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Der letzte Krieg

1. Auf einer Reise
von

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11. Kaltes Wasser

Kaltes Wetter, kalte Füße, kalter Reis von gestern.

Es war nicht gerade das ideale Frühstück, aber besser als gar nichts, dachte Po, als sie in der Rikscha durch den Schnee gezogen wurden. Glücklicherweise dauerte die kalte Reise nicht lange. Nach einer Weile tippte Po Xia auf die Schulter. „Hey, sieh mal!“

In einem Tal konnten sie eine lange, breite Wasserstraße erkennen.
 

„Könnten Sie das bitte nochmal wiederholen?“

Ein Gänserich und ein Schaf wussten nicht genau, was sie darauf erwidern sollten, als der Lord vor ihnen stand, nachdem sie ihn schon zuvor geantwortet hatten auf die Frage, ob sie sie durch den Fluss bringen könnten.

„Es ist so wie ich gesagt habe“, startete das Schwein von neuem. „Niemand fährt diesen Fluss hoch, nur flussabwärts. Um diese Jahreszeit lauern dort besonders viele Banditen in den oberen Gebieten herum. Aus diesem Grund meiden wir diesen Flussweg.“

Beide Dorfleute schrien vor Schreck auf, als ein scharfes Messer vor ihren Gesichtern aufblitzte.

Po versuchte die Situation zu entschärfen. „Shen, das ist nicht nötig.“

Shens Fauchen hallte so bedrohlich, dass dem Panda sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich.

„Ich nehme mir was ich will, und ich nehme mir was ich brauche.“ Shens Stimme klang mehr als gereizt. „Entweder wir nehmen das Schiff oder wir nehmen es mit Gewalt ein!“

Die harsche Stimme des Kriegsherrn ließ die Seeleute erschaudern. Schließlich hob das Schwein die Hand. „Ich bin für die friedliche Variante.“
 

Das Schiff war nicht groß genug, um die Kutsche und die Rikscha zu transportieren. Aus diesem Grund mussten sie beides zurücklassen. Das Schaf und der Widder erklärten sich einverstanden zurück damit in die Stadt zu fahren, während die anderen ihre Reise zur China-Grenze fortsetzten. Der Schiffsbesitzer hinderte sie nicht daran das Schiff zu übernehmen, wenn auch nur widerwillig.

Po überkam ein ungutes Gefühl im Magen, als sie vom Ufer ablegten, weil die Dorfleute nur den Kopf schüttelten und ihnen eine gute Fahrt wünschten.
 

Die Flussreise verlief ruhig und ohne Probleme. Dennoch herrschte an Bord nur wenig Aktivität. Der Schwager der Wahrsagerin hatte sich bereiterklärt das Schiff zu steuern, während die anderen verteilt nur saßen oder auf dem Deck umhergingen. Shen hatte sich einen Platz auf dem Dach der Schiffkabine ausgesucht, um alles auf dem Schiff zu überblicken. Besonders waren seine Augen auf Po gerichtet. Als der Panda seinen Blick bemerkte, winkte er ihm mit der Tatze zu. Doch der Lord mied seine Geste und schaute weg.

„Ist er heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, fragte sich Po verwundert.

„Keine Sorge“, meinte die alte Ziege. „Er ist nur ein bisschen nervös.“

„Oh, natürlich, eine alte Liebe zu treffen muss sehr spannend sein.“

„Sie ist nicht meine alte Liebe!“, sagte der Lord neben ihm wie aus dem Nichts aufgetaucht. „Wir sind nur auf der Reise, um einige Dinge zu klären!“

„Vergiss bitte nicht meinen Bruder“, wandte Xia ein. „Vielleicht wird es das erste und letzte Mal sein, dass du ihn sehen wirst.“

Der Lord schnaubte mit einer herabwürdigenden Geste. „Na schön. Doch erwarte nicht, dass ich ihn in meinen Leben willkommen heißen werde. Ich werde ihn wie jeden anderen Fremden behandeln.“

Sie senkte den Blick. Dann meldete sich Po, dem gerade was eingefallen war.

„Hey! Warte mal! Du hast uns noch nicht gesagt wie dein Bruder heißt!“

„Hab ich das nicht?“

Der Panda schüttelte den Kopf. „Nein, hast du nicht.“

„Oh, tut mir leid. Nach so vielen Dingen, hab ich es vergessen. Ähm.“

Ihr Blick blieb auf Shens Gesicht hängen. Wollte er auch den Namen wissen?

