Unlimited von Farbenmaedchen ================================================================================ Kapitel 12 ---------- »Du bleibst hier.« Ohne auf Victors Befehl einzugehen, starre ich durch das Autofenster. Wir sind, keine fünf Minuten nachdem die Meldung über den gegnerischen Schlag eingetroffen war, aufgebrochen und zu der 19tengefahren. Wie ich festgestellt habe, ist damit das Hafengebiet gemeint, in dem wir uns jetzt befinden. Hier habe ich Victor das erste Mal getroffen. »Verstanden, Jesse?«, wiederholt Victor scharf. Er sitzt neben mir auf dem Hintersitz. Als ich ihm nicht antworte, packt er grob mein Kinn, um mich dazu zu zwingen, ihn anzusehen. »Setzt du ein Fuß aus dem Auto, breche ich dir eigenhändig die Beine. Ist das klar?« »Natürlich, mein Meister und Gebieter«, säusele ich mit einem sarkastischem Lächeln, das sofort erstirbt, wenn Victor aus dem Wagen steigt. Adrian und Elliot tun es ihm gleich. Ich kann beobachten, wie sie die Schusswaffen an ihrem Gürtel richten. Dann werfen die beiden mir einen letzten prüfenden Blick durch die getönten Scheiben zu, bevor sie ihrem Boss in die Gassen hinein folgen. Kaum sind sie außer Sichtweite, steige ich ebenfalls aus dem Van. Mit aller Wucht, die ich aufbringen kann, schmettere ich die Fahrzeugtür zu. So ein Scheißkerl! Dabei habe ich ihm vertraut. Du bist so ein Idiot, Jesse. Um einen besseren Überblick über den Ort zu bekommen, drehe ich mich im Kreis. Wenn ich mich nicht irre, stehe ich an derselben Stelle, an der wir vor rund einer Woche gehalten haben, als ich von Adrian und Elliot entführt worden war. Aus westlicher Richtung sind wir gekommen. Dort liegt auch der Hafen der Stadt. Weiter südlich müsste der Einkaufsmarkt stehen, aus dem ich geworfen wurden war. Und wenn ich Victor nach Osten folgen würde, käme ich wahrscheinlich zu der Stelle, an der er die verletzte Frau hatte erschießen wollen. Soll ich einfach gehen?, schießt es mir durch den Kopf, während ich die heruntergekommenen Straßen mustere. Ausgekippter Müll, über den sich die Insekten sammeln, vor so gut wie jeder Haustür. Der Asphalt ist aufgeplatzt, die Gemäuer zerbröckelt. Die nachmittägliche Sonne senkt sich allmählich am Horizont, wodurch sie ihre langen Schatten durch die zugeschütteten Gassen wirft, die kaum etwas von dem Licht abbekommen. Das hier ist kein besseres Viertel als das, in dem ich meine Wohnung hatte. Die meisten meinen, hier wäre es so ziemlich menschenleer, wenn man von den Drogenbanden und organisierten Verbrechen absah. Zumindest was das angeht, müssen die Gerüchte stimmen. Immerhin ist das hier wohl Victors Gebiet. Ich frage mich immer noch, was er denn eigentlich macht, um so viel Geld zu besitzen. Das kommt ja nicht alles davon, weil er ein bisschen Marihuana an der Ecke vertickt. Weil ich mich nicht nicht wie ein naives Schulkind herumkommandieren lassen würde, nehme ich den gleichen Weg wie Victor und seine Untergebenen zuvor. Zumindest, bis ich einige unbekannte Stimmen vernehme. Sie scheinen aus dem rechten Gang zu kommen. Um nicht aufzufallen, presse ich mich mit den Rücken an eine Hauswand. Dann versuche ich den Atem anzuhalten, bis sie vorbeigegangen wären. Tatsächlich tauchen wenige Augenblicke später zwei Männer von rechts auf. Sie reden angeregt miteinander, bemerken mich nicht, als sie den Weg an meinem Versteck passieren