Whatever butters your Pancakes von CallMeDerp (manchmal bin ich im Krieg mit mir) ================================================================================ Kapitel 3: Mauern und die Fassade --------------------------------- Wenn man psychisch krank ist, errichtet man Mauern damit die Außenwelt nicht sieht wie kaputt man ist. Ich bin keine Ausnahme. Ich habe das ganze noch ein bisschen weiter getrieben, weil auch körperliche Krankheiten für mich ein Zeichen von Schwäche sind. Ich will umsorgt werden, aber ich will nicht zeigen dass es mir nicht gut geht. Ein simpler Schnupfen führt schon zu teilweisen Kontaktabbrüchen, bevor jemand merkt dass ich gerade nicht auf der Höhe bin. Geschweige denn dass jemand meine beiden destruktiven Mitbewohner im Kopf kennen lernt. Mittlerweile gehe ich mit meiner psychischen Erkrankung sehr offen um, jeder in meinem näheren Umfeld weiß dass ich Borderline, Depression und Suizidalität habe. Niemand weiß genau wie mich die drei beeinflussen, aber bis zu einem gewissen Grad hat jeder die drei schon kennen gelernt der mir nahe steht. Borderline ist manchmal schwer zu verstecken, wer die Symptome kennt, erkennt sie auf anhieb. Depression und Suizidalität sind schwerer zu erkennen, weil ich zum Großteil schlechte Witze über die beiden mache. Ich habe kein Problem dass andere von den dreien wissen, ich habe ein Problem wenn man weiß wie stark sie mich beeinflussen. Deswegen habe ich Mauern. Eine ganze Menge davon sogar. Und es gibt nur eine Hand voll Menschen die durch diese Mauern durch können. Man muss sich das wie Türen in der Mauer vorstellen. Je nach Freundschaftsgrad kommt man näher ans eigentliche Haus. In den Vorgarten kommen bislang genau drei Menschen. Naja ... zwei definitiv, beim dritten Kandidat ist das Türschloss noch nicht geöffnet, aber er hat schon seine Tür. Sie ist eben noch verschlossen. Die Tatsache dass es Türen in den Mauern gibt, stellt ein paar meiner Mitbewohner vor Probleme. Sie brauchen Zeit sich daran zu gewöhnen dass sie meine Außenwelt kennen lernen, dass meine Außenwelt von ihnen weiß. Das ist also auf beiden Seiten schwer. Auch für mich ist schwer dass da in den letzten Jahren immer wieder neue Türen dazu kommen. Manche davon musste ich schon wieder zu betonieren, was wieder Probleme mit dem Biest hervor gerufen hat. Wir suchen uns die Menschen die Türen bekommen sehr genau aus, aber manchmal liege ich auch daneben und vertraue zu schnell. Das Biest dagegen ist grundsätzlich gegen jede Tür. Immer. Als ich mir heute die Mauern ansehe weil man die immer mal wieder überprüfen sollte ob sie noch am richtigen Ort stehen oder nötig sind, fallen mir ein paar Dinge auf. An manchen Stellen gibt es Risse. Es stellt sich also die Frage ob man an dieser Stelle einreisst, eine neue Tür baut, neu verputzt oder ob man noch abwartet ob sich das Problem von allein regelt. Ich weiß nie direkt ob ich diese Mauer noch brauche, oder ob das eine von denen ist die woanders hin gehören. Am Anfang der Therapie hatte ich Unmengen an Mauern, meine Grenzen, die der Gesellschaft, die meiner Eltern und allen anderen in meinem Umfeld. Ich konnte mich vor lauter Mauern kaum bewegen. Als ich das erste mal stationär war habe ich einfach alle eingerissen und war mit dem ganzen freien Platz der plötzlich da war, völlig ohne Grenzen und Richtlinien, ziemlich überfordert. Das Biest, Borderline und ich haben dann zusammen neue Mauern gebaut, an den Stellen wo wir sie für sinnvoll erachtet haben. Vor der Therapie hatte ich die Ansicht dass Grenzen sich nicht verschieben, dass sie für immer an der Stelle bleiben wo sie sind. Aber ich habe gelernt dass sich Grenzen sehr wohl verschieben lassen. Man muss sich immer wieder Gedanken darüber machen ob diese Grenze jetzt noch einen Sinn macht weil sich das Umfeld ändert, die Situation, der Wissensstand und die eigene emotionale Ebene. Manchmal macht eine Mauer oder Grenze an diesem einen Punkt Sinn, und dann lernt man etwas neues und stellt fest dass die jetzt gar keinen Sinn mehr macht. Dann muss man sich überlegen ob man sie komplett einreisst oder woanders hin schiebt wo sie mehr Sinn macht. Am Anfang meiner Therapie war ich ziemlich übermütig damit dass ich erstmal alles komplett eingerissen habe. Ich habe mich und meine Mitbewohner damit schutzlos gemacht