Besser, ihr rennt! - Old version von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 10: 1 -10 ----------------- Was sollte er tun? Allein, dass er über diese Frage nachdachte, das wusste Jonny, war bereits eine Art von Zugeständnis. Als er gemeinsam mit Robin betreten hatte, war er noch fest davon überzeugt gewesen, dass es wirklich bloß um diesen einen Abend ging, darum, raus aus dem Regen ins Warme zu kommen – nicht einmal mit der Mahlzeit, die er bekommen hatte, hatte er gerechnet. Und nun saß er hier, seit über einer Stunde. Hörte zu, was Robin ihm erzählte; dieser Typ, der wirkte, als hätte er sich niemals wirklich in Schwierigkeiten befunden, der elegante Kleidung trug, die schwarzen Haare ordentlich frisiert, und offensichtlich kein Problem damit hatte, nachts auf der Straße fremde Menschen anzuquatschen, als wäre das etwas vollkommen Normales und nicht etwa etwas, was, grade in dieser Gegend, potenziell tödlich enden konnte. Und eben dieser Typ, der nicht bloß offen, sondern geradezu naiv wirkte, berichtete davon, dass er ebenfalls einmal keine feste Wohnung und sein Leben alles andere als im Griff gehabt hatte? Das passte irgendwie nicht recht zusammen. Und dennoch… auch, wenn das Bild, das sich ergab, seltsam wirkte – Jonny glaubte ihm. Robin wirkte nicht, als würde er lügen. Um genau zu sein wirkte er nicht einmal, als könnte er überhaupt lügen, so zugewandt und vertrauenswürdig, wie er rüberkam... Aber das war natürlich Unsinn. Jeder Mensch log, ob man es ihm nun auf den ersten Blick ansah oder nicht. Doch nicht jetzt. Nicht in dieser Angelegenheit. Aus irgendeinem Grund war Jonny sich da vollkommen sicher. „Oh, du bist dir sicher; das ist ja großartig!“ Wieder die Stimme. Sie klang aufgebrachter als zuvor, eindringlicher, und kurz hatte Jonny das Bedürfnis, sie laut anzuschreien und ihr zu sagen, dass sie verdammt nochmal still sein sollte. Das tat er nicht, natürlich nicht. Was das für einen Eindruck auf Robin, und wahrscheinlich auch die anderen Besucher der Bar, deren Anwesenheit er zwischendurch so gut es eben ging ausgeblendet hatte, machen würde, konnte er sich vorstellen. Also beschloss er, die Stimme zu ignorieren. Betrachtete seine Hände, die er noch immer um seine Kakaotasse gelegt hatte – zwar war ihm mittlerweile nicht mehr kalt, doch die Wärme, die die heiße Schokolade noch immer abgab, fühlte sich dennoch sehr angenehm an – und überlegte. Dieses Angebot, diese Vorstellung, einen festen Ort zu haben an dem er wohnen konnte, zumindest übergangsweise, war in der Tat verlockend… und doch eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Wo war der Harken? Es musste doch einen geben, solche Dinge passierten nicht einfach, schon gar nicht ihm. Die Stimme hatte recht; er sollte aus seinen Fehlern gelernt haben. Es gab nichts geschenkt, und wenn man am Anfang den Eindruck bekam, dass dem so wäre, dann war der Preis, den man am Ende zahlen musste, dafür umso höher. Ein weiteres Mal hätte Jonny am liebsten geschrien. Es war alles so verwirrend, schien unmöglich zu sein, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen, sich sicher zu sein, was das Richtige war… gab es das überhaupt, ‚das Richtige‘? Sofort meldete sich die Stimme wieder. „Natürlich gibt es das! Das Richtige wäre es, nicht zweimal auf die gleiche Masche reinzufallen! Nicht ernsthaft so naiv zu sein, zu glauben, dass einfach plötzlich alles gut wird!