sagte er gepresst. „Mein Vater erinnert mich gern und oft genug an meine Minderwertigkeit.“ „Du bist ganz bestimmt nicht minderwertig und wenn dein Vater das behauptet, sagt das mehr über ihn aus als dich.“ Sasuke tat es mit einem Schnauben ab und kehrte zur Bank zurück. Statt ihm zu folgen, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Geländer und betrachtete ihn. Sie wusste nicht, was sie sagen konnte oder wo sie ansetzen sollte, wenn er sich derart verbissen dagegen wehrte, ein besseres Bild von sich zu haben. Er wollte wie sein Bruder sein, aber das war er nun mal nicht und würde es vielleicht niemals sein, was in seiner Welt offenbar bedeutete, dass er keine Anerkennung verdiente – und die Anerkennung durch die eigene Familie konnte unmöglich von Dritten ersetzt werden. Demzufolge konnte sie sich den Mund fusselig reden, andere konnten ihn mit Lob überhäufen und es bedeutete ihm nichts. Sie biss sich auf die Lippe, wägte ihre nächsten Worte mit Bedacht ab, da sie schlecht einschätzen konnte, ob sie damit nicht vielmehr in ein neues Hornissennest stach. „Deine Mutter setzt sich für deinen Bruder ein, weil er ihr Sohn ist. Ich bin überzeugt, dass sie das Gleiche für dich machen würde.“ Er schleuderte ihr einen Blick entgegen, der sie zu erwürgen versuchte, stellte damit eindrücklich klar, dass sie sich zu viel herausgenommen hatte. Sakura ließ es mit einem Achselzucken an sich abprallen. „Erinnerst du dich an das Trainingsgelände beim Naka no Kawa?“, fragte er plötzlich und sah sie nur lange genug an, dass sie zustimmend nicken konnte. „Ursprünglich befand sich dort keine Lichtung.“ Er zögerte, seine Augen zuckten zu ihr, ehe er wieder an ihr vorbeisah. Sakura wagte kaum, zu atmen, damit er sich nicht unterbrochen fühlte. „Wir waren noch Akademie-Frischlinge und hatten an dem Tag unsere Shuriken-Wurfprüfung.“ „Du warst der Einzige, der alle zehn Ziele mit einem Wurf getroffen hat“, sinnierte sie. „Sensei Daikoku hat vor Freude fast einen Herzinfarkt bekommen.“ „Ich hatte wie verrückt geübt, weil Itachi mir versprochen hatte, dass er mir das Jutsu der flammenden Feuerkugel beibringt, wenn ich es schaffe, obwohl unser Vater strikt dagegen war, da ich mein Chakra damals noch nicht gut genug kontrollieren konnte. Ich hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass er mir zeigt, wie es geht… Itachi… hat oft versprochen, dass er mit mir trainieren würde, und immer ist ihm was… dazwischengekommen.“ Sasukes Ausdruck verdüsterte sich und Sakura fürchtete, dass seine Erzähllaune damit endete, doch nach einem kurzen, finsteren Schweigen, sprach er weiter: „Ausnahmsweise hielt er Wort und ich wollte unbedingt, dass er stolz auf mich sein kann, aber das Jutsu wollte mir einfach nicht gelingen, mehr als ein paar mickrige Funken habe ich nicht hinbekommen. Als es dunkel wurde, wollte ich einen allerletzten Versuch wagen. Ich sammelte mein ganzes Chakra und fabrizierte plötzlich diesen riesigen Feuerball, innerhalb von Sekunden stand alles um uns herum in Flammen. Vater war außer sich, er vermutete einen Komplott gegen unseren Clan, also behauptete Itachi, es sei seine Schuld gewesen, weil er beim Training nicht aufgepasst hätte. Vater glaubte ihm natürlich nicht, aber Itachi wich keinen Millimeter von seiner Behauptung ab, wodurch er mir die Strafe meines Lebens ersparte und fast seine Stellung bei der ANBU verloren hätte. Für andere mag das keine große Sache sein, aber dass er unseren Vater für mich angelogen hat…“ Er biss ein leises Schmunzeln zurück und Sakura kniff die Lippen zusammen, damit sie nicht grinste. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass nur er und sein Bruder darüber lachen durften, und gleichzeitig fand sie niedlich, mit welch unfreiwilliger Zuneigung er sich daran erinnerte. „Erzählst du mir jetzt, was dir passiert ist?“, fragte er, wobei die Weichheit wieder aus seiner Stimme verschwunden war und etwas Distanziertes angenommen hatte. Das warme Gefühl, das sich in Sakura auszubreiten begonnen hatte, wich erneut eisiger Kälte. „Nein“, sagte sie hart und überraschte ihn damit sichtlich. „Die Problemchen einer unscheinbaren Kunoichi sind sowie nichts, womit sich die Polizei-Einheit belästigen sollte.“ „Das hättest du gar nicht hören sollen.“ Er sah sie böse an. „Du ärgerst dich bloß, dass du mich nicht bemerkt hast“, versetzte sie bitter. „Stimmt“, gab er zu und seufzte leise. „Du hättest es aber auch nicht hören sollen, weil ich es nur gesagt habe, damit Taiko mir nicht weiter auf die Nerven geht.“ Sakura drehte ihm kommentarlos den Rücken zu und überblickte das Dorf. Sie wollte ihm glauben, mehr als alles andere, doch immer wenn sie sich der Hoffnung hingab, wurde sie nur noch schlimmer verletzt. „So oder so war es grausam, sowas zu sagen. Dass du es angeblich nicht gemeint hast, macht es nicht besser.“ „Es sagt mehr darüber aus, wie du dich selbst siehst, dass du dich überhaupt angesprochen gefühlt hast.“ „Bist du sicher, dass du Spielchen spielen willst, Sasuke?“, schnappte sie, drehte sich um und verschränkte die Arme. „Fein! Ich wollte das eigentlich nicht machen, weil ich es für unter meiner Würde hielt, aber dir ist schon klar, dass Lady Tsunade mir den offiziellen Auftrag gab, dich in medizinischen Jutsu zu unterrichten, damit du rehabilitiert werden kannst. Vielleicht berichte ich ihr, dass mir Informationen zu Ohren gekommen sind, die nahelegen, dass deine privaten Probleme zu massiv sind, um dich im aktiven Dienst einzusetzen. Das sollte ich machen, immerhin sind deinetwegen fast Menschen gestorben und du… dir tut das nicht mal leid, nicht wahr?“ Erneut presste sie die Lippen aufeinander, diesmal nicht, weil ihr nach Lachen war, sondern um das Zittern ihrer Unterlippe zu verstecken. „Das kannst du nicht machen“, knurrte er aufgebracht und ballte die Fäuste. Für einen Moment dachte sie, dass er tatsächlich auf sie losgehen wollte, und es kostete sie Überwindung, sich die Angst nicht anmerken zu lassen. „Ich könnte meine Einschätzung noch mal überdenken, wenn du mir erzählst, was bei dir los ist.“ „Damit du das dann auch gegen mich verwenden kannst?“ „Ach, Sasuke…“ Sie löste die Verschränkung ihrer Arme, wusste jedoch nichts mit ihnen anzufangen, weswegen sie schlaff an ihren Seiten herabhingen. Dieses Misstrauen hatte sie nicht verdient und es tat ebenso weh, wie zu hören, was er über sie gesagt hatte. Ihn so zu sehen, tat sogar noch mehr weh, all der Kummer und das Elend, das unter seiner Oberfläche brodelte. Er war mit zwei langen Schritten bei ihr und packte sie an den Schultern, seine Fingerkuppen bohrten sich durch den Stoff und gruben sich in ihr Fleisch. „Du wirst ihr gar nichts sagen, Sakura.“ „Drohst du mir?“, fragte sie mit gerecktem Kinn. Sie fühlte sich nicht annähernd so furchtlos, wie sie ihn glauben zu machen versuchte. Hinter seinen onyxfarbenen Iriden lag ein karmesinrotes Glimmen, doch obwohl sie Angst hatte, gerade weil sie Angst hatte, hielt sie seinem Blick stand. Außerdem war er immer noch Sasuke. Er würde ihr nichts tun. Oder? „Es ist eine Bitte.“ Sie löste ihre Augen von seinen und richtete sie gen Boden. Sein Atem kitzelte ihre Wange. Seine greifbare Verzweiflung ließ sie wie einen Grashalm im Sturm einknicken, obgleich sie der Meinung war, sich ganz gut gegen ihn behauptet zu haben, aber es war wesentlich leichter, einem unausstehlichen Sasuke die Stirn zu bieten. „Ich mache dir ein Angebot“, sagte sie leise. „Ich werde Lady Tsunade vorschlagen, dich probehalber wieder im aktiven Dienst einzusetzen… als Mitglied von Team 7.“ „Nein“, entgegnete er so schnell, dass sie ihren Satz kaum hatte beenden können. „Doch.“ Sie schaffte es gerade so, nicht trotzig mit dem Fuß aufzustampfen. „Du denkst nicht wie ein Shinobi“, sagte er genervt und nahm die Hände von ihren Schultern. „Ich kann nicht mit Kakashi und Naruto zusammenarbeiten, die beiden vertrauen mir nicht und deswegen kann ich ihnen nicht vertrauen. Wir sind kein Team mehr.“ „Wir könnten erst mal wieder mit leichten Sachen anfangen, zum Warmwerden.“ „Katzen einfangen und Unkraut jäten?“ Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte es hoch, damit sie ihn ansehen musste. „Ich weiß, wie sehr du dir wünschst, dass alles wieder wie früher ist, aber weder lässt sich die Zeit zurückdrehen noch kann sie alles ungeschehen machen.“ „Nicht alles“, entschlüpfte ihr und hinterließ ein brennendes Gefühl auf ihren Wangen, das sie beschämt an seinem linken Ohr vorbeisehen ließ. Schlagartig war sie sich seiner Finger an ihrem Kinn sehr bewusst. Auf diese Weise hatte er sie bereits ein paar Mal berührt – in ihren Träumen, weswegen die eigentlich unschuldige Geste eine sinnliche Saite in ihr zum Klingen brachte. Sie schluckte trocken und befeuchtete automatisch ihre Lippen mit der Zungenspitze, ehe sie sein Handgelenk sanft umfasste und von sich weg zog, bevor sie sich zu etwas wirklich Dummen hinreißen lassen konnte. Für einen Augenblick wurde es komisch zwischen ihnen, als hätte er die nervöse Erregung, die in ihrem Unterleib kribbelte, wahrgenommen und wüsste nun nicht, was er damit anfangen sollte. Er trat von ihr zurück und an das Geländer, stützte die Unterarme lässig darauf ab und überblickte das in Dunkelheit getauchte Dorf. „Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage“, sagte er. „Was Tsunade sich dabei gedacht hat. Du weißt, weshalb ich vom Dienst suspendiert wurde.“ Er kniff die Lippen zusammen, ein Zeichen dafür, wie ungerecht er den Beschluss noch immer fand. „Erscheint es dir nicht merkwürdig, dass sie mich medizinische Jutsu lernen lässt, statt – was weiß ich – mich sämtliche Bücher über Teamwork und Teamführung auswendig lernen zu lassen?“ Ein Windstoß wirbelte Sakura Haarsträhnen ins Gesicht und sie schindete Zeit, indem sie diese mit penibler Sorgfalt zurückstrich und hinter die Ohren klemmte. Das war das letzte Thema, welches sie mit Sasuke besprechen wollte, weil es bedeutete, dass sie ihn zwar nicht direkt belügen, aber zumindest mit Halbwahrheiten abspeisen musste. „Lady Tsunade wird ihre Gründe haben“, meinte sie letztlich ausweichend, achtete darauf, unbefangen und ehrlich zu klingen, damit er ihre Unsicherheit nicht mit einer Lüge verwechseln konnte. Schließlich log sie nicht; sie erzählte ihm nur eben nicht die ganze Wahrheit, so wie er ihr immer nur einen Teil der Wahrheit offenbarte. „Dann hinterfragst du diese Entscheidung nicht? Sie kommt dir nicht willkürlich vor?“, hakte er schneidend nach. „Tsunade muss dir etwas gesagt haben.“ „Ich bin Shinobi. Es steht mir nicht zu, die Hokage zu hinterfragen“, antwortete sie flapsig und klopfte sich mental auf die Schulter für diese ausgezeichnete Entgegnung. Sasuke kannte das Regelwerk ebenso wie sie. Regeln waren gut und sicher. Er konnte ihr nicht vorwerfen, sich an die Regeln zu halten. Zu spät dämmerte ihr, dass sie den Verdacht gegen ihn, eine Rebellengruppe anzuführen, noch immer nicht ausgehebelt hatte und dass er, als Mitglied des Uchiha-Clans, den die Hokage der vergangenen Generationen nicht immer gerecht behandelt hatten, ihren Gehorsam möglicherweise missverstehen könnte. Sasukes Brauen zogen sich prompt zusammen, zeugten davon, wie unzufrieden er mit ihrer Antwort war. Sakura gab ihm einen spielerischen Klaps gegen den Oberarm, um die Stimmung zu entschärfen. „Ein paar Gedanken habe ich mir natürlich trotzdem gemacht, weil es eine durchaus… ungewöhnliche Herangehensweise ist.“ Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und beugte den Oberkörper leicht zu ihm herüber. „Lady Tsunade setzt sich seit Jahren dafür ein, dass medizinische Jutsu in der Grundausbildung gelehrt werden. Wir, also die anderen Iryōnin und ich, müssen tagtäglich Ninja zusammenflicken, die sich ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzen, weil ihnen gar nicht klar ist, wie viel komplizierter es ist, Verletzungen zu heilen, statt diese von vorherein zu vermeiden. Da Shinobi… unter deiner Leitung verletzt wurden, schätze ich, dass ihre Absicht darin liegt, dir ein besseres Gefühl für… den Wert des Lebens zu vermitteln.“ „Ist das so?“ Sie sah und hörte ihm an, dass sie offensichtlich genau das Falsche gesagt hatte. „Die Mission kommt immer zuerst, richtig?“ „Also…“ „Und manchmal bedeutet das, dass man Verluste in den eigenen Reihen hinnehmen muss. Mein Plan war gut, er ist nicht aufgegangen, aber das kann vorkommen, und es ist nicht meine Schuld, dass diese Idioten keinen Meter für sich selbst denken konnten und deswegen Chaos ausgebrochen ist“, erklärte er kalt. „Schon“, stimmte sie leise zu und konzentrierte sich auf ihre Schuhspitzen. „Aber du warst nun mal ihr Anführer, damit hattest du die Verantwortung.“ Sasuke atmete geräuschvoll durch die Nase aus. „Die Mission war erfolgreich und darauf kommt es an. Jedem anderen wäre zum erfolgreichen Abschluss gratuliert worden, aber ich werde vom Dienst suspendiert. All die Missionen, bei denen wir verletzt wurden oder fast draufgegangen sind, für wie viele musste Kakashi Rechenschaft ablegen?“ Sakura konnte ihn nicht ansehen, ihr Blick geisterte unstet herum. „Ich kenne keine Details, aber angeblich sollst du verantwortungslos und rücksichtslos gehandelt haben. Das ist das Problem, nicht, dass etwas schiefgegangen ist.“ „Mach die Augen auf, Sakura“, sagte er höhnisch. „Hier geht es darum, dass ich ein Uchiha bin. Eine Menge Leute finden es gut, wenn wir im Dreck liegen.“ „Oder du hast Mist gebaut und das ist deine Art, keine Verantwortung dafür zu übernehmen“, warf sie zaghaft ein. „Sasuke, du kannst nicht dein Leben lang alles darauf schieben, dass du ungerecht behandelt wirst, weil du ein Uchiha bist.“ Vorsichtig streckte sie die Finger nach ihm aus. Sein Kiefer war so angespannt, dass er als scharfe Kontur unter seiner Haut hervorstach, doch sie nahm mit seiner Hand vorlieb, streichelte über seine zitternde Faust. Sasuke öffnete den Mund, wusste aber offenkundig nicht, was er sagen wollte. Wahrscheinlich hatte sie ihn ertappt, wenigstens ein bisschen, und sie trat an ihn heran, legte den Arm um seinen Rücken und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er versteifte sich, eine Reaktion, die sie mittlerweile zur Genüge kannte, und sie ließ ihre Hand seine Wirbelsäule auf und ab gleiten, bis er sich entspannte. „Du bist kein schlechterer Mensch, weil du nicht perfekt bist.“ „Ach ja? Ich tendiere nämlich dazu, eine Enttäuschung zu sein“, sagte er düster. Sakura zog seinen Kopf mit ihrer freien Hand an ihre Halsbeuge. Er umarmte sie nicht zurück, doch sie hatte den Eindruck, dass er seine Wange vielleicht ein bisschen gegen ihre Haut drückte, dort, wo er ihren Puls in den Adern rasen spüren konnte. „Das stimmt nicht und sowas darfst du niemals denken.“ „Dann bist du nicht enttäuscht?“ Ihre Finger klammerten sich in seiner Uniform fest. Es war eine gemeine Frage und er meinte sie nicht mal aufrichtig, weil es ihm nur darum ging, sie hinterrücks zu einer Bestätigung zu zwingen. „Das kann man nicht vergleichen. Dein Vater und du selbst stellen unrealistische Erwartungen an dich, mir gegenüber hast du dich einfach nur schäbig verhalten.“ Sasuke machte sich ruckartig von ihr los. Ihre Hände glitten von ihm ab, verkrallten sich jedoch im Stoff seines Ärmels, ein physischer Ausdruck ihrer Unfähigkeit, ihn loszulassen. „Was hätte ich denn sagen sollen?“, fragte er anklagend, als wäre es ihre Schuld, dass seine Gemeinheit sie verletzt hatte. Die Wahrheit, lag ihr auf der Zunge, doch sie wusste, dass es nur zu einem weiteren Vortrag über Uchiha’sche Familienehre führen würde, also sagte sie nichts. Unterm Strich würde sich sowieso nichts ändern; selbst wenn er es wirklich nicht so gemeint hatte, würde sie dadurch nicht auf wundersame Weise zu einem respektablen Umgang für ihn. Mehr als eine heimlich ausgelebte Freundschaft war nicht drin – da musste sie wohl oder übel realistischer werden –, falls er überhaupt ehrliches Interesse daran hatte, denn möglichenfalls stellte er sich nur einigermaßen gut mit ihr, weil sie derzeit eine gewisse Macht über ihn hatte. „Schon okay, ich will nicht streiten“, sagte sie und fühlte sich auf einmal so erschöpft, dass sie sich auf die Bank legen und unverzüglich einschlafen könnte. „Wir streiten nicht.“ „Dann ist ja gut.“ Er setzte zu einer Erwiderung an, als urplötzlich ein ohrenbetäubender Knall die Erde erbeben ließ. Die Erschütterung war selbst auf der Aussichtsplattform deutlich zu spüren, ließ Gestein von den ehrwürdigen Reliefs der Hokage rieseln. Sakura klammerte sich instinktiv an Sasuke, als der Boden unter ihren Füßen vibrierte, doch er schob sie unwirsch von sich und wandte sich der Richtung zu, aus der die Explosion gekommen war. Ein ihr unbekanntes, starkes Chakra knisterte in der Luft. Mitten im Dorf, unweit des Zentrums, erhob sich eine Staubwolke, in der ein unheilvoller orangeroter Schein flackerte. Kurz darauf brachen Flammen daraus hervor, reckten sich meterhoch dem Himmel entgegen. „Was war das?“, fragte sie perplex, noch nicht in der Lage, das Offensichtliche kognitiv zu verarbeiten, dann schlug sie entsetzt die Hände vor den Mund. „Bei allen… Sind das die Jōnin-Quartiere?“ „Sieht so aus“, bestätigte Sasuke gepresst und sprang mit einem eleganten Satz auf die Brüstung, um sich in die Tiefe zu stürzen. Sakura umklammerte rasch, was sie zu fassen bekam, seine Hüfte. „Ich kann in meinem Kimono nicht schnell genug rennen.“ „Du bleibst hier“, befahl er barsch, während er seine Hand uncharmant auf ihr Gesicht klatschte, um sie wegzudrücken. Er traf ihre Nase unvorteilhaft, was ihr prompt Tränen in die Augenwinkel trieb, der Nagel seines kleinen Fingers kratzte über ihren Augapfel. Wäre sie eine Dōjutsu-Anwenderin, hätte sie vermutlich einen hysterischen Anfall bekommen, so jedoch schüttelte sie ihren Kopf nur wie ein nasser Hund, um seine Hand loszuwerden. „Ich lasse dich von jemandem abholen, das Code-Wort wird…“ „Ich brauche kein blödes Code-Wort, ich komme nämlich mit“, widersprach sie resolut. „Wahrscheinlich werde ich dringender gebraucht als du.“ Sasukes Blick verfinsterte sich, sein Kiefer mahlte, als würde er dagegenreden wollen und sich nur mühsam beherrschen können, doch natürlich musste er einsehen, dass sie recht hatte. Mit etwas, das wie ein gereiztes Knurren klang, landete er neben ihr, zog ein Kunai und schlitzte sämtliche Schichten ihres Kimonos bis zur Hüfte auf. Für einen winzigen Moment nur lag seine Handfläche auf ihrem nackten Oberschenkel und obzwar sie dafür nun wirklich keine Zeit hatte, zog sich ihr Unterleib mit einer Heftigkeit zusammen, dass sie sich auf die Unterlippe beißen musste und sich einige Herzschläge lang ganz wuschig fühlte. Er sprang, während Sakura sich einen letzten tiefen Atemzug gönnte, ehe sie ihm folgte. Sie war noch nie zuvor aus einer vergleichbaren Höhe gesprungen, rang die Panik, die automatisch von ihrem Denken Besitz ergreifen wollte, nieder, konzentrierte sich auf ihr Chakra und die bevorstehende Landung. Fallwind brauste in ihren Ohren, brachte ihre Augen zum Tränen und bohrte sich wie Nadelstiche unter ihre Haut. Die Müdigkeit war verflogen, verdrängt vom Adrenalin, das durch ihre Blutbahnen preschte. Ihr Aufprall klang wie eine Detonation, presste die Luft aus ihrer Lunge und sandte eine Schmerzwelle von ihren Knöcheln bis hoch zum Atlaswirbel. Sie rollte sich geschickt über die Schulter ab, hörte das Ratschen, als ihr Kimono noch weiter aufriss, kam auf die Füße und sprintete unverzüglich los. Sasuke war bereits ihrem Sichtfeld entschwunden, doch das Ziel war ohnehin kaum zu übersehen. Die Jōnin-Quartiere standen lichterloh in Flammen. Schwarzer, beißender Rauch quoll durch die Straßen, brannte in ihren Augen und ihrer Lunge. Sie zog Narutos Schal über Mund und Nase und sah sich mit tränenverschleiertem Blick um. Die Hitze war schier unerträglich, trieb ihr binnen Sekunden den Schweiß aus allen Poren, die Flüssigkeit, die ihre gereizten Augen produzierten, schien direkt zu verdampfen und jedes Mal, wenn sie blinzelte, hatte sie das Gefühl, ihre Lider bestünden aus Sandpapier. Schemenhafte Gestalten huschten als unscharfe Silhouetten durch den dichten Qualm und das Geschrei der Menschen vermischte sich mit dem wütenden Fauchen und Knistern des Feuers. Sakura kam sich wie ein aufgescheuchtes, kopfloses Huhn vor, wie sie halb blind, hustend und ziellos durch den Rauch irrte, auf der Suche nach Verletzten, die medizinische Erstversorgung benötigten, oder wenigstens jemandem, der ihr sagen konnte, was vorgefallen war. Höchstwahrscheinlich wäre weiser gewesen, wenn sie sich direkt ins Krankenhaus begeben hätte, denn dort würde man etwaige Verunfallte sowieso hinbringen. Schlimmstenfalls hatten Tsunade oder Shizune bereits nach ihr schicken lassen und sie hatte sich unauffindbar gemacht. „Verschwinde, Mädchen, hier ist’s viel zu gefährlich für dich“, wurde sie von einem breitschultrigen, stämmigen Mann angeblafft, der jeweils gleich zwei Sandsäcke geschultert hatte und unter der Last angestrengt schnaufte. „Was ist passiert?