„Nun, sein Name ist Sheng.“

„Sheng?“ Po war sehr überrascht. „Klingt ja ähnlich wie Shen.“

Ein sanftes Lächeln umspielte Xias Schnabel. „Vielleicht wollte meine Mutter eine Erinnerung behalten.“

Sie sendete ihrem „Vater“ einen hoffnungsvollen Blick zu. Doch Shen wandte sich einfach ab, ging ein paar Schritte weiter weg und starrte auf den Fluss.

Po tätschelte der traurigen Pfauenhenne auf die Schulter. „Gib ihm etwas Zeit.“

Sie nickte niedergeschlagen. Betrübt lehnte sie sich gegen die Reling und beobachtete die sanften Bewegungen des Wassers.

Mittlerweile hatte Po wieder all seinen Mut zusammengenommen und ging zu dem stillen Lord rüber. Doch bevor er seine Kehle für einen Satz räuspern konnte, schnitt der Lord ihm das Wort ab. „Du solltest aufhören dich in Sachen einzumischen, die dich nichts angehen.“

„Vielleicht ist es ja nicht meine Sache“, entgegnete Po. „Aber ihr Verhalten geht mich etwas an. Nur tu ihr den Gefallen und behandle sie nicht wie ein dummes Mädchen.“

„Ihre Mutter war nicht anders.“

Hörbar schnappte Po nach Luft, doch er kontrollierte seinen Ärger. „Na schön, wir sollten später darüber reden, nachdem wir sie gefunden haben.“

Der Pfau erwiderte nichts. Er starrte nur geradeaus. Po seufzte und wandte sich ab zum Gehen.

„Unser Friedensabkommen steht noch, oder?“

Kaum hatte Shen diese Worte geäußert, sah der Panda ihn mit großer Überraschung an. „Natürlich, warum fragst du?“

„Nur um ganz sicher zu sein.“

Po wusste nicht, was er von dieser Andeutung halten sollte.

„Oookay, wenn du denkst - falls du denkst, ich würde den Schwur in meinem Dorf vergessen, dann bist du im Irrtum. Da zitiere ich immer die Worte meines Meisters Shifu, der immer zu sagen pflegt, ein Gelübde zu halten ist die Pflicht eines jeden Kung-Fu-Kriegers…“

Doch Shen hörte ihm gar nicht mehr zu. Seine Augen spannten sich an und blieben über der hügelverhangenen Seite des Flusses hängen, wo er die schnelle Bewegung eines Schattens wahrgenommen hatte.

Die Wahrsagerin bemerkte seine Anspannung zuerst. Sie kannte ihn gut genug. Und er zeigte ihr, dass etwas in der Umgebung nicht stimmte. Langsam zog er eines seiner Federmesser aus seinem Flügel heraus. Po hingegen hatte immer noch nichts bemerkt und redete ununterbrochen weiter.

„Und genau deshalb kannst du mir vertrauen, und das ist nach meiner inneren Überzeugung…“

„DECKUNG!“

Shen stieß ihn so hart weg, dass der Panda mehrere Meter über das Deck schlitterte.

In der nächsten Sekunde landeten zwei große Gestalten mit einem lauten Krachen auf den Holzboden des Schiffes.

„Was sagt man dazu, heute ist unser Glückstag!“

Ein großes waranaussehendes Tier, bedeckt mit einer dicken Kleidung und noch ein weiterer, zogen ihre Schwerter.

Po mittlerweile hatte sich bereits wieder von der wilden Begrüßung erholt und trat ihnen mutig entgegen.

„In diesem Fall müsst ihr die Banditen sein, die den Fluss unsicher machen.“

„Du weißt viel, in diesem Fall, gib uns was wir wollen.“

Sie lachten.

Po rieb sich die Tatzen. „Nicht ohne einen Kampf!“

Die Echsen zischten amüsiert. „Nette Einladung.“

Mit einem lauten Aufschrei rannten sie auf sie los. Po nahm sich den Ersten vor, Shen den Zweiten. Zuerst dachten die Banditen, sie hätten leichtes Spiel. Doch der Kung-Fu-Panda und der weiße Kriegsherr entpuppten sich als harte Gegner. Doch kurz darauf erschien eine andere Gefahr.

