In another life the sea is in the sky (Teil 1) von YoungMasterWei (Searching for the smile of the moon) ================================================================================ Kapitel 16: ------------ Es waren drei Tage vergangen, seit sie zurück zum Dorf gekommen waren und die Situation dort erklärt hatten. Wen Qing war es, die sich ohne Umschweife dazu bereit erklärt hatte, bei A-Yuan zu bleiben und Yi Ling seitdem ununterbrochen nach einer Lösung forschte. Seine Augen fühlten sich gereizt und seine Lider schwer an. Erneut stahl sich ein Gähnen hervor. Er hatte schon diverse Versuche gemacht, um erst einmal herauszufinden, was genau mit dem Wasser des Sees vor sich ging. Solange er das nicht bestimmen konnte, konnte er auch nicht nach einem Ausweg suchen. Dieser gesamte Vorfall saß wie ein lästiges Jucken unter seiner Haut, das mit jedem Tag nerviger zu werden schien. Ihn sich überspannt und unstet fühlen ließ. Yi Ling gähnte wiederholt und sein Kopf sackte darüber unbewusst nach vorn, dass es ihn rasch die Augen wieder aufreißen ließ, bevor er unsanft in seine Untersuchungsutensilien knallte. Das einzige was er bis jetzt mit Sicherheit sagen konnte war, das es ein beständig wachsendes Maß an Yin gab, das er auf die infizierten Lebensformen im See zurückverfolgen konnte. Der Sonnenbrüter versuchte das Wasser vor einer kompletten Kontaminierung zu bewahren, indem er mit seinem líng qì (spirituelles qi) unentwegt dagegen drückte. Doch auch er konnte nicht auf ewig solch eine Barriere aufrechthalten. Jeden Tag brachte man ihm befallene Fische, Krebse, Insekten und Muscheln die er untersuchte. Einige davon mit deutlichen äußerlichen Mutationen. Groteske Wesen, doch nicht verändert genug, das sie im Einzelnen größeren Schaden anrichten konnten. Doch sollten es noch mehr werden… Selbst die Pflanzen im Wasser waren infiziert. Normalerweise waren Pflanzen zu schwach, um Yin Energie zu speichern und gingen schlicht darunter ein. Es sei denn, es handelte sich um kräftige, alte Gewächse. Nicht simples Wassergras oder Blasenalgen. Was ihn dazu brachte anzunehmen, das es nicht nur mit dem wachsenden Yin zu tun hatte, was diesem See so zu schaffen machte. Was immer noch die Frage offen ließ, wie es überhaupt in das Wasser gelangt war. Yi Ling schüttelte resigniert den Kopf über diesen Gedanken. Er vernahm, wie sich die Tür seiner Hütte mit einem leisen Knarren öffnete, doch schenkte er dem keine Beachtung, war es entweder Wen Ning, der ihm etwas zu Essen brachte oder Lan Zhan, der ihn mit prüfender Wortlosigkeit bedachte, als könne er ihn damit dazu bringen, endlich etwas Brauchbares zu präsentieren. Das nächste, was er für sich wahrnahm war, das er sich bewegte, nicht von sich aus, fand er seinen Körper dazu zu unkooperativ und seinen Geist zu schwammig. Doch das alles war nicht von Belang, als er auf etwas Weichem zum Ruhen kam und augenblicklich in einen festen Schlaf abdriftete. Die Luft in seiner Hütte fühlte sich warm und stickig an, als er wieder zu sich fand und mit einem schlaftrunkenen Murren auf die Seite rollte. Er schmatzte über die unangenehme Trockenheit in seinem Mund, auf das ihn etwas leicht an der Hand berührte und ihn die Augen langsam aufschlagen ließ. Das erste was er wahrnahm war, der Becher den man ihm vorhielt und er sich über den Durst, der sich nur zu intensivieren schien, etwas unbeholfen aufsetzte, das er das Gefäß auch annehmen konnte. Es tat gut das Kratzen zu stillen, das er ein zufriedenes Brummen von sich gab. Er fühlte sich gleich etwas