Between the Lines - Chapter 2 von Karo_del_Green (It's more than just words) ================================================================================ Kapitel 1: Keine Ruhe inmitten des Sturms ----------------------------------------- Kapitel 1 Keine Ruhe inmitten des Sturms „Ich würde gern das auf Seite 167 ausprobieren.“ „Würdest du?“ „Oh ja...und vielleicht steigern wir uns dabei auf Seite 69?“ Ich verdrehe ungehalten die Augen, als ich Kains rauer Stimme dabei zu höre, wie sie mir die Anspielungen aus dem Buch durch das Telefon zu säuselt. Und ich gestehe, dass ich mir nur schwer ein Grinsen verkneifen kann, während sich die Inhalte der genannten Seiten ebenso vor meinem inneren Auge abspielen. Wesentlich nackter als ich sie in Erinnerung habe. Die Tatsache, dass Kain dank seines eidetischen Gedächtnisses dazu noch jede der Seiten auswendig weiß, macht es nicht unbedingt einfacher zu widerstehen. Der Schwarzhaarige ist definitiv mein Verhängnis. Ich atme geräuschvoll ein und blicke zu Jeff, meinen Mitbewohner und Jugendfreund, der neben mir steht und euphorisch mit den Augenbrauen wackelt. Dabei hat er gar nicht mitbekommen, worum es geht. „Komm erst mal zurück auf den Campus, dann reden wir weiter“, würge ich das Telefonat ab, weil Kain mir daraufhin eindrücklich verdeutlichen will, dass ihm etwas anderes als Reden vorschwebt. Seufzend schiebe ich das Telefon in meine Hosentasche und lausche einen Moment lang dem leisen Ton, der aus meinen Kopfhörern dringt, die um meinem Hals liegen. Das Lied erkenne ich nicht. Es ist auch viel zu laut hier. Jeff und ich stehen in der überfüllten Mensa und machen einer Horde Erstsemestern Platz, die sich gierig über die Dessertstation hermachen. Hier steht alles, was einen auf schnellstem Weg Karies und verklebte Arterien verschafft. Es gibt eine neue Puddingsorte, die so gar nicht schmackhaft aussieht, weil sie mir mit einem unnatürlichen, quietschigen rosa entgegen leuchtet. Ich bin mir nicht mal sicher, um welche Sorte es sich handelt. Erdbeere. Himbeeren. Kotzbeere. Irgendetwas aus dieser Kategorie. Wieder sehe ich meinen Mitbewohner an, welcher grinst, als hätte er jedes Wort meines Telefonats gehört. Zum Glück hat er das nicht. „Was?“, frage ich mit deutlich einschüchternder Stimme, greife mein sparsam gefülltes Tablett mit beiden Händen und gehe zur Kasse, ohne Nachtisch und ohne Jeffs Antwort abzuwarten. In den meisten Fällen will ich sowieso nicht wissen, was in seinem Kopf vorgeht. In der letzten Zeit schon gar nicht, denn es gibt nur drei Themen, denen sich mein Kindheitsfreund ausschweifend widmet. Wut auf Abel. Scham wegen Jake und das eigenartige, unanständige Interesse an mir und dem Schwarzhaarigen. „Nichts“, ruft mir Jeff unnötigerweise hinterher, greift sich einen Nachtisch, der grün und wackelig ist und eilt mir nach. Noch bevor ich an der Kasse stehe, beginnt mein Handy im Zwanzigsekundentakt zu vibrieren. Kain tippt wirklich schnell und ist, obwohl ich ihn ignoriere, sehr ausdauernd. So einen Nachrichtenmarathon hatten wir bereits gestern Abend und das endete damit, dass ich vor lauter Anspannung nicht mehr einschlafen konnte. „Wann kommt er denn wieder?“, fragt Jeff, platziert sein Tablett hinter meinem und inspiziert die reichhaltige Auswahl an Schokoriegeln. „Keine Ahnung“, entgegne ich und bezahle zur Verwunderung des anderen Mannes unsere beiden Essen mit meiner Mensakarte. „Wie keine Ahnung? Hast du nicht gefragt? Du hattest ihn doch gerade am Handy“, kommentiert Jeff ungläubig und sieht sich nach einem freien Tisch um. Ich folge ihm schulterzuckend. „Und?“ Offensichtlich habe ich nicht danach gefragt. Allerdings impliziert mir Jeffs Blick, dass ich es hätte tun müssen. Wozu nachfragen und Kain auf die Nerven gehen, wenn ich weiß, dass er normalerweise in den letzten Direktzug steigt und dieser am späten Abend am Hauptbahnhof ankommt? Noch dazu sagt er mir Bescheid, wenn er es nicht schafft. „Frag ihn doch einfach selbst, wenn du es genau wissen willst“, schlage ich vor und ziehe einen der unbequemen Stühle mit dem Fuß zurück, als wir einen Tisch gefunden haben. Jeff raunt und tut es mir mit dem gegenüberliegenden Sitzplatz gleich. „Mir doch egal, wann er kommt, aber meinst du nicht, dass du wissen solltest, wann dein Freu...“ Ich unterbreche ihn, in dem ich meinen Teller geräuschvoll auf dem Tisch abstelle und das Tablett auf den Boden. „..denspender... uh uhu uhu...Das ist so lächerlich, Robin. Ihr zwei seid lächerlich.“ Freudenspender ist fast noch schlimmer, als das andere. Ich erkenne den Vorwurf in Jeffs Blick und ich verdrehe nur die Augen, während ich ihm andeute, dass ich meine Kopfhörer aufsetze, wenn er nicht damit aufhört. Es wirkt. Nichts hasst er mehr, als schweigsame Mittagessen und das ist nicht nur eine Vermutung, sondern eine empirisch bewiesene Tatsache. Genauso sehr, wie ich es hasse, mit ihm über den Status und die Betitelung meines momentanen Bettgefährten zu plaudern. Mein Handy vibriert dank Kains sexuellem Enthusiasmus die ganze Zeit munter weiter in meiner Hosentasche und ich versuche das Geräusch und die Aufregung in meinem Inneren zu ignorieren. Ich war schon mal besser darin. Bevor der Sturm losgebrochen ist und mich mitriss. Seit Mitte September verbringt Kain drei Tage die Woche in der Firma, bei der er seine Abschlussarbeit schreibt. Montagmorgen fährt er hin und Mittwochabend wieder zurück zum Campus. Ein Arrangement, was ihm die Möglichkeit gibt, seine letzten Vorlesungen abzuschließen und Vorort an seinem Forschungsthema zu arbeiten. Es ist im Grunde perfekt. Er wird sogar bezahlt und hat ein kleines Apartment gestellt bekommen, in dem er wohnen kann. Besser geht es nicht. Ich atme angestrengt aus und jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, merke ich, wie sich ein verbissenes Lächeln auf meine Lippen schleicht, welches ich schnellstmöglich vor allen anderen und vor allem vor Jeff verstecken muss. Für Kain ist das Ganze eine wunderbare Möglichkeit. Jeder bestätigte es und von jedem bekam er absoluten Zuspruch. Letztendlich sogar von mir. Was hätte ich auch anderes sagen sollen? Schließlich ist das eine Möglichkeit, für die Studenten töten würden. Also, alles gut und schön. Alles perfekt. Großartig. Fantastisch. Ich komme nur nicht darüber hinweg, dass es ausgerechnet die Firma sein musste, deren Chef der Vater des rothaarigen Miststücks ist. Erneut echot dieser Fakt durch meinen Kopf und legt für einen kurzen Augenblick mein Gehirn lahm. Blackout im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich sehe jedes Mal schwarz und die eben noch zitierte Liste an Euphorien wird immer bitterer. Warum? Warum ausgerechnet sie? Das wiederholt sich stetig und in Endlosschleife in meinem Kopf und passend dazu offenbarten sich bisher für das bemitleidenswerte Fragespiel nur die schwarzhumoristischen Antworten, die ich mir angestrengt selbst gebe. Und sie befriedigen mich nicht. Sie beruhigen mich auch nicht. Vor allem dann nicht, wenn ich von Jeff höre, dass Kains Ex plötzlich auffällig oft nach Hause fährt, um bei ihrer Familie zu sein. Mit Kain darüber gesprochen habe ich nicht und werde es auch nicht. Er hat in der Vergangenheit schon genug von meinen auffällig irrationalen Verhalten im Zusammenhang mit der Rothaarigen mitbekommen und braucht sicherlich keine zusätzliche Bestätigung dafür, dass ich nicht ganz rund laufe. Er würde mir auch nur mit seiner typischen Kain-Ernsthaftigkeit versichern, dass es nichts bedeutet. So, wie er es immer macht. Überhaupt ist Vermeidung das Gebot der Stunde und nicht nur im Zusammenhang mit dieser Thematik. Denn dank dieses überaus zuvorkommenden Arbeitsarrangements sind gemeinsame Moment genauso selten, wie zuvor. Kain und ich. Es nur zu denken, ist höchst aufwühlend für mich, denn abgesehen von der Tatsache, dass wir weiter munter miteinander rumschäkern, haben wir keineswegs geklärt, wie es mit uns weitergeht. Nichts wurde wirklich ausgesprochen oder betitelt. Weder in dem Moment in der Mensa, noch später. Wir meiden das Wort Beziehung förmlich, so als wäre es einer der unverzeihlichen Flüche aus Harry Potter. Ich weiß nicht, ob Kain damit verhindern will, dass er erneut meine ganzen verdammten Unsicherheiten abbekommt oder ob er durch das momentane Umhertingeln einfach keine Zeit findet, um darüber nachzudenken, was er von mir erwartet. Vielleicht erwartet er auch gar nichts und noch dazu bin ich mir nicht sicher, was ich mir eigentlich selbst von alldem erhoffe. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass er sich mit mir keinen Gefallen tut, auch wenn ich ebenso wenig möchte, dass er mich absägt. Denn ich genieße es. Den Sex. Seine Nähe. Kurzum einfach ihn. Egal, wie sehr ich es zu negieren versuche. Wenn er Montagmorgen fährt, bin ich enttäuscht und wenn er Mittwoch zurückkehrt, bin ich positiv erregt. Jeff hat Recht, wir sind lächerlich. Vor allem ich. Ächzend, aber in einer glatten, schnellen und durchaus grazilen Bewegung, stibitze ich Jeffs Nachtisch von seinem Tablett. Danach sonne ich mich in der Bilderbuch-Fassungslosigkeit seines Gesichtes und ignoriere mit Leichtigkeit sein Gezeter. Er hätte damit rechnen müssen, denn meine Aktion hat sich klar angedeutet. Immerhin hab ich ihn bezahlt. Nun, da Jeff Abel, mein vormaliges Studienobjekt und seinen Lebensabschnittsgefährten, in der Altlastentonne entsorgt hat, brauche ich jemand Neues und eröffne die Runde `Wackelpudding gegen Wackeldackel`. Passend dazu lehne ich mich so weit zurück, dass Jeff aus seiner Position heraus weder an mich, noch an das Schälchen mit dem Dessert rankommt und fühle mich heute dem evolutionären Prozess seltsam überlegen. Meteorit statt Dinosaurier. Ich war schon immer ein harter Brocken. Es ist berauschend. Vor allem als Jeff tatsächlich einen Versuch unternimmt, sich weit über den Tisch lehnt und wie erwartet scheitert. Ein Punkt für den Wackelpudding. Ich schenke meinem Mitbewohner einen bemitleidenden Ausdruck und lasse den Nachtisch in meiner Hand effektvoll zittern. Jeffs Blick könnte mich töten, wenn ich mir nicht nach all den Jahren schon längst eine Immunität entwickelt hätte. „Wie läuft´s eigentlich mit Jake?“, frage ich, ehe ich einen Happen von dem Waldmeisterdessert absteche und auch dieses Stück enthusiastisch auf dem Löffel wackeln lasse. Den Rhythmus passend zum Takt von Sia´s Song ´Elastic heard´, der gerade aus meinen Kopfhörern dringt, die um meinen Hals liegen. ´Wanted to fight this war without weapons´. Immer einen Versuch wert, habe ich mir sagen lassen, aber nicht meine Stärke. Nur an einer kleinen Stelle des grünen Happens befindet sich etwas der vanilligen Soße und mein Hals kitzelt voller Vorfreude auf die süße Leckerei. Als meine Zungenspitze dagegen tippt, durchfährt mich der erwartete anregende Schauer, der mir für einen Moment die Lider schließt. Ich schwelge, während Jeff meinen durch Lebensmittel erzeugten Höhepunkt des Tages mit theatralischen Seufzern untermalt. „Jake ist der Meinung, dass ich noch mehr Abstand brauche. Abstand!“, betont er auffällig, „Dass ich mir Zeit nehmen soll, hat er gesagt. Immerhin sei die Trennung noch nicht so lange her und ich soll mir erst über ein paar Sachen klar werden.“ Für mich klingt Jakes Einwand mehr als plausibel. Dennoch sage ich nichts, sondern sehe dabei zu, wie Jeffs blonder Haarschopf hin und her wackelt und wie er ruppig versucht, ein Stück von seinem Fleischersatz abzutrennen. „Ich weiß nicht mal, worüber ich mir klar werden soll. Das mit Abel ist vorbei. Aus die Maus. Ganz einfach“, plappert er weiter und es klingt endgültiger, als es wirklich ist. Es ist auch weniger einfach, als er es gern hätte. Seine Trennung ist zwar eine Weile her, aber trotzdem scheint es noch immer reichlich Chaos zu geben. Ich gestehe, dass ich mittlerweile nicht mehr ganz im Bilde bin, weil mein Gehirn bei der Thematik von ganz allein abschaltet und Jeffs Gemecker oftmals nur zur Geräuschuntermalung wird. Kurzum, Abel ist hartnäckiger als gedacht und Jeff unerträglich nachgiebig, ob er es zugibt oder nicht. Zu dem bin ich der Überzeugung, dass ich nach einem dieser stundenlangen Gespräche zwischen den beiden Blonden einen exponentiell gewachsenen Fuselbart an dem Mund meines Jugendfreundes erkannt habe. Ich kann Jake also durchaus verstehen und würde mir dieses nervige Chaos auch nicht geben wollen. Es ist echt müßig. Immerhin ist mein wankelmütiger Mitbewohner nicht vollkommen schwachgeworden. Was zu meinem Leidwesen dazu führt, dass er sexuell so unausgeglichen ist, dass er mich nur noch nervt. Früher schob ich die auffälligen Zickereien auf Jeffs Charakter. Heute weiß ich es besser. Es ist schlichtweg sexuelle Frustration. Ich genehmige mir einen weiteren Löffel der Süßspeise und sehe dabei zu, wie Jeffs Haupt meinen Nachtisch imitiert und irgendwas vor sich hin brummelt. Es klingt verdächtig nach Vorwürfen, die sich garantiert an den ITler richten. Denn in Jeffs Augen hat Jake einen Rückzieher gemacht. Ich hingegen denke, er hat einfach nur einen Gang runtergeschaltet und Jeff ist zu aufgedreht, um das zu erkennen. Jakes Interesse an ihm besteht nämlich weiterhin. Er ruft ihn an. Sie treffen sich. Sie mögen sich. Das erkenne selbst ich. „Heißt dein Schweigen, du gibst ihm recht?“, patzt mein Jugendfreund mich plötzlich an und würfelt mich aus meinen Gedanken. Ich sehe auf und runzele die Stirn, während ich versuche, nicht ad hoc zurück zu bellen. Sexlosigkeit macht uns beide unausstehlich. „Würdest du immer wieder auf seinen Ex treffen wollen?“, frage ich gerade heraus und lasse mir den Waldmeistergeschmack auf der Zunge zergehen, während mir rotes Haar in den Sinn kommt und meine Gedärme ein unmögliches Kunststück vollführen, ohne in ihre organische Position zurückzukehren. Ein sehr unangenehmes Gefühl, welches mir verdeutlicht, dass ich so ziemlich dasselbe Problem habe, wie Jake. Um mich selbst davon abzulenken, lasse ich meinen Blick durch die volle Mensa schweifen. „Natürlich nicht! Aber was soll ich denn machen? Ich kann Abel ja schlecht vom Campus verbannen.“ Wenn das möglich wäre, hätte ich das schon vor geraumer Zeit getan und ganz ohne Jeffs Zustimmung. „Apropos...“ Ich deute an meinem Zimmerkumpel vorbei zum Eingang der Mensa, wo sich der Besprochene anschickt, allen anderen nützlichen Lebewesen die Luft weg zu atmen. Jeff folgt meinem Fingerzeig und duckt sich, sobald er Abel entdeckt. Er wünscht sich vermutlich nichts sehnlicher, als in seinem Mittag verschwinden zu können, aber der trockene Pflanzenbratling auf seinem Teller hat weder die Raffinesse, noch die Konsistenz, um als Versteck herzuhalten. Er würde nicht mal als Wurfwaffe dienen, da er schon bei Abels stumpfsinnigen Blick in seine Bestandteile zerfällt. Ich greife mir eine Erbse von meinem Teller und werfe sie gegen seine Hand. Jeff reagiert und sieht mich empört an. „Was soll das denn?“, fragt er entrüstet und streicht sich imaginäre Butterspuren vom Handrücken. „Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass deine Verschwindetaktik ineffizient ist“, erkläre ich, beraube ihm des letzten Funkens der Hoffnung und bemerke, wie er seine Lippen fest aufeinander presst. „Ach wirklich? Vielen Dank auch“; zischt er leise, „Schön, dass du deinen Spaß hast.“ Ich gestikuliere ein scherzhaftes Gelächter und vollführe ein simuliertes Klopfen auf der Tischplatte. Reichlich übertrieben, aber ich habe wirklich meinen Spaß. Jeff verdreht meisterlich die Augen, während er still meinem Schauspiel beiwohnt. Ich gebe zu, dass ich keine große Hilfe bin, aber wann war ich das je? Ich räuspere mich und lehne mich samt Wackelschale nach vorn und setze ein ernstes Gesicht auf. „Hör einfach auf, den netten Kerl zu mimen und sage ihm klipp und klar, was Sache ist...“ Parallel zu meinem Hinweis schaufele ich eine neue Portion auf den Löffel und deute dann bekräftigend in seine Richtung. Der grüne Wackelpudding erzittert bestätigend. Zwei zu null für meinen Nachtisch. „Klipp und klar. Was denkst du denn, was ich die ganze Zeit mache?“, äfft er mich erst nach und dann an. „Anscheinend machst du es nicht klar genug. Sag ihm, dass du jemand anderen hast. Punkt!“, rate ich ihm. Nicht zum ersten Mal. Jeff entflieht ein Knurren, was tief aus seiner Kehle dringt. Der Aggressionspunkt geht definitiv an meinen Mitbewohner und auch das bestätigt mein wabbeliger Nachtisch mit einem lustigen Zittern. „Hab ich aber nicht!“, motzt Jeff resigniert. „Das weiß er aber nicht“, entgegne ich. Wir starren uns intensiv an, bis ich anfange, spielerisch mit den Lidern zu flattern, da Jeffs unbegründete Nervosität und Verzweiflung den Schelm in mir reizt. „Wer hat dich eigentlich zum Expe...“, setzt Jeff an und wird von der tranigen Stimme meines einstigen Versuchsobjektes unterbrochen. „Können wir reden.“ Es ist keine Bitte, sondern eine Aufforderung. Mich begrüßt Abel erst nach einem Moment des Abwartens und mit dem schlichten Beweis, dass er sich meinen Namen gemerkt hat. „Du siehst doch, dass wir gerade essen, oder?“, sage ich, statt die Begrüßung zu erwidern, komme Jeff zuvor und hebe meinen vollen Löffel. Seine mattblauen Augen haften sich auf den Nachtisch und sind so nichtsaussagend, wie eh und je. Er braucht erstaunlich Lange, um zu begreifen, dass ich mich entgegen meiner sonstigen Gewohnheit einmische. „Seh ich, aber ich möchte trotzdem mit ihm reden...“ „Und ich möchte, dass du dich einfach in Luft auflöst. Puff....