“ Aber das dachte er doch gar nicht. Er war nicht der Meinung, dass Robins Angebot anzunehmen automatisch die Lösung all seiner Probleme bedeuten würde. Er war nicht naiv, auch wenn die Stimme das behauptete, und eigentlich wusste auch sie das, wusste, wie misstrauisch er war, wie vorsichtig, wie sehr er Leute auf Distanz hielt. Und dennoch dachte er gerade ernsthaft über all das nach. Natürlich war da die Chance, dass sich alles wiederholen würde, dass er ein weiteres Mal jemandem vertraute, der bloß am Anfang nett zu ihm war, und ihn mit der Zeit immer mehr ausnutzte, manipulierte, verletzte. Vielleicht war diese Chance nicht einmal gering, er wusste es nicht. Aber andererseits: Was war seine Alternative? Er konnte wieder nach draußen gehen, in den Regen, in die Kälte. Mit etwas Glück würde er einen halbwegs trockenen Platz finden, an dem er seine Ruhe hatte und wo es nicht bereits von anderen Obdachlosen wimmelte – darauf konnte er sich allerdings nicht verlassen. Er würde morgen im besten Fall leicht frierend, im schlimmsten Fall durchnässt und vor Kälte zitternd aufwachen (oder tot, doch diesen Gedanken versuchte er, zu verdrängen), und dann würde alles wieder von vorne losgehen; die Suche nach Essen, nach einem ruhigen Ort, die furchtbare Überwindung, Leute anzusprechen, wenn er wieder einmal dringend Geld brauchte. Die ewige Angespanntheit, die Wachsamkeit. Die Angst davor, einmal nicht genug aufzupassen, sich nicht verteidigen zu können, wenn es plötzlich nötig war. Die Hoffnung, einen geschützten Platz zum Schlafen zu finden, was wohl mit jedem Tag schwerer würden dürfte, jetzt, wo der Winter sich näherte. Inwiefern sollte das besser oder weniger riskant sein als das Annehmen eines Angebotes, bei dem er nicht einmal wusste, ob es wirklich etwas Negatives mit sich bringen würde? War das nicht ein Wagnis, das man eingehen konnte, wenn man sich die Alternative vor Augen hielt? Darauf schien die Stimme keine Antwort zu haben, denn zu Jonnys Überraschung schwieg sie. Er konnte sich gut vorstellen, dass es ihr nicht passte, ihm zuzustimmen, dass ihr aber die Gegenargumente ausgegangen waren, zumindest für den Moment. Immerhin war es nicht so, dass sie von Grund auf bösartig war, auch, wenn man das bei ihrer gehässigen Art durchaus denken konnte. Doch am Ende wollte sie auch bloß das Beste für ihn, und dass er auf der Straße lebte war ebenfalls nichts, womit sie wirklich glücklich war. Auch, wenn man es manchmal leicht vergessen konnte: Dieses Ding, das sich vor einiger Zeit in seiner Psyche eingenistet hatte und seitdem eigentlich durchgängig bei ihm gewesen war, wollte ihn einfach bloß beschützen. Mit nun ein wenig klareren Gedanken hob Jonny den Blick und sah in Robins Richtung. Er hatte keine Ahnung, wie lange er so dagesessen hatte und in seinen Überlegungen versunken gewesen war; es kam ihm vor, als wäre es reichlich lange gewesen. Dennoch hatte Robin die ganze Zeit über schweigend dagesessen, hatte nichts getan, um seine Gedanken zu unterbrechen, ihn gar unter Druck zu setzen, ihm endlich eine Antwort zu geben. Das war ein gutes Zeichen. Oder? Jonny nahm noch einen Schluck Kakao, während er gedanklich ordnete, was er sagen wollte. Er konnte das alles noch ewig zerdenken, doch wenn er ehrlich war, dann hatte er seine Entscheidung bereits getroffen. Die Aussicht, weiterzumachen wie bisher, erschien ihm in diesem Augenblick unerträglich; ein Gefühl, das ihn in den letzten Wochen immer wieder mal überkommen hatte, das er jedoch stets versucht hatte, zu ignorieren… Einhergehend mit der Gewissheit, dass er das alles, dieses Leben auf der Straße, nicht mehr lange würde ertragen können. Ertragen wollte. „Okay.“ Er hatte das Wort ausgesprochen, ohne sich dessen bewusst zu sein, war noch gar nicht fertig damit, sich zurechtzulegen, was er sagen wollte. Sofort wandte Robin sich ihm zu, und kurz lag pure Überraschung in seinem Blick, als könne er nicht glauben, was er da hörte. Dann schien er sich wieder zu fangen, setzte wieder dieses leichte Lächeln auf, das irgendwie so vertrauenerweckend wirkte, und fragte mit ruhiger Stimme: „Was, okay?