Rescue von Phoenix-of-Darkness (hier kann Ihnen keiner helfen) ================================================================================ Kapitel 1: Teamfähigkeit ------------------------ Borg – 23:47 Uhr Stille herrschte in den Räumlichkeiten der Außenwache in Borg. Der Aufenthaltsraum war verwaist und nur das Licht der Laterne spendete etwas Helligkeit. Der Dienstcomputer befand sich im Standby und nur bei genauem Hinhören vernahm man das Surren des Lüfters. Doch es war nur die altbekannte Ruhe vor dem Sturm. Denn eine hölzerne Vibration durchdrang die Nacht. Borg – 23:48 Uhr Borg – 83 – 1 es geht zum Einsatz nach *kchh* Pat *kcchh* Lu *kcch* Im Ruheraum des Rettungssanitäters schlug ein Melder Alarm. Durch die Vibration schlitterte der Pieper über den Holzstuhl. Doch dies war nicht der Grund für die schlechte Übertragung der Einsatzmeldung. Seit jeher war der Empfang in dieser Wache schlecht. Aber in letzter Zeit verstand man einfach gar nichts. „Verdammte Scheiße….“ Die Bettdecke wurde aufgeschlagen und die Füße dieser Person schlüpften in die Dienstschuhe mit Stahlkappen. Flinke Finger schnürten diese fest. Der weiße Pullover mit der Aufschrift Rettungsdienst wurde übergezogen und die Tür des Ruheraums flog geräuschvoll auf. Die Schritte des Silberhaarigen durchquerten den Aufenthaltsraum hinaus in den Flur. Vor der Tür zum zweiten Ruheraum blieb er stehen. Kurz schloss Kai die Augen und atmete durch. Wie er seinen Kollegen doch hasste. Ihre letzte, heftige Auseinandersetzung war gerademal einen Monat her und nun zwang ein Einsatz ihn mit diesem Mistkerl als Team zusammen zu arbeiten. Hinzu kam, dass sie aktuell nur einen Alarmempfänger besaßen und Kai hatte somit Weckdienst. Er hob seine Hand und ließ die Faust kräftig gegen die Tür donnern. „Brooklyn! Aufstehen, Einsatz!“ blaffte er mit kräftiger Stimme und von der anderen Seite ertönte ein aufgeschrecktes „Ok.“ Mit dem Wissen, dass sein Kollege sich gerade aus dem Bett wuchtete, wand der Silberhaarige sich ab. Sein Weg führte ihn zurück in den Aufenthaltsraum. Er griff nach dem Telefon und betätigte die Kurzwahltaste. “Leitstelle Beycity, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Hallo Kane! Du bist also derjenige, der mich nicht schlafen lässt!! Gib mal den Einsatz durch. Hier ist wie immer nix angekommen.“ Am anderen Ende konnte man ein Lachen hören. Kane war einst selbst Notfallsanitäter und auf den Wachen Blade und Borg tätig. Nun aber war er Leitstellendisponent und hatte die Gelegenheit seine alten Kameraden zu ‚schikanieren‘. “Das mit den Meldern wird sich nie ändern. Ok Kai, hör zu! Es geht nach ***. Angerufen hat eine Frau ***. Ihre 82jährige Mutter hat wohl eine Pneumonie. Heute war der Hausarzt vor Ort und hat auch ein Antibiotikum verordnet.“ Kai kritzelte Notizen auf ein Schmierblatt. „Und wieso müssen wir dann dorthin, wenn die Lungenentzündung bereits anbehandelt wurde?“ “Tja, Frau *** ist der Meinung, dass der Zustand so nicht mehr tragbar ist.“ „Hmmm…weil das Antibiotikum ja auch sonst Wunder wirkt und man binnen einiger Stunden wieder topfit ist und das selbst mit 82. Einsatznummer?“ In seiner Stimme schwang Sarkasmus. Kane seufzte mitleidig. Aber was sollte er auch machen. Er saß am Telefon und konnte sich kein Bild von der tatsächlichen Situation machen. “1056“ „Alles klar. Wir sind raus.“ Damit legte Kai auf und erhob sich. „Was haben wir?“ Brooklyn lehnte einsatzbereit am Türrahmen des Aufenthaltsraumes. Doch statt einer Erklärung drückte der Silberhaarige dem Anderen nur den Zettel mit den Notizen in die Hand. „Ich warte am Auto.