“ Mein verbalisiertes Geräusch untermale ich mit einer lustigen kleinen Handbewegung. Jeff starrt mich an und ich bin mir nicht ganz sicher, mit welcher Intension. Bei Abel weiß ich es, ohne hinzusehen. Wut. Wahlweise auch Zorn ertränkt im absolut nichtssagenden Weißbrotgesicht. Der Blonde hat so viel Charakter und Ausdruck, wie ein Milchbrötchen. Sehr passend, wenn man darüber nachdenkt, dass dieses Gebäck aus massig Luft und leeren Kalorien besteht und in Anbetracht dieser Tatsache sollte ihm meine Bitte sehr leicht fallen. „War Puff nicht klar genug? Soll ich es dir aufmalen? Anscheinend kriegen wir beide nicht, was wir wollen“, setze ich nach, als mir Abel zu lange für eine Erwiderung braucht und auch keinerlei Anstalten macht, wegzugehen. Ich wiederhole sogar meine niedliche kleine Handbewegung. Zweimal. Kein Effekt. Seufzend lasse ich den Löffel zurück in die Schale fallen. „Gott Jeff, wie hast du es hingekriegt, mit dem zu streiten, das ist ja als würde man einer Kuh beim Kauen zuschauen.“ Etwas Hartes trifft meine Hand, als der leicht gehässige Kommentar endet und überrascht entgleitet mir die kleine Schüssel samt Löffel. Es klirrt laut und ich sehe dabei zu, wie sich der Nachtisch auf dem Boden der Mensa verteilt. In der nächsten Sekunde bin ich auf den Beinen und knalle beide Hände gegen Abels Brust. Nur mit halber Kraft. Er strauchelt dennoch, fängt sich und bleibt dicht vor mir stehen. „Fick dich, Robin.“ „Wow, damit hast du gerade deinen halben Wortschatz bemüht, oder?“, gebe ich bissig retour und nehme eine Bewegung neben mir wahr. Nicht nur ich bin aufgesprungen, sondern auch Jeff. „Nicht.“ Es ist ein Flüstern, welches nur an mich gerichtet ist und ich beiße die Zähne zusammen. Seine Hand legt sich auf meine Schulter, so dass jedes weitere verbale Ausarten im Keim erstickt wird. Danach wendet er sich an Abel, der mich hasserfüllt anstarrt. „Ich möchte jetzt nicht mit dir reden. Geh bitte.“ Arschloch, ergänze ich gedanklich und bin der Überzeugung, dass Jeff wieder mal zu freundlich ist. Mit erstaunlich funkelndem Blick in mattem Blau zieht Abel ab und ich merke sofort, wie sich Jeffs Griff auf meiner Schulter verstärkt, bis es schmerzt. Sein Zeigefinger bohrt sich direkt in eine weiche Stelle unterhalb meines Schlüsselbeins. „Au verdammt...“, stoße ich quengelig aus und drehe mich aus der fiesen Berührung. Davon kriege ich sicher einen blauen Fleck. „Musste das wirklich sein?“, harscht Jeff mich an. „Willst du darauf ehrliche eine Antwort?“, frage ich retour, streiche mir über die malträtierte Stelle und lasse mich zurück auf den Stuhl fallen. Mein Blick wandert wehmütig zu dem am Boden liegenden Wackelmatsch. „Allein dafür hätte er einen Arschtritt verdient“, kommentiere ich, als sich Jeff wieder hinsetzt und den Anschein macht, als wäre ihm der Appetit gehörig vergangen. Er unterstreicht diesen Eindruck noch, indem er die Hände vor der Brust verschränkt und sein sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht aufsetzt. Es fehlen nur noch die Gummistiefel. „Und du hättest einen für deine fiesen Äußerungen verdient.“ „Erzähl keine Märchen, du hast das genossen...“ „Hab ich nicht“, wehrt er sich halbgar. Ich weiß es besser. „Ach komm, Abel hat es verdient, wenn er dich nicht in Ruhe lässt. Als ob du dich einfach so von ihm bequatschen lässt und alles vergisst, was in der Beziehung falsch gelaufen ist. Du bist doch kein Goldfisch. So ein Vollhonk“, schmettere ich jeden weiteren Einwand ab und hebe endlich die runtergefallene Schale auf. Jeff wirft mir eine Packung Taschentücher zu, mit deren Hilfe ich die Sauerei halbwegs vom Boden entfernt bekomme. Den unschmeichelhaften Vollhonk lässt er unkommentiert und ich hänge gedanklich noch ein paar weniger nette Beschreibungen mit ran. Er weiß, dass ich Recht habe. Danach bringen wir unsere Tabletts weg, da keiner von uns beiden das Bedürfnis verspürt, länger zu bleiben. Zurück im Wohnheim lese ich die versäumten Nachrichten des Schwarzhaarigen und hasse mich ein wenig für das dümmliche Grinsen auf meinen Lippen als ich lese, welch Fantastereien in Kains Kopf herum schwirren. Noch schlimmer ist allerdings, dass meine ausgeprägte Vorstellungskraft dafür sorgt, dass sich die nächsten Seiten eines nicht gewollten Buches von ganz allein schreiben. Ich höre meine Lektorin Brigitta in meinen Gedanken quietschen und bin mir sicher, dass sie ein dankender Abnehmer für derlei Inhalte wäre. Vielleicht sollte ich es einfach machen. All das ekstatische, versaute Zeug aus meinem Kopf holen und schmuddelige Anthologien füllen. Sex sells, sagt man das nicht? Hört man das nicht überall? Wäre es mal so einfach. Sex ist nicht alles, wie ich lernen musste. Dennoch ist es ein eigenartiger Gedanke, der sich erst vor kurzem in meinem Kopf festgesetzt hat und glasklar dem Schwarzhaarigen geschuldet ist. Ihm und seinem `Ich will mehr`-Geständnis. Das Buch, welches ich ihm damals als Reaktion darauf gab, war weniger Fiktion, sondern viel mehr ein stilles Bekenntnis zu den Dingen, die zwischen uns passiert sind. Es sprach von meiner Seite aus ungewöhnlich offene Worte und er hatte es ohne nachzuhaken innerhalb eines Tages ausgelesen. Jedoch nicht mehr. Möglicherweise reicht es ihm als Antwort als Sicherheit und er hakt deshalb nicht nach. Doch reicht es mir? Einerseits ist es nur gut für mich, dass wir nicht darüber sprechen, denn es erspart mir weitere nervige Diskussionen. Andererseits macht es mich extrem unwirsch. Erneut von der Situation eingeholt, stehe ich gedankenversunken von meinem Schreibtisch auf, greife mir ein frisches Handtuch sowie ein paar Klamotten und verschwinde unter Jeffs fragenden Blicken in die Duschräume. In der letzten Zeit mache ich das öfter. So, als könnte das kontinuierliche Rauschen des Wassers meine Gedanken besänftigen oder sogar hinfort spülen. Für den Moment profitiere ich tatsächlich von der beruhigenden Wirkung. Jedoch ist es nichts weiter als die Bekämpfung eines Symptoms, nicht die der Ursache. Wieder lasse ich fast zwanzig Minuten lang das warme Wasser auf mich niederrieseln, halte meine Augen geschlossen, während sich die Hitze von meinem Nacken bis in meine Gliedmaßen ausbreitet. Der erste Moment, als das erhitzte Wasser auf meine kalte Haut trifft, ist fast schmerzhaft. Doch auch das lenkt mich ab und ist damit herzlich willkommen. Ich verabscheue es, unsicher zu sein und ich hasse, dass Kain genau das in mir verursacht. Beim Haare Trockenrubbeln laufe ich gemächlich zurück ins Wohnheimzimmer. Achte dabei nur geringfügig auf meinen Weg, weil ich davon ausgehe, dass man mir schon ausweichen wird. Doch weit gefehlt. In letzter Sekunde registriere ich die braunen Lederstiefel, die in meinem nach unten gerichteten Blickfeld auftauchen und bleibe erschrocken stehen. „Huch...“, entflieht es mir irritiert als ich merke, wie unsere Schuhe aneinander stoßen und ich in einem Anflug der Dysbalance kurz, vor und wieder zurück schwanke. Ich schaue in Sinas amüsiertes Gesicht, während ich ihr für einen Moment sehr nahe komme. Mich erfasst so gleich ein blumiger, fast zuckriger Duft und die blonde Wohnheimbewohnerin beißt sich auf die Unterlippe, als ich sie unbeeindruckt mustere. Ich ziehe das Handtuch von meinem Kopf und weiche dezent einen Schritt zurück, höre aber nicht damit auf, sie anzusehen. Sie ist wie immer auffällig stark geschminkt und freizügig gekleidet. Doch diesmal ist es fast annehmbar, was ich ihr mit einer hochgezogenen und eindeutigen Augenbraue kommuniziere. Sie versteht es kommentarlos. Seit unserem unvollendeten Stelldichein haben sich ihre Annäherungsversuche zum Glück reduziert. Dennoch lässt sie es sich nicht nehmen, mich ab und an zu reizen. In jeder erdenklichen Weise. Manchmal aggressiv und übertrieben, aber meistens neckend und spielerisch. Ich gestehe, dass ich das Spiel hin und wieder gern mitspiele. Allerdings vermeide ich eine zu auffällige Reaktion im Beisein von Kain, der nichts von unserem unbekümmerten Zusammentreffen vor ein paar Monaten weiß. Denke ich jedenfalls. „Hi“, grüßt sie lächelnd und lässt ihren Blick einmal über meine schlichte Erscheinung wandern. Eine eher lieblose, fast schwache Retourkutsche, die mich nicht mal ansatzweise kitzelt. Heute habe ich keine Lust auf dieses Spielchen. Ich mache einen Schritt zur Seite und sie folgt, stellt sich mir wieder in den Weg. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, frage ich daraufhin in einem erstaunlich neutralen Tonfall, kann aber nicht verhindern, dass ich vorher angestrengt und symptomatisch die Luft ausstoße. „Hm, ich wüsste da ein paar Dinge, bei denen du mir definitiv zur Hand gehen kannst“, kommentiert sie grinsend und beißt sich lasziv auf die Unterlippe, um mir die sexuelle Intention zu verdeutlich. Ich würde ihr gern mitteilen, dass sie etwas falsch macht, wenn das nötig ist. „Kommt da noch etwas Sinnvolles?“, frage ich ungerührt und sehe dabei zu, wie sie sich provokativ eine blonde Strähne hinter das Ohr streicht. Nichts weiter als Getue. Unbeeindruckt starte ich ein Ausweichmanöver und erneut werde ich von ihren weiblichen Kurven blockiert. Atmen. Einfach nur atmen, erinnere ich mich selbst. Ein. Aus. Ein. Aus. „Ist ja gut. An deiner Geduld solltest du definitiv arbeiten.“ Sie ist nicht die erste, die das sagt und wird nicht die Letzte sein. Nicht mal heute. „Ich will Kaworu kontaktieren. Gib mir seine Nummer.