“ „Explosion“, war die knappe Antwort. Sakura verkniff sich die ärgerliche Bemerkung, dass sie sich das gerade noch so selbst hätte zusammenreimen können, denn der hünenhafte Mann verleierte just in diesem Moment die Augen, ging erst in die Knie und kippte dann seitlich weg. Mit einem Satz war sie bei ihm, stellte zu ihrer Erleichterung jedoch rasch fest, dass er lediglich vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Sie ließ genügend Chakra in ihn fließen, um seine Energiereserven aufzufüllen, wodurch der Mann mit flatternden Lidern, stöhnend und blass um die Nase zu sich kam. „Was…?“, fragte er irritiert und sah sich um, als wüsste er nicht genau, wo er sich befand. Offenbar hatte er die letzten Minuten vor seinem Zusammenbruch vergessen, was nicht ungewöhnlich und daher nicht weiter besorgniserregend war. „Sie sind ohnmächtig geworden. Sie dürfen sich nicht überanstrengen, damit ist niemandem geholfen“, sagte sie mit ihrer besten Strenge-Ärztin-Stimme. Sie kannte diesen Typ Mensch und war ziemlich sicher, dass er zu jener Sorte Mann gehörte, die sich nichts vorschreiben lassen wollte – schon gar nicht von jemandem, den sie in die Kategorie kleines Mädchen einordneten –, die tüchtig anpackte, sich tagtäglich abrackerte und immer morgen damit anfangen wollte, sich zu schonen, bis ihre Körper ihnen keinen Aufschub mehr gewährten oder sie gleich tot umfielen. „Bist du ‘ne Ärztin, oder so?“ „Ja“, bestätigte sie und schulterte zwei der Sandsäcke. Sie wusste auch, wie man sich den Respekt und das Vertrauen solcher Menschen sicherte, nämlich indem man bewies, dass man selbst anpacken konnte. Das Knacken in ihren Knien erinnerte sie peinlichst daran, dass sie ihr Training in den letzten Wochen vernachlässigt hatte. „Lass mal, Mädchen, das ist doch viel zu schwer.“ Der Mann kam auf die Füße, schnaufte dabei aber noch immer so sehr, dass Sakura ihm am liebsten sofortige Bettruhe verordnet hätte. „Sie sind derjenige, der wie eine kleine Prinzessin umgekippt ist“, sagte sie mit einem Anflug von Schnippischkeit. „Also, wohin muss das?“ Der Mann sah sie perplex an, ehe er in knatterndes Gelächter ausbrach. Seine Heiterkeit kam ihr in Anbetracht der Umstände taktlos vor, aber manche Menschen brauchten das und jeder reagierte anders auf Stresssituationen. Er wuchtete die verbliebenen Sandsäcke auf seine Schultern und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Sakura keuchte durch den weit geöffneten Mund. Der Schal hatte sich mit Feuchtigkeit vollgesogen – Schweiß und Atemluft – und schien sich nun wie eine bepelzte Würgeschlange fester um ihr Gesicht zu ziehen. Schweißperlen tropften von ihren Brauen in die Augen, das Haar klebte ihr am Schädel, überhaupt klebte und tropfte alles an ihr. Sie fühlte sich eklig und je nachdem, wie der Wind stand, war ihr entweder grauenhaft heiß oder eiskalt. Sie näherten sich dem Zentrum des Brandes und obgleich sie sich bisher nicht darüber nachzudenken gestattet hatte, spürte sie ein großes Stückchen Anspannung von sich abfallen, dass es nicht Kakashis Appartementkomplex getroffen hatte. Sie atmete sogar erleichtert auf, obwohl das verheerende Ausmaß der Zerstörung eigentlich keinen Grund zur Freude bot. Die mutmaßliche Explosion – und sie wüsste nicht, was sonst einen derartigen Schaden hätte verursachen können – hatte ein klaffendes Loch mitten in das Wohngebäude gerissen. Die angrenzenden Wohnungen lagen offen wie Puppenstuben vor ihr, boten ein Bild der Verwüstung, sämtliche Fenster der umliegenden Häuser waren zersprungen, zerstörtes Mobiliar und private Habseligkeiten lagen kreuz und quer auf der Straße, waren teilweise an den Straßenrand geschleppt worden, um den Weg für die Helfer freizuräumen, das umherfliegende Mauerwerk hatte die Umgebung sichtlich mit der Wucht von Kanonenkugeln bombardiert. Und über allem stand die mächtige Flammenwand, die Rauch und Qualm spuckte und mit gierigen Zungen an allem zu lecken versuchte. Es wäre ein Wunder, wenn niemand verletzt oder gar getötet worden war. Ein ehemals leuchtend rotes Negligé, die Art, die Sakura und Ino noch immer albern hinter vorgehaltener Hand kichern und erröten ließ, lag dreckverkrustet im Matsch. Aus irgendeinem Grund war es genau dieser Anblick, der sie plötzlich schreien lassen wollte. Um sie herum herrschte das geordnete Chaos eines Ameisenhaufens und wie in einem Ameisenhaufen rannten sich die emsigen Arbeiter erstaunlicherweise nicht gegenseitig um. Die Sandsäcke, die ihr nun abgenommen wurden, wurden zu einem provisorischen Wall verbaut, der die umliegenden Gebäude vor den Flammen schützen sollte, mehrere Wassergassen hatten sich gebildet, andere schaufelten Sand in das Feuer oder räumten die Straße. Sie sah Frauen und ältere Kinder, die Getränke und Suppe verteilten und kleinere Verletzungen verarzteten. Es war rührend, wie rasch sich Konohas Bevölkerung organisiert hatte, sodass sie sich im Angesicht dieser Katastrophe dennoch hoffnungsvoll fühlte. „Ich hab ‘ne Ärztin mitgebracht“, trompetete der Mann über den Lärm und das Brüllen des Feuers hinweg und ehe sie sichs versah, heilte sie Brandwunden, Schnitte und Quetschungen, versorgte erschöpfte Helfer mit Chakra und kurierte leichte Rauchvergiftungen. Sakura arbeitete routiniert und konzentriert und erst als ihr eine Tasse mit dampfender Suppe gereicht wurde, bemerkte sie das latente Zittern ihrer Hände und die Erschöpfung, die sich systematisch durch ihre Glieder gefressen hatte. Der Chakraverlust und die chronische Schlaflosigkeit forderten ihren Tribut. Sie ließ sich einfach auf den Boden sinken, der aufgeweichte Lehm gab ein anzügliches Schmatzen von sich und kaum, dass sie saß, walzte die Müdigkeit wie eine Flutwelle auf sie zu, zerrte bleischwer an ihren Lidern. Die Suppentasse fühlte sich merkwürdig schwer an, wenn sie diese an die Lippen hob. Sie tupfte sich die Stirn mit Narutos Schal trocken, die Wolle roch angekokelt, wie sie bestürzt feststellte. Ihre Haut spannte, obwohl sie glitschig von Schweiß war, und ihr linkes Bein, das durch den Schlitz im Kimono komplett freigelegt wurde, sah aus, als hätte sie sich einen üblen Sonnenbrand zugezogen. Sie rieb ihr Bein sowie, nach einigen Sekunden des Überlegens, ihre Stirn und Wangen mit Schlamm ein, starrte dann wie hypnotisiert in die Flammen. Wie lange war sie bereits hier? Es kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor, doch sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, der Himmel, an dem sie sich hätte orientieren können, war von Rauch verhangen und das Feuer schien noch immer nicht nennenswert unter Kontrolle gebracht. Ihr Kinn sank auf die Brust, die Augen schlossen sich ganz automatisch und ihre Gedanken wanderten zu Sasuke. Es gab keinen triftigen Grund, sich Sorgen um ihn zu machen, aber sie tat es natürlich trotzdem. Ein unbedachter Schritt, eine Folgeexplosion, ein einstürzendes Gebäude, ein herabfallender Ziegelstein, zur falschen Zeit am falschen Ort – manchmal kam es nicht darauf an, wie gut man war, sondern wie viel Glück – oder Pech – man hatte. Irgendwo krachte etwas und Sakura riss vor Schreck die Augen auf. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, doch immerhin machte der neuerliche Adrenalinschub sie wieder einigermaßen munter. Sie unterdrückte ein Gähnen, um nicht mehr Rauch als nötig einzuatmen, erhob sich schwerfällig und dehnte ihre Glieder, damit die Leistungskurve ihres Körpers nicht erneut schlagartig abfiel. Sie war wirklich aus der Form. Abermals ertönte ein Krachen, lauter diesmal. Sie wirbelte herum und sah, wie der ausgebrannte Dachstuhl des Wohngebäudes kollabierte und in einer kolossalen Staubwolke einstürzte. Instinktiv schützte sie ihren Kopf gegen den Funkenregen, der meterhoch gen Himmel stieg. Gellende Schreie übertönten das Prasseln des Feuers. Sakura rannte blindlings durch den dichten Rauch, in die Richtung, aus der die Schreie gekommen waren, und kollidierte beinahe mit ihrem Vater, der die Flammen an vorderster Front mit seinen Wasser-Jutsu bekämpfte. „Papa“, rief sie und fiel ihm erleichtert um den Hals. Sie hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass ihr Vater ebenfalls vor Ort sein musste – schließlich war Brandbekämpfung sein Job –, jetzt war sie einfach nur froh, dass ihm nichts passiert war. „Papa, was ist hier los?“ „Saki-chan?“ Kizashi blinzelte irritiert; für einen Moment schien er mit sich zu ringen, ob er sie als Tochter oder höherrangigen Shinobi behandeln sollte. Er sah alt aus, stellte sie mit dem schmerzhaften Stich fest, den vermutlich alle Kinder zu spüren bekamen, wenn ihnen die Vergänglichkeit der eigenen Eltern zum ersten Mal richtig bewusst wurde. Sein Haar, das einst von einer ähnlichen Farbe wie ihres gewesen war, war inzwischen von etlichen grauen Strähnen durchzogen und die Erschöpfung ließ sein Gesicht eingefallener und faltiger aussehen, als sie es in Erinnerung hatte. Ruß und Schweiß hatten eine ölig glänzende Schicht auf seiner Haut gebildet, doch unter dem Schmutz war er besorgniserregend blass. Sakura legte ihre Hand auf seine Brust und ließ Chakra von ihrem in seinen Körper fließen, ignorierte den Schwindel, der in ihrem Kopf ein wattiges Gefühl auslöste. Ihr Vater umfasste ihr Handgelenk und zog es sanft nach unten. „Spar deine Energie besser auf.“ Sie wollte widersprechen, ihm sagen, dass sie, ebenso wie er, nur ihren Job machte, doch er lächelte mild auf sie herab, ehe sie den Mund aufmachen konnte. „Nimm’s mir nicht übel, Saki, aber du hast selbst schon mal besser ausgesehen.“ Sein Blick wanderte ihren Körper mit väterlicher Sorge auf und ab, dann runzelte er die Stirn. „Was ist mit deinem Kimono passiert? Bist du verletzt?“ „Mir geht’s gut“, wiegelte sie knapp ab und fragte nochmals: „Was ist passiert, Papa?“ „Ich weiß nur, dass es wohl eine Explosion gegeben hat, aber…“ Er fuhr sich über den Schnauzbart, bedachte sie mit einem Ausdruck, den sie noch von früher kannte, wenn sie Fragen gestellt hatte, für deren wahrheitsgemäße Beantwortung sie zu jung gewesen war. „Papa!“ Er gab sich mit einem matten Seufzen geschlagen. „Ich habe sowas, um ehrlich zu sein, noch nie erlebt. Das Feuer scheint irgendwie… resistent gegen jegliche Löschversuche zu sein. Außerdem hat es in den vergangenen Wochen so häufig geregnet, dass es überhaupt nicht brennen sollte, jedenfalls nicht so.“ „Ich störe euer Schwätzchen nur ungern, aber uns fackelt gerade das Dorf unterm Hintern weg, falls ihr es nicht bemerkt habt“, wurden sie von einem brünetten Shinobi angefahren. Sakura kannte seinen Namen nicht und ihn lediglich vom Sehen, doch die wulstige Narbe, die sich vom Nasenrücken über die linke Gesichtshälfte zog, hatte genügend Wiedererkennungswert. „Du ist eine Iryōnin, oder?“, wandte er sich an sie. „Mitkommen.“ „Pass bitte auf dich auf, Papa“, sagte sie unter dem ungnädigen Blick des Brünetten zu ihrem Vater. „Du auch, Saki“, entgegnete er, bevor er einige Handsiegel formte und einen Wasserstrahl spuckte. Nun sah sie auch, was er meinte – tatsächlich schien das Wasser die Flammen kaum zu tangieren. Sakura folgte dem dunkelhaarigen Ninja, bis sich jäh eine größere Menschenansammlung aus dem Rauch schälte, bei der es sich mehrheitlich um Mitglieder der Uchiha-Polizei handelte. Sasuke war unter ihnen und sie fand, dass er ungemein wichtig aussah, wie er mit verschränkten Armen in deren Mitte stand und Anweisungen gab. Er blickte nur flüchtig in ihre Richtung, als sie zu der Gruppe stieß, wandte sich jedoch sofort wieder ab und ließ auch sonst nicht erkennen, dass sie sich kannten, doch zu ihrer eigenen Überraschung machte ihr sein Verhalten kaum etwas aus. Jegliche Gedanken, die sie vielleicht hätte haben können, wurden ohnehin rasch von den drei Uchiha in Beschlag genommen, die einen Mann brutal zu Boden drückten, dessen blutgetränktes Haar das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte, noch goldblond gewesen war. Von Deidaras hübschem Gesicht war nur eine zerschlagene, zugeschwollene Masse übrig geblieben, kaum mehr als ein blutiger Fleischklumpen, in dem zwei silbrig blaue Augen hasserfüllt und bemerkenswert lebendig funkelten. Einer der Uchiha hockte sich vor ihn hin und redete auf ihn ein. Sie hörte nicht, was gesagt wurde, doch Deidaras Antwort bestand darin, dem Uchiha blutigen Schleim vor die Füße zu spucken. Der zweite Uchiha trat ihn hart gegen die Rippen, der dritte hockte breitbeinig auf dem Rücken des Blonden und machte ihn damit vollkommen wehrlos und bewegungsunfähig. Die demonstrierte, unverhohlene Brutalität entsetzte sie. Zwar wusste sie, dass Gewalt oder gar Folter zum täglichen Brot für Shinobi wie Ibiki Morino gehörten, doch geschah so etwas üblicherweise hinter verschlossenen Türen und weil es sein musste, weil der Schutz des Dorfes davon abhing. Auf jemanden einzuprügeln, der hilflos am Boden lag, war gegen alles, was sie für richtig hielt. Plötzlich erschienen ihr die Gerüchte über die Machenschaften der Uchiha-Polizei gar nicht mehr so unglaubwürdig – und wenn das stimmte, wie unwahrscheinlich war dann noch, dass der Sasuke, der gleichgültig danebenstand, während seine Leute jemanden halb tot prügelten, nicht doch eine Rebellion gegen Konoha billigte? Es fiel ihr schwer, diesen Sasuke mit dem Jungen in Einklang zu bringen, mit dem sie erst jahrelang auf die Akademie gegangen war und später ein Team gebildet hatte, der ihr von seinen Sorgen und Ängsten berichtet hatte, der voller unfreiwilliger Wehmut über seinen älteren Bruder gesprochen hatte. Freilich waren sie Shinobi und als solche hatten sie alle zwei Gesichter, doch wieder einmal musste sie sich fragen, wie gut sie Sasuke in Wirklichkeit kannte. Deidara würgte keuchend und sie eilte instinktiv auf ihn zu. „Er erstickt“, rief sie und verscheuchte den Uchiha, der auf seinem Rücken saß, mit unwirschen Gesten. Kaum war das Gewicht von seinem Körper verschwunden, fiel dem Blonden das Atmen leichter, dennoch legte sie ihre Hand zwischen seine Schulterblätter und half ihm, die Flüssigkeit, die sich in seiner Lunge gesammelt hatte, abzuhusten. Blutiger Schaum troff von seinen Lippen. Einige Rippen waren gebrochen und perforierten die Lunge. Der Kiefer hing in einem Winkel, den die Natur definitiv nicht vorgesehen hatte – die Uchiha konnten ihn folglich treten und bedrohen, wie sie wollten, es war ihm gar nicht mehr möglich, verbal auf ihre Fragen zu antworten. Und vermutlich wussten sie das auch. „Wenn du Ino etwas angetan hast, wirst du dir wünschen, hier und jetzt erstickt zu sein“, zischte sie ihm zu, sagte dann lauter und zu niemand Bestimmtem: „Er muss ins Krankenhaus.“ „Sonst was?“ Ihr Nacken knirschte, als sie sich dem Sprechenden zuwandte. Sie erkannte seine Stimme, hatte sie erst vor wenigen Stunden gehört, als er sie als nicht besonders ansehnlich bezeichnet hatte. Taiko war – zumindest objektiv betrachtet – wahrscheinlich ebenso hübsch wie die meisten Uchiha; subjektiv betrachtet fand sie, dass er wie ein kleiner, gemeiner Giftzwerg aussah, der sich erdreistete, unverschämt arrogant auf sie herabzublicken. „Sonst stirbt er“, fauchte sie ihm entgegen. „Das ist ein Tatverdächtiger, dem steht keine ärztliche Versorgung zu“, sagte er ungerührt. „Ich glaube, die Entscheidung, wer medizinisch versorgt wird und wer nicht, gebührt mir, und da man einen toten Verdächtigen nicht befragen kann, entscheide ich, dass er ins Krankenhaus muss.“ „Und du bist?“ „Sakura“, sagte jedoch nicht sie, sondern Sasuke. „Gai will dich sprechen.“ „Das geht jetzt nicht, außer du sorgst dafür, dass der da schnellstmöglich ins Hospital eingeliefert wird“, widersprach sie, mit dem Finger auf Deidara deutend. Sasuke musterte sie ausdruckslos, zuckte dann die Achseln und sagte: „Ich kümmere mich darum.“ Sie nickte nur, obwohl ihr die Frage auf der Zunge brannte, warum er überhaupt zugelassen hatte, dass der Blonde derartig zugerichtet worden war. „Er war mit Ino zusammen, auf dem Fest. Ich…“ Ihre Stimme brach. Er hob die Hand, um sich Haarsträhnen aus der verschwitzten Stirn zu streichen, wobei sein kleiner Finger hauchzart über ihre Wange streifte, was vielleicht Zufall war, vielleicht aber auch nicht. So oder so hatte die kurze Berührung etwas Tröstliches. „Ich lasse nachsehen, ob es ihr gut geht.“ „Danke“, sagte sie und wollte seine Hand drücken, ließ es allerdings bleiben, weil sie die Blicke von Taiko und den anderen auf sich spürte. Gai erwartete sie bereits ungeduldig und dass er nicht grinste, veranschaulichte mehr als alles andere, wie schlimm die Lage war. „Gut, dass Raidō dich gefunden hat. Ich muss dich bitten, mit mir mitzukommen“, sagte er ernst. Seine dichten Augenbrauen trafen sich als schwarzer Balken über der Nasenwurzel, was sie normalerweise zum Kichern gebracht hätte, doch jetzt war ihr nicht mal nach Schmunzeln zumute. „Wissen wir schon, was die Explosion verursachte?“, fragte sie, weniger zur Informationsbeschaffung als vielmehr, weil ihr seine untypische Schweigsamkeit aufs Gemüt drückte. „Der Iwa-Bengel hat eine von seinen Bomben hochgehen lassen.“ Gai schluckte gegen einen Kloß an, der Sakura ahnen ließ, dass das nicht alles war. „Kakashi sucht dich. Er… ach, das soll er dir selbst sagen.“ „Dann geht es Sensei Kakashi gut?“, hakte sie ängstlich nach. „Den Umständen entsprechend“, entgegnete er, presste die Lippen jedoch zu schmalen Strichen aufeinander. „Was heißt, den Umständen entsprechend? Wurde er verletzt?“, fragte sie panisch. „Sagen Sie schon.“ Sie wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören. Sie wollte ins Bett, sich die Decke über den Kopf ziehen und diesen Tag aus ihrem Gedächtnis streichen. Die Glückseligkeit, die sie empfunden hatte, weil Sasuke sich das Feuerwerk mit ihr hatte ansehen wollen, war entfernter als der Mond. „Physisch ist er unversehrt.“ Gai gab ein Geräusch von sich, das nach einem heiseren Schluchzen klang, in seinen Augenwinkeln funkelten Tränen. Sakuras Organe rumorten vor Angst, in ihrem Magen ballte sich Übelkeit zusammen, während sie sich dem Zentrum der Detonation näherten. Sie kletterten über Trümmer, zerborstenes Glas knirschte unter ihren Sohlen, beinahe traumwandlerisch schritt sie voran. Ihre Erschöpfung saß mittlerweile so tief, dass sie diese gar nicht mehr richtig spürte, eher wie einen Fremdkörper wahrnahm. „Ich habe kaum noch Chakra übrig“, hörte sie sich erklären. „Ich werde nicht viel ausrichten können.