„Überraschung von hinten!“, schrie Po der restlichen Gruppe zu.

Drei weitere Echsen kletterten gerade über die Reling und stießen vor. Der Widder Wulong hatte seine Schwägerin beiseite genommen und wehrte die Angreifer mit seinen Widderkräften ab. Xia schrie, als einer der großen Echsen mit einem gezuckten Messer vor ihr stand.

„Hey!“, rief Po zu ihr rüber. „Schnapp dir etwas und hau ihn damit!“

Die junge Frau sah sich um und bekam die nächstbeste Stange zu fassen.

Der Waran lachte. „Was willst du denn mit diesem Streichholz?“

Xia nahm einen tiefen Atemzug. Doch noch bevor sie den Stock schwingen konnte, riss der Bandit ihn ihr aus den Flügeln und stieß sie mit aller Gewalt von sich. Die Pfauenhenne taumelte nach hinten. Mit einem Klatscher fiel sie rückwärts in die kalten Fluten des Flusses. Zum Glück war die Strömung nicht stark. Als Po mitbekam was passiert war, winkte er ihr zu.

„Schwimm rüber!“

Doch das Mädchen machte nur unkontrollierte, kraulende Bewegungen.

„Ich kann nicht schwimmen!“

Pos Augen wanderten zu Shen, der gerade die letzte Echse aus dem Schlachtfeld vertrieben hatte. Doch statt etwas zu unternehmen, schaute er nur auf das zappelnde Mädchen im kalten Wasser.

„Tu doch was!”

Doch Pos Rufe schienen irgendwie nicht in den Kopf des Pfaus durchzudringen. Entweder ignorierte er sie mit Absicht oder er konnte ihn wirklich nicht hören.

Die Augen des Pandas weiteten sich entsetzt, als Xia zu sinken begann. Mit einem gewaltigen Sprung landete Po in den Tiefen des Flusses und schwamm zu ihr rüber. Seine Finger tasteten sich durch die eisige Kälte und fühlte nasse Federn eines Flügels. Er packte zu und zog daran. So schnell er nur konnte paddelte er zurück zum Schiff. Kaum hatte er den Schiffrumpf erreicht, zogen starke Arme die beiden klitschnassen Schiffbrüchigen hoch. Vorsichtig setzte Wulong sie auf dem Deck ab.

In Pos Kopf rauschte es, begleitet von lauten Flüchen aus weiter Ferne. Der Drachenkrieger stützte seinen Oberkörper ab und sah noch wie die Banditen ihr Heil in der Flucht suchten. Doch dann fiel sein Blick auf Shen, der immer noch ruhig und gelassen mit verschränkten Flügeln da stand.

Wütend zog Po die Augenbrauen zusammen. „Warum hast du sie nicht gerettet?!“

Doch Shen zeigte keine Regung. „Warum sollte ich das tun?“

„Bist du wasserscheu oder was?!“

Jetzt glitt doch eine zornige Welle über des Lords Gesicht. „Pass auf was du sagst!“

„Hört auf damit!“, rief die Wahrsagerin. „Alle beide!“

„Was hast du dir dabei gedacht?!“, rief Po. „Sie hätte ertrinken können!“

Der weiße Vogel hob nur die Augenbrauen. „Das ist nicht mein Problem.“

Po balle die Fäuste, doch ein lautes erschöpftes Husten ließ ihn zusammenzucken. Die Pfauenhenne lag immer noch da mit stark zitterndem Körper.

Sanft nahm Po sie in die Arme.

„Sie friert sich noch zu Tode. Wir müssen ein Lagerfeuer machen.“
 

Mit tiefster Finsternis beobachtete der Lord wie Po ein Feuer am Ufer anzündete. Natürlich konnten sie unmöglich ein Feuer auf dem Schiff entfachen, sodass sie einen Zwischenstopp am trockenen Land einlegen mussten.

„Warum hast du sie nicht gerettet?“, hallte es dem Vogel immer noch durch den Kopf. Dadurch verengte sich seine Augen nur noch mehr.

Mein Hass war stärker.

„Gleich wird es warm“, sagte Po und blies in die noch kleinen Flammen. Xia saß auf einem Stein, umhüllt in einer dicken Decke. Der Panda trat hinter sie und rubbelte über ihren Rücken.