munterer. Zudem hatte ihn auch nicht ein einziger Albtraum geplagt, dennoch fühlte er sich etwas angeschlagen, was er wohl den ewigen Stunden seiner Nachforschung zuschreiben konnte und der Tatsache, dass darüber kaum die Möglichkeit bestand, wirklich einmal etwas herunterzufahren. Er hatte seine Hütte nicht verlassen, seit er hier her zurückgekommen war, sah er es mehr als eine unangebrachte Zeitverschwendung an. Schließlich erwartete man Ergebnisse von ihm! Da man bis jetzt nichts zu ihm gesagt hatte, war es auch nicht verwunderlich, das er Lan Zhan neben seinem Bett stehend vorfand, als er sich zur Seite wandte. Wen Ning hätte längst gefragt, ob er irgendetwas anderes benötige oder wenigstens, ob er gut geschlafen habe. Yi Ling´s Blick fiel an Lan Zhan vorbei und er sah dessen Guqin auf einem der Kang Tische stehen. Elegant und mit einer übersinnlichen Aura, wie es auch ihr Meister verkörperte. Er musste für ihn gespielt haben, was seinen ruhigen Schlaf erklären würde. Er konnte nicht anders, als leicht zu schmunzeln. „Hast du etwa die gesamte Zeit über auf mich Acht gegeben, Lan Zhan? Ich wette, du hast deine Augen nicht von mir nehmen können, während ich geschlafen habe, hm? Ich wusste, dass der große Lan xiān shī eine schamlose Seite besitzt und nur zu schüchtern ist sie zu zeigen.“ Er zwinkerte Lan Zhan keck zu, über seinen aufziehenden Nonsens. „Es wäre, wie einem schlafenden Maultier zuzusehen. Etwas das der Zeit nicht lohnt.“, ließ dieser ihn mit abgeklärter Miene wissen, dass es Yi Ling kurz die Sprache verschlug, über diesen unerwartet sarkastischen Konter. Und man es ihm auch im Gesicht ablesen musste können, konnte er schwören das, für einen unscheinbaren Moment, so etwas wie ein selbstzufriedenes Lächeln über dessen Lippen zuckte. „Lan Zhan! Seit wann bist du so spitzfindig?“, gab er mit gespielter Empörung von sich und faste sich, des Schauspiels wegen, ans Herz. „Wer ist der schlechte Einfluss, das sich selbst Lan xiān shī nicht helfen kann?“ Yi Ling grinste nun selbstherrlich breit über seine Frage. „Ich frage mich was es bedarf,  Lan Zhan einmal gänzlich die Fassung verlieren zu lassen? Und ich meine damit nicht ausschließlich durch Verärgerung.“ Yi Ling begab sich in eine sinnliche Pose, indem er sich, seitlich wie er noch lag, seinen Oberkörper auf einen Ellenbogen abstützte und ein Bein, angewinkelt, über das andere fahren ließ, sich vollends bewusst das sich seine Robe über den Schlaf genug gelockert hatte, um hier und da etwas zu viel Haut preiszugeben. Er lächelte kokett. Allerdings verschluckte er sich fast daran, als er verfolgen konnte, das sich Lan Zhan, nicht wie erwartet und gewollt, peinlich berührt abwandte, sondern ihn wahrlich eingehend zu mustern schien, das er es nun war der sich albern verlegen zu fühlen begann. Doch war er nie jemand gewesen, der sich in die Ecke getrieben zeigte und hielt der Musterung versucht selbstsicher stand. Es würde ihn brennend interessieren, was in Lan Zhan´s Kopf gerade vor sich ging. Dieser schaute ihm abschließend direkt in die Augen, das es Yi Ling unbeabsichtigt schwerer schlucken ließ und er erneut das Bedürfnis nach etwas Wasser verspürte. „Niveaulos.