Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 18: Alle Wege führen zur Hölle -------------------------------------- Schwer schluckend schaute Nazir nervös in die Runde und kam sich mit einem Mal vor wie bei einem Kreuzverhör. Die feindseligen Blicke der Erzengel lösten nicht unbedingt Vertrauen ein und auch wenn Metatron ihn zum Reden ermuntert hatte und klar Position gezogen hatte, fühlte er sich dennoch ziemlich unsicher. Insbesondere Luzifer, der bisher nur geschwiegen und sich komplett zurückgehalten hatte, schaute ihn mit einem Blick an, der alles andere als freundlich war. Schon seit Metatron verkündet hatte, dass er Malachiels Schüler war, hatte Luzifer ihn unentwegt angeschaut und eine bedrohliche Aura ging dabei von ihm aus. Als wäre das nicht schon verstörend genug, hatte der Prinz der Hölle ein Lächeln auf den Lippen, welches eindeutig sagte „Warte nur bis dein Herrchen weg ist, dann wirst du wahre Schmerzen kennen lernen!“ Ehrlich gesagt machte ihm das weitaus mehr Angst als das rassistische Gekeife der Erzengel. Doch er wollte Malachiel nicht enttäuschen, denn immerhin hatte dieser genug Vertrauen zu ihm, dass dieser ihm in dieser Krise eine derart wichtige Rolle gab. Er musste es nur noch schaffen, sich gut genug zu verkaufen und sich nicht von den anderen einschüchtern zu lassen. Blieb nur zu hoffen, dass die anderen auch gewillt waren, seinen Vorschlag anzunehmen. Andersherum konnte es ihm theoretisch egal sein, weil Metatron derjenige war, der die endgültigen Entscheidungen traf. Und dieser war weitaus vernünftiger als der ganze Rest. Also holte er tief Luft und sammelte seinen Mut zusammen. „Also ich finde, dass beide Seiten gewissermaßen Recht haben: nicht alle Menschen verdienen es, wegen kleinerer Sünden in die Hölle zu gehen, aber andererseits kann man sie nicht so ohne weiteres in den Himmel schicken. Es müsste also eine Art Rehabilitationsmaßnahme geben, die es genau solchen Leuten ermöglicht, sich nach ihrem Tode von diesen Sünden zu befreien, damit sie für den Himmel würdig sind. Es ist nur so eine Idee, aber hat jemand schon mal etwas über das Fegefeuer gehört?“ „Woher weißt du denn etwas über das Fegefeuer?“ fragte Metatron verwundert und der Erste, der darauf eine Antwort zu haben glaubte, war Luzifer, der mit einem selbstsicheren Lächeln meinte „Mit Sicherheit hat Malachiel die ganze Zeit schon die Antwort gewusst und sie bloß vorenthalten. Er hat sein Dienstmädchen hier vor der Versammlung über alles eingeweiht, damit er uns allesamt vorführen und uns somit lächerlich machen konnte.“ „Als ob ich extra meinen Schüler dazu bräuchte“, warf Malachiel ein, der eigentlich weiterschlafen wollte, aber diese Frechheit wollte er nicht auf sich sitzen lassen. „Das kriegt ihr auch wunderbar ohne uns hin. Nazir arbeitet seit vier Jahren hart daran, eines Tages ein Engel zu werden und nur weil er ein Dämon ist, bedeutet es noch lange nicht, dass er rein gar nichts beitragen kann. Ich brauchte ihm die Antwort gar nicht vorzusagen, weil er ganz von selbst drauf gekommen ist.“ Einen Moment lang herrschte verwirrtes Schweigen, denn sie konnten zuerst nicht ganz glauben, was sie da hörten. Doch dann brachen Samael und Luzifer in ein lautes Gelächter aus, als hätten sie gerade den besten Witz des Tages gehört. Kurz darauf stimmte auch der Rest der Versammlung mit ein und nur Metatron, Nazir und Malachiel war nicht wirklich zum Lachen zumute. Vor allem Luzifer kriegte sich vor Lachen kaum ein und kugelte sich regelrecht dabei. „Ein Dämon will ein Engel werden? Das wäre vielleicht ein guter Witz, wenn es nicht so hundserbärmlich wäre“, rief der Höllenprinz und schlug dabei laut mit der Handfläche auf die Tischplatte, woraufhin Nazir erschrocken zusammenzuckte. Mit einem Mal verzerrte sich Luzifers Gesicht zu einer wutverzerrten Fratze und seine Dämonenaugen funkelten mörderisch vor Zorn als er den jungen Dämon direkt anschaute. „Du willst mir allen Ernstes weismachen, dass ein Verräter ohne Stolz und Ehrgefühl im Leib wie du ein Engel werden kann? Eher friert die Hölle zu als dass so etwas jemals passiert. Offenbar bist du nicht nur ein nichtswürdiger Verräter, sondern auch noch ein naiver Träumer dazu!