bittere Vergangenheit, enge Freundschaft, grosse Liebe von NiFuu (Neufassung) ================================================================================ Kapitel 5: Hinter der Fassade ----------------------------- Leise betrat Kai ihre Unterkunft, zu der er bei dem Sauwetter kurzerhand ein Taxi genommen hatte – der strömende Regen hätte ihn innert kürzester Zeit bis auf die Knochen durchnässt gehabt und zudem hatte er keine Ahnung, wo genau das Krankenhau gelegen war. Der Anblick, der sich ihm im Wohnzimmer bot, liess seine Mundwinkel automatisch in die Höhe wandern, kam es doch selten bis gar nie vor, dass die Blade Breakers gelangweilt und schweigsam beisammensassen. Tyson lag, alle Viere von sich gestreckt auf dem bunten Teppich, die Kappe übers Gesicht gelegt und Kenny sass im Schneidersitz dösend vor dem Sofa, während Ray und Max sich, Rücken an Rücken gelehnt, auf selbiges gepflanzt hatten. Der Blonde Schopf ruhte mit starrem Blick gen Decke auf Rays Schulter, der die Augen geschlossen hatte und sich in seiner Meditationspose befand. «Dieser verdammte Arzt geht mir immer noch auf den Wecker…», murrte Tyson unter seinem Cap, dass ab den Worten leicht erzitterte. Allgemeines Stöhnen machte die Runde und Max murrte ein «Was’n Arsch…» hinterher, was den Chinesen zum Schmunzeln animierte. «Und er hat sich immer noch nicht gemeldet, obwohl er es versprochen hat!» «Blöder Penner.», kommentierte der Blonde erneut, ehe sie in Schweigen verfielen – nicht für lange. «…denkt ihr es geht ihm gut?» «Zum hundertsten Mal Tyson, wir wissen es nicht!», zischte ein doch nicht schlafender Kenny. «War ja nur eine Frage Chef!» «Es geht ihm bestimmt gut, unser Leader ist hart im Nehmen.» «Ray hat recht Tyson und würde er uns so sehen, würde er sich totlachen.» Da sprach er ein wahres Wort gelassen aus – auch wenn Kai nicht zu solch extremen Gefühlsausbrüchen tendierte. Amüsiert lehnte er sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen. «Ich mache mir trotzdem Sorgen…», durchbrach Tyson erneut die kurzanhaltende Stille, mit quengelndem Unterton. «Oh Gott im Himmel steh mir bei!», stöhnte Kenny, schnappte sich ein Kissen und pfefferte es zu seinem persönlichen Nervennager. Mit einem leisen poff traf es das Ziel am Kopf und nahm dabei die Kappe mit sich. «Hei!», schwang Tyson sich wütend auf, «Na warte, das krie-», das Kissen schon in der Hand, um es mit nicht weniger Kraft zurück zu feuern, hielt er mitten in der Bewegung inne. Sein Mund klappte wiederholt auf und zu, mit weit aufgerissenen Augen einem Kugelfisch nicht unähnlich. «K-KAI!», schrie er in einer Lautstärke, die sogar die seines Schnarchens übertrumpfte und während Rays Augen aufschnappten, drehte sich Max so abrupt um, dass er das Gleichgewicht verlor, wenig elegant auf Kenny landete und im Versuch sich zu retten, den an ihm vorbeieilenden Tyson am Shirt erwischte, mit sich zog und dieser wiederum den Chinesen am Ärmel zu fassen bekam. Zu viert, mehr über, als nebeneinander am Boden liegend und von Klagelauten begleitet, schufen sie ein Bild für die Ewigkeit. Mit gehobener Augenbraue besah Kai sich das Szenario. «Manchmal frage ich mich, wie ihr überhaupt einen Blade starten könnt.», merkte er trocken an. Tyson kroch bis zum Bauch aus dem menschlichen Haufen heraus und starrte ihn mit leuchtenden Augen an. «Ich habe mir solche Sorgen gemacht!» «Wir alle...», murrte Kenny undeutlich, verschluckt von einer Hose, die sein Gesicht bedeckte. «Wie geht es dir? Haben sie dich schon entlassen?», ging der Blauhaarige nicht weiter darauf ein. «Ja.», log Kai unbekümmert und befand, dass das die erste Frage erübrigte. «Es geht dir echt gut? Der Arsc-zt meinte du hättest eine echt üble Blutvergiftung… Weisst du eigentlich, was für eine scheiss Angst du uns eingejagt hast?!», schaffte Max sich zu befreien und stand plötzlich mit geballten Fäusten vor ihm. Seine Sorge war noch während des Sprechens in unbändige Wut übergegangen. Beruhigend legte Ray ihm eine Hand auf die bebende Schulter, ehe er Kais Blick suchte. «Wir waren wirklich krank vor Sorge. Ich bin froh, dass es dir gut geht.» «Das sind wir alle…», kam erneut die Randnotiz Kenny, der sich als letzter vom Boden aufraffte. «Ich will wissen, wieso du uns nichts gesagt hast! Wir haben dich sogar danach gefragt und du hast uns mitten ins Gesicht gelogen!», nahm die Wut des Blonden keinen Abbruch, «Vertraust du uns echt so wenig?» «Wenn dem so wäre, wäre ich nicht seit Jahren hier.», stellte Kai entschieden klar, «Ich wollte lediglich keine Szene provozieren.» und noch während er es aussprach, wusste er, dass das ein Fehler gewesen war. «KEINE SZENE PROVUZIEREN?!», lief Max rot an und Kai tat sicherheitshalber einen Schritt zurück. «Ich weiss, das ist mir nicht gelungen! Ich habe die Wunde einfach