Nährendes Nachbeben von Varlet ================================================================================ Kapitel 12: Drohung ------------------- Als Shuichi nach dem ausführlichen Gespräch mit Ryan Jackson wieder in seinem Wagen saß, ließ er seinen Emotionen freien Lauf. Wütend schlug er mit den Händen gegen das Lenkrad und stieß einen Schrei aus. In dem Büro hatte er sich zusammen gerissen und blieb sowohl ruhig als auch verständnisvoll. In Wahrheit aber hätte er ihm liebend gerne den Hals umgedreht. Shuichi verstand nicht, wieso sich Ryan Jackson für das Aufgeben entschieden hatte. Er war FBI Agent, hatte Jodies Wunden gesehen und geriet dann unter den Verdacht der Korruption. Hätte er versucht seine Unschuld zu beweisen und weitere Ermittlungen gegen Starling angestellt, wäre Jodie ein weiteres Leben mit dieser Qual erspart geblieben. Der Mann hatte zwar auf seine natürlichen Instinkte gehört, aber gerade von einem FBI Agenten wurde etwas anderes erwartet. Nach dem harten Training in Quantico und mit der entsprechenden Erfahrung hätte er einen anderen Weg einschlagen können. Aber Jackson gab einfach auf und setzte seine Hoffnungen darauf, dass sich Starling eines Tages änderte und wieder zu sich selbst fand. Aber das Gegenteil war der Fall – er machte weiter wie bisher. Langsam fügten sich die einzelnen Puzzleteile weiter zusammen und Shuichi erkannte das ganze Bild. Leider brauchte er aber Beweise und nicht nur Indizien oder eine Aussage, die er nicht verwenden durfte. Es war nahezu als hätte Agent Starling alles von Anfang an geplant, als hätte er gewusst, dass man früher oder später auch Jackson befragen würde. Es ein wirklich geschickter Schachzug, den der Agent getätigt hatte. Und nun musste Shuichi überlegen, was er machen konnte, um Jodie vor ihrem Vater zu retten. Aber was? Was war die Lösung? Er konnte weder sie noch ihren Vater zu einem Geständnis zwingen. Doch welche Möglichkeiten blieben dann noch? Das gesamte Wochenende hatte sich Shuichi Gedanken über Jodie gemacht. Er hatte die einzelnen Hinweise auf ihr schlimmes Schicksal auf unterschiedlichen Zetteln notiert und diese an seine Pinnwand gehängt. Wieder und wieder hatte er jede einzelne Notiz angestarrt und versucht seine nächsten Schritte zu evaluieren. Allerdings kam er nicht wirklich weiter und wusste nicht, wie er ihr helfen konnte. Selbstverständlich hätte er ihr auch auf dem Campus auflauern oder sie auf ihrem Heimweg abfangen können, aber höchstwahrscheinlich hatte Starling auch dafür entsprechende Maßnahmen parat. Da sich der Agent aber nicht in die Karten schauen ließ, wusste Akai nicht, was ihn erwarten würde. Eine weitere Korruption würde das FBI sicher nicht so einfach vertuschen können oder wollen. Und es wäre auffällig, dass es wieder einen Partner von Starling betraf. Shuichi wusste aber, dass bekannt war, dass er einmal mit Jodie ausgegangen war. Solche Informationen verbreiteten sich im Büro schnell – der Buschfunk funktionierte einwandfrei. Daher musste er vorsichtig sein. Würde er sie ohne einen Plan aufsuchen, könnte man die Beweise entsprechend fälschen und ihm Stalking unterschieben. Aber Akai würde nicht die gleichen Fehler machen wie Jackson. Er würde nicht einfach aufgeben oder sich einschüchtern lassen. Doch zum jetzigen Zeitpunkt gab es nur eines was er tun konnte: Starling