“ „Ich verstehe.“ Er blickte stumpf geradeaus, sodass sie sich fragte, ob er wirklich verstand, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Über das Röhren des Feuers nahm sie das Frauengeschrei erst wahr, als die zwei Silhouetten, die miteinander rangelten, bereits sichtbar geworden waren. Hidans widerwärtiges Grinsen schob sich vor ihr inneres Auge und sie mobilisierte ihre letzten Kräfte, um der Frau zu Hilfe zu eilen. Ihre Muskeln brannten, als sie mit einem Satz über die scharfkantigen Reste von etwas sprang, das vermutlich mal ein Schrank gewesen war, und kam schlitternd zum Stehen. Kakashi hatte die Arme von hinten um Kurenai geschlungen, die wie eine wild gewordene in seinem Griff strampelte und hysterisch kreischte. Er hielt sie in Höhe der Brust gepackt, um keinen Druck auf ihren angeschwollenen Bauch auszuüben, während sie abwechselnd mit den Hacken nach seinen Schienbeinen trat und die Beine in die Luft warf. Ihre Hände fuchtelten durch die Luft, die blutigen Striemen auf seiner Wange zeugten davon, dass sie ihn mindestens einmal mit den Fingernägeln erwischt haben musste. Seine Maske war unter die Nase gerutscht und für einen winzigen Augenblick konnte Sakura an nichts anderes denken, als daran, dass sie möglicherweise gleich sein unbedecktes Gesicht zu sehen bekäme. „Lass mich los“, schrie die dunkelhaarige Jōnin schrill. „Ich will zu ihm. Lass mich zu ihm.“ Sie bockte wie ein scheuendes Pferd. Kakashi hatte sichtlich Mühe, sie festzuhalten. „Sei doch vernünftig, Kurenai“, beschwor er sie. „Du kannst da nicht rein.“ „Ich will zu ihm“, kreischte diese jedoch nur und schien sich, ungeachtet ihres Zustandes, rücksichtslos in die lichterloh brennenden Trümmer stürzen zu wollen. „Du kannst ihm nicht helfen. Wenn du da reinrennst, erreichst du nichts, außer dass du dich und das Baby umbringst.“ Gai, der das Spektakel wie paralysiert beobachtet hatte, schüttelte die Starre ab und übernahm die sich windende Frau. Er redete leise auf sie ein und was auch immer er sagte, es sorgte dafür, dass sie sich etwas zu beruhigen schien. Womöglich war Kurenai auch nur am Ende ihrer Kräfte oder begann, sich der unvermeidlichen Resignation zu fügen. Kakashi indes ging zielstrebig auf Sakura zu, während er seine Maske richtete. Sie sah ihm mit geweiteten Augen entgegen, unsicher, was von ihr erwartet wurde, doch dass ihr ehemaliger Sensei hier war, vermittelte ihr ein gewisses Sicherheitsgefühl. „Gut, dass Gai ausgerechnet dich gefunden hat“, sagte er und der Hauch eines Lächelns zerknitterte seine Augenwinkel, hielt sich jedoch weniger als eine Sekunde, ehe sein Blick die gleiche Stumpfheit annahm, die sie bereits zuvor an Gai bemerkt hatte. „Asuma ist tot. Kurenai geht es deswegen nicht so gut.“ Kapitel 13: Team Sakura ----------------------- Der Tag brach unter einer stinkenden grau-blauen Rauchkuppel an, die sich wie eine Nebelglocke über das Dorf spannte. Die aufgehende Sonne, ein hübscher purpurner Streifen am Horizont, überzog Konohagakure no Sato mit einem schmutzigen rostroten Licht, das sich an Milliarden von in der Luft umherwirbelnden Schmutzpartikeln brach. Die verkohlten Ruinen der Jōnin-Quartiere qualmten noch immer, vereinzelte Gluten versuchten, sich zu einem neuen Brand zusammenzurotten, wurden jedoch von beherzten Schuhsohlen zertreten, unter Sand erstickt oder in Wasser ertränkt. Die Straßen waren trotz der frühen Stunde von emsigem Treiben erfüllt. Konohas Bevölkerung – die größtenteils darin übereinstimmte, dass das alles zwar sehr tragisch war, man insgesamt aber doch glimpflich davongekommen war – hatte bereits die Ärmel hochgekrempelt und sich an den Neuaufbau des zerstörten Viertels gemacht. Sakura bekam von alledem nichts mit. Die rosahaarige Iryōnin lag in Embryonalhaltung auf dem Sofa im Aufenthaltsraum des Krankenhauses zusammengerollt und schlief tief und fest. Bei jedem Atemzug entwich ihrem Mund ein kehliges Schnarchen und dann und wann nuschelte sie unverständliche Worte, die sie sich im Schlaf anspannen und unruhig von einer Seite auf die andere wälzen ließen. Sie hörte auch nicht, wie die Tür beinahe geräuschlos geöffnet wurde und ein ANBU das Zimmer betrat. Der maskierte Ninja sah sich für einen Moment aufmerksam um, ehe er das Sofa umrundete und sich vor die Schlafende hockte. Sakura zog die Brauen zusammen, als sie die Anwesenheit des ANBU unterbewusst spürte, erwachte jedoch nicht. Er betrachtete sie einige Sekunden, dann drückte er ihre Nasenflügel zwischen Daumen und Indexfinger zusammen, woraufhin sie zu röcheln begann und den Kopf hin und her warf, um sich zu befreien. Sie erwachte von der unsanften Behandlung, blinzelte ein paar Mal dümmlich, als das erste, was sie sah, das ausdruckslose Froschgesicht war. Mit einem atemlosen Keuchen fuhr sie in die Senkrechte, wich so weit von ihm zurück, wie die Rückenlehne des Sofas gestattete, und holte mit der Faust aus, doch der ANBU neigte lediglich den Kopf leicht zur Seite, um dem Schlag auszuweichen. „Miserable Reflexe“, sagte er oberlehrerhaft. „Wäre ich ein feindlicher Shinobi, wärst du tot.“ „Glück für mich, dass das nicht der Fall ist“, presste sie durch zusammengebissene Zähne hindurch, die Stimme heiser vom Schlaf. Ihre Atmung ging abgehackt, doch ihr Puls beruhigte sich langsam von dem Schreck. Verschlafen fuhr sie sich durch das frisch gewaschene, noch immer feuchte Haar, das wirr in alle Richtungen abstand, und rieb sich die Augen. Ihr Körper fühlte sich schwer und träge an, sie war müde, hatte nicht lange genug geruht, um ihre Chakrareserven zu regenerieren, und obgleich das keine Entschuldigung war, sorgte es definitiv dafür, dass sie nicht in der Stimmung war, sich kritisieren zu lassen. Der ANBU erhob sich mit einem verächtlichen Zischen; im Stehen ragte er baumhoch vor der zierlichen Frau auf. „Die Hokage wünscht, dich zu sehen.“ Sakura seufzte und rutschte ungelenk von ihrer provisorischen Schlafstätte. Ihr war kalt und die dünne Krankenhauskleidung, die sie gegen ihren ruinierten Kimono getauscht hatte, wärmte kaum. Ihr schöner Kimono, für den sie ein kleines Vermögen hingeblättert hatte und der sich nun eine Abfalltonne mit schmutzigem Verbandsmaterial und benutzten Spritzen teilte. Sasuke hatte ihr nicht mal gesagt, dass sie hübsch aussah. Mit steifen, ungeschickten Fingern zog sie den Arztkittel über, den sie als behelfsmäßige Zudecke verwendet hatte, und knöpfte ihn zu. Die Augen des Froschgesichtes waren hinter der Maske nicht zu erkennen, er sah nicht einmal direkt in ihre Richtung und doch hatte sie das untrügliche Gefühl, dass er sie genauestens beobachtete. Etwas an seiner Anwesenheit, dass er ihr quasi beim Anziehen zusah, ließ sie sich unbehaglich fühlen. Was mochte ein Außenstehender wohl denken, wenn er just in diesem Moment das Zimmer betreten würde? Und viel wichtiger: Weshalb war einer von Konohas Elite-Ninja mit einem einfachen Botengang betraut worden? Eigentlich ließ das nur zwei Schlüsse zu. Man hielt sie für besonders schutzbedürftig. Oder besonders überwachungswürdig. Beides sorgte dafür, dass sich ihr Magen verkrampfte und sie ihren Kittel vor Nervosität falsch knöpfte. „Schneller, wenn ich bitten darf. Die Hokage lässt man nicht warten“, knurrte der Mann ungeduldig und schnalzte missbilligend mit der Zunge. Ihr Lid zuckte ärgerlich ob seiner ruppigen, despektierlichen Art. Sie konnte ihm anhören, dass er sie für Zeitverschwendung hielt. Sie, die nicht aufwachte, wenn sich ihr jemand im Schlaf näherte, und die nicht mal ihre Kleidung anständig zuknöpfen konnte. Er musste sie für eine Versagerin oder eine Idiotin halten. „Ich bin ja schon fertig“, knurrte sie zurück. „Dürfte ich vielleicht erfahren, worum es geht?“ „Nein“, sagte das Froschgesicht. „Und jetzt Bewegung.“ Er bedeutete ihr mit einer ironisch-höflichen Geste den Vortritt. Sakura war nicht wohl dabei, ihn im Rücken zu haben, befolgte den Befehl jedoch und trat auf den Krankenhausflur, auf dem nach wie vor reger Betrieb herrschte, um dem Patientenaufkommen gerecht zu werden. Wie durch ein Wunder war fast niemand schwer verletzt worden, die meisten waren mit kleinen Blessuren und Verbrennungen oder leichten Rauchvergiftungen davongekommen, hier ein gebrochener Finger oder Zeh, da eine Fleischwunde, dort Erschöpfung durch Chakramangel. Nur einen jungen Genin, dessen Stirnschoner noch blitzblank und kratzerfrei gewesen war, hatte es übel erwischt, als er unter einstürzenden Dachbalken verschüttet worden war – und Asuma Sarutobi natürlich, der gestorben war und dem niemand mehr helfen konnte. Der Junge hatte innere Verletzungen erlitten und sein Bein war in einem katastrophalen Zustand gewesen, als Sakura aus dem OP gerufen worden war, um sich um einen anderen Patienten zu kümmern. Sie kniff die Lippen zusammen und machte sich die gedankliche Notiz, sich nach dem Jungen zu erkundigen. Und nach Kurenai. Nachdem Sakura sie ins Krankenhaus begleitet, ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht und sie sowie ihr ungeborenes Kind untersucht hatte, hatte sie nicht mehr viel für die Ältere tun können. Kurenai war unglücklich und verzweifelt, aber körperlich unversehrt gewesen. Die Jōnin hatte ihr unter Tränen erzählt, dass sie nur deswegen einen Spaziergang unternommen hatte, weil Asuma nach Zigarettenrauch und Alkohol gerochen hatte und ihr davon schlecht geworden war. Sakura hatte schweigend zugehört; sie hatte nicht gewusst, was sie hätte sagen können, um den Schmerz der Frau zu lindern, und vermutlich hatte diese sich ohnehin nur die Schuldgefühle von der Seele reden wollen. Freilich war es absurd, sich deswegen schuldig zu fühlen, denn hätte sie die Wohnung nicht verlassen, wäre sie ebenfalls tot, doch das auszusprechen hätte nichts geändert. Überlebende fühlten sich immer schuldig, dachten immer, dass alles irgendwie anders gekommen wäre, wenn sie nur dagewesen wären. Sie war froh gewesen, als Hinata, Kiba und Shino an Kurenais Seite geeilt waren und ihr die Verantwortung für die seelische Betreuung der Frau abgenommen hatten. Sakura kannte Kurenai schließlich kaum. Sie hatte Asuma kaum gekannt, und obgleich sein Tod fraglos schlimm war, traf er sie auf keiner persönlichen Ebene. Mehr Sorgen bereitete ihr, welche Auswirkungen sein Tod auf Kakashi hatte. Oder auf Team 10, vor allem Ino, über deren Verbleib sie noch immer nichts erfahren hatte. Außerdem fand sie verstörend, wie es überhaupt dazu hatte kommen können. Asuma war ein hervorragender Shinobi gewesen, sein würdeloses, unbedeutendes Ende wurde seinem Talent nicht gerecht. Wenn man schon nicht friedlich in hohem Alter verschied, so doch wenigstens ehrenhaft im Kampf, nicht indem man im Schlaf in blutige Fleischklumpen zerfetzt wurde. Sakura schluckte den süßlichen Speichel, der sich in ihrem Mund zu sammeln begann, herunter. In ihrer Tätigkeit als Iryōnin war sie mittlerweile einiges gewohnt, doch der Gedanke, was von einem übrigblieb, wenn man von einer Bombe in Stücke gerissen wurde, ließ sie dennoch unangenehm frösteln. Neugierige Blicke und Getuschel verfolgten sie bis zum Eingang des Krankenhauses. Sie verbiss sich die patzige Bemerkung, ob hier denn niemand Wichtigeres zu tun habe, weil sie damit nur noch mehr unliebsame Aufmerksamkeit auf sich gezogen und wilde Spekulationen genährt hätte. Ihr blieb lediglich, erhobenen Hauptes durch die Flure zu marschieren, als wäre es das Normalste der Welt, wie eine Verbrecherin von einem ANBU eskortiert zu werden. Die klirrende Kälte vor dem Hospital schlug wie eine Welle über ihr zusammen und sie zog den dünnen Arztkittel enger um ihren Körper, der unverzüglich mit einem unkontrollierbaren Zittern gegen die frostigen Temperaturen ankämpfte. Die Sonne stand als blasse, verschleierte Scheibe an einem unnatürlich diesigen Himmel, tauchte das Dorf in ein ungemütliches Zwielichtgrau, und die Luft stank nach Rauch und Schwarzpulver. Aus Richtung der Jōnin-Quartiere stiegen dünne weiße Rauchsäulen auf. Sakura blieb automatisch stehen und nahm den Anblick mit Unbehagen in sich auf. Dieses Konoha wirkte fremd auf sie, wie eine düstere Kopie aus einer von Unheil gebeutelten Parallelwelt. Sie ächzte dumpf, als sich unerwartet zwei Fingerkuppen in den Druckpunkt zwischen ihren Schulterblättern bohrten, und stolperte einen halben Schritt vorwärts. „Die Hokage ist in ihrem Büro“, schnarrte das Froschgesicht. „Bewegung.“ Sakura wirbelte auf dem Absatz herum und schlug nach der Hand des Mannes. „Fass mich nicht an“, fauchte sie zornig, obzwar ihre Stimme schrill und ein bisschen panisch klang. Panisch genug, dass ihnen befremdete Seitenblicke zugeworfen wurden. Sie ballte die Fäuste und atmete abgehackt; die Froschmaske des ANBU verschwamm vor ihren erschöpften Augen für den Bruchteil einer Sekunde zu Hidans ekelhaftem Grinsen und sie klatschte ihre Handflächen gegen die Wangen, um das Bild zu vertreiben. Nicht anstellen, Sakura, ermahnte sie sich, konzentrierte sich ganz auf das Brennen ihrer Wangen. Der ANBU schien für einen Moment irritiert von ihrer heftigen Reaktion und legte den Kopf leicht schief, deutete dann jedoch unbeeindruckt mit dem Daumen Richtung Verwaltungsgebäude. „Die Hokage wartet.“ Errötend wandte sie sich in die angezeigte Richtung und stapfte mit energischen Schritten durch den Schnee. Der ANBU folgte ihr dicht auf den Fersen, wenngleich er nun wenigstens einen höflichen Abstand zu ihr einhielt und ihr nicht mehr ins Genick atmete. Sie knabberte beschämt an ihrer Unterlippe und überlegte, ob es nicht womöglich doch klug wäre, sich den Vorfall mit Hidan von der Seele zu reden. Offenbar hatte der Mistkerl sie gravierender traumatisiert, als sie zunächst angenommen hatte, und auch wenn sie nicht darüber nachzudenken versuchte, konnte sie es sich schlicht nicht leisten, dass er sich in unpassenden Situationen ihrer Erinnerungen bemächtigte. Im Kampf könnte es sie oder andere schlimmstenfalls das Leben kosten. Doch was, wenn sie anschließend nur noch die Frau wäre, die sich hatte begrapschen lassen? Sie wusste, wie schnell Tratsch eskalieren konnte, jemand bräuchte nur andeuten, dass es vielleicht einvernehmlich geschehen wäre, und am nächsten Tag hätte sie sich angeblich schon durchs halbe Dorf geschlafen. Außerdem wüsste sie gar nicht, wem sie davon erzählen sollte. Ino und Lady Tsunade hatten wahrlich andere Sorgen. Naruto würde Hidan zweifelsohne unverzüglich zur Rechenschaft ziehen wollen – und dabei im ganzen Dorf herumbrüllen, was er getan hatte. Und Sasuke, nein, ihm konnte sie diese Sache nun wirklich nicht anvertrauen. Selbst, wenn er nicht diese furchtbaren Dinge über sie gesagt hätte… Allein der Gedanke drehte ihr vor Scham den Magen um. Sie passierten das verwaiste Akademie-Gelände, die Fenster reflektierten dunkel und leblos das düstere Morgenlicht. Offenbar fiel der Unterricht nach den Ereignissen der vergangenen Nacht aus. Ihre Gedanken wanderten flüchtig zu dem verletzten Genin zurück, der noch vor wenigen Wochen jenseits der Glasscheiben gesessen hatte und vielleicht davon getagträumt hatte, endlich ein richtiger Ninja zu sein. Sie wandte den Blick ab. Das Verwaltungsgebäude war erstaunlicherweise gleichfalls wie ausgestorben. Normalerweise wimmelte es in der Eingangshalle von Shinobi, die auf Missionen gingen, von Missionen kamen oder sich einfach austauschten, doch an diesem Tag hielten sich lediglich Iruka, der das Gesicht in den Händen begraben hatte, und Genma, der unbeholfen dessen Schulter tätschelte, darin auf. Wenn etwas dafür stand, wie sehr der Anschlag die Routine im Dorf durcheinandergebracht hatte, dann die leere, gespenstig stille Halle. Ihr ehemaliger Klassenlehrer blickte auf, als ihre Schritte über den Boden schallten. Der ANBU bewegte sich geräuschlos. Iruka benötigte einen Moment, um das sich bietende Bild zu verarbeiten, zog dann irritiert die Brauen zusammen und starrte Sakura an, als wollte er sich telepathisch mit ihr unterhalten. Seine Augen waren gerötet und blutunterlaufen, als ob er vor nicht allzu langer Zeit geweint hätte; die Unbeschwertheit der Schneeballschlacht, die er sich mit den Kindern geliefert hatte, schien Jahrzehnte zurückzuliegen. Genma wirkte gefasster, doch seine dunklen Augen legten sich argwöhnisch und unmerklich verengt auf das ungleiche Paar, das Senbon wechselte den Mundwinkel und seine Zähne erzeugten unruhige metallische Klack-Geräusche auf der Nadel. Sakura erlaubte sich ein zuversichtliches Lächeln, das weder Iruka noch sie selbst überzeugen konnte, woraufhin sie mit den Achseln zuckte, um ihm zu signalisieren, dass sie ebenfalls nicht wusste, worum es ging. Sie schätzte Iruka, mochte ihn sogar und wollte ihm keine zusätzlichen Sorgen bereiten. Außerdem gab es keinen Grund zur Besorgnis, schließlich hatte sie nichts angestellt – außer vielleicht ein paar heikle Details über Sasuke für sich behalten. Sie schluckte nervös. Naja, vielleicht hatte sie doch ein klitzekleines bisschen Ärger am Hals. Sakura erreichte Tsunades Büro mit dem Gefühl, dass sich ihre Eingeweide sukzessive zu Gelee verflüssigt hatten. Sie wollte sich ihr Unbehagen vor dem ANBU nicht anmerken lassen, doch ihre Kieferpartie war verkrampft genug, um Nüsse knacken zu können. Und natürlich musste es ihm auffallen; er wäre ziemlich mies in seinem Job, wenn er derartige, verräterische Kleinigkeiten nicht bemerken würde. Die Rosahaarige versuchte, ihre Gesichtsmuskeln zu lockern, zog aber nur ein paar dämliche Grimassen, weswegen sie das Einzige tat, was ihr in dieser Situation blieb, sie guckte angemessen verdrießlich, um ihre Nervosität wie gerechten Zorn aussehen zu lassen. Durch die geschlossene Tür drang eine Kakofonie mehrerer Stimmen, die sich hörbar im Streit miteinander befanden. Sakura verstand nicht, was gesagt wurde, doch die Stimmen waren wie Ebbe und Flut, erst ein leises Gemurmel, ein wütendes Summen wie von Hornissen, das sich schlagartig mit der Kraft einer brechenden Welle entlud und Aggressionen wie Gischt durch den Raum spritzte. Sie warf dem Froschgesicht einen unsicheren Blick zu, das jedoch selbst nicht zu wissen schien, wie es sich nun verhalten sollte. „Na los, brauchst du eine Extraeinladung?“, sagte er und gestikulierte zur Tür. „Bestimmt nicht“, entgegnete Sakura, verschränkte demonstrativ die Arme und trat einen Schritt von der Tür weg, damit Tsunade – oder ihr Besuch – gar nicht erst auf die Idee kommen konnte, dass sie zu stören gewagt hatte. Die blonde Frau war gerecht, tendierte gelegentlich jedoch dazu, ihren Ärger an der erstbesten Person, die ihr in die Quere kam, auszulassen, und wenn sie die Geräusche jenseits der Tür korrekt analysierte, war die Hokage fuchsteufelswild gestimmt. Deutete sie das Verhalten des ANBU richtig, war ihm dieser Umstand sehr wohl bewusst; sie konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, aber sein Zögern verriet ihn. Er zischte etwas, das wie Feigling klang und der Kunoichi lediglich ein zynisches Schmunzeln entlockte, straffte dann jedoch die Schultern und klopfte gegen das Holz. Just in diesem Moment wurde die Tür von einem furchteinflößenden Mann aufgerissen, dessen rechte Gesichtshälfte bandagiert war, doch in seinem linken Auge glomm unverhohlener Zorn und seine Miene war derart grimmig, dass Ibiki im Vergleich regelrecht heiter wirkte. Er stieß den ANBU allein mit der Kälte seines Blickes beiseite, der sich in einem perfekten Neunzig-Grad-Winkel vor dem Alten verbeugte. Sakura tat es ihm unweigerlich gleich. Etwas an dem Bandagierten sorgte dafür, dass ihre Wirbelsäule gefror und sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. Der Alte hielt für einen Augenblick inne – sie spürte, wie er sie musterte, und ließ das Haar vor ihr Gesicht fallen –, ehe er grußlos im Gang verschwand. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, grollte ein zweiter Mann, der hinter dem ersten aus Tsunades Büro trat und dem wiederum eine alte Frau folgte. Beide beachteten weder sie noch den ANBU und eilten dem Bandagierten bemerkenswert leichtfüßig nach. „Das werden wir noch sehen“, brüllte Tsunade und hieb auf den Tisch, der unter der Macht ihrer Faust erbarmungswürdig knirschte. Ein Stapel Schriftrollen flog in die Luft und regnete auf den Fußboden, eine erdreistete sich sogar, gegen ihren Kopf zu knallen. Sakura schluckte. Der ANBU schluckte auch und Held, der er nicht war, winkte er die junge Frau gebieterisch ins Büro, indes er selbst im Türrahmen verweilte und auf ein Knie sank. „Haruno-san wurde wie befohlen abgeliefert.“ „Das sehe ich, Frosch.“ An Tsunades Schläfe pulsierte eine Ader. „Du kannst jetzt gehen.“ Der Mann verpuffte noch in derselben Sekunde und Sakura verteufelte den blöden Frosch, der sich nun einfach verdünnisieren durfte, während sie Tsunades mieser Laune ausgesetzt blieb. Was auch immer sie mit den drei Alten besprochen hatte, hatte ihre Stimmung unter den Gefrierpunkt sinken lassen. „Hast du Wurzeln geschlagen?!“ Sakura kicherte gezwungen, woraufhin sich Tsunade gestresst in die Nasenwurzel kniff. Okay, offenbar kein Senju-Scherz. Sie schloss die Bürotür zu energisch, die daraufhin laut in die Angeln krachte. Ein windschiefer Turm Schriftrollen erzitterte und kippte zur Seite weg. Die Hokage sah aus, als wollte sie jemanden umbringen, und Sakura stieg vorsichtig über die versiegelten Dokumente, die über den Boden kullerten, und nahm mit Unschuldsmiene gegenüber der blonden Frau Platz. „Wer waren diese Leute?“, fragte sie zögerlich. „Ältestenrat“, erklärte die Blonde wortkarg. „Ach“, machte sie erstaunt. Irgendwie hatte Sakura nicht damit gerechnet, dass der Ältestenrat, nun ja, tatsächlich alt war. Andererseits… abermals lief es ihr eiskalt den Rücken runter, als sie an den unheimlichen Bandagierten dachte. Er hatte ausgesehen, als würde er anderen gern das Leben schwermachen, und etwas zutiefst Bedrohliches war von ihm ausgegangen. Unweigerlich zollte sie der Älteren ihren Respekt, dass diese sich seit Monaten wiederholt mit ihm anlegte. Tsunade machte eine Handbewegung, als wollte sie ein lästiges Insekt – oder die Gedanken an den Ältestenrat – verscheuchen. „Ich habe eine Mission für dich.“ „O-okay.“ Sakura blinzelte überrumpelt, rutschte jedoch gespannt auf die äußerste Kante ihres Stuhles. Sie hatte mit Vielem gerechnet, aber nicht damit. Normalerweise war sie derart ausgelastet – und unentbehrlich – im Krankenhaus, dass sie bereits seit Monaten nicht mehr für eine offizielle Mission zugeteilt worden war. Prompt rauschte Adrenalin durch ihre Blutbahnen, ihr Herz fühlte sich an, als würde es vor erregter Anspannung jeden Augenblick platzen. „Wir haben erste Erkenntnisse über die Explosion im Jōnin-Viertel“, eröffnete Tsunade, ihre Lippen formten eine schmale, strenge Linie. Asumas Name schwebte so greifbar im Raum, als stünde sein Geist direkt neben ihnen. „Oh, das ging schnell“, merkte Sakura an, indes sie ihren Blick betreten auf ihre ineinander verschlungenen Finger senkte. Sie fühlte sich schuldig, dass sein Tod sie so wenig tangierte, obzwar für einige ihrer engsten Freunde gerade ein Stückchen Welt zusammenbrechen musste. Hätte es Kakashi erwischt, wäre sie gewiss untröstlich und am Boden zerstört. „Ōnoki-sama sicherte uns seine volle Kooperationsbereitschaft zu. Vermutlich denkt er, dass er vor Konoha dadurch am ehesten seine Hände in Unschuld waschen kann.“ Was bedeutete, dass Deidara nötigenfalls unter Zuhilfenahme von Folter zu einer Aussage gezwungen werden durfte und wahrscheinlich worden war. Sakura biss sich auf die Zunge, um diese im Zaum zu halten. Vermutlich war sie zu weich, doch Folter und unnötige Brutalität waren ihr stets zuwider gewesen, andererseits war der Gedanke, was der Iwa-Nin womöglich mit Ino angestellt hatte, zu frisch, ihr Mitleid hielt sich in Grenzen, und dass der Tsuchikage Konoha de facto einen Freifahrtschein ausgestellt hatte, hieß gleichzeitig, dass sich niemand darum scheren würde, wie die Uchiha-Polizei mit dem Blonden umgegangen war. Ihr Atem entwich als erleichtertes Seufzen und sie fragte sich, ob sie deswegen ein schlechter Mensch war. „Der verdächtige Ninja wird derzeit verhört, doch bislang waren seine Aussagen nicht sonderlich aufschlussreich. Er behauptet, es nicht gewesen zu sein, aber seine Chakrasignatur stimmt mit der am Tatort überein und seine Fähigkeiten legen nahe, dass er dafür verantwortlich ist. Inoichi ist an der Sache dran.“ „Und Ino?“, entfuhr es Sakura bei der Erwähnung ihres Vaters. „Ino? Was soll mit Ino sein?“, hakte Tsunade nach, spürbar genervt, dass die Jüngere sie unterbrochen hatte. „Sie war mit Deidara zusammen. Ich mache mir Sorgen, dass er ihr ebenfalls etwas angetan haben könnte.“ Tsunades Miene verhärtete sich schlagartig. „Verdammt, wenn das stimmt, bringt Inoichi ihn um und wir klären die Sache niemals auf.“ Sakura stockte der Atem. Sie war fast sicher, dass Tsunade es nicht so meinte, nur unglaublich gestresst war, doch sie hatte derart empathielos gesprochen, als wäre Ino lediglich ein möglicher Kollateralschaden. „Was hat Ino mit diesem Deidara zu schaffen?“, fragte sie anklagend. „Er hat sie zum Tanzen aufgefordert“, erklärte Sakura schnippisch. „Wie man das eben auf Festen macht. Und nein, zu diesem Zeitpunkt hat er nicht den Eindruck erweckt, dass er planen würde, Amok im Dorf zu laufen.“ Die Hokage stieß ein Seufzen aus, das mehr an ein Knurren erinnerte. „Wenn sich das Mädchen nur halb so sehr für ihre Ausbildung interessieren würde wie für Männer.“ Sakura ballte die Fäuste, bis ihre Nägel einen glühenden Schmerz in ihre Handflächen fraßen, um Tsunade nicht zu widersprechen. Die Anschuldigungen waren mehr als unfair. Ino stellte ihr Training seit Wochen, Monaten über Jungs. Und mit Deidara hatte sie sich freilich nur auf Sakuras Drängen hin abgegeben. Wenn sie genau darüber nachdachte, konnte sie sich nicht mal erinnern, wann Ino überhaupt das letzte Mal von jemandem geschwärmt hatte. Obwohl… Als die Delegation aus Yugakure eingetroffen war, hatte sie Hidans gutes Aussehen lobend angesprochen. Plötzlich hatte Sakura einen bitteren Geschmack im Mund, der ihre Zunge betäubte. Die Blonde massierte sich die Schläfen, als hätte sie Kopfschmerzen. Betrunken, wie sie noch vor wenigen Stunden gewesen war, war das sogar wahrscheinlich. „Von Ino weiß ich nichts“, sagte sie in einem Ton, der suggerierte, dass das Thema für sie damit beendet war. „Aber Inoichis bisherige Nachforschungen ergaben, dass dieser Deidara entweder tatsächlich keinerlei Erinnerungen an den Tathergang hat oder ausgezeichnet darin ist, Informationen zu verheimlichen. Derzeit halten wir allerdings für das Wahrscheinlichste, dass er sich zum Zeitpunkt der Tat in einem Genjutsu befunden hat. Die Rücksprache mit seinem Team lässt darauf schließen, dass er anfällig dafür ist.“ „Und jetzt verdächtigen Sie Sas- die Uchihas?“ Tsunade schnalzte geräuschvoll mit der Zunge und Sakura hatte den Eindruck, abschätzig von ihrer Vorgesetzten gemustert zu werden, was sie unweigerlich ein wenig in sich zusammensinken ließ. „Genjutsu benötigen Veranlagung. Man kann diese Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad trainieren, wird jedoch nie herausragende Ergebnisse erzielen, wenn es an natürlichem Talent mangelt. Dieses Genjutsu – falls es sich denn um eines handelt – muss von einem wahren Meister ausgeführt worden sein. Der Verdächtige wurde nicht nur über einen mutmaßlich längeren Zeitraum wie eine Marionette gesteuert, überdies wurden seine Erinnerungen in einem Maße manipuliert, dass nicht mal Inoichi darauf zugreifen kann. Klammert man den Uchiha-Clan aus, ist die Anzahl jener, die dazu in der Lage wären, überschaubar.“ Eine Million Ryō für eine Sekunde in Tsunades Gedanken, dachte Sakura finster. Obzwar die Hokage sich diplomatisch gab, haftete ihren Worten die unterschwellige Ansicht an, dass es zwar theoretisch möglich wäre, sie es aber doch für unwahrscheinlich hielt. Sasuke war es aber nicht, du blöde Schachtel, keifte die andere Sakura. Ihr dröhnte der Schädel. „Das allein ist kein Beweis, dass es ein Uchiha gewesen sein muss“, hörte sie sich dumpf durch den Schleier ihrer rotierenden Gedanken sagen. „Ihnen wäre klar gewesen, dass ein derart mächtiges Genjutsu sie direkt zu Hauptverdächtigen machen muss. Wieso nicht diskreter vorgehen? Und warum Asuma Sarutobi? Als Verantwortliche für den Schutz innerhalb des Dorfes hätten sie sich sogar in doppelter Hinsicht diskreditiert.“ „Womöglich war genau das das Ziel“, sagte Tsunade und legte die Fingerkuppen aneinander. „Eventuell dachte der Strippenzieher, dass diejenigen, die loyal zu Konoha stehen, kippen, wenn sich die Stimmung gegen den Clan verdichtet. Vielleicht spekulierte er darauf, die Friedensverhandlungen zwischen Konoha und Iwagakure zu sabotieren.“ Sakura biss die Zähne zusammen. „Sasuke wusste nichts davon. Wir waren zusammen, als es passierte, und ich lege meine Hand ins Feuer, dass er keine Ahnung hatte. Beide, wenn es sein muss.“ Tsunade seufzte, ein Laut, irgendwo zwischen Resignation und Verärgerung. „Sakura, ich muss mich darauf verlassen können, dass du dich von deinem Verstand und nicht von irgendwelchen Gefühlen für Sasuke Uchiha leiten lässt.“ Ertappt lief ihr Gesicht signalrot an. Ihr Mund klappte stumm auf und zu, dann ballte sie die Fäuste und sprang von ihrem Stuhl auf. „Und ich muss mich darauf verlassen können, dass Sie nicht im Interesse einer uralten Fehde handeln. Ich habe nicht einen Hinweis gefunden, dass Sasuke einen Bürgerkrieg anzuzetteln versucht oder einen solchen auch nur gutheißen würde. Meine Treue gilt Konoha, aber Sasuke ist mein Freund und ich vertraue ihm, weil ich ihn kenne und nichts darauf hindeutet, dass ich keinen Grund dazu hätte.“ Sie biss sich hart auf die Unterlippe, überwältigt von der Heftigkeit ihrer Emotionen. Er hatte sie verletzt und doch entsprach jedes Wort ihrer eigenen Wahrheit. Sasuke musste ihre Gefühle nicht erwidern, er musste sie nicht mal mögen, sie würde ihm vertrauen, bis er ihr das Gegenteil bewies, denn wie er zu ihr stand und wie er zum Dorf stand, waren zwei grundverschiedene Sachverhalte. Genau, zeig’s der alten Ziege. Shannarō! „Hinsetzen“, blökte Tsunade und Sakura gehorchte, doch auf ihrer Miene spiegelte sich noch immer etwas Rebellisches. „Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen“, fuhr sie barsch fort. „Es gab einen zweiten Angriff, der von mindestens einer weiteren unbekannten Person ausgeführt wurde. Die Opfer, Kotetsu Hagane und Izumo Kamizuki, sagten beide aus, dass sie kurz vor Mitternacht ein ungewöhnlich starkes Chakra bemerkten, das sich aus Konoha entfernte. Als sie der Sache nachgehen wollten, wurde Kotetsu hinterrücks angegriffen, Izumos Angreifer war, ich zitiere: ‚eine komische Gestalt in einem dunklen Kapuzenumhang, mit riesigen leuchtenden Augen‘. Beide wurden heute Morgen in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt, aber insgesamt unversehrt ein Stück nördlich des Dorfes aufgefunden, was nahelegt, dass der oder die Täter versiert in medizinischen Jutsu sind.“ „Ist ihr Verschwinden denn nicht aufgefallen?“, fragte Sakura bestürzt, die gruselig fand, dass man in einem Dorf voller Ninja unbemerkt angegriffen werden konnte. „Die Wachablösung hat nicht gemeldet, dass sie nicht auf ihrem Posten waren. Sie gingen davon aus, dass die beiden blaumachen, und wollten sie nicht in Schwierigkeiten bringen.“ Ihr Gesicht spiegelte deutlich wider, was sie davon hielt. „Sie erstatteten erst Bericht, als sich herauskristallisierte, dass sie seit Längerem nicht mehr gesehen worden waren.“ „Was sicherlich die meisten in dieser Situation angenommen hätten, sodass sich niemand unverzüglich auf die Suche nach ihnen gemacht hätte.“ Tsunade fegte den Einwand mit einer unwirschen Handbewegung vom metaphorischen Tisch. „Ich möchte, dass du ein Team zusammenstellst und die Spur des Angreifers verfolgst. Euer primäres Ziel ist, die Identität dieser Person herauszufinden. Da wir nicht wissen, mit wem wir es zu tun haben, überlasse ich das weitere Vorgehen deinem Ermessen.“ Sakuras Lippen verzogen sich zu einem überraschten O. Eine auswärtige Mission, und dann auch noch mit ihr als Teamleiterin? Ihr wurde heiß und kalt, tausende Fragen schossen ihr durch den Kopf, doch sie sagte das Einzige, was zählte: „Ich habe verstanden.“ Die Hokage nickte knapp und sagte: „Die Auswahl deiner Teammitglieder ist derzeit leider beschränkt …“ „Ich weiß schon, wen ich mitnehmen werde“, unterbrach die Rosahaarige sie. „Sasuke Uchiha…“ Sie stockte, als Tsunade durch geblähte Nasenlöcher ausatmete. Sie kommentierte die Entscheidung zwar nicht, zweifelte deren Klugheit jedoch sichtlich an, sodass Sakura sich beinahe zu einer Erklärung hingerissen fühlte, um nicht den Anschein zu erwecken, andere als triftige Gründe hierfür zu haben, fand dann allerdings, dass jede Erklärung, egal wie rational sie war, wie ein Vorwand klingen würde. „Und Shikamaru Nara“, schloss sie daher. „Dir ist bewusst, wie wichtig dieser Auftrag ist?“, fragte Tsunade scharf. „Selbstverständlich, aber wenn Sie meine Kompetenzen bereits in der Wahl meiner Teammitglieder anzweifeln, bin ich vielleicht nicht geeignet, ein Team anzuführen“, entgegnete sie mit gerecktem Kinn, um selbstbewusster zu wirken. Tsunade sah sie ausdruckslos an, lang genug, dass Sakura glaubte, die Mission wieder entzogen zu bekommen. „Gut, Shikamaru Nara und Sasuke Uchiha also. Ich lasse beiden eine Botschaft zukommen.“ „Verzeihung, aber ich würde gern selbst mit ihnen sprechen“, merkte sie zögerlich an und zig den Kopf leicht ein, als Tsunades Stirnvene bedrohlich zu pulsieren begann. Die Blonde ließ ihre Faust abermals auf die Tischplatte donnern, was, wenn es nur wenige Zentimeter vor der eigenen Nase geschah, überaus beängstigend war, sagte jedoch nur mit einem gereizt-süßlichen Lächeln: „In Ordnung.“ Sakura war derart tief in Gedanken versunken, dass sie blind an Kakashi vorbeilief, der sie in der Eingangshalle erwartete. Der Jōnin musste mehrmals ihren Namen rufen, bis sie schließlich stirnrunzelnd aufblickte. „Sensei Kakashi? Was machen Sie denn hier?“ „Iruka meinte, dass du womöglich in Schwierigkeiten steckst“, antwortete er und sah skeptisch auf sie hinab. „Laut ihm wurdest du von der ANBU-Einheit festgenommen, was, wie mir scheint, eine überspitzte Darstellung der Wahrheit war.“ Sie lächelte matt. „Lady Tsunade hat mir eine Mission zugeteilt… als Teamleiterin.“ Falls er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. „Du bist eine Chūnin und eine der verantwortungsbewusstesten Kunoichi, die ich kenne.“ „Hmm“, brummte sie, errötete jedoch leicht ob des Komplimentes. Kakashi lobte nicht oft, aber wenn, dann meinte er es stets aufrichtig. Er klopfte ihr sacht auf die Schulter und kniff sein Auge freundlich zusammen. „Nervosität zeugt von Intelligenz, immerhin bist du nicht nur für den Erfolg der Mission verantwortlich, sondern vor allem für dein Team.“ „Mein Team“, echote sie leise. „Ich habe Sasuke und Shikamaru ausgewählt. Meinen Sie…? War das ein Fehler?“ Kakashi zögerte eine Sekunde, doch sein Blick verlor nicht an Freundlichkeit. „Das hängt davon ab, ob ihre speziellen Fähigkeiten zum Erfolg der Mission beitragen. Wenn du Zweifel hast, ist das vielleicht deine Antwort.“ Sakura schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Haarsträhnen ins Gesicht flogen. „Nein, sie sind die richtige Wahl. Neji oder Kiba wären vielleicht geeigneter gewesen, aber ich kenne sie nicht so gut wie…“ Sie presste die Lippen aufeinander, um ihr Geplapper zu unterbinden. „Ich habe die richtige Entscheidung getroffen.“ „Na, da hast du doch deine Antwort. Manchmal muss man seine Bedenken nur aussprechen, um seine Gedanken zu sortieren.“ „Ich…“ Sie sah ihn mit großen Augen an, ihren ehemaligen Sensei, auf dessen Urteil sie sich womöglich noch immer zu sehr verlies. „Ich mache mir Sorgen, dass Sasuke mich nicht als Teamführerin anerkennt. Ich… ich war doch immer schlechter als er.“ Diesmal zögerte Kakashi deutlicher. „Ein berechtigter Einwand.“ Sie senkte betrübt den Blick und hörte ihn leise seufzen. „Du bist nicht schlechter als er, eure Talente sind nur sehr verschieden. Du bist besonnen, Sasuke dagegen hat wenig Geduld. Er kann starrsinnig sein, vor allem wenn er meint, es besser zu wissen, und du hast die Tendenz, nachsichtiger mit ihm zu sein, als euch beiden guttut. Wenn ich dir einen Tipp geben darf: Stell von Anfang an klar, wer das Sagen hat.“ Sie bestätigte mit einem Nicken, dass sie verstanden hatte, fragte dann: „Wie fühlen Sie sich?“ Er zuckte die Achseln. „Ich halte mich. Wie geht es Kurenai?“ „Den Umständen entsprechend. Körperlich ist sie unversehrt, aber ihre seelischen Wunden werden Zeit zum Heilen brauchen. Ihr Team müsste gerade bei ihr sein.“ Der Hauch eines Lächelns zeichnete sich unter seiner Maske ab. „Das ist gut, sie und ihr Team standen sich immer nahe.“ „Sie sollten sie auch besuchen.“ „Ich? Ach, ich bin eigentlich nicht die Sorte Mensch, die man in so einem Fall gern um sich hat.“ „Jeder braucht seine Freunde in so einer Situation“, sagte sie streng und legte den Kopf leicht schief. „Es geht nicht darum, was Sie oder ob Sie etwas sagen, zeigen Sie ihr nur, dass Sie für sie da sind. Sie hat schreckliche Schuldgefühle; wenn sie den Eindruck gewinnt, dass ihre Freunde sich von ihr abwenden, fühlt sie sich darin womöglich bestätigt.“ „Naja…“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Sakura kannte ihn gut genug, um zu erkennen, dass er nach einer Ausflucht suchte, die ihn nicht als emotional verkrüppelten Feigling darstellte. Sie respektierte seine Privatsphäre und hatte nie in seiner Vergangenheit rumgeschnüffelt, doch gelegentlich fragte sie sich doch, was ihm widerfahren sein musste, dass er panische Angst vor zwischenmenschlichen Beziehungen hatte. Natürlich war ihr aufgefallen, dass er nie, wirklich nie über sein ehemaliges Team sprach, sie lief weder blind noch taub durchs Dorf und sich ausrechnen, dass er und sein Team im dritten Shinobi-Weltkrieg gedient haben musste, konnte sie sich auch, woraus sie ihre eigenen Schlüsse gezogen hatte. Sie fühlte das altbekannte Mitleid für den Mann, der so stark war und gleichzeitig so verletzlich schien, in sich aufwallen. „Würden Sie mir einen Gefallen tun?“, fragte sie und beendete damit seine Misere. „Könnten Sie Sasuke für mich finden und ihn zu mir ins Krankenhaus schicken? Das würde mir einiges an Zeit sparen. Falls es keine Umstände bereitet.“ Zeit, die sie nutzen konnte, um ihre Sachen zu packen und sich vielleicht noch ein, zwei Stunden schlafen zu legen. „Huh?“ Er schien kurz überrumpelt von dem Themenwechsel, kniff dann jedoch sein Auge auf die ihr vertraute Weise zusammen. „Sicher.