unterschätzt, okay? In meinem Leben hatte ich schon weitaus schlimmere Verletzungen und keine davon, hat mir je solche Probleme beschert!» «Sprichst du von deiner Zeit in der Ab-», abrupt brach Tyson die Frage ab und biss sich auf die Wangen. Seine Vergangenheit ging sie nichts an – dass hatte er ihnen gesagt und es war geradezu grotesk, wie sie selbst in ihrer Wut noch Rücksicht auf ihn nahmen, insbesondere Max, der die Lippen dermassen aufeinanderpresste, dass nichts mehr von ihnen zu sehen war. Allesamt wichen sie seinen Blicken aus und der Wiederwille war ihnen deutlich von den Gesichtern zu lesen, trotzdem folgte keine einzige, bohrende Frage. Auf dem Rückweg hatte er genügend Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie er mit der verfahrenen Situation umgehen sollte, in die er sich zu hundert Prozent selbst manövriert hatte und ohne es zu wissen, hatten seine Kollegen mit ihrem Verhalten, ihm die Entscheidung abgenommen. «Ihr habt gewonnen.» «Gewonnen?», irritiert nahm Max ihn ins Visier, «Was soll das heissen?» «Das soll heissen, dass ihr die einmalige Gelegenheit erhaltet, mich alles zu fragen, was ihr wollt – aber dazu würde ich mich gerne setzten.» Misstrauisch wurde er beäugt. «…alles alles?» «Steckt du heute in einer Wiederholschleife fest? Ja, alles.» «Und du wirst ehrlich antworten?», kam es prompt. Genervt stiess Kai die Luft aus. «Ansonsten würde es wohl kaum Sinn ergeben.», warf er dem Amerikaner einen vielsagenden Blick zu und schlängelte sich an ihm vorbei zum Sofa, was schliesslich Bewegung in die erstarrte Gruppe brachte. Ohne zu zögern setzte Tyson sich zu seiner linken hin, Max zur rechten und aus Platzmangel pflanzte sich Ray hinter dem Blonden auf die niedrige Armlehnte, sein Kinn auf Max Kopf stützend. Kenny nahm kurzerhand auf dem Couchtisch Platz. «Du weisst, worauf du dich da einlässt?» «Ja.», entgegnete Kai lediglich und Ray grinste schief, ohne dass es seine Augen erreichte. Früher oder später hatte es soweit kommen müssen und sein Team hatte seine Loyalität so oft bewiesen, dass er aufgehört hatte zu zählen. Einige Antworten waren das mindeste, das er ihnen schuldete. «Da gäbe es eigentlich so einiges, dass ich gerne wissen würde, aber das erscheint mir nach den letzten Tagen alles recht lächerlich.», lachte Ray leise, nach Sekunden des grüblerischen Schweigens und erntete zustimmendes Murren. «Also möchte ich direkt zum Punkt kommen. Danil hat dir vorgeworfen, für den Tod seines Bruders verantwortlich zu sein, stimmt das?» Die Wette zur ersten Frage hätte Kai damit gewonnen, doch nach jener Nacht, war das vermutlich keine grosse Leistung. Der Mordvorwurf eines Freundes, würde wohl jeden tiefgehend beschäftigen, insbesondere wenn man die Hintergründe nicht kannte. Trotzdem konnte er den Frust nicht gänzlich aus seiner Stimme verbannen. «Nein. Ich bin weder ihm noch seinem Bruder jemals begegnet – zumindest nicht das ich wüsste.» Seine Kollegen tauschten misstrauische Blicke aus, die von vergangenen Debatten berichteten, ehe Kenny die Frage sachlich weiterführte, «Wieso behauptet er es dann?» «Weil er auf der Suche nach Vergeltung ist. Sein Bruder starb in der Abtei und die gehörte meinem Grossvater, das reicht ihm als Grund.» «Und wieso hast du uns das dann nicht einfach gleich gesagt?», fand Max zu seinem Ärger zurück, die Anklage nicht versteckend. «Weisst du eigentlich was für Horrorszenarien wir uns ausgemalt haben?» «Das tut mir leid, aber ich bin das Thema einfach so leid. Immer wieder werde ich mit solchen Vorwürfen konfrontiert und ich habe es satt! Ich dachte es wäre endlich vorbei, aber offenbar wird es das nie sein.», dabei konnte er die Verbitterung nicht aus seiner Stimme verbannen. «Und genau das verstehe ich nicht.», kam Tyson dem Blonden zuvor und suchte mit zusammengezogenen Augenbrauen Kais Blick, «Wieso sollte dir jemand sowas unterstellen? Das macht keinen Sinn Kai! Nur weil Voltair diese Schule geleitet hat, erklärt das doch nicht, weshalb man dir den Tod von irgendwelchen Leuten unterstellt!» Schule… Beinahe hätte Kai ab dem falschen Begriff gelacht, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Er konnte es ja nicht besser wissen – niemand konnte es. Der Staat hatte von dem Schandfleck vertuscht, was möglich war und die ehemaligen Insassen schwiegen. Was sie dort erlebt hatten, war kein Geheimnis, dessen Abgründe sich zu teilen lohnten und Kai zählte sich zu den wenigen, die dieses Kapitel hinter sich gelassen hatten, bereit für eine Zukunft fernab der radikalen Ansichten, deren man sich nur schwer entreissen konnte. Die Abtei hatte all ihren Insassen ein Gefühl eingepflanzt, ähnlich einer Religion, wie sie zerstörerischer kaum sein konnte und ironischerweise war es genau dieses, nicht loszuwerdende Gefühl – oder was davon