Eisprinz - Ich bringe dein Herz zum schmelzen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Otabeks Gedanken waren in den nächsten Tagen nur bei seinem Freund. Auch bei der Arbeit merkte man es, dass er unkonzentriert war. „Möchtest du nicht lieber ein paar Tage frei nehmen?“, fragte seine Ausbilderin. Doch Otabek schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss mich ablenken. Zu Hause würde ich die Wände hoch laufen!“ Mehr als einmal wollte er zum Handy greifen, um ihn anzurufen aber dann legte er es beiseite. Es erreichte ihn allerdings auch keine Nachricht. >Tigerchen, gib doch wenigstens einmal Laut<, schickte er Stoßgebete zum Himmel. Doch das Handy schwieg, auch Lilia meldete sich nicht. Als die dritte Woche zu Ende ging und es immer noch kein Lebenszeichen gab, ließ Otabek das Telefon heiß klingeln. Doch die ersehnte Stimme des Liebsten erklang nicht, das Klingeln verlief ins Leere. Otabek war drauf und dran, nach Russland zu fliegen. Er setzte Yuri ein letztes Ultimatum, wenn er sich bis Sonntagabend nicht gemeldet hatte, setzte er sich Montag in den ersten Flieger. Otabek hatte es sich am Samstagabend auf der Couch gemütlich gemacht, als plötzlich das Handy piepste. Ruckartig griff er danach. „Ja?“ „Otabek, hier ist Lilia. Kannst du bitte zu mir kommen jetzt?“ Er hatte tausend Fragen auf den Lippen, doch etwas sagte ihm, dass er seine Antworten schon bald bekommen würde. „Ich komme!“, erwiderte er knapp und legte auf. Sofort schmiss er sich in seine Motorradklamotten und schwang sich auf seinen Feuerstuhl. Und zu diesem wurde sein Motorrad tatsächlich, denn Otabek heizte wie ein Irrer durch die Straßen. Er schaffte den Weg, der sonst gut und gerne eine halbe Stunde dauerte, in der Hälfte der Zeit. In Lilias Haus brannte nur ein gedämpftes Licht. Sie empfing ihn an der Tür und Otabek suchte in ihrem Gesicht nach Hinweisen. Aber ihre Miene war undurchdringlich wie immer. „Guten Abend, Otabek. Ich wusste mir keinen Rat mehr, dich zu holen.“ „Verdammt, was ist denn passiert? Wie lange seid ihr schon wieder hier?“, rief er. „Seit drei Tagen aber…“ „Seit drei Tagen??! Und ich erfahre erst jetzt davon?“, rief Otabek aufgebracht. „Er möchte niemanden sehen…doch jetzt weiß ich mir keinen Rat mehr.“, hauchte Lilia traurig. „Wo ist er?“ „Oben…dritte Tür links.“ Otabek stürmte nach oben, er wollte Yuri nun endlich wieder in die Arme schließen und hören was los war. „Yuri? Ich bin´s, Otabek!“ Aus dem Zimmer kam keine Antwort und er trat ein. Yuri saß am Fenster und starrte hinaus, er schien völlig abwesend zu sein. „Yuri?“, fragte Otabek leise. Als Yuri den Kopf zu ihm drehte, war er mehr als erschrocken. Es war, als wäre sein Tigerchen um Jahre gealtert. Dunkle Ringe lagen um seine Augen, der Blick leer und ohne Feuer. Die sonst so straffen Schultern hingen ohne Kraft herunter und das Gesicht aufgequollen vom Weinen. Otabek ahnte Schlimmes. „Yuri, was ist geschehen?“ „Er ist tot…“ Es war nur ein Hauch, der aus seinem Mund kam. Otabek hatte es fast geahnt, es war also tatsächlich geschehen, Yuri geliebter Großvater lebte nicht mehr. Er wollte etwas sagen aber dann ließ er es, kein noch so liebevolles Wort dieser Welt hätte ihn jetzt trösten können. Stattdessen breiteten Otabek die Arme aus und Yuri rutschte vom Fensterbrett hinunter. Kaum hatten sich seine Arme um seine schmalen Schultern geschlossen, fiel Yuris Blondschopf gegen seine Brust. Zuerst geschah nichts, bis Otabek ihn innig an sich drückte. Plötzlich brach die angestaute Trauer aus ihm heraus und er klammerte sich wie ein Ertrinkender an seinen Freund. Wie Sturzbäche schossen die Tränen aus seinen Augen und kurze Zeit später war Otabeks Shirt nass. Yuri krallte seine Finger so sehr in seine Oberarme, dass wahrscheinlich blaue Flecke als Andenken blieben. Doch all das war Otabek völlig egal, er hielt Yuri einfach nur fest und wartete, bis der erste Sturm vorüber war. Eine halbe Stunde später verebbten seine Tränen langsam und das Schluchzen wurde weniger, bis es ganz erstarb. Alle Anspannung war von ihm abgefallen und er war nur noch ein schlaffer Körper, der langsam aber sicher zu neuem Leben erwachte. Otabek führte ihn zu einem großen Ohrensessel und drückte ihn hinein. „Möchtest du was trinken?“ Yuri nickte. Aus dem Bad nebenan besorgte er ihm ein Glas Wasser, dass Yuri in einem Zug leer trank. „Ich bin so müde…so müde…“, hauchte er. „Möchtest du dich hinlegen? Es ist vielleicht besser, wenn du versuchst zu schlafen.