“, hörte er diesen unbeeindruckt klingend sagen und auch wenn es kindisch war, so fühlte sich Yi Ling´s Ego doch merklich angekratzt über dieses Urteil. „Lan Zhan! Hast du mich tatsächlich gerade abblitzen lassen? Du bist zu herzlos. Ich sage dir, mit so einer Manier findest du nie eine Frau. Dann wirst du am mich denken und…“ Ja was, und? Er fand sich gerade selbst etwas irritiert über solche Gedanken. Wollte er, das Lan Zhan, auch Jahre später noch, an ihn dachte? Es hatte etwas Melancholisches, wie auch etwas flüchtig Ergreifendes. Würde jemand wie Lan Zhan, ihre Zeit zusammen, als etwas aufbewahren, über das er sich irgendwann sinnierend zeigen würde? Yi Ling seufzte über diese unnötigen Gefühlsduseleien. Es war nicht die Zeit noch der Ort, sich über so etwas sentimental zu geben, wenn es wichtigeres gab, um das er sich zu kümmern hatte Lan Zhan war in der Zwischenzeit wortlos zurück zu seiner Guqin gegangen und ließ diese sich, mit einem Handstreich, auflösen. „Du solltest trotz allem darauf achten, deinen Körper nicht zu vernachlässigen. Regelmäßiges Essen und Trinken hilf der Konzentration und verleiht die nötige Energie. Wenn du zu müde wirst, schlafe. Frische Luft bringt einen klaren Geist. Die Menschen hier vertrauen auf deine Hilfe. Also mache ihnen nicht noch mehr Sorgen, indem du dich ausbrennst.“ Das Lan Zhan Recht hatte, mit seinem Verweis, konnte er nicht abstreiten und er raunte verstehend und nachkommend. „Dann ist es ja gut, dass ich dich habe, um mich an all das zu erinnern.“, neckte er ihn trotzdem noch etwas, bevor dieser mit einem schlichten „Mn.“, antwortete und ihm die Privatsphäre einräumte, sich für den Tag herzurichten, indem er die Hütte verließ. *** Weitere Tage verstrichen, und auch wenn ihn niemand zu mehr Eile drängte, fühlte sich Yi Ling durch anhaltende Misserfolge mehr und mehr gehetzt, endlich ein nützliches Resultat vorweisen zu können. *** Es war ihm gelungen, diese unbekannte Komponente, die dem Yin anhaftete, zu extrahieren, doch brachten auch all seine Tests keine brauchbaren Ergebnisse, um was genau es sich handelte, was es nur schwieriger machte, dagegen anzugehen. Also hatte er angefangen schlich darauf los zu forschen, was mühselig und zeitaufwendig war. Es war eine Essenz, die sämtlichen ihm bekannten natürlichen, wie auch übernatürlichen, Gesetzen trotzte. Eine Materie, die sich nicht greifen lassen wollte und ihm quasi wie Wasser durch die Finger ran. Es war paradox, wie es auch frustrierend war. Wie sollte er da einen Anfang finden? Sie brauchten ein komplettes Bild, um darauf eine effektive Lösung finden zu können. Und wer wusste schon, wie lange die Geduld der Waldseelen anhielt? Wen Ning berichtete regelmäßig, das es A-Yuan und Wen Qing gut erging, brachte er diesen ebenso Essen und was soweit nötig für die beiden war. Lan Zhan war meist mit irgendetwas anderem beschäftigt, das ihn erst spät abends wieder ins Dorf zurückkehren ließ. Yi Ling fragte nicht nach, glaubte er, dass man ihm eh keine Antwort darauf schenken würde. Allerdings konnte er den, über die letzten Tage anschwellenden Unmut darüber, nicht unterdrücken, der von einem pulsierenden Kopfschmerz begleitet wurde. Sicher, Xīzhào Shùlín ging Lan Zhan nicht wirklich etwas an. Er war nur ein Fremder, den er hierher mitgenommen hatte. Warum sollte er also seine Zeit damit verschwenden, dem Dorf aus seiner misslichen Lage helfen zu wollen? Yi Ling gab ein abfälliges Zischen von sich, als er intensiver darüber nachdachte. Am Ende gab es ihrer eisigen Herrlichkeit nur eine verquere Art der Genugtuung, wenn er Tag für Tag mit ansehen konnte, wie er sich mit einer Lösung schwer tat. Dass er trotz seiner großspurigen Art, eben doch nur ein abnormaler Unruhestifter war. Niveaulos, wie er ihm erst gesagt hatte. Und wenn schon! Das Lan Zhan ihn nur begleitete, weil er es als eine Pflicht ansah, die ihm irgendein Ehrenkodex