übrig war – dass die Verbliebenen auf eine abstruse Art und Weise verband. Die ersten Jahre ausserhalb der Abtei war es verstörend gewesen, sich unter seinesgleichen zu bewegen und sich gleichzeitig so fremd zu erscheinen. Tala hatte es, bei Kais Auszug aus der gemeinsamen WG, schön formuliert: Sie mochten zukünftig in verschiedenen Teams kämpfen, doch ihre Wurzeln blieben trotzdem die der einzigen Tanne umringt von Laubbäumen. «Als erstes müsst ihr verstehen, dass die Abtei keine Schule war,», begann Kai schliesslich, «wenn überhaupt, war sie ein Gefangenenlager. Einige der Kinder waren anfangs vielleicht freiwillig dort, weil sie von der Strasse kamen und man ihnen Essen und ein Dach über dem Kopf versprochen hatte, doch ihnen wurde verschwiegen, dass, wenn man einmal drin war, es kein Zurück gab.» Kai spürte die neugierigen Blicke förmlich auf sich und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, die Arme bequem verschränkt. «Sie wussten nichts von dem Labyrinth, aus nackten Betonwänden, dass sie ihr Zuhause nennen würden, noch von der ständigen Videoüberwachung oder gar, dass sie sich die Mahlzeiten mit guten Leistungen verdienen mussten.» «Im Bladen?», unterbrach ihn Kenny und kurz öffnete Kai die Augen, um ihn anzusehen. «Überall – das erste Jahr bestand hauptsächlich darin, Körper und Geist zu stärken.», und sie zu brechen, doch seine Freunde würden auch ohne diesen Zusatz ein ziemlich genaues Bild davon bekommen, «Sämtliches Beyblade-Training war da noch rein theoretisch und nur einige Ausnahmetalente, die sich in Verhalten und Auffassungsgabe vorbildlich zeigten, wurden frühzeitig aufgestuft.» «Hast du zu diesen Ausnahmetalenten gehört?» Bei Tysons Frage entfloh Kai ein Lachen, ab der Erinnerung, wie er sich in seinem ersten Jahr gehalten hatte. «Nicht im Geringsten – eher das Gegenteil.» Sie sahen ihn verwirrt an, doch Kai schüttelte nur verwerfend mit dem Kopf. «Lasst mich einfach weitererzählen: In vier Kellerstockwerken, wurden wir nach Level unterteilt und das System war simpel: beweise dich und steige auf oder stirb – und ja, das meine ich genauso, wie ich es sage.», unterband er den aufkommenden Tumult, durch den nicht schönzuredenden Fakt und redete weiter, ohne ihnen Zeit für Einwände zu geben, «Es ist das, was mit Danils Bruder passiert ist, aber er war nur einer unter vielen. Einige starben bei den Experimenten, andere verschwanden spurlos nach vermehrtem Versagen, andere verhungerten, erfroren oder gingen an ihren Verletzungen zugrunde – der Möglichkeiten waren viele.» Die plötzliche Wendung saugte sämtliche Geräusche aus dem Raum und als Kai die Augen öffnete, fand er seine Kollegen, wie zu Salzsäulen erstarrt, vor und genauso farblos. Mehrere Male öffnete sich ein Mund zum Sprechen, doch wenn überhaupt, entkam höchstens ein angefangenes Wort, das keinen Abschluss fand. «W-Wie viele?» Max Flüstern war so leise, dass Kai es nicht verstanden hätte, sässe er nicht direkt neben ihm und er zuckte mit den Schultern. «Das weiss keiner genau. Wie gesagt, viele kamen von der Strasse und die vermisste bekanntlich keiner. In meinem Umfeld waren wir ursprünglich zwei duzend und davon war am Schluss noch eine gute Handvoll übrig.» «Tala und die andren?» «Ja.» «Aber wie- was- das-», stammelte Tyson, ohne selbst wirklich zu wissen, worauf er hinauswollte. Es folgten einige ähnliche Versuche der anderen und nachdem Kenny begann, ungesund seine Knöchel zu massieren, holte Kai sie mit klarer Stimme aus ihrer Kriese. «Hört auf es zu hinterfragen und akzeptiert es einfach. Die Abtei war ein Kolosseum der Moderne, indem Kinder gegeneinander antraten und sich gegenseitig den Löwen zum Frass vorwarfen, um mit dem Leben davonzukommen – aber es ist Geschichte.» «Das ändert aber nichts an der Grausamkeit! Da sind Kinder gestorben!», entkam es Max erstickt und wütend zugleich und Ray zog ihn behutsam zurück aufs Sofa, ehe er Kais Blick seinerseits suchte. «Wie kann es sein das… sowas existieren konnte? Wie ist es möglich, dass, selbst heute, keiner davon weiss?» Kai wollte ihnen sagen, dass sie selbst dort gewesen waren und sie genauso wenig erkannt hatten, doch besann sich eines Besseren. «Ihr habt das Gebäude gesehen: es war eines von hunderten, seiner Art, zudem hatte Voltair gute Kontakte und war nicht dumm. Alles lief unterirdisch ab und die, die privilegiert genug waren, an den Aussentrainings teil zu nehmen, zeichneten sich durch tadelloses Benehmen aus – wer hätte da etwas erahnen sollen? Selbst wenn, wären die Menschen nicht fähig gewesen, in ihrer Nachbarschaft solches Grauen zu erkennen.» «Aber heute noch! Es muss doch Aufzeichnungen gegeben haben, irgendwelche Beweise oder-» «Du scheinst zu vergessen, dass der ganze Laden in Flammen aufgegangen ist.», erinnerte Kai den Blonden, «und