“ Kakashi tätschelte auf eine ungewohnt väterliche Art ihren Scheitel, ehe er in einer Rauchwolke verpuffte, aber das kannte sie bereits zur Genüge von ihm. Dieser Mann… Kopfschüttelnd kehrte sie ins Krankenhaus zurück und klopfte an Kurenais Zimmertür, hinter der sie nicht nur Team 8, sondern, wie von ihr vermutet und erhofft, ebenso zwei Drittel von Team 10 vorfand. Minus Ino. Prompt zog sich Sakuras Magen schmerzhaft zusammen und gab, trotz dem latenten Übelkeitsgefühl, ein unzufriedenes Grummeln von sich, das ihr die Aufmerksamkeit von fünf Augenpaaren bescherte. Kurenai schlief scheinbar tief und fest, trotz ihres aufgeblähten Bauches wirkte sie schmal, blass und zerbrechlich unter der dicken Bettdecke. „Ist sie aufgewacht?“, fragte Sakura, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. „Ja, ganz kurz“, antwortete Hinata. „Sie hat gefragt, ob alles ein Traum war, und ist danach gleich wieder eingeschlafen.“ Bekümmert stupste sie ihre Zeigefinger gegeneinander, was Kiba dazu veranlasste, ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter zu legen und sie anzugrinsen, obwohl sie ihn gar nicht ansah. „Ist… ist mit dem Baby alles in Ordnung?“ Sakura biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Ich darf eigentlich nicht…“, setzte sie an, entließ ihren Atem dann jedoch nur mit einem erschöpften Seufzen. „Dem Kind geht es gut.“ „Das sind großartige Neuigkeiten“, sagte Hinata, die sich erleichtert lächelnd die Hand gegen das Brustbein drückte. „Nicht auszudenken, wenn sie auch noch das Baby verloren hätte.“ „Ich hab dir doch gesagt, dass Sakura sich ansonsten nicht einfach verdrückt hätte“, lachte Kiba und zerwühlte ihr langes dunkelblaues Haar mit seiner riesigen Pranke, was der Hyūga eine dezente, beschämte Röte auf die Wangen trieb. Ebenso wie Sakura, die sich eigentümlich geschmeichelt von Kibas Vertrauen in ihre Person fühlte. Selbstverständlich hätte sie alles dafür getan, um Kurenais Ungeborenes zu retten, falls es notwendig gewesen wäre, dennoch tat es gut, zu hören, dass jemand gar nichts anderes von ihr erwartet hatte. „Daran habe ich nie gezweifelt“, ereiferte Hinata sich und warf Kiba einen, für ihre Verhältnisse, bösen Blick zu, danach lächelte sie Sakura entschuldigend an. „Ich habe mir nur Sorgen gemacht.“ „Das verstehe ich“, winkte diese nonchalant ab, ehe sie bemüht beiläufig fragte: „Ist Ino gar nicht bei euch?“ „Weißt du es noch gar nicht?“, fragte Chōji und ließ eine Pflaumenhälfte aus dem Obstkorb, der höchstwahrscheinlich für Kurenai gedacht war, vor seinem Mund stoppen. Offensichtlich nicht! Wieso stellten manche Menschen blöde Gegenfragen, anstatt einfach zu antworten?! Wüsste sie es, hätte sie wohl kaum gefragt. Sie verkniff sich die flapsige Bemerkung. Vielleicht reagierte sie überempfindlich, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, nicht richtig atmen zu können. „Ino hatte einen Schwächeanfall. Shizune-san hat sie nach Hause geschickt, damit sie sich ausruht“, erklärte Shikamaru neutral, doch sie wurde den Eindruck nicht los, dass er sie komisch ansah. „Ja, das war alles ein bisschen zu viel für die Arme“, bestätigte Hinata mitfühlend und zog ein Gesicht, als würde sie selbst gleich zu weinen anfangen. Kiba grunzte zustimmend, nur Shino, der sich wie so oft im Hintergrund hielt, blickte lediglich stumm auf die schlafende Kurenai hinab. Ihr fiel auf, dass seine Hand neben ihrer auf der Bettdecke lag und seine Fingerkuppe unmerklich ihren kleinen Finger berührte, eine liebevolle Geste, die sie ihm gar nicht zugetraut hätte. „Kann ich dich mal kurz sprechen?“, fragte Shikamaru und erhob sich, ohne ihre Antwort abzuwarten. „Das trifft sich gut, ich wollte sowieso mit dir reden“, entgegnete sie und ignorierte geflissentlich die seltsame Stimmung, die sich schlagartig im Zimmer auszubreiten schien, lächelte unverbindlich gegen das Gefühl, ein Eindringling zu sein, an. Shikamaru hielt sich nicht mit Smalltalk auf. Auf dem Gang fragte er, ob sie sich irgendwo ungestört unterhalten könnten, und Sakura führte ihn in ein unbelegtes Patientenzimmer, wo er direkt auf den Punkt kam. Die Hände in den Hosentaschen vergraben lehnte er sich gegen die Wand, wirkte nicht wirklich entspannt, aber friedfertig und distanziert. Sakura blieb unschlüssig mitten im Raum stehen; sie wollte sich nicht setzen, wenn er es nicht tat. „Ino hatte nicht nur einen normalen Schwächeanfall, sie ist ohnmächtig zusammengebrochen. Bei der Untersuchung haben ihre Blutwerte einige bedenkliche Defizite aufgewiesen, sie war dehydriert und hat offenbar seit längerer Zeit nicht mehr anständig gegessen. Weißt du was darüber?“ „Nein“, erwiderte sie perplex, während sie die Informationen zu verdauen und ins Bild zu setzen versuchte. Sie hatte immer mal wieder den vagen Verdacht gehabt, dass mit ihrer besten Freundin etwas nicht stimmte, doch Ino hatte sich insgesamt so normal verhalten, dass sie es ein ums andere Mal aufgeschoben hatte, diesem Verdacht nachzugehen – und letztlich war sie viel zu sehr mit sich selbst und Sasuke beschäftigt gewesen. Sie ließ die Schultern hängen. „Schöne Scheiße“, fluchte der Schwarzhaarige und biss die Zähne zusammen. „Chōji und mir ist aufgefallen, dass sie sich merkwürdig verhält, aber wir dachten, dass sie von sich aus was sagt, wenn sie reden will.“ Sakura brummte eine undeutliche Zustimmung, um ebenfalls auf diesen Zug aufzuspringen. „Hast du einen Verdacht?“ „Nein, keinen. Was ist mit dir?“ Sie schüttelte stumm den Kopf, als sich abermals Hidans unangenehme Visage vor ihr geistiges Auge schob. Shikamaru schien eine Veränderung in ihrem Gesicht aufzufallen, denn sein Blick intensivierte sich. Sakura knetete ihre Hände. „Obwohl, vielleicht doch. Sie scheint Angst vor Hidan zu haben und ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass er… gewalttätig ist.“ Ihre Zunge stolperte über das Wort und sie gab sich sehr viel Mühe, ihn nicht anzusehen. Wenn er ihre Reaktion verdächtig fand, war er taktvoll genug, nicht nachzuhaken. „Hidan? Der Name ist doch schon mal im Zusammenhang mit Ino gefallen.“ In seinen Augen leuchtete Erkenntnis auf. „Du hast gesagt, dass wir etwas wegen ihm unternehmen müssen. Hatte er etwas mit Inos Verletzung zu tun?“ Sakura konnte förmlich sehen, wie sein Verstand die Puzzleteile aus den wenigen Hinweisen, die er hatte, zusammenzusetzen begann. „Offiziell war es ein Unfall, soweit mir bekannt ist, und mir ist nicht wohl dabei, etwas anderes zu behaupten, wenn Ino dir nichts davon erzählen wollte.“ Was offensichtlich der Fall war. Sie schloss erschöpft die Augen. Auf diese Art Gespräch war sie nicht vorbereitet gewesen und, was viel schlimmer war, sie hatten überhaupt keine Zeit dafür. Ino oder ihre Mission? Die Mission oder Ino? Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als es an der Tür klopfte und Sasuke gleich darauf den Kopf ins Zimmer steckte. „Kakashi schickt mich.“ Er klang genervt und seine schlechte Laune stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Gib uns bitte noch eine Minute.“ „Hmpf! Ich habe ziemlich viel zu tun.“ „Eine Minute“, wiederholte sie nachdrücklich und wandte sich Shikamaru zu, nachdem Sasuke schnaubend die Tür geschlossen hatte. Das Gefühl der absoluten Überforderung überwältigte sie und schon jetzt kam sie sich vor, als hätte sie als Teamleiterin auf ganzer Linie versagt. Sie wollte das Gespräch über Ino nicht abwürgen, als wäre es ihr nicht wichtig, doch mit Sasuke, der ungeduldig vor der Tür wartete, und einem Verdächtigen, der alsbald verfolgt und gefunden werden wollte, mussten ihre Prioritäten der Mission gelten. Sie pustete sich eine Strähne aus der Stirn; ihr Haar war noch immer nicht vollständig getrocknet und kühlte ihre Kopfhaut aus. Jeden anderen hätte sie für die Unvernunft, bei dieser Kälte mit feuchten Haaren herumzulaufen, getadelt. „Hör mal, Shikamaru, das ist vermutlich der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, aber wir sollen einen oder mehrere flüchtige Verdächtige ausfindig machen, die möglicherweise etwas mit dem Anschlag… im Dorf zu tun hatten. Also, falls du dich in der Lage fühlst?“, eröffnete sie und gab ihm eine knappe Zusammenfassung ihres Gespräches mit Tsunade. Sakura hatte insgeheim damit gerechnet, dass Shikamaru sich nicht die Chance entgehen lassen wollte, den- oder diejenigen, die womöglich im Zusammenhang mit Asumas Tod standen, aufzuspüren. Ginge es um Kakashi, wäre ihr ebenfalls zuwider gewesen, nichts tuend herumzusitzen, wenn es etwas gab, das man aktiv unternehmen konnte. Seine Zusage überraschte sie daher kaum, erleichterte sie aber dennoch, und sie drückte sich die Daumen, dass Sasuke ebenfalls so anstandslos zu kooperieren bereit war. Natürlich hatte ihr Gespräch mit Shikamaru wesentlich mehr als eine Minute beansprucht und als er das Zimmer verließ, war Sasuke entsprechend verärgert. Dennoch war er nicht einfach gegangen und kommentierte die Wartezeit nicht, was sie ihm irgendwie anrechnete. War sie wahrhaftig derart anspruchslos, wenn es um ihn ging, dass sie sich darüber freute? Sie begrüßte ihn mit einem zaghaften Lächeln, das an seiner reservierten Miene abprallte. Irgendwann, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich umgezogen und gewaschen. Er roch frisch und sauber, sah jedoch – wenigstens für seine Verhältnisse – abgespannt und erschöpft aus. Vermutlich war er, im Gegensatz zu ihr, nicht mal für eine halbe Stunde zum Schlafen gekommen. Außerdem hatte sie ihm auch noch die zwei Stunden, die sie an seiner Schulter geschlummert hatte, voraus. Schlagartig kam sie sich mal wieder vor, als würde sie sich fürchterlich anstellen. „Wie geht es deiner Schulter? Der Sprung von der Aussichtsplattform war ziemlich heftig. Ich habe kurzzeitig gedacht, meine Wirbelsäule spießt sich durch meine Schädeldecke. Mit deiner Verletzung muss die Landung übel gewesen sein.“ „Hast du mich deswegen herzitiert?“, fragte er verächtlich. Zugegebenermaßen war das wohl der schlechtmöglichste Einstieg, den sie hätte wählen können. Halb rechnete sie damit, dass er sich auf dem Absatz umdrehen und sie stehenlassen würde, stattdessen verschränkte er die Arme und sah sie abwartend an. „Ja und nein“, beeilte sie sich zu sagen. „Wir haben einen Außeneinsatz, aber ich kann dich nicht mitnehmen, wenn du nicht einsatzfähig bist.“ Zu behaupten, dass sie nicht genoss, wie ihre Worte die Zahnrädchen hinter seiner Stirn in Bewegung versetzten, wäre eine Lüge und nichts als eine Lüge. „Was willst du damit andeuten?“, fragte er nach, da er kränkenderweise nicht seiner eigenen Schlussfolgerung zu trauen schien. „Lady Tsunade erteilte mir den Auftrag…“ „Dir?“ Er sprach es nicht aus, doch seine stumme Lippenbewegung war so klar und deutlich, dass kein Ton notwendig war, um ihn zu verstehen. Es reichte, um ihr die Stimme versagen zu lassen. „Und jetzt fühlst du dich verpflichtet, mich mitzunehmen. Das ist nicht die gescheiteste Herangehensweise, um ein Team zusammenzustellen.“ „Ich vertraue auf deine Fähigkeiten“, widersprach sie ruhig. „Es mag stimmen, dass wir schon lange keinen Kampfeinsatz mehr zusammen hatten, aber deine Stärken und Schwächen kann ich trotzdem besser einschätzen als die von sonst wem und ich habe dein Training mit Shisui-san beobachtet. Außerdem vertraue ich dir, als Shinobi und als Mensch… egal, was war oder was du von mir als Person hältst.“ „Tzz“, zischte er und drehte seinen Kopf dabei schlagartig zur Seite weg. Auf seinen Wangen schien sich für einen winzigen Augenblick der blasseste Hauch Rosa abzuzeichnen. „Handelt es sich um eine richtige Mission oder ist der alten Shijimi mal wieder das Katzenviech entlaufen?“ Sie lächelte dünn, was vermutlich nicht angemessen war, aber sie hatte den Eindruck, dass er gerade so etwas wie einen Scherz gemacht hatte. „Eine richtige Mission“, bestätigte sie und weihte ihn, ebenso wie Shikamaru zuvor, in die wichtigsten Details ein. Sasukes Miene verdüsterte sich zusehends, als sie geendet hatte, trafen sich seine Brauen beinahe über der Nasenwurzel. Er schien unzufrieden und sie konnte nicht umhin, das auf sich zu beziehen. Viel hatte sie immerhin nicht anzubieten. Sie hatte noch keinen Plan und das weitere Vorgehen, sollten sie ihre Zielperson überhaupt ausfindig machen können, hing davon ab, mit wem sie es zu tun hatten und wie gefährlich diese Person war. Diese Mission konnte sterbenslangweilig oder lebensbedrohlich werden. Sein Blick schweifte in die Ferne, hinaus zum Fenster, gegen das sich ein trister Nebelschleier schmiegte. „Lässt du mich jetzt deine Schulter untersuchen?“ „Ich bin einsatzfähig.“ „In Ordnung, aber ich möchte mich gern selbst davon überzeugen. Das verstehst du sicher, wo ich doch die Verantwortung trage.“ „Wenn es sein muss, von mir aus“, stimmte er augenrollend zu. Sakura überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit wenigen Schritten und begann, seine Schulter zu untersuchen, stellte ihm Fragen, ob er Schmerzen oder Probleme mit seinem Bewegungsapparat hatte, ließ ihr Chakra durch seinen Körper strömen, drückte seine Schulter, tastete seine Muskeln ab. Seine Antworten waren einsilbig und jede Bitte ihrerseits, wie dass er die Schulter rollen, die Faust ballen oder den Arm über den Kopf heben sollte, wurde von einem leisen Schnauben begleitet. Sie arbeitete gründlich und konzentriert. Ein ausgekugeltes Schultergelenk war im Grunde eher lästig denn gefährlich, doch die Verletzung lag erst wenige Tage zurück, er trug keine Schlinge, ebenso ging sie nicht davon aus, dass er ihren ärztlichen Rat befolgt und sich geschont hatte, und im Kampf konnte einem selbst die nichtigste Beeinträchtigung zum Verhängnis werden. Letztlich kam sie jedoch zu dem Ergebnis, dass seine Schulterverletzung bereits vollkommen genesen war, was sie ihm mitteilte. „Sagte ich doch. Du hast gute Arbeit geleistet.“ Das Lob verbog ihre Lippen schneller zu einem glücklichen Lächeln, als sie es zurückbeißen konnte. Sakura war hervorragend in dem, was sie tat, und brauchte normalerweise keine Bestätigung, doch das war schließlich ein Kompliment von Sasuke. Sie bemühte sich, nicht auszusehen, als wollte sie singend durch den Raum hopsen, und legte extra viel Unverbindlichkeit in ihre Stimme, als sie sagte: „Danke, dann sehe ich dich später.“ Dann sehe ich dich später… Das klang, als würden sie sich zum Teetrinken treffen und nicht auf eine Mission aufbrechen, schalte sie sich, aber Sasuke nickte nur und ging auf die Tür zu. Seine Finger schlossen sich um die Klinke, doch dann zögerte er und zog die Hand zurück. „Dir ist bewusst, dass es ein schlechtes Licht auf dich wirft, dass du ausgerechnet mich mitnimmst? Wenn Deidara, wie du sagst, wirklich unter einem Genjutsu stand, wird es eine Menge Leute geben, die meinen Clan verdächtigen. Egal, was wir herausfinden, sie werden darin entweder den Beweis sehen, dass die Uchiha dafür verantwortlich sind, oder argumentieren, dass wir Informationen verfälscht hätten, um es aussehen zu lassen, als hätte mein Clan nicht die Finger im Spiel gehabt.“ Er blickte über die Schulter zurück, doch das machte nichts, denn das peinliche Grinsen war ihr ohnehin vergangen. „Ein paar dieser Leute werden dich infrage stellen. Einige werden dir nur vorwerfen, ein dummes Mädchen zu sein, andere werden nicht so gnädig über dich urteilen. Dir muss klar sein, dass es Konsequenzen haben wird, wenn du dich offen auf meine Seite schlägst.“ Sakura leckte sich unbewusst über die trockenen, kalten Lippen. Sie war schockiert, obgleich sie nicht überrascht sein sollte, wie er unverzüglich zu dem Schluss gekommen war, dass man den Uchiha-Clan verdächtigte. Und zu Recht. Es machte Sasukes Auffassung, dass jeder gegen seinen Clan hetzte, die sie letztlich, wenigstens teilweise, auf eine Mischung aus Missverständnissen und Paranoia geschoben hatte, sehr viel realer. „Ich weiß“, sagte sie ernst. „Aber ich habe mich entschieden, auch falls das bedeutet, dass unser gesamtes Dorf auf mir herumhacken wird. Ich habe es schon mal gesagt und ich sage es noch mal: Ich vertraue dir.“ Sasukes Miene war für sie nicht zu deuten, doch aus den Tiefen seiner onyxfarbenen Augen schien ein gewisses Leuchten zu kommen, das sie auf ihn zugehen und sein Gesicht zwischen die Hände nehmen ließ. „Menschen neigen dazu, dem Urteil der Mehrheit zu glauben und sich deswegen automatisch im Recht oder auf der richtigen Seite zu wähnen. Wir werden ihnen beweisen, dass sie sich irren.“ Ihr Daumen zeichnete ganz von allein seinen Wangenknochen nach und als er den Mund öffnete, rutschte ihr Blick automatisch auf seine Lippen und zurück zu seinen Augen, die so nah waren und ihr dennoch das Gefühl gaben, durch die Unendlichkeit zu fallen. Sie atmete tief ein, spürte, wie sich ihr Oberkörper dabei gegen seinen drückte. So nah. Sein Atem kitzelte ihre Haut. Sein Gesicht kam näher, als sie sich wie hypnotisiert auf die Zehenspitzen hob. „Was machst du denn?“, fragte er, eine steile Falte verlief senkrecht zwischen seinen Augenbrauen. Sie drückte ihre Lippen auf seine Wange und ließ sich zurück auf die Fersen fallen. „Bis später“, sagte sie nur, schob sich dann an ihm vorbei, durch die Tür und auf den Gang. Als sie sicher war, dass er ihr nicht nachkam, knallte sie die Hand gegen ihr Gesicht. Was hatte sie bloß angestellt?! Kapitel 14: Planlos ------------------- Klumpige Schneeflocken fielen wie nasse Wattebausche vom Himmel, als Sakura das Nordtor erreichte. Sie war zu früh, aber Sasuke war trotzdem schon da, lehnte mit dem Rücken an der Mauer des Wächterhäuschens, die Arme vor der Brust überkreuzt. Das Bild erinnerte sie an die unzähligen Male, die sie gemeinsam auf Kakashi gewartet hatten, und wäre sie weniger unsicher, weil sie ihn fast – fast – geküsst hatte, würde sie vermutlich lächeln. So jedoch wünschte sie, Shikamaru hätte seinen faulen Hintern ebenfalls schon herbewegt, um der Peinlichkeit, wie sie sich nun verhalten sollte, zu entgehen. Sie wusste noch immer nicht, welcher Teufel von ihr Besitz ergriffen hatte. Sasuke war ihr plötzlich so nah gewesen, körperlich und emotional, und er hatte diesen Ausdruck in den Augen gehabt. Oder wenigstens hatte sie das gedacht. Irgendetwas in ihrem Gehirn hatte daraufhin ausgesetzt. Sie schluckte und hoffte, dass diese Indiskretion nicht zwischen ihnen stand. „Bist du ausgeruht?“, fragte sie bemüht nonchalant, während sie ihren schweren Rucksack in den Schneematsch stellte und ihre Schultern, die sich bereits verspannt anfühlten, kreiseln ließ. Sie hatte zu viel eingepackt und würde sich vermutlich noch vor Einbruch der Nacht dafür verfluchen, doch da sie nicht einschätzen konnte, wie lange sie unterwegs sein würden oder was sie erwartete, war sie lieber auf Nummer sicher gegangen. „Hmm“, brummte er, was sie großzügig als Nein interpretierte. Sie selbst hatte dem Drang, sich noch einmal schlafen zu legen, nachgegeben. Ihre Zielperson hatte unterdessen sowieso einen riesigen Vorsprung und niemandem war geholfen, wenn ihre Erschöpfung sie ausbremste. Ihren Chakra-Reserven hatte es jedenfalls gutgetan. „Ich habe Ino verhört.“ Verhört. Sakura zog die Brauen zusammen. „Ich weiß, ich habe mir ihr gesprochen. Sie erzählte mir, dass du bei ihr warst und… Fragen gestellt hast.“ In die Mangel genommen traf es eher und sie versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen, dass er ihrer besten Freundin unnötig zugesetzt hatte. Als hätte die Blondine nicht genug durchgemacht. „Sie behauptet, nichts zu wissen.“ Ihr gefiel nicht, wie er es sagte, und sie imitierte unbewusst seine Haltung, indem sie die Arme defensiv vor der Brust verschränkte. „Was heißt, sie behauptet, nichts zu wissen. Ino lügt nicht“, verteidigte sie das Mädchen. „Sie ist eine Verdächtige.