Im Himmel ist der Teufel los von Sky- (Apokalypse Reloaded) ================================================================================ Kapitel 5: Kreuzfeuer der Eitelkeiten ------------------------------------- Die Auseinandersetzung zwischen Gabriel und Michael hatte sich gewaltig zugespitzt. Nach der kurzzeitigen Einmischung von Raphael, der mit wenigen Schlägen auf die Matte geschickt worden war, begannen die Kräfteunterschiede stärker zu werden. Der Kriegsengel war langsamer geworden und seine Schläge hatten an Wucht eingebüßt, außerdem wurde ihm seine Rüstung immer schwerer. Gabriel hingegen schien fit und flink zu sein wie ein Olympia-Athlet und konnte sich seine Schadenfreude kaum verkneifen. Eigentlich machte er sich nicht einmal wirklich Mühe, seine Häme vor seinem Rivalen zu verbergen. Sein Gesicht sah schon etwas lädiert aus, aber er war trotzdem noch in ziemlich guter Verfassung um sich weiterzuprügeln. „Was ist denn los, Michael? Sag bloß der große und mächtige Drachenbezwinger macht etwa schon schlapp.“ Zwar war Michael ein absoluter Kriegsveteran, aber er war nicht unbedingt gut darin, sich seine Kräfte vernünftig einzuteilen. Seine mentale Kurzsichtigkeit stellte ihm nicht nur bei seinem Job als Seelenrichter ständig ein Bein, sondern auch im direkten Kampf mit seinen Gegnern. Er gehörte halt zu der Sorte Kämpfer, die sich rücksichtslos ins Getümmel stürzte und stets mit voller Kraft zuschlug. Da war es natürlich abzusehen, dass ihm relativ schnell die Puste ausging, wenn er seine Energie so leichtfertig verschwendete. Gabriel, der für gewöhnlich immer in der Defensive war, konnte sich seine Kräfte umso besser einteilen und nutzte das entsprechend bei seinen Auseinandersetzungen mit seinem Kollegen geschickt aus. Selbst wenn seine Angriffe bei weitem nicht so verheerend waren, brauchte er eigentlich nur abzuwarten bis Michaels miserable Ausdauer ihr Limit erreichte und dann hatte er ziemlich leichtes Spiel mit ihm. Wütend funkelte ihn der verspottete Kriegsengel an und richtete sich zu seiner vollen Größe auf um möglichst furchteinflößend und autoritär zu wirken. „Als ob ich mich von einer halben Portion wie dir besiegen lasse“, entgegnete er höhnisch. „Egal wie viel Ausdauer du auch hast, du schlägst immer noch zu wie ein kleines Mädchen, Gabi! Da braucht es schon viel mehr um mich in die Knie zu zwingen. Ich bin immer noch der von Gott auserwählte Anführer der Erzengel. Ich habe unzählige Dämonen auf dem Schlachtfeld besiegt, während du mickrige Tussi das Kindermädchen gespielt hast.“ „Und du kämpfst wie ein altersschwaches Faultier“, giftete Gabriel zurück und ballte die Fäuste. „Du hast doch gar nicht den Grips in der Birne um irgendjemanden anzuführen. Wie konntest du es überhaupt wagen, zusammen mit Samael abzustimmen? Solltest du nicht eigentlich gegen ihn arbeiten und die Menschheit vor ihm verteidigen? Du bist nicht nur ein aufgeblasener Trottel, sondern obendrein noch ein feiger Heuchler, der nicht mal selbstständig denken kann.“ Es war nicht so, dass es Michael vollkommen egal war oder er gar nicht merkte, was Samael eigentlich tat. Er wusste sehr wohl, dass dieser unzählige Kriege, Epidemien und Katastrophen auf der Erde ausgelöst hatte und es bis heute noch tat. Nur leider war er bei weitem nicht stark genug, um es mit einem derart gefährlichen Seraph aufzunehmen. Hinzu kam auch noch, dass Samael ein verdammt geschickter Stratege war und es immer wieder aufs Neue schaffte, ihn zu überlisten. Michael war sich durchaus im Klaren, dass er ihn nie auf einem intellektuellen Level übertrumpfen konnte, also blieben ihm nur seine gewaltige Kampfkraft und sein unerschütterlicher Glaube an die Unfehlbarkeit und Allmacht Gottes. Und er war bereit, bis zum bitteren Ende daran festzuhalten. „Sag mal, hörst du dich eigentlich selbst reden, Gabriel? Du klingst ja schon wie ein Dämon! Es steht uns nicht zu, den Willen des Herrn infrage zu stellen. Er ist absolut unfehlbar und deshalb dürfen wir seine Gesetze nicht abändern. Es wird schon alles seine Richtigkeit haben, also warum kannst du unserem Herrn nicht einfach vertrauen und ihm Gehorsam leisten?