um den Rest haben sich Voltairs Männer gekümmert.» «Du sagtest es waren viele Kinder, da mussten neben euch noch andere gewesen sein, so wie Danil – wieso ist keiner von denen zur Polizei gegangen?» «Was sollte das bringen? Ein Einzelner hätte wenig gebracht und es waren zu wenige, die es bezeugen wollten.» «Das ist doch absolut irrational.», zeichnete sich das Unverständnis deutlich in Rays Zügen ab und Kais Hoffnung, dass wenigstens einer es verstehen würde, begann sich zu verflüchtigen. «Überhaupt nicht.», seufzte er, «Ihr habt euch letztens einen Bericht über Sektenaussteiger angesehen, da solltet ihr das Prinzip verstehen. Die Abtei bediente sich ganz ähnlicher Methoden. Die einen sind indoktriniert, andere werden von der Angst bis heute verfolgt und wieder anderen interessiert es nicht mehr, weil sie es entweder verdrängt oder neu angefangen haben – das Einzige, dass wir alle gemein haben, ist, nichts mehr damit zu tun haben zu wollen.» «Weil es vorbei ist…», hängte Tyson gedankenverloren hinterher. «Genau.», nickte Kai und während sie Gesagtes zu verinnerlichen versuchten, war die Luft im Raum fast greifbar. «Wie war der Tagesablauf?», fragte schliesslich Kenny nuschelnd, wie man es sich von ihm nicht gewohnt war. «Morgentraining, Frühstück, Theorie, Training im Labor unter Beaufsichtigung der Wissenschaftler, Mittagessen, Training, Kämpfe, Abendessen, Bettruhe.», fasste Kai kurz zusammen. «Jeden Tag?» «Jeden Tag. Es gab keine Wochenenden, keine Feiertage und schon gar keine Ferien. Jeder Tag hatte seine genaue Routine und erst in den oberen Stockwerken, konnte man sich gewisse Privilegien mit guter Leistung verdienen, wie extra Rationen beim Essen, Kaffee, eine Stunde in der Bibliothek, Aussentraining oder Botengänge.» «Botengänge?», blickte Max mit gerunzelter Stirn von seinen Knien auf. «Voltaire nannte es so, aber eigentlich war es für ihn nur eine gute Gelegenheit, seine Talente auf ihre Loyalität zu prüfen – davon abgesehen nutzen es die meisten, weil es einem die Möglichkeit bot, kurzzeitig in der realen Welt abzutauchen.» «Aber ihr musstet doch auch einmal Freizeit gehabt haben.», verdeutlichte Tyson, die Arme zur Unterstützung seiner Aussage gehoben. «Nicht in den ersten Jahren. Kaum, dass das Abendessen vorbei war, war man dankbar, endlich schlafen zu können und später…», Kai zuckte mit den Schultern, «Man sass irgendwo, hat sich unterhalten oder die Belohnungen eingefordert.» «Und was passierte mit denen, die bei den Kämpfen verloren haben? Wurden sie gleich-», Ray brach ab, unfähig es zu formulieren, obwohl ihn die Frage zu sehr beschäftigte, um sie unausgesprochen zu lassen. «Nein, nicht direkt – man sollte schliesslich die Chance haben, an sich zu wachsen. Bei der ersten Niederlage gab es Essensentzug für vierundzwanzig Stunden, bei der zweiten zusätzliche Isolation in der Schandkammer für vier Tage, bei der dritten gefolgt von übergriffe der Wärter und erst bei der vierten in Folge, verschwand man.» Kai wusste selber nicht so genau wohin. Durch seine Schnüffeleien wusste er von vielen, die zu Forschungszwecken weitergereicht wurden, doch die anderen… Er hatte keinen von ihnen nochmals gesehen – wenn er sich überhaupt an sie erinnerte. Alles wovon er mit Bestimmtheit wusste, war der kaltblütigen Natur, seines gnadenlosen Grossvater. Nichtsdestotrotz schien das die Frage zu beantworten, denn der Schwarzhaarig beliess es dabei, dafür kam in Max eine andere auf, die er hätte umgehen können, hätte er den gewohnten Begriff direkt anders umschrieben. «Die Schandkammer?» «Eine Isolationszelle.» «Warst du dort?» «Jeder war dort.», lachte Kai und erntete unverständliche Blicke, doch er konnte nicht anders, «Sie war die gängigste Form der Bestrafung und ehrlich gesagt, auch die angenehmste.», erklärte er, «Wir lebten in kargen Kellerräumen mit spärlicher Beleuchtung, während der aktiven Zeit. Die Dunkelheit war uns vertraut und Stille bedeutete Sicherheit, schliesslich standen wir im Wettbewerb zueinander und da gab es immer wieder welche, die sich des Nachts versuchten, einen Vorteil zu erhaschen.» Einmal hatte ihm einer Reissnägel in die Suppe geworfen, doch da es in seinen späteren Jahren passierte, hätte das Motiv auch einfach dem Neid geschuldet sein können. Er hatte es bemerkt, ohne einen Löffel davon gegessen zu haben und Tala machte sich gerne heute noch einen Spass daraus, ihn zu fragen, ob er seine Mahlzeit mit oder ohne der Extraeisenration bevorzugte – ein Scherz, für den ihn die Blade Breakers definitiv den Hals umdrehen würden, wüssten sie von dessen Ursprung. «Und was war die schlimmste Bestrafung?», wisperte Tyson und Kai musterte ihn schweigend, für einige Sekunden, ohne dass der andere eine weitere Reaktion gab. «Die erstmalige Erkenntnis, dass du mit deinem Sieg, einem