und an der nächsten Ecke wieder abbiegen. Victors Männer?, denke ich nach, als ich wieder Luft hole. Langsam laufe ich weiter. Hoffentlich Victors Männer und nicht welche von dem anderen Clan… Plötzlich brüllt ein lauter Schuss durch das Gebiet. Unwillkürlich schlage ich mir die Hände an meine Ohren, um den nahen Schall zu dämpfen. Mindestens ein Dutzend Tauben fliegen aufgeschreckt wenige Meter von mir entfernt über die Häuser der Baracken. Ich lasse meine Arme schluckend wieder sinken, sodass ich harte Schritte höre, die in eine unbestimmte Richtung rennen. Dann will ich weiterlaufen. Doch dazu kommt es gar nicht. Auf einmal sehe ich Metall vor meiner Nase aufblitzen. Es geht viel zu schnell, als dass ich reagieren könnte. Ein ritzendes Geräusch erklingt, als würde sich etwas ins Gemäuer bohren. Als ich meinen Kopf zur linken Seite wende, muss ich mit großen Augen erkennen, dass ein scharfes Messer in der Wand steckt – ein Wurfmesser, um genauer zu sein. Nur knapp hat es mich im Flug verfehlt. Ich stoße den Atem zittrig aus. »Bonjour.« Abrupt drehe ich mich zu der weiblichen Stimme im Rücken. Allerdings steht niemand hinter mir. »Hier oben.« Mein Kopf wirbelt zum Hausdach, bevor ich einen Schritt zurücktaumele. Ich hauche ungläubig: »Sie sind die Dame von vor einer Woche…« Die hübsche Frau mit dem französischen Akzent – oder Blair, wie ich auf Victors Yacht erfahren hatte – überschlägt ihre langen Beine auf der Regenrinne. Sie lehnt sich zurück, wodurch die Haare ihres schwarzen Bobs nach hinten fallen. Dann öffnet sie ihre dunkelroten Lippen, um zu sagen: »Oui, Oui, mon chéri.« »W-Was… wollen Sie von mir?«, frage ich verunsichert. Hieß es nicht von den Verrätern, dass Blair ein Mitglied von diesem Carlos war, wer auch immer das sein mochte? Adrian hatte vorhin gemeint, der Carlos Clan wäre in Victors Gebiet eingedrungen. Also gehörte Blair zu den Feinden. »Sind Sie hier, um zu beenden, was ihre Kameraden begonnen haben?« Der kalte Schweißt tritt mir auf die Stirn. Ich spanne meine Muskeln an, in Voraussicht, jederzeit weglaufen zu können. Blair wippt mit ihren Füßen in den schwarzen Overknees mit Lederoptik. »Non, du liegst falsch.« »Dann wollen Sie Victor umbringen?« »Heute nicht«, wispert sie. Sie schlägt ihre Augen mit den langen Wimpern zu, um sie kurz danach zu öffnen und zu mir herabzustarren. »Heute bin ich alleine wegen dir hier, mon chéri. Aber nicht aus der Absicht zu töten.« Ich verenge die Augen zu Schlitzen, immerhin hat ihr Wurfmesser mir eine ganz andere Nachricht vermittelt. »Was wollen Sie also von mir?« »Je réglerai une facture. Je déteste l'admettre, mais tu m'as aidé. C'est pourquoi je vous dois quelque chose.« »Was? Ich verstehe kein Wort von dem, was Sie sagen!«, meine ich verwirrt. »C'est mieux ainsi«, beginnt sie um eine neues. Doch dann spricht sie in der Sprache weiter, die ich auch verstehe. »Ich bin hier um dich zu warnen.« Plötzlich kreischt ein weiterer Schuss durch die Gassen. Ich zucke augenblicklich zusammen und sehe in die Richtung, aus der auch der vorherige Schuss zu mir gedrungen ist. Dann grölen Männerstimmen, bis es wieder still wird. »Was tun sie da?