seiner Sippe vorgab, war in seinem Kopf allgegenwertig. Dass es diesen nicht scheren mochte, selbst wenn die Welt der Menschen im kompletten Chaos versank, da er schlicht in seine himmlische Residenz zurückkehren konnte. Seines Gleichen, über ein Spiel wéiqí (der chin. Begriff für das Go-Spiel) und dem dekadenten tafeln von Goldfasanen und Feuerdatteln, von der Armseligkeit der Sterblichen berichtete. Von ihm. Geschöpfe wie Lan Zhan, waren über kurz oder lang nur an sich selbst interessiert und spotteten über das Schicksal derer, die ein simpleres Dasein ihr Eigen nannten. Er wünschte wirklich er wäre gerade hier. Er würde ihm all das in sein arrogantes Gesicht sagen. Er würde… Mit einem erstickten Japsen, das der harte Aufprall auf den Boden aus ihm gepresst hatte, unterbrach sich sein aufgewiegelter Gedankengang, und er spürte wie dieses vermaledeite Kratzen und Beißen unter seiner Haut, ihn mit einer Art der Aggression ausfüllte, die die Ränder seines Verstandes mit aufhetzenden, unruhigen Schatten säumte. Das Krachen eines umgestoßenen Tisches folgte. Der Drang sich die rostigen Nägel aus der Kehle schreien zu wollen, schürte seinen Wahnsinn nur weiter, hörte das quälende Gefühl, als wolle sich sein Körper aus seiner Haut herausreißen wollen, einfach nicht auf. „Yi Ling!“ Nur seinen Namen in dieser verhassten Stimme zu hören, ließ ihn einen rasenden Wutschrei hervorbringen, und der dickflüssige Geschmack von Blut seinen Mund flutete und ihn kratzig würgen und spucken ließ. Die Hand die sich auf seine Schulter legte, ein Gewicht das ihn zu verbrennen drohte. Alles fühlte sich unerträglich an, das er wie ein verletztes, wildes Tier nach allem ausschlug das seine Qual vergrößern würde. Bis plötzlich all der Schmerz, wie Schnee zu schmelzen begann. Langsam, aber beständig. Das Wasser ein beruhigender Balsam, der über all seine inneren Wunden wusch. Sie reinigte. Mit einem erschöpften, dankbaren Keuchen sank er auf seine Knie, sein Körper schwach und ausgelaugt, doch warm und lebendig. Umfangen von Geborgenheit, die ihm schon fremd geworden war, an die er sich mit dem letzten Rest an Kraft klammerte, den er noch erübrigen konnte, und er seine Augen schloss. Es dämmerte als er die Augen wieder aufschlug. Ob Abend-oder Morgendämmerung, konnte er allerdings nicht bestimmen, fühlte sich seine Auffassungsgabe träge und haltlos an. „Wie fühlst du dich?“ Lan Zhan´s Stimme klang fest, aber glaubte Yi Ling so etwas wie Besorgnis darin erkennen zu können. Er fühlte sich ziemlich durcheinander und kränklich kraftlos. Als habe man seine Gliedmaßen gefesselt und seinen Geist absichtlich unter einen milchigen Schleier gelegt. Nicht einmal seinen Kopf konnte er drehen. „Was…?“ Ihm fiel auf, dass er sich auch nicht mehr in seiner Hütte befand, was diese Situation nur noch irritierender für ihn machte. Er konnte sich nicht entsinnen, die seine verlassen zu haben. „Wie fühlst du dich?“, fragte man ihn wiederholt und es ließ Yi Ling etwas genervt die Augenbrauen verengen. Als habe er ihn nicht schon beim ersten Mal gehört. Glaubte Lan Zhan, das er es mit einem kleinen Kind…“ Etwas ließ seinen Körper sich schlagartig verkrampfen, dass ihm darüber die Luft wegblieb. Ein quälendes, brennendes Gefühl hatte seinen Verstand erfasst, ließ den rauchigen Schleier dunkler, schwerer werden, als plötzlich ein goldenes Licht hindurchbrach und ihn Schwade für Schwade auseinandertrieb, bis er gänzlich zerstoben war. Yi Ling atmete tief und erschöpft durch, als wieder Klarheit in seinen Kopf zurückkehrte und sein Körper sich ebenso entspannte. Dennoch konnte er sich noch immer nicht frei bewegen und es ließ ihn missmutig über diesen unliebsamen Zustand raunen. Es war ein Gefühl, das alte Erinnerungen in ihm aufwogen ließ. Erinnerungen an die Tage, kurz nachdem man ihn in den Grabhügeln gefunden hatte. Erinnerungen, an die er jetzt nicht denken wollte. „Lan Zhan! Warum kann ich mich nicht rühren?