Sie lächelte verschmitzt.

„Ich bin so ein Feigling.“

„Hey“, meinte Po und lachte. „Für deinen ersten Kampf, war das nicht schlecht. Aber warum kannst du nicht schwimmen?“

Sie schwieg.

„Xiang“, war ihre einzige Antwort.

Und Po verstand. „Na ja, den Schwimmunterricht werden wir auf später verschieben.“

Sie hustete.

Aufmunternd tätschelte Po ihr auf die Schulter. „Mach dir nichts draus. Du musst nicht alles an einem Tag lernen.“

In diesem Moment trat die Wahrsagerin an sie heran und hielt dem Mädchen eine gefüllte Schüssel hin.

„Trink das.“

Die Augen des Lords weiteten sich mit einem Mal. Der Geruch warf ihn weit zurück in die Vergangenheit.
 

Vor 17 Jahren…
 

Er konnte kein Auge zumachen. Noch nie hatte er mit einer anderen Person zusammen in einem Raum geschlafen. Zumindest nicht mit einer Frau. Doch ihre Gegenwart war nicht der einzige Grund, weshalb er keinen Schlaf finden konnte. Von Zeit zu Zeit hallte ein Husten durch seinen Kopf. Nein, das war kein Traum. Müde öffnete er die Augen. Der Raum der Höhle lag fast komplett im Dunkeln. Nur ein großes Feuer brannte in der Nähe des Höhleneingangs, um die Höhle aufzuwärmen und sodass der Rauch nach draußen entweichen konnte.

Ein erneutes sanftes Husten ließ ihn hochfahren. Seine Augen wanderten in eine Ecke, wo einige Decken auf dem Boden lagen, während er ein komfortableres Bett belegte. Als er es nicht mehr länger aushalten konnte, warf er die Decke beiseite, verließ das Bett und ging rüber zu der immer noch hustenden Pfauenhenne.

Nachdem er sie erreicht hatte, hielt er an und schaute zu ihr herunter. Ihre Augen waren geschlossen, doch sie schlief nicht. Sie lag da mit verkrampftem Körper und hielt sich den Hals. Der Lord gähnte leise, dann verfiel er wieder in seine würdevolle Haltung zurück und räusperte sich. Sein genervter Klang ließ sie hochschrecken. Sofort setzte sie sich auf und blickte ihn reuevoll an.

Der Prinz lächelte innerlich. Er genoss ihre Unterwürfigkeit.

„Könntest du mir einen Gefallen tun und nicht meinen Schlaf stören?“, fragte er müde und gestresst.

Dadurch neigte sie den Kopf nur noch mehr. „Es tut mir leid, es ist nur etwas in meinen Hals.“

Er seufzte. Momente der Stille umgaben sie. Schließlich wandte sich der Lord ab. Sie sah ihm nach wie der Lord zum Feuer rüberging. Dann schaute er zu ihr zurück und winkte sie zu sich rüber mit einer behutsamen Bewegung seines Flügels.

„Komm her.“

Ihr Schnabel begann zu zittern.

„Bitte!“, flehte sie. „Es war nicht meine Absicht Euch aufzuwecken.“

Schnell stand sie auf und wollte die Höhle verlassen. „Ich schlafe draußen.“

Doch kaum war sie an ihm vorbei, fühlte sie seinen eisernen Griff an ihrem rechten Flügel.

Angst stieg in ihr auf. „Nein, tut mir nicht weh!“

Sie zog, doch der Griff um ihren Flügel ließ nicht locker. Verzweifelt gab sie den Widerstand auf. Ihren Kräften nachgebend konnte sie nichts Weiteres tun, als nur ein keuchendes Wimmern von sich zu geben.

„Habe ich nicht gesagt, ich würde dir nicht weh tun?“, hallte die flüsternd-mahnende Stimme des Lords.

Seine Worte veranlasste sie ihm ins Gesicht zu schauen. Die Augen des Pfaus waren immer noch kalt, aber nicht hart.

„Ich halte mein Wort“, fuhr er ruhig aber ernst fort. „Solange du nicht gewillt bist deins zu brechen.“

Sie starrte ihn an. Und er schaute zurück.

„Komm näher.“

Sanft führte er sie nahe genug ans Feuer und platzierte sie vor sich.