“ Kai schnappte sich seine Jacke und begab sich zur Garage. Dazu musste er den Flur hinter sich lassen und in den Treppenaufgang der Feuerwehr treten. Schnellen Schrittes überwand er die Stufen und verließ das Gebäude. Es grenzte schon an sportliche Betätigung, bedachte man den Umstand, dass sie nach Alarmierung über die Melder lediglich zwei Minuten hatten um im Fahrzeug den Status 3 – Fahrzeug im Einsatz zu betätigen und los zu fahren. Dies war bei dieser Außenwache kaum schaffbar. Denn der Weg war einfach zu lang. Aufenthaltsraum, Flur, Treppenhaus, Hof, vorbei an 3 Feuerwehrgaragen, Garagentür zum RTW aufschließen, RTW Stromkabel lösen, Tordrücker betätigen, abwarten bis das Tor oben ist, Fahrzeug nach draußen fahren und erst dann lohnte es sich den Status zu betätigen. Denn in der Garage selbst war es nicht möglich, dass der betätigte Status über die Funkwellen in Beycity auf den Computern der Leitstelle landete. Die Blechgarage war einfach zu gut abgeschirmt. Brooklyn las sich den Notizzettel aufmerksam durch, ehe auch er ins Treppenhaus trat. Doch er konnte Kai nicht sofort folgen. Denn er musste die Feuerschutztür noch abschließen. Dies war eine Dienstanweisung. Räumlichkeiten der Rettungswachen waren bei Verlassen dieser abzusperren. Als er schließlich an der Garage ankam, stand der RTW bereits auf den Hof. Er stieg ein, schnallte sich an und nahm sich seine Mappe. „Du kannst losfahren.“ Damit widmete der Orangehaarige sich der Dokumentation. Von dem Schmierblatt übertrug er die Einsatznummer und Einsatzort auf das Protokoll. Auf die Minute genau füllte er auch die Tabelle mit den Zeiten der Alarmierung und Ausfahrt aus. Danach widmete er sich dem Journalblatt. Auch hier musste er die Einsatznummer eintragen, gefolgt vom Datum über den Kilometerstand, ihre Personalnummern und natürlich in der letzten Spalte seine Unterschrift. Im Anschluss nahm er sich noch das MDV Gerät – liebevoll als Tamagotchi bezeichnet – vor. Dieses Gerät hatte Ähnlichkeit mit dem Scanner bei der Post, auf welchem man bei der Annahme eines Pakets unterschreiben musste. Jedoch erfasste dieses Gerät hier einiges an Daten. Neben der Eingabe der Journalnummer vom gleichnamigen Blatt, konnte man die Versicherungskarte auslesen und erhielt somit Patientendaten wie Name, Adresse, Geburtsdatum, Versichertennummer. Dies benötigte die Abrechnungsstelle um die jeweiligen Einsätze bei der jeweiligen Krankenkasse abrechnen zu können. Jede Fahrt zum Einsatz war ein halber Sekretärjob und es wurde nicht weniger. Sollte das Tamagotchi die Dokumentation einst leichter machen, war dank diesem nur ein weiterer Zettel hinzu gekommen. Denn das Journalblatt diente als Backup für das MDV. Indes hatte Kai das Blaulicht eingeschaltet und folgte dem Navigationsgerät zum Einsatzort. Dabei verzichtete er auf die Sirene. Ampeln waren auf dem Weg nicht zu erwarten und so konnte er sich die Lärmbelästigung durch das Martinshorn sparen. Blaulichtfahrten waren sowieso nicht ohne. Sie waren stressig, denn man hatte ein 6% höheres Risiko einen Verkehrsunfall zu erleiden und trug in 70% mindestens eine Teilschuld. Aber diese Tatsache war nicht der Grund für die Anspannung. Kais Hände krallten sich förmlich ins Lenkrad. Sein Hass auf seinen Beifahrer wurde sekündlich stärker. Allein Brooklyns Anwesenheit machte ihn rasend und er musste sich zusammenreißen. „Du hättest da abbiegen müssen.“ Der Silberhaarige wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Was!? Aber *** liegt doch hinter Majestics. Die Brücke drüber und dann rechts.“ „Da irrst du dich. Aber fahr ruhig weiter. Ich kenn noch einen anderen Weg nach ***“ Kai fluchte innerlich. Jetzt war er auch noch auf Brooklyn angewiesen. Das lief ja mal wieder super. Aber der Orangehaarige kannte sich in diesem Gebiet nun mal besser aus. Er wohnte in Borg und kannte somit auch die Wege zu den umliegenden Dörfern. „Da vorne links und dann hinten am Freibad vorbei.