“ Seine Worte waren derart nüchtern gesprochen, derart abwegig, dass sie sich im ersten Moment verhört zu haben glaubte. Sie blinzelte, ehe sie unwirsch ein paar der nassen Flocken vor ihrem Gesicht fortwedelte, als könnte sie damit ebenso das Gesagte wegscheuchen. „Was redest du denn da?! Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.“ Sasuke bedachte sie mit diesem speziellen Ausdruck, der sie sich stets ein wenig minderwertig fühlen ließ, sah sie abwartend an, auf eine ähnliche, wenngleich weniger ermutigende Weise, wie Sensei Iruka es zu tun gepflegt hatte, wenn man nicht sofort die Antwort auf eine schwere Frage gewusst hatte, dann seufzte er und sandte eine Kondenswolke gen Himmel. „Findest du nicht merkwürdig, dass sie zufällig mit Deidara zusammen war? Was hatten die beiden miteinander zu schaffen? Woher kennen die sich überhaupt?“ „Er hat sie zum Tanzen aufgefordert. Es ist nichts Verdächtiges daran, wenn ein Mann mit einer hübschen Frau auf einem Fest tanzen möchte.“ Sie wollte sachlich klingen, doch ihr Ton war hörbar eingeschnappt. Sakura plusterte die Wangen auf. Das war absurd, beinahe komisch und ein bisschen tragisch. Wie konnte jemand, der so brillant war, der ironischerweise auch noch über ein Dōjutsu verfügte, derart blind sein? Wie war es möglich, dass er das Verhalten seiner Gegner drei Schritte im Voraus abschätzen konnte, jedoch vollkommen unverständig schien, wenn es um die simpelsten zwischenmenschlichen Beziehungen ging? „Und dann lässt er sie einfach sitzen?“ Er hob zweifelnd eine Augenbraue an und Sakura runzelte die Stirn. Das war zugegebenermaßen der Teil, der sie ebenfalls verwunderte. Ino konnte gelegentlich, nun ja, etwas viel sein, doch laut ihr hatten sie sich gut verstanden, jedenfalls bis Deidara ihnen etwas zu Trinken hatte holen wollen und sie daraufhin versetzt hatte. Die Yamanaka war – verständlicherweise – zu gekränkt gewesen, um ihm nachzulaufen, und nach Hause gegangen, was nun leider bedeutete, dass sie kein leicht zu überprüfendes Alibi hatte. „Dafür gibt es tausendundeine Begründung“, entgegnete sie lahm. „Und eine davon ist, dass sie lügt.“ „Jetzt hör aber mal auf, Sasuke“, echauffierte sie sich. „Wir reden hier von Ino. Du kannst doch nicht allen Ernstes glauben, dass sie irgendwas mit dem Attentat auf Asuma zu tun hat. Er ist… war ihr Sensei. Sie hat ihn wie einen Vater geliebt.“ „Sie hatte die Möglichkeit“, erwiderte er trocken. „Sie hätte ihn leicht mit ihrer Geist-Körper-Tauschtechnik in Besitz nehmen können und das weißt du, du schließt die Option nur kategorisch aus, weil sie deine Freundin ist. Wenn man eine Tat aufklären möchte, muss man zuerst darauf achten, wer die Möglichkeit dazu hatte, nicht, wer am ehesten ein erkennbares Motiv besitzt.“ Sakura ballte die Fäuste, denn natürlich hatte er recht, theoretisch zumindest. Und doch kämpfte sie wie eine Tigerin für Sasuke, nicht, weil sie seine Unschuld beweisen konnte, sondern weil sie daran glaubte, ebenso wie sie zutiefst überzeugt war, dass Ino nichts mit Asumas Tod zu tun hatte. „Manchmal muss man Menschen vertrauen.“ „Du denkst einfach nicht wie ein Shinobi“, sagte er abfällig. „Du wiederholst dich, aber wenn es bedeutet, dass ich Freund von Feind unterscheiden kann, ist das in Ordnung für mich.“ „Kannst du das denn?“ Seine Gegenfrage traf sie unvorbereitet, sodass sie ihn lediglich mit offenem Mund anstarren konnte. Ihre Hände fielen nutzlos an den Seiten ihres Körpers herab. Sasuke sah eigentümlich zufrieden mit sich aus, sie derart durcheinander gebracht zu haben. „Deine Einfältigkeit wird dir mal das Genick brechen. Oder das Herz.“ Damit traf er sie wirklich. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Blut in die Wangen stieg. Sie konnte auch nicht verhindern, darin eine Anspielung auf ihre Beziehung zueinander zu sehen. „Ich möchte nicht, dass du irgendwas davon vor Shikamaru erwähnst.“ „Nara ist intelligent genug, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.“ Ach, und sie nicht? Nun ja, im Grunde stimmte es. Sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass Ino theoretisch dafür verantwortlich sein könnte. Weil es absurd war. Jawohl! „Mein letztes Wort“, sagte sie nasal und wandte ihm den Rücken zu, damit er nicht sah, wie sehr es in ihrem Gesicht arbeitete, wie sehr sie mit sich zu kämpfen hatte, ihre Contenance zu bewahren. Ihr war, als würde er sie ansehen, aber er sagte nichts und sie schwiegen sich an, bis Shikamaru mit zehnminütiger Verspätung an ihrem ausgemachten Treffpunkt eintrat. Sakura hatte wiederholt missmutige Blicke gen Wolkendecke geworfen. Der Schneefall würde es ihnen erschweren, den Spuren ihrer Zielperson zu folgen, und entsprechend aufgebracht war sie, dass sich ihr Aufbruch verzögerte, doch ihre Wut wich Verblüffung, als sie Kibas riesigen Ninken neben Shikamaru durch den Schnee trotten sah. „Yo“, grüßte Shikamaru lustlos, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Sakuras Blick wechselte irritiert zwischen ihm und dem kalbsgroßen Hund hin und her, der interessiert ihren Rucksack inspizierte und aufgeregt mit dem Schwanz wedelte. Wahrscheinlich roch er das Trockenfleisch. „Möchtest du das erklären?“, fragte sie, mit dem Indexfinger auf Akamaru zeigend, der Schlabber auf dem Nylon verteilte. Igitt! Zum Glück war der Rucksack wasserdicht. Sie verzog dennoch das Gesicht. „Kiba leiht uns Akamaru aus. Er meinte, dass er ihn sowieso nicht mit ins Krankenhaus nehmen darf, und ich dachte, dass er uns nützlich sein kann.“ Beim Namen seines Partners sah der Rüde auf und kläffte zustimmend. Sie formte ein stummes O mit den Lippen. Das war clever – nicht, dass man von Shikamaru etwas anderes zu erwarten hatte –, doch die Anerkennung seiner Weitsichtigkeit wurde von dem Gefühl, übergangen worden zu sein, getrübt. Sie wollte nicht kleinlich sein, aber das war ihre Mission, und wären Akamaru und seine Spürnase ihnen nicht wirklich nützlich, würde sie darauf bestehen, ihn zurückzulassen. So tätschelte sie dem großen Hund lediglich den Kopf und sagte: „Willkommen im Team.“ Der Hund wedelte so enthusiastisch mit dem Schwanz, dass sie wunderte, dass sein Hintern nicht abhob. „Können wir dann endlich?“, fragte Sasuke barsch, drehte sich jedoch gen Tor, ohne die Antwort abzuwarten, und ging mit zügigen Schritten voraus. Shikamaru und Akamaru folgten ihm, was Sakura Zeit gab, sich noch einmal unbemerkt zum Dorf umzudrehen und zu seufzen. Sie hatte bereits jetzt den Eindruck, die Erwartungen untertroffen zu haben, und ein kleiner Teil in ihr bedauerte, Naruto nicht mitgenommen zu haben. Seine ewige Zuversicht machte es schwer, sich minderwertig zu fühlen, und sie hatte das Gefühl, sich unfairerweise erneut gegen ihn entschieden zu haben, indem sie loyal zu Sasuke stand. Dabei hatte er so viel für sie getan, so viel für sie aufgegeben. Sie war nicht blind für seine Opfer, aber… Sobald sie zurück war, würde sie sich mit ihm treffen und reden, richtig reden, und bestenfalls ein für alle Mal klarstellen, dass sie in romantischer Hinsicht unverfügbar war, nicht weil sie Sasuke liebte, sondern weil sie ihn nicht als Freund verlieren konnte. Sie drehte sich um und stolperte prompt einen Schritt zurück, als ihr ihr Rucksack in die Arme geschmissen wurde. Sasuke stand nur einen halben Meter von ihr entfernt und musterte sie mit dieser unergründlichen Tiefe aus seinen hübschen, dunklen Augen, die einen bis auf die Seele ausziehen konnten. „Reiß dich zusammen.“ Sakura senkte die Augen für einen Herzschlag gen Boden, hob ihren Blick jedoch rasch zu Sasuke und nickte nachdrücklich. Den Rucksack geschultert durchquerte sie das Nordtor an Sasukes Seite, wo sie ungeduldig von ihren restlichen Teamkameraden erwartet wurden. Der Nara sah ihnen mit gerunzelter Stirn entgegen, doch was auch immer er denken mochte, war es ihm offenbar nicht wert, ausgesprochen zu werden. „Kotetsu Hagane und Izumo Kamizuki wurden ein Stück weiter nördlich angegriffen“, erklärte sie, nur um etwas zu sagen, obwohl Sasuke und Shikamaru freilich bereits mit den verfügbaren Informationen vertraut waren. Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und leckte sich zugleich die trockenen Lippen; vermutlich war sie nicht gut darin, ihre Unsicherheit zu verbergen. Reiß dich zusammen. Die Kunoichi straffte die Schultern und marschierte voraus. Akamaru pflügte neben ihr durch den Schnee und stieß ein Winseln aus. Natürlich merkte der blöde Hund, wie nervös sie war, und griff ihre Stimmung auf. Sie mochte Katzen lieber, die waren einfach diskreter und wälzten sich außerdem nicht in Exkrementen. Überdies hatten sie süße kleine Öhrchen und entzückende Stups-, nein, nicht an Katze denken, ermahnte sie sich und knurrte Akamaru von der Seite an, der entsetzt fiepte und sich zu Shikamaru flüchtete. Der Schauplatz des Geschehens war, ganz wie sie befürchtet hatte, fast vollständig von einer nassen Schicht Neuschnee überdeckt. Nur einige Vertiefungen im Schnee zeugten noch von dem Kampf, in dem die beiden Chūnin überrumpelt und vernichtend besiegt worden waren. Sie schaute sich aufmerksam um, doch aussagekräftige Hinweise, in welche Richtung ihre Zielperson geflüchtet war, gab es kaum. Dort ein umgeknickter Farn, da Schnee, der von einem Ast gefallen war; nichts, was nicht ebenso gut von einem Tier verursacht worden sein könnte. „Dann zeig mal, was du draufhast“, sagte sie zu dem Hund, der einmal bellte und sich mit der Nase durch die weiße Glitzerdecke wühlte. Für sie sah es eher danach aus, als würde er spielen, doch keine zwei Minuten später schlug er an, die Rute knurrend erhoben. „Shukubamachi“, stellte Sakura fest. „Nein, das liegt weiter im Westen“, korrigierte Shikamaru, während er Akamaru lobend zwischen den Ohren kraulte. „Er zeigt Norden an.“ Der Hund bellte abermals, als würde er das bestätigen wollen. „Norden“, sagte sie nachdenklich. „Aber in diese Richtung gibt es doch nichts.“ „Das Tal des Endes“, murmelte Sasuke, wobei er offenbar mehr zu sich selbst gesprochen hatte, denn es war ihm sichtlich unangenehm, als sowohl Sakura als auch Shikamaru ihn daraufhin anblickten. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. Der Name rüttelte an Sakuras Erinnerungen, doch sie musste tief graben, bis zu ihrem zweiten Jahr an der Akademie, und wären die Gründer Konohas nicht noch präsent in ihrem Kopf, hätte sie vermutlich länger gebraucht, um sich zu entsinnen. Dort hatte Hashirama Senju auf Leben und Tod gegen Madara Uchiha gekämpft, um Konohagakure zu beschützen. Unterbewusst biss sie sich auf die Unterlippe und Shikamaru schien ähnliche Gedanken zu hegen, denn seine Stirn legte sich in tiefe Falten. „Die Richtung würde stimmen“, bestätigte der Nara und fügte dann in einem Ton, der selbst für Sakuras Ohren herausfordernd klang, hinzu: „Komischer Zufall.“ „Willst du damit etwas Bestimmtes andeuten?“ Sasuke sprang auf die offensichtliche Provokation an, die Fäuste angriffslustig geballt, doch Sakura hatte bereits damit gerechnet und sich rasch zwischen die beiden geschoben. „Sag du es mir.“ „Das reicht“, warf sie scharf ein und schaute die beiden Streithähne böse an. „Sobald wir zurück sind, könnt ihr euch meinetwegen die Köpfe einschlagen, aber jetzt benehmt ihr euch wie Shinobi. Das schließt infantile Sticheleien aus“, sagte sie an Shikamaru gewandt, und zu Sasuke: „Ebenso sich wie ein Kleinkind provozieren zu lassen.“ Liebe Güte, dass Sasuke leicht reizbar war, wenn es um die Ehre seines Clans ging, wusste sie, aber wenigstens von Shikamaru hatte sie mehr Vernunft erwartet. Die beiden Schwarzhaarigen schnaubten beinahe synchron beleidigt auf, was sie mit den Augen rollen ließ. „Grundsätzlich stimme ich Shikamaru aber zu“, fuhr sie fort, nachdem die Anspannung sich gelegt hatte, und berührte Sasuke, der sich schlagartig erneut versteifte, beruhigend am Arm. „Konoha wird am Tage des Gründerfestes angegriffen und dann scheinen die Spuren ausgerechnet zum Tal des Endes zu führen, mich würde wundern, wenn das nicht symbolisch gemeint ist. Lady Tsunade äußerte die Vermutung, dass der Täter den Uchiha-Clan oder Iwagakure gegen Konoha aufzuhetzen versuchen könnte. Möglichenfalls sogar beides.“ „Von allen Nationen ist unser Frieden mit dem Erdreich am brüchigsten und mich würde nicht wundern, wenn Iwagakure insgeheim noch immer einen Groll gegen die Uchiha hegt“, sagte Shikamaru. „Es wäre denkbar, dass das bereits vorhandene Misstrauen instrumentalisiert werden sollte.“ Sakura sah ihn fragend an, doch es war Sasuke, der ihr antwortete: „Madara Uchiha bedrohte und attackierte Iwagakure, um es Konoha zu unterwerfen.“ „Gegen den ausdrücklichen Befehl des Shodai Hokage“, murrte Shikamaru. Sasuke ignorierte den Einwurf. „Hashirama Senju betrieb Schadensbegrenzung, aber die Menschen aus dem Erdreich waren schon immer nachtragend und das Misstrauen war auf fruchtbaren Boden gefallen. Sie glaubten nicht, dass Madara Uchiha auf eigene Faust gehandelt hat, sondern vermuteten einen Komplott Konohas. Letztlich kam es zum Bruch der beiden Nationen.“ „Huh? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das auf der Akademie behandelt hätten.“ „Haben wir auch nicht“, bestätigte Sasuke. „Der Vorfall ist zu eng mit den Bijū verknüpft; Hashirama Senju verkaufte nämlich zwei dieser Geschöpfe an Iwagakure, als Beweis der Freundschaft und des Vertrauens und um ein Kräftegleichgewicht zwischen den Nationen herzustellen. Iwagakure nahm die Bijū zwar an, war nach dem Vorfall mit Madara Uchiha aber trotzdem nicht bereit, ein Bündnis mit Konoha zu schließen. Deswegen wurden die Tatsachen auf das Notwendigste heruntergebrochen: Konoha strebte ein Friedensabkommen mit Iwagakure an, Iwagakure lehnte ab. Ende der Geschichte.“ Sakura sah Shikamaru an, dem das alles nicht neu zu sein schien, und brummte verstimmt. „Fein, dann haben sowohl Iwagakure als auch die Uchiha einen Grund, sich gegenseitig an die Gurgel zu wollen, das bringt uns aktuell aber auch nicht weiter.“ Sie klang motzig. Shikamaru legte den Kopf nachdenklich schief, seine wachen Augen schweiften über die aufgewühlte Schneedecke, die sukzessive unter einer frischen Schicht Neuschnee verschwand, richteten sich anschließend gen Norden. „Das kommt mir wie eine Spur aus Brotkrumen vor, als hätte jemand beabsichtigt, dass alles auf den Uchiha-Clan hindeutet. Es passt zu perfekt und dann doch wieder nicht. Außerdem gibt mir die Täterbeschreibung zu denken. Die meisten Bewohner aus unserem Dorf haben das Sharingan schon mal gesehen, die Polizei setzt es doch selbst gegen alte Großmütterchen als Druckmittel ein.“ Sasuke gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Knurren und einem Grunzen lag, und Sakura, die bemerkte, dass sie ihn noch immer berührte, übte einen sanften Druck mit den Fingern aus. „Und selbst falls er es noch nie gesehen hätte, wäre riesige leuchtende Augen die denkbar unpräziseste Beschreibung.“ „Izumo konnte eben nur einen kurzen Blick auf seinen Angreifer erhaschen.“ „Genau, deswegen können wir nicht ausschließen, dass er sich getäuscht hat. Womöglich hat er keine Augen gesehen, sondern etwas anderes, eine Maske etwa.“ „Was wir am schnellsten herausfinden, indem wir unsere Zielperson finden. Die ganze Grübelei ist doch sinnlos“, merkte Sasuke an. „Er hat recht“, gab Sakura zu und rückte ihren Rucksack zurecht, womit sie das Zeichen zum Aufbruch gab. Die drei, angeführt von Akamaru, verschwanden mit langen Sätzen im graublauen Licht der anbrechenden Nacht. Drei Tage folgten sie Akamarus feiner Spürnase Richtung Norden. Sie redeten wenig und rasteten selten, daher kamen sie entsprechend zügig voran. In der glutroten Dämmerung des dritten Tages erreichten sie die nördliche Grenze des Feuerreiches, das Tal des Endes. Das Dreiergrüppchen stand auf Hashirama Senjus steinernem Haupt und blickte auf die gegenüberliegende Seite, hinüber zu Madara Uchiha, der die linke Hand zum Zeichen der Konfrontation erhoben hatte. Sie alle hatten damit gerechnet, im Tal des Endes in einen Hinterhalt zu geraten, doch Sasuke hatte bereits Entwarnung gegeben, dass niemand außer ihnen hier war. Niemand außer ihnen und diesen zwei riesigen Steinstatuen. Sakura hatte trotzdem ein mulmiges Gefühl. Ein eisiger Wind fegte über das offene Gelände und gelangte unter ihren Umhang. Das Geräusch des im Wind flatterten Stoffs hörte sich nach Einsamkeit an. Sie trat an den Abgrund und blickte hinab. Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich dieses sagenumwobene Tal spektakulärer vorgestellt, aber es war nicht mehr als ein See, umgeben von hohen, steilen Klippen. Im Grunde nicht mehr als ein wassergefülltes Loch im Boden. Reichlich ungeeignet für einen Hinterhalt. Zwischen den Steinstatuen stürzte ein breiter Wasserfall donnernd in die Tiefe, wo er auf den See prallte, schäumte die Oberfläche zornig. Sakura trat zurück. Der Anblick des Tals war vielleicht nicht spektakulär, erfüllte sie jedoch mit einer nagenden Melancholie, als erinnerte sich das Land selbst an diesen Kampf. Die beiden waren mal Freunde gewesen. „Angeblich ist dieses Tal das Resultat ihres Kampfes“, erklärte Sasuke. Sakura strich sich einige Haarsträhnen zurück, die der Wind ihr ins Gesicht peitschte. „Die beiden müssen unvorstellbare Macht besessen haben.“ Er musterte sie schweigend, trat dann an ihr vorbei und blickte, wie sie zuvor, in den gurgelnden Abgrund. „Das Ausmaß dieser Verwüstung gibt eigentlich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie mächtig sie waren.“ „Sagt der, der als Kind einen halben Wald abgefackelt hat“, erwiderte sie schmunzelnd. Sasuke sah sie mit gerunzelter Stirn an und für einen Moment fürchtete sie, abermals eine unsichtbare Grenze überschritten zu haben – er hatte ihr freiwillig davon erzählt, aber das bedeutete nicht, dass sie es ihm unter die Nase reiben durfte –, doch dann verzog sich sein Mundwinkel zu einem kaum erkennbaren Halbgrinsen. Gut so, im Grunde hatte sie ihm schließlich ein Kompliment gemacht. Dass er ihre halb als Scherz gemeinte Bemerkung als solches verstand oder wenigstens nicht direkt als Affront gegen seine Person auslegen mochte, verdeutlichte ihr, dass ihre Bemühungen allmählich offenbar doch auf fruchtbaren Boden fielen. Sie biss das glückliche Lächeln gewaltsam zurück, weil es zu viel wäre, und war froh, dass eine Windböe ihr im passenden Augenblick eine ganze Ladung Haar ins Gesicht wehte. Als sie die störrischen, rosa Strähnen mit den Fingern zurückgekämmt hatte, stand Shikamaru bei ihnen. „Ich unterbreche euren Plausch ja nur ungern, aber wie geht es jetzt weiter?“, meldete er sich zu Wort. Er sah zwischen ihnen hin und her und Sakura erinnerte sich daran, wie geschickt er darin war, Menschen zu lesen. „Hier verliert sich die Spur.“ Sakura senkte ihren Blick auf Akamaru, der den großen Kopf auf den Vorderpfoten abgelegt hatte und leise winselte. „Wegen dem Fluss?“ Sie wusste, dass normale Hunde die Witterung verloren, wenn sie Gewässer kreuzten, aber Akamaru war ein ausgebildeter Ninken, sein Geruchssinn hundertmal feiner als der seiner Artgenossen. Ihre Zielperson hatte sie ergo bewusst an diesen Ort geführt oder war getötet worden. „Unwahrscheinlich“, bestätigte Shikamaru ihre Vermutung, fügt jedoch hinzu: „Aber dieser Ort ist noch immer mit Chakra gesättigt, daran wird es liegen.