“ Yuri nickte und ließ sich ins Bett bringen. Doch als Otabek aus dem Zimmer gehen wollte, griff Yuri nach seiner Hand. „Bitte…bleib bei mir. Ich habe solche Angst.“ „Natürlich Yuri, ich bin da.“ Er setzte sich auf die Bettkante, decke Yuri zu und strich ihm sanft durchs Haar bis er eingeschlafen war. Doch sein Schlaf war unruhig und voller gemurmelter, unverständlicher, Worte. Es hat Otabek in der Seele weh, ihn so zu sehen und nichts tun zu können, um ihm Linderung zu verschaffen. Oder vielleicht konnte er es doch? Ein kurzes Gespräch mit Lilia, die geduldig unten gewartet hatte, und er durfte hier übernachten. Aber auch wenn sie es nicht erlaubt hätte, keine Macht der Welt hätte ihn davon abgehalten, über Yuri zu wachen. Er zog sich aus und legte sich neben Yuri unter die Decke. Sofort rutschte dieser an seine Seite und Otabek umschloss seine Schultern, so als wollte er ihn vor allem Bösen beschützen. Ein kleiner Erfolg schlich sich auch sogleich ein, denn Yuris Atemzüge wurden ruhiger, gleichmäßiger, und statt des unruhigen Dämmerschlafs übermannte ihn der tiefe, feste und erholsame Tiefschlaf. Erst jetzt erlaubte Otabek es sich, ebenfalls zu schlafen. Yuri schlief geschlagene zwölf Stunden tief und fest. Otabek war schon lange aufgestanden und hatte Kriegsrat mit Lilia und Yakov gehalten. „Was geschieht nun mit ihm?“ „Yuri hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Sein Großvater war alles für ihn, sein Lebensmittelpunkt. Der Verlust wiegt schwer, sicher, aber der alte Mann wurde würdig zu Grabe getragen und nun muss Yuri sein Leben wiederaufnehmen. Am besten ist es, wenn er wieder zur Schule geht und sein Training weiterführt. Er kann sich jetzt keinen weiteren Rückstand erlauben, nicht schon wieder.“ Otabek gefiel Yakov´s Vorschlag nicht besonders und auch Lilia sah etwas skeptisch drein. „Lass den Jungen doch etwas zur Ruhe kommen!“ Yakov schüttelt den Kopf. „Ruhe bedeutet grübeln und das bedeutet wiederum Stillstand. Nicolai Plisetsky hätte nicht gewollt, dass Yuri sich verkriecht und vor Trauer krank wird.“ „Ich glaube, wir fragen ihn einfach selbst, was er möchte.“, meinte Lilia seufzend. In der Zwischenzeit war Yuri aufgewacht. Seit drei Wochen fühlte er sich zum ersten Mal richtig ausgeschlafen. Der Druck auf seiner Brust war zwar noch nicht verschwunden aber er war weniger geworden und schnürte ihm nicht mehr komplett den Atem zu. Das Liebste, was er besessen hatte, war ihm genommen worden. Trotzdem hatte sein Großvater ein erfülltes und gutes Leben gehabt, Yuri hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde, wo er Abschied nehmen musste. Er dankte Gott, dass er noch rechtzeitig eingetroffen war, als sein Großvater noch einen klaren Moment erlebte. Die letzten Worte, die der alte Mann zu ihm gesagt hatte, würde Yuri für immer im Herzen tragen. „Hey, du bist ja wach. Wie geht’s dir, mein Hübscher?“ Yuri hatte gar nicht gemerkt, dass Otabek in Zimmer gekommen war. „Otabek!“ Genau wie in der letzten Nacht, verstand es Otabek nur allein durch seine starke Präsenz, Yuri zu beruhigen. Er kam auf ihn zu und lehnte seine Stirn gegen Yuri´s, ihre Blicke trafen sich und verschmolzen ineinander. „Lass mich nie wieder so lange im Unklaren, hörst du? Ich habe mir solche Sorgen gemacht, wusste nicht was passiert war. Es tut mir so leid, was mit deinem Opa geschehen ist. Aber du musst das nicht allein durchstehen, ich bin immer da für dich!“ Zum ersten Mal seit Wochen lächelte Yuri. Dieses Lächeln ließ auch den letzten Rest des Drucks von seiner Brust sprengen. „Glaubst du, ich bin schon so weit, eine neue Choreographie auf die Beine zu stellen? Damit ich den nächsten Wettkampf gewinne? Ich will meinen Großvater stolz machen, auch wenn er nicht mehr dabei sein kann. Vielleicht sieht er mir trotzdem zu.“ „Tja, du hast dich lange genug ausgeruht, ich würde sagen, tu es! Wir werden eine Choreographie erarbeiten, die alle Vasilys dieser Welt in den Schatten stellt.“ Otabek grinste und zwinkerte ihm zu. „Wirst du mir in den Hintern treten, wenn ich mal wieder mit dem Kopf durch die Wand will?“, fragte Yuri leise. „Nur, wenn du deine Träume weiterhin mit mir teilst!“ „Ist versprochen!“ Ein weiterer Blick in Yuri´s Augen und Otabek konnte sehen, wie der verschollene Tiger wieder auftauchte und das hilflose Kätzchen gnadenlos vertrieb. Yuri Plisetsky war wieder da und Otabek Altin würde ihm zur Seite stehen, komme was wolle! Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)