“ „Ich dachte auch zuerst, dass es unmöglich sei“, ging Metatron dazwischen, der seinerseits fest der Überzeugung war, dass es durchaus möglich war. „Aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass durch harte Arbeit selbst ein vollblütiger Dämon rehabilitiert werden kann und halte diese Option für durchaus denkbar. Es heißt zwar es wäre unmöglich, aber woher sollen wir das wissen, wenn wir nicht mal versuchen, das Gegenteil zu beweisen? Wo kämen wir dahin, wenn wir den Menschen immerzu Vergebung und Nächstenliebe predigen, aber selbst an der Umsetzung scheitern? Aus diesem Grund habe ich Nazir die Teilnahme an unserer Versammlung erlaubt. Und jetzt will ich keine weiteren Diskussionen darüber hören, wer eine Rettung verdient und wer nicht. Ansonsten kommen wir nie zum Punkt!“ „Naja… ich habe über das Fegefeuer in der Göttlichen Komödie von Dante Aligheri gelesen“, erklärte der dämonische Haushälter nach kurzem Zögern um unnötige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Zwar wäre er vermutlich nicht auf diese Idee gekommen, wenn Malachiel ihm nicht diesen kleinen Denkanstoß gegeben hätte, aber es war besser, wenn er das nicht erwähnte. Ansonsten würde es die Situation nur unnötig komplizierter machen. „Ich wusste ehrlich gesagt nicht einmal, ob es diesen Ort tatsächlich gibt und dachte mir, dass es eigentlich der beste Kompromiss für beide Seiten wäre.“ Kurze Blicke wurden in der Runde ausgetauscht und ein leises Gemurmel ging durch den Raum. Metatrons Worte schienen zum Glück Anklang gefunden zu haben und es kehrte wieder ein klein wenig Ruhe ein. Nur Luzifer schaute immer noch mit einem Ausdruck purer Verachtung auf Nazir und wartete offenbar nur auf eine Gelegenheit, um ihm den Garaus zu machen. Wenn der Lichtbringer etwas nicht ausstehen konnte, dann waren es Verräter und es war kein großes Geheimnis in der Hölle, dass er mit absoluter Grausamkeit gegen jeden vorging, der auch nur daran dachte, Ungehorsam zu zeigen. Er hatte Stress mit Gott und war sauer auf ihn, also musste das auch für alle anderen in der Hölle so gelten. Und jeder, der nicht mit vollem Herzen bei der Sache war, verdiente es nicht, als Dämon bezeichnet zu werden. Schließlich meldete sich Michael zu Wort, der sich nun so auf das Thema Fegefeuer konzentriert hatte, dass er alles andere erst einmal ausgeklammert hatte. Außerdem hatte Metatron eine klare Ansage gemacht und das reichte erst einmal aus, damit er wieder zu seinem Pflichtbewusstsein zurückkehrte. „Das Fegefeuer ist nie wirklich in Betrieb gewesen und seit Ewigkeiten stillgelegt“, gab er zu bedenken. „Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt noch funktioniert.“ „Warum ist es eigentlich noch mal geschlossen worden?“ wunderte sich Raphael stirnrunzelnd. Der ganze Fall lag schon ein paar Jahrhunderte zurück und es war in der Zwischenzeit so viel passiert, dass keiner so wirklich die ganzen Einzelheiten noch im Gedächtnis hatte. „Ich kann mich nur daran erinnern, dass irgendetwas vorgefallen ist und dann wurde es verschlossen und nie benutzt.