Besser, ihr rennt! - Old version von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 25: 2 - 10 ------------------ „Du hast sowas nicht zum ersten Mal gemacht, oder?“ Diese Frage war Robin durch den Kopf gegangen, seit er zugesehen hatte, wie Jonny sich um die verwundete Frau gekümmert hatte, oder vielleicht auch schon vorher, als er beobachtet hatte, wie er mit dem Erste-Hilfe-Kasten auf die Verletzte zugekommen war. Robin selbst war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die umsitzenden Gäste davon abzuhalten, aufzuspringen und das Geschehen zu begaffen, um auf einen derartigen Gedanken zu kommen. Selbst, wenn er sich um die Frau gekümmert hätte, was er deshalb nicht getan hatte, weil Lola und Nancy bereits dabei gewesen waren, hätte er wohl nicht an den Kasten gedacht, und einfach versucht, die Blutung mit Taschentüchern oder seiner Anzugjacke zu stillen. Jonny, der ihm gegenübersaß und gerade dabei gewesen war, einen Schluck aus seinem Wasserglas zu nehmen, hielt inne. Zögerte, schien abzuwägen, was er antworten soll, und erwiderte schließlich in bemüht neutralem Tonfall: „Nein. Hat man das gemerkt?“ „Schon, ja“, antwortete Lola an Robins Stelle. Sie saß neben Robin und nippte an einem alkoholfreien Cocktail, den sie sich selbst schnell hinter der Bar zusammengemixt hatte, nachdem sie sich das Blut abgewaschen und frische Klamotten aus Sapphires Vorrat angezogen hatte. Sie betrachtete Jonny mit abwartendem Blick, schien gespannt auf eine Antwort zu warten, die dieser augenscheinlich allerdings nicht wirklich geben wollte. Unschlüssig betrachtete er seine Hände, die sein Glas umklammert hielten - zu fest für das ansonsten gefasste Auftreten, welches er an den Tag legte. Er will nicht zeigen, dass ihm das nahegegangen ist, ging es Robin durch den Kopf, ein Gedanke, den er gleichzeitig verständlich und absurd fand. Absurd deshalb, weil es doch kein Wunder war, dass es einen nicht kalt ließ, wenn direkt vor einem ein schwer verletzter Mensch um sein Leben kämpfte, drohend, diesen Kampf jeden Augenblick zu verlieren. Verständlich, weil es ihm selbst nicht anders ging. Nicht bloß in diesem Fall kannte Robin diese Reaktion von sich selbst, nein. Viel mehr war dieses Verhalten für ihn Standard. Sich bloß nicht anmerken lassen, wenn einen etwas traf oder belastete, keine Emotionen zeigen. Keine Schwäche. Keine Angst. Hart bleiben. Unbeeindruckt. Bloß nicht verletzlich. Sich nicht angreifbar machen. Es war wohl kaum überraschend, dass Jonny, der seinen Aussagen zufolge eine ganze Weile auf der Straße gelebt hatte, sich dieses Benehmen angewöhnt hatte. Eine Fassade errichtet hatte. Er war gut, das musste Robin zugeben. Seine Maskerade schien perfekt einstudiert, routiniert. Wies bloß wenige Risse auf, die wohl auch nur dann erkennbar waren, wenn der Beobachtende selbst Erfahrung mit so etwas hatte. „Tja“, entgegnete Jonny schließlich, strich dabei mit den Fingerspitzen über den Rand seines Glases. Sein Blick wirkte leer, abwesend. Als wäre er gedanklich ganz woanders. Mehr sagte er nicht, und ein weiteres Mal verspürte Robin das Bedürfnis, ihm über den Arm zu streichen. Oder, noch besser, ihn einfach in den Arm zu nehmen. Das tat er nicht, denn mit Sicherheit wäre das keine gute Idee gewesen, alles andere als angenehm für seinen Gegenüber, der ohnehin bei jeder kleinen Berührung zusammenschreckte, als wäre sie ein Schlag. Und überhaupt, wieso hatte er überhaupt den Wunsch, jemanden zu umarmen, den er so gut wie gar nicht kannte? Dieses Mal war es Lolas Stimme, die Robin aus seinen Gedanken riss und aufblicken ließ. „Denkt ihr, die Polizei wird herkommen und uns befragen?“ Eine gute Frage, die Robin sich ebenfalls bereits gestellt hatte, wobei er jedoch zu keinem Ergebnis gekommen war. „Möglich“, erwiderte er daher, dabei mit den Schultern zuckend. „Aber was sollen wir schon groß sagen? Wir haben ja auch keine Ahnung, was passiert ist.