“, moserte er und erneut stellte ihm dieser die Frage, nach seinem Befinden. Diesmal seufzte Yi Ling schlicht ergeben. „Ich bin mir nicht sicher, was du hören willst. Ich denke mir würde es besser gehen, wenn ich mich nicht wie ein zòngzǐ (in Bambusblätter eingebundener, gefüllter Reiskloß) fühlen würde.“ Lan Zhan blieb noch einen Moment still. „Bist du wieder bei Verstand?“, hinterfragte dieser folglich, das Yi Ling schon eine spitzfindige Antwort dazu auf der Zunge lag, doch Lan Zhan´s ernster Tonfall ihm sagte, dass es nicht der Moment für seinen Unsinn sei. „Uhm… soweit ich es beurteilen kann.“ „Was ist das letzte, an das du dich erinnern kannst?“, folgte die nächste Aufforderung sich zu erklären, auf das er sich wirklich bemühen musste, diese Erinnerung in sein Gedächtnis zurückzurufen. „Ich…ich habe über dem Yin Problem gebrütet, wie über die letzten Tage auch. Ich war frustriert, das ich nicht vorankam, dass du…“ Hier hielt er rasch inne und räusperte sich in einem Anflug der Beschämung. Es war nicht fair ihm vorzuwerfen, dass dieser stundenlang verschwand, während er über dieser Sache beständig mehr verzweifelte. Etwas das sonst nicht seine Art war, doch hier war es wie ein Würgegriff, der sich immer kräftiger um seine Kehle zu schließen begonnen hatte. Er schien seinen souveränen Touch zu verlieren und es ließ ihn selbstkritisch über sich murren. Was auch immer ihn bewegungsunfähig gehalten hatte, löste sich mit einem Male auf und er seufzte dankbar. Dann spürte er Lan Zhan´s Finger an seinem Pulspunkt des rechten Handgelenkes. Sogleich, drehte er seinen Kopf zu ihm, nun wo er wieder die gewohnte Kontrolle über seinen Körper hatte. Yi Ling weitete seine Augen, als er die sich bereits verfärbten Blutergüsse und Kratzer an diesem erkennen konnte. Ein Schnitt zog sich über dessen rechte Wange, welcher nicht versorgt worden war. Wie auch all die anderen Blessuren. Das getrocknete Blut ein unweigerlicher Kontrast zu Lan Zhan´s ungesund blasser Haut. Auch dessen Gewand war hier und da zerrissen. Rostbraune Flecke zeugten von Verletzungen die sich darunter befinden mussten. Er mochte noch immer nicht ganz wieder bei Sinnen sein, als er eine Hand ausstreckte, um diese an dessen Wange führen zu wollen, doch hielt ein fester, wenn auch nicht grober Griff um sein Handgelenk, ihn davon ab. Es brachte Yi Ling genug zu sich, das er sich etwas peinlich berührt zu fühlen begann, seine Hand zurückzog und man ihm dies auch ohne weiteres gewährte. „Entschuldige.“, meinte er an Lan Zhan gerichtet, dessen eindringlichen Blick er nur zu deutlich auf sich ruhen spürte und er sich in Ablenkung zu dieser Inquisition in eine sitzende Position aufraffte. „Was mach ich in deinem Quartier?“, rutschte es ihn schließlich hervor, als er sich seiner Umgebung gänzlich bewusst geworden war. Und nicht nur simpel in dessen Quartier, nein, auch noch in dessen Bett! „Lan Zhan!“ Die gesamte Situation ließ eine unheilschwanende Unruhe in ihm losbrechen. „Was ist passiert?!“ Ein weiterer, prüfender Blick über Lan Zhan und dessen zerschundene Person und er fühlte sich immer unwohler. „War ich das?