Creature and the Curse von _Delacroix_ ================================================================================ Prolog: -------- Der Sturm tobte, rüttelte an den Ästen der Bäume und verschluckte erbarmungslos jeden noch so kleinen Laut. Dichter Schnee tanzte vor seinen Augen, vernebelte seinen Blick und lies den ekligen Gestank nach nassem Fell in seiner Nase zurück. Eilig hetzte er weiter. Wenn er ein galoppierendes Pferd einholen wollte, durfte er nicht verschnaufen.   Seine Pfoten gruben sich in den Schnee, Zweige knackten, der Wind jaulte. Feine Eiskristalle fanden den Weg bis auf seine Haut. Im letzten Moment duckte er sich unter einem herabhängenden Ast hinweg, verlangsamte seinen Schritt, witterte erneut. Er konnte sein nasses Fell riechen, das feuchte Holz der Bäume, den reißenden Fluss. Sicher hatte das Mädchen es nicht gewagt, ihn zu überqueren. Das Eis war dünn. Zu dünn für Pferd und Reiterin. Er stieß ein tiefes Knurren aus, enttäuscht über die unbefriedigende Entwicklung seiner Jagd, dann fletschte er die Zähne. Der letzte Rest Vernunft in seinem Kopf schrie, dass sie sicher dem Flusslauf folgen und nach einer Brücke suchen würde. Der Mensch in ihm würde genau dasselbe tun.   Unschlüssig blickte er nach links, dann wieder nach rechts, und schließlich traf er eine Entscheidung. Auf allen vieren rannte er stromaufwärts. Das Wasser toste, der Wind heulte und der Schnee wollte einfach nicht aufhören zu fallen.   Sollte das seine Zukunft sein? Bei Wind und Wetter, irgendwo im Wald auf der Jagd, bis sich eines Tages ein tapferer Jäger fand, der ihn erlöste? Konnte man ihn überhaupt erlösen, oder würde er auf alle Ewigkeit ein Monster sein, verdammt dazu, jeden zu erlegen, der sich in seinen Wald verirrte? Seinen Wald … Er stieß ein tiefes Knurren aus. Er wollte keinen Wald. Er wollte sich selbst zurück. Er wollte in einem Bett schlafen, musizieren, tanzen und vielleicht auch wieder Bücher lesen. Er wollte sein Pferd und auch seinen Hund. Er wollte, dass der Albtraum endlich ein Ende fand.     Fauchend setzte er über einen Dornenbusch hinweg, hechtete unter einem tief hängenden Ast hindurch und kam schließlich schlitternd zum Stehen. Dort, unter einer großen, alten Eiche war etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte: ein altes Bauernhaus. Das Biest schnüffelte. Es konnte keine Menschen riechen, aber das Gebäude sah auch ziemlich verlassen aus. Das Strohdach hatte sich schon vor langer Zeit schwarz gefärbt und hing im mittleren Teil verdächtig stark nach unten. Die Fassade war verwittert und die Fenster fast erblindet.   Er zögerte. Sollte er den unwahrscheinlichen Fall überprüfen, dass Belle gerade hier Schutz vor dem Sturm gesucht hatte, oder doch besser umdrehen und den Fluss in die andere Richtung hinab eilen? Wenn er sich beeilte, konnte er sie gewiss noch einholen. Er konnte — ungläubig blinzelnd musterte er die dicke, hölzerne Eingangstür, die mit jedem Schritt, den er machte, immer näher kam. Wann hatten ihn seine Beine das letzte Mal so betrogen? Und was war das für ein merkwürdiger Duft, der aus dem Inneren des Hauses kam? Süß und schwer drang er in seine Nase, spielte mit seinen Sinnen und verführte ihn dazu, immer weiter zu laufen. Nur für einen kurzen Blick ins Haus. Nur um für einen Moment aus dem Sturm zu kommen. Nur um eine Minute lang zu spüren, dass er tief unter all dem triefenden Fell, doch noch ein menschliches Herz besaß. Ein Herz, das mit jedem Tag schwächer wurde.   Unter dem Druck seiner Pranke gab die Tür ächzend nach und enthüllte einen grauen, staubbedeckten Innenraum. Ein Tisch stand in einer Ecke und auf der alten Feuerstelle stand immer noch ein einzelner, schwarzer Topf. Teile des Daches waren eingestürzt und der Schnee hatte seinen Weg in das Zimmer gefunden. In großen, weißen Haufen türmte er sich auf dem schlichten Holzboden, ein scharfer Kontrast zu dem allgegenwärtigen Grau. Der Geruch in seiner Nase wurde stärker, schmeichelte dem menschlichen Teil seiner Sinne, verführte ihn, die Pause auszudehnen. Vielleicht konnte er sich an den Tisch setzen und kurz durchatmen. Eventuell sogar die Augen schließen. Vielleicht — seine Hinterpranke stieß gegen etwas Hartes und weckte ihn so aus seinen Träumen. Einen Moment lang nahm er an, versehentlich gegen eines der Möbelstücke gelaufen zu sein. Vielleicht einen Stuhl, oder einen Hocker. Doch wenn er genau darüber nachdachte, dann fühlte sich weder ein Stuhl noch ein Hocker so weich und so warm an. Langsam blickte das Biest nach unten, und machte prompt einen Satz zurück. Scheinbar war er geradewegs gegen eine Leiche gerannt. Eine warme Leiche, die weder nach Tod noch nach Verwesung stank und deren Brust so aussah, als würde sie sich immer noch heben. Das Verlangen, kurz die Augen zu schließen, wurde stärker und er blinzelte entschlossen dagegen an. Er durfte jetzt nicht einschlafen. «Nur ein paar Sekunden lang», flüsterte sein menschlicher Verstand, doch das Biest in ihm war anderer Meinung. Es war nicht sicher, außerhalb des eigenen Baus zu schlafen. Ihm entfuhr ein unwilliges Knurren, welches auf halbem Wege aus seinem Mund zu einem Gähnen wurde. Der süße Geruch reizte seine Nase, erinnerte ihn entfernt an Mohn. War das hier etwa …   Verwirrt blickte er sich im Zimmer um, doch er konnte die Quelle des Geruchs nicht ausmachen. Sie schien überall und nirgendwo im Haus zu sein. Das weiche Fell in seinem Nacken begann sich aufzustellen. Angst kroch durch seine Adern. Das hier war kein normales Haus und er musste hier umgehend verschwinden. Eilig machte er einen Schritt zurück, dann noch einen, nur um sich auf der Türschwelle noch einmal umzudrehen. Das Bedürfnis zu fliehen war überwältigend, aber der schwache, der menschliche Teil in ihm, kämpfte entschlossen dagegen an. Er wollte nicht gehen. Er wollte schlafen und wenn er schon nicht schlafen durfte, dann wollte er wenigstens nicht verschwinden, ohne die Leiche mitzunehmen. Ein Mann verdiente eine angemessene Beerdigung.   Das Biest erlaubte sich ein wütendes Knurren, dann machte es einen einzelnen Satz zurück ins Haus, hieb mit der Pranke nach dem staubigen Umhang des Toten und zog ihn wütend hinter sich her — hinaus aus dem verfluchten Haus und hinein in den dunklen Wald, der seine genauso verfluchte Zukunft war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)