“ „Schon. Aber wir haben gehört, was die Frau gesagt hat.“ „Dieses wirre Zeug?“ Robin stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. „Inwiefern sollte das hilfreich sein?“ Er hatte nicht wirklich viel davon mitbekommen, was die Verletzte von sich gegeben hatte. Eigentlich wusste er bloß, was die Barbesucher wiedergegeben hatten, die sich ausgetauscht hatten, nachdem der Rettungswagen davongefahren war, rätselnd und mutmaßend, was für einen Sinn hinter dem Gerede womöglich stecken könnte. Natürlich war niemand zu einem Ergebnis gekommen, das irgendwie schlüssig gewirkt hätte. Vermutlich gab es überhaupt keine tiefere Bedeutung hinter diesen Sätzen, die geklungen hatten wie Zitate aus einem Horrorroman. Blutmond. Blutmondernte. Was sollte das überhaupt sein? Dass Lola ihm auf seine eigentlich rhetorisch gemeinte Frage geantwortet hatte bemerkte Robin erst, als sie ihm auf die Schulter tippte. „Hm?“ „Ich sagte, dass es ja nicht direkt hilfreich sein muss. Aber wer weiß, vielleicht ergibt das für die Polizei ja doch mehr Sinn als für uns!“ Natürlich war das möglich. Robin konnte es sich nicht wirklich vorstellen, aber was hieß das schon. Er nahm einen weiteren Schluck seines Cocktails, betrachtete die Tischplatte. Überlegte, ob er noch etwas sagen sollte, war gerade zu dem Entschluss gekommen, dass er Lola zustimmen wollte, als Jonny ihm zuvorkam. „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass das die Polizei großartig interessiert, oder?“ Seine Stimme klang bitter, und beinahe ein wenig spöttisch. Kurz herrschte Schweigen am Tisch. Dann entgegnete Lola ein wenig zögerlich: „Na ja… ich weiß nicht. Wir wissen ja gar nicht, was passiert ist!“ Sie lachte – ein nervöses Lachen, das deplatziert wirkte und wohl der Tatsache geschuldet war dass sie nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte. Jonny sah nicht einmal von seinem Glas auf. „Jemand hat auf eine Frau geschossen. Ich meine, ich hätte sicher nichts dagegen wenn herausgefunden werden würde, wer das war! Aber die Mühe wird sich doch niemand machen! Nicht hier. Nicht in der Eastside.“ Niemand widersprach. Es stimmte. Robin erwartete nicht wirklich, dass irgendjemand vorbeikommen und eine Befragung veranstalten würde, und selbst wenn das passieren würde – es würde zu nichts führen. Die Frau hatte nicht anders ausgesehen als all die anderen Besucher der Bar. Schlichte Kleidung, kein Schmuck, nichts, was darauf hindeuten könnte, dass sie nicht aus der Gegend war. Das wäre der einzige Grund gewesen, dass sich jemand wirklich dafür interessieren würde, was geschehen war. Wenn es jemand von außerhalb gewesen wäre. Keine Bewohnerin der Eastside, deren Existenz niemanden, der im Rest von Red Creek lebte, großartig kümmerte. Ein weiteres Opfer der hohen Kriminalitätsrate dieses Viertels. Eine Zahl in einer Statistik, die Jahr um Jahr besorgniserregender anmutete, jedoch niemals ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen würde. Denn die Eastside und ihre Bewohner waren nichts, was für den Durchschnittsamerikaner von Bedeutung war. „Ist irgendwie alles verdammt deprimierend“, murmelte Lola, und auch dem war nicht zu widersprechen. Nun sagte niemand mehr etwas. Robin starrte abwesend vor sich hin, hing seinen Gedanken nach, und Lola und Jonny taten vermutlich das gleiche. Das einzige Geräusch, das die leere Bar erfüllte, war das Ticken der Uhr hinter dem Tresen. Blutmond, dachte Robin ein weiteres Mal, während ein Schauer über seinen Rücken lief. Dieses wirre Gerede, das keinen Sinn ergab. Vermutlich von absolut keiner Bedeutung war. Wieso konnte er es nicht einfach vergessen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)