bittere Vergangenheit, enge Freundschaft, grosse Liebe von NiFuu (Neufassung) ================================================================================ Kapitel 2: Scherereien ---------------------- Während der Grossteil der Blade Breakers sich dem französischen Charm erfreute und die Seeluft genoss, hatte Kai sich in ihr Ferienhaus begeben. Einen Moment hatte er in Betracht gezogen, sich in das örtliche Krankenhaus zu begeben, doch die Aussicht auf eine verständigungstechnisch schwierige Auseinandersetzung mit dem Personal, denen er nicht mal schildern konnte, was genau passiert war, hielt ihn davon ab. Verletzungen aller Art kannte er zu genüge aus der Abtei und auch wenn sie dort Ärzte zur Behandlung hatten, so hatte Kai über die Jahre einiges aufgeschnappt – wo man doch von Narkotika so viel hielt, wie der Grinch von Weihnachten. Mit zusammengebissenen Zähnen kippte er das Desinfektionsmittel über die Fleischwunde an seiner Hand und vernähte den grössten Einschnitt so gut es ihm mit links gelang – die kleineren Fetzten zwang er mit dem mässig festen Verband, in ihren ursprünglichen Platz. Es war ein kleines Massaker und trotz der Mullbinde, dauerte es nicht lange, bis erste Punkte den Stoff zierten – was kaum verwunderlich war. Bis die Blutung stoppen würde, bräuchte es noch etwas Zeit. Mit der Gewissheit getan zu haben, was ihm möglich war, verräumte Kai den Erste-Hilfe-Koffer in das Möbel neben der Toilette und holte sich ein neues paar Handschuhe aus seinem Zimmer, ehe er sich an die Beseitigung der roten Flecken an der Haustür machte, die er bei seiner Ankunft, wegen des verklemmten Schlosses, kaum aufgebracht hatte. Seit er die anderen verlassen hatte, kreisten seine Gedanken wild umher, immer wieder die Tür aufzwängend, hinter der er sie zu verbannen versuchte – vergeblich. Wie hartnäckige Feuerfinger züngelten sie durch den aufgedrückten Spalt, streckten sich nach ihm aus und drohten, ihn in Brand zu stecken. Die Flucht vor seinem Gefühlsleben trieb ihn in das Getümmel des Stadtinneren und nach einer Stunde des sinnlosen Umherstreifens, kapitulierte Kai schliesslich, die Hände in den Taschen, mitten in der Menschenmasse stehen bleibend. Ein Kind rammte achtlos hüpfend sein Bein, kam ins Straucheln und musterte ihn kurz, ehe es dem ungeduldigen Rufen seiner Mutter hinterhereilte. Seine Augen folgten dem blonden Schopf teilnahmslos, ehe er müde zum strahlend blauen Himmel aufsah, der in starkem Kontrast zu seinem düsteren Innenleben stand. Immer, wenn Kai dachte, es unter Kontrolle zu haben, schaffte es sein Gegenpol, ihn erneut ins Ungleichgewicht zu stürzen und es sollte ihn wirklich nicht mehr erstaunen: Tyson, mit all seinem ungestümen Tatendrang, war schon immer für Überraschungen gut gewesen. So leicht sein Verhalten in den meisten Fällen zu manipulieren war, so unberechenbar verhielt er sich in Extremsituationen – wie die, in die er sie heute selbst manövriert hatte. Die Erinnerung nagte wie Säure an seiner Psyche und Kai presste die Augen zusammen, nur um sie gleich darauf wieder aufzureizen, ab dem verächtlichen Blick aus braunen Iriden. Gott – von all den Milliarden Menschen ausgerechnet Tyson! Ausgerechnet diese Ansammlung aus Temperament, Sturheit, Idiotie und dieser nicht endend wollenden Moral, in deren Angesicht Kai nicht mal gewinnen wollte! Er hielt nichts von netten Beschönigungen, Geleichberechtigung oder all dem anderen Quatsch, was der Hitzkopf so predigte und