« Zögerlich blicke ich zu Blair, die mich unbeeindruckt mustert. »Une lutte acharnée – Ein erbitterter Kampf. Seit Jahren herrscht gewaltsame Uneinigkeit zwischen dem Lassini Clan und dem Carlos Clan. Es begann vor rund vierzig Jahren. Der Carlos Clan ist überzeugt, dass dieser Krieg von den Lassinis angezettelt wurde. Sie sollen angeblich die Ehefrau des damaligen Carlos Bosses ermordet haben, um neue Gebiete zu erschließen. Der Lassini Clan hingegen wirft seinem Gegenspieler vor, ihr Grund sei eine Lügengeschichte, die genutzt wurde, um ihren Boss unter Druck zu setzen und das Hafengebiet freiwillig abzugeben, in der Hoffnung, nicht kämpfen zu müssen. Ich hingegen glaube, dass längst vergessen wurde, was damals eigentlich geschehen ist. Sie kämpfen nur noch aus Gewohnheit heraus.« »Du arbeitest für den Carlos Clan, nicht wahr?« »C'est vrai, mon chéri. Mr Carlos ist mein Boss.« Ich beiße mir auf die Lippe. Wenn mir Blair tatsächlich nicht schaden will, kann ich diese Chance nutzen, um an neue Informationen zu gelangen. Deshalb frage ich: »Was genau sind die Gebiete der Clans?« Blair deutet mit ihrer Hand über die Stadt. »Victors Revier beginnt bei der West-High-Bride, zieht sich über den Festplatz mit dem alten Rathaus, um das Volksschwimmbad, bis hier zum Hafengebiet – Die halbe Stadt. Also gehört die andere Hälfte…« »Deinem Clan…«, schlussfolgere ich. »Eine Sache wird mir aber noch nicht klar. Warum wird dieses Viertel, in dem wir uns befinden, die 19te genannt?« »Noch bevor der Kampf zwischen den beiden Clans entbrannte, soll hier die sogenannte 19te Zeilegeschrieben worden sein. Es existierte bereits der Entwurf eines Friedensvertrags. Die 19te Zeile im Vertrag untersagte den Clans jegliche Kampfhandlung.« »Wieso gerade an einem heruntergekommen Ort wie diesem?« Ich schüttele den Kopf. Blairs Augenbrauen wandern in die Höhe. »Dieses Viertel florierte einst wie kein Gebiet der Stadt. Die ärmlichen Verhältnisse hier hielten die Leute zusammen. Zudem wurde die Mafia akzeptiert – nein – sie wurde als führende Instanz wertgeschätzt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gemütlich es in den beleuchteten Gassen war. Überall wo der Blick hinreichte standen Restaurant, Bars, kleine Kinos und Straßenmusiker. Da jeder die Mafia achtete, gab es kaum Kriminalität. Man musste nicht fürchten, dass den eigenen Kindern nachts etwas zustoßen würde. Zwar hielt sich das Grundeinkommen der Bewohner eher gering, aber die Clans versorgten die Leute mit Nahrung, Medizin und Gütern. In der 19ten wurde oft bis in den Morgen gefeiert.« Für einige Momente kehrt Schweigen ein. Ich versuche mir ein Bild von Blairs Erzählungen zu machen. Schließlich atme ich tief durch. »Na schön, du hast meine Fragen beantwortet. Aber was bringt dir das? Und vor was willst du mich überhaupt warnen?« »Vor Victor«, raunt Blair dunkel. Unter ihre Smokey Eyes legen sich dunkle Schatten. Sie bricht den Blickkontakt ab. »Vor diesem… monstre.« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.« Sie springt in einer eleganten Bewegung vom Hausdach. Augenblicklich weiche ich soweit zurück, dass ich mit den Schultern an die hintere Wand stoße. »Erst ist er kalt zu dir. Er spielt sich auf, nimmt sich was er will. Dann nährt er sich dir. Mit seinem Geld weiß er genauso umzugehen, wie mit seinem Charme. Er kauft sich deine Gunst.