“ Yi Ling deutete auf dessen verletzte Wange und fragte sich, warum dieser seine Wunden nicht schon selbst geheilt hatte. Es sollte kein Problem mit seinem derzeitigen Qi Level darstellen. „Ich war unvorsichtig.“, gab ihm dieser als Antwort. Eine Antwort, die ihm gar nichts verriet. Oder zumindest nicht das, was er wissen wollte. „Ah, dann nehme ich an, dass du mich aus einem unlauteren Impuls heraus an dein Bett gebunden hattest? Lan Zhan, Lan Zhan, wir müssen uns wirklich einmal über deine schamlosen Vorlieben unterhalten. Ich fühle mich schon ein wenig benutzt.“ Es war nichts von seiner üblichen, aufziehenden Art in seinen Worten wiederzufinden, das es auch Lan Zhan nicht entgehen sollte, das er unzufrieden mit seiner Verschwiegenheit und somit auch mit ihm war. Es klopfte an der Tür, die sich nach einem monotonen „Mn.“, von Lan Zhan öffnete. Wen Ning schaute zuerst unsicher, doch als sein Blick auf ihn fiel, erhellte sich sein Auftreten rasch. „Meister Wei, ihr seid wach. Wie fühlt ihr euch?“, fragte dieser sofort nach, während er ein- und darauf, zu ihnen herantrat. Lan Zhan erhob sich, und Yi Ling wusste, dass dieser den Moment ausnutzte, um sich aus der Affäre ziehen zu wollen. „Lan xiān shī.“ Wen Ning verbeugte sich unerwartet tief vor diesem. „Vielen Dank, für ihre Hilfe. Wenn ihr irgendetwas benötigt, lasst es mich wissen und ich kümmere mich sofort darum.“ Lan Zhan indes schüttelte nur leicht den Kopf. „Es sollte überstanden sein.“ Damit verließ er den Raum und erst dann richtete sich Wen Ning wieder auf. „Meister Wei. Ich bin wirklich froh, dass es euch wieder besser geht.“ Wen Ning stellte das Tablet, welches er mit sich gebracht hatte, vorsichtig auf seinen Oberschenkeln ab und forderte mit einer etwas schüchternen Handgeste auf, das er essen solle, was sich darauf befand. Dann nahm er den Platz neben dem Bett ein, den Lan Zhan zuvor besetzt hatte. Yi Ling hatte genug Hunger, das er dem auch ohne Zögern folgte, bevor er, zwischen einem Löffel Melonensuppe und einem Happen dòuhuā (Tofupudding), erneut nach einer Antwort fragte, was nun tatsächlich vorgefallen sei. Wen Ning schaute einen Augenblick zwiegespalten, das Yi Ling schon annahm, Lan Zhan hätte ihn zum Schweigen aufgerufen. „Ihr habt…ihr habt die Kontrolle verloren.“, murmelte dieser kaum hörbar, doch verstand Yi Ling ihn dennoch. „Die Kontrolle?“ „Über…über euer yuàn qì (dunkles qi). Ich hab es…es gefühlt, aber es war schon…zu spät.“ „Oh?“ Er konnte nicht anders, als sich überrascht und irritiert zu zeigen. Das letzte Mal, als er die Kontrolle verloren hatte und es nicht einmal bemerkte, war etliche Jahre her und er noch immer im Training gewesen. Baoshan Sanren, sein shī fu (Meister), hätte ihn nie ziehen lassen, hätte er ihr nicht beweisen können, die Kontrolle über sein yuàn qì vollends gemeistert zu haben. Dazu hatte er einen extremen Test nach dem anderen bestehen müssen, die ihn wahrlich an seine Grenzen gebracht hatten. Doch schließlich hatte er irgendwann alle bestanden. Jetzt plötzlich und ohne eine tatsächliche Erinnerung daran, gesagt zu bekommen sein yuàn qì habe ihn überwältigt, ergab für ihn keinen Sinn. Zumal es nicht einmal einen erklärbaren Auslöser dafür zu geben schien. „Wen Ning, erzähl mir genau was passiert ist und lass nichts aus, verstanden?