da fing das Problem ja schon an: Ihre Lebenseinstellung war grundverschieden! An einem guten Tag wusste Kai, dass der Umstand ihnen keinerlei Probleme bereitete – sie arbeiteten gut als Team und es war zu einem altbekannten Spiel geworden, indem Kai den Japaner ab seiner Blauäugigkeit belächelte, während dieser ihm sein Pessimismus vorwarf. Er wüsste von dem eisernen Willen des Weltmeisters, der Berge zu versetzten wusste, seiner Überzeugungen, für die er bereit war, alles zu geben – und Kai wüsste, dass es das gewesen war, das ihn in seinen Bann gezogen hatte. Alles was er nun spürte, war die Spirale aus emotionalen Abgründen, die sein Inneres in ein wüstes Kriegsgebiet verwandelte: Sein Stolz kreuzte Schwerter mit dem Bewusstsein , die Logik debattierte mit der Vernunft, alte Schatten duellierten gegen die Eindringlinge der Moderne und sein Herz verbarrikadierte sich hinter Mauern aus Stahl, gegen alles. Und alles nur, weil er es soweit getrieben hatte, dass Dragoon sich zu einem eigenbemächtigten Angriff gezwungen sah – dabei traf die, der Situation entsprungene Erkenntnis mehr, als es der Blade je hätte tun können. Wenn ein Bit-Beast sich einschaltete war es kein Spiel mehr – es war ernst. Egal wie sehr die Vernunft, die Tysons Temperament kannte, zu wiedersprechen versuchte. Es war irrational und kräftezerrend und ein Teil in Kai wünschte sich die Zeit zurück, in der er sich nicht um die Gefühle anderer oder derer Achtung gekümmert hatte. Die Zeit, in der Gefühle nicht von Bedeutung waren. Natürlich – er wusste, dass die Lehren seines Grossvaters grundfalsch gewesen waren, doch die Lebensphilosophie dahinter hatte einem das Leben vereinfacht. Dann war dieser verhängnisvolle Tag gekommen, an dem eine abgeschrägte Kante ihm den Sieg entrissen hatte und der draus resultierende Leader-Posten hatte ihm ein Ziel versprochen, das er seit dem Umzug nach Japan vergeblich gesucht hatte. Seine Einwilligung hatte den Grundstein für das alles gelegt und die Ironie des Schicksals war ihm dabei vollkommen bewusst… Ab da hatten die vier Unikate wie stetige Tropfen seine Mauern gehöhlt – Tyson an vorderster Front mit einer Spitzhacke bewaffnet, bereit auch ihren Captain als festes Mitglied in die Familie einzugliedern. Nach der Jugend voller Lügen und Intrigen, war der unverblümt, offene Charakter genau das Beispiel gewesen, dass Kai gebraucht hatte, um wieder Vertrauen fassen zu können und umso schlimmer traf ihn jetzt das vernichtende Urtei- Abrupt wurde Kai von einer Berührung am Bein aus den Gedanken gerissen und überrascht richtete er seinen Blick suchend nach dem Schuldigen nach unten, wo ihn eine Katze mauzend begrüsste. Erwartungsvoll sah sie aus grossen Augen zu ihm auf, umgarnte ihn mit lieblichen Klängen, ehe sie sich setzte und den Kopf leicht schief legte. Einige Sekunden sahen sie sich regungslos an, ehe Kai sich mit einem Zucken der Mundwinkel, zu ihr herunterkniete. «Hungrig mein Kleiner?» Das rote Fell war rau und als seine Fingerspitzen eine Kruste streiften, sah er sie vielsagend an. «Harte Woche gehabt?» Sie miaute nur und drückte den Kopf zurück in seine Hand. Er fuhr über den knochigen Rücken und als sie ihm erneut, diesen erwartungsvollen Blick zuwarf, ergab er sich seufzend und stand auf. «Komm, lass uns was zum Essen finden.», sah er sich nach einem Lebensmittelladen um, den er in einer abzweigenden Gasse erspähte, die er auch sogleich anpeilte – sein neuer Begleiter folgte ihm freudig mauzend, auf flinken Pfoten und die nächsten drei Stunden, war der Streuner ihm eine willkommene Ablenkung.   *** Als Kai, bei Einbruch der Dämmerung, den Weg zu ihrer Unterkunft einschlug, erspähte er seine Teamkollegen wie eine Schar wilder Hühner, laut zwischen Tür und Angel debattierend. «Was soll ich nicht erfahren?», hackte er nach, seine Miene in Gleichmütigkeit badend. Ertappt zuckte die vierköpfige Truppe zusammen und schockierte Gesichter wendeten sich ihm zu, als wäre er ein Vampir im Blutrausch. Mit jedem, wagen, dahingestammelten Wort, verlor Kai mehr an Geduld – die Wunde zerrte an seinen Nerven und die Ausflüchte seiner sogenannten Freunde taten ihr Übriges, sein aufgewühltes Gefühlsleben zu erschüttern. Es war Kenny, der der verfahrenen Situation ein plötzliches Ende bereitete und, bleich wie sein T-Shirt, gestand, offenbar das Abschliessen der Tür am Morgen vergessen zu haben. Kai war versucht dem Drang nachzugeben, ihnen ihr lächerliches Verhalten vor die Füsse zu kotzen, wo sie schon ganz andere Dummheiten mit weniger Reue begannen hatten – stattdessen schüttelte er nur den Kopf. «Hast du nicht. Ich war am Mittag kurz hier und habe es vergessen – mein Fehler, sorry – wird nicht wieder vorkommen. Nun entschuldigt mich, ich gedenke den Abend störungsfrei auf meinem Zimmer zu verbringen. Seid morgen pünktlich fürs Training bereit.», schritt er gemächlich an ihnen vorbei und entschwand ihrem Sichtfeld die Treppe hinauf. Die zurückgelassenen Blade Breakers starrten ihm fassungslos hinterher und erst nach Minuten des regungslosen Schweigens, räusperte sich Ray und verschränkte die Arme. «Jetzt mache ich mir doch sorgen.» «Allerdings.», wandte sich Kenny an ihn, «Seit wann vergisst Kai etwas?» «Wen interessiert das? Seit wann entschuldigt Kai sich?», entsetzte sich Max, als stände die Apokalypse bevor. Kenny brach ungeahnt einen Streit vom Zaun, indem er seinen Einwand als besorgniserregender betitelte und während sie darüber diskutierten, klebte Tysons Blick von Trauer geflutet auf den Stufen – es war, als hätte man ihm ein Band ums Herz geschlungen und es mit einem Ruck zusammengezogen.   Wen interessierten schon irgendwelche, dahingesagten Sätze von einer Person, die lieber mit Taten kommunizierte? Wichtiger als Kais Worte, war die Enttäuschung in den roten Augen, während seiner anfänglichen Frage gewesen – nur einen Wimpernschlag, doch es hatte gereicht, um den fremden Ausdruck auf den sonst perfekt sitzenden Zügen zu durchschauen. Sie hatten ihm doch bloss weitere Scherereien ersparen wollen nachdem ganzen Desaster mit Dragoon – es war nie ums Verheimlichen gegangen! Wie hatte Tyson in einigen, wenigen Sekunden nur das harterkämpfte Vertrauen dermassen zerrütten können, dass eine solche Bagatelle Kai treffen konnte? Verdammt noch mal, er liebte diesen gefühlskalten Arsch, doch statt all die anderen, zur Option stehenden Indizien zu berücksichtigen, wählte Kai ausgerechnet den einen aus, indem Tysons Wut ihn übermannt hatte! Das war einfach nicht fair! «Tyson, alles in Ordnung bei dir?», holte ihn Rays warme Hand aus der erneut aufbegehrenden Wut, die ihren Ansporn in der endlosen Frustration fand. «Nein!», entriss er seinen Arm und stampfte, entgegen dem Drang die Treppe hoch zu stürmen und dem Mister sein Innenleben um die Ohren zu hauen, in die Küche – es würde die ganze Situation nur verschlimmern, wenn er jetzt die unausgesprochene Mahnung in den Wind schlug und für heute hatte er genug Schaden angerichtet. Seine Freunde folgten ihm und das darauffolgende Abendessen, war von einer ungreifbaren Spannung überschattet. Sie beschlossen nach einigem hin und her, die Bitte ihres Leaders zu respektieren und den morgigen Tag abzuwarten, um anhand seines Verhaltens die weiteren Schritte zu planen. Erst gegen das Ende, ihres allabendlichen Kartenspieles, begann die Anspannung sich langsam zu lösen.   *** Tyson hatte grässlich geschlafen, was ihn allerdings nicht davon abhielt, die teuflisch klingelnde Ausgeburt der Hölle gegen die nächste Wand zu donnern. Max, der sich mit ihm ein Zimmer teilte, setzte sich mit wild abstehendem Haar auf, die Augen glasig und wie Zombies brachten sie ihre Morgenrutine schleppend hinter sich. Gemeinsam betraten sie die Küche und Tysons Herz tat einen erleichterten Hüpfer, als der Russe mit aufgeschlagener Zeitung am Tisch sass – entgegen seiner nächtlichen Alpträume. Überrascht löste Kai seinen Blick von der Druckerschwärze, sah sich die Neuankömmlinge an, ehe er einen kurzen Blick zur Uhr warf und sie dann mit gezückter Augenbraue kritisch beäugte. «Gab es einen Wasserschaden?» Perplex sah Tyson an sich herunter, doch fand seine Kleindung trocken vor. «Hä?» «Es war das erste und einzige Ereignis, das euch pünktlich aus den Betten gebracht hat.» Schnaubend verdrehte der Japaner die Augen ab der Erinnerung an das Spektakel im letzten Jahr und setzte sich an den Frühstückstisch neben den Blonden, wo Ray gerade die Spiegeleier auftischte und ihnen mit einem Lächeln einen guten Morgen wünschte. Der Duft des Frühstücks, liess Tysons Lebensgeister aufhorchen und mit jedem Bissen, gewann er an Farbe. Kenny schnappte sich eine Scheibe Brot und nippte an seinem Kaffee, beiläufig etwas in die Tasten tippend, was der Computer mit dezentem Unwillen über die frühe Tortur kommentierte. «Ich glaube Dizzi könnte auch einen Kaffee gebrauchen.», lachte Max. «Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Hardware das Überleben würde.», setzte sich der Chinese zu ihnen und Dizzi verkündete, dass sie bereit wäre, das Risiko einzugehen. An einem anderen Morgen hätte Tyson angedroht der Bitte nachzukommen, um etwas Bewegung in seinen ältesten Freund zu bringen, doch er war in seine Mission vertieft, Kais Verhalten zu analysieren. Bisher hatte ihr Leader kein Anzeichen zur Bestätigung ihrer Befürchtungen geliefert – er verhielt sich wie jeden anderen Morgen auch und langsam fragte Tyson sich, ob sie durch den aufgewühlten Vortag zu viel hineininterpretiert hatten. Das einzige was noch einer endgültigen Obduktion harrte, war der Zustand seiner Rechten, doch die hob die Tasse, als wäre nichts und so versuchte Tyson stattdessen in den glatten Zügen einen Indikator für den Schmerz zu finden. Ein Bein traf ihn unter dem Tisch, als sein Starren scheinbar zu penetrant wurde, doch da war es bereits zu spät: «Habe ich etwas im Gesicht oder gibt es einen anderen Grund für euer Starren?» Überrascht sah Tyson in die Runde und erkannte, wie Max scheinheilig die Decke zu mustern begann. «Sorry, wir haben uns nur gefragt, ob mit dir alles in Ordnung ist.», übernahm Ray gelassen die Führung, «Wie geht es deiner Hand?» «Alles bestens.» und wie zur Bestätigung hielt Kai gesagte hoch und ballte sie zweimal zur Faust, was Max erleichtert aufseufzen liess, «Dragoons Angriffe waren auch schon stärker.» «Was?!», schoss Tyson wütend auf, sämtliche Sorgen mit einem Schlag