“ „Mein Glaube hat nichts mit meinen persönlichen Prinzipien zu tun“, erwiderte Gabriel aufgebracht. „Was soll denn bitteschön daran richtig sein, Menschen in die Hölle zu schicken, nur weil sie das falsche Fleisch gegessen oder mal über ihre Eltern geschimpft haben? Ich bin loyal und werde die Ehre des Himmels mit meinem Leben verteidigen. Aber das bedeutet nicht, dass ich mit allem einverstanden sein muss, was Gott an Gesetzen beschließt. Und wenn du es nicht auf die Reihe kriegst, deiner Aufgabe als Verteidiger der Menschen nachzukommen, dann werde ich es halt tun. Wir wissen doch alle, dass ich ein weitaus besserer Anführer wäre als ein so zurückgebliebener Schläger wie du.“ Hier aber platzte Michael endgültig der Kragen und er verpasste seinem Kontrahenten einen kräftigen Faustschlag in die Magengrube. Dieser sank mit einem gequälten Stöhnen auf die Knie und erlitt einen heftigen Brechreiz. „Ich bin immer noch der Stärkste von uns allen“, entgegnete Michael stolz. „Und von einer Tusse wie dir brauche ich mir gar nichts sagen zu lassen.“ Doch so leicht wollte sich Gabriel noch nicht geschlagen geben. Wenn schon schmutzig gespielt wurde, dann konnte er auch gleich in die Vollen gehen. Also nutzte er seine Position zu seinem Vorteil aus und verpasste Michael eine kräftige Kopfnuss direkt in den Schritt. Und das reichte aus, um den stolzen Kriegsengel vollkommen kampfunfähig zu machen. Er brach mit einem quiekenden Schrei zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte und blieb vor Schmerz wimmernd auf dem Boden liegen. „Ach ja?“ brachte Gabriel schwer atmend hervor und kam ein wenig wankend wieder auf die Beine, wobei er sich eine Hand auf seinen Bauch presste. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Grimasse als er mit einem hämischen Grinsen auf Michael hinabsah. „Na wenigstens wurde ich nicht von einer Tusse vermöbelt so wie du.“ Luzifer hatte das ganze Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachtet und selbst in seiner Position als Teufel empfand er nichts als Fremdscham für diese beiden Kindsköpfe. Es war einfach nur peinlich, sich diese Schlammschlacht anzusehen und er fragte sich, wie um alles in der Welt es nur so weit gekommen war. Damals, als er noch ein Engel gewesen war, hatten sich die Erzengel hin und wieder mal gestritten, aber wenigstens hatten sie noch so etwas wie Würde und Anstand gehabt. Jetzt zankten sie sich wie zwei arrogante und strohdumme Flittchen, die sich in einer billigen TV-Show gegenseitig die Augen auskratzten. War es überhaupt nötig, da noch weiter Öl ins Feuer zu gießen? So wie es aussah, schienen sich die beiden schon genug in den Haaren zu liegen. Andererseits wollte er Samael nicht enttäuschen und beschloss deshalb, sich in dieses Schmierentheater einzubringen. Als wäre er gerade erst dazugekommen, trat er hinter der Säule hervor, hinter der er sich versteckt hatte, und ging auf die beiden zu. „Hey, was ist denn los mit euch? Ich dachte, ihr seid Kameraden.“ „Was mischst du dich denn ein?“ blaffte ihn Michael an, der sich so langsam von dem vernichtenden Schlag in die Eier erholte. Aber er schaffte es noch nicht, wieder auf die Beine zu kommen und blieb weiterhin vor Schmerzen gekrümmt liegen. Wenn Luzifer eines konnte, dann war es schauspielern. Als hätte er keine Ahnung was da eigentlich vor sich ging, machte er eine bestürzte Miene und wandte sich an Gabriel. „Was zur Hölle ist denn in euch gefahren? Im Moment haben wir alle weitaus größere Sorgen als ein paar Meinungsverschiedenheiten. Wo genau liegt denn eigentlich das Problem bei euch?