Todgeweihten gegenüberstehst.» Ein Zucken ging durch den Körper zu Kais linken, ehe er sich abrupt ihm zuwandte, «Das ist krank! Wie konntest du-» «Das waren die Regeln Tyson, ich habe sie nicht gemacht und ich wollte leben.», bedachte Kai den Aufgesprungenen mit ruhigem Blick, der mit unwirschen Gesten nach Worten suchte, ehe er sich geschlagen und sichtlich verstört zurückfallen liess. «Das rechtfertigt nichts…», murrte der Blauhaarige verbittert. Es war Kai im Vornherein klargewesen, dass all das sämtlichen Verständnisses, des idealistischen Japaners, entging – eher wunderte es ihn, dass er solange seine Façon gewahrt hatte. «Das tut es nicht und es gab auch jene, die es nicht übers Herz brachten. Darum ging es schlussendlich: Die starken von den Schwachen zu trennen, Willens- wie auch Kampftechnisch.», erklärte er ruhig, versuchend die Gelassenheit auf seine Kameraden zu projizieren – vergeblich. Angespannt rutschten sie auf ihren Plätzen umher. «Wie konnte dein Grossvater dir das antun?» «Er war der Gründer dieser Anstalt, was denkst du?», suchte er Kennys Blick durch die dicken Brillengläser, «Sein höchstes Ziel war es, den Perfekten Blader zu finden – wer wäre dafür besser geeignet, als sein eigen Fleisch und Blut?» Daraufhin öffnete sich Kennys Mund zu einem Stummen oh. «Ich wusste ja das Voltair ein elender Mistkerl war, aber dass…», zischte der Chinese, das Gesicht in so viele Gefühlslagen verzerrt, dass man ihn kaum wiedererkannte, «Was war mit deinen Eltern? Wie konnten sie das zulassen?» «Haben sie nicht.», seufzte Kai, der gehofft hatte, dieses Thema würde vergessen gehen, «Mein Vater hat ihm den Geldkoffer an den Kopf geworfen und ihn schreiend dem Haus verwiesen. Daraufhin packten meine Eltern alle Sachen mit dem Ziel, das Land zu verlassen – noch in derselben Nacht kamen Voltaires Männer. Sie haben beide aus dem Verkehr gezogen und liessen mich zurück. Kurz darauf kamen Polizisten, redeten davon, dass man einen Einbruch gemeldet hatte und übergaben mich dem letzten, noch lebendem Verwandten.» «Deinem Grossvater…», knurrte Ray leise. «Was?! Das kann nicht- es- dieser- hast du es gesehen?» «Alles.» «Kai es-» Kopfschüttelnd hob dieser die Hand, «Das Gehirn eines Kindes ist einfach gestrickt: Was es nicht versteht, dreht es sich zurecht, bis es Sinn ergibt. Sie sind beeinflussbar und Voltair wusste das. Er war anfangs sehr grosszügig, sagte dass wir nun ein Team waren, wo er doch seinen geliebten Sohn verloren hatte.» «Das ist ein schlechter Scherz! Du hast doch ni-» «Natürlich habe ich ihm geglaubt – ich war drei.», stellte Kai ruhig klar, «Ich war traumatisiert und er war alles, was mir geblieben war. Wem hätte ich vertrauen sollen, wenn nicht meinem eigenen Grossvater?», sein gelassener Tonfall funktionierte insofern, dass sich alle wieder hinsetzten und mit tiefen Falten lauschten. Für sie mochte das alles verstörend sein, doch er hatte Jahre Zeit gehabt, sich damit auseinanderzusetzten und die Schatten, die geblieben waren, teilte er mit seinen ehemaligen Teammitgliedern und seinem Psychiater – es war nicht einfach gewesen, doch sie hatten sich gemeinsam für das Leben entschieden. Die Last mit Gleichgesinnten zu stemmen, sowie die Gewissheit, dass Voltair wie auch Boris sicher verwahrt waren, waren die Pfeiler seiner Zukunft gewesen. «Ich wollte, dass er stolz auf mich ist, also habe ich alles getan, was er wollte. Ich war naiv und dachte sogar, dass ich unter den anderen Kindern Freunde finden würde.», lachte Kai tief ab der Erinnerung, an sein blauäugiges, jüngeren Selbst und hob eine Augenbraue, sowie er die Fassungslosigkeit seiner Kollegen erspähte, «Oh bitte, erspart euch die entrüsteten Blicke – es stimmt. Ich war dumm und verweichlicht.» «Du warst drei Jahre alt!», schrie Max beinahe. «Das ändert nichts an dem Umstand. Ich war ein Schaf unter Wölfen und dementsprechend landete ich innert kürzester Zeit am Ende der Nahrungskette. Kein anderer durfte so oft in die Schandkammer und immer, wenn mein Grossvater mich zu sich rief, gab er mir Essen, das man mir da unten verwehrte. Er war clever. Die ständige Enttäuschung in seinen Augen, war schlimmer als jeder Stoss der Wärter und als er schliesslich sein wahres Gesicht zeigte, hatte er mich genug manipuliert, dass ich glaubte, es verdient zu haben.» «Kai, nein das-» «Himmel, ich bin nicht blöd.», fuhr er Tyson ins Wort, der ihm sofort klarmachen wollte, dass niemand so etwas verdient hatte, «Je älter ich wurde, desto klarer wurde mein Verstand. Es reichte zwar nicht, um der Abtei zu entkommen, doch immerhin, um seiner Gehirnwäsche vorzubeugen. Ich lernte Leute zu lesen, wie Bücher und in Tala fand ich einen Gleichgesinnten. Er kam später in die Abtei, aber er behielt über die Jahre seinen eigenen Willen, bereit alles zu tun, um von dort wegzukommen.» «Also hast du in ihm doch einen Freund gefunden...» Seufzend fuhr sich Kai über die Stirn. «Es gab keine Freundschaften in der Abtei.», damit verschwand Tysons hoffnungsvolles Schimmern, «Tala war ein Gleichgesinnter aber immer noch – wie jeder andere auch – einen Gegner, den es zu bekämpfen gab.» «Das ist ein einsames Leben…», wisperte Max, vermutlich mehr zu sich selbst.  «Nicht für uns. Man weiss erst, was Einsamkeit ist, wenn man von einer Gruppe ausgeschlossen wird, doch jeder dort war ein Einzelkämpfer. Ich habe Tala respektiert, aber an erster Stelle sah ich in ihm eine Möglichkeit. Wenn er mich beim Rumschleichen erwischt hat, hat er mich verpfiffen und ist dadurch im Ansehen der Wärter gestiegen. Nach und nach hat er sich das Vertrauen der Lehrer erschlichen und dass machte ihn zu einer wertvollen Ressource.» «Er hat dich verpfiffen? Diese Ratte!» «Pass auf was du sagst.», mahnte Kai den Blauhaarigen mit einem kurzem, eindringlichem Blick, «Er hat mir jedes Mal ins Gesicht gesagt, dass er es melden würde und ich habe es in Kauf genommen – zudem hätte ich es genauso getan, wenn es mir nicht um die Steigerung seines Ansehens gegangen wäre. So gesehen waren wir sonderbare Verbündete am Rande eines Rattenkäfigs und nach der Zerstörung der Abtei, als uns bewusst wurde, wie wir uns vom Rest unterschieden, beschlossen wir zusammenzubleiben. Weniger wie Freunde, eher wie eine Familie, die man sich nicht ausgesucht hatte, aber mit der man durch die Erziehung derselben Sitten verbunden war.» Zwiespalt zeichnete sich in den Gesichtern seines Teams ab, die seine Formulierungen zu verstehen versuchten, es vermutlich aber nicht schaffen würde. Es war das zugrunde liegende Gefühl, das sich ihnen nie erschliessen würde, weil sie unter völlig anderen Umständen aufgewachsen waren. Er mochte sein ehemaliges Team und auch wenn sein jetziges es Freundschaft nennen würden, so empfand er es anders. In ihrer Welt, geformt von den Einflüssen der Abtei, gab es kein Verurteilen, zumindest nicht, wenn man sich hochgekämpft hatte. Jeder Mensch war ein, für sich selbstentscheidendes, Individuum und somit würde sich keiner von ihnen anmassen, sich unerlaubt in ein anders Leben einzumischen. Es war diese Einstellung, die mit Gleichgültigkeit verwechselt wurde, doch um den Albtraum zu überleben, waren ihnen kaum andere Möglichkeiten geblieben. Über die Jahre hatte Kai gelernt, für andere einzuspringen, doch nur, wenn man ihn darum bat – anwesende ausgeschlossen. «Was sind wir dann für dich?» «Freunde- ja, ich weiss was ich dazu gesagt habe.», winkte er Max anfallenden Einspruch ab, «Aber es ist schwierig, sich dem Begriff zu verwehren, wenn man ihn über Jahre täglich zu hören bekommt.», grinste er leicht. Zwar verstand er nicht dasselbe darunter, aber er hatte es als passende Umschreibung für sein jetziges Team empfunden – zudem würden die Vier ohnehin die einzigen sein, die sich jemals in diese Kategorie zählen durften. Sie waren die Leute, die seinem Leben den bunte Anstrich gegeben hatten, von dessen Existent er, bis vor den Blade Breakers, nicht gewusst hatte. Zum ersten Mal seit langem, machte eine kaum greifbare Heiterkeit die Runde. «Stimmt, wir können recht überzeugend sein, wenn wir wollen.», lächelte Tyson leicht, während er seinen Kopf an Kais Schulter betete. Mit gehobener Augenbraue betrachtete Kai den dunklen Schopf, beschloss es aber dabei zu belassen. «Penetrant trifft es eher...», murrte er ungeachtet und liess seinen Kollegen die Zeit, die sie zum Sortieren ihrer Gedanken brauchten. Max, der angesträngt die Brauen zusammengezogen hatte, verschmolz förmlich mit Ray. Während Kais Bericht, hatten sie sich ihm voll zugewandt und so lehnte der Blonde nun, mit angezogenen Beinen, an Rays Bauch, der die Arme auf dessen Schultern abgestützt hatte und gedankenverloren mit Max Kettenanhänger spielte, der das diesjährige Geburtstagsgeschenk seiner Mutter gewesen war. Tyson sass, abwesend an Kais Jackensaum nestelnd, an den Russen gesunken da und lieferte sich ein beidseitig unbewusstes Blickduell mit dem Chef und nach längerer Beobachtung, wandte Kai seinen Blick ab zum Fenster, wo der stärker gewordene Regen unnachgiebig gegen die Scheibe prasselte. Eine lose Tüte flog vorbei, während die Palmen sich unter der gewaltigen Kraft den Sturmböen beugten. Vermutlich würde das Gewitter nicht mehr lange auf sich warten lassen. «Hättest du es uns je gesagt?» Fragend neigte Kai seinen Kopf zu Tyson, der seine bandagierte Hand mit gerunzelter Stirn anstarrte und seufzend versuchte er sie zu bewegen – mit mässigem Erfolg. «Nein. Ich wäre in Japan zu einem Arzt gegangen und die Sache hätte sich erledigt. Was hätte es gebracht? Dass du vor Schuldgefühlen wieder in dein Loch kriechst? Davon hatten