“, fordert sie. Fast sofort sehe ich den schlanken Japaner vor mir und augenblicklich läuten meine Alarmglocken. „Seit wann brauchst du denn Hilfe, um Kerle aufzureißen?“ „Seit du mir das Herz gebrochen hast.“, gibt sie theatralisch von sich und ihre Hand bettet sich über ihre Brust. Eins plus für das anschauliche Laientheater. „Red keinen Scheiß, das lässt sich so wenig brechen, wie meins. Wir sind aus Gummi.“ „Wie bitte?“, fragt sie ungläubig. „Stahl und Stein kann jeder. Neodym-katalysierter Polybutadienkautschuk... ist viel cooler.“ „Bist du fertig?“ „Ich gebe dir seine Telefonnummer nicht...“ „Wieso nicht?“ „Wieso sollte ich?“, entgegne ich wie selbstverständlich und sehe sie weiterhin emotionslos an. „Noch nie etwas von der Datenschutzrichtlinie gehört? Oder Privatsphäre?“ Sie stößt auffällig die Luft aus und stemmt dann ihre Hände in die Hüfte, um vorab ihren noch nicht präsentierten Standpunkt zu verdeutlichen. Dabei hüpfen ihre blonden Locken rhythmisch umher und ich bin für einen kurzen Moment versucht, sie weg zu schnipsen. „Ich will gar nichts von Kaworu. Er ist süß, aber ich würde ihn vermutlich kaputtmachen. Das weißt du genauso gut, wie ich...“, sagt sie. Ihre ehrliche Aussage erzeugt tatsächlich ein reichlich blödes Grinsen in meinem Gesicht. Sie würde ihn definitiv für alle Zeiten und bis ins nächste Leben hinein beschädigen. Noch ein Grund mehr, mich zu weigern. Ich frage mich, wieso sie ihm nicht, wie jeder andere auch, einfach über den Weg laufen kann? „Aha.“ „Ich möchte ihn nur fragen, ob er mir den Kontakt zu seiner Schwester herstellen kann. Sie spielt in einer Band, die ich großartig finde und ich kann den Pianisten gut leiden.“ „Aha. Pianist?“ Band? In meinem Kopf passt das nicht ganz zusammen und genauso skeptisch sehe ich sie auch an. Sie versteht es ohne eine weitere Erklärung meinerseits. „Deine Meinung dazu will ich nicht hören, also spar sie dir.“ Ich schlucke meine Erwiderung nur halbherzig runter und blase dabei die Wangen auf. Sie sieht mir geduldig dabei zu, wie ich langsam die Luft auspuste. „Aber...“, setze ich spielerisch an, als genug Zeit verstrichen ist und sie fährt mir sofort in die Parade. „Telefonnummer, ja oder nein?“ „Nein.“, erwidere ich ebenso deutlich. Missverständnisse ausgeschlossen. Klare Kommunikation ist doch etwas Feines. Sina stößt die Luft aus. Nur diesmal aus der Nase. „Robin...“, entflieht ihr hell. Meine Mundwinkel zucken. Was sagt es über mich aus, dass ich darauf stehe, wenn andere meinen Namen derartig verzweifelt ausrufen? Statt darauf zu reagieren, sehe ich sie einfach nur an, ergötze mich an dem vielfältigen aufeinander folgenden Stimmungstheater in ihrem Gesicht. Ich sehe lächelnd dabei zu, wie sie kehrt macht und in ihrem Zimmer verschwindet. Lena macht das auch. Liegt es an mir? Sicher nicht. Ob ich Frauen jemals verstehe werden? Vermutlich nicht. Gut, dass es mir egal ist. Leicht amüsiert öffne ich die Tür zum Wohnheimzimmer und sehe, wie in diesem Moment ein T-Shirt von Jeffs Seite zu meiner fliegt. Vielleicht war es auch ein Pullover oder ein Hemd. „Bitte sag mir, dass du nicht schon wieder umräumst“, flehe ich genervt, als ich den Raum betrete und neben meinem Mitbewohner stehen bleibe. Jeff steht vor seinem Kleiderschrank, dreht sich langsam zu mir um und legt seinen Kopf schief, während seine Schultern nach unten sacken. Er sagt nichts, sondern runzelt nur seine Stirn. Ich fühle mich durch den gewonnenen Schlagabtausch mit Sina unbesiegbar, also gebe ich nicht nach und bohre mit meinen Blicken weiter nach. „Mache ich nicht. Ich versuche nur ein passendes Outfit für morgen zu finden.“ Morgen. Die Party. Ich schüttele mich unwillkürlich und hänge das feuchte Handtuch über die Heizung. Danach setze ich mich auf mein Bett. Ich greife nach den bereitgelegten Sockenknäul und ziehe es mir über die kalten Füße. Einen roten und einen mintgrünen. „Wenn du jetzt sagst, du hast nichts zum Anziehen, dann sperre ich dich über Nacht in den Schrank. Auf Garantie“, drohe ich ruhig. „Pff, versuchs doch!“, entgegnet er neckend und erhebt die Fäuste in eine Kampfposition. „Und das ist nicht das Problem.“ Ich bin froh, dass er es nicht erläutert, denn egal, wie oft er es versucht, ich werde es niemals verstehen. Für mich ist diese ganze Bekleidungsgeschichte ganz simpel. Hose an. Pullover an. Fertig. Alles andere ist optional. „Und wieso machst du das nicht morgen? Du änderst bis dahin sowieso mindestens fünfmal deine Meinung.“ Manchmal passt Jeff die Farben seiner Kleidung seiner aktuellen Stimmung an. Wirklich verrückt. „Ich habe morgen den ganzen Tag zu tun und kann nur zum Duschen und Umziehen herkommen. Also kann ich mich nicht fünfmal umentscheiden“, murrt er mich an und ich hebe abwehrend meine Hände in die Luft. Alle Erfahrung sagt mir, dass Jeff trotzdem Zeit findet, um sich wankelmütig zu zeigen. Trotzdem belasse ich es dabei. „Ist ja gut... brauchst du Hilfe?“, biete ich an und rutsche auf meinem Bett zurück, sodass ich gemütlich gegen die Wand gelehnt sitzen kann und lege lässig meine Unterschenkel übereinander. Ich wackele kurz mit den bunt bestrumpften Zehen, während mein Mitbewohner unschlüssig rumsteht. Vermutlich hat Jeff verlernt, eigene Entscheidungen zu treffen, weil er das ganze letzte Jahr Abel mit seinen Klamottendramen quälen konnte. Er dreht sich wieder um und greift mit beiden Händen an seinen rechten Beckenknochen, als würde ihm die Geduld ausgehen. Noch dazu ist es ein schnelles ablehnendes Umdrehen, doch er sagt nichts. Stattdessen öffnet sich sein Mund ein klein wenig, schließt sich wieder und eine seiner Augenbrauen wandert nach oben, ehe er mich mustert. „Okay, dann nicht.“, gebe ich nach, als ich mir sicher bin, dass sein skeptischer Blick daher rührt, dass sich als Statement meine gesamte nichtige Garderobe vor seinen inneren Augen wie ein Film abspielt. Reichlich mühsam stehe ich von meinem Bett auf, streiche die Decke glatt und setze mich an den Schreibtisch. Das vorhin geflogene T-Shirt ist auf meinem Stuhl gelandet und ich werfe es ungalant zurück in Jeffs Hälfte. Ich spüre seinen Blick in meinem Rücken und setze mir demonstrativ die Kopfhörer auf. Die Musik schalte ich nicht an und nach einem weiteren Moment spüre ich Jeffs warme Arme, die sich um meinen Hals legen. Er trägt das Parfüm, welches ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe und riecht zusätzlich noch nach Zimt. Vermutlich ist es das Weihnachtsgebäck, was er letztens unbedingt kaufen musste. Im November. Allerdings würde Jeff auch im Hochsommer Spekulatiuskekse essen, wenn es denn welche gäbe. Ich patte seinen Unterarm, während sich gedanklich manifestiert, dass mein Jugendfreund einen an der Klatsche hat. Nicht, dass ich das nicht längst wusste. „Entschuldige und danke für das Angebot...“, sagt er halblaut, sodass ich es auch durch meine Ohrschützer höre, „... aber ich denke, du bist, was das angeht, wirklich keine Hilfe...“ Wow, Zuckerbrot und Peitsche. Von wem hat er das gelernt? Es folgt ein Kichern und dann knuddelt er mich fester, eher er mich loslässt. Ich drehe mich nicht zu ihm um, sondern lasse ihn einen meiner unschicklichen Paradefinger sehen. Danach setze ich mich an eine fällige Hausaufgabe für meinen Studium Generale-Kurs. Um zu verhindern, dass die Studenten im Fachsumpf versinken, muss man für ein paar Punkte auch Kurse aus anderen Themenbereichen wählen. Den Horizont erweitern und so weiter. Bla Bla. Lauter nutzfreies Zeug. Dieses Semester blieb mir nichts anderes übrig, als mich durch die Fülle der Nichtigkeit zu wühlen und mich für eine der zeitraubenden Seminare zu entscheiden. Es wurde Internetrecht und Marketing. Es schien mir das kleinste Übel, doch mittlerweile bin ich mir da auch nicht mehr so sicher. Ich hätte doch lieber kreatives Schreiben nehmen sollen. Allerdings hätte es mich instant gekillt, wenn ich dort nicht mit der erwarteten Note rauskäme. Also ergebe ich mich dem zähen Paragraphenwust des Internetrechts in der Erwartung, dort einfach nur auswendig zu lernen. Nur leider ist das Thema schrecklich langweilig und verbraucht den letzten Rest meiner Konzentrationsfähigkeit. Mein Blick geht unwillkürlich zur Uhr, als die Abfahrtszeit für Kains Zug näher rückt und mein Zeigefinger tippt ein paar Mal unruhig gegen die Leertaste, ohne sie zu betätigen. Für einen Moment denke ich, dass es doch ganz gut gewesen wäre, wenn ich mich nach dem Stand seiner heutigen To-Do-Liste erkundigt hätte. Doch ich verwerfe den Gedanken ebenso schnell wieder. Kain kommt, wenn er kommt. Ganz einfach. Zehn Minuten später regt sich mein Telefon. Eine Nachricht zu diesem Zeitpunkt ist kein gutes Zeichen und als ich sie lese, bestätigt sich meine Vermutung. -Hab den Zug verpasst. Schaffe es nicht vor morgen früh.