“ „Er ist das Problem“, antwortete der androgyne Schutzengel und deutete auf seinen am Boden liegenden Kollegen. „Ich habe es so satt, dass Michael sich ständig aufspielt, als wäre er etwas Besseres. Ständig behandelt er mich wie einen Fußabtreter obwohl ich immer derjenige bin, der hinterher seinen Arsch retten darf. Stattdessen verspottet er mich die ganze Zeit mit diesem Weibernamen und da braucht er sich nicht zu wundern, wenn ich ihm die Zähne eintrete!“ Großer Satan, das kann doch wohl nicht euer Ernst sein, dachte sich Luzifer und schämte sich fast schon dafür, jemals ein Engel gewesen zu sein. Auch wenn dieser Konflikt durch Samael provoziert worden war, konnte man sich diese niveaulose Zickerei doch echt nicht geben. „Okay, ich weiß es geht mich nichts an, aber ich kann mir das auch nicht länger mit ansehen. Wie wäre es, wenn ihr beide mal eine kurze Auszeit nehmt, um die Gemüter ein wenig abzukühlen? Gabriel, wie wäre es wenn du mal etwas frische Luft schnappen gehst, bevor du Michael noch endgültig zerfleischt? Es bringt doch keinem was, wenn wir uns alle gegenseitig bekriegen, während wir in einer ernsten Krise stecken.“ „Kümmere dich doch gefälligst um deinen eigenen Kram, du elender Verräter“, brachte Michael hervor, doch seine Worte fanden keinen Anklang. Wenn man schon ohnehin schlecht auf jemanden zu sprechen und obendrein emotional aufgewühlt war, so war man auch leichter gewillt, auf Leute zu hören, von denen man sich besser fernhalten sollte. Hinzu kam noch, dass Michael überhaupt nicht gut auf Luzifer zu sprechen war, weil dieser ein gefallener Engel war und somit in seinen Augen das absolute Böse verkörperte. Und da der Feind des Feindes bekanntlich ein Freund war, beschloss Gabriel allein schon aus Trotz heraus, auf Luzifers Rat zu hören und verließ ohne ein weiteres Wort die Halle. Der ehemalige Lichtbringer folgte ihm und so ließen sie Michael allein zurück. Gemeinsam gingen sie durch den langen Korridor, bis sie einen großen Garten mit einem riesigen Springbrunnen erreichten. Eine Statue der Jungfrau Maria stand auf einem Sockel und hielt eine Schale in der Hand aus der unablässig geweihtes Wasser floss. Gabriel ging zum Springbrunnen hin und begann seine Arme und sein Gesicht zu waschen. Weihwasser hatte nicht nur den praktischen Effekt, dass es eine äußerst wirksame Waffe gegen Dämonen war und wie Säure auf der Haut wirkte. Für Engel hatte es sogar einen belebenden und heilenden Effekt. Ein ausgiebiges Bad in einer Wanne voller Weihwasser konnte Blessuren und kleinere bis mittelschwere Wunden ziemlich gut behandeln. Je mächtiger der Engel war, auf den es angewandt wurde, desto stärker war die Wirkung. Nach einer kurzen Wäsche waren Gabriels Verletzungen wieder verheilt und sämtliche Spuren der gewalttätigen Auseinandersetzung vollständig verschwunden. Luzifer seinerseits hielt sich lieber fern vom Springbrunnen, da das Weihwasser ihm im schlimmsten Fall die Haut von den Knochen schmelzen konnte. Nach der kurzen Wundversorgung gingen sie zu einer Bank neben dem Springbrunnen und setzten sich. Gabriel, der allmählich von Erschöpfung übermannt wurde, stöhnte laut und verzagt auf und legte den Kopf zurück. „Ich verstehe einfach nicht, warum so ein Volltrottel wie Michael sich ausgerechnet auf Samaels Seite stellen musste“, rief der Schutzengel frustriert und atmete geräuschvoll aus. „Warum in Gottes Namen muss ausgerechnet er der Verteidiger der Menschen sein? Alles was er getan hat war, unschuldige Menschen in die Hölle zu schicken und er sieht immer noch nicht ein, dass er einen Fehler gemacht hat. Ich begreife das nicht!