“ Jonny zögerte. Plötzlich war die Unsicherheit wieder präsent, die er doch gradeerst mühsam zurückgedrängt hatte, und kurz überlegte er, ob er einfach bloß den Kopf schütteln und schweigen sollte, so tun, als hätte er nichts gesagt, doch einfach weitermachen wie ursprünglich geplant… Aber nein. Das wäre feige gewesen. Feige, und unvernünftig. Und verdammt, er wollte nicht so weitermachen, wie er vorhin noch gedacht hatte! Außerdem hatte er bereits begonnen, zu reden, ein Anfang war gemacht, und so gab er sich erneut Mühe, seine Nervosität zu ignorieren, seine Gedanken nicht wieder allzu wirr werden zu lassen und sprach, mit zu seiner Verärgerung ein wenig zittriger Stimme, weiter: „Okay, we-wenn du… das alles wirklich e-ernst meinst, was du ge-gesagt hast…“ Wieder dieses Stottern, wieder diese Wut auf sich selbst, die es in ihm auslöste. „U-und dir wirklich klar ist, dass… ich dir nichts dafür geben kann, da-dass du mir hilfst… dann… nehme ich das Angebot an.“ Es war nicht leicht gewesen, diese Worte auszusprechen. Auf einmal war da diese Vorstellung, diese Angst, die Jonny überkam, dass Robin ihn anstarren und dann in Gelächter ausbrechen würde. Ihn fragen würde, ob er wirklich geglaubt hatte, dass das ernstgemeint gewesen wäre, ob er wirklich so dumm sei, ob man ihm eigentlich alles erzählen könnte; und dass er ihn danach auffordern würde, auf der Stelle zu verschwinden, bevor er von ihm auch noch etwas für das Essen und den Kakao verlangen würde. Aber Robin tat nichts davon. Stattdessen wurde das Lächeln auf seinem Gesicht breiter, er beugte sich etwas vor, und in seinen Augen war ein Ausdruck zu erkennen, den Jonny für ehrliche Freude hielt. „Das… freut mich!“, sagte er, und auch er schien in diesem Moment nicht wirklich zu wissen, wie er seine Gedanken formulieren sollte. Jonny lächelte nun ebenfalls leicht. Robins Reaktion war erleichternd, auch, wenn er die Horrorvorstellung von eben dieser, die ihn spontan überkommen hatte, nicht wirklich für realistisch gehalten hatte. Bisher hatte Robin den ganzen Abend über noch nicht so gewirkt, als würde er irgendetwas von dem, was er sagte, nicht ernst meinen. Dennoch kehrte erst einmal wieder Stille ein. Alles wirkte seltsam, und dennoch gleichzeitig entspannt, auch wenn Jonny immer noch nicht wirklich wusste, wie genau das Ganze nun weiter ablaufen sollte, und Robin schien es da ähnlich zu gehen. Doch bevor einer von ihnen das Gespräch erneut aufgreifen konnte, stand plötzlich Sapphire wieder neben ihrem Tisch. In ihrer Hand hielt sie einen Stoffbeutel, und der Blick, den sie Jonny zuwarf, war so freundlich, wie er es vor ihrem Weggang gewesen war. „Schön, dass du noch da bist!“, meinte sie, während sie sich an Robin vorbeischob und sich auf ihren Platz setzte. Gleich darauf schob sie den Beutel über den Tisch zu Jonny hinüber. „Ich hab dir ein paar Klamotten rausgesucht, die dir passen sollten. Du solltest wirklich nicht so lange in diesen klitschnassen Sachen rumlaufen, das ist ungesund!“ Perplex nahm Jonny die Tasche an sich und warf einen Blick hinein. Je länger er hier saß, und je mehr Dinge passierte, desto weniger fühlte er sich in der Lage, all diese Freundlichkeit, diese Hilfsbereitschaft zu verarbeiten. Während er den Inhalt des Beutels inspizierte – ein dunkles Sweatshirt, eine graue Hose, sogar Socken und eine Boxershorts waren darin zu finden, wobei er sich fragte, wo Sapphire all diese Sachen so schnell aufgetrieben hatte – hörte er Robin an Sapphire gewandt sagen: „Jonny und ich haben uns etwas unterhalten. Ich habe ihm angeboten, dass er erst mal eine Weile hierbleiben kann, damit er nicht weiter draußen schlafen muss… nebenan ist doch noch was frei, oder?