“ Der Sanitäter tat wie ihm geheißen und lenkte den Rettungswagen sicher die schmale Gasse entlang. Ohne Zeitverlust kamen sie am Einsatzort an und Kai betätigte am Funkhörer die Statustaste Nummer 4 – Ankunft Einsatzort, während Brooklyn die Zeit auf dem Protokoll vermerkte. Beide zogen sich ihre Handschuhe über und verließen das Fahrzeug. Der Notfallsanitäter öffnete die Schiebetür und bewaffnete sich mit dem Notfallrucksack und seiner Dokumentationsmappe. Kai, der um das Fahrzeug herum musste, stieg in den RTW und löste das EKG Gerät aus der Wandhalterung. Im Anschluss verschloss er das Fahrzeug und beide betraten das Grundstück. An der Haustür wurden sie bereits von der Anruferin empfangen. „Danke, dass sie so schnell gekommen sind!“ Erleichtert über die Ankunft des Rettungsdienstes streckte die Frau den beiden die Hand entgegen. Brooklyn beschleunigte seine Schritte und nahm die Hand der Dame an. „Hallo. Wie können wir denn helfen?“ „Ach bitte folgen Sie mir doch nach oben.“ Sie traten in das alte Haus und wie immer in diesen Bauten führte eine schmale Wendeltreppe in die erste Etage. Gleich im ersten Zimmer links der Treppe befand sich das Schlafzimmer. Der Orangehaarige folgte der Frau in den Raum. Kai hingegen entschloss sich den Rucksack im Flur abzusetzen. Das Schlafzimmer bot nicht mehr Platz als ein kleines Kämmerchen. Alleine der wuchtige Schrank und das massive Ehebett füllten den Raum komplett aus. Eine weitere Person hatte schlicht keinen Platz mehr. Zudem, da war sich Kai sicher, wollte Brooklyn erst seine Anamnesefragen los werden. Eben jener wandte sich an die 82jährige Frau im Ehebett. Sie gab Preis, dass sie bereits seit einer Woche über Atemprobleme klagte. Der Hausarzt war heute bzw. mittlerweile am gestrigen Tag zum Hausbesuch. Sie hatte ein Antibiotikum verschrieben bekommen und laut eigener Aussage, dieses auch eingenommen. „Ok, sehr gut. Darf ich fragen weshalb sie sich entschlossen haben uns zu rufen? Gab es eine Verschlechterung oder haben sie das Antibiotikum nicht vertragen?“ Brooklyn füllte nebenbei sein Protokoll aus. „Ich habe angerufen, weil meine Mutter mir vorhin im Bad kurz weggeklappt ist. Sie lebt hier alleine und ich war nur zufällig heute hier im Haus. Bereits am Abend habe ich mir Sorgen um sie gemacht, weil es ihr immer noch nicht besser ging und daher hatte ich beschlossen die Nacht hierzubleiben. Aber morgen muss ich wieder auf Arbeit und ich möchte sie wirklich nicht alleine hier lassen.“ Kai seufzte innerlich. Er verstand die Sorge der Frau. Was ihm jedoch nicht begreiflich war, war was manche Leute von Medikamenten erwarteten. Natürlich war die 82jährige ernsthaft krank. Sie hatte definitiv eine Lungenentzündung und ja man konnte daran sterben. Allerdings war die alte Dame ansprechbar und orientiert, hatte bereits eine Antibiotikatherapie begonnen und gehörte nun mal jetzt ins Bett mit ganz viel Flüssigkeit. Genau hier, so vermutete der Silberhaarige, lag auch das Grundproblem. Flüssigkeitsaufnahme war verdammt wichtig und ältere Leute hatten schon im normalen Alltag Schwierigkeiten genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Die alte Dame hatte vermutlich einen leichten Schwächeanfall erlitten, da ihr Körper gegen den Erreger ankämpfte und gleichzeitig ausgetrocknet war. Da konnte einem schon mal der Blutdruck wegsacken. „Ich denke wir werden Sie mitnehmen.“ Brooklyns Stimme riss Kai aus seinen Überlegungen und er trat in den Türrahmen für weitere Instruktionen. „Denken Sie, dass Sie es bis zum Auto schaffen wenn mein Kollege und ich Sie stützen?