A Revolution Is A Simple Thing, But Love Is Not What Revolution's For von CharleyQueens ================================================================================ Kapitel 1: A Rumor In St. Petersburg ------------------------------------ It’s A Rumor, A Legend, A Mystery Something Whispered In An Alleyway Or Through A Crack It’s A Rumor That’s Part Of Our History   10 Jahre später   Yuris Magen knurrte. Er zog seinen Schal über Nase und Mund und drückte seine Hände gegen seinen Bauch, um so das Knurren zu unterdrücken. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Es war zulange her. Yuri schleppte sich weiter, stieß dabei immer wieder mit anderen Passanten zusammen. Erzürnte Beschimpfungen folgten ihm, während er den Geldbeutel tief in den Taschen seines übergroßen Mantels versteckte. Es war Markttag, also der perfekte Zeitpunkt um an ein bisschen Geld zu kommen. Der Platz war voll mit Menschen verschiedenen Alters, die ihre Einkäufe erledigten. Aber sein Magenknurren würde ihn noch umbringen und Yuri hatte nicht vor, an Hunger zu sterben. Suchend blickte Yuri sich um. Einer der Obsthändler unterhielt sich gerade aufgeregt mit einer Kundin, die sich über den erhöhten Preis der Äpfel beschwerte. Langsam ging er auf den Stand zu. Der Händler schimpfte laut, dass die Kundin ja auch einfach keine Äpfel kaufen bräuchte. Yuri sah sich um. Niemand schien sich für ihn zu interessieren, aber das war er gewöhnt. Die Leute achteten nur auf sich selbst. Höchstens noch auf ihre Familie. Aber gewiss nicht für einen sechzehnjährigen Straßenjungen. Immerhin war Yuri nicht das einzige Straßenkind. Flink schnappten sich seine Finger einen der Äpfel und schoben diesen in seine Manteltasche neben den Geldbeutel und die Plüschkatze. Niemand bemerkte ihn. Zufrieden mit sich selbst ging Yuri weiter. Erst einige Stände holte er den Apfel wieder raus, säuberte ihn an seinem Mantel und nahm dann einen Bissen. Er verzog das Gesicht, als die Säure des Apfels seinen Mund ausfüllte. Er mochte die süßen Äpfel viel lieber. Aber er konnte nicht meckern. Hauptsache, es war etwas zu essen. Er wollte einen weiteren Bissen nehmen, als sich plötzlich eine Hand um sein Handgelenk schlang und ihn grob packte, sodass er vor Schreck den Apfel in eine Pfütze fallen ließ. „Und wo genau hast du diesen Apfel eigentlich her?“, fragte ein junger Mann. Yuri blickte auf und erschrak, als er die rote Uniform sah. Es war einer der Soldaten der rossiyanischen Regierung. Yakov hatte ihn gewarnt, dass er diese Menschen meiden sollte. Und nun hatte ausgerechnet einer der Roten Soldaten ihn geschnappt. Yuri hatte die Gerüchte gehört, von den Menschen, die etwas gegen die Regierung sagten und dann über Nacht einfach verschwanden. Von Spionen, die an jeder Ecke lauerten. „Lass mich!“, fluchte Yuri und seine freie Hand fuhr in seine Manteltasche, auf der Suche nach etwas, mit dem er den Anderen abwerfen konnte. „Arschloch!“, schimpfte er und warf den Geldbeutel nach dem jungen Soldaten. Der Geldbeutel traf ihn im Gesicht und fluchend ließ der junge Mann Yuri los. Yuri stolperte einige Schritte nach hinten und stürzte dann davon. „Verdammter Mist!“, schimpfte er. Er hatte nicht nur sein Essen, sondern auch das gestohlene Geld verloren. Und auf den Markt zurück konnte er nicht. Sicher würde der Kerl dort nach ihm Aussicht halten. „Stehen bleiben!“, erklang die Stimme des Soldaten hinter ihm. Verdammt, der Kerl ließ nicht locker. Yuri sprang über eine kleine Mauer und eilte über die Straße. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass er immer noch verfolgt wurde. Der alte Zarenpalast kam näher. Gerüchten zufolge spukte es dort. Nun, Geister waren Yuri allemal lieber als ein Roter Soldat. Die Kette, die um die Palasttore gewickelt war, war fest und stabil und Yuri nutzte sie als Stütze, um über das Tor zu klettern. Mit einem Plumps landete er auf der anderen Seite. Grinsend blickte er sich um und streckte dem Soldaten die Zunge entgegen, dann lief er weiter und umrundete den Palast. Sicher waren die Vordereingänge zu, aber vielleicht bestand ja die Möglichkeit, dass einer der Hintereingänge noch offen war oder dass er ein Fenster einschlagen konnte. Yuri blieb stehen, als er eine eingeschlagene Glastür entdeckte, die nur mit Holzplatten bedeckt war. Hektisch trat er gegen die Platten, bis sie sich lösten und Yuri sich ins Innere des Palasts schob. Er befand sich in einem weißen Raum, dessen Wände mit Efeu bedeckt war. In der Mitte stand ein weißer Tisch, umrundet von sechs Stühlen. Ein Glas war umgekippt und eine dicke Staubschicht lag auf dem Geschirr. Yuri schluckte nervös. Die Zarenfamilie war beim Frühstück gewesen, als die Rebellen den Palast gestürzt hatten. War dies der Raum, wo sie gesessen hatten? Das Knirschen der Steine und das Geräusch sich nähernder Schritte ließ Yuri zusammenzucken. „Gibt dieser Kerl denn nie auf?“, schimpfte er erneut und verließ den Raum. Yuri blickte den Flur hinauf und hinunter und rannte dann nach rechts weiter. Die Tapete war verblasst und hing in Schlieren von der Wand. Am Ende des Ganges wartete nur eine Treppe, die nach oben führte. Yuri eilte die Stufen nach oben ins nächste Stockwerk und dann den Flur entlang. In der Mitte des Flures war eine Flügeltür, die eine Seite stand leicht offen. Er quetschte sich durch die Tür, als er die näherkommenden Schritte hörte. Die Tür fiel ins Schloss und Yuri atmete erleichtert auf. Hier würde er ihn sicher nicht finden. Langsam ging Yuri die Treppe hinunter. Er befand sich in einem Ballsaal. Riesige Kronleuchter hingen an der Decke. Die Treppe, die er nun hinunterging, war einst die Treppe, die die Zarenfamilie benutzt hatte, um ihre Bälle zu betreten. Verwundert runzelte Yuri die Stirn. Woher wusste er das? Neugierig blickte er sich um. Am anderen Ende des Raumes war eine weitere Flügeltür, durch diese mussten bestimmt die anderen Gäste kommen und gehen. Sicher musste dieser Saal einmal wunderschön gewesen sein. Yuri konnte es regelrecht vor sich sehen. Die Musikanten in der Ecke und all die Menschen in prächtigen Kleidern. Es kam Yuri beinahe so vor, als könnte er sie wirklich sehen. Paare, die wie Rauch durch seinen Sinn, dahintanzten. Er blinzelte und das Bild verschwand. Yuri war alleine im Saal. Ein dicker Holzbalken versperrte den Ausgang. Yuri schluckte. Wenn der Soldat ihn fand, saß er in der Falle. Der Raum war leer und es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. „Habe ich dich endlich gefunden!“, ertönte die Stimme des Soldaten hinter ihm. Yuri wirbelte herum. Der junge Mann, der ihn verfolgt hatte, kam nun langsam die Treppen runter. Yuri stolperte nach hinten, bis er gegen die Wand stieß. Es gab keinen Ausweg. Nun, zumindest würde er Yakov wiedersehen. Und vielleicht auch seine eigene Familie. Der junge Soldat stieg die Treppe hinab und durchquerte dann den Ballsaal. Kurz vor Yuri schob er seine Hand in seine Jackentasche. Yuri wollte sagen, dass er doch nur einen Apfel gestohlen hatte und es sicher nicht verdiente, deshalb erschossen zu werden. Doch dann zog der junge Mann etwas in Papier Eingewickeltes heraus und packte es auseinander. „Hier“, forderte er ihn auf und hielt Yuri das belegte Brot entgegen. Yuri sah fassungslos auf die dicken Brotscheiben, zwischen denen er eine Scheibe Wurst entdeckte und dann zu dem jungen Soldaten. Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes war stoisch und ernst. So von Nahem betrachtet sah er eigentlich ganz gut aus. Seine Seiten und sein Hinterkopf waren rasiert, das restliche schwarze Kopfhaar war nach hinten gekämmt. Breite Schultern und ein scharfer Kiefer, mit dem er jemanden töten könnte. Breite, geradlinige Augenbrauen. Wäre er kein Roter Soldat, hätte Yuri ihn sicher angesprochen. „Es ist schon nicht vergiftet“, fügte der Soldat hinzu und biss dann ein kleines Stück ab. „Siehst du?