wir genug – es war ein Unfall und meine Entscheidung, es dabei zu belassen.» Niemand antwortete, doch Tyson malträtierte seine Unterlippe mit den Zähnen und genervt stiess Kai ihn mit der Schulter an, auf der sein Kopf immer noch ruhte. «Lass es endlich. Wenn du unbedingt sühnen willst, mach mir und Kenny den Gefallen und lass Dragoon die regelmässige Pflege zuteil kommen, die er verdient hat – würdest du das tuen, wäre es gar nie so weit gekommen.», denn in einem sauber, polierten Blade verfingen sich weder Sandkörner noch Bakterien. «Dann werde ich es erst recht nicht tun!», kam die unerwartete, feurige Antwort und obwohl es Kai erfreute, eine gewohnte Reaktion zu erhalten, so konnte er sich den mahnenden Blick, ab dem trotzigen Unterton, nicht verkneifen. «Dann wüssten wir nämlich immer noch von gar nichts – weder von der Wunde noch von deiner Vergangenheit!» «Wo er recht hat…», lachte Max witzlos, «Sorry Kai, aber das wars wert. Was du erlebt hast war… dafür gibt es keine passenden Worte, aber es hilft zu verstehen, warum du so bist und es ist schön die Gewissheit zu haben, dass du uns wirklich vertraust.», grinste er etwas verschroben und stupste mit seinem Fuss Kais Bein an. «Etwas würde mich allerdings doch noch interessieren,», fuhr Tyson fort, «wieso hast du die Blitzkrieg Boys verlassen, wo sie doch angeblich sowas wie deine Familie sind?» «Da waren wir noch die Demolition Boys und das offizielle Team der Abtei. Wir hatten den Auftrag neue Erfahrungen zu sammelnd und mit dem angebotenen Posten, zum Captain eines neuen Teams, bot sich mir eine Möglichkeit zur Abnabelung, verbunden mit einem Ziel.», sprach Kai die Wahrheit aus. «Und das haben sie dir nie übelgenommen? Auch heute nicht?» «Nimmt es euch euere Familie übel, dass ihr jetzt nicht bei ihnen seid und stattdessen eine Gelegenheit genutzt habt?», hob er vielsagend eine Augenbraue, ohne dass der Japaner es sah, «Zudem sehen wir uns regelmässig. Sie haben eine WG in Japan.» «WAS?!», kam mit dem Satz plötzlich Leben in den Jüngeren und Kai grinste leicht. «Die BBA wollte nach der Schliessung den Betroffenen helfen und hat ihnen, unter anderen, eine freie Unterkunft angeboten und als sie dann auf eigenen Beinen stehen konnten, blieben sie im Land.», erklärte er belangen los, schliesslich hatte er ebenfalls über längere Zeit dort mit ihnen gewohnt. «Wieso wissen wir nichts davon?» «Wieso solltet ihr?», stellte Kai die Gegenfrage und darauf verwarf Tyson die Arme. «Weil man es Mitteilen sollte, wenn man sich mit dem Feind trifft?!» «Max und Ray treffen sich auch noch mit ihren alten Teams, ich sehe dein Problem nicht.» «Weil ihr alle Verräter seid!», deutete der Japaner anklagend auf alle Drei, ehe er sich wieder ausschliesslich seinem Nebenmann zuwandte, «Wie darf man sich das überhaupt vorstellen? Fünf Leute, die sich schweigend um einen Tisch sammeln und mit eisigen Blicken nicht geizen?» «Wir pokern.» «Ihr WAS?!», sprang er wutentbrannt auf, «Das glaub ich jetzt nicht! Uns vertröstest du ständig, aber mit denen spielst du?!»   «Ich setzte mich gerne dazu, solltet ihr euch diesem Spiel widmen – mit Einsätzen versteht sich.» «Gut!» «Äh Tyson…», schaltete sich Kenny alarmiert ein, «Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.» «Das ist sogar eine sehr gute Idee – wir werden ihn auf den letzten Yen ausnehmen!» «Hast du überhaupt schon mal Poker gespielt?» «Nein.», erhielt Ray prompt die befürchtete Antwort und während dieser sein Gesicht verzweifelt in blonden Haaren verbarg, schlich sich ein selbstgefälliges Grinsen auf Kais Züge. «Wie du willst Tyson.», lächelte er ihn kühl an, «Aber bekl-», irritiert hielt er inne und schnupperte die Luft, «Bilde ich mir das ein, oder riecht es verbrannt?» Seine Freunde taten es ihm gleich und im nächsten Moment war es an Ray, eilig aufzuspringen. «Verdammt! Das habe ich total vergessen!», eilte er in die Küche, aus der beim Öffnen, eine schwarze Wolke drang. «Ray!» «Bleib draussen, ich mach das schon.», kam es hustend von dem Chinesen, der den helfen wollenden Kenny entschieden vor die Tür beförderte. Als das Geklapper dahinter nach einigen Minuten verstarb, betrat er mit hängendem Kopf das Wohnzimmer. «Tja, dass wars dann wohl mit dem Braten…» «Nein! Ray, wir haben den ganzen Tag nichts gegessen – dass kannst du mir nicht antun!», viel Tyson vor Verzweiflung ab der Hiobsbotschaft, beinahe über die Rückenlehne des Sofas und Kai grinste zufrieden in sich hinein. Es war schön, wie sie plötzlich alle die Kurve in die Normalität, gekriegt hatten – selbst wenn das bedeutete, dass er sich zukünftig umsehen musste, bevor er sich zur WG aufmachte. «Das ist nicht meine Schuld!», schlug ihr Koch die Anklage in den Wind, «Ihr hättet auch mal daran denken können!» «Aber was machen wir jetzt?», gesellte