„Mach den Mund auf.“

Sie zögerte, doch sie gehorchte, sodass er ihr in den Mund schauen konnte. Genau wie er vermutet hatte. Ihr Hals war völlig rot und wund. Sie schloss den Schnabel wieder und hustet heiser.

„Tut weh, oder?“, fragte er mit ernstem Gesicht.

Sie nickte und rieb sich über die Kehle. Nachdenklich betrachtete er sie. Dann nickte er und winkte mit dem Kopf in die Höhle. „Geh zurück ins Bett.“

Sie tat was er verlangte, während er am Feuer blieb.
 

Minuten verstrichen. Der weiße Pfau stand immer noch neben dem Feuer und stierte in die Flammen. Er hörte sie im improvisierten Bett hin und her rollen. Sie konnte keinen Schlaf finden. Und er konnte das nur zu gut verstehen. In seiner Kindheit war er ziemlich oft krank gewesen. Was hatte man ihm nochmal gegeben, wenn er eine Erkältung gehabt hatte? Doch warum sollte ihn das interessieren? Er traute ihr immer noch nicht über den Weg. Was hatte sie hier oben in den einsamen Bergen zu suchen gehabt?

Ein lauteres keuchendes Atmen ließ ihn aufhorchen. Er drehte sich zu ihr um und lief zu ihr rüber. Sie hörte ihn näherkommen. Beschämt richtete sie sich auf und bedeckte ihr Gesicht.

„Vergibt mir. Ich versuche es zu unterdrücken.“

Ihre Versuche stellten sich mehr als schwierig heraus. Er konnte deutlich sehen wie ihre Schultern bebten und zitterten. Normalerweise hätte er sie angeschrien. Nie hatte jemand in ihm einen mächtigen Herrscher gesehen. Doch sie war ihm so unterwürfig, dass sie ihm schon beinahe leidtat.

Schließlich schüttelte er den Kopf. „Macht nichts. Ich werde in meinem neuen Quartier einen Platz suchen.“

Damit verließ er sie.
 

Der Sturm war stärker geworden. Kalte, harte Schneeflocken wehten ihm ins Gesicht. In der Dunkelheit der verschneiten Nacht wunderte er sich über sich selber wieso er die Höhle verlassen hatte und nicht sie. Er vertrieb diesen Gedanken und wollte die Gelegenheit nutzen die Fabrik zu inspizieren.
 

Voller Stolz stand der Lord auf einem Holzbalken und überschaute die unfertige aber fast fertiggestellte Fabrik, die seine Träume verwirklichen würde.

Eines Tages wird ganz China sich vor mir verneigen. Eines Tages.
 

Der nächste Morgen begann ohne einen Sonnenstrahl. Wolken bedeckten den Himmel und verbreiteten eine depressive Atmosphäre. Doch Shen war nicht in schlechter Laune. Die Nacht in seiner neuen Residenz hatte ihm gutgetan. Der Eingang der Höhle war zwar von hohem Schnee blockiert, doch es befanden sich auf jedem Level kleine Türen, um reinklettern zu können. Er schob einige Planken beiseite und schlüpfte hinein.

Das Feuer war fast erloschen. Der Lord kümmerte sich nicht darum und ging an der Feuerstelle vorbei. Plötzlich stießen seine Füße gegen etwas am Boden. Das Objekt wimmerte und hob den Kopf. Im spärlichen Licht erkannte er die Pfauenhenne, versteckt in einer Decke.

„Warum liegt du hier?“

Sie zitterte. „M-mi-r is-t ka-alt.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr und sie sah auch gar nicht gut aus. Er streckte seinen Flügel nach ihr aus und berührte ihre Stirn. Sie fühlte sich wirklich sehr kalt an, vielleicht sogar schon Untertemperatur. Er zog seinen Flügel zurück und hob den Kopf.

„Na gut. Ich werde ein neues Feuer machen. Doch geh zurück ins Bett und stör nicht meine Arbeit.“
 

Sein Unmut wuchs. Schon seit einer halben Stunde saß er vor seinen Papieren, wo er über ein neues Design für seine Waffe nachdachte. Doch das Konzentrieren fiel ihm mehr als schwer. In jeder Minute musste er ihr Husten hören, einmal lauter, manchmal leiser. Mit einem lauten zischenden Knurren warf er den Stift nieder.