“ War die Anruferin eben noch erleichtert über die Entscheidung des Notfallsanitäters, so entglitten ihr im nächsten Moment die Gesichtszüge. „Aber meine Mutter kann doch nicht bis zu ihrem Auto laufen.“ Da war es wieder. Die Situation, dass Angehörige meinten für die Patienten entscheiden zu müssen. Doch Brooklyn war darin geübt. Mit einem charmanten Lächeln bat er die Frau doch ihre Mutter selbst entscheiden zu lassen. Zudem erläuterte er, dass es nicht möglich war die 82jährige die Wendeltreppe zu zweit runter zu tragen. Gedanklich stimmte der Silberhaarige dem zu. Die alte Dame war relativ adipös. Zwar hätten sie es mit vereinter Muskelkraft geschafft sie per Tragestuhl zu tragen, aber die Wendeltreppe war ein unüberwindbares Hindernis. Sie wären nicht um die Kurven gekommen. „Ich werde es versuchen.“ Bekundete die Patientin schließlich und den Rettern fiel ein Stein vom Herzen. Denn ansonsten hätte es ein Aufgebot der ortsansässigen Feuerwehr benötigt. „Gut!“ Anerkennend nickte der Notfallsanitäter der 82jährigen zu. Kai hingegen wandte sich an die Tochter dieser. „Hätten Sie für ihre Mutter einen Bademantel? Zudem bräuchten wir noch die Chipkarte und, wenn vorhanden, den Medikamentenzettel.“ Die Angesprochene nickte und begab sich aus dem engen Zimmer. Den Platz nutzend, trat der Silberhaarige zu seinem Kollegen. Gemeinsam halfen sie der alten Dame an die Bettkante. Sie sollte erst mal sitzen bleiben und ihrem Kreislauf Zeit geben sich anzupassen. Kai nahm den Bademantel entgegen und steckte die Chipkarte, sowie den Medplan ein. Er half der Frau in ihren Mantel, während Brooklyn sie etwas stützte. Danach hockte sich der Rotäugige vor sie um ihr die Clogs anzuziehen. Im Anschluss begab sich der Silberhaarige wieder in den Flur, setzte den schweren Notfallrucksack auf und nahm das EKG. Auch Brooklyn und die Patientin traten in den engen Flur. „Soll ich voraus gehen und vorne absichern?“ wandte Kai seine Frage an seinen Kollegen. Dieser überlegte kurz ehe er den Kopf schüttelte. „Nein, du hast schon den Rucksack und das EKG. Ich werde vorausgehen und sie abfangen, falls etwas sein sollte.“ Gedanklich prustete der Rotäugige. Als ob Brooklyn sie alleine halten könnte. Aber wer war der Silberhaarige schon, dass er dem großartigen Herrn Notfallsanitäter widersprechen könnte. Denn Ratschläge, sah der Orangehaarige stets als Angriff auf seine Kompetenz. Dabei hätte Kai mit seinem Körper die Frau vorne absichern können und Brooklyn hätte mit seiner freien Hand nach ihr greifen können. Aber bitteschön, nicht seine Verantwortung. Wie von dem Notfallsanitäter beschlossen, gingen sie die Wendeltreppe nach unten und dann zum RTW. Die alte Dame pumpte ganz schön und japste nach Luft. Daher sah Kai zu, dass er zügig, dass Fahrzeug entriegelte, den Rucksack ins vorgesehene Fach schob und das EKG in die Halterung steckte. Er löste den seitlichen Bügel der Trage, öffnete die Gurte und stieg wieder aus dem Rettungswagen. Damit die Patientin leichter einsteigen konnte, aktivierte er noch das kleine Trittbrett, welches unter dem Schweller der Karosserie rausfuhr und somit die Einstieghöhe halbierte. Keuchend stieg die betagte Frau in den RTW und setzte sich auf die Trage. Brooklyn legte seine Mappe zur Seite und wandte sich an die Patientin. Er legte seine Hände an ihren Rücken und stützte sie, während Kai ihre Beine hochhob und sie somit auf der Trage zum Liegen kam. „Ich werde Ihnen mal noch einen venösen Zugang legen.