« Ich kralle mich in die Ritzen der losen Steine hinter mir. Blair kommt mit ausgedehnten Schritten näher. Ihre Hüfte schwingt geschmeidig im sanften Wind, der vom Fluss zu uns zieht. »Bis er…« Blair kommt vor mir zum Stehen. Akribisch beobachte ich ihre Hand, die sich an meine linke Wange legt. Gedankenverlornen streicht sie meine Haut entlang. »…dich mit seinen großen Händen berührt. Er flüstert dir schöne Worte ins Ohr, versichert dir, wie hübsch und einzigartig du bist.« Blairs Lippen hauchen an meinen Nacken, was einen Schauer durch meinen Körper schickt. »Er küsst dich auf den Mund… am Hals… auf die Brust… zwischen deinen Beinen…« Zögerlich stoße ich Blair von mir, um wenige Schritte zur Seite zu flüchten. Anschließend wische ich durch mein errötetes Gesicht. »Ne soit pas embarrassé – Schäme dich nicht. Viele erlagen Victors Kunst. Sie alle mussten früher oder später von Victors Spiel erfahren, wie er sie abhängig machte, wie er sie benutzte, um seine Lust zu befriedigen… wie er ihren Geist besaß, ohne dass sie sich wehren konnten.« Mein Mund öffnet sich, ohne dass ein Wort entweicht. Erst beim zweiten Mal frage ich: »Was wollen Sie mir damit sagen?« »Du glaubst, dass ich verrückt bin.« Blair holt eine Zigarette aus der Tasche, die sie anzündet, bevor sie einen kräftigen Zug nimmt. Sie stützt einen Arm auf den anderen. »Weißt du, was BDSM ist?« Meine Lippen kräuseln sich. Abermals senke ich den Blick, während mein Gesicht weiter Farbe gewinnt. »Von deiner unschuldigen Reaktion ausgehend, nehme ich an, du hast bereits davon gehört, es allerdings nie selbst versucht hast. Erst umschmeichelt dich Victor, dann teilt er mit dir heiße Berührungen im Bett, bis er dich zu seinem willigen Sklaven erzieht. Sein Schema ist stets das gleiche.« Allmählich reiße ich mich aus meiner Starre. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Danach drehe ich mich um, womit ich Blair den Rücken zeige. »Laufen Sie zu allen wildfremden Leuten, um sie mit perversem Zeug zu bequatschen? Was geht Sie mein Liebesleben an?« Um nicht länger dieser verwirrenden Frau zuhören zu müssen, laufe ich los. Allerdings lassen mich ihre nächsten Worte stoppen: »Hast du Victor gefragt, was mit deinen Vorgängern geschehen ist?« Ich schlucke. »Was ist mit ihnen geschehen?« Anstatt mir zu antworten, tritt Blair neben mich, um über meine Schulter zu streichen. Sie wirft ihre abgenutzte Zigarette in eine Pfütze, wodurch die Glut erlischt. Daraufhin lauten ihre letzten Worte: »Ich habe dich gewarnt. Wir sind jetzt quitt. Das nächste Mal, wenn wir einander begegnen, stehen wir auf verschiedenen Seiten.  Au revoir, mon chéri.« Kaum spricht sie ihren Satz zu Ende, läuft sie zum Hausdach, auf dem sie gesessen hat. Als wäre sie eine jahrelange Leichtathletikerin, schwingt sie sich am Balken herausragenden Hausgerüsts nach oben. Fasziniert seufzend beobachte ich, wie sie leichtfüßig über die Dächer springt, bis sie aus meiner Reichweite entschwindet. Auf einmal fällt mir eine wohlbekannte Person ins Auge. Ohne weiter darüber nachzudenken, hänge ich mich an Adrians Rockzipfel, welcher eilig vorbeihuscht. Erst biegen wir rechts ab, dann zwängen wir uns durch eine schlammige Spalte. Daraufhin muss ich feststellen, dass ich zu langsam war und Adrain aus den Augen verloren habe. Dafür ertönt abermals ein lauter Schuss – näher als zuvor. Ich folge der Richtung, aus der das grausame Geräusch gekommen ist. Es führte mich zu einem Kiosk, der wohl schon zwei Jahrzehnte geschlossen ist. Die vergilbten Plakate über dem Verkaufsschalter werben