“ Metatron beschwor eine Reihe von Dokumenten hervor und überflog sie um sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, was mit dem Fegefeuer passiert war und wieso es niemand benutzt hatte. Nach ein paar Zeilen fiel ihm aber alles wieder ein und er legte die Papiere mit einem ernüchterten Seufzer beiseite. „Damals, als das Fegefeuer noch in der Planung war, sind streng geheime Informationen zu den Menschen durchgesickert“, erklärte er den anderen. „Es kam zu einem großen Skandal weil Panik in der Bevölkerung geschürt wurde. Die kirchlichen Institutionen verkauften Ablassbriefe zu hohen Summen unter dem Vorwand, dass diese den Menschen die Zeit im Fegefeuer nach dem Tod ersparen oder zumindest verkürzen würde. Diese Korruption führte schließlich dazu, dass der Augustinermönch Martin Luther eine 95-seitige Petition verfasste, um der Sache einen Riegel vorzuschieben. Das Resultat war schließlich eine Spaltung der Kirche in die katholische und protestantische Bewegung. Nach diesem niederschmetternden und peinlichen Desaster wurde das Fegefeuer-Projekt auf Eis gelegt und die Akte dazu geschlossen.“ „Ach ja, der gute alte Martin. Ein echter Rebell und Reformist, der Jesus in nichts nachstand“, meinte Luzifer amüsiert und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, als er wieder über die alten Zeiten nachdachte. Obwohl dieses Problem auch große Auswirkungen auf die Hölle hatte, schien er sich prächtig zu amüsieren und hatte ein wenig zu viel Spaß an der ganzen Sache. Nazir schaute kurz zu den anderen Engeln und wurde in seinem Gefühl bestätigt, dass diese schon ahnten, was diese Reaktion zu bedeuten hatte. „Hab mich ja echt gewundert, dass eure Leute ihn nicht auch ans Kreuz genagelt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben“, fuhr der Höllenprinz ungehindert fort, um noch mehr Salz in die Wunde zu streuen. „Oder war die Feuerhinrichtung ausschließlich so ein Frauending bei euch?“ „Das ist nicht witzig, Luzifer!“ erwiderte Gabriel genervt und schlug mit der Faust kräftig auf den Tisch. „So wie ich dich kenne, warst du garantiert derjenige, der den Menschen diese Infos gesteckt hat!“ „Ach komm schon, als ob das so unfassbar schwer war, diese Fegefeuer-Sache an den Mann zu bringen“, meinte der teuflische Heerführer mit einem verschlagenen Grinsen und genoss es richtig, dass sein kleiner Streich derart hohe Wellen geschlagen hatte. „Alles was ich getan habe war bloß, ein klein wenig die Fakten auszuschmücken, mehr war nicht nötig. Den Rest haben die Menschen selbst gemacht, allen voran eure Priester und Päpste. Ist ja schon recht peinlich, dass ausgerechnet diese raffgierigen und machthungrigen alten Säcke mir die ganze Arbeit abnehmen, wo sie doch eigentlich für euch arbeiten.“ „Und letzten Endes hast du dir selbst ins Knie geschossen und nicht nur den Himmel, sondern auch die Hölle gewaltig sabotiert“, fügte Malachiel hinzu und klatschte erneut sarkastisch Beifall. „Super gemacht, Luzifer. Da hast du es dem Alten aber mal so richtig gezeigt. Kannst dir gleich ein Sternchen in dein Heft kleben.“ „Da hat er nicht ganz Unrecht“, stimmte Raphael zu, der im Gegensatz zu Michael und Gabriel deutlich besser die Contenance bewahren konnte. „Deine Aktion hat letztendlich auch zu der aktuellen Krise beigetragen. Und ich wette, Satan wird alles andere als erfreut darüber sein, wenn er Wind davon kriegt, dass dein Streich zur Schließung des Fegefeuers und zur derzeitigen Überlastung der Hölle geführt hat.