bittere Vergangenheit, enge Freundschaft, grosse Liebe von NiFuu (Neufassung) ================================================================================ Kapitel 7: Nach dem Sturm ------------------------- Kenny war der Erste, der sich an diesem ruhigen Morgen blicken liess und kaum, dass er eingetreten war, sah er sich suchend um. «Hast du Max und Tyson gesehen? Sie sind nicht in ihrem Zimmer.» «Tyson liegt in meinem Bett und Max ist bei Ray.», klärte Kai ihn auf, ohne den Blick von dem Zeitungsfetzen zu heben. Kenny war nicht dumm. Er musste etwas geahnt haben und die Vermutung bestätigte sich, als er sich mit einem kurzen «Ach so.» Kaffee eingoss und zu ihm setzte. Flink flogen seine Finger über die Tasten, immer wieder in unregelmässigen Abständen pausierend, um Kai über den Rand des Bildschirmes zu studieren. Dafür, dass seine Kollegen nie müde wurden zu betonen, wie unterdurchschnittlich es um seine Mitteilungsbereitschaft stand, drucksten sie selber immer erstaunlich lange herum, bevor sie mit was-auch-immer herausrückten. Kai ignorierte es solange, bis Kenny schliesslich den Laptop schloss und ihn unverblümt anstarrte, den Kopf auf die Faust gestützt. «Ehrlich gesagt hatte ich die Befürchtung, dass du ihm das Herz brichst.», gestand er schliesslich, ohne das kleinste Stottern. «Deine Befürchtungen waren umsonst.», kommentierte Kai nebensächlich. «Zum Glück.», seufzte Kenny, «mir ist bis heute keine Möglichkeit eingefallen, ihn wieder aus seinem Loch zu holen, ohne dass einer das Team verlässt.» Das hätte in der Tat schwierig werden können. Tyson hätte es versucht, doch er war zu impulsiv, als dass er seine Gefühle hätte unterdrücken können. Wenn es ihn übermannt hätte, wäre er aggressiv geworden oder kindisch, bis einer von ihnen das Handtusch geschmissen hätte. Natürlich hätte es sich irgendwann vielleicht aufgelöst, doch bis dahin hätte das Team zu sehr darunter gelitten. «Und er hat sich nächtelang den Kopf darüber zerbrochen.», schaltete sich plötzlich Dizzi ein, «Du schuldest mir einen neuen Prozessor Chef.» «Als ob du es besser gewusst hättest! Der einzige Grund, weshalb du auf Kai gesetzt hast, war, weil wir nicht beide gegen ihn sein konnten.», verdrehte der die Augen und hielt dann erschrocken inne, verteidigend die Hände hebend, «Also nicht, dass wir dich irgendwie verurteilen wollten!» «Keine Sorge, keine Anklage vernommen.», schliesslich wusste Kai selber, wie gering die Chancen standen – auf beiden Seiten. Um einiges mehr besorgte ihn die Wettsucht seiner Kollegen. Das Kenny mit seinem Laptop Wetten abschloss, war nicht neues, im Gegenteil, damit durfte das ganze Übel wohl begonnen haben. Meistens waren es nur kleine Dinge, wie Hausarbeiten oder Besorgungen, doch leider ging der Trend immer mehr in eine andere Richtung und nachdem er Zeuge von einem rothaarigen Max geworden war, einer einwöchigen Scharade von Ray in Kennys Klamotten und umgekehrt, sowie einem Video von Tyson, wie er laut schreiend durch das Tiergehege im Zoo rannte, fürchtete Kai, dass der Weg nicht mehr weit war, bis sie die Mutproben weiter zu ihm spannten. Sollte er eines Tages seinen Schal pink gefärbt vorfinden, würde er sie solange Runden rennen lassen, bis sie entweder an Dehydrierung oder Altersschwäche gestorben wären. «Gut, denn ich schätze dich sehr Kai. Du bist der Einzige, der die Truppe bändigen kann und weisst genau, wie du sie in einer Krise zu motivieren hast.» «Aha.», erwiderte Kai desinteressiert und versuchte den Inhalt des Artikels zu