sich Max zu Tyson, die Arme lasch über die Lehne baumelnd. «Wir essen Auswärts.», entschied der Chinese mit verschränkten Armen. «Das könnte sich schwierig gestalten.», merkte Kai nebensächlich an und der Rest folgte seinem Deuten zum Fenster – orange Blinklichter warnten vor Sturm und wie zur Bestätigung, erhellte ein Blitz den dunklen Himmel, gefolgt von einem erschütterndem Grollen. «Mist… da können wir nicht mal etwas bestellen.», seufzte Kenny und sogleich trafen ihn zwei entsetzte Blicke, die sich in flehende wandelten, sowie sie auf den Chinesen vielen. «Ray, bitte – wir haben Hunger!», jammerte Tyson. «Vergesst es, ich habe keinen Bock mehr zu kochen – für einmal kann das jemand anders machen.» «Aber ausser dir kann das keiner!» «Jeder kann kochen, ihr wollt es nur nicht.», entschied er und alles Betteln und Flehen half nichts – nicht einmal Max Hundeblick, konnte den Chinesen noch erfolgreich umstimmen. «Okay, dann machen wir es eben selber! Wie schwer kann das sein?» «Genau, wir kriegen das hin!», machten Tyson und Max sich gegenseitig Mut und begaben sich tatenwillig in die Küche. «Max, weisst du wie man Reis macht?» «Man steckt es in den Reiskocher?», hallte der Dialog guthörbar durch die offengelassene Tür. «Hier ist aber keiner… Pfanne?» «Passt schon, hier ist der Reis.» Rasseln war zu hören. «Meinst du das ist genug?» «Willst du, dass ich verhungere? Gib her.», wieder erklang das Rasseln. «Tja, sieht immer noch nach wenig aus.» «Stimmt schon, aber es muss reichen. Welche Stufe?» «Dreh voll auf.» «Was für die Beilage gefunden?», hörte man Max nach einem Moment der Stille. «Das hier.», kam es nach einigem Klappern. «Bouillon? Was ist das?» «Keine Ahnung, aber sieht nach einer Fertigsauce aus. Ich vermische es mit etwas Wasser und dann können wir sie aufwärmen.» «Wenn du Limonade statt Wasser nimmst, gibt das bestimmt einen besseren Geschmack.» «Du bist ein Genie Max!» Kai musste sich das Lachen verkneifen, während Ray mit jedem gesprochenen Satz bleicher wurde, ehe er fluchend in die Höhe schoss und in die Küche rannte. «NEIN, gib die Flasche her – das gehört nicht in eine Sauce, wenn es überhaupt eine wär-», abrupt verstummte er, ehe er fünf Sekunden später, fassungslos weitersprach, «Ist das eine Bratpfanne? Und ihr habt die ganze Reispackung reingekippt! Schalltet sofort die Platte aus! Verflucht noch mal, alles schwarz! DA gehört Wasser rein und was soll das hier bitte schön werden?» «Na zum Umrühren.», erklärte Max gutmütig. «Mit dem Mixer?», kam es abschätzig, nach einer bedeutungsschwangeren Pause. «Du hast das letztens auch so gemacht!» «Zur Vorbereitung in einer Schüssel und nicht in einer, auf dem Herd stehenden Pfanne! Zudem sind das die falschen Aufsätze! Die sind zum pür- ach wen interessiert das – Raus.» «Was? Wi-» «RAUS HABE ICH GESAGT!» Laut meckernd rieben die Zwei sich den Hintern, auf den die zugeschlagene Tür geknallt war und verfielen sogleich in heissblütige Dialoge, über die Einfallslosigkeit ihres Chefkoches und dessen widersprüchliches Verhalten. «Geht es dir wirklich gut?» Überrascht sah Kai zu Kenny, der ihn verhalten musterte. «Ja, noch etwas Fieber, aber nichts, dass sich nicht in den nächsten Tagen legen würde.» «Okay, wenn du etwas brauchst-» «Werde ich mich melden, danke Kenny.» «Ach nicht doch, ist doch selbstverständlich.», rieb er sich verlegen den Hinterkopf. «Ist eigentlich die heutige Zeitung gekommen?», fragte Kai ihn etwas später. Gefragter nickte und berichtete, dass Ray am Morgen lustlos darin rumgeblättert hatte. Mit einem dankenden Nicken erhob Kai sich und begab sich, ungeachtet von den Zwei möchtegern-Rezeptschaffern, in das Kriegsgebiet, dass dementsprechend roch. Ein nasses Fensterbrett zeugte vom gescheiterten Versuch des Durchlüftens. Kaum, dass er einen Fuss in die Küche setzte, traf ihn ein mörderischer Blick, der entschwand, sowie Ray ihn erkannte. «Ach du bist es, sorry.», seufzte er. «Ich wollte die Versäumnisse des Tages aufholen.», griff Kai sich die Zeitung und hob sie zur Verdeutlichung hoch, «Stört es dich, wenn ich mich an den Tisch setze?» «Überhaupt nicht.», lächelte der Chinese und machte sich weiter am Küchentresen zu schaffen. Über die Jahre war es zu einem einvernehmlichen Ritual geworden, dass Kai ihm während des Kochens schweigend Gesellschaft leistete. Sie waren beides Frühaufsteher und sobald Ray sein morgendliches Chi-Training beendet hatte, hatte er sich an die Frühstückzubereitung gemacht, meist zu der Zeit, wo Kai von seiner Morgenrunde zurückgekehrt war. Im ersten Jahr hatte er sich die Zeitung geschnappt und sich verzogen, doch irgendwann ersparte er sich die Mühe, nachdem ihm klar geworden war, dass er auch in der Küche seine Ruhe fand – so wie jetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)