“ meinte der Orangehaarige und öffnete eine Schublade um das Zugangsset zu entnehmen. Der Silberhaarige verdrehte die Augen. Musste sein Kollege denn immer mit den invasiven Maßnahmen beginnen? Er selbst betätigte erst mal den Hebel am Kopfteil der Trage und brachte die alte Dame in eine aufrechte Position, gleich einer Sitzposition. Im Anschluss bedeckte er ihre Beine mit einer blauen Einmaldecke und erst dann ließ er den Notfallsanitäter vorbei. Brooklyn begann ein Stauband um den rechten Arm der Patientin zu legen und nach einer geeigneten Vene zu suchen. Kai hingegen öffnete eine weitere Schublade, entnahm eine Infusion samt System und legte sich diese bereit. Aus der Schublade, in welchem sich auch das Zugangsset befand, nahm er eine kleine Tasche. Er öffnete diese und bereitete das Blutzuckermessgerät vor. „Machst du den Zucker?“ ertönte die Stimme des Orangehaarigen, welcher in der Zwischenzeit ein passendes Blutgefäß mit einer Flexüle versehen hatte und nun Blut abnehmen wollte.“ „Ja, hab ich schon vorbereitet.“ Kai nahm die Nadel entgegen und ließ einen Bluttropfen auf den Teststreifen tropfen. Sorgsam entsorgte er die Nadel in den dafür vorgesehenen Behälter. „7,8“ las er von dem Gerät ab und teilte es dem Orangehaarigen mit. Im Normalfall hätte der Silberhaarige diesen Wert aufs Protokoll geschrieben, doch bei Brooklyn durfte man jenes nicht anrühren. Es war sein Protokoll und jeder, der etwas auf dieses schrieb begann in dessen Augen Urkundenfälschung. Für den Notfallsanitäter galt, dass nur eine Handschrift dieses Dokument zieren durfte und die anderen hielten sich an diese Marotte. Daher nutzte Kai seine freie Zeit und begann mit dem Monitoring. Er legte der Frau eine Blutdruckmanschette am linken Arm an, betätigte am Monitor den Knopf für die Blutdruckmessung, stülpte einen Fingerklipp über ihren linken Zeigefinger, welcher Auskunft über den Puls und die Sauerstoffsättigung gab und wartete schließlich auf die Werte. „Blutdruck: 138/80, Puls: 88, Sättigung nur 92%!“ Brooklyn nickte als Zeichen, dass er die Werte verstanden hatte. „2 Liter Sauerstoff.“ Der Silberhaarige wand sich um, entnahm eine Sauerstoffbrille aus dem Sauerstoffgerät und schloss es über ein System an die Sauerstoffflasche an. Anschließend setzte er der Patientin diese fachgerecht auf. Der Orangehaarige überreichte im gleichen Atemzug seinem Kollegen das abgenommene Blut und schloss die vorbereitete Infusion an. „Sichere bitte die Patientin. Ich muss vorne noch was erledigen.“ Damit drückte sich der Notfallsanitäter an Kai vorbei und verließ den Patientenraum des Fahrzeugs. Innerlich knirschte der Silberhaarige mit den Zähnen. Er wusste genau, dass Brooklyn mit der Leitstelle funkte um Infos weiter zugeben, wie dass sie den Patienten im Auto hatten, welches die Zielklinik sein würde und ob die Leitstelle etwas in dieser Klinik anmelden sollte. Im Regelfall übernahm diese Aufgabe der Fahrer des Rettungswagens. Aber auch hier stellte der Notfallsanitäter eine Ausnahme dar. Seine Kollegen waren sich diesbezüglich einig, dass der Orangehaarige wohl davon ausging, dass nur er fachliche Infos korrekt weiter geben konnte. Doch ein Aufregen brachte nichts und so schloss Kai die Gurte der Trage um die Frau. Einen über die Unterschenkel, einen übers Becken und einen Gurt über den Oberkörper. „Ich mache die Gurte fest, aber nicht zu straff. Im Prinzip wie bei einem Geschenkpaket.“ Sprach er beruhigend zu der alten Dame und der scherzhafte Vergleich mit einem Paket ließ die Frau lächeln. „Mein Kollege wird dann während der Fahrt bei Ihnen sitzen.