entziffern. Der betitelte Vogel hatte entweder das Gehirn seiner Besitzerin gefressen, oder ihr Futter steigerte seine Gehirnfunktionen – es war schwer zu deuten. «Ich bin echt froh, dass du unser Leader geworden bist. Es hat zwar lange gedauert, aber heute arbeiten wir alle toll zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass es so Spass machen würde, immer mit den gleichen vier Leuten unterwegs zu sein. Es ist schon ganz schön lange her...» Genauso wie der Beginn dieser Rede. Gerade weil sie sich schon solange kannten, sollte der Braunhaarige eigentlich wissen, was er von Geplapper am Frühstückstisch hielt.   «Kenny.», fragend sah Angesprochener auf, «Dürfte ich erfahren, womit ich dir den Eindruckt vermittelt habe, an einem Gespräch interessiert zu sein?» Daraufhin legte dieser verwirrt den Kopf schief. «Äh…» «Genau. Den Ausnahmezustand hatten wir gestern, also was hältst du von etwas Normalität und lässt mich in Ruhe meinen Kaffee geniessen?» «Stimmt, deine Morgen Routine, sorry, wird nicht wieder vorkommen.», lachte er verlegen und rieb sich den Nacken, ehe er sich räusperte und Dizzi aufklappte. «Danke.» und damit wandte sich auch Kai wieder seiner Zeitung zu – zumindest wollte er das. «Habe ich da gerade wirklich ein Danke aus dem Mund unseres ehrfürchtigen Anführers gehört?», hüpfte ein vor Energie strotzender Max herein, dicht gefolgt von einem gelassenen Chinesen. Sogleich wurde nach Tysons Verbleib gefragt und ohne eine Antwort abzuwarten, begann der Blonde laut nach ihm zu schreien und fuhr erschrocken zusammen, als der genau hinter ihm in selbiger Lautstärke seine Anwesenheit verkündete. Die zwei Frohgeister brachen in schallendes Gelächter aus und während Ray das Szenerie grinsend bedachte, hatte Kai begonnen, seine Umgebung ausgeblendet – etwas das er beherrschte wie kein Zweiter. Ohne Absprache arrangierte sich die Sitzordnung neu, begonnen bei Tyson, der sich munter plappernd auf Rays ehemaligen Stuhl zu Kais Rechten setzte. Als Max, zufrieden auf einem Toast kauend, die Sprache abermals auf Tysons Verbleib lenkte, deutete dieser, auffällig unauffällig, zu seinem neuen Sitznachbaren. «Was?! Never!», flüsterte Max, sich ungläubig zu dem Japaner über den Tisch beugend. Die, wie sie glaubten, heimliche Unterhaltung ging noch einige Male hin und her, bis Tyson sich plötzlich, als Überzeugungsmassnahme, an Kais Arm hängte. Das Ausbleiben irgendeiner Reaktion des Russens, der ungerührt weiter in dem Tagesblatt blätterte, wusch alle Zweifel von dannen. Zu Kais Bedauern, hielt das Tyson nicht davon ab, seine Grenzen voll auszutesten und erst, als der Japaner begann, Kais Haare zu verwüsten, griff der nach der fremden Hand. «Das reicht Tyson, jeder hat es verstanden.» «Sag das mal deinem Gesicht.», entgegnete dieser frech, mit einem herausfordernden Grinsen auf den Lippen. Kai verdrehte darauf nur die Augen und widmete sich wieder seiner Beschäftigung, während der Rest der fröhlichen Runde, sich ihren Toasts widmete und es an Max war, Tyson in sein Geheimnis einzuweihen. Der Tumult begann von neuem, dem Chinesen keine Gelegenheit gebend, seinerseits etwas bei zu steuern – was der ohnehin nicht vorhatte und lieber das Geschehen mit amüsiertem Blick verfolgte. Ein schrilles Leuten unterbrach die gemütliche Atmosphäre und perplexes Blinzeln machte die Runde, gefolgt von himmelschreienden Vermutungen, über den unerwarteten Besucher, der erneut die Klingel betätigte. Statt sich dem sinnlosen Rätselraten anzuschliessen, erhob sich Kai und beschloss