- Ich lese den Text ein paar Mal, so als würde sich irgendwas am Inhalt ändern, wenn ich die Worte nur oft genug in meinem Kopf wiederhole. Natürlich ein Trugschluss, gespeist von der irrationellen Hoffnung, die sich in meinem Brustkorb zentriert. So viel zu `Kain kommt, wenn er kommt`. Wieder bildet sich ein bestimmtes Wort in meinem Kopf, welches mich einfach nicht loslässt. Lächerlich. Meine Enttäuschung ist lächerlich. Denn eigentlich macht es keinen Unterschied, ob er heute Abend hier aufschlägt oder erst morgen Vormittag. Es ist auch nicht das erste Mal, dass er den Zug vor lauter Geschäftigkeit verpasst. Kains Anforderungen an sich selbst sind gigantisch. Er will es besonders gut machen und beweisen, dass das Vertrauen, was man in ihn setzt, gerechtfertigt ist. Seine Zeitpläne sind straff und er ist manchmal so konzentriert, dass er alles um sich herum vergisst. Mir geht es nicht anders, wenn ich in ein Projekt vertieft bin. Es ist vollkommen normal. Total in Ordnung. Weshalb es mich umso mehr überrascht, dass ich eine so explizite Ernüchterung in mir brennen spüre. Morgen früh wird er direkt vom Bahnhof zur Vorlesung müssen und kaum Zeit haben. So wie ich es einschätze, wird er es nicht zum Mittagessen schaffen und abends steht diese vermaledeite Party an, auf die ich so sehr möchte, wie ein Schneemann in die Wüste ein Nickerchen präferiert. Ob ich will oder nicht, es gab keine Chance, es abzulehnen. Jeff offerierte mir die Party über Jake, dessen Cousine wohl die Gastgeberin ist und dann kam ein paar Tage später auch noch die entzückende Inderin auf mich zu. Wie immer lieblich, zauberhaft und mit diesen kleinen hübschen Spielereien im Haar. Ich habe noch immer nicht gelernt, ihr zu widerstehen und als sie mir mit ihren schönen braunen Augen verdeutlichte, wie sehr sie es freuen würde, wenn ich auch komme, konnte ich meine obligatorische Ablehnungsrede nur noch effektlos vor mich hin wimmern. Wie ich Partys hasse. Wie ich Menschen hasse, die Partys veranstalten. Letztendlich ergab ich mich vollends dem Herdentierverhalten, als auch Kain vorschlug dorthin zugehen, weil er unbedingt mal wieder das Tanzbein schwingen will. Nichts davon erzeugte freudiges Erwarten in mir und doch gab ich nach. Nun hab ich den Salat. Noch einmal lese ich die Nachricht des Schwarzhaarigen. Ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Ich scrolle zur vorigen Woche und schaue, was ich ihm beim letzten Mal geschrieben habe, als er den Zug verpasste. Es ist wenig erhellend und leider auch nicht kopierbar, weil ich ihn schlecht ein zweites Mal darum bitten kann, mir am Morgen dasselbe Buch nochmal aus der Bibliothek mitzubringen. Ein anderes brauche ich leider nicht. Ignorieren kann ich ihn auch nicht. Ich seufze leise, aber ergeben und ziehe die Schublade meines Schreibtischs auf. Ich hole die Packung Zigaretten hervor, die ich darin verwahre, weil ich genau weiß, dass auch ich hin und wieder schwache Moment habe. So wie jetzt. Draußen schiebe ich mir eine der zylindrischen Krebserreger zwischen die Lippen, setze mich auf die freie Bank vor dem Eingang und lasse meinen Kopf nach hinten kippen. Ich stecke sie mir nicht an, sondern nuckele eine Weile das Filterpapier weich. Der Himmel ist grau und genauso matschig, wie die Gedanken in meinem Kopf. Es wird langsam dunkel und kalt. Ich versinke tiefer in die von allen gehasste übergroße Strickjacke, die von Kain mal als totes Tier bezeichnet wurde. Der Zigarette widerstehe ich heldenhaft. Mein Handy vibriert erneut und zögernd ziehe ich es aus meiner Hosentasche. Diesmal zeigt mir das Display eine Nachricht von Lena an und mein Körper lehnt sich entspannt wieder zurück. Ich habe nicht mal gemerkt, dass ich mich aufgerichtet habe. - Was willst du zum Geburtstag?-, fragt sie mich. Hier weiß ich die Antwort sofort. - Ruhe- - Böh- - Mehr Ruhe- - Mäh- - Seelenfrieden- Die Reaktion darauf dauert etwas länger als die vorigen. - Reichen dir auch Gummibärchen? Ich habe einen Laden mit vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen gefunden.- Ich kann nicht anders, als leicht zu grinsen. Ich mache mir nicht viel aus meinem Geburtstag und dieses Beschenken ist mehr als überflüssig für mich. Ich weiß nicht, wie oft ich es ihr schon gesagt habe. Dennoch versucht sie es immer wieder, obwohl ich nie etwas Nützliches erwidere. - Tu was du nicht lassen kannst-, antworte ich ihr. Mein Blick bleibt erneut an Kains Nachricht hängen, als ich beschließe, alle weiteren Zeilen von meinem genetisch übereinstimmenden Familiengummibärchen zu ignorieren. Seufzend tippe ich mehrere Varianten einer herunterspielenden Antwort, überlege am Längsten bei `Shit Happens´ und entscheide mich letztendlich für ´Ist dann wohl so. Pass auf dich auf.´. Direkt nach dem Senden lege ich das Telefon zur Seite und versuche den bitteren Geschmack zu verdrängen, der sich in meinem Mund ausbreitet. Wieder lasse ich die Zigarette zwischen meinen Lippen wippen und schließe die Augen. Ich fühle mich schon jetzt, wie ein vollkommener Idiot und das gefällt mir gar nicht. Ich bleibe noch eine Weile sitzen, genieße die kühle Luft auf meiner Haut, die langsam aber sicher auch die Hitze aus meinem Gedanken verdrängt und gehe erst zurück ins Wohnheimzimmer, als meine Finger eiskalt sind. Die Zigarette landet ungeraucht im Müll. Jeff hat Wort gehalten und kein größeres Klamottendesaster angerichtet. Seine Laune hat sich allerdings nicht gebessert und er sitzt unzufrieden vor seinem neuen Laptop. Seine muffelige Sitzhaltung sieht reichlich anstrengend aus, weshalb ich trotz kalter Hände zum Kühlschrank gehe und uns beiden ein Eis heraushole. Erst lehnt er ab. Doch sein Widerstand schmilzt schnell. Eis geht immer. Der orbitofrontale Kortex lügt nicht, was das angeht. Mein ganz eigenes Lebensmotto. Und es wirkt. Noch während des Essens beginnt Jeff enthusiastisch über all das zu schnattern, was ihm gerade durch den Kopf geht und obwohl ich für einen Sekundenbruchteil an meinen Verstand zweifele, unterbreche ich ihn kein einziges Mal. Es passiert selten, aber im Moment kommt mir die leichtlebige Geräuschkulisse sehr entgegen. Jeff geht eine halbe Stunde nach mir ins Bett und schläft lange, bevor ich es tue. Ich drehe mich im Fünfminutentakt von der einen Seite auf den Rücken, auf die Seite, auf den Bauch. So, wie es meine Mutter zu Weihnachten mit Rouladen macht. Meine Gedanken sind lange unstet und drehen sich energisch im Kreis. Ich hielt die Metaphern mit dem Karussell immer für abgedroschen und klischeehaft, doch in diesem Moment empfinde ich sie als seltsam passend. Irgendwann schaltet auch mein Kopf in Slow Motion und ich schaffe es wegzudösen. Es ist nur ein unterschwelliges Knarzen, welches ich im Halbschlaf wahrnehme und mich weckt. Das Schließen der Tür. Zurückhaltende Schritte. Ich drücke mein Gesicht dichter ins Kissen, nachdem ich mich auf die andere Seite drehe und mit dem Rücken zum Raum liege. Vermutlich ist Jeff auf Wanderschaft. Das Rascheln einer Jacke ist zu hören und das Auftreffen der Plastikschoner eines Rucksacks, den vor meinem Schreibtisch abstellt. Es folgt das leise Tapsgeräusch von baren Füßen auf kühlem Grund und ich weiß, wer es ist, ohne noch langer darüber nachdenken zu müssen. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Kain. Ich erkenne ihn an jedem noch so klitzekleinen Geräusch. Die Art und der Rhythmus seines Gangs. Doch es ist nicht nur das, sondern auch sein Geruch, der sich um mich legt, als er näher kommt. Wie warmer sanfter Nebel mit einer dezenten Note von Ingwer und Zitrone. Meine Fingerspitzen beginnen verräterisch zu kribbeln. Jede Welle belebt meinen Körper mit aufreizendem Tumult. Ich reagiere dennoch nur träge, als Kain sich zu mir aufs Bett setzt und taste fahrig nach meinem Telefon, welches theoretisch unter meinem Kopfkissen liegt. Ich finde es nicht und suche auch nicht weiter, als erste kalte Akzente auf meine Haut treffen. Kain hebt die Decke an, legt zunächst meine Schulter und dann meine Waden frei. Gemächlich stiehlt er sich unter die Decke, streckt seine langen Glieder und ich höre ein sanftes Raunen über seine Lippen perlen. Ich beiße die Zähne zusammen und gebe nichts weiter als murmelige Laute von mir, ehe ich es schaffe, richtige Worte zu formulieren. „Nrghn, kalt... kalt...wm... machst du...“, nuschele ich einen halben Satz zusammen. Kain reagiert nicht auf mein Gebrabbel, sondern raschelt ungehemmt mit der Decke und justiert seinen langen Körper hinter meinem. „Hast du kein eigenes Bett?“, klage ich matt. Diesmal aber deutlicher und zusammenhängend. „Will aber in deins...“, murmelt er ruhig, sanft und ein wenig verschwörerisch. Wie immer entwaffnend. Er ist viel zu geschafft, um auf meine Zankereien einzugehen. Ich starte einen neuen Versuch, mein Handy zu finden und schaffe es, die Uhrzeit zu erhaschen. Es ist weit nach Mitternacht und bevor ich erfragen kann, wie er hergekommen ist und was er hier macht, regt sich Kain. „Wärme mich!