“ Yuri zögerte. Er hatte solchen Hunger, aber vielleicht war das auch nur ein Trick, um ihn wieder einzufangen. Der junge Soldat schien Yuris Gedanken erraten zu haben, denn plötzlich legte er das Brot mit Papier vorsichtig auf den Boden und trat dann mehrere Schritte nach hinten. Er hob beide Hände hoch und Yuri schnappte sich das Brot. Verdammt, war das lecker. Es war einfach nur trockenes Vollkornbrot mit einer viel zu harten Scheibe Wurst und doch war es das Beste, was Yuri seit Tagen gegessen hatte. Stöhnend setzte er sich hin, ließ sich Zeit beim Kauen. Doch schließlich war das Brot aufgegessen. Yuri blickte entschuldigend zu dem jungen Soldaten. „Das war keine Absicht“, murmelte er. „Ich wollte dir nicht deine Mahlzeit wegessen.“ „Alles gut“, winkte der junge Mann ab und setzte sich dann ebenfalls hin. „Ich habe es dir schließlich angeboten.“ Yuri runzelte seine Stirn. Sicher würde der Soldat ihn nicht einfach so wieder gehen lassen. Er hatte keine Möglichkeit zu fliehen und noch einmal konnte Yuri ihn bestimmt nicht überraschen. Wieso also nahm der Kerl ihn nicht fest? „Otabek Altin“, sprach der Soldat plötzlich. „Das ist mein Name.“ Altin. Der Name löste eine Erinnerung in ihm aus, doch je weiter Yuri versuchte nachzudenken, desto mehr schmerzte sein Kopf. „Yuri“, entgegnete er schließlich. „Yuri und weiter?“ Otabek sah ihn interessiert an. Er zuckte mit den Schultern. „Einfach nur Yuri. Yakov meinte, ich habe meine Erinnerung verloren“, erzählte er. „Ich weiß nicht, woher ich komme.“ „Und dieser Yakov wusste es auch nicht?“ Yuri zögerte. Er durfte diesem Otabek nicht zu viel erzählen. Ein falsches Wort und er würde am Pranger stehen. „Nein“, entgegnete er nur. Otabek blickte ihn für mehrere Sekunden einfach nur an, sein Blick intensiv. „Warum lügst du, Yuri?“ Yuri rollte die Augen. „Du bist dümmer, als du aussiehst, wenn du denkst, ich würde jemandem wie dir mehr über mich erzählen.“ Otabek schmunzelte leicht und irgendwie fühlte es sich gut an, dass Yuri diese Emotion aus ihm herausgelockt hatte. Dann öffnete er die Knöpfe seiner roten Uniformsjacke, zog sie aus und warf sie hinter sich. „So. Jetzt bin ich nur Otabek“, erklärte er. „Und alles, was du mir sagst, wird niemand sonst erfahren, versprochen.“ Yuri sah ihn fassungslos an. Es war kalt im Schloss und sicher musste Otabek nun frieren. „Yakov sagte mir, ich hätte Verwandtschaft in Parizh“, murmelte er. „Aber ich weiß nicht, wer und wo genau. Er starb, ehe er mir mehr sagen konnte.“ „Das tut mir leid für dich.“ „Muss es nicht“, erwiderte Yuri. „Nach seinem Tod habe ich erfahren, dass er zu den Rebellen gehörte. Ich habe seine alte Uniform gefunden. Ich hasse ihn.“ „Wieso? Die Zarenfamilie hat verdient, was sie bekommen hat.“ Yuri sah ihn wütend an. Doch ehe er etwas sagen konnte, sprach Otabek weiter. „Das war, was mein Vater jeden Tag zu sagen pflegte. Serik Altin gehörte zu der Gruppe Rebellen, die damals die Zarenfamilie erschossen hatte.“ Yuri schluckte. Deshalb kam ihm der Name also so bekannt vor. „Du solltest wirklich nicht stehlen“, erklärte Otabek ihm. Yuri rollte mit den Augen. Wenn die Regierung nicht wollte, dass er stahl, dann sollte sie ihn nicht verhungern lassen. „Nächstes Mal wirst du vielleicht nicht so leicht davonkommen.“ Er stand auf und ging dann zu seiner Jacke, hob diese vom Boden auf. „Der Palast ist leer“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Yuri. „Und in den Gängen gibt es sicher viele Orte, an denen man sich verstecken kann. Immer noch besser, als unter der Brücke zu schlafen. Yuri blinzelte. Hatte Otabek ihm gerade vorgeschlagen, im Palast zu leben? Doch ehe er etwas sagen konnte, hatte dieser seine Jacke auch schon wieder angezogen. „Warum?“, fragte Yuri zynisch. „Warum bist du so nett zu mir? Was willst du von mir?“ Denn wenn er eines auf der Straße gelernt hatte, dann das solche Dinge immer ihren Preis hatten. „Es sind deine Augen“, entgegnete Otabek schließlich und hob den Holzbalken von der Halterung ab. „Du hast die Augen eines Soldaten. Warte morgen früh im Frühstückssaal auf mich, dort wo du reingekommen bist. Ich werde dir etwas zu essen bringen. Dann musst du nicht mehr stehlen.“ Yuri blinzelte, doch ehe er etwas sagen konnte, war Otabek auch schon wieder verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)