Besser, ihr rennt! - Old version von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 23: 2 -8 ---------------- Auch zu ihrer Arbeit in der Bar wäre Lola um ein Haar zu spät gekommen. Das lag dieses Mal nicht daran, dass sie verschlafen hätte, sondern an ihrer Mutter, die ihr, nachdem Lola bereits einen halben Häuserblock entfernt gewesen war, derart panisch hinterher gerufen hatte, als würde sie gerade einen Herzanfall erleiden oder anderweitig medizinische Hilfe benötigen. Nachdem Lola alarmiert zurück gesprintet war, um die Ursache für die Aufregung ihrer Mutter zu erfahren, hatte sie anstelle von Schilderungen über Schmerzen in der Brust oder dergleichen lediglich eine Dose mit selbstgebackenen Keksen erhalten. „Du hast die Plätzchen vergessen! Ich hab dir doch extra gesagt, dass du sie mitnehmen sollst!“, hatte Mom gesagt, und kurz hatte Lola das drängende Bedürfnis verspürt, loszuschreien und so ihren kurzzeitigen Schrecken zum Ausdruck zu bringen. Solch eine Reaktion hätte jedoch bloß zusätzlich Zeit gekostet, zumal sie im zweiten Augenblick auch froh gewesen war, dass es nichts Ernstes gewesen war, weswegen sie einfach die Keksdose an sich genommen und sich wieder im Laufschritt auf den Weg zur Bar gemacht hatte, nicht ohne die erneuten Abschiedsworte ihrer Mutter mit einem „Ich dich auch, Mom“ zu quittieren. Letztlich hatte sie es dann aber doch irgendwie geschafft, um kurz vor halb fünf durch den Hintereingang in die Bar zu treten - nicht, dass es an sich ein großes Problem gewesen wäre, ein paar Minuten zu spät zu kommen, aber Lola hasste Unpünktlichkeit nun einmal, und ebenso sehr hasste sie es, an ihrer Arbeitsstelle nicht genügend Zeit zu haben, um sich in Ruhe vorbereiten zu können. Die Kekse hatte sie vorläufig in ihrem Spint verstaut - Spint war eigentlich ein viel zu edler Ausdruck für das, was es war, doch es klang nun einmal besser als ‘abschließbare instabile Schrankwandtür’ - hatte sich die Schürze umgebunden, die zur Uniform gehörte, und war dann dazu übergegangen, Vorbereitungen zu treffen, damit die Arbeit den Abend über möglichst reibungslos ablaufen würde. Sie war gerade dabei, einige Gläser abzuspülen, die irgendjemand heute Nacht nach Feierabend einfach auf der Theke hatte stehenlassen, als sie sah, wie Robin Curtis auf sie zukam. Unwillkürlich blickte sie auf und sah ihm entgegen. Zu sagen, dass sie und Robin befreundet waren, wäre wohl zu viel gewesen, aber eine gewisse Sympathie war durchaus vorhanden, auch, wenn Lola sich nie ganz sicher war, wie genau sie mit ihm umgehen sollte. Er war so etwas wie ihr Chef, obgleich sie beide ungefähr im selben Alter sein mussten und diese Tatsache dezent irritierend war. Immerhin hatten sie sich ziemlich bald nach ihrem Kennenlernen vor gut drei Jahren darauf geeinigt, sich mit Vornamen anzusprechen, was die Kommunikation zumindest etwas erleichterte und umständliche Satzkonstruktionen zur Vermeidung der direkten Ansprache unnötig machte. „Hallo, Robin“, begrüßte sie ihn nun, als er beim Tresen angekommen und dort stehengeblieben war, sie dabei direkt anblickend. Ihren Empfang erwiderte er mit einem knappen „Hey“, und Lolas Vermutung, dass er irgend etwas von ihr wollte, wurde direkt bestätigt, als er ohne Umschweife fortfuhr: „Gut, dass du heute Dienst hast. Kann ich dich darum bitten, jemand neues einzuarbeiten? Einfach bloß die Grundlagen erklären, was zu tun ist, wenn man hinter dem Tresen arbeitet. Und ein bisschen darauf achten, ob alles klappt.“ „Klar, sicher.“ Lola nickte. Es war nicht das erste Mal, dass sie so etwas tat, da viele Leute bloß temporär in der Bar arbeiteten gehörte sie zu denen, die am längsten hier beschäftigt waren und somit über die meiste Erfahrung verfügten. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass das nicht der einzige Grund war, weshalb Robin ausgerechnet sie darum bat. Wie bereits erwähnt waren die beiden keine Freunde, dennoch hatte Lola mittlerweile genügend Zeit in Robins Gegenwart verbracht, um diesen recht gut einschätzen zu können. Und irgend etwas an seiner heutigen Bitte erschien ihr anders, als es die vorigen Male der Fall gewesen war. Irgendwie... persönlicher. Ihre Zustimmung bewirkte, dass Robin sich ein wenig zu entspannen schien. „Hervorragend, danke dir. Er sollte bald hier sein, dann stelle ich euch vor.“ „Alles klar. Allerdings..." Leicht zögerlich warf Lola einen Blick hinter sich, um sich zu vergewissern, dass ihre Worte keine dritte Person erreichen würden, beugte sich dann zusätzlich noch etwas vor und sagte in gedämpftem Tonfall: „Mr. Fowler arbeitet heute hinter der Theke, und ich kann mir vorstellen, dass mit dem zusammen zu arbeiten am ersten Tag sehr stressig sein kann..." Nicht bloß am ersten Tag, fügte sie gedanklich hinzu, Mr. Fowler ist immer anstrengend. Sie nahm an, dass Robin verstand, was sie meinte, und dem war auch so. „Ich werd ihm gleich sagen, dass er seine Ungeduld heute etwas kontrollieren soll", entgegnete er, ebenfalls leise sprechend, während er in Richtung des betreffenden Kollegens blickte, der an seinem Lieblingsplatz in der rechten hinteren Ecke des Raumes stand und die Leute mit einem Blick beobachtete, der deutlich zeigte, dass er sich für eine Art Chef aller anwesenden Mitarbeiter hielt. Diese Annahme, die nicht wahr sondern bloß eine Form von Selbstüberschätzung war, ging zum Teil wohl darauf zurück, dass Fowler am längsten von allen Mitarbeitern hier in der Bar arbeitete, was er auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonte. Zum anderen lag dieses Denken jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit schlicht in seinem Charakter begründet. Mr. Fowler war das Gegenteil von dem, was man als einen angenehmen Menschen bezeichnen würde, da waren sich alle, die ihn kannten, einig. Seine schroffe Art hätte in Kombination mit seinem fortgeschrittener Alter vielleicht liebenswert oder charmant wirken können, aber seine Arroganz und der Hang dazu, sich in jede Situation ungefragt einzumischen und seine Meinung beizutragen machten ihn einfach bloß anstrengend. Dass er der Ansicht war, für ihn würden andere Regeln gelten als für alle anderen, war bloß noch die Spitze des Eisbergs. Lola war kein unsicherer oder sonderlich emotionaler Mensch, sie hatte kein Problem damit, Fowler Kontra zu geben wenn sie es als angemessen empfand. Dennoch fühlte sie jedes mal mit, wenn ein Mitarbeiter nach einem Gespräch mit Fowler den Tränen nah oder anderweitig aufgebracht war. Nun beobachtete Lola, wie Robin zu dem älteren Mann ging und mit ihm sprach. Das würde mit Sicherheit helfen - selbst Fowler hatte schnell begriffen, dass man Robins Anweisungen, trotz dessen jungen Alters und seiner schmalen, eher kleinen Statur Folge leisten sollte, wenn man kein Interesse daran hatte Probleme zu bekommen. Allerdings machte es manchmal den Eindruck, als wäre seine Boshaftigkeit für Fowler ein Zwang. Als würde es ihm körperliche Schmerzen bereiten, sie nicht regelmäßig an anderen auslassen zu können, als wäre er eine außerirdische Kreatur die sich von den aufgebrachten und verletzten Reaktionen seiner Mitmenschen ernährte. Den ein oder anderen genervten Kommentar würde er sich gegenüber jemandem, der neu war und dementsprechend nicht so schnell und sicher arbeitete, wie es aus Fowlers Sicht nötig war, mit Sicherheit nicht verkneifen können. Als sie sich wieder umdrehte, um mit dem fortzufahren, was sie getan hatte bevor Robin zu ihr gekommen war, fiel ihr Blick auf die Gestalt, die im Türrahmen des Personaleingangs stand und sich unsicher in der Bar umblickte. Der Mann wirkte ängstlich und angespannt, ein wenig so, als denke er darüber nach, sofort wieder