in Sicherheit wiegen und heimlich nach Beweisen suchen, die auch stichfest waren und den Agenten in die Enge treiben würden. Und trotzdem hatte er nicht vor gehabt seinen Partner der Polizei auszuliefern. Stattdessen brauchte er nur genug Informationen, damit er Starling zum Umdenken bewegen konnte. Oder zumindest zu einer Therapie. Shuichi betrat das gemeinsame Büro und sah zu seinem Partner. „Guten Morgen“, grüßte er und setzte sich an seinen Schreibtisch. Der Agent fuhr den Computer hoch und tippte anschließend sein Passwort ein. „Morgen“, antwortete Agent Starling. „Wie war Ihr Wochenende?“ Noch immer war es für Shuichi merkwürdig, dass sein Partner so viele Sätze mit ihm wechselte. „Ganz gut. Und Ihres?“, wollte er wissen und rief das E-Mail-Programm auf. „Alles wie immer“, entgegnete Starling. „Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ich habe heute nicht so früh mit Ihnen gerechnet.“ In diesem Moment ging die Tür auf und Jodie kam hinein. „Dad, irgendwas stimmt mit…“ Als sie Shuichi erblickte, verstummte sie für einen Moment. „…dem…Drucker…nicht…“ Auch Akai war über das plötzliche Wiedersehen überrascht und fühlte sich überfordert. Wie sollte er reagieren? Und welche Reaktion war angemessen, damit Starling keinen Verdacht schöpfte. „Hey…Jodie…“, brachte er heraus. „Hi…“, kam es auch von Jodie. Ihr war anzumerken, dass ihr die Situation sichtlich unangenehm war. Jodie wich einen Schritt nach hinten. Am liebsten wäre sie aus dem Raum gelaufen, aber so einfach war das alles nicht, immerhin hatte sie Shuichi abserviert und sollte sich nicht so unwohl in seiner Gegenwart fühlen. Als sie seinen Blick auf sich spürte, blickte sie zu ihrem Vater. Jodie öffnete den Mund, wusste aber nicht was sie sagen sollte. Mit einem Mal war ihr Kopf leer. „Was ist mit dem Drucker?“, wollte Agent Starling wissen. „Drucker…“, wisperte Jodie. „Der…Drucker…“, fing sie an. Sie erinnerte sich wieder, wie sie im Kopierraum stand und ihre Hausarbeit drucken wollte. „…es kommt immer…eine Fehlermeldung, wenn ich…die Dateien vom Stick…drucken will…“ „Mhm…komisch. Das sollte eigentlich nicht passieren“, entgegnete der Agent. „Ich werde nachher unseren IT-Spezialisten informieren. Dann druck ich deine Hausarbeit über unseren Drucker“, fügte er hinzu und hielt ihr die Hand hin. „Danke“, antwortete Jodie und reichte ihm den USB-Stick. Noch immer wirkte sie stark verunsichert und versuchte sich weiterhin auf ihren Vater zu konzentrieren. Sie beobachtete ihn beim Hantieren mit dem USB-Stick, ehe sie sich an den Drucker stellte und wartete. Als die ersten Seiten heraus kamen, nahm sie diese erleichtert entgegen. Sie musste nur noch ein paar Minuten durchhalten und dann konnte sie der Situation endlich entkommen. „Die andere Datei auch?“, wollte Starling wissen. „Ja, bitte…das sind die Quellen…“ Shuichi beobachtete Jodie und stand auf. „Gleich müsste auch ein Ausdruck von mir kommen.“ „Oh“, entgegnete Jodie und nahm diesen entgegen. „Das…müsste er…“ Shuichi stand neben ihr. Die plötzliche Nähe fühlte sich befremdlich an. Als der Agent ihr den Zettel abnahm, berührten sich ihre Hände. Erschrocken zog Jodie ihre Hand zurück und machte einen Schritt nach hinten. „Ich…ich muss…gehen…“, gab sie leise von sich. Akai nickte und nahm die restlichen Ausdrucke aus dem Drucker. „Vergiss die Quellenangaben nicht“, sagte er und reichte ihr die Papiere. „D…danke…“, murmelte Jodie und ging mit den Zetteln zurück zum Schreibtisch ihres Vaters. Sie zog ihre Tasche hervor und verstaute die Hausarbeit in einem Ordner. „Ich bin…dann mal die Arbeit…abgeben…“ Starling, der die Beiden beobachtet hatte, nickte. „Pass auf dich auf.