“ „Ja, er ist wirklich nicht der Hellste“, stimmte Luzifer ihm zu und nickte bedächtig. „Ich frage mich bis heute noch, was sich Gott nur dabei gedacht hat, ausgerechnet die unfähigsten Idioten zu befördern. Du als Schutzengel der Kinder und Ungeborenen hast doch einen ganz anderen Bezug zu den Menschen als Michael. Da sollte es doch eigentlich deine Aufgabe sein, sie vor Samael zu verteidigen. Wenigstens bist du nicht voller Stolz überall herumgerannt und hast dein Schwert Drachenschlächter genannt, nur weil du Satan damit eins übergebraten hast. Er spielt sich auf als wäre er professioneller Drachenschlächter, dabei hat er nur gegen einen einzigen gekämpft und es nicht mal geschafft, ihn umzubringen.“ „Warum interessiert dich das alles eigentlich so sehr?“ wollte der Schutzengel in einem leichten Anflug von Misstrauen wissen. Mit einem prüfenden Blick beäugte er den gefallenen Engel und traute dem Braten offenbar noch nicht so ganz, auch wenn er ihn als Begleiter duldete. „Du als Teufel solltest doch eigentlich auf Samaels Seite stehen, oder irre ich mich?“ „Hey, mir geht es nur darum, dass auch die Richtigen bestraft werden“, erklärte Luzifer und hob beschwichtigend die Hände. „Nur weil ich ein gefallener Engel bin, heißt das noch lange nicht, dass ich ein kaltherziges Arschloch bin. Ich habe meine Meinungsverschiedenheiten mit Gott, aber das bedeutet doch nicht, dass ich euch hasse. Ihr ward mal meine Familie und das vergisst man nicht so leicht, selbst wenn wir jetzt auf verschiedenen Seiten kämpfen. Diese Streitereien zwischen dir und Michael erinnern mich außerdem irgendwie an mich selbst und ich will nicht, dass du deswegen genauso endest wie ich, Gabriel. Immerhin bist du derjenige, der die meiste Arbeit im Team leistet. Und glaub mir: ich weiß wie es sich anfühlt, wenn man nicht für das gewürdigt wird, was man eigentlich tut und dann letztendlich wie der letzte Dreck behandelt wird, nur weil man zu seiner Meinung steht.“ Es war ein wahres Kinderspiel, so wie Samael es vorausgesagt hatte. Luzifer brauchte nur Gabriels Ego ein bisschen zu streicheln und ihn mit freundschaftlichen Worten aufzumuntern, um ihn von seinen guten Absichten vollständig zu überzeugen. Schon nach wenigen Minuten fraß ihm der Erzengel komplett aus der Hand und hatte völlig vergessen, dass er einen leibhaftigen Teufel neben sich sitzen hatte. Stattdessen war er ihm sogar dankbar, dass ihn jemand in seinen Ansichten bestärkte und ebenfalls der Meinung war, er sollte das Sagen haben. Luzifer musste nicht einmal großartig in seine Trickkiste greifen, um den Schutzengel um den Finger zu wickeln. Als er sich sicher war, dass ihm Gabriel gänzlich aus der Hand fraß, ging er in die nächste Phase über. „Hast du schon mal versucht gehabt, mit Gott oder zumindest mit Metatron zu reden? Es sollte doch nicht unmöglich sein, eine Beförderung zu bekommen. Spätestens wenn die Krise vorbei ist, bin ich mir sicher, dass Michael nach der gewaltigen Panne nicht gerade die besten Chancen haben wird, seinen Job zu behalten.“ „Vergiss es“, blockte Gabriel kopfschüttelnd mit einer wegwinkenden Handgeste. „Es ändert sich doch nie etwas. Ganz egal wie unfähig und verblödet er ist, keiner wird je auf den Gedanken kommen und ihn einfach so feuern. Selbst die Sache mit dem Regelwerk ist ja bloß eine bürokratische Panne gewesen… Solange es nur irgendwelche belanglosen Kleinigkeiten sind, kann er so weitermachen wie bisher.