schlicht und ergreifend nachzusehen, wer sie da mit seiner Anwesenheit zu beglücken wünschte – wohl kaum ein gestrandeter Pirat, der sie nach der Hilfeleistung als Geiseln nehmen würde, bis sie sich in einer dunklen Nacht mit dem Goldschatz aus dem Staub machen würden… Noch während er nach der Klinke griff, ging das getaktete Läuten der Glocke in einen stätigen, hohen Klang über und genervt, riss er die Eingangstür auf. Das patzige «was» blieb ihm, beim Anblick des verhassten Arztes, im Halse stecken. «Sie?», entgegnete er stattdessen kühl. «Genau – ich. Wie erfreulich sie direkt persönlich anzutreffen Mister Hiwatari. Sie dachten doch nicht ernsthaft, dass sie einfach so aus dem Krankenhaus fliehen können, ohne mit Konsequenzen zu rechnen?» Doch, das hatte er in der Tat und das teilte er dem Doktor auch mit. Baff wurde er angestarrt, keine Sekunde, ehe sich die entglittenen Züge in Ärger wandelten. «Da muss ich sie eines Besseren belehren und zu sagen ich wäre schockiert, über so viel Torheit, wäre masslos untertrieben! Von einem Mann ihres Formates, hätte ich wahrlich mehr Verantwortung erwartet! Wissen sie eigentlich wie katastrophal, ja ich möchte sagen tödlich, so etwas enden kann?» «Entgegen ihrer Spekulationen geht es mir ausgezeichnet, Herr- wie war nochmals ihr Name?» «Hemingway – Doktor. Professor. Hemingway.», brachte er gepresst heraus, «und hätte ich nicht den Eid abgelegt, die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patienten über alles zu stellen, so würde ich ihre Respektlosigkeit nicht tolerieren!» «Tuen sie sich wegen irgendwelcher bigotten Versprechen meinetwegen keinen Zwang an Prof.» und Kai glaubte sich mit dieser Formulierung als Sieger, bis zudem Moment, indem eine Stimme aus dem Hintergrund, ihn in die Bredouille ritt. «Doktor?», war es unverkennbar Tysons liebliche Stimme, die ihn in den Abgrund stiess, «Hat Kai bei seiner Entlassung etwas vergessen?» «Von Entlassung kann kaum die Rede sein!», echauffierte sich der Arzt sogleich, sich an den Neuzugang gewandt, «Er hat sich stillschweigend aus dem Staub gemacht, ohne auch nur eine Schwester zu informieren!» Es war der Auftakt von Kais Untergangs und von Tysons Aufstand gelockt, folgten, mit eiligem Getrappel, der Rest der Truppe als Verstärkung, tummelten sich mit wildem Gezeter in dem engen Gang, zerrten und rüttelten an ihm, bis es schliesslich keinen anderen Ausweg mehr gab, als dem Teufel in Weiss den Eintritt zu gewähren, um sich der übermenschlichen Analyse zu stellen. Mit adlersaugen wurde Kai ob wacht, während seine Hand in staunendem Unglaube von der Fachkraft befingert wurde und sobald Kai sich nur den kleinsten Wank erlauben würde – so war er sich sicher – stände augenblicklich eine gewaltbereite Meute hinter ihm, ihn mit der Kraft von vier Titanen auf das Sofa zu zwängen. Kopfschüttelnd nahm der Arzt schliesslich, nach getaner Arbeit die Brille ab, verstaute sie in seiner Brusttasche, wo er sich in derselben Bewegung einen Füller schnappte und begann das vorliegende Dokument auszufüllen. «Wahrlich unglaublich. Sie sollten ihrem Schutzengel danken, Mister Hiwatari, den mit wissenschaftlichen Methoden ist das nicht zu erklären.» Sein Schutzengel konnte ihn mal. Wüsste dieses Hirngespinst, wie man seinen Job erledigte, hätte es diese Bazille von ihm ferngehalten. Die Belehrungen zogen in eine kindersichere Ehrenrunde, deren es, Dank der vier Musketiere in Kais Nacken, kein Entkommen gab und mit jeder verstreichenden Sekunde nahm sein Plan, zur Beseitigung