“ Augenblicklich schwand das siegessichere Lächeln aus Luzifers Gesicht als auch ihm so langsam klar wurde, dass seine Aktion gewaltig nach hinten losgegangen war. So weit hatte er zugegebenermaßen nicht gedacht. Nun waren es die Engel, die sich köstlich amüsierten und sich schadenfroh darüber ausließen, dass der stolze Prinz der Lügen es derart verbockt hatte, dass er jetzt von seinen eigenen Taten eingeholt wurde. Vor allem Gabriel und Michael, die sich sonst immer in den Haaren lagen, lachten gemeinsam über diese Ironie und der erste Erzengel wandte sich dabei an seinen sonst so verhassten Sitznachbarn. „Hey Gabi, wie war das noch mal mit dem Karma? Scheint so als hätte unser Luzifer auch ne Ladung davon abgekriegt!“ Missmutig schmollte der Lichtbringer und war sichtlich zerknirscht. Es passte ihm so gar nicht, dass er jetzt auf einmal zum Gespött der ganzen Versammlung wurde. Um diese schadenfrohe Runde endlich zu beenden, brachte er das Gespräch wieder auf den Hauptfokus zurück. „Das alles ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass das Fegefeuer verschlossen und zudem noch ausgeschaltet ist. Wenn wir es also reaktivieren wollen, braucht es entsprechend jemanden, der dazu in der Lage ist.“ „Damit wären wir bei der nächsten Hürde“, fuhr Samael fort, der sich nicht an dem Gelächter beteiligt und sich stattdessen diskret zurückgehalten hatte. Außerdem hatte er eher etwas zerknirscht gewirkt, weil der Ablassskandal seiner Ansicht nach nicht weit genug eskaliert war. „Das Fegefeuer erreicht man nur, wenn man alle zehn Höllenkreise passiert und dann über den gefrorenen See der Verräter schreitet und dann die Treppen hinaufsteigt. Ein Dämon würde problemlos durchkommen, aber für Engel ist es das reinste Selbstmordkommando. Bei derart viel Verderbtheit und Bosheit würde keiner von uns lange genug dort unten in dieser giftigen Atmosphäre überleben.“ Das waren natürlich schlechte Neuigkeiten, denn wie sollten sie jemals das Fegefeuer in Gang bringen, wenn sie vermutlich nicht einmal die Reise überleben würden? Das war natürlich noch kniffliger zu lösen. Doch dann meldete sich der Lichtbringer zu Wort und fand sein charmantes und zugleich listiges Lächeln wieder. „Für mich ist es kein Problem, immerhin lebe ich ja in der Hölle. Ich könnte das Tor öffnen und das Fegefeuer wieder in Gang bringen. Für diesen kleinen Freundschaftsdienst verlange ich natürlich nicht viel. Wenn ihr mir diesen miesen Verräter da freiwillig ausliefert, werde ich dieses Unterfangen gerne auf mich nehmen. Bei der Gelegenheit kann ich ihn ja als erstes Testsubjekt für das Fegefeuer nehmen. Vielleicht hat er ja Glück und das reinigende Feuer macht ihn tatsächlich zum Engel. Wenn er aber Pech hat, wird er als ein klägliches Häufchen Asche enden. Zumindest haben wir dann den endgültigen Beweis, ob sein naives Gefasel über Läuterung und Besserung tatsächlich stimmt.“ Ein eiskalter Schauer durchfuhr Nazir, als er das hörte. Ihm wurde sofort klar, dass Luzifer die anderen dazu bringen wollte, ihn einfach so auszuliefern damit er in der Hölle für seinen „Verrat“ hingerichtet werden konnte. Allein schon die Vorstellung, welch schreckliche Qualen er dann durchleiden würde bis ihm endlich der erlösende Tod gewährt wurde, machte ihm fürchterlich Angst. Und so wie er die meisten Anwesenden einschätzte, würden die nicht lange fackeln um ihn ans Messer zu liefern. Immerhin hatten sie ja kein Geheimnis daraus gemacht, was sie von Dämonen hielten. Hilfesuchend schaute er zu Malachiel, der seinerseits eher gleichgültig dreinschaute und keine Miene verzog. Stattdessen wirkte er etwas gelangweilt von Luzifers Drohung. Um seinen Schüler etwas in Schutz zu nehmen, drehte er den Spieß einfach um. „Warum nehmen wir dich nicht stattdessen als Versuchskaninchen, Luzifer? Du warst ja schon mal ein Engel, bis der Alte dich rausgeschmissen hat. Bei dir würde es mit Sicherheit viel besser funktionieren. Stell dir mal vor, du wärst dann wieder ein Engel und müsstest bei Daddy wieder auf der Matte stehen weil du obdachlos geworden bist. Das wird sicher eine hollywoodreife Szene.