“, verlangt er neckend. Ich brumme undefiniert, aber nicht ablehnend. Kain reagiert mit einem leisen Lacher. Ich spüre, wie seine Hand unter mein Schlafshirt gleitet und an meiner Brust liegen bleibt. Ich lasse meine Augen geschlossen und beginne unwillkürlich, tiefer zu atmen. Kains flache Hand drückt sich dabei noch etwas fester gegen mein Sternum, saugt meine Reaktionen in sich ein. Die Kälte hält nicht lange an, sondern macht Stück für Stück der berauschenden Hitze Platz, die der Leib des anderen Mannes entwickelt. Einzig Kains Nähe macht das mit mir und ich kann nicht verhindern, dass ein sanftes Keuchen der Zufriedenheit von meinen Lippen perlt. „Wie bist du hergekommen?“, erkundige ich mich murmelnd und lehne mich zurück, sodass ich seine starke Brust komplett an meinem Rücken spüre. „Bummelzüge. Sie sind hin und wieder ganz praktisch... musste nur dreimal umsteigen“, erklärt er mit schwerer Zunge, trotzdem spüre ich ihn in meinem Rücken grinsen. Ich habe fast etwas Mitleid mit ihm. Es wäre nicht nötig gewesen, doch das tiefe Kribbeln in meinem Bauch bestätigt das Gegenteil. „Willst du nicht lieber in dein eigenes Bett gehen?“, frage ich träge. Kains Gesicht drückt sich in meinen Nacken und ich spüre seinen warmen Atem über meine Haut prickeln. Seine Nase ist leicht kühl und reibt über die feinen Härchen an meinem Haaransatz. Danach pieksen mich die Bartstoppeln seines Kinns. Kain brummt sanft und tief. Direkt an meinem Ohr. Mein Körper summt, als hörte er Musik. Das Alles setzt heftige Schauer in Gang, die sich in Wellen durch meine Glieder arbeiten. Mich pushen und heben, aber zur selben Zeit in eine tiefe Entspanntheit wiegen. „Warum sollte ich das wollen?“, erfragt er ruhig, nachdem er einen hauchzarten Kuss auf eine besonders empfindliche Stelle meines Halses haucht. Meine Atmung wird schwerer und tiefer. Mein Körper schreit nach Aufmerksamkeit. Schreit nach ihm, obwohl meine Äußerungen schon wieder das Gegenteil behaupten. „Weil...“, setze ich an, versuche meine Gedanken zu ordnen und stoppe, als es nicht funktioniert. Mein Gehirn ist schwerfällig und wattiert. Ich bin müde und zugleich aufgeregt angespannt. „Weil?“, wiederholt er. Wieder fühle ich seinen warmen Atem auf meiner Haut und das abgesoffene Gefühl meines Gedankenmotors wird nur noch prekärer. Überhaupt fühle ich mich vollkommen benebelt, weil sich jeder Zentimeter seines langen, muskulösen Körpers an meinen presst und ich lechze danach. „Es gibt viele Gründe...“, sage ich letztendlich. Etwas zu schnell, weil ich befürchte, die Worte auf halber Strecke wieder zu vergessen. Ich weiß auch in der Sekunde des Aussprechens, dass es keinen Effekt auf Kain haben wird, denn er hat längst gelernt, meinen daher gesagten Worten wenig Beachtung zu schenken und mehr darauf zu hören, was mein Körper sagt. Und dieser schreit gerade lauter als ich es mit meinem Mund könnte. „Ach ja, und welche sind das?“ „Jeff.“, sage ich das, was mir als erstes einfällt. Eine argumentative Fehlleistung ersten Grades. Kains Blick wandert zu dem Bett meines Mitbewohners und ich bin mir fast sicher, dass er selbstgefällig grinst. Auch, wenn ich es nicht sehe. „Den stört es nicht, dass ich hier liege.“, flüstert er. Einwand abgeschmettert. Ich schnaube schwach, weil er Recht hat und ich im Grunde damit gerechnet habe. Ich gebe aber nicht auf. „Zu kleines Bett“, argumentiere ich als nächstes. Zwei Kerle gleichzeitig in diesem schmalen Bett ist äußerst unbequem. Zumal Kain mehr als die Hälfte des Platzes einnimmt. Außerdem bin ich mir sicher, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit an einem Hitzeschlag sterbe, wenn er sich die ganze Nacht an mich drückt und kontinuierlich seine Temperatur an mich abgibt. Die wenigen bisherigen Male, in denen das vorgekommen ist, waren, was das angeht, wirklich eine Herausforderung für mich. Ich bin es nicht gewohnt, mit jemanden das Bett zu teilen. Weder in großformatigen Schlafstätten, noch in den schmalen, wie wir sie in den Wohnheimen haben. Noch dazu ist mein Temperaturregler fein und präzise auf Selbsterhalt abgestimmt und alles Zusätzliche bewirkt nur Chaos. „Ich kann etwas rutschen, wenn du mehr Platz brauchst.“ Entwaffnend, wie eh und je. Und mächtig gelogen. Wenn er auch nur eine Winzigkeit nach hinten rutscht, macht er einen gnadenlosen Abgang. „Ich habe auch eine Kissenfunktion. Die kannst du ja mal versuchen...“ Kains angebliche Multifunktionalität überrascht mich wenig. Ich murre als Antwort und merke, wie sich mein Körper leicht anspannt, als sich seine Hände unter mein Schlafshirt schieben. Ich fühle die vertraute Rauheit seiner Fingerkuppen und schmelze in die Berührung. Ich schließe meine Augen und erlaube mir die stärker werdende Wärme zu genießen, die sich von dem anderen Körper auf mich überträgt. Es fühlt sich gut an. Seine Nähe fühlt sich gut an. Ich setze meine nichtigen Argumentationen nicht fort und konzentriere mich nur noch auf den Körper hinter mir. Warm. Stark und beruhigend. Er ist hier, geht mir durch den Kopf. Wieder und wieder als ein stetiges Echo und tilgt auch den letzten Rest der Unruhe, die seit seiner Nachricht in mir schwelte. „Nur ein bisschen... okay?“, flüstert Kain und kuschelt sich dichter. Ich antworte nicht, rege mich nicht. Ich atme nur. Ruhig und stetig. Genau, wie er. Tief und entspannt. Er ist hier. Ich lächele. Genauso schlafen wir ein und ich erwache am Morgen in derselben Position. Seine Wärme ist überall. Sie dringt tief in mich ein, umhüllt mich und hält mein Gehirn trotz Schlaf in einem eher matschigen Zustand. Kain ist in der Nacht etwas tiefer gerutscht und schmiegt sein Gesicht zwischen meine Schulterblätter. Die Stelle ist besonders heiß, leicht schwitzig und unwillkürlich entziehe ich mich der Berührung. In dieser Position müssen Kains Füße über die untere Bettkante ragen. Vermutlich ist das sein Hitzeausgleich. Fahrig taste ich nach meinem Telefon und finde es in der Vertiefung zur Wand. Automatisch betätige den Aktivierungsknopf und wundere mich im ersten Moment darüber, dass es dunkel bleibt. Erst als ich auch ein Auge öffne, erkenne ich die Umrisse. Mein Blick ist verschwommen und ich erkenne nur, dass die vordere Zahl der Uhrzeit noch einstellig ist. Das reicht mir aus. „Wie spät ist es?“, höre ich hinter mir fragen. Seine Stimme ist rau und undeutlich. Ich antworte nicht, sondern halte das angeschaltet Handy über meine Schulter. Kain greift danach, berührt meine Finger. Der kurze Kontakt tanzt über meine Haut, wie ein farbenfroher Gewittersturm. Prickelnd. Kribbelnd. Pulsierend. Es lässt meinen Körper elektrisiert beben. Doch statt gemächlichem Raunen vernehme ich ein scharfes Lufteinziehen hinter mir und der warme Körper ist plötzlich weg. „Mist! Meine Vorlesung geht gleich los und ich muss noch mal ins Wohnheim.“ Ich drehe mich auf den Rücken und genau in die angewärmte Kuhle, die Kains Körper dort hinterlassen hat. Mit nur einem geöffneten Auge sehe ich dabei zu, wie er seine abgelegten Habseligkeiten einsammelt und setze mich langsam auf. Nun merke ich, dass die bewegungslose Nacht nicht spurlos an mir vorübergegangen ist. Ich bin steif. Arme. Beine. Kopf. Alles. Ich bekomme schlechte Laune. „Wärst du gleich in dein eigenes Zimmer gegangen, hättest du jetzt nicht so einen Stress...“, kommentiere ich gähnend, streiche mir durch die wuscheligen Haare und neige meinen Kopf hin und her. Kain hält prompt in seiner Bewegung inne und starrt mich an. Ich schaue unverwandt zurück, beobachte, wie er auf das Bett zukommt und sich mir entgegen beugt. „Dann wäre ich aber nicht in den Genuss gekommen heute Morgen dein doofes Gesicht zu sehen.“, patzt er flüsternd zurück. Doofes Gesicht? Das habe ich wohl verdient. „Und das hätte ich schade gefunden...“, hängt er noch mit ran, lässt seine Zunge schnalzen und greift nach seinem Handy, welches auf meinem Nachtisch liegt. Ich murre und verdrehe die müden Augen, während er sich die Socken und die Schuhe anzieht. Ich fasse mir in den Nacken und drücke meine Finger in die schmerzenden Stellen. Trotzdem schaffe ich es nicht, das dümmliche Grinsen aus meinem doofen Gesicht zu wischen. So viel Stupidität. Es muss ein neuer Rekord sein. „Bis nachher...“, sagt Kain und verschwindet durch die Tür, ohne dass ich etwas erwidern kann. Auch das habe ich verdient. Es hat sich im Grunde nichts geändert. Das ist gut für mich. Das ist das, was ich will. Oder? Ich lasse mich zurück auf die Matratze fallen, drehe mich samt Kopfkissen auf den Bauch und beiße in den nach Kain riechenden Stoff. Geräuschlos hasse ich mich selbst ein bisschen, weil ich durchaus merke, dass Kain es nur gut meint. Er sucht meine Nähe und er ist mitten in der Nacht noch hierher gefahren. Mit Bummelzügen! Ob er es für mich getan hat? Nur für mein doofes Gesicht? Der Gedanke ist angenehmer, als mir lieb ist. „War das Kain?", murmelt mein Zimmergenosse laut, aber verschlafen, hascht nach Aufmerksamkeit und unterbricht meine mittlerweile feuchte Beißorgie. Seine Anwesenheit habe ich fast schon vergessen und das obwohl er in der Nacht noch mein Hauptargument gegen Kains Verbleib gewesen war. Ich luge unter dem Kissen hervor, spüre den angesabberten Stoff an meiner Wange und kann auf der anderen Seite des Zimmers nur einen Deckenhügel mit Armen und Beinen erkennen. „War der Weihnachtsmann.