“ „Mach ich“, entgegnete Jodie und ging zur Tür. Ehe sie das Büro verließ, warf sie noch einen letzten Blick auf Shuichi. Er erkannte die Traurigkeit in ihren Augen, konnte aber in jenem Moment nichts für sie tun. Er hasste sich selbst für seine Reaktion. Am liebsten wäre er ihr hinterher gelaufen und hätte sie in den Arm genommen. „Tut mir leid“, begann Agent Starling ruhig. „Wie bitte?“, wollte Akai irritiert wissen. „Ich weiß, dass das mit Ihnen und Jodie nicht so lief, wie gewünscht und hätte ich gewusst, dass Sie heute früher ins Büro kommen, hätte ich Jodie nicht mitgebracht.“ „Schon gut“, antwortete Shuichi. „Es sollte wohl nicht sein.“ „Sie finden früher oder später noch die passende Frau.“ „Wahrscheinlich“, murmelte der Agent und widmete sich wieder seinen Nachrichten. Über das Wochenende waren einige Meldungen anderer Agenten und Standorte reingekommen, aber nichts, was ihm bei seinem aktuellen Fall weiterhalf. Immer wieder drifteten seine Gedanken zu Jodie. Er dachte an ihren letzten Abend, daran wie viel Spaß sie zusammen hatten und wie sie ihn am Ende verletzte. Aber vielleicht war es auch nur, weil ihr Vater das wollte? Vielleicht litt Jodie viel mehr, als er dachte? Vielleicht wollte sie mit ihm zusammen sein? Shuichi brauchte Gewissheit und die konnte er nur von Jodie erhalten. Akai warf einen kurzen Blick auf seinen Partner. Solange Starling hier war, musste Jodie keine Angst haben. Aber wie sollte er es am besten anstellen? Akai blickte auf die Uhr. Wenn Jodie ihre Arbeit schon abgegeben hatte, bestand die Hoffnung, dass sie entweder bereits zu Hause war oder sich noch auf dem Weg befand. Shuichi sperrte den Computer und stand auf. „Bin auf dem Schießstand.“ Starling nickte. „Viel Spaß.“ „Danke“, entgegnete der Agent und ging nach draußen. Shuichi atmete tief durch und bewegte sich auf seinen Wagen zu. Er stieg ein, überprüfte ein weiteres Mal die Uhrzeit und fuhr dann los. Als er nach etwa zwanzig Minuten am Haus der Starlings ankam, parkte er seinen Wagen und stieg aus. Dieses Mal wählte er sogar einen Parkplatz in der Nähe – falls Jodie mit ihm kommen wollte, war ein kürzerer Weg von Vorteil. Der Agent schlug die Tür zu und ging zum Haus der Starlings. Er klingelte. Und wartete. Er klingelte ein weiteres Mal, aber es passierte nichts. Shuichi sah an der Fassade nach oben und versuchte einen möglichen Schatten im Inneren des Hauses ausfindig zu machen. Der Agent holte sein Handy heraus und wählte Jodies Nummer. Auch dieses Mal reagierte sie nicht. Shuichi seufzte und tippte dann eine Nachricht. Dein Vater ist noch im Büro. Ich stehe vor deiner Haustür. Lass uns bitte reden. Akai Shuichi wartete und beobachtete in der Zwischenzeit die Nachbarschaft. Als Jodie die Tür aufmachte, lächelte er, aber es verschlug ihm auch die Sprache. Jodies Gesicht war gerötet – sie hatte geweint – und ihre Schminke war an einigen Stellen verwischt, sodass er meinte eine bläuliche Stelle erblicken zu können. Und obwohl sie die Ärmel ihres Pullovers runterzog, konnte er auch dort etwas sehen. Jodie folgte seinem Blick und wandte sich dann von ihm ab. „Du solltest…nicht hier sein…“, murmelte sie leise. „Ich hab dir…doch damals gesagt, dass…ich...das mit uns nicht kann… Bitte…geh…“ „Ich geh gleich. Dein Vater ist im Büro, du hast nichts zu befürchten“, fing der Agent an. „Ich wollte die Möglichkeit nutzen, um mit dir zu reden. Jodie, ich will dir wirklich helfen, aber dafür musst du auch mit mir reden.