“ „Selbst wenn Luzifer persönlich geht, kann er das Tor nicht öffnen“, mischte sich Metatron ein und versuchte auf diese Weise einen erneuten Streit zu unterbinden. Ansonsten würden sie bis zur nächsten Beinahe-Apokalypse hier sitzen. „Es benötigt heiliges Feuer, um wieder in Gang gebracht zu werden und das Tor wurde durch göttliche Macht verschlossen. Da Luzifer als gefallener Engel nur noch Macht dämonischer Natur anwenden kann, wird es so nicht funktionieren.“ „Das heißt also… wir sterben höchstwahrscheinlich auf den Weg dorthin bevor wir das Tor überhaupt erreichen können und wir können uns auch nicht auf die gefallenen Engel verlassen, dass sie es schaffen könnten?“ fragte Uriel nervös, der die ganze Zeit über noch kein einziges Wort gesagt hatte. Aber selbst wenn er etwas zu der Debatte beigetragen hätte, wäre er bloß wieder mundtot gemacht worden. Seine plötzliche und überraschende Beteiligung bereute er aber sehr schnell, als Michael mit folgenden Vorschlag ankam: „Ich hab’s! Wir schicken einfach Uriel. Er ist ein Engel, kann somit das Tor öffnen und das Fegefeuer anschalten. Außerdem ist er jederzeit ersetzbar und keiner wird es bemerken, wenn er weg ist.“ „Was?“ rief der Sternenregent erschrocken und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das hatte er nun wirklich nicht beabsichtigt. „Aber… das könnt ihr doch nicht machen. Ich bin immer noch ein Erzengel!“ „Nein, bist du nicht“, erwiderte Michael herablassend. „Du bist nur unser Ersatz-Schutzschild für den Fall, dass Gabriel mal im Kampf die Puste ausgeht, sonst nichts. Nicht mal zum Maskottchen taugst du.“ „Wir werden hier niemanden einfach gegen seinen Willen opfern“, ging Metatron energisch dazwischen und ließ die Dokumente über das Fegefeuer-Projekt wieder verschwinden. Die Situation war nicht so einfach zu lösen, aber er würde garantiert nicht damit anfangen, mit dem Leben anderer zu pokern, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. „Wenn jemand sich freiwillig meldet, diese mehr als riskante Mission anzutreten und die Welt vor einem erneuten Kollaps zu bewahren, der darf sich gerne melden. Aber wir brauchen gar nicht erst anfangen, darüber zu sinnieren, wer ersetzbar ist und wer nicht. Das ist der vollkommen falsche Ansatz. Wer nach unten geht, soll es aus freien Stücken tun!“ Eine Weile herrschte Schweigen und Blicke wurden untereinander ausgetauscht. Keiner wollte so wirklich in die Hölle gehen, wenn die Überlebens- und Erfolgschancen derart schlecht standen. Das war ein absolut verrücktes Unterfangen und das reinste russische Roulette. Der Einzige in der Runde, der vielleicht infrage kommen würde, wäre Samael weil er als Todesengel eine weitaus größere Immunität gegen böse Mächte hatte und auch hin und wieder mal in der Hölle gewesen war. Doch als Gabriel den Vorschlag äußerte, dass er diesen Job übernehmen könnte, verschränkte der blinde Seraph die Arme und erwiderte „Auf keinen Fall werde ich das tun. Ich persönlich lehne das ganze Projekt ab und mache ganz bestimmt nicht bei etwas mit, das gegen meine Überzeugungen verstößt. Die Menschen sollen in der Hölle bleiben und ich lasse mich auch nicht umstimmen!“ „Und ich kann nicht gehen“, meldete sich Michael sofort als müsse er sich für irgendetwas rechtfertigen. „Als erster Erzengel, Verteidiger des Himmels und der Menschen und als großer Drachenbezwinger kann ich ein solches Risiko nicht eingehen.“ „Nennt sich Drachenbezwinger und hat nicht mal einen einzigen Drachen richtig getötet“, kommentierte Luzifer spöttisch. „Jeder von euch ist auf irgendeine Art und Weise ersetzbar. Wenn einer von euch draufgeht, kann der Alte noch mehr geflügelte Arschkriecher am Fließband produzieren.