des Fachidioten, genauere Konturen an – allerdings würde er dazu Bryans Hilfe brauchen. Spencer besässe zwar die geeigneteren Fähigkeiten, doch leider fehlte es dessen Wesen an der dafür benötigten Bosheit. Zum langersehnten Schluss musste Kai sein Signet, zur frühzeitigen Entlassung, unter das Schriftstück setzten und er tat es, ohne sich Geschriebenes vorher durchzulesen. Er würde nicht das Risiko eingehen, dem Kerl die Zeit zu geben, es sich wieder anders zu überlegen. «Na bitte, war doch alles gar nicht so schlimm.», war Hemingway seinem Werbelächeln gewichen und dieser wusste nicht, welchem Glück er sich inne sah, keine Gedanken lesen zu können – oder nur schon in Kais Pokerface. Seine Teamkollegen geleiteten den unerwünschten Besucher zum Ausgang – alle vier. Sie hatten noch den angeordneten Rausschmiss zu begleichen und das taten sie mit lauten Verwünschungen. Beim Erklingen des empörten Schreis, gefolgt von einer zuknallenden Tür, verzog sich Kais Miene in Schadenfreude. Es war nicht annähernd so drastisch, wie er sich das ausgemalt hatte, doch es würde genügen. «Ich weiss, du kannst deine Heilkräfte am besten einschätzen, aber wenn sowas nochmals vorkommt, gibt’s Ärger Freundchen!», gab Tyson tadelnd seine Rückkehr bekannt, «Allein dafür, dass ich den Kerl nochmals sehen musste, hasse ich dich.» «Ich hasse dich auch.», murrte Kai mit geschlossenen Augen. Er hatte die Gelegenheit seiner abwesenden Wärter genutzt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und sich gemütlich auf dem Sofa ausgestreckt. Die Anschuldigung ging zum einten Ohr rein und zum anderen wieder hinaus. Wäre es nach ihm gegangen, wäre der Penner direkt wieder abgezogen. «Ach, auf einmal weisst du, wie eine Erwiderung geht?», kam es herausfordernd und Kais Mundwinkel zuckte amüsiert. Knie platzierten sich zu beiden Seiten von seiner Taille und drückten die Polster tiefer, als Tyson sich auf seinen Bauch setzte. Haare kitzelten seine Stirn, gaben Kai eine Ahnung was folgen würde und als der Kuss kam, begegnete er ihm mit erfreuter Genugtuung. Bis auf das leichte Kippen seines Kopfes, blieb er unbewegt liegen, nur erahnend wo Tyson seine Hände hatte, die mit Abwesenheit an seinem Körper glänzten. Erst als Tyson sich von ihm löste, öffnete er die Augen. Der Schalk funkelte in ihnen. «Und ich dachte, es würde eine weitere Predigt folgen.» «Die von vorhin hat dir noch nicht gereicht?», verschränkte der Blauhaarige die vermissten Arme und grinste in seiner üblichen Manier von oben herab auf Kai herunter. «Doch, aber meine Meinung scheint diesbezüglich nicht von Bedeutung zu sein.» «Das hast du dir selbst zuzuschreiben! Du liegst uns auch ständig in den Ohren, dass wir mit Konsequenzen für dummes Verhalten rechnen müssen.» Dem konnte er nicht widersprechen. «Wo sind die anderen?» «Ray und Max räumen die Küche auf und der Chef meinte, er würde schon mal packen gehen.», zuckte Tyson mit den Schultern. Packen – natürlich. Jeder wusste, dass Kenny von ihnen allen die wenigste Zeit für sein Gepäck benötigte, ordentlich wie er seine Auslandsaufenthalte gestaltete. Kai löste seine Arme, die er stattdessen hinter Tysons Rücken verschränkte, der sich daraufhin erneut herunterbeugte, die Hände dieses Mal in den grauen strähnen vergrub. «Daran könnte ich mich gewöhnen.», grinste Kai schelmisch. «Das hoffe ich,», lachte Tyson gegen seine Lippen, «dir bleibt keine andere Wahl.» «Na dann…», packte Kai den Jüngeren am Kragen und sorgte dafür, dass sämtliche Gespräche eingestellt wurden. Das