“ Damit wandte Kai sich ab. Aus seiner Jackentasche zog er den Medikamentenplan der Frau samt Chipkarte. Kurz spielte er mit den Gedanken Brooklyns ‘heilige‘ Mappe aufzuschlagen und den Arzneizettel hinein zu legen. Jedoch würde die Schicht noch mindestens 6 Stunden gehen und eine weitere Auseinandersetzung war nicht klug. Daher besann sich der Silberhaarige und legte das Dokument neben die Mappe. Die Versicherungskarte legte er ebenfalls neben das Tamagotchi. Bei jedem anderen hätte er die Chipkarte eingelesen und die Datenerfassung beendet. //Tzz…soll der Arsch das doch selbst machen.// „Die Leitstelle weiß Bescheid. Wir können dann los.“ Brooklyn stieg wieder in den Patientenraum und nahm sich seine Mappe. „Welche Klinik?“ Kai verließ den RTW und schob mit dem Fuß das kleine Trittbrett wieder unter den Schweller. „Achso!“ Der Notfallsanitäter wandte sich an den Silberhaarigen. „Die Tochter unserer Patientin möchte, dass wir sie nach Bison ins Klinikum Drop Rock fahren.“ Der Silberhaarige nickte und entledigte sich seiner Handschuhe. Danach schloss Kai die Seitentür und begab sich nach vorn. Sein Blick glitt zu dem Funkhörer. //Er hat also sogar Status 7 bereits gedrückt.// Seufzend gab Kai die Adresse der Zielklinik ins Navi ein. Zwar kannte er den Weg, doch mitten in der Nacht sah einfach jede Dorfstraße gleich aus und bis er wieder auf eine bekannte Straße kommen würde, würde es noch etwas dauern. Der Silberhaarige schnallte sich an, öffnete die kleine Scheibe hinter sich, welche die Verbindung zum Patientenraum darstellte und startete den Motor. Ein Blick in den Rückspiegel und er war sich sicher, dass auch sein Kollege angeschnallt war. Langsam fuhr Kai über die schlechten Straßen. Sein Blick glitt von einem Seitenspiegel zum nächsten. So bugsierte er den 3,8 tonnenschweren Mercedes durch die engen Gassen. „Wo fährst du lang?“ „Uaahhh!!“ Kai zuckte erschrocken zusammen. Brooklyn hatte sich abgeschnallt und war aufgestanden. Er steckte seinen orangefarbigen Wuschelkopf durch das kleine Fenster und sah nach vorn. „Ich fahr nach Navi.“ „Wieso denn das? Du weißt doch wohl wo Bison liegt.“ Der Silberhaarige knurrte. „Ja weiß ich….sobald ich auf eine gescheite Landstraße komme.“ „Ok.“ Das war alles was der Notfallsanitäter dazu zu sagen hatte. „Setzt dich verdammt nochmal auf deine vier Buchstaben und schnall dich an.“ Blaffte Kai noch und oh Wunder, sein Kollege verzog sich wieder. Mit 20km/h tuckerten sie über einen Feldweg und Kai war kurz davor dieses uralte Navigationsgerät durchs geschlossene Fenster zu pfeffern. Er hasste es orientierungslos in der Dunkelheit durch die Botanik zu schippern. Inständig hoffte er wieder auf eine befestigte Straße zu kommen. Schließlich kam er an einem alten Busstellenhäuschen an. Dies kam ihn bekannt vor und sein Blick glitt zu dem Navi. Doch dieses hatte seinen Dienst eingestellt bei der vergeblichen Suche nach Empfang. Kai atmete durch, lehnte sich in seinem Sitz zurück und öffnete den Mund. „HEY BROOKLYN!! HIER GEHT ES DOCH NACH RECHTS ZUR LANDSTRAßE RICHTUNG BORG, ODER?“ rief er nach hinten. Ein kurzes Klicken war zu vernehmen und kurz darauf steckte der Angesprochene wieder seinen Kopf durch das kleine Fenster. Kurz sah sich Brooklyn um. „Ja genau. Hier nach rechts und dann kommst du vorne auf der Landstraße raus.“ Nach dieser Bestätigung betätigte Kai den Schalter fürs Blaulicht und sie fuhren über Borg nach Bison. Die Fahrt dauerte nochmal 20 Minuten und Kai achtete darauf die Geschwindigkeit dem Zustand der Straße anzupassen. Manch einer würde jetzt meinen, dass 20 Minuten eine halbe Ewigkeit seien. Das stimmte jedoch nur zum Teil. Ja, es kam der Besatzung des Fahrzeuges wie eine Ewigkeit vor, doch es war schlichtweg Alltag in ländlicheren Gefilden. Der Weg zur Klinik wurde einfach immer weiter. In der Fahrzeuggarage am Klinikum Drop Rock angekommen, betätigte der Silberhaarige die Ziffer 8 am Funkhörer – Zielklinik, zog sich erneut Handschuhe an und verließ das Fahrzeug. Er öffnete die Flügeltüren hinten am RTW. „Frau *** nehmen Sie bitte ihre Arme auf den Bauch. Nicht, dass Sie versehentlich mit dem Ellenbogen gegen den Schrank schlagen.