und das kam in unserer Wohngemeinschaft gar nicht gut an. Mittlerweile beobachten wir erstmal unsere emotionale Ebene bevor wir entscheiden was wir mit der entscheidenden Mauer jetzt machen. Und weil es wieder ein Mauerwald werden würde wenn wir je nach Mensch Mauern bauen und Grenzen setzen, und das schnell unübersichtlich wird und uns selbst einengt, haben wir beschlossen dass wir Türen für bestimmte Menschen einbauen. So kann jeder so weit vordringen wie er darf, ohne dass neue Risse in den Mauern entstehen und wir ständig darüber nachdenken müssen was wir jetzt mit der Mauer machen. "Du lässt schon wieder jemanden durch?" Biest klingt angepisst. Ich reize sie eigentlich nicht gern weil ich weiß dass auch sie in die Extreme fallen kann und das kommt ganz allgemein nicht gut an. Ich kann zwar mit Frieden und Harmonie nicht umgehen, aber ich bin auch kein Freund von Streit oder unnötiger Gewalt. Weder gegen mich, noch gegen andere. Ich nicke ihr also zu. Ihr sind die neuen Türen natürlich aufgefallen. Das Biest rollt genervt mit den Augen. "Damit wir wieder ein Messer in den Rücken bekommen." Ich schnaube amüsiert. "Du nutzt dieses Messer doch bloß wieder um demjenigen die Kehle durch zu schneiden." Das Biest schnaubt ebenfalls amüsiert. "Du hasts erfasst. Was soll man auch sonst damit?" Recht hat sie. Dennoch verstehe ich ihre Bedenken, uns wurde oft in den Rücken gefallen. Erst dieses Jahr von einer unserer engsten Vertrauten. Aber das haben wir wieder hinbekommen, ihre Türen waren nur für ein paar Wochen verschlossen, jetzt kann sie wieder durch wie sie will. "Bist du dir echt sicher dass wir dieses Risiko eingehen sollten?" Fragt sie noch einmal nach. Ihr Ton ist bohrend, sie akzeptiert keine Ausflüchte und merkt wenn ich lüge. Ich belüge sowieso eher mich selbst als andere, was auch für meine Mitbewohner gilt. "Sicher bin ich mir nie. Aber ich denke dass ers wert ist." Tatsächlich keine Lüge. Ich bin ein verdammt unsicheres Wesen. Aber manchmal komm ich an diesen scheiß drauf Punkt und riskiere. Damit lege ich mich ziemlich oft aufs Fressbrett, aber manchmal lohnt sich diese Risikofreude auch. Das Biest hebt skeptisch eine Augenbraue. "Er weiß von euch, er will uns mit dem Kiddo helfen und ist n anständiger Kerl. Er respektiert unsere Grenzen, was willst du mehr?" Frage ich sie gegen. Sie seufzt und streicht sich die langen, weißen Haare über den Kopf nach hinten womit ihre Blut roten Augen frech aufblitzen. "Okay, ich seh schon dass du ihn verteidigst, hoffen wir einfach dass du diesmal nicht wieder so bescheuert bist und auf n Vollidioten reinfällst." Ich lächle unsicher. Das kann ich nicht versprechen, so wie er sich bisher mir gegenüber verhalten hat, ist er definitiv kein Vollidiot. Bescheuert bin ich zwar, aber ich fühle dass er ehrlich ist, auch wenn er sich ab und an ziemlich scheiße ausdrückt. Er ist anständig, um genau zu sein der erste Kerl dieser Sorte dem wir so begegnen. Klar dass das Biest skeptisch ist, ich bin es auch. Wir sind sowas einfach nicht gewohnt. Unsere Grenzen respektieren ... sehr konfuses Konzept. Muss man sich auch erstmal dran gewöhnen weil ich selbst eher dazu neige meine eigenen Grenzen zu ignorieren wenn es für den anderen unbequem ist für mich einzustehen. "Wo wir grade bei den Mauern sind..." Das Biest setzt erneut an und ich sehe sie fragend an. "Die Fassade bröckelt auch. Das sollten wir uns ansehen." Ich nicke zustimmend. Meine Fassade war immer überlebenswichtig. Mauern zu errichten ist zwar an sich nicht schlecht, aber ab und an bricht ein Berserker mit einem verdammten Vorschlaghammer durch und steht plötzlich in unseren Vorgarten. Wenn der dann direkt unser wahres Haus zu sehen bekommt, ist das eher schlecht. Deswegen überstreichen wir die Fassade regelmäßig, bis zur Therapie immer an unsere derzeitige Bezugsperson angepasst. Die Bezugsperson darf schließlich durch alle Mauern durch und sieht unser Haus. Das soll ihm oder ihr ja dann auch gefallen. Man sagt ja immer dass Borderliner ihre Persönlichkeit völlig flexibel an ihre aktuelle Bezugsperson anpassen, was auch mit dem Verlust der eigenen Persönlichkeit einhergeht - halb so wild als Borderliner, man weiß ja sowieso nicht wer man eigentlich ist. Ich habe selbst schon so oft meine Fassade überstrichen dass die Farbe an der