vergessen, «Frechheit! Wir – und vor allem Dragoon – sind in Bestform! Das Turnier haben wir mit Leichtigkeit gewonnen!» «Bei eueren Bit-Beasts liegt auch nicht das Problem, wie Kennys Daten deutlich zeigen, weshalb wir heute auch das Konditionstraining fortsetzten werden.», verkündete er gelassen und erhob sich. Allgemeines Stöhnen machte die Runde. «Das darf doch nicht wahr sein! Wieso kannst du uns nicht einfach mal einen Tag frei geben? Wir sind vielleicht nicht in Topform, aber ein kleiner Unterbruch würde uns nicht umbringen!», wetterte Tyson weiter, während die Gruppe sich wiederwillig in Bewegung setzte. «Würde ich jedes Mal darauf eingehen, würdet ihr zwei Drittel des Jahres mit Essen verbringen, was den dritten erübrigte.», entgegnete Kai kühl und drehte sich nach Verlassen des Hauses zu der versammelten Meute um, «Aber ich mache euch einen Vorschlag: Ich werde das Tempo drosseln und euch ab zwei Uhr entlassen, wenn», und dabei nahm er ausschliesslich den Japaner ins Visier, «während des Trainings keine einzige Klage kommt. Andernfalls wird der Gefallen mit sofortiger Wirkung hinfällig.» «Gefallen am Arsch…», murrte Tyson – sechs Stunden waren für normale Menschen fast ein ganzer Arbeitstag. «Wie war das?» «Nichts!», stöhnte er und deutete an seinen Mund zu verschliessen. Kaum das der Russe sich umdrehte und den Weg zum Strand ansteuerte, streckte er ihm die Zunge raus – und er hatte sich noch Sorgen um den Penner gemacht!   *** Der Erste Schritt war geschafft: Selbst Rays wachsame Augen hatte Kai zu trügen vermocht, dafür hatte er allerdings in Kauf genommen, die Wunde erneut aufzureissen – wenn man in ihrem Zustand überhaupt davon sprechen konnte. Als er nach dem Aufstehen den Verband gewechselt hatte, war das daran klebende Blut von gelblichen Rändern umkreist und nebst der verlangsamten Wundheilung, erklärte das den ätzenden Schmerz. Er hatte geschlafen wie ein Stein und trotzdem sass ihm die Müdigkeit tief in den Gliedern, weshalb er das Angebot zum gemässigten Tempo hauptsächlich seiner Scharade wegen gemacht hatte – wenn er den Schein bis zum Ende des Trainings aufrechterhalten wollte, musste er wohl oder übel einen Gang herunterschalten. Sobald sie in drei Tagen zurück in Japan waren, würde er einen Notarzt aufsuchen und bis dahin würde er sich schonen, soweit es ihm möglich war. Tatsächlich verging die Zeit, mit dem Ansporn eines verfrühten Endes, ohne Genörgel und als er sie schliesslich entliess, fielen sich Tyson und Max erleichtert in die Arme. Wie sie wildhüpfend das «Ende der Sklaverei» feierten, war Kai versucht, ihnen Extratraining zu verdonnern, beliess es aber kopfschüttelnd dabei – die Ironie würde er sich für einen anderen Tag sparen. Die Essenseinladung lehnte er mit dem Einwand ab, vorher noch den nahegelegenen Leuchtturm besichtigen zu wollen und während seine Kameraden auf direktem Weg in die Stadt zogen, ging er selber zurück zur Unterkunft, die er bis zum Abend dank der allgemeinen Ferienstimmung für sich haben würde. Er würde noch die Verbände wechseln und sich dann wie geplant aufs Ohr hauen. Sein Plan war vergessen, sowie er den Schlüssel im Schloss kräftig nach rechts drehte, aber nichts geschah. Misstrauisch betätigte er die Klinke und ohne Scherereien, schwang die Tür auf. Geräuschlos trat er ein und lauschte in die Stille. Ein Geräusch aus dem oberen Stock verriet den Eindringling und auf leisen Sohlen folgte Kai dem Rascheln, bis er vor seiner angelehnten