Eine furchtbare Stille trat ein, dicht gefolgt von einem rückenden Stuhl und harten Schritten, die sich einer verängstigten Person näherten. Shen wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Er starrte nur auf sie herab. Sein Gesicht überzogen mit nur einer Frage: Was sollte er mit ihr machen?

Tränen stiegen ihr in die Augen. Die junge Frau wusste selber nicht, was sie machen sollte. Sie saß nur da mit erhobenen Flügeln und flehte: „B-bitte, helft mir.“

Er verengte gefährlich die Augen. „Warum um alles in der Welt sollte ich sowas tun?“

Sie öffnete den Schnabel, zuerst ohne ein Wort, dann mit einem flehendlichen Klang. „Ich habe Angst.“

„Du hast Angst?“ Ein düsteres Kichern entkam ihm. „Dazu hast du keinen Grund.“

Wieder wandte er sich von ihr ab, während sie zu schluchzen begann.

„W-warum se-id Iihr so h-hart?“, weinte sie.

Er hielt inne, seine Augen brannten vor verletztem Stolz. „Die Welt ignorierte mit“, flüsterte er bitter. „Niemand hat das Recht Beachtung von mir zu verlangen.“

Er schaute hinter sich und sein Blick erschreckte sie. „Aber eines Tages, wird mich niemand mehr ignorieren.“

Der Pfau behielt seine strenge Miene, bis er spöttisch lachte.

„Du siehst, ich habe keinen Grund dir was zurückzugeben.“

In Erwartung sie würde weiter betteln, senkte sie den Blick komplett.

„V-vielleicht habt Ihr recht.“

Ihre Antwort überraschte ihn.

„Vielleicht bin ich e-es nicht wehrt am Leben zu bleiben.“ Sie rang nach Luft. „Jeder hat mir gesagt, ich lebe nur um still zu stehen und nichts anderes zu tun. I-ich glaubte nicht, aber meine Eltern hatten recht. Ich bin unbedeutend. Ich hab nur zu gehorchen.“

Sein Blick ruhte auf ihr.

„Deine Eltern scheinen dich nicht geliebt zu haben, oder?“

„Sie – sie sind tot“, keuchte sie. „Und es ist mir egal. Ich hab sie nie geliebt – und sie nie mich. Ich dachte nur – sie hätten gelogen und ich wäre mehr. A-aber Ihr hattet wenigstens das Glück ein Mann zu sei. Ich bin nur eine Frau, o-ohne Rechte. Ihr hingegen könnt machen was Ihr wollt.“

Sie konnte nicht weitersprechen. Ein harter Keuchhusten blockierte ihre Stimme. Langsam kam er näher und kniete sich neben sie hin. Doch diesmal konnte sie kein Wort von sich geben. Ihre Lunge schmerzte und das Atmen wurde ein schmerzhafter Prozess für sie.

Shen kümmerte sich nicht weiter darum und seufzte.

„Glaub mir, Eltern können noch viel grausamer sein als du denkst.“

Sie zuckte zusammen. Ein weißer Flügel legte sich auf ihre Schulter und drückte sie langsam zurück aufs Kissen. Die Frau wehrte sich nicht dagegen. Sie wollte gar nichts mehr tun. Mittlerweile war der junge Pfau aufgestanden und entfernte sich.

In Gedanken versunken und still ging er durch die Höhle. Nach nicht mehr als 3 Minuten verließ er seine private Behausung.
 

„Ich soll was machen?“

Der Boss-Wolf und ein paar andere Wölfe starrten ihren Meister sprachlos an.

„Du hast mich schon richtig verstanden“, wiederholte ihr Meister. „Ich verlange, dass du und die anderen mir diese Kräuter bringen, die ich aufgelistet habe.“

„Aber das nächste Dorf ist weit weg…“

„TU ES!“, schrie der Pfau. „TU ES! TU ES!“

So schnell sie konnten verließen die Wölfe das unfertige Fabrikgebäude.
 

Sie hörte ihn zurückkommen. Doch sie sah nicht auf. Immer noch auf der Seite liegend, wickelte sie die Decke enger um ihren zitternden Körper. Schritte hallten durch den Hallenraum, die dann zu ihr zurückkehrten.

Doch statt einer Stimme, huschte ein raschelndes Geräusch und etwas Schweres legte sich über sie. Sie hob den Kopf. Neben ihr stand der weiße Pfau und deckte sie mit einer zweiten Decke zu und noch einer dritten. Dann hob er den Zipfel der vielen Decken an.

