Creature and the Curse von _Delacroix_ ================================================================================ Sein Herz raste, während er sich gegen den Baumstamm drückte, stets bemüht, sich dem anderen nicht doch versehentlich zu zeigen. Am Anfang war es ihm schwergefallen, aber dann hatte sein Gegenüber aufgehört, sich nach ihm umzudrehen und er hatte sich ein bisschen entspannt. Sie hatten sich so gut miteinander unterhalten, und jetzt … Das Biest schüttelte den Kopf. Er sollte es besser wissen, als sich zu fragen, ob dieser Mann ihn so akzeptieren konnte, wie er war. Seine Worte waren süß, schürten eine kleine Hoffnung, doch seine Hoffnung war schon viel zu oft enttäuscht worden. Und selbst wenn der fremde Prinz sie nicht enttäuschen würde, was würde es bringen? Nicht mehr lange, und er würde vollständig ein Monster sein.   Ein Biest.   Unsicher blickte er zu dem jungen Mann, der keine zwei Meter von ihm entfernt auf dem Boden saß und versuchte sich zu wärmen. Sein hellbraunes Haar war fast vollständig unter einer Schicht aus Schnee verschwunden und der seltsame Geruch nach Mohn hatte begonnen sich zu verflüchtigen. Jetzt roch er nach nasser Wolle, Feuchtigkeit und Leder, einer Mischung, die seiner empfindlichen Nase um einiges lieber war. Er erwischte sich dabei, wie er darüber nachdachte, wie die Augen des Fremden aussehen mochten. Waren sie grün, wie die seiner Mutter, oder kam er in dem Punkt vielleicht eher nach seinem Vater? Welche Augenfarbe hatte König Hubert gehabt? Das Märchen verriet es nicht. Wenn er hinter dem Baum hervorkam, würde er es sicherlich erfahren. Er würde dem Prinzen in die Augen sehen und beobachten, wie sie groß und größer wurden. Wie sein Kopf alle netten Worte und Versprechungen vergaß und sein Körper auf die einzig richtige Art und Weise reagierte:   Mit Flucht.   Er sollte es tun. Er sollte es einfach hinter sich bringen, bevor dieses dumme Gefühl der Hoffnung noch stärker wurde. Bevor der Schmerz, der sich jetzt schon hinter ihr versteckte, noch mehr von ihm verzehren konnte. Zögerlich machte er einen Schritt von dem sicheren Baumstamm weg und auf den anderen Mann zu. Gleich würde er ihn bemerken, gleich würde er aufspringen, vielleicht sogar schreien und dann war ihre neue Freundschaft unwiederbringlich vorbei. Er empfand ein leichtes Bedauern deswegen, aber er wusste, letztlich war es das Beste so.   Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Prinz sich regte und fast noch einmal solange, bis er aufgestanden war. Schließlich drehte er sich zu ihm herum und blickte ihn an. Es war Strafe und Erlösung auf einmal, ein Albtraum, der mit jeder Sekunde, die der Prinz schwieg, nur noch schlimmer wurde. War er vor Angst erstarrt? Berechnete er im Kopf gerade seine Chancen in einem Zweikampf? Versuchte er das Bild, das sich ihm bot, zu verstehen? Das Biest in ihm achtete auf jede Regung, jedes Zucken, jeden Blick, der ihm verraten mochte, was im Kopf seines Gegenübers vor sich ging, doch er konnte ihn nicht lesen. Nach ein paar endlosen Sekunden hoben sich schließlich die Mundwinkel seines Gegenübers an und er tat etwas, womit das Biest ganz und gar nicht gerechnet hatte. Er lächelte. «Blau», erklärte er mit seiner ruhigen, warmen Stimme und spätestens jetzt war das Biest endgültig verwirrt. «Was ist blau?», fragte er misstrauisch und schien den anderen damit nur noch mehr zu amüsieren. Das Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich. «Deine Augen», erklärte er, «Sie sind blau. Wie der Himmel an einem warmen Sommertag. Was denkst du? Machen wir es offiziell? Mein Name ist Phillip, ich bin der Sohn von König Hubert und ich glaube, ich habe ein paar meiner letzten Geburtstage(1) verpasst.» Er verneigte sich und als er den Blick wieder hob, konnte das Biest nicht anders, als seine Augen anzustarren. Sie waren braun, so wie die Bäume es gewesen waren, bevor … Eilig versuchte er, die Verbeugung seines Gegenübers nachzumachen, fühlte sich auf einmal groß und furchtbar ungelenk. Zum ersten Mal in seinem Leben war er froh über das dicke Fell in seinem Gesicht, denn er wusste, ohne es, wäre er sicher puterrot geworden. Er wollte etwas sagen, musste es sogar, doch es kam kein Ton aus seiner Kehle. Prinz Phillip hatte die perfekten Worte gefunden, und er konnte sich nicht einmal mehr an ein einziges erinnern.   Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Pranke und sein Gegenüber lächelte ihn freundlich an. «Du weißt, du musst mir gar nichts sagen», erklärte er und der Kloß in seinem Hals schien prompt noch einmal größer zu werden. Er wollte ja etwas sagen. Er wollte Phillip alles erzählen. Von dem Fluch, von dem Mädchen und von seiner verdammten Dämlichkeit. Doch als er den Mund ein weiteres Mal öffnete, bekam er nur ein einziges Wort heraus: «Adam.»   Phillip sah ihn skeptisch an. «Adam», wiederholte er, «Ist das dein Name?» Er nickte eilig. «Früher war er das. Ich ähm … Es ist ein Fluch.» «Ein Fluch?», wiederholte Phillip, «Magst du mir davon erzählen?» Er nickte, obwohl er keine Ahnung hatte, wo er mit der Erklärung beginnen sollte. In seiner Fantasie hatte er das Gespräch ein oder zwei Mal mit einem Mädchen geführt. Doch da waren die Voraussetzungen ganz andere gewesen. Das Mädchen in seinen Träumen war in ihn verliebt gewesen. Es konnte ihn erlösen, auch wenn es in den letzten zehn Jahren nicht eine Nacht gegeben hatte, in der der Traum auf diese Art geendet war.   Verunsichert sah er Phillip an, dann beschloss er, dass es wohl am klügsten war, am Anfang zu beginnen: «Nachdem meine Eltern gestorben waren», erzählte er, «war ich sehr einsam. Ich war zu jung(2), um zu regieren, aber jeder wusste, dass sich das in den nächsten Jahren ändern würde. Also behandelte man mich stets mit größter Vorsicht und ausgesuchter Freundlichkeit. Aber ich war ein Kind und so begann ich meine Grenzen auszutesten. Ich war verwöhnt, lieblos und grausam und so kam es, dass ich an einem kalten Wintertag einen furchtbaren Fehler beging. Eine Bettlerin bat mich um Zuflucht in meinem Schloss und bot mir im Gegenzug dafür ihren einzigen Besitz – eine rote Rose – an. I‑Ich hielt es für einen Scherz. Ich wusste nicht, dass es Menschen gibt, die nicht einmal ein eigenes Dach besitzen, dass jemand nicht eine einzige Münze sein eigen nennt. Ich lachte sie aus und sie bestrafte mich dafür. Ich sollte so hässlich werden, wie mein Innerstes hässlich ist und so bleiben, wenn ich nicht, bis zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag jemanden fände, der mich so liebte, wie ich war und den ich im Gegenzug ebenfalls lieben konnte. I-Ich habe überall nach einem Gegenmittel gesucht. Ich habe «Magier» und «Hexen» konsultiert, doch die meisten von ihnen waren einfach nur Scharlatane. Ich habe sogar die alten Märchen nach ähnlichen Fällen durchforsten lassen, doch ohne Erfolg. Ich habe noch einen Monat, dann werde ich endgültig ein Monster sein.»   Deprimiert ließ er den Kopf sinken. Es war ihm schon immer schwergefallen, über seine Fehler zu sprechen, und er schämte sich fürchterlich, dass er die Situation damals derart verkannt hatte. Wäre er doch nur ein kleines bisschen freundlicher gewesen…   Phillips Hand drückte sich wenig fester in sein Fell. «Wenn ich aus all den Berichten der guten Feen etwas gelernt habe, dann ist es, dass man einen Fluch nicht einfach aufheben kann. So etwas braucht einen sehr, sehr starken Zauber. Besser ist es, ihn abzuändern, oder aber seine Bedingungen einfach zu erfüllen. Du sagst, du musst jemanden finden, der dich liebt. Ich denke, wir sollten nach diesem Menschen suchen.» «Wir?», entgegnete das Biest ungläubig, doch sein Gegenüber hatte schon wieder ein Lächeln aufgesetzt. «Natürlich», entgegnete er. «Du hast mir geholfen und jetzt ist es an mir. Ich werde dir helfen, ein nettes Mädchen zu finden, dass in deinen Augen dasselbe sieht wie ich. Nämlich, dass du kein schlechter Kerl bist. Wir gehen ins nächste Dorf oder in die nächste Stadt und dann werden wir sie von dir überzeugen. Wir werden …» Ein Zittern ging durch seinen Körper und Adam schüttelte eilig den Kopf. «Heute werden wir gar nichts mehr tun», widersprach er ihm, «Wir sind nass bis auf die Knochen und du wirst hier draußen noch erfrieren. Es ist besser, wir gehen erst einmal heim. Ich habe einen großen Kamin, etwas zu essen und ein paar Kleider zum Wechseln für dich.» «Und morgen gehen wir das Problem dann gemeinsam an.» Adam nickte. Er wusste nicht, ob er die Kraft dafür finden würde, sich morgen schon wieder mit dem Fluch zu befassen, aber er war sich sicher, selbst wenn er sie nicht fand, Phillip würde sie gewiss aufbringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)