“ Tja, diese harte Nuss würde wahrscheinlich niemand so leicht knacken. Nazir kratzte sich nachdenklich am Kopf und begann zu überlegen, wie man das Problem lösen konnte. Er selbst hätte sich vielleicht dazu bereit erklärt, wenn ihm wenigstens keine Gefahr drohen würde, als Verräter festgenommen zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass er eh nicht die Macht besaß, das Tor zu öffnen. Also schied er von vornherein aus. Und die Engel würden nach wenigen Minuten in der Hölle verenden, was also auch nicht als Option infrage kam. Während er so darüber nachdachte, fiel ihm eine kleine Ungereimtheit auf, die ihn stutzig machte. „Da ist etwas, das ich nicht so ganz verstehe: wenn es quasi unmöglich für einen Engel ist, hinunterzugehen und das Tor zu öffnen… wie konnte man es damals überhaupt verschließen, geschweige denn daran arbeiten?“ „Es gab tatsächlich jemanden, der in der Lage gewesen war, die Hölle zu betreten“, gab Metatron zu, doch an seinem Gesichtsausdruck war bereits abzulesen, dass die Geschichte kein gutes Ende hatte. „Chananel war damals als Wächter des Fegefeuers auserkoren worden. Er sollte der Torwächter sein und den geläuterten Seelen den Weg zum Himmel weisen. Als das Projekt dann aber auf Eis gelegt wurde und man ihn nach der Schließung des Fegefeuers zurückbeorderte, begann er zu rebellieren und wurde zu einem gefallenen Engel. Deshalb haben wir jetzt aktuell niemanden im Himmel, der entsprechend gewappnet ist, in die Hölle hinabzusteigen.“ „Oh…“, murmelte Nazir bloß und begann nun zu verstehen, wie verzwickt die Lage war. Das war natürlich mehr als ungünstig, wenn nicht einmal mehr der ursprüngliche Wächter des Fegefeuers in der Lage war, etwas auszurichten. Schließlich meldete sich ganz überraschend Malachiel zu Wort, der mit einem geschlagenen Seufzer meinte „Scheint so, als bliebe da nur ich übrig. Ich bin halb Dämon und somit immun gegen die giftige Atmosphäre in der Hölle. Und da ich auch halb Engel oder besser gesagt halb Seraph bin, kann ich das heilige Feuer wieder entzünden.“ „Das würdest du wirklich für uns tun?“ fragte Metatron überrascht über diesen plötzlichen Arbeitseifer seines sonst so faulen Freundes und faltete dankbar die Hände. „Damit würdest du uns alle retten!“ „Ja, ja… schon kapiert“, winkte der Mediator ab, der überhaupt keine Lust auf einen weiteren Ausflug hatte, allerdings selbst keine anderen Möglichkeiten sah um dieses Problemchen aus der Welt zu schaffen. Niemand sonst im Himmel hätte sich freiwillig für diesen Selbstmordtrip gemeldet und er war logisch betrachtet der Einzige, der das überhaupt bewerkstelligen konnte, ohne gleich den Löffel abzugeben. Also hatte er nicht wirklich eine andere Wahl. Immerhin war es seine Aufgabe dafür zu sorgen, dass Himmel und Hölle im Gleichgewicht waren und da gehörte so etwas vermutlich zu seinem Job dazu. „Trifft sich eigentlich ganz gut. Ich hatte da sowieso noch was mit Satan abzuklären, da kann ich also noch was auf meine To-Do-Liste setzen, damit sich der Ausflug wenigstens lohnt. Ich mache es aber nur unter der Voraussetzung, dass keiner von euch Flitzpiepen auf den Trichter kommt, Nazir an Luzifer oder an irgendjemanden sonst auszuliefern. Ich mag vielleicht nicht der motivierteste Lehrer sein, aber auch ich habe meinen persönlichen Stolz. Wer sich mit meinem Schüler anlegt, der legt sich mit mir an. Und wenn ihr euch an jemanden vergreift, der unter meinem Schutz steht, dann wird euch kein Messias oder Gott vor meiner Rache schützen können.