“ Wen Ning nickte gehorsam und begann. Er berichtete davon, dass er sich auf dem Rückweg von seinem täglichen Besuch bei A-Yuan und Wen Qing befand, als ihn dieses unruhige, zerrende Gefühl erfasst hatte. Es sei ein Instinkt gewesen der ihm gesagt habe, dass etwas mit ihm nicht zu stimmen schien und als er das Dorf erreicht hatte, er das deutliche Pulsieren an yuàn qì von seiner Hütte her wahrnehmen konnte. Er hatte dem erstbesten Dorfbewohner der ihn begegnete gesagt, dass er ein Hilfe Signal abgeben solle, um Lan xiān shī zu informieren. Als er dann die Hütte hatte betreten wollen, schlug ihn das yuàn qì vehement zurück, und auch jeder weitere Versuch es zu überwinden scheiterte. Lan Zhan hatte sich schließlich mit Hilfe einer magischen Technik, die sich wie ein Schutzschild um ihn gelegt habe, einen Weg durch die aggressive Energie schlagen können. Ab da, konnte Wen Ning nur erahnen was vorgefallen war. Erst als dieser mit seiner bewusstlosen Gestalt im Arm wieder aus der Hütte aufgetaucht war, konnte er genauer weitererzählen. Das Lan Zhan ihn in sein Quartier gebracht habe und ihn unter diesem Fessel-Bann gelegt hätte, weil er nicht sagen konnte, was genau passiert sei und nichts riskieren wollte, sollte Yi Ling wieder zu sich kommen. Dann habe er zwei Tage und zwei Nächte ununterbrochen eine reinigende Melodie für ihn gespielt, und sich auch nicht verarzten lassen wollen. Auch Essen und Trinken hätte er nicht angerührt, auch nicht als es ihm selbst ansehbar schlechter ging. „Zum Glück, ist Meister Wei wieder aufgewacht.“, meinte Wen Ning und die Erleichterung war ihm auch ehrlich anzusehen. Yi Ling hatte allerdings so viele Fragen in seinem Kopf, die er hier nicht beantwortet bekommen würde. Dazu müsste er zurück in seine Hütte. Aber auch er war nicht so undankbar sich gleich wieder ins Chaos stürzen zu müssen. Das Lan Zhan so mitgenommen und abgespannt aussah, lag am Ende daran, dass dieser sein líng qì dazu verwendet hatte für ihn zu spielen, anstatt sich erst einmal um sich selbst zu kümmern. Yi Ling legte sich mit einem schweren Seufzen zurück in die Lagen. Dieses ganze Rettungs-Projekt war ein einziges Desaster. „Gibt es irgendwelche Neuigkeiten vom See?“, fragte er dennoch nach. „Uhm…Lan…Lan xiān shī hat etwas herausgefunden.“ Yi Ling spitzte die Ohren. „Hat er das?“ Wen Ning nickte. „Er sagte, dass der See von einem unterirdischen Fluss gespeist wird.“ Ein unterirdischer Fluss? Yi Ling zeigte sich sichtlich überrascht. Es war ein Hinweis der womöglich ein paar Dinge klären würde können. „Wie hat er das herausgefunden?“ „Er hat den Wald gefragt. Mit Musik. Meist hätte man ihm nichts sagen können. Doch anscheinend hat sich die Nachricht verbreitet und man konnte ihm antworten.“ Wen Ning wirkte über seine Erzählung unsicher, wie auch kindlich beeindruckt, über das was er ihm gerade mitteilte. „Hm, das klingt nach etwas, das nur Lan Zhan zu Stande bringen würde.“ Doch musste es diesen einiges an líng qì gekostet haben, solch einer Routine über Tage hinweg beizukommen und später dann noch für ihn zu spielen, um seine Albträume im Zaum zu halten. Ihn dann auch noch aus diesem schneidenden Sturm zu zerren und mit unerschütterlichen Einsatz dafür zu sorgen, dass er wieder zu verstand kam. Kein Wunder, das er so zerschlagen aussah. Unter besorgtem Protest von Wen Ning schob er sich aus dem Bett. „Lass uns nach ihm sehn.