“ Sie ging ans äußerste Ende von Hashiramas Steinhaupt und blickte auf das jenseitige Reisfeldreich, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Das Wasser war so nah, dass es ihr Gischt ins Gesicht spritzte, ehe es sich in den Abgrund stürzte. Irgendetwas übersahen sie, nur was, konnte sie nicht sagen. Akamaru zu folgen war wie ein roter Faden, an dem sie sich entlanghangeln konnte, gewesen, ohne ihn hatte sie keine Ahnung, was ihr nächster Schritt sein sollte. Naiv war sie davon ausgegangen, dass er sie ans Ziel bringen würde oder ihr in der Zwischenzeit wenigstens eine zündende Idee gekommen wäre. Statt darüber nachzudenken, was sie nun tun sollten, fing sie an, sich selbst zu bemitleiden. Es war nicht fair, dass ausgerechnet ihre erste Mission mehr von Glück denn echtem Können abhing. Denn genau so war es doch, oder? Offensichtlich war es ein Fehler gewesen, nicht unverzüglich aufzubrechen, doch sie hatte den Wert ausgeruhter Mitstreiter, gemessen an ihrer eigenen Erschöpfung, deutlich höher eingestuft. Hinter ihr knirschte der Schnee, als sich jemand näherte. „Wenn ich einen Vorschlag machen darf?“, sagte Shikamaru. „Wenn wir davon ausgehen wollen, nicht einer komplett falschen Spur gefolgt zu sein, gibt es von hier aus nur zwei logische Anlaufpunkte: das Reisfeldreich und das Eisenreich. Das Eisenreich ist neutral und ihre Streitmacht besteht ausschließlich aus Samurai. Unsere Zielperson ist zweifellos ein Shinobi.“ „Im Reisfeldreich gibt es keine Ninja“, erwiderte Sakura düster. Er trat neben sie, die Hände in den Hosentaschen vergraben und schaute in die tristen, grauen Wolken, die schnell über den Himmel zogen und schwer und nass aussahen, wie Watte, die sich mit Schmutzwasser vollgesogen hatte. „Vor ungefähr vier Jahren wurde dort plötzlich ein Ninja-Dorf aus dem Boden gestampft – Otogakure.“ „Bist du sicher?“, fragte Sakura stirnrunzelnd nach. Als eine von Lady Tsunades Assistentinnen und Vertrauten war sie der Meinung, schon mal von diesem Dorf gehört haben zu müssen, doch diese Information war ihr neu. „Hmm“, brummte er bejahend. „Wir wissen bisher allerdings fast nichts über Otogakure. Das Dorf hat weder Allianzen mit anderen Dörfern geschlossen noch scheint es daran interessiert – jedenfalls soweit wir wissen, was, wie gesagt, nicht viel ist. Es ist offenbar völlig autark.“ Er sah sie von der Seite an. „Sowas funktioniert normalerweise nur, wenn ein Reich die entsprechende militärische Stärke hinter sich hat, um seine Unabhängigkeit zu verteidigen. Eine ANBU-Einheit aus Konoha wurde ausgesandt, um Informationen über Otogakure zu beschaffen. Der gesamte Trupp verschwand spurlos. Mit einer Spezialeinheit aus Suna ist das Gleiche passiert.“ Aber weil niemand zugeben wollte, ein nicht feindlich gesinntes Dorf auszuspionieren versucht zu haben, konnte man Otogakure nicht öffentlich beschuldigen. Es wäre einer Kriegserklärung gleichgekommen. Sakura schlang die Arme um ihre Mitte. Sie wusste nicht, was sie schlimmer fand, dass die Angehörigen der Vermissten seitdem in Ungewissheit leben mussten oder dass die ganze Sache unter den Teppich gekehrt worden war. „Woher weißt du das?“, fragte sie dumpf. „Das klingt, als handele es sich um streng vertrauliche Informationen.“ Shikamaru zuckte lediglich die Achseln. „Ich bin eben aufmerksam.“ Sie wollte nachhaken, glaubte jedoch nicht, dass er ihr antworten würde. Im Grunde spielte zudem gar keine Rolle, woher er seine Informationen hatte. Die eigentliche Frage war, ob sie darauf vertrauen konnte und daran hegte sie keinerlei Zweifel. Ihr Ziel lautete also Otogakure. Der Plan war so gut wie jeder andere. Zu dritt überquerten sie den Fluss – ohne Akamaru, den Sakura zurück nach Konoha geschickt hatte. Shikamaru hatte behauptet, der Hund würde seinen Weg allein finden. Sie hoffte, das stimmte. Kiba wäre untröstlich, wenn dem Vierbeiner etwas zustieß, und letztlich war er ein Teammitglied und sie für ihn verantwortlich. Sie drangen bis weit nach Einbruch der Dunkelheit ins Reisfeldreich vor und schlugen ihr Lager in der Nähe eines kleinen Sees auf. Sasuke hatte sich mit den Worten, Fische fangen zu wollen, vorübergehend verabschiedet, doch Sakura hatte das untrügliche Gefühl, dass er schlicht keine Zeit mit ihnen verbringen wollte. Shikamaru stellte Fallen rund um ihr Nachtlager auf, sodass ihr die Aufgabe zugefallen war, den Wald nach Pilzen, Nüssen und Beeren abzusuchen. Sie wollte den Gedanken nicht zulassen, ärgerte sich aber trotzdem, wie selbstverständlich die klassische Frauenarbeit an ihr hängengeblieben war, obwohl diese Arbeitsaufteilung, wenigstens objektiv betrachtet, den größten Sinn ergab. Als sie zum Lager zurückkehrte, hatte Shikamaru bereits ein gemütlich prasselndes Feuer entzündet, das alles in einem Umkreis von einigen Metern in einen warmen orangeroten Schein tauchte. Eine Landkarte lag ausgefaltet auf seinen Knien, die er im spärlichen Licht mit zusammengekniffenen Augen konzentriert studierte. Wenn er dachte, sich damit ums Kochen drücken zu können, hatte er sich geschnitten. Sakura stellte den metallenen Suppenkessel, in dem sie Nahrung gesammelt hatte, demonstrativ neben ihm ab, ehe sie ein bisschen Gemüse und Reis aus ihrem Rucksack holte. Sie hatten gut gehaushaltet, dennoch sorgte sie sich, dass ihnen die Lebensmittel ausgehen könnten. Ihr Gepäck wurde schneller leicht, als ihr lieb sein konnte, obwohl es eine Qual war, das schwere Zeug zu schleppen. „Ist Sasuke noch nicht zurück?“, fragte sie beiläufig. „Siehst du ihn?“, sagte er, ohne den Blick von der Karte zu heben. Sakura verkniff sich eine bissige Bemerkung, aber schob den Kessel mit der Fußkante so schwungvoll zu ihm herüber, dass er ihm gegen das Schienbein knallte, und setzte sich neben ihn. Der dunkelhaarige Schlaumeier verzog wehleidig das Gesicht. „Ich bin kein großer Koch“, meinte er skeptisch. „In meinem Team ist Chōji fürs Essen machen zuständig.“ „Und in diesem Team putzt du Pilze und schnippelst Gemüse, wenn du was essen willst“, blökte sie und fuchtelte angriffslustig mit einem zweckentfremdeten Kunai vor seiner Nase herum. „Du hast dich schon die letzten Tage verdächtig rar gemacht, sobald es ans Kochen ging. Ich bewirte dich garantiert nicht, nur weil ich zufällig die Frau bin.“ „Hey, komm wieder runter. So meinte ich das doch gar nicht“, sagte er rasch und hob beschwichtigend die Hände. „Vergiss das Grünzeug mal für ‘ne Minute und sieh dir lieber das hier an.“ Er drehte die Karte so, dass sie einen guten Blick darauf werfen konnte, und umkreiste mit dem Finger ein Gebiet, in dem sich zwei Flüsse zu einem vereinten. „Ich halte für das Wahrscheinlichste, dass Otogakure irgendwo in diesem Quadranten liegt.“ Sakura beugte sich nachdenklich über die Karte. Ihrer Meinung nach konnte Otogakure überall liegen, doch abermals vertraute sie darauf, dass Shikamarus Annahme von einem triftigen Grund untermauert wurde, deswegen sagte sie nur: „In Ordnung, dann beginnen wir dort.“ Sie nahm einen ockerbraunen Pilz und befreite ihn halbherzig von dunklen, feuchten Erdkrümeln. Irgendwann fiel ihr auf, dass sie seit unbestimmter Zeit wie hypnotisiert in die Flammen gestarrt und den Pilz dabei zu einer holzig-erdig riechenden Masse zerbröselt hatte. „Glaubst du, wir sind auf der richtigen Spur?“ Shikamaru dachte kurz darüber nach, zuckte dann jedoch nur die Achseln. „Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Die ganze Sache erinnert mich an ein Puzzle, das erst ein verständliches Bild ergibt, wenn man alle Teile korrekt zusammengesetzt hat. Uns fehlt das wichtigste Puzzleteil, nämlich das Warum. Solange wir das nicht haben, kommt jeder und alles Mögliche infrage. Fürs Erste ist das Logischste, dass wir nach Otogakure gehen.“ „Ich…“ Sie befeuchtete ihre kalten Lippen mit der Zungenspitze. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir zu sagen, wie leid mir das mit Asuma tut. Ich fand, dass eine Mission nicht der passende Rahmen dafür ist.“ Sie stockte. „Aber dann dachte ich, dass es sowas wie eine passende Gelegenheit sowieso nicht gibt.“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, betont vom zuckenden Lichtspiel der Flammen, und räusperte sich verhalten. „Momentan mache ich mir mehr Sorgen um Ino. Irgendwas stimmt nicht und das hat ihr den Rest gegeben. Erst vermutete ich, dass es an dem da liegt.“ Er deutete mit dem Daumen in die Richtung, in die Sasuke zuvor verschwunden war. „Der Kerl war drei Jahre weg. Wir dachten alle, dass du und Naruto…“ Er sprach es nicht aus, hob stattdessen nur kurz die Schultern an und ließ sie fallen. „Aber kaum taucht er wieder auf, rennst du ihm nach, als sei nichts gewesen. Ich dachte, bei Ino wär’s genauso. Dann dachte ich, dass ein anderer Typ der Grund sein muss, dieser Proll aus Yugakure.“ „Hidan.“ Sie fröstelte, als sie seinen Namen nannte, weil sie sich an einen alten Aberglauben erinnert fühlte: Wenn man den Namen eines Oni1 des Nachts aussprach, fing er an, einen heimzusuchen. „Du hast das letzte Mal schon so komisch reagiert, als es um ihm ging“, merkte er an und wandte ihr leicht den Oberkörper zu. Prima, nun hatte sie wohl seine volle Aufmerksamkeit. „Ich…“ Ihre Hände zitterten und wahrscheinlich bemerkte er es. Sie war kurz davor, ihm zu erzählen, dass Hidan diese Frau belästigt hatte, was er ihr selbst angetan hatte, doch nach einem kurzen Seitenblick auf sein Gesicht, wie er sie mit dieser kalten Rationalität betrachtete, fühlte sie sich zu unwohl. „Ich finde nicht, dass jetzt der passende Moment ist.“ „Ich dachte, sowas wie eine passende Gelegenheit gibt es nicht.“ „Kann sein, aber manchmal gibt es eine unpassende Gelegenheit. Das verstehst du nicht.“ „Ich verstehe normalerweise ziemlich viele Dinge.“ „Nein, du analysierst sie. Das ist nicht verstehen. Ich finde einfach nicht richtig, hinter Inos Rücken wilde Theorien über sie anzustellen.“ „Darum geht es nicht. Du sagtest, dass Ino Angst vor diesem Hidan hat. Du hast definitiv Angst vor ihm und ich unterstelle einfach mal, dass das nicht unbegründet ist. Ist dir mal der Gedanke gekommen, dass ihr in einer gewissen Verantwortung steht, wenn der Typ eine potenzielle Gefahr darstellt.“ „Genau das meine ich damit“, entgegnete sie harsch. „Du verstehst es nicht.“ Sie biss sich auf die Unterlippe, weil das Beben ihrer Hände auf ihre Stimme übergegangen war, dann widmete sie sich erneut den Pilzen. Shikamaru atmete scharf ein, als wollte er noch etwas dazu sagen, überlegte es sich jedoch offensichtlich anders. Sein gesammelter Atem entwich als Seufzen, das ebenso dem zu schneidenden Gemüse gelten konnte. Schweigend bereiteten sie das Abendessen vor. Der Mond war bereits ein gutes Stück über den Himmel gewandert, das Lagerfeuer hatte nach frischem Holz verlangt, doch Sasuke war noch immer nicht zurück. Allmählich begannen Hunger und Sorge an ihren Eingeweiden zu nagen. Wo blieb er bloß? Sie starrte in die Dunkelheit, als könnte sie ihn mittels purer Willenskraft beschwören. Unruhig rutschte sie auf dem Baumstumpf herum, dessen kalte Nässe trotz Feuer und dicker Kleidung in ihre Knochen zu kriechen begann. „Du, Shikamaru, kann ich dich mal was fragen?“ „Ja.“ „Denkst du…“, setzte sie an, wurde jedoch von ihm unterbrochen. „Das war die Antwort auf die Frage. Ja, ich denke, dass Sasuke beziehungsweise der Uchiha-Clan auf irgendeine Weise in die Sache involviert ist. Das wolltest du doch fragen.“ Sakura schnappte unweigerlich nach Luft. Damit hätte sie rechnen müssen und doch hatte sie insgeheim darauf gehofft, dass er verneinte und ihr mit seiner unschlagbaren Beweisführung darlegte, warum Sasuke seiner Meinung nach nicht in die Vorfälle verstrickt sein konnte. „Ich vertraue Sasuke. Ich kann in meinem tiefsten Inneren spüren, dass ich ihm vertrauen kann.“ Shikamaru gab einen schnarrenden Laut von sich. „Typisch Mädchen! Ihr stellt eine Frage, aber wenn euch die Antwort nicht passt, kommt ihr mit eurer Intuition. Ino macht das auch ständig. Das nervt! Im Übrigen glaube ich dir nicht, dass du ihm wirklich vertraust, wie du behauptest, wäre dem so, würde dich meine Meinung dazu nicht interessieren, ergo hast du Zweifel.“ „Das… das stimmt nicht“, widersprach sie kläglich. Er seufzte genervt. „Ich verstehe vielleicht nichts von Frauen, aber von Logik. Sasuke hat bereits bewiesen, dass es mit seiner Loyalität nicht weit her ist, als er damals ohne ein Wort abgehauen ist. Er fühlt sich euch gegenüber nicht verpflichtet und wo es keine Loyalität gibt, gibt es keine Basis für Vertrauen. Uchiha denken immer nur an sich.“ „Dafür, dass du nichts von Frauen verstehst, tratschst du wie eine.“ Sakura sprang Shikamaru fast auf den Schoß. Der Nara wurde vor Schreck ganz blass. Sasukes Sharingan glomm durch die Finsternis, als er zwischen den Bäumen hervortrat. Wie lange stand er schon dort und wie viel hatte er gehört? Ihr Herz hämmerte und verknotete sich. „Sasuke“, rief sie bemüht fröhlich. „Wo warst du die ganze Zeit? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.“ „Klang so“, sagte er kalt und spießte die gefangenen, glücklicherweise bereits toten Fische grob auf Holzstöcke. Sein Haar war tropfnass und bildete dunkle Flecken auf seiner Kleidung. Sie wollte ihn ermahnen, wie ungesund es war, bei diesen Temperaturen mit nassem Haar herumzulaufen, dachte jedoch, dass gut gemeinte Ratschläge das Letzte waren, was er von ihr hören wollte. Sie aßen schweigend; Sakura hatte schnell aufgegeben, die angespannte Stimmung mit belanglosen Wörtern füllen zu wollen, und wunderte sich nicht, als Sasuke wortkarg verkündete, die erste Nachtwache zu übernehmen, und zwischen den Schatten der Bäume verschwand. Unglücklich rollte sie ihren Schlafsack aus und konnte trotz Müdigkeit lange nicht einschlafen. Sakura erwachte aus einem seichten, unruhigen Schlaf. Sie schlief nie besonders gut auf Missionen, noch weniger wenn sie im Freien übernachten musste, und auch jetzt fühlte sie im ersten Moment der Orientierungslosigkeit den kalten Stich blanker Panik, der sie angespannt lauschen ließ, wer oder was sie geweckt hatte. Das Lagerfeuer knisterte leise, und abgesehen von den nächtlichen Geräuschen des Waldes war alles still und friedlich. Sie hievte sich auf die Ellbogen hoch, ihre Gliedmaßen waren noch ganz steif und kraftlos und sie fror bitterlich. Die Bodenkälte war längst durch ihren Schlafsack gekrochen, ihre Kleidung fühlte sich klamm an, obwohl sie so dicht am Feuer lag, dass die Hitze auf ihrem Gesicht brannte, und sie spürte das unmissverständliche Drücken ihrer Blase, das sie wohl auch aufgeweckt hatte. Shikamaru lag auf der anderen Seite des Lagerfeuers mit dem Rücken zu ihr und schlief offenbar fest – oder tat jedenfalls so. Nach seiner Misstrauensrede auf die Uchiha konnte sie sich irgendwie nicht vorstellen, dass er genug Ruhe empfand, um tief eingeschlafen zu sein. So leise wie möglich krabbelte sie aus ihrem Schlafsack und ging einige Meter in den Wald, um sich zu erleichtern. Es war derart kalt, dass sie sich buchstäblich den Hintern abfror, obwohl sie gerade mal Ende Oktober hatten. Der Winter würde brutal werden. Zähneklappernd kehrte sie zum Lager zurück, aber die eisigen Temperaturen hatten die letzten Ausläufer der Müdigkeit restlos vertrieben und lediglich die matte Erschöpfung zurückgelassen. Der Himmel war sternenklar und dehnte sich wie ein mitternachtsblaues Tuch über ihrem Kopf aus. Sie fühlte sich an den Abend des Gründerfestes erinnert, wie glücklich, wie hoffnungsfroh sie gewesen war. Und wie alles Schlag auf Schlag den Bach runtergegangen war. Kaum zu glauben, dass dieser Tag noch nicht mal eine Woche zurücklag. Sie wollte Sasuke sehen. Der Schwarzhaarige saß auf einem Baumstumpf und schärfte seine Waffen. Sein Schwert lehnte gegen das Holz. Sie war keine Expertin auf dem Gebiet, doch es schien sich um ein besonderes Stück zu handeln, um ein wertvolleres als die Standardwaffen, die die Meisten führten, und sie fragte sich, wie er dazu gekommen war oder wann er begonnen hatte, sich in Kenjutsu2 zu üben. Früher… Aber früher war lange her. „Die Zeit für die Wachablösung ist noch nicht ran“, sagte er, ohne aufzusehen. Der Wetzstab erzeugte ein ekelhaftes Geräusch, das sie bis in die Zahnwurzeln fühlte. „Mir ist zu kalt zum Schlafen“, erklärte sie. „Darf ich?“, fragte sie und zeigte auf den Baumstumpf. Sasuke deutete ein zermürbend gleichgültiges Achselzucken an. Er rückte nicht mal ein paar Zentimeter, was ihr immerhin die Gelegenheit gab, sich ein bisschen näher als der Anstand gebot, neben ihn zu setzen. Sein Geruch war betörend und sie neigte die Nase leicht in seine Richtung, um möglichst viel davon zu inhalieren. Mit seinem Duft, der sie wie eine weiche Wolke umgab, konnte sie sich fast vorstellen, Zuhause in ihrem Bett zu liegen, eingekuschelt in die sanfte Umarmung seiner Jacke. „Riechst du an mir?“, fragte er verdutzt und ein bisschen empört und unterbrach seine Arbeit. „Quatsch! Warum sollte ich sowas Peinliches machen“, log sie errötend. Er sah sie befremdet an, mit seinem Sharingan, also fiel es ihm vermutlich auf. „Ein schönes Schwert hast du da“, lenkte sie plump ab. Die andere Sakura schlug sich gegen die Stirn. Seine Augenbrauen trafen sich beinahe über der Nasenwurzel. „Das klingt wie ein Spruch aus einem von Kakashis Schmuddelbüchern.“ „Ach, liest du die?“, fragte sie nervös und zwiebelte eine ihrer kurzen, rosa Haarsträhnen um den Finger, das klassische Bild weiblicher Scham. „Bestimmt nicht“, wiegelte er pikiert ab. „Jah, die sind echt blöd… also, könnte ich mir vorstellen.“ Verlegen kratzte sie sich an der Nase. Er schnaubte, doch sie könnte schwören, dass er damit ein Lachen tarnte. „Ich habe mich nur gerade gefragt, seit wann du dich für Kenjutsu interessierst, das ist alles.“ „Tu ich nicht.“ Dabei schien er es belassen zu wollen, doch nach einem flüchtigen Seitenblick auf sie, nach einem kurzen Zögern, überlegte er es sich anders. „Ich interessiere mich nicht dafür, ich bin nur zufällig ganz gut darin. Shisui hat es mir beigebracht.“ Seine langen, dichten Wimpern ruhten wie Fächer auf seinen Wangenknochen und nur ein schmaler Streifen der scharlachroten Iriden war zwischen seinen halb geschlossenen Lidern zu sehen. „Arbeitet ihr miteinander?“ Es dauerte wahrscheinlich eine Sekunde zu lang, bis ihr einfiel, was er meinte, dass sie, vor einer Ewigkeit wie ihr schien, genau das zu ihm gesagt hatte. „Ach so, nein, das hat sich bisher nicht ergeben.“ „Wird es aber noch?“ „Ich… weiß nicht“, antwortete sie zaghaft. Shisui war vermutlich nach wie vor ihre beste Chance, an Sasuke und Informationen über den Uchiha-Clan heranzukommen, doch ebenso nach wie vor war sie unentschlossen, ob sie sich an ihn wenden wollte. Lady Tsunade vertraute ihm und ihr selbst war er sympathisch, aber es käme ihr endgültig wie Verrat an Sasuke vor und freilich konnte sie nicht ausschließen, dass er zu jenen gehörte, die gegen Konoha putschten. Und machte sie nicht auch so Fortschritte mit Sasuke? Auf eine Weise, die es ihr ermöglichte, ihm in die Augen zu sehen, ohne sich dabei wie Schmutz zu fühlen. „Wenn du mit Shisui arbeiten sollst, muss es sich um eine ziemlich große Sache handeln.“ Er sah sie von der Seite an. „Er ist einer von den Besten. Die Hokage scheint große Stücke auf dich zu halten. Am Ende wirst du von uns allen als Erste zur Jōnin ernannt.“ „Ach, ich weiß nicht“, nuschelte sie und knetete ihre eiskalten Hände. Das nur mäßig verblümte Kompliment freute sie aufrichtig, gleichzeitig konnte sie in diesem Moment nachempfinden, wie er sich fühlen musste, wenn schier unerfüllbare Erwartungen an ihn gestellt wurden, die Angst vorm Versagen und sich als Enttäuschung herauszustellen. „Du kannst stolz auf dich sein“, sagte er, dann hob er die Hand, ließ sie für einen Augenblick in der Luft schweben und strich sich letztlich doch nur ein paar Ponyfransen aus der Stirn. „Ich komme mir nicht vor, als hätte ich Grund dazu. Diese Mission ist ein Desaster.