“ Kai wartete bis die Frau seiner Anweisung folgte, ehe er den Metalltisch, auf welchen die Trage befestigt war, heraus zog. Dabei war zwischen der Trage und einen der Schränke nur eine Zeitungbreit Platz. Seine Hand glitt rechts am Metalltisch zu einem Schalter. Diesen betätigte er und der Tisch senkte sich etwas herab. Anschließend löste er die Verrieglung der Trage und zog diese von dem Metalltisch. Dabei achtete er darauf, dass die Beine der Trage auch ausfuhren und sich selbst verriegelten. Brooklyn stieg an der Seite aus, bepackt mit seiner leuchtend gelben Mappe und dem Gepäck der alten Dame. Zusammen betraten sie die Notaufnahme. „Hallo! Zugang!!“ rief der Orangehaarige und aus einen der Behandlungsräume streckte ein Rotschopf seinen Kopf. „Wen bringt ihr denn?“ „Wir bringen Frau *** mit Pneumonie. Hat unsere Leitstelle euch nicht informiert?“ Die Krankenschwester kam auf sie zu und nahm das Protokoll und die Versicherungskarte entgegen. „Nein.“ Theatralisch seufzte Brooklyn. „Ok, dann werde ich in Zukunft mit unserem Diensthandy immer selbst hier anrufen.“ „Könnt ihr machen.“ War alles was die Schwester dazu sagte. „Legt mir die Patientin bitte in Behandlungsraum 3.“ Der Bitte folgend schob Kai die Trage in den Behandlungsraum. Dort angekommen, senkte er die Trage etwas herab und löste die Gurte. „Frau *** ich helfe Ihnen jetzt sich aufzusetzen und dann machen sie bitte den einen Schritt zu der anderen Trage, ok?“ „Ja.“ „Sehr gut. Zuerst aufrecht hinsetzen und durchatmen. Geht’s?“ Kai stützte die alte Dame mit der Hand am Rücken und ließ sie kurz verweilen. In der Zwischenzeit legte Brooklyn die Blutröhrchen auf den Tresen in dem Zimmer und nahm sich aus dem Schrank die leeren Röhrchen wieder heraus. Der Silberhaarige deckte die Frau wieder zu und schloss den Sauerstoff wieder an die Sauerstoffbrille. „Dann gute Besserung.“ „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ „Gern.“ Kai schenkte der Patientin noch ein knappes Lächeln, ehe er die Trage wieder aufrichtete und mit dieser den Raum verließ. Er schob sie in Richtung Ausgang als ein „Psst! Hey!“ ihn innehalten ließ. „Hm? Was gibt es?“ „Sag mal ist dein Kollege immer so von sich überzeugt?“ fragte die Krankenschwester ihn flüsternd. „Du hast ja keine Ahnung…“ Sie lächelte mitleidig. „Na dann halt durch.“ „Ja, danke. Unkraut vergeht ja nicht.“ Damit verabschiedete Kai sich von der Schwester mit dem Namensschild ‚Salima‘. Er trat in die Fahrzeuggarage und zog das Papierlaken von der Trage. Im Anschluss öffnete er den Schrank im RTW, welcher nah am Tragetisch stand und zog einen verschlossenen Putzeimer mit einer Desinfektionslösung heraus. Er öffnete diesen und entnahm zwei getränkte Einmallappen. Kai wischte die Trage ab und achtete darauf, auch die Gurte mit der Lösung zu benetzen. Anschließend stieg er in den Patientenraum und desinfizierte die Kabel der Blutdruckmanschette und den Fingerklipp. In geübter Routine, drehte er die Sauerstoffflasche zu und entlüftete das System. Den Müllbeutel zog er aus der Verankerung und knotete ihn zu um ihn in den Container der Klinik zu werfen. Die Trage überzog er dann mit einem neuen Papierlaken und schob die Trage wieder ins Fahrzeug. Schnell noch eine frische Mülltüte in die Verankerung und die Kabel wieder aufgerollt und schon war die Grundordnung im Rettungswagen wieder hergestellt. Pünktlich mit dem Schließen der Türen des RTWs, trat Brooklyn in die Fahrzeuggarage. „Oh, du bist schon fertig?!