“ „Hm…“, murmelte Luzifer und tat so als würde er ernsthaft nachdenken. „Heißt also im Klartext: wenn etwas Ernstes passiert und er die Verantwortung dafür trägt, bestünde eine Chance, dass du seinen Posten bekommst. Stell dir mal vor, wie viele Seelen dann gerettet werden könnten, wenn du der neue Seelenrichter wärst. Klingt doch gar nicht mal so schlecht. Und mal ganz im Ernst: was hat dieser Schwachkopf schon für euch alle getan? Ist ja nicht so als hätte er es dir jemals gedankt, dass du ihm ständig den Arsch rettest. Weißt du, Typen wie der lernen es nie, bis sie dann so richtig auf die Schnauze fliegen und erkennen, was sie eigentlich an ihren Freunden und Kollegen haben. Meinst du nicht auch?“ Mehr brauchte Luzifer nicht sagen, denn die Zahnräder in Gabriels Hirn fingen bereits an zu arbeiten. Zufrieden lächelte der gefallene Engel als er sah, dass sein Plan bereits fruchtete. Der Stein war ins Rollen gekommen. Nun galt es nur noch darauf zu warten, dass Samael mit seiner Arbeit vorankam. Nicht weit von der Versammlungshalle entfernt, war Uriel derzeit beschäftigt damit, seine Fäuste wütend gegen die Wände zu schlagen und mit den Zähnen zu knirschen. Wenn man schon zu schwach für eine handfeste Auseinandersetzung mit seinen Kollegen war, konnte man auch gleich seinen ganzen Frust an einem unschuldigen Mauerwerk auslassen und es tat fast genauso weh. Aber der Schmerz, den er körperlich spürte, reichte bei weitem nicht an seinen verletzten Stolz heran. Uriel hatte die Schnauze voll und hätte am liebsten alles in Schutt und Asche gelegt und Michael und Gariel schlimmer zugerichtet als Gott die Menschen nach dem Skandal mit dem goldenen Kalb. Es war einfach unfair, dass sie ihn immer wieder ausschließen und ihn verspotten mussten, nur weil sein Name nirgendwo in der Bibel aufgetaucht war. Was war denn schon so toll an den anderen Erzengeln? Ihr Anführer war ein engstirniger Vollhorst, Gabriel eine eingeschnappte Zicke und Raphael ein raffgieriger Egoist. Er versuchte zumindest seine Arbeit gut zu machen und wie dankte man es ihm? Alle behandelten ihn wie einen Außenseiter. „Ich nehme wenigstens meinen Job ernst im Gegensatz zu diesen arroganten Arschgeigen“, rief er wütend und schlug weiter auf die wehrlose Mauer ein. Wenn man schon ständig von anderen unterbrochen wurde und niemand einem zuhören wollte, war der einzige verbleibende Gesprächspartner bekanntlich die eigene Person. Und was Selbstgespräche anging, war Uriel ein wahrer Weltmeister. „Ich versuche mit allen gut auszukommen und wie dankt man es mir dafür? Alle behandeln mich, als wäre ich ein Aussätziger. Sollen sie doch allesamt zur Hölle fahren!“ Ein kräftiger Schlag hinterließ einen tiefen Riss in der Wand und Uriel konnte förmlich das Knirschen seiner Handknöchel hören. Doch sein Adrenalin war so auf Hochtouren, dass er den Schmerz gar nicht wahrnahm und noch weiter zugeschlagen hätte, wenn er nicht plötzlich unterbrochen worden wäre. „Bist du das, Uriel? Du klingst so, als würde dich etwas bekümmern.“ Der Sternenregent drehte sich um und sah den blinden Seraph Samael langsam näher kommen. Wie immer strahlte er trotz seiner düsteren Todesaura einen Glanz von Würde, Macht und Charisma aus. Allein mit seinem Auftritt konnte er jedem, der ihm über den Weg lief, problemlos den Kopf verdrehen. Sofort hielt der vierte Erzengel inne und ihn überkam Schamgefühl als er realisierte, dass Samael seinen Wutanfall gehört hatte. „Ve-verzeiht mir, ich habe mich unangemessen verhalten! Das hätte nicht passieren dürfen. Ich bin untröstlich!