„Was… was tut Ihr da?!

„Keine Angst“, sagte er ruhig. „Ich werde dich warmhalten.“

Damit kletterte er zu ihr unter die Bettdecke. Sie konnte nicht glauben, was er da tat und wich zurück. Als Shen seinen Platz neben ihr eingenommen hatte, lächelte er.

„Keine Sorge. Aber du musst warm bleiben. Ich werde bei dir bleiben bis meine Soldaten mir ein paar Medikamente besorgen.“

Er konnte ihre Angst deutlich sehen.

„Vertrau mir. Es wird nichts passieren. Doch du musst näher heranrücken.“

„I-ich weiß nicht.“

Vorsichtig legte er seinen Flügel auf ihre Schulter, die anschließend weiter nach hinten wanderten. Mit sanftem Druck auf ihrem Rücken schob er sie zu sich heran.

„Keine Sorge.“ Im Schein des Feuers, konnte er sehen wie ihre Atmung sich beschleunigte.

„Wieso vertraust du mir nicht?“, flüsterte er.

„I-Ihr seid stärker als ich.“

Wie süß es in ihrer Stimme klang. Ihre silbernen Flecken schimmerten im gedämpften Licht.

„Stell dir einfach vor, der Schnee würde dich in die Arme nehmen.“ Er lächelte. „Du magst doch den Schnee, oder etwa nicht?“

Sie wusste nicht wie ihr geschah. Die Pfauenhenne fühlte sich wie in einem Traum, während der weiße Pfau seinen Kopf nach vorne beugte bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten.

„Schließ die Augen.“ Seine Stimme hatte einen beruhigenden Effekt. „Es ist okay.“

Er konnte nicht anders. Er wollte ihr nichts befehlen. Sie sollte sich freiwillig fügen. Er versuchte alles um fürsorglich zu sein. Sie sollte sich sicher fühlen, was seine Eltern ihn niemals haben fühlen lassen. In ihren Augen war er immer ein Schwächling gewesen.

Ihr Widerstand ließ nach. Noch immer ihn anstarrend ließ sie ihren Körper zu ihm führen. Sie näherten sich, bis ihr Körper auf seinem Oberkörper lag. Er konnte ihre Anspannung fühlen. Es war seltsam und fremd, aber wundervoll zugleich. Langsam und behutsam strichen seine Fingerfedern über ihren Hals. Ihre Anspannung stieg. Sie fürchtete sich immer noch vor seiner Berührung, doch sie wagte nicht ihm zu widersprechen oder zu versuchen ihn daran zu hindern.

Der weiße Prinz blickte auf sie herab. Ihr Schnabel zitterte leicht.

„Du bist nicht oft in der Kälte, oder?“

„N-ni-cht oft“, stotterte sie heiser. „Und Ihr…?” Wieder musste sie husten.

„Du solltest deine Stimmbänder nicht überanstrengen. Bleib ruhig und versuch zu schlafen.“
 

Es war ein eigenartiges, fremdes Gefühl. Schweigend blickte er auf die Frau herab, die inzwischen in den Schlaf gefallen war und auf seinem Körper ruhte. Es war eine unbekannte Erfahrung den Herzschlag eines anderen zu spüren. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Brust.

Ein Lächeln huschte über seinen Schnabel. So fühlte es sich also an jemanden so nahe zu sein. Ein unbeschreibliches Gefühl.

So wundervoll. So warm. Sanft zog er sie näher zu sich heran.
 

Er wusste nicht wie lange er mit ihr zusammenlag. Von Zeit zu Zeit wachte er auf, dann döste er wieder ein, bis ihn eine bekannte Stimme vollständig weckte.

„Meister Shen. Ich brachte Euch was Ihr braucht.“

Er blinzelte und besah sich die Tasche, die der Wolf-Boss ihm über den Kopf hielt. Langsam stand er auf und winkte ihn weg. Seine Bewegungen weckten sie auf.