“ Überrascht sah der Notfallsanitäter zu seinem Kollegen. Kai hatte schon den passenden, bissigen Kommentar auf den Lippen, doch er schluckte ihn runter. Natürlich war er schon fertig – wie immer. Es war doch bekannt, dass man als Sanitäter auf dem Fahrzeug mit dem Aufräumen fertig war, wenn Brooklyn zum RTW kam. Manch anderer Kollege schaffte es sogar noch eine kurze Raucherpause einzulegen. „Lass uns zurück fahren. Ich würde gern versuchen noch ein paar Stündchen an der Matratze zu horchen.“ Schloss Kai den Einsatz für sich ab und der andere tat wie ihm geheißen. Borg – 02:03 Uhr Das Garagentor schloss sich. Kai stieg aus und schnappte sich das Stromkabel. Er stöpselte den RTW wieder an und öffnete mit dem Schüssel das Medikamentenlager. //Tupfer, Zugang, Flexülenpflaster, Sauerstoffbrille, Infusion, System…// Gedanklich ging der Silberhaarige die Materialien durch, welche sie verbraucht hatten. Routiniert griff er nach dem Equipment und übergab sie am Rettungswagen an seinem Kollegen. Dieser konnte das Zeug ruhig auch mal einräumen. Gähnend schloss er das Lager wieder ab und wischte mit dem Mopp das Fahrzeug noch einmal durch. Zusammen verließen sie die Garage, liefen an den Unterstellmöglichkeiten der Feuerwehr vorbei, gingen das Treppenhaus in die erste Etage rauf und betraten ihre Wache. Kai warf den Schlüssel auf die Anbauwand und entledigte sich seiner Jacke während Brooklyn das Protokoll ins Ablagefach legte. „Bis später…“ sagte der Silberhaarige und die Tür des Ruheraums flog hinter ihm ins Schloss. Auch der Orangehaarige begab sich in seinen Rückzugsraum. Kai zog seinen Pullover aus und ließ sich auf seiner Schlafstätte nieder. //02:19 Uhr…// Er seufzte und entledigte sich seiner Schuhe, ehe er sich auf seinem Bett breit machte. Sein Blick war an die Decke gerichtet. //Noch knapp 5 Stunden und dann kommt endlich die Ablösung. Hoffentlich bleibt es jetzt ruhig.// Er schloss die Augen und begann bewusst seine Atmung zu kontrollieren. Mit dieser Technik versuchte er sich selbst etwas herunter zu fahren. Dies tat er in den Nachtschichten oft und es klappte mal mehr und mal weniger gut. Borg – 07:05 Uhr Brooklyn saß am Küchentisch und blätterte in seiner Zeitungsapp, während im TV die Nachrichten liefen. Kai hingegen hatte es sich auf dem alten Sofa bequem gemacht und zockte auf dem Handy Pokémon Go. Er war gerade dabei Geschenke an befreundete Trainer zu schicken, als sich die Türe öffnete. „Moin zusammen!“ motiviert traten Michael und Goki in den Aufenthaltsraum. „Moin, moin!“ antwortete Brooklyn und sah den beiden zu wie sie sich ‚häuslich‘ einrichteten. Das mitgebrachte Essen wurde im Kühlschrank verstaut und die Taschen an die Seite gestellt. „Und wie war eure Nacht?“ fragte Michael und goss sich Kaffee in die Tasse, welcher von dem Orangehaarigen bereits angesetzt worden war. „Ein Einsatz…aber halt wieder schön um Mitternacht rum.“ Seufzte Kai und verstaute sein Handy. „Hm…blöd...“ kommentierte Goki und kramte wiederrum sein Handy aus der Tasche. „Hey danke fürs Geschenk, Kai!“ "Bitte." Irritiert sah Brooklyn zwischen den Zweien hin und her. „Die zocken Pokémon Go und irgendwie muss hier einer dieser Pokestops sein.“ Erklärte Michael, dem die Irritation nicht entgangen war. „Oh..ok.“ „Nun gut..ich mach Heim.“ Der Silberhaarige erhob sich. „Also wie gesagt…ein Einsatz, wir haben alles was wir verbraucht haben wieder aufgefüllt und der Tank ist halb voll.“ „Gut alles klar.“ Goki nahm den Fahrzeugschlüssel von Kai entgegen. „Kommst du heute Abend wieder?“ „Nee, danke Goki. Zwei Nachtschichten reichen mir.“ Grinste der Silberhaarige und verließ die Wache in seinen wohlverdienten Feierabend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)