ständige Gekicher aus der Küche, unterbrochen durch gelegentliches Scheppern – als einziger Beweis, des langsamen Arbeit Fortschrittes – verebbte früher, als es Kai lieb gewesen wäre und damit auch ihre geteilte Zweisamkeit. Max hatte sich leise angeschlichen und war mit einem lauten Boo hinter der Sofalehne aufgesprungen, ehe er die Beine in die Hand nahm und grölend um sein Leben lief, Tyson ihm dicht auf den Fersen, der ab dem Schreck ungalant von der Couch gefallen war. «Sorry, ich habe ihm eigentlich gesagt, er soll packen gehen.», hob Ray kopfschüttelnd die Hände. «Schon in Ordnung, es wird ohnehin Zeit, wenn wir noch in die Stadt wollen.», seufzte Kai und erhob sich, um seinen Leader-Pflichten Folge zu leisten. Die ganze Packprozedur, den nichts Geringeres war es, zog sich über eine mühsame, dahinraffende Stunde, in der Kai grössten Teils damit beschäftigt war, im Zimmer ihres Chaospaares für Ordnung zu sorgen, deren Gejammer ihrem Schnarchen um nichts nachstand. Sie stritten sich um Socken, wälzten die Schuld der Unordnung gegenseitig aufeinander ab und wer glaubte, das war der Gipfel des Eisberges, der irrte gewaltig, denn der richtige Kampf begann mit dem Schliessen der Koffer, deren Inhalt die gegebene Kapazität weit überstieg. Tyson versuchte anfangs noch, Kai mit Blicken zu bezirzen, doch genauso gut hätte er den Bettpfosten umgarnen können und sobald er erkannte, dass er auf Granit biss, kehrte er zu seinen Ursprüngen zurück – lauten Verwünschungen. Nichts, dass Kai nicht schon zu tausenden gehört hatte. Ray, mit fertiggepacktem Seesack über der Schulter, blieb amüsiert in der Tür stehen und verfolgte das Schauspiel, das jede Schmierenkomödie in den Schatten stellte, ehe er ihnen die rettende Tasche bot, die er zufällig rumliegen hatte. Es war diese Voraussicht, die Kai sich eigentlich von den kaufwütigen Optimisten wünschte. Die Gepäckstücke, von denen eines mit Klarsichtfolie luftdicht abgepackt war, weil der Reisverschluss den übermütigen Abgang die Treppe hinunter nicht überlebt hatte, stapelten sich im Eingangsbereich und Kai war der letzte, der sich, nach einem letzten Kontrollgang, durch die Tür hinausdrängte.   Der Taxifahrer wartete bereits genervt, tippte sich bei ihrem Anblick auf die Uhr und Kai brauchte keine Fremdsprachen, um zu wissen, dass er ihnen eine saftige Rechnung stellen würde. Auf direktem Weg, fuhr er sie zu dem Restaurant, dass seine Kollegen seit dem ersten Tag besuchten und es überraschte ihn nicht, als der sagenumwobene Jaques, sie persönlich begrüsste. Mit offenen Armen und einem herzlichen Funkeln in den schiefstehenden Augen, geleitete er sie mit munteren Worten zu ihrem Tisch. Kais inneres Bild des Franzosen zerbrach in tausend Scherben und wurde von der Realität ersetzt: Einem älteren Mann, dessen Bauchfülle seine Leidenschaft für die örtliche Esskultur bezeugte – mehr Santa Claus als Pantomime. Ihr persönlicher Kellner wusste eine Menge zu erzählen, lachte über seine eigenen Worte, deren Inhalt man nur anhand der grosszügigen Gesten erahnen konnte und die väterlichen Mimik erklärte, wie es ihm so leichtgefallen war, das Herz der Blader im Sturm zu erobern. Als Kai die Karte, die Jaques ihm mit einem gutherzigen Klopfen auf die Schulter gereicht hatte, aufschlug, blinzelte er irritiert. Ray begann laut zu lachen, ehe er in die Übersetzung der chinesischen Karte überging, was das Auswahlverfahren deutlich in die Länge zog. Nach einer knappen Stunde, stand das Essen endlich vor ihrer Nase und Kais strapazierten