von hier zu verschwinden. Das, sowie die Tatsache, dass sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, ließ Lola zu der für sie logischen Schlussfolgerung kommen, dass es sich hier um den von Robin erwähnten neuen Mitarbeiter handelte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht stellte sie das Glas, das sie zuvor abgetrocknet hatte, auf dem Tresen ab, ging um diesen herum und auf den Fremden zu. Robin war hinter ihr noch immer mit Fowler beschäftigt, offenbar wollte er wirklich sichergehen, dass dieser seine Launen heute unter Kontrolle hielt. "Hey", sagte sie in ihrem gewohnt freundlichen Tonfall. "Du bist neu hier, oder? Ich bin Lola." Aus einem Impuls heraus verzichtete sie darauf, zur Begrüßung ihre Hand auszustrecken, und als sie sah, wie der Mann sie erschrocken ansah und einen kleinen Schritt zurückwich wusste sie, dass das eine gute Entscheidung gewesen war. "Hallo." Er gab sich sichtlich Mühe, ruhig zu wirken, wenn auch ohne großen Erfolg. Lola hatte jedoch nicht vor, ihn das merken zu lassen. "Und du bist...?", fragte sie, vor allem, um ihm ein wenig dabei zu helfen, die Konversation aufrecht zu halten; offensichtlich war er reichlich überfordert mit dieser für ihn neuen Situation. Kurz blickte er sie ein wenig verwirrt an, dann gelang es ihm tatsächlich, leicht zu lächeln. "Oh... Entschuldigung. Ich heiße Jonny..." Er verstummte, schien wieder nicht zu wissen, was er sagen sollte; die Finger seiner rechten Hand krallten sich so stark in sein linkes Handgelenk, dass tiefe, halbmondförmige Abdrücke zurückblieben, als er es wieder losließ. „Mr. Curtis hat mir gesagt, dass heute jemand Neues kommt“, fuhr Lola fort, ergänzte dann, als sie Jonnys fragenden Blick bemerkte: „...Robin. Er hat mich gebeten, dir alles zu zeigen, was hinter dem Tresen so gemacht werden muss. Hast du schon mal in so einem Bereich gearbeitet?“ „Nein...“ Jonny schüttelte den Kopf, sein Lächeln verblasste. Schnell fügte Lola hinzu: „Das ist kein Problem. Hatte ich, bevor ich hier angefangen habe, auch nicht, und ich hab trotzdem alles schnell gelernt. Es ist nicht so schwierig wie es anfangs wirkt, keine Sorge.“ Jonny wirkte nicht wirklich überzeugt, aber falls er darauf noch etwas hatte erwidern wollen wurde er von Robin davon abgehalten, der sein Gespräch mit Fowler beendet hatte und nun zu ihnen kam. Fowler wiederum blickte ihm nach, mit einem Gesichtsausdruck, der verriet, dass ihm das, was er zu hören bekommen hatte, missfiel, aber sagen tat er nichts mehr. Der Blick, den er Jonny zuwarf, den er zweifellos ebenfalls sofort aus den Neuen identifizierte, drückte alles andere als Sympathie aus. "Ach, ihr habt euch schon kennengelernt", stellte Robin fest, und Lola und Jonny nickten beinahe synchron. Kurz überlegte Lola, ob er ihn auf Fowler ansprechen und Jonny damit auf die Eigenheiten seines zukünftigen Kollegen aufmerksam machen wollte, und entschied sich letztlich dafür. Mochte sein, dass die Aussicht, für den kleinsten Fehler, der objektiv noch nicht einmal einer sein musste, Jonny noch weiter verunsichern würde, aber das war vermutlich immer noch besser, als vollkommen unvermutet mit diesen Launen konfrontiert zu werden. Also fragte sie mit gesenkter Stimme: „Und, was hat Mr. Fowler gesagt? Hält er seine bissigen Kommentare fürs Erste zurück?