“ Jodie wirkte weiterhin unsicher. „Shu…das ist…keine gute Idee…“, kam es von ihr. „Dann beantworte mir nur eine Frage. Das bist du mir schuldig.“ Jodie sah zaghaft zu ihm. Sie hatte vor der Frage Angst. „Was…willst du…wissen?“ „Schlägt dich dein Vater?“ Jodie öffnete ihren Mund um etwas zu sagen, verstummte dann aber. Sie sträubte sich ihm die Wahrheit zu eröffnen, aber andererseits wollte diese auch aus ihr heraus. „Jodie, bitte, du musst mir die Wahrheit sagen. Du musst dich nicht schämen und du musst keine Angst haben. Ich will dir nur helfen, du kannst mir vertrauen.“ Jodie setzte erneut zum Sprechen an, wich dann aber erschrocken nach hinten. „Jodie, was ist…?“ „Weg von meiner Tochter.“ Agent Starling stellte sich zwischen Shuichi und Jodie. „Agent Starling…“, murmelte Shuichi irritiert. Wie konnte er nur so schnell hier sein? Hatte er ihn beobachtet? Oder hatte Jodie ihren Vater informiert? Aber selbst wenn, er hätte nie in der kurzen Zeit herfahren können. „…ich habe Ihrer Tochter nur eine Frage gestellt.“ Starling beobachtete ihn. „Sie hat Ihnen doch schon einmal gesagt, dass sie nichts für Sie empfindet. Also lassen Sie meine Tochter gefälligst in Ruhe.“ Der Agent sah zu seiner Tochter. „Jodie, geh rein.“ „Jodie.“ „Agent Akai“, zischte Starling und baute sich vor Jodie auf. „Glauben Sie, ich weiß nicht, was los ist? Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?“, wollte der Ältere wissen. „Selbstverständlich habe ich bemerkt, dass Sie dieses Haus beobachtet haben.“ Shuichi verengte die Augen. Er war aufgeflogen. Aber wie viel wusste sein Partner? „Dachten Sie wirklich, ich würde es nicht durchschauen? Ich bin ein wenig länger im Dienst als Sie und weiß, wie ich meine Beobachter schnell ausfindig machen kann. Es ist wirklich sehr schade, dass Sie sich für diesen Weg entschieden haben, Agent Akai. Aber ich gebe Ihnen noch eine Chance. Lassen Sie meine Tochter in Ruhe, ansonsten wird es unschön für sie enden. Und Sie glauben doch nicht, dass das FBI einen Stalker weiter beschäftigen wird.“ Akai blickte zu Jodie. Sie sah ihn nicht an, traute sich nicht zu widersprechen oder für ihre Sache einzustehen. Stattdessen zog sie sich zurück und verschwand im inneren des Hauses. Ihr Vater hatte über sie gewonnen. Shuichi biss sich auf die Unterlippe. „Ich wollte nur mit Jodie sprechen…nach heute im Büro dachte ich, dass zwischen uns noch etwas Ungesagt blieb“, gab der Agent von sich. „Bitte entschuldigen Sie, dass es für Sie so vorkam, als würde ich Jodie belästigen oder stalken“, fügte er hinzu. Agent Starling beobachtete ihn weiter. „Dann hören Sie jetzt damit auf?“ „Ja“, log der Agent und drehte sich um. Fürs erste würde er sich zurück ziehen, aber er würde Jodie nicht im Stich lassen. Noch war er nicht so weit, dass er durch die Drohungen seines Partners einknickte. Noch nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)