Nerven, ab Tysons Unentschlossenheit während der Menüwahl, beruhigten sich, beim ersten Bissen. Die Lobpreisungen seines Teams waren für einmal angebracht und als sie sich schliesslich von dem Franzosen verabschiedeten, drückte der ihnen eine Visitenkarte, der seiner Meinung nach besten Gelateria der Stadt, in die Hand. Er packte sich jeden einzeln und drückte seine Wange links und rechts an ihre, was Kai mit einem eisigen Blick zu unterbinden wusste, ehe der ältere Mann winkend zurück an die Arbeit verschwand. Sie hatten keine genauen Pläne, wie sie den Nachmittag verbringen wollten und so liefen sie die belebte Einkaufsstrasse hinunter, wo sie an jedem zweiten Laden halt machten. Irgendwann bogen sie in eine Gasse ab, die keiner vorher betreten hatte und plötzlich entfloh ihrem Chef ein freudiger Aufschrei. Keine Sekunde später stürmte er auf den grössten Laden für PC bedarf aller Art zu, den Kai je gesehen hatte. Kenny war nicht mehr zu bremsen gewesen und kurzum beschloss die Gruppe, sich aufzuteilen, da der Brillenträger vermutlich die nächsten Stunden beschäftigt sein würde. Sie verabredeten sich um punkt sechs Uhr, bei ihrer Unterkunft, um den Weg zum Flughafen gemeinsam anzutreten. Ray und Max folgten dem Pflasterstein zu einer alten Kirche und die verbliebenen Zwei schlugen die entgegengesetzte Richtung ein, in dessen Verlauf Tyson ein Souvenirladen erspäht hatte, den es zu infiltrieren galt und für den er zuvor nur lautes Stöhnen geerntet hatte, als er hineinwollte. Es war einer der typischen Touristenläden gewesen, die an jeder Ecke standen und in denen sie, allein heute, schon drei Mal gewesen waren. Kai ergab sich seinem Schicksal und entschied, dass es schlussendlich keine Rolle spielte und mit Tyson zu diskutieren, war wie mit einem Clown zu streiten.   Gerade verliessen sie den Laden, da wurden sie, oder viel mehr Tyson, von einer, in gebrochenem Englisch stotternden, Blondine überfallen, die um ein Foto mit ihrem Helden bat. Das an sich wäre kein Problem gewesen, doch nach den gefühlten fünfzig Selfies mit ihrem Idol, forderte sie diesen zu einem Freundes-Kampf heraus und gutmütig wie Tyson nun mal war, ging er mit erhobenem Daumen darauf ein. Begeistert quietschte sie auf, schnappte sich seine Hand und zog ihn mit sich, bis zu der nächstgelegenen Arena. In Vergessenheit geraten und von der anderen Hälfte ignoriert, folgte Kai den zweien mit leichtem Abstand, ohne viel von dem Gespräch aufzuschnappen. Es interessierte ihn nicht. Ihre Intension war eindeutig, da würde ohnehin wenig Geistreiches dabei zustande kommen.   Der Kampf war als solcher nicht zu bezeichnen und Kai beobachtete die Szene ruhig, mit verschränkten Arme an eine Wand gelehnt. Die Blondine besass keinerlei Talent und null Übung im Umgang mit ihrem Blade, was aber nicht von Bedeutung war, da sie ohnehin nur Augen für ihr grösstes Vorbild hatte. Kai liess sie solange gewähren, bis sie Tyson, als er ihr motiviert einen Trick zum Starten zeigte, zu sehr auf die Pelle rückte. Er hatte sich lange genug geduldig gezeigt und so blind, wie der Blauhaarige war, war es wohl an ihm, ein klärendes Wort zu sprechen. Kai sah sich nicht als eifersüchtigen Menschen, dazu hatte er bei dem loyalen Japaner auch gar keinen Grund, doch was er definitiv war, war besitzergreifend und willig sein Revier zu markieren. «Hey there.», trat er an das Duo heran und überrascht sah die Blondine auf, «Sorry to disturb, but this one belonges to me.» «What are you talking?», gab sie ihr Unverständnis