von Produkten, die so alt sind, dass ich sie nicht kenne. Das Gitter, welches Diebe am Eindringen hindern sollte, ist zerbrochen. Drinnen sieht es leergeräumt bis auf den letzten Staubkorn aus. An diesem Ort dringt zudem wieder Licht zu mir. Der Weg wird am Ende breiter und scheint auf einen offenen Platz zu führen. Gerade umrunde ich den Kiosk, um zu Adrian aufzuschließen, den ich hier vermute, da werden meine Schritte langsamer… und langsamer… und langsamer… Mein erleichtertes Lächeln versteinert. »Wer…« Adrian dreht sich erschrocken um. Als er mich erkennt, wispert er: »Mr Carter…« Blut… Ein regloser Körper… Das Loch in seiner Brust, aus der so viel Blut strömt… Das ist keine Leiche, rede ich mir gedanklich ein. Meine Augen ruhen auf dem Mann zu Boden. Er lehnt halb gegen den Kiosk. Die Schleifspur von Blut an der Wand zeigt, dass er wohl an dieser heruntergerutscht war. Mein gesamter Magen zieht sich zusammen. Fuck… Fuck! Das ist tatsächlich eine Leiche! Adrian kommt rasch zu mir. Er nimmt meinen Arm, damit er mich hinter den Kiosk schleppen kann. »Mr Carter, geht es Ihnen gut? Ich kann verstehen, dass das ein Schock war. Bitte bleiben Sie erstmal ruhig.« Unbewusst nicke ich, obwohl mein Innerstes zu toben beginnt. Keine fünf Sekunden später kommt mir mein gesamter Mageninhalt hoch. Ich drehe mich zur Seite, dann übergebe ich mich pausenlos. Mehrere Minuten bin ich dabei zu würgen und nach Luft zu röcheln. Währenddessen streichelt mir Adrian beruhigend über den Rücken. Erst, als ich nur noch Magensäure aufstoße, riche ich mich schlotternd auf. Ich muss mich am Kiosk abstützen, um gerade zu stehen. »Geht es?« Adrian reicht mir ein Taschentuch, mit welchem ich mir den Mund säubere. »Sie sollten doch im Wagen warten…« »Du hast ihn erschossen. Er ist tot, oder?« Adrian nickt bedacht. Ich kralle meine Fingernägel in die rissige Hauswand, was diese rumoren und am oberen Ende einstürzen lässt. Der Schutt fällt klappernd zu Boden, zerspringt dort. Schmerzhaft fest reiße ich an meinen Haare, beginne Kreise zu ziehen. Meine Gedanken – wenn ich den Wirrwarr von Fetzen in meinem Kopf überhaupt so nennen kann – rasen. Das hätte ich nicht verhindern können. Oder? Wäre ich früher gekommen… nein. Mich trifft keine Schuld! Aber ich stehe hier neben dem Mörder, dann bin ich nicht besser! Er ist tot, so wirklich tot… Fuck… Ich muss… Ich will mich duschen. Ich fühle mich so beklebt. Mit dem Blut des Mannes? Ja, natürlich habe ich auch Schuld… Wäre ich nur früher gekommen… Eine Hand auf meiner Schulter lässt mich hochschrecken. Adrian sagt sanft: »Sie können nichts mehr für Ihn tun, Mr Carter. Wenn ich nicht geschossen hätte, würde ich jetzt nicht mehr leben. Dieser Mann starb mit Ehre, in dem Wissen seine Familie verteidigt zu haben. Das ist der Weg, den wir gewählt haben.« »Was ist das für ein verfickter Weg?«, brülle ich. »Ich werde Sie zum Wagen bringen.« Adrian hält mir seine Hand entgegen.  Ich schlage sie beiseite.»Du bist krank! Ein Mörder! Du bist…!« Ruhig sagt Adrian: »Seien Sie so sauer auf mich, wie sie möchten, aber wir müssen zurück zum Wagen, bevor Ihnen etwas zustößt…« Plötzlich ein Schuss. Und noch einer. Wieder… Wieder… Einer Maschinenpistole gleich, donnert ein Schuss nach dem anderen durch den verdunkelnden Himmel. Sie stammen vom offenen Platz, den ich erspäht habe. Ich setze mich in Bewegung, um zu schauen, was vor sich geht. Doch Adrian stellt sich mir in den Weg. »Gehen Sie jetzt nicht dorthin, Mr Carter.