“, kommentiere ich lapidar und höre, wie Jeff geräuschvoll beginnt seinen Körper zu strecken. „Ich dachte, der lebt am Nordpol?“, quasselt er. „Nein, unter deinem Bett und mit den Staubflusen baut er Schneemänner.“ „Hmm. Jeder braucht ein Hobby“, sagt Jeff schlicht, ohne auf den Irrsinn unseres Gesprächs einzugehen und schält sich langsam aus der Decke. Wieder strecken sich seine Glieder und er lässt seine Füße geräuschvoll knacken. Er sieht sich mit nur einem Auge aufmerksam im Zimmer um, so als könnte er Kain doch noch irgendwo entdecken und kratzt sich am Hals. Ich sehe ihm dabei zu und rühre mich keinen Millimeter aus meiner Decke heraus. Muss ich auch nicht. Denn im Gegensatz zu den anderen beiden habe ich donnerstags keine Vorlesung und nur alle zwei Wochen eine Übung. Diese Woche nicht. Als kann ich den ganzen Tag damit zu bringen, nichts zu tun. Wahlweise auch zu grübeln oder vor Langeweile zu sterben. Am Anfang des Semesters werden die Aufgaben nämlich nur Schubweise rausgegeben. Später explosiv und alle auf einmal. Normalerweise würde ich eine solche Gelegenheit nutzen, um an meinen Romanen zu schreiben, aber Karsten, mein Verleger, hat mir mehr oder weniger deutlich gemacht, dass er im nächsten halben Jahr nichts von mir erwartet, weil ich so motiviert vorgearbeitet habe. Ich lache nach wie vor bei der Erinnerung daran, wie seine Augenbrauen nach oben flippten als er ´Motiviert vorgearbeitet´ sagte. Im Grunde hat er mir höflich mitgeteilt, dass ich mit meinem letzten, etwas unerwarteten Roman, die Frühjahrsplanung torpedierte. Es wäre sein gutes Recht gewesen, Nein zu sagen und ich hätte mich nicht beschwert. Okay, vielleicht doch, aber nur weil sie immer noch nicht davon abgelassen haben, mich in dieses Verlags-Symposium-Marketing-Konvention-Dingels zu integrieren, welches für den nächsten Sommer geplant ist. Ich dachte mit meiner letzten Performance beim strategischen Meeting habe ich bewiesen, dass ich das denkbar ungünstigste Werbeschild für den Verlag bin, aber scheinbar hat ihnen meine Fuck-you-Happy-End-Einstellung auch noch gefallen. Ich sei der perfekte Konterpart zu den sonstigen sonnigen, rosaroten Liebesrepräsentanten, die der Verlag bunkert. So hat es Brigitta ausgedrückt. Dass auch meine Bücher unter der Fülle von übertriebener Herzschmerzmethapern ächzen, schien vollkommen vergessen. Noch dazu weiß ich bis heute nicht, ob ich es hätte als Beleidigung oder als Kompliment auffassen sollen. Vor allem als meine verrückte Lektorin die Hälfte der Zeit wie im Wahn kicherte, während sie von Podiumsdiskussionen und Meet and Greets sprach. Manchmal glaube ich, dass sie es genießt, mich zu foltern. Mein Gehirn schwankt auch noch immer zwischen bekräftigen Niemalsrufen und angsterfüllten Was-wenn-doch-Momenten hin und her. Sie kennen meine Einstellung dazu, allen voran Brigitta und sie ist es auch, die genau weiß, wie sie mich einlullen kann. Wahr ist aber auch, dass ohne sie und ihrem unerschöpflichen Optimismus meine Bücher nie so weit gekommen wären. Ich verdanke ihr sehr viel und habe selten die Gelegenheit, ihr etwas zurückzuzahlen. Ich werde mich also fügen. Allein schon für Brigitta. Auch, wenn sie das nicht erfahren muss. Ergeben seufzend, greife nach meinem Handy und tippe eine Nachricht an sie. - Hab eine neue Idee.- Die Antwort folgt prompt. - Hoffe es ist etwas Schmutziges- Professionalität in Hochform. Wofür steht das Auberginen-Emoji? - Möglich. Wann bist du wieder in der Stadt?- Sie tippt. Sie tippt lange. - Oh, du, meine kleine Toffifee, endlich erhörst du meine Gebete. Ich schaufele mir für die nächste Woche einen Termin frei. Mach mir eine Leseprobe fertig. Ich gebe dir Bescheid.- Sie beendet ihre Nachricht mit einer Fülle an zuckrigen Emojis, von denen ich die Hälfte noch nie gesehen habe. Ich kann den flötenden Ton ihrer Stimme förmlich in meinem Kopf hören und genauso merke ich, dass meine Zähne zu pochen beginnen. Ich schäle mich mit juckender Haut aus der Decke, greife mir ein paar Klamotten und verschwinde in den Sanitärbereich. Ich bin nicht allein. Jeff ist ebenfalls hier und befindet sich mit zwei anderen Kerlen in einer Diskussion über das Für und Wider von Kondomen mit Geschmack. Ich frage nicht nach, wie sie auf die Thematik gekommen sind und beteilige mich auch nicht an der Fortführung. Meine Zähne putze ich mir zweimal. Vor dem Gesicht waschen und danach. Ich würde es ein drittes Mal tun, aber ich ertrage die dummen Gespräche der anderen Anwesenden nicht länger und suche eilig das Weite. Zurück im Zimmer durchsuche ich mein Bett nach den kaum benutzten Socken vom Vorabend und schalte meinen Rechner ein. Noch während ich darüber nachdenke, wie ich die Zeit rumkriege, öffne ich das Fenster und lasse frische Luft rein. Auch Jeff trudelt wieder ein, plaudert ekelhaft fröhlich vor sich hin und ich lehne seine Einladung für ein gemeinsames Frühstück dankend ab. Ich habe keinen richtigen Hunger und besorge mir lieber etwas Richtiges für das Mittagessen. Abgesehen davon würde ich Jeff vermutlich, bevor wir in der Mensa ankommen, meucheln und irgendwo im Beet verbuddeln. Mein Handy rettet mich oder eher Jeff, als mir Brigitta einen Terminvorschlag für die kommende Woche macht. Ich bestätige diesen und ignoriere danach mein Telefon weitgehend, weil meine Lektorin eine gewichtige Ladung Karies über mir ausschüttet. Ich erledige gelangweilt ein paar Aufgaben für die Uni, ziehe mir später, statt eines ordentlichen Mittagsessens nur ein paar Brote mit Butter und Frischkäse aus dem Ökomaten in unserer Lobby und gönne mir gleich zwei Eis aus dem Gefriereschrank. Zur gleichen Zeit. Mein evolutionäres Hochgefühl wird nur von der Tatsache gedämpft, dass sich Kain noch mit keinem Wort bei mir gemeldet hat und es mir auffällt. Wieso sollte er auch? Wir haben uns heute Morgen gesehen und ich war wie immer nicht sehr zuvorkommend. Zum Nachmittag hin geht meine eisgehobene Laune vollkommen flöten und ich brauche dringend Bewegung. Ich bin unruhig und angespannt. Ich fühle mich rastlos und das nicht erst seit heute. Ohne länger darüber nachzudenken, krame ich meinen Basketball unter dem Bett hervor, ziehe mir eine bequeme Stoffhose an und mache mich auf den Weg zum Sportplatz. Mein erster Wurf trifft und ich fühle, wie ein Schauer der Zufriedenheit durch meinen Körper strömt, der es kompensiert, dass die nächsten drei Würfe daneben gehen. Auch der vierte und fünfte. Das ist weniger zufriedenstellend, aber weiterhin tragbar. Vor allem als ich merke, dass niemand sonst in der Nähe ist und meine Fehlwürfe bemerkt. Nur ein paar von diesen verrückten Läufern, die ihre Runden auf dem Sportplatz drehen, sind zu sehen und die haben gewiss andere Probleme, als mich zu beobachten. Ich dribbele einen Moment auf der Stelle, atme tief ein und versuche es erneut. Mit weniger Konzentration klappt es besser. Als der Ball durch den schlichten Metallring kippt, reiße ich meine Faust hoch und verkneife mir im letzten Moment einen begleitenden Ausruf des überzogenen Egoschmeichelns. Stattdessen flüstere ich es nur, sehe mich unauffällig um und folge meinem weggehüpften Ball. Im Grunde hätte ich mich nicht einmal zusammenreißen müssen, denn niemand interessiert es am Anfang des Semesters, wenn ein Verrückter auf dem Basketballplatz rumbrüllt. Die Toleranzen für den Alkoholpegel der Studenten an dieser Uni sind erschreckend hoch. Nach nur zehn weiteren Minuten sind meine Fingerspitzen eiskalt und ich habe das Bedürfnis, sie wie kleine Pfötchen in meinen Pulloverärmeln zu verstecken. Trotz der Frostbeulen bewege ich mich unaufhörlich zwischen den Körben hin und her und spüre endlich, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. Es fühlt sich gut an. Das dumpfe Rauschen in meinen Ohren ist laut. Das pochende Dröhnen in meiner Brust ist betörend und belebend. Es sorgt dafür, dass für diesen Moment das Echo in meinem Kopf alles übertönt. Es ist genau das, was ich brauche. Es ist genau das, was ich will. Endlich etwas Ruhe inmitten des Sturms. Ich gebe mir die beste Mühe, mich wirklich auszupowern, merke alsbald, wie sich trotz der Kälte Schweiß von meiner Schläfe löst und mache weiter. Mittlerweile ist es bereits dunkel und es fällt mir immer schwerer, den abgenutzten Korbring zu erkennen. Das eigentlich daran befestigte grobe Netz fehlt schon ewig. Ohne auf meinen Mitbewohner zu achten, werfe ich den Ball auf das Bett und schnappe mir das abgelegte Handtuch, ehe ich wieder aus dem Zimmer verschwinde. Ich schwinge meinen verschwitzten Körper unter die Dusche und habe danke der angenehmen Wärme nur noch weniger Enthusiasmus zu der Party zu gehen, als vorher. Was kommt eigentlich nach Nullbock? Minuselan? Defizitschwung? Ich bilde ganz sicher meine eigene Kategorie, was das angeht. Mood Robin. Der Blick in den Spiegel nach der Dusche sagt mir, dass mein Gesicht auch den passenden Emoji dazu liefert. Ich hasse Partys. Es kann mir schon per Definition keinen Spaß machen. Zwangsloses Fest. Am Arsch. Trotzdem lasse ich mich dazu herab, mich zu rasieren und putze mir artig die Zähne. Zurück im Zimmer sind es seine langen Beine, die ich zuerst bemerke. Sie sind in eine schwarze Jeans gehüllt und bilden damit eine präsente Hürde, die ich nehmen muss, wenn ich zu meinem Bett will. Mich unter der Bettdecke verkriechen ist also keine Option mehr. Ich bleibe im Türrahmen stehen und lausche. Jeff scheint nicht hier zu sein, denn ich höre keine Stimmen oder Gespräche. Wenn Kain schon hier ist, habe ich länger Körbe geworfen, als ich dachte. Als ich das Zimmer letztendlich betrete, erkenne ich, dass er auf meinem Schreibtischstuhl lümmelt und mit gemäßigtem Schwung den Basketball zwischen seinen Händen hin und her wirft. Seine Bewegungen wirken kontrolliert und bedacht. Er ist ein Sportler durch und durch und die aufploppende Visualisierung, was seine wissende Hände noch alles anstellen können, versuche ich schnellstmöglich wieder zu verdrängen. Dank der heiteren Gruppenabendplanung haben wir keine Zeit für irgendwas. Ich werde mich definitiv betrinken. „Ich wusste gar nicht, dass du spielst?