preis. «He’s just beeing nice, there’s no interesst in dating you, so please take a step back.», verdeutlichte er, doch gewünschte Reaktion blieb aus. Schnaubend stützte sie die Hände in die Hüften und musterte ihn abfällig, während Tyson ratlos, kein Wort verstehend, zwischen ihnen hin und her blickte. Seit dem Weltmeistertitel, war es besser mit seinem Englisch geworden, doch bei weitem nicht gut genug. «How woud you know? Nobody asked for your opinion!» «Well, I did and just as I said before: he’s mine.» und um sämtliche Zweifel auszuräumen, schnappte er den perplexen Tyson am Hinterkopf und zog ihn in einen tiefen Kuss und erntete prompt ein wohliges Seufzen. Mit Genugtuung registrierte Kai den benebelten Blick, nach dem er sich von seinem Freund gelöst hatte und ihn vielsagend an ihn zog.   «Got it?», lächelte er der Dame hämisch entgegen. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Verachtung und Ekel, ehe sie auf dem Absatz kehr machte und mit lautem Klacken davon stürmte. Grinsend sah Kai ihr nach. Im nächsten Moment wurde er zurückgeschubst und Tyson wandte sich unter seinem Arm hinaus. «Was war das denn gerade?», verlangte er anklagend zu wissen und bohrte zum Takt seiner Worte, den Zeigefinger in Kais Brust. Kai liess es geschehen und hob nur eine Augenbraue. «Es ist dir nicht aufgefallen, oder?» «Was aufgefallen?», stützte er die Hände in die Seiten.   «Dass sie kein Interesse am bladen hatte, sondern vielmehr an dir.», klärte Kai ihn auf und die entgleisenden Züge waren alles, was er als Antwort benötigte, «Ja, das dachte ich mir.», seufzte er. «Und was genau hast du zu ihr gesagt?» «Nur, dass du bereits vergeben bist.» «Ja klar – wer’s glaubt wird selig!», schnaubte Tyson, «Dein Glück, dass es mir gefallen hat, aber es war nicht nötig gemein zu werden, du Machoarsch!», er warf ihm einen perform bösen Blick zu, ab dem Kai ungerührt die Schulter hob. Tyson schüttelte den Kopf, ehe er den Russen an der Hand packte und verkündete, dass es endlich Zeit für ein Eis wäre. Kai liess sich mittzerren und erst, nachdem sie vergebens eine halbe Stunde lang nach dem Ort auf der Visitenkarte gesucht hatten, übernahm er die Führung.   *** Als sie schliesslich alle um 20:00 Uhr im Gate auf ihren Flug warteten, vertrieben sich Max und Tyson die Zeit mit Kenny an dessen Laptop, auf dem Dizzi ein, wie man dem Gespräch entnehmen konnte, unerlaubtes Spiel heruntergeladen hatte. Während Kenny sie auf die Gefahr von Viren aufmerksam machte, teilte diese die Begeisterung über das Rennspiel. «Konntet ihr den Nachmittag noch geniessen?», lenkte Ray Kais Aufmerksamkeit auf ihn und der Russe nickte. «Ja.», fand sein Blick zurück zu den Chaoten. Max Finger flogen in höchster Konzentration, wie die eines Meisterpianisten, über die Tasten, während Tyson ihm wildgestikulierend zu vermitteln versuchte, welche Tasten er eigentlich drücken musste. «Und ihr?» «Ebenfalls. Zu mindestens nach dem uns die wütende Dame nicht mehr verfolgt hat, die gesehen hat, wie Max einen Apfel aus ihrem Garten stibitzt hat.», berichtete Ray schmunzelnd und folgte seinem Blick. Kenny rettete seinen Laptop vor Max Wutausbruch und Tyson hielt sich laut lachend den Bauch. Als sich ihre Blicke trafen, wurde dessen Grinsen noch eine Spur breiter und Kai erwiderte es. Unbewusst festigte sich sein Griff um den kleinen Flaschenpostanhänger in seiner Hosentasche, den Tyson ihm im Souvenirladen gekauft hatte.   Kein Hilferuf, eine Erinnerung.   ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)