« »Warum? Was werde ich sehen?« Adrians Blick wird eindringlich. »Nichts, was Sie vergessen könnten.« Erst zögere ich, dann will ich hastig um Adrian herumlaufen. Allerdings packt er mich mit leichter Gewalt, um mich festzuhalten. Meine Versuche, mich aus seinem geübten Griff zu lösen, enden vergebens. Die Schüsse im Hintergrund ebben ab, bis eine kalte Stille herrscht, die Gänsehaut auf meinem kompletten Körper auslöst. Auf einmal nähern sich Schritte. Adrian und ich wenden uns beinahe zeitgleich zum offenen Platz. Er wird nachlässig, weshalb ich mich aus seinen Händen befreien und um den Kiosk schauen kann. Gleich darauf bereue ich diese Entscheidung. Mein Magen rebelliert abermals. Es ist Elliot. Seine Kleidung verdreckt, die Haare wirr, die Augen matt… Er hält abrupt, als er Adrian und mich bemerkt. Mit dem Handrücken wischt er sich das frische Blut aus dem Gesicht. Keine zehn Pferde hätten mich abhalten können, an ihm vorbeizustürmen, direkt zum offenen Platz, der sich als Müllhalde herausstellt. Meine Schultern sacken ein. Vor der Kulisse von Abfallhaufen, neben einem Fabrik-ähnlichem Gebäude, liegen bestimmt zwanzig tote Männer im Schlamm und eigenen Blut – Ich will sie nicht zählen. Die meisten der Leute scheinen mir völlig fremd, einige wenige erkenne ich als Besucher von Victors Yacht-Feier. Eine Tragödie auf beiden Seiten… »B-Bitte… I-Ich…« Zwei lebendige Personen sind noch anwesend. Sie stehen neben einem umgekippten Lastwagen. Obwohl besser gesagt nur Victor steht. Ein anderer Mann mittleren Alters kniet vor dem Mafiaboss, die Hände zusammengeschlagen… flehend in die Höhe haltend. Victor zielt unnachgiebig mit der Pistole auf den Kopf seines Gegenüber, während er die Nägel seiner rechten Hand beäugt. »Du hast dich versteckt.« »Das war falsch! Das hätte ich nicht tun dürfen! Es tut mir fürchterlich leid! I-Ich…« Dem Mann gehen die Argumente aus. Ich muss machtlos zusehen. »Das wird nie wieder vorkommen! Das nächste Mal… da werde ich k-kämpfen und… B-Bitte verzeihen Sie mir dieses eine Mal! Oh, b-bitte!« Victor gluckst kalt. Als er zu seinem Opfer sieht, scheint es für mich, als glühten seine Augen dämonisch. »Das sind zu viele Tot an einem Tag.« »G-Genau! V-Vielen Dank, das werde ich nie…« »Da macht ein weiterer keinen Unterschied. Wäre doch schade, wenn deine Untergebenen starben und du als einzigster überlebst, findest du nicht?« »Nein!«, will ich schreien. Heraus kommt allerdings ein heiseres Keuchen. Ich stecke meinen Arm aus, mache einen Schritt nach vorne.  Schlagartig drückt Victor ab. Ich zucke zusammen. Meine Schultern sacken ein. Die Kugel fliegt dem Mann durch den Kopf – ein glatter Durchschuss. Der Körper kippt zur Seite. Er ist sofort tot. Victor steckt seine Waffe zurück an den Gürtel, bevor er kehrt macht. Knapp mustert er mich. Dabei verzieht er keinen Gesichtsmuskel. Er läuft hemmungslos durch die Leichen. Hier und da steigt er über einen schlaffen Arm oder einen bleichen Kopf. Wenige Sekunden später bleibt er neben mir stehen. Er beugt sich zu meinem Ohr herab. Obwohl ich mit leerem Ausdruck zum erschossenen Mann starre, dringen seine Worte zu mir durch: »Betrüge mich niemals… Niemals.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)