“ Da sich die Anwesenden noch zu gut an die Abreibung während der Beinahe-Apokalypse erinnern konnten, beschlossen sie lieber, es nicht auf eine weitere gewalttätige Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Also akzeptierten sie seine Bedingung und damit war die Sache geklärt. Da alle Punkte soweit geklärt waren und es vorläufig nichts Weiteres zu besprechen gab, wurde die Versammlung aufgelöst und alle gingen wieder ihrer Wege. Malachiel, Nazir und Metatron warteten, bis alle den Saal verlassen hatten, denn es wäre zu riskant gewesen, direkt rauszugehen. Andernfalls hätte die Möglichkeit bestanden, dass irgendeiner von denen noch versucht hätte, Nazir hinterrücks umzubringen. Dem dämonischen Haushälter war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen als der Stress und der Druck mit einem Mal von ihm abfielen und er endlich erleichtert durchatmen konnte. Er hatte es geschafft und er lebte noch. „Endlich ist es vorbei“, seufzte er und sank erschöpft zusammen. „Das war ja echt heftig gewesen… Geht das hier immer so zu?“ „Bei den Meetings leider ja“, gab Metatron zu und wirkte etwas beschämt über die Szene, die sich vorhin geboten hatte. Es war nicht unbedingt der beste Zeitpunkt für einen ersten Eindruck gewesen. „Früher haben sich die vier Erzengel sehr gut verstanden und Michael und Gabriel waren lange Zeit enge Kollegen. Aber irgendwann haben sie sich alle immer weiter zerstritten und ihre Attitüden sind ebenfalls immer schlimmer geworden.“ „Sie haben irgendwie dämonische Züge angenommen“, meinte Nazir nachdenklich und dachte an die ganzen Streitereien zurück, die er während des Meetings erlebt hatte. „Ich weiß nicht wieso, aber ein wenig erinnern sie mich mehr an gefallene Engel, die durch die Todsünden geblendet wurden. Warum hat der Himmel keine Streitschlichter für solche Fälle? Es müsste doch genügend Menschen im Himmel geben, die eine psychologische Qualifizierung haben.“ „Leider nein“, seufzte Metatron und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Diese Versammlung hatte auch ihm so einiges abverlangt und er hasste es auch, derart durchgreifen zu müssen. Dazu war er einfach zu sanftmütig. „Nachdem die Familientherapie für Gott und Jesus nach dem Kreuzigungsvorfall dazu geführt hat, dass Jesus für immer den Himmel verlassen hat, bekamen wir die Order, jeden umgehend in die Hölle zu schicken, der sich als Streitschlichter oder Therapeut bezeichnet.“ „Jesus ist nicht im Himmel?“ wunderte sich der dämonische Haushälter überrascht und hatte im Leben nicht damit gerechnet, dass so etwas überhaupt möglich war. Er dachte immer, diese ganze Kreuzigungsgeschichte war Jesus von Anfang an bewusst gewesen und er hatte es als notwendiges Übel hingenommen um die Menschen von der Erbsünde zu befreien. Wenn das also gar nicht stimmte und Gott hatte seinen Sohn gewissermaßen ins offene Messer laufen lassen, dann war es ja kein Wunder, dass dieser schlecht auf seinen Vater zu sprechen war. „Nein, er lebt seit langer Zeit auf der Erde und wir konnten ihn nicht finden“, antwortete Metatron und stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab. „Leider war er als Schlüsselfigur für die Apokalypse vorgesehen. Gott hat geplant, seinen Sohn in den Kampf gegen Satan zu schicken. Die ganze Welt wäre vernichtet worden, die Hölle gleich mit dazu und alle aufrichtigen Menschen wären in den Himmel geholt worden. Der Rest hätte die Ewigkeit in den Trümmern der verwüsteten Welt verbringen müssen. Da Jesus aber schon nach der Kreuzigung sauer auf Gott war und keine Lust hatte, weiterhin seine Spielfigur zu sein und sich alles gefallen zu lassen, hatten wir ein großes Problem. Ohne Jesus wäre die Apokalypse zum reinsten Desaster geworden und wir hätten haushoch verloren. Gott wusste, dass uns eine Katastrophe ins Haus stehen würde und erschuf deshalb Malachiel. Wenn es uns gelingt, die Apokalypse zu verhindern, brauchen wir Jesus gar nicht zurückzuholen.