“, sagt er und lächelt mich an. Er wirft den Ball hoch und fängt ihn wieder auf. Ich folge dem runden Objekt mit meinem Blick, wie ein zahmes, dressiertes Frettchen. Oder Maskottchen? Ich atme tiefer ein als ich müsste, blase frustriert die Wangen auf und schüttele den Kopf. „Ich besitze nur einen Ball“, sage ich und bin nicht gewillt, meine Schulsportkapriolen vor ihm auszubreiten. Nachher zeigt Jeff ihm noch das Tanzvideo aus dem letzten Schuljahr und das wäre mein absoluter Untergang. Kain richtet sich elegant und fließend auf, blickt auf sein Handy und schiebt es zurück in seine Hosentasche. Er trägt die Strickjacke mit dem diagonalen Reißverschluss, der zur Hälfte geöffnet ist und ein dunkelblaues Hemd offenbart. Er bleibt direkt vor mir stehen, verschränkt beide Arme mit Ball hinter seinem Rücken und als ich einen Schritt zur Seite mache, folgt er mir. Seinen braunen Augen blicken mir auffordernd entgegen, doch ich weiche erneut aus. „Wo ist Jeff?“, frage ich ausweichend und schmeiße das Handtuch auf den Schreibtischstuhl, der schwungvoll eine halbe Drehung vollführt und durch die Rückenlehne vom Schreibtisch gestoppt wird. „Seine Haare in Form bringen, nehme ich an...“, sagt er, zuckt mit den Schultern und bringt den Ball erneut in die Luft, fängt ihn und wirft ihn gleich wieder hoch. Diesmal mit einer deutlichen Rotation. Mir ist noch nie aufgefallen, wie groß seine Hände sind. Deutlich größer als meine eigenen. Ich kommentiere seine Aussage lediglich mit einem lustlosen Raunen und verschränke die Arme locker vor meinem Bauch. Kain mustert mich und ich drehe mich demonstrativ zu meinen wenig aussagekräftigen Kleiderschrank um, um nicht mit ihm reden zu müssen. Meine noch immer am Nullpunkt verweilende Laune macht mich nicht entscheidungsfreudiger. Sie macht mich auch zu keinem besseren Gesprächspartner. Im Gegenteil. Ich lasse meinen Finger über einen Stapel Pullover wandern und verweile bei dem Dunkelroten, den mir Jeff gegeben hat. „Ehrlich, so soll es laufen?“, fragt er ruhig, „Ich dachte, wir wären schon etwas weiter und...“ „Sind wir das?“, unterbreche ich ihn harsch, aber in neutralem Tonfall. Ich wirke lässig, bin aber bis zum Bersten angespannt. Und er merkt es. Natürlich merkt er es. Ich ziehe den Pullover raus und greife nach irgendeiner Jeans, werfe beides ich auf das Bett. „Was ist los?“, erkundigt er sich ruhig. „Nichts.“ Kain ist nicht der Typ, der es damit auf sich beruhen lässt. „Du hast keine Lust auf die Party.“ „Nein.“ Keine Neuigkeit. Trotzdem beruhigt es mich, dass Kain anscheinend nichts anderes hinter meiner Laune vermutet, als meinen allgemeinen Unwillen. „Spatz,...“ Oder doch? Damit hat er sofort meine Aufmerksamkeit. So wie sonst auch. Ich drehe mich zu ihm um, lehne mich gegen den Schreibtisch und stütze mich mit beiden Armen darauf ab. Ich schwöre, dass ich es nicht beabsichtige, ihn provokativ anzublicken, aber ich tue es und ich kann deutlich sehen, was es in dem anderen Mann anrichtet. Kain seufzt und kommt auf mich zu. Diesmal weiche ich nicht zurück. Ich beobachte jede seiner Regungen, erkenne das Senken seiner Lider und wie seine Zunge minimal über seine Unterlippe streicht. Es ist kein richtiges Anfeuchten, kein bewusstes Aufmerksamkeitserhaschen. Nur eine überbrückende Geste. Er sammelt sich, ordnet seine Gedanken und sorgt dafür, dass meine Nervosität steigt. „Würdest du bitte einfach mit mir reden? Ich weiß, dass das nicht deine Stärke ist, aber es hilft enorm. Und ich dachte wirklich, dass wir über diese Spielchen hinweg sind. Direkt und ehrlich, schon vergessen?“, erinnert er an eine unserer vorigen Abmachungen. Eine, die wir nach einem größeren Streit geschlossen haben. Wie könnte ich es vergessen? Aber um ehrlich zu sein, fällt es mir schwerer, als ich dachte. „Du hast es doch schon herausgefunden und es ist nicht wichtig...“, tue ich es erneut ab. Kain mustert mich eindringlich, atmet schwer ein und greift nach meinem Shirt. In Höhe meines Sternums zerknüddelt er den Stoff in seiner Faust und zieht mich damit dichter an sich heran. Es ist eine seltsam sanfte Geste und das trotz der verräterischen Aggressivität, für die sie steht. Als ich ihm näher komme, atme ich tief ein. Kain riecht nach Seife, Regen und seinen Ingwerbonbons. Meine Geschmacksknospen beginnen angeregt zu kribbeln, ganz ohne das physische Erlebnis von Zitrone und Ingwer. Es ist reine Erinnerung und sie macht mich fertig. „Spatz, ich möchte auch die Dinge hören, die für dich unwichtig sind. Egal, was es ist.“ Ich blicke direkt in seine warmen braunen Augen und könnte schworen, dass irgendwas in mir schmilzt. Vermutlich mein Verstand. „Musst du so sein?“, raune ich heiser, ergeben und klammere mich an den letzten Fitzel meines Resthirns. Ich bin erledigt. Hinüber. Komplett am Arsch. Wenn er hier ist, macht er mich verrückt. „Du stehst drauf!“ „Pff.“ Ich stoße bezeichnend die Luft aus. „Okay, du willst nicht, dann fange ich an. Weißt du, woran ich, seit ich mitten in der Nacht hier angekommen bin, denke?“ Die Pause, die folgt, ist obligatorisch. Ich reagiere absichtlich nicht. Ich muss es auch nicht. „An eine Begrüßung von dir.“ „Ich hab dich heute Morgen nicht rausgeworfen, reicht das nicht?“ „Nein, und das hast du auch nur nicht, weil ich es nicht zugelassen habe“, korrigiert er und hat vollkommen Recht. Ich sage nichts dazu, sondern beschließe das Spiel dieses Mal mitzuspielen. Mein Gehirn ist eh schon weich gekocht. „Okay! Wie du willst. Hi.“, erfülle ich ihm seinen Wunsch. Die Begrüßungsphrase schmücke ich mit einer etwas lasziveren Note für das I. „Ein Hi? Ehrlich?“ Er wirkt nicht befriedigt. „Hey?“, starte ich einen weiteren Versuch. „Denkst du wirklich, dass das Hey eine vollwertige, richtige Begrüßung ist?“ „Heyt man sich heutzutage nicht mehr an? Ich dachte, damit liegt man im Trend. Man hört es überall. Hey. Hey. Hey...“ Jedem einzelnen meiner Beispiel-Heys gebe ich eine andere, übertriebene Betonung und damit auch eine klare andere Bedeutung. Kain nickt, während er mir geduldig dabei zuhört, wie ich noch zwei weitere Beispiele bringe und zieht dann eine Schnute. Ich kann nicht erkennen, was er in diesem Moment wirklich denkt. Nicht mal erahnen. Ich weiß nur, dass es etwas anderes sein muss, als mir in diesen Momenten in den Sinn käme. „Das machst du mit Absicht, oder?“, flüstert er mir zu. Seine Stimme ist rau und tief. So mag ich sie. Seine Geduld ist endlos und das Wissen darum erfüllt mich widererwartend mit einem warmen Gefühl, welches mich letztendlich so irritiert, dass ich nachgebe. „Ist ja gut. Was wäre denn deiner Meinung nach eine richtige, vollwertige Begrüßung?“, interveniere ich, aber nicht ohne im Jeff-Style mit den Augen zu rollen. Kain lässt meine gespielte Reaktion kalt und ich wehre mich nicht, als er die letzten Zentimeter zwischen uns tilgt und seinen Körper noch näher an meinen bringt. Stattdessen konzentriere ich mich auf das kitzelnde Gefühl, welches die Härchen auf meinen Armen verursachen, spüre das sanfte Zwirbeln, welches über meine Rippen flieht und in meinen Beinen verebbt. Seine Nähe zwingt mich jedes Mal in die Knie, auch wenn ich es ungern zu gebe. Ich halte sogar ein wenig die Luft an, während mich sein Blick fokussiert und ich gespannt darauf warte, dass er mir einen weiteren meiner Irrglauben demontiert. „Ein Kuss.“ ~~~~~~~~ BÄMM! 🤪 Wir starten mit dem zweiten Chapter der Robin und Kain - Chaoten-Saga. Ich wünsche euch viel Spaß beim Weiterlesen und Haare raufen! Einen lieben Dank an euch! Ihr seid alle großartig und einfach die Besten! das del Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)