„Wa-as…”

Shen legte eine Fingerfeder auf ihren Schnabel. „Schlaf weiter. Ich werde gleich zurück sein.“

Mit der Tasche in den Flügeln, ging er zu einem Tisch, schob die Schüsseln, Flaschen und andere merkwürdige aussehende Gegenstände beiseite und stellte sie dort ab. Die Pfauenhenne war zu erschöpft und schloss die Augen wieder. Mittlerweile hatte der weiße Prinz ein paar Kräuter herausgenommen und begann mit der Arbeit. Die Wahrsagerin hatte ihm oft genug gezeigt wie er den Saft zubereiten musste, für den Fall, wenn er es mal in Zukunft brauchen würde. Als er erwachsen war, hatte er es zwar nie mehr benötigt, doch er hatte nicht vergessen, wie er die Kräuter zerreiben musste, um einen Auszug daraus zu machen.

Schließlich, nach getaner Arbeit, nahm er den Löffel beiseite. Ja, es roch genauso wie er es in Erinngerung hatte, als er noch ein Kind war. Mit der Saft gefüllten Schüssel in den Flügeln kehrte er zu ihr zurück und berührte sie an der Schulter. Zuerst war sie sehr erschrocken, doch dann hielt er ihr die Schüssel vors Gesicht.

„Trink das. Das wirkt wahre Wunder.“

Vorsichtig nahm sie es. Die ganze Zeit beobachtete er sie, bis sie die Schüssel geleert hatte.

Als sie sie ihm zurückgeben wollte, erstarrte sie. Sein weißer Flügel wickelte sich um ihren. Der andere nahm die Schüssel und stellte sie weg. Sie folgte den Bewegungen seines Flügels, bis er diesen hob und über ihre Wange strich und behutsam ihr Kinn anhob. Ihre silbernen Augen schauten in seine roten dunklen. Ein freundliches Lächeln von ihm ließ in ihr Wellen der Freude aufkommen.

„Ich denke, du solltest dich ausruhen.“
 

Er blinzelte heftig.

„Nur keine Bange“, erreichte die Stimme des Pandas seine Ohren. „Wird schon alles wieder gut werden. Nicht mehr lange und wir können unsere Reise fortsetzen.“

„Das hoffe ich“, meinte Xia traurig. „Wir haben schon so viel Zeit verschwendet und jetzt vergeuden wir noch mehr nur wegen mir.“

„Ach, das ist doch kein Problem.“

„Aber mein Bruder könnte jeden Moment sterben!“ Sie stand auf. „Wir müssen sofort weitereisen!“

„Erst nachdem du dich aufgewärmt hast“, sagte die Ziege und legte ihren Gehstock auf ihren Flügel. „Dann werden wir unseren Weg fortsetzen. Oder nicht, Shen?“

Die ganze Zeit hatte er teilnahmslos die Gruppe um das Mädchen beobachtet. Jetzt sah er so aus, als würde er gerade von weit weg wieder zurückkommen.

„Mm, ja. Das sollten wir tun.“
 

„Ich kann es nicht glauben!“

Shen sah sie nicht an, als er die aufgeregte Stimme seiner „Tochter“ hörte.

„Ich fühle mich viel besser. Dieser Saft ist wirklich ein Wundermittel.“

Die alte Ziege lächelte. „Es ist ein altes Rezept von Shens Familie. Sie verwenden es schon seit vielen Jahren.“

„Hey, Shen!“, rief Po zum Pfau rüber, der ihnen wieder den Rücken zugewandt hatte. „Sie fühlt sich schon viel besser! Hast du das gehört?“

„Schön für dich”, antwortete er mit Desinteresse. Er starrte nur auf den Fluss.

Enttäuscht gab Po es auf seine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken und wandte sich ab, ohne die einzelne Träne in einem Auge des Lords zu bemerken.

„Oh, seht nur! Ich kenne diese Berge!”, rief Xia laut und deutete nach vorne. „Wir sind fast da!“
 


 

Falls einige von euch denken, so störrisch kann Shen doch nicht sein, dann lass ich euch wissen, dass er ein Detail kennt, wovon die anderen nichts wissen. Aber ihr werdet erst später davon erfahren. Auf jeden Fall wird dies noch eine wichtige Rolle spielen und sich extrem auf Shens Verhalten im weiteren Verlauf auswirken.
 

Und falls ihr euch wundert, weshalb Yin-Yu kein Fieber bekam, muss ich noch hinzufügen, dass Vögel soweit ich weiß kein Fieber bekommen können, sondern im Krankheitsfall von Untertemperatur geplagt werden.



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