“ Sie bemerkte ein Flackern in Robins Blick, beinahe ein Anflug von Ärger. Als wäre es ihm gar nicht recht, dass sie dieses Thema angesprochen hatte. Lola musste zugeben, dass sie diese Reaktion ein wenig überraschte. Sie mochte Robin, fand ihn durchaus sympathisch und hatte in den letzten drei Jahren auch sehr wohl mitbekommen, dass er nicht so gleichgültig und distanziert war, wie es auf den ersten Blick den Anschein machte. Doch dafür, sich übermäßig Gedanken über das individuelle Wohlbefinden seiner Mitarbeiter zu machen, war er nun nicht gerade bekannt. "Wird er", antwortete er schließlich. Setzte dann ein leichtes Lächeln auf und fügte, an Jonny gewandt, hinzu: "Wie gesagt, mach dir keine Gedanken. Das klappt schon alles, und Lola wird dir ja alles zeigen." Bestätigend nickte Lola. Mittlerweile hatte sie die Vermutung, dass die beiden sich womöglich schon länger kannten, und Robin deshalb mehr auf Jonny einging, als er es für gewöhnlich bei neuen Mitarbeitern tat. Andererseits - sah man sich Jonny an, der Robin einen scheuen Blick zuwarf während dieser redete und der sich sichtlich Mühe gab, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen, wurde dieser Verdacht nicht gerade bestätigt. Unwillkürlich musste Lola an Mr. Mitten denken, den Kater, den sie als Kind gehabt hatte, den ihr Vater im tiefsten Winter fast erfroren und mit tiefen Wunden übersät auf der Straße gefunden hatte. Sie hatten nie herausgefunden, wem das Tier vorher gehört hatte, aber die Tierärztin, zu der sie den halb toten Kater gebracht hatten, hatte gesagt, dass die Wunden ihm mit ziemlicher Sicherheit mit Absicht zugefügt worden waren. Lola hatte Mr. Mitten geliebt, aber der Kater hatte sich in den zehn Jahren, in denen er bei ihrer Familie gelebt hatte, insgesamt bloß vier oder fünf Mal streicheln lassen und sich sonst die meiste Zeit über unter Möbeln und auf Schränken versteckt. Das, was ihm angetan worden war, hatte es ihm unmöglich gemacht, Vertrauen zu Menschen zu fassen, er schien immer darauf gefasst gewesen zu sein, dass man ihm erneut Schmerzen zufügen würde, war immer angespannt gewesen und bereit zur Flucht - und genau diesen Eindruck machte auch Jonny auf Lola. Angespannt und bereit, zu fliehen, sobald er fürchtete, dass jemand ihn verletzen könnte. „Komm mit“, forderte sie ihn auf und wandte sich wieder in Richtung Tresen. „Ich such dir passende Arbeitsklamotten raus und zeig dir, wo du dich umziehen und deine Sachen lassen kannst. Wenn du dann soweit bist kommt der Rest, aber immer mit der Ruhe.“ Jonny nickte, folgte ihr, wobei er zuvor noch einen kurzen Blick zu Robin warf, als müsse der ihm noch einmal versichern, dass Lola nicht vorhatte ihn in einer dunklen Ecke mit einer Axt zu ermorden. Robins ermutigendes Nicken schien ihm zumindest vorerst Bestätigung genug zu sein. Ich kann mich nicht erinnern, Robin schon mal so fürsorglich gesehen zu haben, dachte Lola, während sie nach hinten durch den Flur an der Küche vorbei und in den schmalen Nebengang ging, von dem wiederum die Umkleidekabinen abgingen. Es war nicht so, dass Robin sich ihr gegenüber jemals unfreundlich verhalten hatte. Aber gerade zu Anfang hatte sie eben doch gemerkt, dass er nicht sonderlich viel Interesse daran hatte, mit ihr oder anderen Angehörigen auf einer tieferen als der geschäftlichen Ebene zu interagieren, oder sich großartig mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Er war immer schon in der Lage gewesen, Probleme zu lösen - wie er es vorhin bei Fowler getan hatte - und sich durchzusetzen, und man konnte ihm auch sagen, wenn es einem schlecht ging und man eine Pause brauchte. Er war nicht unbedingt unsensibel, aber eben zumeist eher gleichgültig und, von seinem Hang zur Impulsivität abgesehen, sachlich. Und nun stellte Lola, als sie sich noch einmal umdrehte, um zu überprüfen, ob sie das Glas, das sie zuletzt hatte abwaschen wollen auf dem Tresen stehenlassen hatte, fest, dass Robin ihnen nachsah, mit einem Blick, in dem selbst aus dieser Entfernung eine gewisse Besorgnis zu erkennen war. Ob sie sich nun bereits länger kannten oder nicht - für Jonny empfand Robin eindeutig mehr als seine gewöhnliche kühle Professionalität. Ein Lächeln erschien auf Lolas Gesicht, als sie feststellte, dass sie das irgendwie sehr für ihn freute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)