“ Uriel war der einzige von den vier Erzengeln, der die Seraphim (insbesondere Samael) in einer respektvollen und unterwürfigen Art und Weise ansprach. Er besaß nicht das Ego und den Mut, um sich solch gewaltigen Wesen gleichzustellen und hinzu kam auch noch, dass er vor allem Samael mehr als jeden anderen im Himmelreich bewunderte. Als jemand, der aufgrund seines Mangels an Begabung und Kraft immer im Schatten seiner Kollegen stand, konnte sich nicht mit großen und perfekt erscheinenden Helden identifizieren. Wie denn auch, wenn er ein absoluter Versager war und von niemandem ernst genommen wurde? Keiner konnte und wollte verstehen, wie es war, immer ein Schwächling zu sein und ständig von allen herumgeschubst und aufgezogen zu werden. Doch Samael war anders. Für ihn war er das absolute Sinnbild eines Kämpfers. Obwohl der Seraph erblindet war und damit seine Chancen auf den Thron als König des Himmels verloren hatte, zählte er immer noch zu den mächtigsten und gefährlichsten Bewohnern des Himmels. Trotz seines eher fragwürdigen Rufs und all der düsteren Gerüchte um ihn war er stets stilvoll und hatte jemanden wie Uriel, der selbst von Metatron ignoriert wurde, nie verhöhnt oder anderweitig schlecht behandelt. Da Uriel sich mit jemandem, der genauso mit Einschränkungen zu kämpfen hatte, bestens identifizieren konnte, hatte er sich zu diesem düsteren Seraph hingezogen gefühlt. Obwohl Samael als gefährlich galt, war er selbst davon überzeugt, dass dieser weitaus ehrenhafter und respektvoller war als alle anderen Engel. Zwar hatte die Realität so ausgesehen, dass Samael sich nie wirklich die Mühe gemacht hatte, sich mit kleinen Fischen wie Uriel abzugeben, aber dieser bemerkte so etwas nicht. Stattdessen war er der festen Überzeugung, dass Samael ihn achtete und vielleicht sogar mochte. Irgendwann hatte sich Uriel so in diese Idee hineingesteigert, dass er zu der Überzeugung gekommen war, dass sein großes Idol vielleicht sogar romantische Gefühle für ihn haben könnte. Doch da er nur ein einfacher Erzengel war, hatte er es nie gewagt gehabt, ihm Avancen zu machen. Und hätte er den Mut aufgebracht, bevor Samael mit seinen Eroberungsplänen begonnen hatte, wäre dieser schneller abserviert worden als ihm lieb gewesen wäre. Aber davon wusste er natürlich auch nichts, denn Samael war geschickt darin, seine wahren Gefühle und Absichten zu verbergen. Für einen Moment glaubte Uriel, sein Herz würde einen Schlag aussetzen als Samael direkt vor ihm stand und seine lädierte Hand in die seinen nahm. Vorsichtig und mit besorgter Miene betastete er sie. „Es muss wirklich schmerzen, von niemandem wahrgenommen zu werden“, meinte dieser und nutzte seine heilenden Kräfte, um Uriels blutende Fingerknöchel wieder zu richten. Ein schwermütiger Ausdruck lag in seinen blinden Augen als er mit seinen Fingern zart über den Handrücken des Erzengels strich. „Weißt du, ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du immer wieder versuchst, diese sinnlosen Streitereien zwischen diesen Holzköpfen zu beenden. Wenigstens auf dich kann ich mich verlassen.“ Uriel, zum allerersten Mal von seinem persönlichen Idol so hoch gelobt, war wie vom Donner gerührt und sein Herz machte einen gewaltigen Hüpfer. Passierte das hier etwa gerade wirklich? Er wurde so gut wie nie für irgendetwas gelobt, vor allem nicht von jemandem wie Samael, der quasi zum Adel unter den Engeln zählte. Und dann auch noch ausgerechnet derjenige, den er mehr als alles andere auf der Welt vergötterte. Uriel war übermannt von seinen Gefühlen und kam sich vor wie ein Schulmädchen, das zum allerersten Mal von seinem Schwarm angesprochen wurde. Mit Mühe stammelte er ein paar Worte, um nicht wie der letzte Trottel dazustehen. „Vielen Dank. Es… es bedeutet mir wirklich sehr viel, dass Ihr mir das sagt. Und ich verspreche euch, dass ich weiterhin mein Bestes geben werde!