Außenwand eigentlich schon so dick wie die Außenwand selbst sein müsste. Ich hab mich auch schon so oft selbst verloren weil ich anderen gefallen wollte - und ich tue es immer noch ab und an. Beziehungsweise ich registriere mittlerweile wenn ich in dieses Verhaltensmuster falle und stecke den Pinsel wieder ein. Keine neue Fassadenfarben mehr. Das Biest und ich stehen an der Hauswand und sehen prüfend über die ab blätternde Farbe. Ich strecke meine Hand ab, greife einen Fetzen und ziehe ihn von der Wand. Unter dem Weiß zeigt sich Schwarz. Auch das Schwarz blättert ab. Darunter finde ich Blau, darunter Grün ... es geht echt tief. Das Biest beobachtet mich skeptisch. "Welche Farbe nehmen wir diesmal?" fragt sie und ich überlege. Eigentlich ... möchte ich nicht noch einmal drüber streichen. Es wird Zeit zu meiner eigenen Persönlichkeit zu stehen... also, sobald ich die gefunden habe natürlich. Ich weiß nämlich immer noch nicht wer ich eigentlich bin. Was es irgendwie schwer macht darüber zu entscheiden was wir jetzt mit der Fassade machen. "Ich möchte nicht drüber streichen." Setze ich an, sehe das Biest aber nicht an. Ihren durchbohrenden Blick kann ich auch so auf mir spüren. "Und was machen wir dann? So kann das nicht bleiben, das bröckelt alles, da kommt die Vergangenheit durch." Sie hat Recht. Die Vergangenheit mag hier keiner, die tut weh, der gehen wir alle irgendwie aus dem Weg. "Ich weiß es nicht ..." Ich weiß wirklich nicht was wir damit jetzt machen sollen ... Ein Klicken ertönt und das Biest reisst mich von den Füßen! Ich lande unsanft auf meinem Hintern und sehe überrumpelt zu ihr hoch, wie sie sich schützend vor mich stellt und ... dann anfängt zu schreien. "DU KANNST NICHT EINFACH MIT EINEM VERFICKTEN FLAMMENWERFER DAS GANZE HAUS ABFACKELN?!" ... die Flammen verschwinden, der Flammenwerfer wurde abgestellt und vor uns steht die eingeschüchterte Borderline. "S-sorry!" Ich seufze und ziehe mich am Biest wieder auf die Beine. "Ganz ruhig. Hilft keinem wenn wir jetzt ausrasten, ja?" Ich versuche zu deeskalieren, was eher selten klappt wenn man mit dem Biest und Borderline konfrontiert ist. Wobei Borderline mittlerweile sogar zuhört. Das Biest schnaubt aufgebracht. Ich hebe beschwichtigend die Hände. "Ich find die Idee mit dem Flammenwerfer eigentlich gar nicht so übel, aber ich glaube das ist hier der falsche Ansatz." Setze ich an. Wir verbrennen gerne die Vergangenheit. Symbolisch betrachtet. Feuer ist irgendwie unser Element. Borderline nickt schuldbewusst. "Entschuldige...." "Ist okay. Aber zu dritt kriegen wir die alte Fassadenfarben schneller runter. Also wenn du schon mal da bist, kannst du auch mit anpacken. Bin gespannt was die ursprüngliche Farbe eigentlich war ... kommt mir vor als hätte ich die seit Jahren nicht gesehen." Scherze ich und mein Mundwinkel zuckt amüsiert hoch. Tatsächlich habe ich meine wahren Farben seit über fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte mal bevor das Biest eingezogen ist, ich weiß wirklich nicht was die Grundierung für all dieses überstreichen ist. Widerwillig nickt das Biest, der Plan scheint der Beste zu sein. "Wenn wir die Grundierung sehen können wir besser entscheiden was wir machen." Borderline und ich nicken. Ich weiß dass weder das Biest noch Borderline damit einverstanden sein werden wenn wir einfach die Grundierung als Fassadenfarbe lassen, aber vielleicht lassen sich die beiden zu einem transparenten Schutzlack für die Farbe überreden. Es ist keine leichte Aufgabe die ganze alte Farbe vom Putz zu ziehen. Die letzten Jahre zeigen sich mit ihrer vergilbten Farbe, die Erinnerungen an verlorene Beziehungen, verlorene Bezugspersonen, Menschen die uns einmal wichtig waren. Aber ich habe auch die Hoffnung dass unsere Grundierung noch da ist. Und wenn sie es ist, ist sie hoffentlich schöner als dieser Farbenmischmasch. Ansehnlich und schreckt niemanden ab. Ich wünsche mir eine Farbe mit der wir alle leben können. Sowohl ich, meine Mitbewohner als auch mein nahes Umfeld. Ich kann nichts mit meinen Wurzeln anfangen und habe oft das Gefühl dass ich keine habe, aber ich habe eine Grundierung die ich gerne mal wieder sehen würde. Und immerhin arbeiten das Biest und Borderline mal zusammen, ist auch irgendwie etwas.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)