“ Nun wo er ihn auch noch aus seiner Unterkunft vertrieben zu haben schien, fühlte er sich nur noch mieser ihm gegenüber. Wen Ning legte einen Arm über seine Schulter, um ihn zu stützen und ihn zur Tür zu führen. Ihre Suche war bereits erfolgreich, als sie die kleine Holzterrasse davor betraten. Lan Zhan mochte auf den ersten Blick wirken, als würde er schlicht meditieren. Doch war anstatt der tranceartigen Ausgeglichenheit, die sonst damit einherging, ein leichtes aber anhaltendes Zittern bei ihm auszumachen. Dessen Gesicht aschfarben und klamm von Schweiß. Er zeigte keine offensichtliche Regung darauf, doch war sein Unterkiefer angespannt und seine Augenbrauen, in versuchter Konzentration, verengt. Das unregelmäßige Heben und Senken von dessen Brustkorb, ein weiteres Zeichen, das er mit seinem Zustand zu kämpfen hatte. Dieser hatte sie auch noch nicht wahrgenommen, dass Yi Ling sich von Wen Ning zu diesem führen ließ und vor ihm in die Hocke ging. „Lan Zhan.“, sprach er diesen vorsichtig an, was ihm ein abgehacktes Kopfschütteln einbrachte. „Du solltest deine Kräfte schonen.“, wies jener ihn zurecht, doch anstatt des gewohnt mahnenden Untertons, klang er rau und angestrengt, auch wenn er verbissen versuchte sich zusammenzunehmen. „So wie du, deine Kräfte geschont hast?“ Yi Ling gab ein tadelndes Schnalzen von sich, über dessen verbohrte Art. „Lass uns dir helfen, hm?“ Er legte ihm seine Hand auf eine angespannte Schulter, welche man versuchte eilig wegzudrehen, doch verfestigte Yi Ling seinen Griff schlicht und ließ nicht von ihm ab. „Ich weiß es mag vielleicht nicht deinem Stolz entsprechen, aber ich glaube es schadet auch nicht, mal zu versuchen sich nicht ständig zu pushen. Stattdessen esse einfach etwas. Schlaf dich aus. Ich mach dir auch einen Tee, von Wen Qing´s geheimen Vorrat. Hm?“ Lan Zhan schwieg lange genug, um annehmen zu lassen, dass er ihn und seinen Vorschlag ignorierte. „Lan Zhan, soll ich deinem Bruder etwa berichten, das es dir nicht gut geht? Glaube nicht, das ich nicht einen Weg finden würde mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ich bin mir sicher, er würde sich Sorgen um dich machen. Willst du das….“ Weiter kam er nicht mit seiner Erpressung, die in diesem Fall seine Berechtigung fand, wie er meinte. „Genug! Bruder hat wichtigeres zu tun. Belästige ihn nicht…“ „Dann lass es einfach nicht darauf ankommen, oder? Ich meine was kann es schaden, es auf meine Art zu versuchen? Wenn es dir gar nichts bringen sollte, dann lass ich dich gern solange meditieren bis du Moos ansetzt.“ Yi Ling tränkte seine nächsten Worte mit Herausforderung. „Also? Wie entscheidet sich der oh so große Lan xiān shī?“ Ein frustriertes Zischen war zu hören und Yi Ling wähnte sich siegreich. Lan Zhan´s Blick, als er die Augen folglich öffnete, war glasig, sein Bestreben sich ohne Hilfe aufzurichten nicht ungraziös, doch mit deutlich geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen verbunden. Yi Ling war nach einem Augenrollen zu Mute, über diese starrsinnigen Allüren. Somit nutzte er auch den ersten Schwenker der Lan Zhan´s Voranschreiten erfasste, um an dessen Seite zu huschen und ihm, wie zuvor Wen Ning bei ihm, zu Stützen. „Das ist nicht notwendig.“, murrte man ihm zu, doch war die fehlende Gegenwehr Zeichen genug, das er es nicht darauf ankommen lassen wolle. „Meister Wei?“ Yi Ling schüttelte auf Wen Ning´s besorgten Ton leicht den Kopf. „Ich kümmere mich drum.“, ließ er ihn wissen, wusste er, das Lan Zhan wohl seine Nähe auch nur tolerierte, weil ihm die nötige Kraft fehlte, sich zu sträuben. Zudem war es nicht das erste Mal, dass sie sich in solch einer Position befanden. „Ich hab ihn mir schon zurechtgezähmt. Fremde beißt er gern, wenn sie ihm zu nahe kommen.“, witzelte er mit einem Zwinkern, gefolgt von einem müden aber doch noch merklich genervten Raunen, von dem Mann in seinem Halt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)