“ Der Tonfall, in dem Robin sprach, klang derart banal, als redete er über das Wetter. Augenblicklich spürte Jonny Nervosität in sich aufsteigen – Robin mochte ihm vielleicht ein nett gemeintes Angebot gemacht haben, doch was war, wenn Sapphire damit überhaupt nicht einverstanden war? Wenn sie nicht dazu bereit war, einem dahergelaufenen Stadtstreicher eine ihrer Wohnungen zu überlassen, was durchaus verständlich gewesen wäre, wenn sie darauf bestand, dass er so schnell wie möglich aus ihrer Bar verschwand? Wenn das bisschen Hoffnung, das Jonny sich so mühsam erlaubt hatte, zu empfinden, sofort wieder enttäuscht werden würde? Angespannt starrte er die Tischplatte an, während er auf Sapphires Reaktion wartete. Die Zeit, die bis dahin verstrich, fühlte sich quälend lang an, zog sich zäh wie Honig, und als Sapphire schließlich zu sprechen begann, zuckte Jonny unwillkürlich zusammen. „Oh, ja sicher. Wenn ich mich nicht täusche, stehen gerade vier oder fünf Wohnungen leer…“ Ihre Stimme klang nicht einmal wirklich überrascht. Als hätte sie bereits damit gerechnet, dass Robin ihm ein solches Angebot machen würde… Grade war Jonny im Begriff, sich wieder ein wenig zu beruhigen, als Sapphire noch etwas sagte, was dafür sorgte, dass er sich erneut anspannte, allein schon aus dem Grund, dass sie plötzlich mit ihm sprach. „Und was genau hast du dann vor? Versteh mich nicht falsch. Ich weiß, dass es ein guter Anfang ist, einen festen Ort zu haben, an dem man wohnt. Aber hast du irgendeinen Plan, was du dann tun willst…“ „…Äh…“ Überfordert warf Jonny einen Blick zu Robin, als ob der ihm irgendwie helfen könnte. Spannte sich noch mehr an, krallte seine Hände in die Tischplatte, spürte, wie sein Herz begann, schneller zu schlagen. „I-ich weiß nicht genau…“ Die Frage hatte ihn kalt erwischt. Er hatte sich schon so oft gefragt, was eigentlich sein Plan war, und nie hatte er eine Antwort darauf gefunden. Er hatte keinen Plan. Hatte nie einen gehabt, und schien grundsätzlich unfähig zu sein, einen zu entwickeln. Was also half es ihm, wenn er wieder einmal kurzzeitig eine feste Unterkunft besaß, wenn er doch weiterhin keine Ahnung hatte, was er mit seinem Leben anfangen sollte? Er merkte selbst, wie er dabei war, wieder panisch zu werden. Diese Gedanken waren lähmend, ließen ihn innerlich verzweifeln, ihn zu erdrücken. Und dann war da wieder Sapphires Stimme, freundlich wie zuvor, kein bisschen abwertend, trotz seines Zugeständnisses, keinerlei Ahnung zu haben wie er die ihm angebotene Hilfe wirklich nutzen wollte: „Kein Grund, nervös zu werden! Man kann ja nicht an alles auf einmal denken. Dir wird sicher noch was einfallen, wenn du erst mal ein bisschen zur Ruhe gekommen bist. Aber bis dahin könnte ich dir zumindest eine Möglichkeit anbieten, um ein wenig Geld zu verdienen.“ Drogen, schoss es Jonny unwillkürlich durch den Kopf, kaum, dass Sapphire die Worte ausgesprochen hatte. Sie will, dass ich für sie Drogen verkaufe, oder irgendwas anderes in dieser Richtung…es ist wirklich genau wie damals, verdammt, ich hätte es mir denken können… Die verdammte Panik wurde immer schlimmer, machte rationales Denken schwieriger und schwieriger. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn andauernd überwältigte, ihn stets das Schlimmste befürchten ließ, auch wenn es dafür keinen wirklich vernünftigen Grund gab! Bemüht, zumindest äußerlich ruhig zu wirken, sah Jonny Sapphire an, bemühte sich, zu lächeln, was ihm jedoch nicht wirklich gelang. „W-was…wäre das für eine Möglichkeit?“ Gut so. Fragen stellen. Sich vergewissern, was Sache war, und sich nicht in irgendwelchen Spekulationen verrennen. Die Antwort, die er erhielt, ließ seine Panik auf der Stelle ein wenig zurückweichen. „Du könntest hier in der Bar arbeiten. Das tun viele, die hier wohnen, zumindest zeitweise. Man wird nicht reich damit, aber es wäre zumindest etwas.“ Kurz hatte Jonny das Bedürfnis, erleichtert aufzuatmen. Ein Job in einer Bar war definitiv etwas anderes als ein Drogenkurier oder dergleichen; wirkte wirklich seriös, würde ihm womöglich wirklich ein Gefühl von Kontrolle verleihen. Aber trotzdem… „Sowas…hab ich noch nie gemacht“, erwiderte er zögerlich, wobei er sich zwang, Sapphire weiterhin anzublicken. „Ich hab keine Ahnung, w-wie sowas geht… und…u-und ich kann auch nicht sonderlich gut mit Menschen…“ „Oh, das macht nichts.