“ „Das weiß ich doch“, versicherte der blinde Engel ihm und legte seine Hände auf Uriels Schultern. So viel positiver Körperkontakt war zu viel für den schikanierten Erzengel und aus Schreck, oder vielleicht auch aus Scham, wich er hastig zurück. Um Samael nicht zu verärgern, murmelte er hastig eine Entschuldigung und fügte hinzu „Ich bin kein großartiger Erzengel so wie Michael, Gabriel oder Raphael. Ich bin weder stark noch ausdauernd, noch kann ich jemanden heilen. Ich verdiene so viel Lob nicht.“ „Ach was“, winkte der dunkle Engel ab und blieb hartnäckig. „Stell dein Licht doch nicht unter den Scheffel. Immerhin muss Gott doch einen Grund gehabt haben, dich zum Erzengel auszuerwählen. In dir strahlt ein Licht, das heller und reiner leuchtet als das der anderen. Wenn die anderen es nicht sehen, sind sie noch blinder als ich. Ich weiß, dass du das Zeug hast, zum größten Erzengel von allen zu werden. Vielleicht brauchst du einfach nur ein bisschen Unterstützung von jemandem, der auch an dich glaubt.“ Uriel konnte immer noch nicht glauben, dass das hier gerade wirklich passierte und sein Hirn schaltete in diesem Moment komplett aus. Für ihn ging in diesem Moment ein Traum in Erfüllung und wäre er nicht zu überwältigt gewesen, hätte er sich auf Samael gestürzt und ihn geküsst. Samael jedoch war einfach nur gelangweilt und ziemlich enttäuscht darüber, dass Uriel sich derart leicht um den Finger wickeln ließ. Er hatte mit etwas mehr Widerstand gerechnet und sogar ein wenig darauf gehofft. Dann hätte es der ganzen Nummer ein bisschen mehr Würze verliehen, wenn er ihn dann verführt hätte. Aber der arme Trottel war derart ausgehungert, dass er ihn nicht einmal großartig zu verführen brauchte, um ihn komplett gefügig zu machen. Er brauchte nicht einmal funktionierende Augen um zu erkennen, wie sehr Uriel ihm bereits verfallen war. Allein schon wenn er in seiner Nähe war roch der arme Trottel regelrecht nach Verzweiflung, Würdelosigkeit und schmutzigen Gedanken. Irgendwie war das schon traurig. Ein Engel mit derart wenig Stolz und Selbstbewusstsein im Leibe war für gewöhnlich überhaupt nicht seine Zielgruppe. Wo war denn bitteschön der Spaß daran, jemanden zu verführen, wenn diese Person derart leicht zu haben war? Nun ja, da konnte man auch nichts daran machen. Er brauchte Uriel für seinen Plan und da musste er halt in den sauren Apfel beißen. Vielleicht konnte er sich noch ein bisschen Spaß im Bett abholen. Also trat er wieder an Uriel heran, schlang einen Arm um ihn und küsste ihn. Zu seiner Enttäuschung stellte er aber schnell fest, dass dieser nicht mal wirklich Ahnung davon hatte, wie man vernünftig küsste. Der Kerl war wirklich eine hoffnungslose und verzweifelte Jungfrau vom Scheitel bis zur Sohle. Andererseits waren seine bisherigen Beziehungen Lilith und Luzifer gewesen und beide waren ihrerseits wahre Teufel, vor allem im Bett. Da setzte er halt ganz andere Maßstäbe, wenn er jemand anderen verführen wollte. Er ahnte bereits, dass er wohl heute nicht auf seine Kosten kommen würde. Aber andererseits hatte er ja noch Luzifer, bei dem er sich seinen Spaß abholen konnte. Es war ja nicht so als würde er Uriel verführen weil er allen Ernstes dachte, dieser Versager wäre ein guter Liebhaber. So wie er ihn einschätzte, würde der Kerl nicht einmal zwei Minuten mit ihm durchhalten, bevor er schlapp machte. Aber manchmal musste man halt eben Opfer bringen. Solange es ihm bei seinen Eroberungsplänen half, war ihm alles recht. „Wie wäre es, wenn wir zwei unser Gespräch in meinen Gemächern fortsetzen?“ schlug er schließlich vor. „Vielleicht kenne ich ja den einen oder anderen Weg, dir aus deinem Dilemma zu helfen.“ Und damit war es endgültig um Uriel geschehen. Ohne auch nur einen einzigen Zweifel an Samaels Ehrlichkeit zu hegen, folgte er ihm und hatte das Gefühl, als würde sich endlich alles für ihn zum Guten wenden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)