Zimmertür in Deckung ging. Vorsichtig schielte er hinein und als er den Schatten erspähte, stiess er sie abrupt auf. Die Person drehte sich ihm erschrocken zu und Kai erkannte das Gesicht des rothaarigen Jungen sofort, doch ehe er ein Wort herausbrachte, stürzte der Kerl zum Fenster, riss es auf und sprang mit einer flüssigen Bewegung hinaus. Fluchend verlor Kai keine Zeit und folgte ihm auf demselben Weg. Mit Leichtigkeit kam er auf dem Boden auf und, seine Sinne nur auf den Flüchtenden fokussiert, wollte er ihm sogleich hinterher, doch kaum, dass er zum Sprint hochgeschossen war, traf ihn der Schwindel, als wäre er frontal gegen eine Mauer gekracht. Sich an den Kopf fassend, ging er in die Knie und sein Herzschlag beschleunigte sich, wie der Motor eines Sportwagens. Verdammt! Mit wutverzehrtem Gesicht umklammerte Kai sein Handgelenk und die Wunde, die für seine erbärmliche Kondition verantwortlich und mit dem Adrenalin in Vergessenheit geraten war, pulsierte zum Takt des Blutes, das heiss durch die Bahnen seines Zyklus schoss. Wissend, dass ein Ausraster den Zustand nur verschlimmern würde, liess er sich zurücksinken und streckte geschlagen alle viere von sich – liess die plötzliche Kälte von der wärmenden Nachmittagssonne vertreiben. Erst als sich die Aufruhr in seinem Körper langsam, aber stetig beruhigt hatte, holte er seinen ursprünglichen Plan nach, den Verband zu wechseln – der Kerl war ohnehin über alle Berge. Als er anschliessend das Fenster in seinem Zimmer schloss, zog ein gelber Fleck, am Rande seiner Sicht, seine Aufmerksamkeit auf sich und mit gerunzelter Stirn hob er den gefalteten Zettel von seinem Bett. Kurz besah er ihn sich von allen Seiten, ehe er ihn aufklappte und die knappen Zeilen mit kurzem Blick überflog. Ein verächtliches Schnauben entfloh ihm – dass hatte ihm gerade noch gefehlt.   Es ist Zeit, dass jemand die Verantwortung übernimmt! Heute 21:00 Uhr beim alten Regierungsgebäude.   Kein Name stand auf dem Papier, doch Kai wusste auch ohne eine Unterschrift, dank der Vorstellungsrunde des Turniers, von wem der Wisch kam: Danil Koslow. Kai hatte es sofort erkannt, als er ihn unter den antretenden Teams das erste Mal erspäht hatte: Die Gleichgültigkeit, die erzwungene Haltung, das wache Funkeln in den analysierenden Augen – ein Ehemaliger der Abtei. Als Danils Beobachtung der Teilnehmer seinerseits bei ihm angelangt war, schien der Rest um den jüngeren Russen zu verblassen und nebst der Erkenntnis, verzerrte die Verachtung sein Gesicht zu einer wüsten Fratze – der Durst nach Vergeltung loderte wie Feuer in seinen Augen. Genau das war der Grund gewesen, weshalb Kai seine Streifen für längere Zeit mit Makeup überdeckt hatte… Kein Insasse der Abtei hatte sich Namen oder Gesichter gemerkt, doch in nur einer Stunde hatte Kais Grossvater damals sichergestellt, dass man ihn jederzeit als seinen geachteten Sprössling erkennen würde. Die eintätowierten Male mochten ihm als fadenscheinige Mahnung seines Versagens gestochen worden zu sein, doch Kai wusste, dass es an erster Stelle dem machthungrigen und nicht minder sadistischen Wesen des alten Mannes zugrunde lag: Voltaire hatte ihn absichtlich zur Zielscheibe aller Schüler gemacht und ab diesem Zeitpunkt wurde jede noch so kleine Blösse doppelt gestraft – und dieser Pimpf wollte ihm etwas von Verantwortung erzählen, lächerlich! Zerknüllt landete der Zettel im Mülleimer.   *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)