“ Sapphire winkte ab, schien überhaupt nichts an Jonnys Aussage bedenklich zu finden. „Das kann dir jemand zeigen, wie das alles geht. Und wenn es dir wirklich so schwer fällt, mit Menschen zu reden, dann kannst du auch größtenteils hinter dem Tresen arbeiten, das ist dann vielleicht leichter, als wenn du durch den Laden laufen musst. Es wäre ja auch bloß eine Übergangslösung.“ Ein weiteres Mal an diesem Abend fühlte Jonny sich überrumpelt. Was passierte hier? Was war auf einmal los? Was Sapphire da erzählte klang nicht schlecht. Es klang sogar wirklich ziemlich gut. Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, was ihn erwartete, wenn er diesen Job annahm, aber irgendwie würde er das schon hinbekommen… und wählerisch zu sein konnte er sich in seiner Situation wohl nicht wirklich leisten. Zögerlich ließ er seinen Blick durch die Bar schweifen, über die Tische, von denen nun bloß noch wenige besetzt waren, die Leute, die sich in ihrer Kleidung kaum wirklich von ihm unterschieden, und von denen Sapphire und Robin sich definitiv mehr abhoben als Jonny. Seine Gedanken waren wieder einmal wirr, doch da gab es vier Worte, die sich aus dem Chaos, das in seinem Kopf herrschte, herauskristallisierte, und die er schließlich, mit noch immer leicht zitternder Stimme, herausbrachte: „Okay. Dann… vielen Dank.“ Er sah, wie Robin und Sapphire einen irgendwie zufriedenen Blick tauschten. Wieder so eine Sache, die ihn irritierte; war es für die Beiden wirklich etwas Positives, dass er diesem Angebot zugestimmt hatte? Konnte es ihnen im Grunde nicht egal sein, was er tat? Aber er kam ohnehin schon seit langem nicht mehr wirklich hinterher, was hier eigentlich passierte, und warum, und all das zerdenken erschien im mittlerweile einfach nur noch anstrengend. Er merkte auch immer mehr, wie erschöpft er eigentlich war, und der Gedanke, diese Nacht statt auf dem harten Boden in der Kälte in einem richtigen Bett verbringen zu können, erschien ihn mit jeder verstreichenden Sekunde verlockender. Vielleicht war ihm diese Erschöpfung anzusehen, vielleicht ging es Sapphire auch einfach ähnlich. Zumindest wandte sie sich wieder zu Jonny, weiterhin mit ihrem freundlichen Lächeln. „Die Details können wir ja morgen besprechen. Komm einfach am Nachmittag in die Bar… spätestens gegen 17 Uhr, würde ich sagen. Ich werde jemanden beauftragen, dir alles zu erklären.“ Sie erhob sich, und Robin rückte etwas näher an den Tisch heran, um sie vorbeizulassen. „Ich gehe den Schlüssel für eine der freien Wohnungen holen. …Und noch ein paar Klamotten, die du zum Schlafen anziehen kannst. Du kannst in Ruhe deinen Kakao austrinken, und dann zeigt Robin dir, wo du hin musst. Wie gesagt – über alles Weitere reden wir morgen!“ Jonny hätte sich gerne auf eine Weise bei ihr bedankt, die den Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, gerecht wurden, doch alles, was er herauszubringen vermochte, war ein weiteres, simples „Danke“. Er sah Sapphire nach, wie sie durch die Bar schritt und dann durch eine Tür hinter dem Tresen verschwand, wandte sich dann wieder zu Robin, der sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und auf seinem Handy herumtippte. Als er bemerkte, dass Jonny ihn beobachtete, legte er das Gerät zur Seite und sah ihn, noch immer lächelnd, an. Dieses Mal gelang es Jonny, zumindest leicht zurückzulächeln. Das alles war verrückt. Kam ihm vor wie ein Traum, so unrealistisch und unwahrscheinlich. Viel zu gut, um wahr zu sein. Aber trotzdem…es passierte. Er schlief nicht, da war er sich ganz sicher, und ebenso sicher war er sich, dass er in letzter Zeit nichts konsumiert hatte, das derartige Sinnestäuschungen auslösen könnte. Das alles passierte wirklich. Es war real, und so sehr es ihn auch verwirrte, verunsicherte, ihn skeptisch hinterfragen ließ ob das alles wirklich so vollkommen positiv sein konnte… in diesem Moment war er sich vollkommen sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)