“ „Stimmt, aber das ist nicht deine Schuld“, meinte er und begann abermals, seine Kunai zu schärfen. Sakura fasste geistesabwesend dazwischen, weil der metallische Klang ihr auf die Nerven ging, und es war lediglich seinem schnellen Reaktionsvermögen zu verdanken, dass er ihr nicht versehentlich eine oder zwei Fingerkuppen abschnitt. „Sakura?“ Er sah sie direkt an. Sie sah ihn an. Ihr Mund klappte auf, dann schloss sie ihn wieder und schluckte trocken. „Als du weggegangen bist…“, wisperte sie und leckte sich flüchtig die kalten, rauen Lippen. „Das war schlimm für mich. Für Naruto und Sensei Kakashi auch, aber… aber ich habe nicht nur dich vermisst, sondern mein gesamtes Dasein infrage gestellt. Hast du jemals darüber nachgedacht oder dir gewünscht, dass du ein anderes Leben als das eines Shinobi führen könntest?“ „Nein.“ Er musste nicht mal den Bruchteil einer Sekunde darüber nachdenken. „Ich hatte nie eine Wahl, als Uchiha wird man Shinobi, und ich hätte es nicht anders gewollt. Wenn einem von klein auf ein bestimmtes Ideal vorgelebt wird, dann will man es erreichen. Als Kind hinterfragt man sowas nicht und später hat man die Ideale seiner Eltern so tief verinnerlicht, dass sie zu den eigenen geworden sind. Ich kann mich an keinen Zeitpunkt erinnern, an dem ich nicht unbedingt Shinobi werden wollte.“ Sakura nickte, da sie mit keiner anderen Antwort gerechnet hatte. „Meine Eltern haben zwar beide die Akademie abgeschlossen, aber im Grunde entstamme ich einer Zivilisten-Familie.“ Sie wurde rot, als wäre es etwas, wofür sie sich schämen müsste, als würde es sie zu einem Bürger zweiter Klasse machen. Sie wusste, dass es genügend Menschen gab, die genau so dachten. „Sie waren so stolz, als ich als kleines Mädchen die ersten Anzeichen zeigte, dass ich mein Chakra kontrollieren kann, und gaben mir das Gefühl, deswegen etwas Besonderes zu sein. Seitdem wollte ich eine Kunoichi werden. Ich glaube, ich kam mir damals sehr nobel vor, meine Fähigkeiten dem Schutz unseres Landes zu unterstellen. Doch als ich auf die Akademie kam, hatte ich plötzlich gar nicht mehr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Alle konnten das, was ich konnte, die meisten, wie du oder Ino, waren sogar viel besser als ich. Also habe ich mich besonders angestrengt, weil ich dachte, damit meinen Hintergrund ausgleichen zu können, dass mein Fleiß irgendwie ein Äquivalent zu einem Kekkei Genkai oder Clan-Jutsu bilden könnte.“ Sie lächelte bitter und erwartete halb, dass Sasuke sie für dieses Geständnis auslachen würde, stattdessen wartete er geduldig ab, was sie noch zu sagen hatte. „Rückblickend betrachtet wollte ich immer nur besser werden, um mir selbst und anderen etwas zu beweisen, um dir etwas zu beweisen, damit du mich eines Tages als ebenbürtig wahrnimmst, und dann bist du fortgegangen, Team 7 löste sich auf und ich fing an, mich zu fragen, wofür ich mich überhaupt abmühe. Mit dir war auch mein Antrieb verschwunden. Lady Tsunade zu bitten, mich als Schülerin anzunehmen, war eigentlich eine reine Verzweiflungstat; meine einzigen Steckenpferde waren Fleiß und Chakrakontrolle, zufällig die Grundvoraussetzungen für die Ausbildung zum Iryōnin. Irgendwann habe ich dann begriffen, dass dein Weg nicht meiner sein kann und dass das okay ist, dass meine Talente darin liegen, Leben zu retten, statt sie zu nehmen. Ich bin gut in dem, was ich mache, und ich helfe gern Menschen. Es macht mich glücklich und es gibt mir das Gefühl, meinen Platz in der Welt gefunden zu haben, aber…“ Sie wischte eine Träne fort, die sich aus ihrem Augenwinkel zu stehlen versuchte. „Aber jetzt, jetzt frage ich mich wieder, wofür…“ Sie kniff die Lippen zusammen. „Ein junger Genin wurde in einem einstürzenden Haus verschüttet und erlitt lebensbedrohliche Verletzungen – innere Blutungen und sein Bein war von dem tonnenschweren Gebälk zerquetscht worden. Er war kaum bei Bewusstsein, als er eingeliefert wurde, hat aber die ganze Zeit vor sich hingemurmelt, dass er sein Team nicht im Stich lassen darf. Ich war für seine Operation eingeteilt, wurde jedoch gleich am Anfang zu einem anderen Notfall gerufen.“ Sakura atmete zittrig gegen die Schuldgefühle und die wütende Fassungslosigkeit an. Ihr fehlten die Worte, die nötige Luft, um weiterzusprechen. Sasuke schaute sie die ganze Zeit ruhig an und sie wünschte, er würde wegsehen, wünschte, sie hätte gar nicht erst damit angefangen. Sie knetete ihre Hände, die rot und kalt und nutzlos waren, die Haut rau und rissig, die Knöchel aufgeplatzt von der Kälte. Sasuke griff nach diesen Händen, seine Finger hoben sich blass gegen ihre gerötete Haut ab. „Dieser ach so wichtige Notfall war Konohamaru. Er hatte eine stark blutende Schnittverletzung, war ansonsten aber bei bester Gesundheit. Ich habe mich nach dem Jungen erkundigt; sie haben ihm das Bein amputiert, eine Niere und einen Lungenflügel entfernt, weil der Iryōnin, der für mich übernommen hat, ihm nicht anders helfen konnte. Aber ich hätte ihm helfen können, stattdessen musste ich ein Pflaster auf ein Aua kleben, weil…“ Ihre Schneidezähne gruben sich so tief in ihre Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. „Weil Konohamaru der Enkel des Sandaime Hokage ist und der Junge nur ein unbedeutender Niemand, dem nicht zusteht, von Tsunades Meisterschülerin versorgt zu werden, wenn jemand Wichtigeres Wehwehchen hat.“ „Ich kann nicht aufhören, genau das zu denken“, bestätigte sie heiser. „Ich war stolz, dass mich jeder in ihrer direkten Nachfolge als Iryōnin sieht. Dafür habe ich hart gearbeitet, ich verdiene es mir, und jetzt ist es der Grund, dass ich meine eigenen Prinzipien verraten musste. Eine unserer höchsten Maximen ist, dass vor uns jeder gleich ist, dass jeder ein Recht auf unsere Hilfe hat.“ Sie knirschte wütend mit den Zähnen. „Und jetzt hast du zum ersten Mal der Korruption und der Diskriminierung ins Gesicht gesehen.“ Er sagte es derart nüchtern, dass sie aufsah, schwieg und dann langsam nickte. Sie wusste, dass Politik über dem einzelnen Menschen stand; Hidan war für das, was er Ino angetan hatte, nicht bestraft worden, um die Friedensverhandlungen nicht zu gefährden, doch dass sie diesmal ein Teil davon geworden war, erschütterte, beschmutzte ihre Seele. „Es ist nicht gerecht. Ich möchte kein Teil davon sein und ich habe Angst, dass ich das automatisch werde, je höher ich aufsteige.“ „Es gibt keine Gerechtigkeit für die Schwachen“, entgegnete er kalt. „Wenn du etwas verändern willst, musst du eine Position erreichen, in der du die Macht dazu hast.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lady Tsunade dieses Vorgehen gutheißt und trotzdem toleriert sie es. Bedeutet das nicht, dass sie keine andere Wahl hat?“ „In der Akademie haben sie uns beigebracht, dass Insubordination unehrenhaft ist. Wir Ninja sind Werkzeuge und sollen uns wie solche verhalten. Der ganze Kodex ist Heuchelei, mit der wir unter Kontrolle gehalten werden sollen. Aber Werkzeugen fehlt die Fähigkeit, zu denken, und wer eigenständig denken kann, ist niemandes Werkzeug. Alles ist eine Frage der Perspektive. Richtig und Falsch, Gut und Böse, das sind nur Konzepte, nach denen wir unser Denken und Handeln ausrichten. Für den Bauern ist die Katze gut, weil sie seine Ernte vor Mäusen schützt, aber für die Maus ist die Katze böse, weil sie sie tötet, und die Katze sieht sich weder als das eine noch das andere, sie tut nur, was sie tun muss, um zu überleben. Politik ist eine unpersönliche Angelegenheit, bei der es nicht darum geht, welche Gefühle man hat, sondern welche Argumente.“ „Worauf willst du hinaus?“ Er schnaubte zynisch. „Ich will auf gar nichts hinaus.“ Sie verfielen in Schweigen. Sakura dachte über das Gesagte nach, was es bedeutete, dass er so dachte, was es bedeutete, dass sie ihm recht geben musste. Er hatte frustriert geklungen. Und überzeugt. Wie jemand, der notfalls bis zum Äußersten gehen würde? Wie sollte sie etwas in Ordnung bringen, das sie gar nicht begriff? Irgendwann merkte sie, dass sie gedankenversunken mit seiner Hand gespielt hatte, und ließ ihre Finger vorsichtig zwischen seine gleiten. Es erschien ihr passend, dem Augenblick angemessen. Sasukes Finger lagen in regloser Perfektion zwischen ihren. Als Sakura das nächste Mal aufwachte, war sie allein. Die Herbstsonne warf blassgoldene Sprenkel auf den Waldboden. Der Morgen war kalt, aber der Himmel war klar und versprach einen schönen Tag. Gähnend kroch sie aus ihrem Schlafsack, wärmte sich die Hände am letzten Glimmen des Lagerfeuers und dehnte anschließend ihre Muskeln und Sehnen. „Morgen“, grüßte Shikamaru, der lustlos aus dem Wald geschlurft kam und ihr eine runde, gelbliche Frucht zuwarf. Sakura fing sie aus der Luft und biss so herzhaft hinein, dass ihr Birnensaft übers Kinn lief. Der frische, süße Geschmack, der sich auf ihrer Zunge ausbreitete, ließ sie genießerisch die Augen schließen. „Wo isch Saschke?“, fragte sie mit vollem Mund. „Baut die Fallen ab“, antwortete er, klemmte sich dann eine Nashi zwischen die Zähne und verstaute ein weiteres Dutzend in seinem Rucksack. „Wir haben dir was vom Frühstück aufgehoben, falls du willst.“ „Frühstück? Träume ich noch, oder so?“ „Tu nicht so“, grummelte der Nara, wirkte insgesamt jedoch wesentlich zufriedener als am Vorabend, wie er an seiner Birne mümmelte und ins Sonnenlicht blinzelte. Sakura verzehrte die Reste vom Frühstück – gebratener Fisch mit Reis – und wusch sich anschließend im eiskalten Seewasser. Bei ihrer Rückkehr hatten ihre beiden Teamkameraden die Spuren des Nachtlagers bereits beseitigt und keine halbe Stunde nach ihrem Erwachen brachen sie auf. Sie bewegten sich in nordöstliche Richtung. Die Sonne strahlte vom Himmel, die Vögel zwitscherten und am frühen Nachmittag fühlte sich Sakura in eine angenehme schläfrige Trägheit eingelullt. Ihren Mitstreitern schien es ähnlich zu gehen, denn nach und nach hatten sie ihr rasches Reisetempo zu einer gemütlichen Wandergeschwindigkeit gedrosselt. Ein kühler Wind sang zwischen den Ästen und Blättern. Sasuke zog eine Wasserflasche aus seinem Rucksack, trank ein paar Schlucke, wobei er sich zurückfallen ließ, bis Sakura zu ihm aufgeholt hatte, und reichte ihr die Flasche. Sakura nahm sie mit glühenden Wangen entgegen; wenn sie daraus trank, wäre das als… Ihr Herz stolperte aufgeregt und die klebrige Müdigkeit fiel schlagartig von ihr ab. „Spürst du es?“, murmelte er ihr aus dem Mundwinkel zu, seine Lippen bewegten sich kaum. Sie unterbrach ihre Gedanken an indirekten Speichelaustausch mit Sasuke und brummte zustimmend. „Mindestens sechs, denke ich. Was machen wir jetzt?“ „Eigentlich ist es deine Aufgabe, das zu entscheiden, Captain“, sagte er und betonte das letzte Wort fast neckisch. „Aber sie kreisen uns ein, also werden wir keine andere Wahl haben, als zu kämpfen.“ Sakura nickte und nippte an seiner Wasserflasche, drückte das Mundstück anschließend mit der Unterlippe zu. Sasuke nahm ihr die Flasche ab. „Mach dich bereit.“ Ihre Angreifer waren nah. Sakura hörte das Rascheln in den Baumkronen, das zu laut war, um von Kleintieren wie Vögeln oder Eichhörnchen erzeugt zu werden, den knackenden Erdboden, spürte den angehaltenen Atem der Natur. Schon früh in ihrer Laufbahn als Kunoichi war ihr aufgefallen, dass sämtliche Wildtiere, vom Adler über den Wolken über den mächtigen Bären bis hin zum Regenwurm tief in der Erde, ängstlich verstummten, wenn ein Kampf zwischen Shinobi auszubrechen drohte. Sasuke war schneller verschwunden als sie blinzeln konnte. Sakura hielt sich nicht damit, sich nach ihm umzusehen, unterdrückte ihr Chakra, war mit ein paar Sätzen im Schutz eines breiten Baumstammes versteckt und zog die Kapuze über ihr auffälliges rosa Haar. Im gleichen Moment bohrte sich ein Kunai zwischen Shikamarus Schulterblätter. Der Nara fiel mit dem Gesicht voran zu Boden, irgendwo schräg über Sakura ertönte ein triumphierender Jubelschrei, dann verwandelte sich Shikamaru rauchend in einen Holzklotz und sie hörte einen dumpfen Aufprall, als wäre etwas Schweres aus großer Höhe ungebremst gefallen. Blieben noch fünf. Sie sondierte die Umgebung nach ihren Kameraden, um im Notfall rasch bei ihnen sein zu können. Als Iryōnin war ihr theoretisch nicht gestattet, aktiv am Kampfgeschehen teilzunehmen, doch wie es oft der Fall war, blieb ihr praktisch vielleicht keine andere Wahl. Sie konzentrierte sich auf Sasuke und Shikamaru und als das nicht klappte, schloss sie die Augen und konzentrierte sich noch mehr, konnte die beiden aber trotzdem nicht spüren. Das leise Surren ließ sie gerade noch rechtzeitig die Augen aufreißen, als sich auch schon eine Briefbombe an einem Kunai zwischen ihre gespreizten Finger in den Stamm grub. Sie machte einen gewaltigen Satz nach hinten, bevor das Ding sie in Fetzen reißen konnte. Die Explosion dröhnte schmerzhaft in ihren Ohren, Holzsplitter regneten wie Miniaturgeschosse auf sie herab und zerkratzten ihr das Gesicht und die Hände. Die Druckwelle brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sakura drehte sich mehrmals in der Luft, die Arme schützend vor den Augen gekreuzt, bis sie schlitternd auf dem nass-kalten Erdboden aufkam. Für einen Moment schien sich die Welt zu drehen, ihr war schwindelig und sie sank auf ein Knie. Ihr Ohr, in dem die Explosion noch immer nachhallte, tat weh und fühlte sich nass an. Sie fasste sich instinktiv an die Stelle und als sie die Hand vor die Augen führte, waren ihre Fingerkuppen mit frischem Blut benetzt. Wahrscheinlich war ihr Trommelfell gerissen, eine schmerzhafte, aber nur mäßig gefährliche Verletzung, darum konnte sie sich später kümmern. Der Baum, aus dessen Stamm ein beachtliches Stück Holz gerissen worden war, kippte träge, beinahe wie in Zeitlupe. Seine mächtige Krone prallte gegen seine Nachbarn, riss Äste mit sich und brachte jüngere, dünne Bäume zu Fall. Sakura hörte ein ängstliches Fiepen neben sich. Eine kleine graubraune Wühlmaus, fast von ihrem Stiefel zermalmt und beinahe unsichtbar auf dem dunklen Waldboden, saß erstarrt da, ihre Schnurrhaare zuckten, die schwarzen Knopfaugen blickten mit einem menschlich anmutenden Verständnis auf den fallenden Baum. Aus einem Impuls heraus packte Sakura das winzige Tier, stopfte es in ihre Tasche und rollte sich zur Seite weg. Der Baumstamm krachte weniger als einen halben Meter neben ihr ein, die Erschütterung vibrierte in ihren Knochen und ließ Übelkeit in ihrem Magen rumoren. Sakura schloss ein, zwei Herzschläge lang die Augen, um sich zu sammeln. Ihr Ohr schmerzte bestialisch, die Welt schwappte um sie herum, als befände sie sich bei starkem Wellengang auf offenem Meer. Vielleicht sollte sie sich ihrer Verletzung doch sofort widmen, wo sie schließlich immer und immer wieder predigte, dass selbst die kleinsten Wunden im Einsatz gefährlich werden konnten. Sie ließ Chakra in ihrer Hand aufleuchten und presste sie gegen ihr Ohr. Der Schmerz ließ unverzüglich nach, doch ihr blieb keine Zeit, sich vollständig zu heilen, weil bereits das nächste Kunai auf sie zugeschossen kam. Sie flüchtete sich ins Unterholz, kurz darauf raschelten Zweige und ein spindeldürres Mädchen, mit so leuchtend rotem Haar, wie Sakura es nie zuvor gesehen hatte, trat hervor. „Ich weiß, dass du da bist und wo du dich versteckst. Du kannst also rauskommen“, sagte sie überheblich und schob sich mit dem Mittelfinger der einen Hand die Brille auf dem Nasenrücken zurecht, während die andere Hand lässig in ihre Hüfte gestützt war. Sakura versuchte, ihre Gegnerin einzuschätzen; war sie unerfahren und leichtsinnig oder basierte ihre Sorglosigkeit auf Können? Sie sah nicht besonders stark aus, aber das hieß freilich nicht viel. Ihr selbst sah man schließlich auch nicht an, dass sie Felsen mit der bloßen Faust zu Staub pulverisieren konnte. Sakura verengte die Augen zu Schlitzen, sprang senkrecht in die Luft, wobei sie ihrer Gegnerin eine Ladung Shuriken entgegenwarf, stieß sich an einem dicken Ast ab und katapultierte sich auf die andere. Das Mädchen riss überrascht die Augen auf und als sie, viel zu spät, nach einem Kunai griff, hatte Sakura bereits ihr Handgelenk gepackt, riss sie um, pinnte sie mit dem Körper und ihr Handgelenk über ihrem Kopf am Boden fest. Die Rothaarige kreischte und buckelte wie eine Furie unter ihr und verpasste ihr ein paar saftige Ohrfeigen, ehe Sakura auch das andere Handgelenk zu fassen bekam und so fest zudrückte, dass nicht viel fehlte, um ihr die Knochen zu brechen. „Geh runter von mir, du perverse Spinnerin“, fauchte die Rothaarige und trat unsinnigerweise mit den Füßen um sich, obwohl Sakura außerhalb ihrer Reichweite auf ihrem Bauch saß. Ihr gefiel nicht, wie das Geschrei im Wald widerhallte und Kampfgeräusche konnte sie auch keine hören; ihr blieb nur, darauf zu vertrauen, dass Sasuke und Shikamaru mit den verbliebenen vier Angreifern fertiggeworden waren. „Wer bist du? Warum greift ihr uns an? Für wen arbeitet ihr?“ „Ihr seid in unser Gebiet eingedrungen“, motzte sie, gab aber endlich auf, sich gegen Sakura zu wehren. Wenn es möglich war, mit einem bloßen Blick trotzig die Arme zu verschränken, beherrschte die Rothaarige diese Technik meisterlich. „Euer Gebiet? Also bist du eine Kunoichi aus Otogakure?“, schlussfolgerte Sakura und suchte sie mit den Augen nach einem Hitai-Ate3 ab, fand jedoch keines. „Du trägst kein Stirnband“, stellte sie fest. „Jeder Shinobi ist verpflichtet, das Zeichen seines Dorfes zu tragen. So will es das Gesetz.“ Die Rothaarige lachte schrill auf, ehe sie so plötzlich, als hätte man einen Schalter umgelegt, aufhörte und listig grinste. „Vielleicht bin ich kein Shinobi. Vielleicht hast du eine arme, wehrlose Zivilistin angegriffen. Was sagt dein Gesetz dazu?!“ In diesem Fall hätte Sakura ein Verbrechen begangen. Shinobi war lediglich unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, Zivilisten anzugreifen. Die Regelungen waren streng und wurden hart durchgesetzt, weil das Kraftgefälle zwischen Ninja und der einfachen Bevölkerung nicht anders zu überbrücken war. Aber die Frau war definitiv eine Kunoichi, vielleicht keine gute, aber darauf kam es nicht an. Dennoch reichte der kurze Moment des Zweifels, dass Sakuras Körperspannung nachließ. Die Rothaarige bäumte sich auf und schnappte nach ihrem Gesicht; ihr Gebiss krachte Millimeter vor ihrer Nasenspitze aufeinander. „Netter Versuch“, feixte Sakura provozierend, obwohl sie sich erschrocken hatte und es allein ihren Ninja-Reflexen zu verdanken war, dass die andere sie nicht erwischt hatte. Die Rothaarige stieß ein wütendes Knurren aus und fing abermals an, wie wahnsinnig zu strampeln. „Lass mich los, du Verrückte. Du bist viel zu schwer, du fettes Weib.“ Fett!? Das war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass sie als fett bezeichnet wurde. Sie. War. Nicht. Fett. Sakura fletschte die Zähne und presste die Rothaarige derart kraftvoll gegen den Boden, dass ihr Körper einen Abdruck hinterließ. „Du sagst mir jetzt sofort, was ihr von uns wollt.“ „Bist du dumm? Ich will, dass du von mir runtergehst. Brauchst du das erst schriftlich?“, zeterte sie. „Antworte! Oder ich breche dir beide Arme – für den Anfang.“ Sakura war wütend genug, dass sie es tun würde. Sie war wütend genug, dass sie ihr vielleicht sogar dann ein paar Knochen brach, wenn sie kooperierte. „Das würde ich an deiner Stelle nicht machen“, sagte eine unbekannte Männerstimme hinter ihr. Bevor Sakura reagieren konnte, schnitt die Klinge bereits in ihren Hals. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)