“ „Heißt also im Klartext: ich war die Notlösung nur weil Gott seinen Job als himmlischer Vater verkackt hat“, schloss Malachiel, der seinerseits nicht allzu überrascht darüber zu sein schien. Wahrscheinlich war ihm das schon von Anfang klar gewesen und das war der Grund, warum er immer so zynisch und unmotiviert war. Wenn man wusste, dass man eigentlich nur geboren worden war um die Fehler des Vaters auszubügeln, dann hatte man mit Sicherheit nicht die beste Meinung über das Leben im Allgemeinen. „Klingt ziemlich deprimierend“, gab Nazir zu. Aber eigentlich war er genauso wie all seine anderen Geschwister auch nur zu dem Zweck geboren worden, um den gefallenen Engeln zu dienen. Genau das machte die Menschen so beneidenswert, weil sie nicht mit diesem Stigma geschaffen worden waren. Malachiel seufzte und ging nicht weiter darauf ein. Er hatte jetzt andere Sorgen, um die er sich kümmern musste. „Also dann geh ich mal gleich los um euer Fegefeuer in Gang zu bringen. So schwer sollte es ja nicht sein. Problem ist nur, dass ich nur ein einziges Mal unten war. Wenn ich also so etwas wie eine Karte bekommen könnte, wäre das schon praktisch.“ „Warum nimmst du nicht Luzifer mit?“ schlug Metatron vor, doch damit war der Halb-Engel nicht sonderlich zufrieden und er meinte „Diesem Kerl würde ich nicht mal meine gebrauchte Unterwäsche anvertrauen. Letztes Mal hat er versucht, mich im Teer-See absaufen zu lassen um mich loszuwerden. Noch mal mache ich den Zirkus nicht mit! Also wie sieht’s mit einer Karte aus?“ Mit einem reumütigen Gesichtsausdruck schüttelte das göttliche Sprachrohr den Kopf und musste gestehen, dass es nirgendwo eine Karte für die Hölle gab. Es war auch absolut unmöglich gewesen, eine anzufertigen, weil die meisten Engel nach kürzester Zeit in dieser feindlichen Atmosphäre gestorben waren. Und jene, die den Abstieg überlebt hatten, waren nicht zurückgekehrt weil sie selbst zu gefallenen Engeln wurden. Also war die einzige Möglichkeit, einfach auf Geratewohl hinabzusteigen und zu hoffen, dass man am Ziel ankam. Wahrscheinlich war das auch einer der Gründe, warum niemand freiwillig diesen Trip machen wollte. Auch wenn es eine verdammt riskante Idee war, beschloss Nazir, sich ein wenig nützlich zu machen. „Ich könnte die Führung übernehmen. Ich kenne mich in der Hölle bestens aus und kenne den Weg zum zehnten Höllenkreis.“ „Das ist aber mordsgefährlich“, gab Malachiel zu bedenken. „Wenn du unten bist, werden dich die anderen garantiert angreifen und als Verräter festnehmen wollen. Ich kann dich zwar beschützen, aber willst du dir das ernsthaft antun?“ Doch der dämonische Haushälter war weitaus optimistischer und meinte „Ich habe das Meeting überlebt, da werde ich das auch durchstehen. Außerdem ist das die beste Gelegenheit, um meinen Brüdern und Schwestern zu erzählen, dass ich tatsächlich Fortschritte gemacht habe und es doch nicht gänzlich unmöglich ist, als Dämon zum Glauben zu finden. Vielleicht finden sie dann auch endlich den Mut, ihr Leben zu ändern.“ Dazu konnte Malachiel nun wirklich nicht Nein sagen, also gab er sich geschlagen und erklärte sich einverstanden. Also war es beschlossene Sache, dass sie beide nach ihrem Aufstieg in den Himmel in die Hölle hinabsteigen würden um das Fegefeuer zu reaktivieren. Blieb nur zu hoffen, dass auch alles so funktionieren würde, wie sie sich das vorstellten und sie auf diese Weise tatsächlich all die zu Unrecht verurteilten Seelen retten konnten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)